zehn
Buffy hatte Angst. In dem Moment, in dem die Villa der Familie Adams in Sichtweite kam, wollte sie nur noch den Wagen anhalten und so schnell ihre Füße sie irgend möglich tragen konnten, nach Hause laufen und sich dort im Bett verkriechen. Die Villa war gigantisch, und schon von weitem konnte sie die vielen eleganten Menschen sehen, die in Strömen das Haupthaus zu betreten schienen. Spike hatte keinesfalls übertrieben, als er von 150 Leuten gesprochen hatte, im Gegenteil. Diese Zahl schien ihr plötzlich weit untertrieben zu sein.
„Keine Angst, Buffy, die meisten Leute hier beißen nicht." Rose lachte bei dem entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Freundin. Natürlich dachte sie, Buffy wäre nur nervös, wegen der vielen fremden Leute. Sie konnte ja nicht ahnen, was wirklich in ihrem Kopf vor sich ging. ‚Und was weißt du schon über beißende Leute?', fragte Buffy sich im Stillen und dachte sich insgeheim, eine Horde von Vampiren wäre ihr im Moment wesentlich lieber und würde ihr bei weitem nicht eine solche Angst einjagen.
Die Kutsche der Giles hielt vor dem Haupthaus an, um die vier Insassen aussteigen zu lassen, bevor sie sich an den dafür vorgesehenen Platz stellte, um die Herrschaften später wieder nach Hause zu bringen.
Nachdem sie gemeinsam das Haus betreten, und die Gastgeber begrüßt hatten, trennten sich die Wege der vier. Richard und Lizzy wurden gleich am Eingang von einigen Bekannten aufgehalten, während Rose Buffy am Arm packte, und sie praktisch zu ihren Freundinnen schleifte. Den Adams gegenüber hatte Richard Buffy als eine ferne Verwandte aus Amerika vorgestellt, was zu einem verwirrten Blick von Roses Seiten geführt hatte, aber das Mädchen war so geistesgegenwärtig gewesen und hatte seinen Mund gehalten. Sie hatte auch eigentlich gar keine Lust gehabt, weiter darüber zu diskutieren, sondern wollte sich einfach ins Vergnügen stürzen – ein Wunsch, den Buffy ganz und gar nicht teilte.
Entgegen ihrer Erwartungen, amüsierte Buffy sich zunächst jedoch ganz gut. Ein Abend im Bronze mit Xander, Anya, Willow und Tara wäre ihr zwar hundertmal lieber gewesen, aber wenn man die Situation betrachtete, hatte sie schon Spaß. Und Spike hatte Recht behalten, es war interessant, sich mal einen echten Standpunkt über Politik von Leuten aus dieser Zeit anzuhören. Zwar hatte sie bis her noch nicht allzu viel von solchen Gesprächen mitbekommen, da Rose und ihre Freundinnen nicht wirklich über Politik, sondern vielmehr über die neueste Mode, die neuesten Tänze und derlei Dinge sprachen – viel hatte sich in den letzten 120 Jahren scheinbar nicht verändert. Trotzdem hatte sie zwischendurch schon das ein oder andere aufschnappen können. Nicht, dass so etwas wirklich ihren Abend retten konnte, aber immerhin konnte sie Willow später erzählen, sie hätte Geschichte live miterlebt.
Sie war gerade damit beschäftigt, Rose und einigen Freundinnen bei einem Gespräch über einen neuen Tanz, von dem sie noch nie ein Wort gehört hatte, zu folgen, als Rose sie plötzlich unauffällig am Arm berührte, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Da, siehst du die Frau, die da eben durch die Tür geschwebt kommt?" Allein an Roses verächtlichem Tonfall erkannte Buffy schon, um wen es sich handeln musste. „Das ist Cecily Underwood. Gott, die hält sich auch für die Queen höchstselbst, dabei sollte sie mal darüber nachdenken, warum sie mit 22 immer noch nicht verheiratet ist."
Buffy hatte es nicht glauben wollen, hatte bis zum Schluss noch geglaubt aus Rose spräche lediglich die jugendliche Eifersucht und weibliche Rivalität, doch in dem Moment, in dem sie den ersten Blick auf Cecily Underwood warf, wusste sie, sie hatte falsch gelegen. Diese Frau war ein Miststück erster Güte, und sie machte nicht mal große Anstalten, es zu verstecken. Im Amerika des 21. Jahrhunderts hätte man sie mit Frauen wie ? gleichgesetzt und damit hätte man die noch beleidigt. Was konnte Spike nur jemals an einer solchen Schlampe gefunden haben? Hatte er denn keine Augen im Kopf gehabt. „Ja, ich glaube, ich sehe was du meintest."
„Nicht wahr? Und du musst mal beobachten, wie die Männer sie anschmachten. Das ist schon fast nicht mehr jugendfrei! Dabei, so toll sieht sie doch nun wirklich nicht aus, oder?" Rose war schon wieder dabei, sich in Rage zu reden, und das reichte, um Buffys Aufmerksamkeit wieder von Cecily loszureißen, und eine Hand in einer beruhigenden Geste auf Roses Arm zu legen.
„Rose, du plapperst", sagte sie lächelnd, als die Jüngere einen Flunsch zog. Sie hatte keine Lust, sich den ganzen Abend Beschwerden über Cecily Underwood anzuhören, und sie suchte fast zwanghaft nach einem Thema, mit dem sie den Teenager eine Zeit lang beschäftigen konnte. „Sag mal, sollte dein Bruder heute nicht nach Hause kommen?"
„Ja, aber Arthur kommt meistens erst ziemlich spät. Keine Ahnung, warum, aber warum fragst du?"
„Reine Neugierde, um deine Gedanken von Miss Underwood fernzuhalten", gestand Buffy lachend. Zugegeben, die Frage nach Arthur war nicht gerade die cleverste gewesen. Trotzdem machte sie sich jetzt Sorgen. Spike war allein zu Hause – zumindest war niemand da, der seine Anwesenheit erklären konnte – und wenn Arthur ein angehender Wächter war, könnte es für den Vampir gefährlich werden, wenn die beiden aneinander gerieten, besonders, wenn er sich nicht verteidigen konnte. Nein, sie würde sich jetzt keine Sorgen machen. Wenn sie damit anfing, würden die nächsten Stunden nur qualvoll langsam verstreichen. Spike war in der Lage auf sich selbst aufzupassen, das tat er immerhin schon seit 120 Jahren, und überhaupt, wenn er tat, was man ihm gesagt hatte, dann wartete er sowieso brav in seinem Zimmer, bis sie wieder da waren. Nein, sie würde jetzt auch nicht an dieses Zimmer denken! Nicht an das Gefühl seiner weichen, kühlen Lippen auf den ihren, nicht an den erschrockenen Ausdruck in ihrer beider Augen, als ihnen klar wurde, dass er nicht, wie beabsichtigt, ihre Wange getroffen hatte und nicht an das zufriedene Lächeln, als sie...
„Buffy!" hörte sie auf einmal Roses Stimme viel zu laut ihren Namen rufen. Ein wenig verwirrt musste sie sich erst einen Moment orientieren, bevor sie sich daran erinnerte, wo sie überhaupt war. „Sag mal, wo hast du dich denn rumgetrieben?" fragte Rose mit einem Lachen in der Stimme. Sie war guter Laune, und die schien ihr heute niemand nehmen zu können.
„Tschuldigung, musste nur gerade an ... etwas denken." Sie wusste, dass sie rot im Gesicht war, und das nicht nur, weil es ihr peinlich war, sich beim Tagträumen erwischt haben zu lassen.
„Aha", war Roses einziger Kommentar dazu, ein wissendes Grinsen jedoch nicht unterdrückend, und Buffy fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Rose wirklich mit Rupert Giles verwandt sein konnte. „Komm, Lynn und ihre Familie sind gerade angekommen. Wir müssen sie retten, bevor sie mit ihrer Mutter und Mrs. Underwood an einen Tisch gesetzt wird und sich den ganzen Abend zu Tode langweilt."
Und bevor Buffy wusste, wie ihr geschah, wurde sie durch das gemütliche Wohnzimmer, in dem sich die meisten Gäste aufhielten, gezogen, in Richtung der fünf Menschen, die dort am Eingang standen und sich scheinbar angeregt unterhielten.
Als sie noch etwa fünf Meter entfernt waren, bekam Buffy Panik, denn das war genau der Moment, in dem sie ihn sah. Nur von hinten, und doch wusste sie augenblicklich, um wen es sich handelte. Diese Haltung, obwohl sie so völlig anders war, als die, die sie gewohnt war, hätte sie überall wieder erkannt.
„Lynn", rief Rose, um die Aufmerksamkeit ihrer besten Freundin auf sich zu ziehen.
„Rosemary Giles, ich glaube nicht, dass das eine Art ist, sich in der Öffentlichkeit zu benehmen." Trotz des Tadels klang die Stimme von Spikes Mutter keineswegs unfreundlich, oder maßregelnd. Vielmehr schwang in ihr eine Liebe für Lynns Freundin mit, die Buffy schon oft bei ihrer eigenen Mutter Willow oder Xander gegenüber gehört hatte.
„Verzeihung, Mrs. Atherby", entschuldigte Rose sich fröhlich, und man konnte ihr ansehen, wie wenig sie es meinte. „Mrs. Atherby, darf ich Ihnen Miss Elisabeth Summers vorstellen? Sie ist eine entfernte Verwandte von uns aus den Vereinigten Staaten von Amerika und besucht uns hier eine Weile. Buffy, das sind Mrs. Atherby, Lynns Mutter und William Atherby, ihr Bruder."
‚Wo ist das Loch, in dem ich versinken kann', waren Buffys einzige Gedanken, als sie freundlich Mrs. Atherby die Hand reichte, und sich dann im Schneckentempo, um den Augenblick so lange wie möglich herauszuzögern, William zudrehte und – ihn nicht wieder erkannte. Der Mann, der vor ihr stand konnte unmöglich die gleiche Person sein, wie die, die sich zur Zeit im Gästezimmer der Giles langweilte und noch vor gar nicht so langer Zeit versucht hatte sie und ihre Freunde umzubringen. Aber wenn sie es sich genau überlegte, war er auch nicht die gleiche Person. Dieser Mann war jemand völlig anderes. Ein Mann, der es gewohnt war, von Allem nur das Beste zu bekommen. Die weichen Züge, die sein Gesicht aufwies, verrieten seine Leidenschaft für die schönen Dinge im Leben, und sie brachten eine Sanftheit und eine Liebenswürdigkeit in ihm zum Ausdruck, die man nur bei wenigen Menschen beobachten konnte. Sein Haar war heller, als sie es nach Spikes Haaransatz vermutet hätte, und die langen, widerspenstigen Strähnen hatte man versucht ordentlich in einem Mittelscheitel zu trennen. Die einfallslose Brille saß ihm eine kleine Spur zu weit vorne auf der Nase, wodurch er mehr wie ein Bibliothekar, als wie ein Banker aussah. Hinter den Brillengläsern jedoch konnte sie es sehen. Den Beweis, dass dieser Mann, der vor ihr stand tatsächlich derselbe war, wie der, den sie nun schon seit über drei Jahren kannte. Seine Augen strahlten geradezu, als sie ihm ihre Hand hinhielt, um ihn zu begrüßen.
„Mr. Atherby." Es war kaum mehr als ein Flüstern, doch es zauberte ein Lächeln auf seine Lippen, von dem sie niemals geglaubt hätte, es in diesem Gesicht zu sehen. Buffy war schockiert und einen Moment fürchtete sie, in Tränen ausbrechen zu müssen, als ihr bewusst wurde, dass dieser Mensch, der ihr auf den ersten Blick sympathisch war, in nur wenigen Monaten sterben würde.
„Es ist mir eine Freude, Miss Summers." Als ihre Hände sich berührten, war es für Buffy fast ein Schock, wie warm die seine sich über der ihren anfühlte. Es war lächerlich, und sie wusste es auch, aber sie hatte damit gerechnet, sie genauso kühl wie Spikes vorzufinden. Sie hielt es nur einen Moment aus, bevor sie ihm ihre Hand, sich etwas unbehaglich fühlend, wieder entzog. Nicht wissend, was sie sagen sollte, lächelte sie nur und hoffte, jemand anderes würde die Unterhaltung weiterführen.
„Meine Tochter erzählte, Sie kommen aus Amerika?" Obwohl Buffy Mrs. Atherby bereits begrüßt hatte, nahm sie erst jetzt die Gelegenheit wahr, die Frau, die Spikes biologische Mutter war, genauer zu betrachten. Sie war eine kleine, liebenswürdig wirkende Dame. Trotz ihres bereits fortgeschrittenen Alters verfügte sie über eine Jugendlichkeit, die ihr ganzes Wesen zum Strahlen brachte, ohne dabei lächerlich zu wirken. ‚Nicht, wie einige Frauen im 21. Jahrhundert, die einfach nicht mit Würde altern können', schoss es Buffy durch den Kopf, als sie an Cordelia Chases Mutter dachte, die auch mit fünfzig noch Kleider trug, die knapper als die ihrer Tochter waren.
„Ja, ich komme aus Kalifornien aus einem Ort in der Nähe von Los Angeles." ‚Oh mein Gott, gab es LA damals eigentlich schon?' Trotz ihrer Zweifel brachte sie ein tapferes Lächeln zustande, mit dem sie ihre Unsicherheit gekonnt überspielte.
„Oh, das muss ja aufregend sein. Dort drüben gibt es noch so viel freie Natur, so ganz anders als hier", meldete William sich zu Wort, und Buffy konnte nicht anders, als ihn verwundert anzustarren. „Lebt Ihre Familie schon lange dort?"
„Meine Eltern sind vor meiner Geburt übergesiedelt", log Buffy, die sich fragte, wie viel mehr diese Menschen hier von der Geschichte Kaliforniens wussten, als sie selbst.
„Und Sie besuchen Ihre Verwandten hier in England so ganz allein? Das muss ja eine lange Reise gewesen sein." Constance Atherby nahm Buffy am Arm und führte sie langsam weiter ins Innere des Hauses. „Kommen Sie, Schätzchen, Sie müssen mir alles genau erzählen."
Buffys anfängliche Unsicherheit im Umgang mit Spikes Familie schwand schnell dahin. Das Zusammensein mit den Atherbys war so einfach und unkompliziert, dass Buffy teilweise fast vergaß, mit wem sie zusammen an einem Tisch saß. Constance Atherby war eine tolle Frau, und Buffy konnte ihre Liebe zu ihren Kindern regelrecht spüren. Es war ein harmonisches Familienbild, das die drei hier abgaben, und Buffy verspürte einen Anflug von Eifersucht, als sie diese Einheit beobachtete. Aber auch mit William konnte Buffy problemlos reden, auch wenn anfangs die meiste Zeit darauf verwendete, nach Ähnlichkeiten zu suchen. Doch diese völlig andere Frisur und die Brille machten ein wirkliches Erkennen fast unmöglich. Lediglich die Augen waren noch die gleichen, und das war etwas, was Buffy eigenartigerweise beruhigte. Sie gaben ihr das Gefühl diesen Mann zu kennen, und diese Tatsache erleichterte den Umgang mit ihm, auch wenn sie sich natürlich nicht so verhalten konnte, wie sie es Spike gegenüber tat. Obwohl das mal eine Abwechslung für diese britische Gesellschaft gewesen wäre, da war sich Buffy sicher. William erzählte ihr von seiner Anstellung in der Londoner Bank, die zwar nichts besonderes war, ihm aber durchaus Aufstiegsmöglichkeiten bot. Buffy merkte, dass William genauso wenig wie Spike von dieser Stellung hielt, nur dass William gewillt war, der Sache auch etwas Positives abzugewinnen.
Der Abend war schon etwas fortgeschritten, als Lynn sich entschuldigte, um sich ihren Freundinnen anschließen zu können. Hatte Buffy zuvor Probleme gehabt Spike in William zu erkennen, so konnte sie sich jetzt nicht mehr vorstellen es jemals übersehen zu haben, denn der Blick, mit dem William Lynn folgte war genau der Gleiche, mit dem Spike Dawn manchmal beobachtete, wenn er der Meinung war, sie bei etwas erwischt zu haben, was sie seiner Meinung nach unter keinen Umständen machen sollte. Diese Erkenntnis machte sie sprachlos, und im gleichen Moment fragte sie sich, wann genau sie angefangen hatte, Spike so regelmäßig als Babysitter für ihre kleine Schwester einzusetzen.
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Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Wenn sie erwischt wurde, war sie geliefert, soviel stand fest. Es war unschicklich für ein Mädchen unter achtzehn in unverheiratetem Zustand, sich mit einem Jungen unbeaufsichtigt zu treffen. Aber er hatte sie gebeten hier her zu kommen, und sie hatte seinem Flehen einfach nicht widerstehen können. Wie hätte sie auch, verlangte doch jede Faser in ihrem Körper nach seiner Nähe, nach seiner Berührung. Nicht, dass sie schon viel über die Dinge wusste, die ein Mann und eine Frau taten, wenn sie allein waren, denn mehr, als ein paar verstohlene Küsse hatte es zwischen ihnen noch nie gegeben, aber sie konnte das instinktive Verlangen in seiner Nähe sein zu wollen, nicht ignorieren. Sie musste ihn einfach sehen.
Wenn ihr Bruder wüsste, was sie hier tat, er würde sie einsperren, bis sie dreißig war. Ach was, er würde sie umgehend in ein Kloster eintreten lassen. Die Vorstellung allein ließ sie aschfahl werden. Nein, das würde er natürlich nicht tun. Er liebte sie und sorgte sich auch um sie, er wollte sie vor allem Elend dieser Welt schützen, und manchmal ging er in seinem Bemühen genau das zu tun, etwas zu weit, aber so radikal würde er sich dann doch nicht in ihr Leben einmischen. Oder vielleicht doch? Wer konnte schon wissen, was William tun würde, wenn er meinte, die Ehre seiner kleinen Schwester sei angegriffen worden? Er war zum Glück kein aggressiver Mensch, ansonsten hätte sie allen Grund um Arthur besorgt zu sein.
„Lynn", hörte sie auf einmal seine leise Stimme hinter sich und als sie sich umdrehte, stand er vor ihr. Seine braunen Augen wirkten in der Dunkelheit fast schwarz und sein schwarzes Haar schimmerte im Mondlicht.
„Arthur", es war mehr ein Seufzen, als ein Ausruf, als sie sich in seine Arme warf und ihre Lippen den seinen in einem leidenschaftlichen Kuss begegneten. Zu lange war die Trennung gewesen, zu viele Stunden hatten sie beide mit Warten auf ein nächstes Wiedersehen verbracht, um sich jetzt zügeln zu können.
„Ich hab dich so sehr vermisst", stammelte er zwischen Küssen, deren Leidenschaft sie eigentlich hätte erschrecken müssen, sie in Wahrheit jedoch fast beruhigten. Oft befürchtete sie, er könne sie vergessen, wenn er auf der Universität war und sich irgendwann an sie nur als das kleine Mädchen, das zufällig die beste Freundin seiner kleinen Schwester ist, erinnern. Doch die Liebe, die sie in diesen wenigen Küssen spürte, ließen all ihre Ängste verschwinden.
„Du hast mir auch gefehlt", flüsterte sie mit einem glücklichen Lächeln, als sie sich sanft von ihm löste, einen Arm jedoch bei ihm unterhakte.
„Wie bist du deinem Bruder entwischt?"
„Oh, das war gar nicht so schwer. Er hat fast den ganzen Abend mit eurer Miss Summers verbracht. Es scheint fast so, als hätte mein lieber Bruder sich ein wenig in euren Hausgast vernarrt. Für sie hat er sogar seinen Freund George einfach stehen lassen." Sie begegnete seinem irritierten Blick.
„Von wem redest du?"
„George Bernard Shaw, diese traurige Ausgabe eines Dichters. Du musst ihn doch kennen."
„Nein… ich meine, ja natürlich weiß ich, wer das ist. Ich meinte diesen Hausgast meiner Eltern."
„Oh, du wusstest das nicht? Deine Eltern haben seit etwa einer Woche zwei Hausgäste. Miss Summers ist wohl aus Amerika, so genau weiß ich das auch nicht. Sie hat das vorhin Will und Mutter zwar alles erzählt, aber ich habe nicht recht zugehört." Ihr verschmitztes Lächeln sagte ihm nur allzu deutlich, woran sie stattdessen gedacht hatte. „Sie scheint wirklich sehr nett zu sein, wenn sie auch irgendwie eigenartig redet. Von dem zweiten Hausgast weiß ich gar nichts, und Rose konnte mir auch nichts Näheres über ihn erzählen. Aber ich denke, du wirst ihn kennen lernen, sobald du nach Hause kommst."
„Merkwürdig, Vater hat mir gar nichts von Gästen erzählt. Bist du sicher?" Die Frage war selbstverständlich rein rhetorisch, denn immerhin war Lynn Roses beste Freundin. „Weißt du, wo sie so plötzlich herkommen?"
„Nein, aber sie scheinen wohl irgendwie geschäftlich mit deinem Vater zu tun zu haben. Rose sagte, sie fahren jeden Morgen mit ihm ins Büro." Lynn griff nach der Hand ihres Freundes und verschlang ihre Finger miteinander. „Ich muss wieder rein, bevor mich irgendjemand vermisst." Sie schenkte ihm ein Lächeln, als er sich wieder zu ihr hinunterbeugte, um sie zu küssen. Ihre Lippen waren nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt, als sie die zufallende Tür hinter sich hörten.
„Oh, Verzeihung, ich wusste nicht..." Buffys Augen wurden kreisrund, als sie entdeckte, wen sie gerade beim Knutschen gestört hatte. Sofort schossen ihr mindestens Hundert Szenarien durch den Kopf, und alle beinhalteten Spike, der diesem Kerl ein schmerzvolles Ende bereitete, nachdem er herausgefunden hatte, was der mit seiner kleinen, unschuldigen Schwester tat. „Lynn, ich ..." Was tat sie hier? Was ging es sie an, mit wem Lynn Atherby sich heimlich traf? „... ich glaube, dein Bruder sucht dich", war alles, was sie herausbrachte. Es stimmte nicht, aber irgendwo in ihrem Innern fühlte sie sich für dieses junge Mädchen verantwortlich, und auch wenn sie selbst sich mit fünfzehn durchaus mit Jungs getroffen, und es dabei auch zu weitaus weniger harmlosen Küssen gekommen war, hatte sie nun das Gefühl, hier die Stimme der Vernunft sein zu müssen.
„Buffy, das ist gar nicht so, wie es aussieht", brachte Lynn, die etwa so blass war, dass man sie gut mit einem Vampir hätte verwechseln können, mit rauer Stimme heraus. „Ich war nur hier draußen, um frische Luft zu schnappen, und bin zufällig Arthur Giles hier begegnet. Er wollte ja eigentlich schon früher da sein, aber er hat es nicht geschafft, und als wir uns hier draußen gesehen haben, haben wir nur noch ein bisschen geredet..." Lynn machte eine Pause, als ihr die Luft ausging und blickte hilfesuchend zu Arthur hoch, der jedoch Buffy mit einem interessierten Blick musterte.
„So, dann müssen Sie also der Hausgast sein, von dem Lynn hier vorhin gesprochen hat, nicht wahr?" Sein Blick war durchdringend, und Buffy bekam das Gefühl, Arthur Giles nicht so leicht auf ihre Seite ziehen zu können, wie es ihr mit Richard gelungen war. Was ihr im Moment jedoch viel größere Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass der Mann, der offensichtlich gerade mit Lynn rumgemacht hatte, mit Spike unter einem Dach leben würde.
„Ja, es sieht ganz so aus", antwortete sie vorsichtig. Sie wusste nicht, was Richard seinem Sohn über sie und Spike erzählen wollte, oder bereits erzählt hatte, aber sie wurde das Gefühl nicht los, im Moment von ihm mit einem Röntgenblick durchleuchtet zu werden.
„Nun, dann werden wir uns ja sicherlich noch öfter begegnen", sagte Arthur in leisem, aber nicht wirklich freundlichen Ton. „Ich werde jetzt wohl erst einmal nach Hause fahren. Lynn." Er schenkte ihr ein verliebtes Lächeln und nickte Buffy zu. „Miss Summers."
Kaum war Arthur außer Sichtweite, drehte Lynn sich aufgeregt zu Buffy um. „Bitte, Buffy, ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich flehe dich an, sag bitte zu niemandem etwas! Ich weiß, wie das vielleicht ausgesehen haben mag, aber so ist es ganz und gar nicht. Arthur..."
„Lynn, warte!" Buffy hielt abwehrend ihre Hände in die Luft. „Ich bin weder deine Mutter, noch deine Gouvernante, und ich hätte nicht das geringste Recht, mich in deine Angelegenheiten einzumischen." Sie wartete einen Moment, bis so etwas wie Beruhigung in Lynns Miene zu erkennen war. „Also, wie lang geht das schon mit euch zwei?" Selbst in dem herrschenden Zwielicht konnte sie sehen, wie Lynn feuerrot im Gesicht wurde.
„Etwas über ein halbes Jahr", gab sie kleinlaut zu, innerlich einen Kampf zwischen dem Wunsch sich jemandem mitzuteilen und der Angst ihre Familie könnte davon erfahren ausfechtend. Doch als sie Buffys offenes, bereitwilliges Gesicht sah, konnte sie einfach nicht mehr anders, als es ihr zu erzählen. „Es fing an, kurz bevor er sein zweites Jahr auf dieser Universität begonnen hat. Er war zu Besuch bei seinen Eltern, und in dieser Zeit haben wir uns recht regelmäßig gesehen, da ich zusammen mit Rose Klavierstunden bei den Giles zu Hause bekam. Dadurch haben wir uns öfter unterhalten, und zuerst habe ich gedacht, ich bilde mir das ein, aber eines Tages... nun, Arthur ... Du weißt schon." Rose fächelte sich mit ihrer bloßen Hand etwas Luft zu, als sie nicht wusste, wie sie weitererzählen sollte. Buffy jedoch konnte sich ihren Teil dabei denken. „Ich war gerade erst fünfzehn geworden, und wenn mein Bruder davon erfahren würde... nun, er wäre sicherlich nicht sehr erfreut darüber."
‚Oh, Schätzchen, du hast ja so gar keine Ahnung!', dachte Buffy, die weiter Lynns Schwärmereien zuhörte.
„Jetzt haben wir beschlossen zu warten, bis ich sechzehn bin, bis er offiziell anfangen kann, um mich zu werben. Nur.." Buffy entdeckte die Tränen, die nun Lynns Wangen bedeckten und griff beruhigend nach ihrer Hand.
„Nur was, Lynn?"
„Was ist, wenn er es irgendwann leid ist, zu warten? Gut, ich werde bald sechzehn, es sind nur noch zwei Monate, aber was ist, wenn er eine andere findet? Eine, die nicht mehr so jung ist, eine, die aus reicherem Haus kommt? Eine, die hübscher ist, als ich?" Die Verzweiflung auf diesem jungen Gesicht hätte Buffy fast zum Lachen gebracht, doch vermutlich hätte sie Lynn dadurch in eine tiefe, emotionale Krise gestürzt. Anscheinend hatte Lynn wirklich noch keinerlei Erfahrung mit Männern, denn ansonsten hätte sie gar keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit von Arthurs Gefühlen ihr gegenüber. Die Liebe, die er für sie empfand, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, und keine Frau der Welt konnte daran etwas ändern.
„Keine Angst, Lynn. Ich bin mir sicher, dass er auf ein so zauberhaftes Mädchen, wie dich, ein Leben lang warten würde." ‚Wann genau habe ich mich eigentlich in einen Seifenopercharakter verwandelt?', fragte sie sich selbst und schüttelte etwas angewidert den Kopf über sich selbst. Warum hätte das Ganze nur so viel besser geklungen, wenn ihre Mutter so etwas gesagt hätte?
„Meinst du wirklich?" Neue Hoffnung bildete sich in ihrer Miene, und Buffy konnte nicht anders, als von dieser jungen, unschuldigen Liebe gerührt zu sein. Es schien alles so viel weniger kompliziert, als ihre Beziehung zu ihrem ersten ernsthaften Freund. ‚Aber das liegt wohl in der Natur der Sache, wenn der erste Mann, mit dem du intim wirst, ein 250 Jahre alter Vampir ist, der daraufhin seine Seele verliert und anfängt deine Freunde umzubringen', setzte sie sarkastisch in Gedanken hinzu.
„Ich bin mir ganz sicher", bekräftigte Buffy, bevor sie aufstanden und gemeinsam ins Haus zurückgingen. Doch noch bevor sie die Tür erreichten, stand William auf einmal vor ihnen und nach einem prüfenden Blick, der sicherstellen sollte, dass es seiner Schwester an nichts fehlte, lächelte er Buffy freundlich an.
„Miss Summers, meine Mutter lässt fragen, ob Sie uns nicht die Ehre erweisen und morgen Abend mit uns dinieren möchten."
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Es war bereits weit nach Mitternacht, als die Kutsche endlich wieder an der Villa der Giles vorfuhr, und deren Bewohner sicher nach Hause brachte. Spike, der den ganzen Abend über in seinem Zimmer verbracht hatte, statt wie eigentlich geplant einen Zug um die Häuser zu machen, konnte es kaum fassen, diese ätzende Langeweile tatsächlich überlebt zu haben. Gut, ganz so langweilig war es eigentlich nicht gewesen, denn den größten Teil des Abends hatte er damit verbracht über diesen Kuss nachzudenken, den er Buffy gegeben hatte, bevor sie sich auf den Weg zu den Adams gemacht hatte. In dem Moment, als er spürte, dass es sich nicht um ihre Wange, sondern vielmehr um ihre Lippen handelte, die er da küsste, dachte er, sie würde ohne zu Zögern in ein Häufchen Asche verwandeln. Doch das zarte Lächeln, das auf ihren Lippen erschien, ließ seine Sorge als unbegründet erscheinen, und obwohl er in diesem Augenblick nichts lieber getan hätte, als sie gleich mit einem zweiten Kuss zu überraschen, öffnete er ihr die Tür vollständig und ließ sie gehen. Die nächsten zwei Stunden hätte er sich dann am liebsten für seine Dummheit selbst in den Arsch getreten. Was war nur los mit ihm? Es war die Gelegenheit gewesen, und er hatte sie einfach verstreichen lassen. Irgendwie musste ihm die Luft hier nicht bekommen.
Vor etwas mehr als einer Stunde dann hatte er schon einmal gedacht, Buffy und die anderen seien wieder da, als er plötzlich die Haustür gehört hatte. Wäre da nicht Rose, die ihn noch nicht kannte – und wahrscheinlich auch nicht kennenlernen sollte – wäre er aus seinem Zimmer gekommen, um nachzusehen, doch als er Nancy einen Fremden begrüßen hörte, war er froh, dass er es nicht getan hatte. Musste wohl der bis jetzt verschollene älteste Sohn der Giles sein, und er hatte keine Lust einem angehenden Wächter allein zu begegnen.
Doch jetzt war er sich sicher, dass es sich um Buffy handelte, und es dauerte genau noch zwei Minuten, bis es leise an seiner Tür klopfte. Bei diesem Geräusch musste er unwillkürlich grinsen. Seit wann klopfte sie denn bei ihm an? Normalerweise stürmte sie doch einfach in seine Behausung rein. Er glaubte nicht, dass sie überhaupt wusste, dass seine Gruft in Sunnydale eine Tür hatte, an die man klopfen konnte.
„Komm rein, Jägerin", rief er gedämpft durch die Tür und erlaubte ihr so einzutreten.
„Woher wusstest du, dass ich es bin?" fragte Buffy, nachdem sie die Tür von innen wieder geschlossen hatte.
„Intuition." Sein spöttisches Grinsen war wieder da und Buffy rollte mit den Augen. Es war wieder alles beim Alten. Keine angespannte Atmosphäre, weil jeder versuchen wollte, möglichst nicht auf den Kuss einzugehen, keine peinlichen Schweigemomente, in denen sie sich beide fragten, was der andere wohl dachte. „Also, wie war dein Abend?"
„Oh, es war sehr nett, eigentlich. Weißt du, ich dachte immer, lästern wäre auch so eine Erfindung unserer Generation, aber wenn ich so darüber nachdenke, habe ich heute wohl meinen Meister gefunden." Während sie sprach öffnete sie die Verbindungstür zu ihrem Zimmer und wartete, bis er ihr gefolgt war, bevor sie die Tür wieder schloss. Dann setzte sie sich auf einen der kleinen Sessel in der Leseecke und begann sich die Schuhe aufzuschnüren. Von allen Dingen, die an dieser Mode unpraktisch und unbequem waren, waren die Schuhe das schlimmste.
„Na ja, die feinen Damen hatten ja auch nicht so viel anderes zu tun mit ihrer Zeit."
„Ja, auf diesen Gedanken bin ich heute auch schon gekommen. Nur hätte ich nicht gedacht, dass auch ältere Damen wie Mrs. Adams und deine Mutter zu diesen Lästermäulern gehören." Eigentlich hatte sie es nicht so nebenbei erwähnen wollen, dass sie seine Mutter tatsächlich kennen gelernt hatte, aber jetzt konnte sie es wohl nicht mehr zurücknehmen.
„Du hast meine Mutter kennen gelernt?" Er wusste nicht recht, warum er erstaunt war, immerhin war er sicher gewesen, dass sie auch bei dieser Party gewesen war, immerhin war Mrs. Adams ihre beste Freundin gewesen.
„Ja, sie ist wirklich eine sehr nette Person. Ich hab fast den ganzen Abend mit Lynn, ihr und ..." Sie wusste nicht, wie sie es sagen sollte, also überließ sie es seiner Phantasie den Satz zu beenden.
„Aha", war jedoch seine einzige Reaktion. Zeit das Thema zu wechseln, und er hatte eine Idee, die ihm im Laufe des Abends gekommen war, und über die er mit ihr sprechen wollte. „Weißt du, Buffy, ich habe nachgedacht, und..."
„Ich finde es schön, dass du dieses essentielle Erlebnis mit mir teilst, Spike, ganz ehrlich." Ihr Grinsen wurde breiter, als er ihr einen mordlustigen Blick zuwarf. Sie hatte sich einfach nicht beherrschen können, nachdem er ihr so schön den Ball zugespielt hatte.
„Wie auch immer, Summers", er spuckte ihren Namen aus, als wäre er Gift, was ihn jedoch nicht davon abhielt, fortzufahren. „Na ja, wir sind jetzt ja schon recht lange hier und ich dachte mir, wo wir schon mal hier sind... nun ja, und du hast ja eigentlich auch noch nicht so viel von der Stadt gesehen, oder?" Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Er war nervös! Warum um alles in der Welt sollte er nervös sein?
„Spike, woraus willst du hinaus?" fragte sie, nachdem er einmal tief Luft geholt hatte.
„Na ja, ich dachte mir, wir könnten abends doch auch mal... weggehen. Ich könnte dir zum Beispiel die Stadt zeigen. Ein paar Viertel außerhalb des Hauptquartiers der Wächter." Er versuchte so zu wirken, als kümmerte ihn die Sache nicht weiter, doch die Wahrheit war, dass er vor Aufregung die Luft anhielt.
„Gerne", antwortete sie strahlend, was ihn dazu brachte, beruhigt die unnötige Luft wieder auszuatmen.
„Morgen Abend dann?" Das Leuchten verschwand aus seinen blauen Augen, als sie plötzlich seinem Blick auswich und nervös an ihrer Bettdecke zupfte.
„Äh, morgen Abend ist es eher schlecht." Er hörte, wie ihr Herzschlag immer schneller wurde, und er fragte sich, was sie vor ihm verheimlichte.
„Warum?" Da war er, dieser Ton in seiner Stimme, der ihr sagte, dass er in einen Verteidigungsmodus übergegangen war, der ihn innerlich davor schützen sollte verletzt zu werden, aber der bei so gut wie jedem anderen Lebewesen als Angriff interpretiert wurde.
„Weil...", ‚Gott, wie sage ich ihm das?'. „...icheineVerabredunghabe. Wie wäre es mit übermorgen?" Das zuckersüße Lächeln auf ihren Lippen blieb bei ihm ohne Wirkung, als er ihr einen fast entsetzten Blick zuwarf.
„Was? Ich muss mich verhört haben, denn ich könnte schwören, du hast gesagt, du hättest eine Verabredung." ‚Warum klinge ich eigentlich wie ein eifersüchtiger Freund?'
„Oh, das, ja... weißt du... ich ..." Sie wurde feuerrot im Gesicht, als sie sich selbst dabei zuhörte, wie sie sich um Kopf und Kragen stotterte.
„Und wer ist der Glückliche?" Sein Blick war stahlhart, und jegliche Wärme und Freundschaft, an die sie sich inzwischen so gewöhnt hatte, war verschwunden.
„Ist das wichtig?" versuchte sie es nonchalant, in der Hoffnung, er würde nicht weiterfragen.
„Buffy, ich glaube nicht..." Etwas stimmte hier nicht. Ihr Herzrasen, ihre roten Wangen, ihre Unfähigkeit ihm in die Augen zu sehen. Das konnte nicht allein daran liegen, dass sie eine Verabredung hatte. Warum sollte ihr das theoretisch unangenehm sein. Er selbst hatte keinerlei Ansprüche auf die Jägerin, und wenn er sich das noch so sehr wünschte. Hieß das etwa... „Oh nein! Das ist doch nicht... Du kannst doch nicht... Bist du vollkommen übergeschnappt?" Das Schuldbewusstsein, das ihr förmlich auf die Stirn geschrieben war, sagte ihm alles, was er wissen musste. „Warst du nicht diejenige, die gesagt hat, wir müssen uns so weit es geht im Hintergrund halten, damit wir nicht den Lauf der Welt verändern?"
„Was hätte ich denn machen sollen? Und außerdem war es deine Mutter, die mich fragte, ob ich morgen Abend mit ihr, William und Lynn zu Abend essen möchte? Hätte ich ihr etwa einen Korb geben sollen? Es ist ja kein wirkliches Date!" Sie wusste, ihre Ausflüchte klangen eben genau nach dem, was sie waren. Ausflüchte.
„Erinnerst du dich an diese dämliche Prophezeiung, in der es um meinen Allerwertesten geht? Was glaubst du, wird passieren, wenn du jetzt mit Junker William anbandelst? Es ist zwar schon länger her, seit ich dieser Verlierer war, aber glaubst du ernsthaft, er wird dieser dummen Pute Cecily auch nur noch einen Blick schenken, nachdem er mit dir zusammen war? Gott, ist dir eigentlich bewusst, dass du hier mit meinem Leben spielst?" Er war inzwischen so laut geworden, dass Buffy sich wunderte, dass Richard nicht schon längst in der Tür stand und sie beide zur Ruhe ermahnte. Er war wütend, und das aus gutem Grund, und trotzdem fand sie seine Reaktion etwas übertrieben.
„Spike! Es tut mir leid, dass dich diese Angelegenheit so aufregt. Aber du kannst doch gar nicht wissen, was passieren wird. Vielleicht mag er mich ja gar nicht und würdigt mich nie wieder eines Blickes." Doch auch während sie es sagte, ahnte sie, dass das nicht der Fall sein würde.
„Glaub mir, mein Schatz, er wird dich mögen." Die zynische Zuversicht, die in diesem Satz mitschwang, sprach Bände, und auch Buffy war klar, was Spike eigentlich damit zugegeben hatte, und so unpassend das in diesem Augenblick vielleicht auch war, ihr Herz machte bei der Erkenntnis einen kleinen Freudensprung. Sie bemerkte, dass er sie beobachtete, doch sie war noch nicht bereit seinem Blick zu begegnen.
„Du willst ihn retten, nicht wahr?" War seine Stimme gerade noch von Zorn und Unglauben gefärbt gewesen, so war sie jetzt erschreckend leise und traurig. „Du willst William davor bewahren in dieses seelenlose Monster, das hier vor dir steht und in seinem Leben so viele Menschen ermordet hat, dass es sie schon vor Jahren nicht mehr zählen konnte, verwandelt zu werden." Da war keine Anklage in seiner Stimme, lediglich eine tiefe Traurigkeit, die sie nicht verstand, als sie beschämt den Blick senkte. Genau diesen Gedanken hatte sie kurzfristig gehabt, aber es waren Überlegungen, die sie sich nicht erlaube konnte. Nicht, wenn sie wieder nach Hause wollte.
„Nein", flüsterte sie, nicht in der Lage ihre Stimme zu heben.
„Du musst es nicht leugnen, ich..." Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, verschwand er wieder in seinem Zimmer und ließ sie mit dem Gefühl ihn verraten zu haben, zurück. Er hatte Recht, und sie wusste es auch. Es war gefährlich sich mit William zu treffen, denn sie wusste, dass es eine Art Chemie zwischen ihnen gab. Was war, wenn er sich in sie verliebte und darüber hinaus Cecily völlig vergaß. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dann trotzdem in diesem Stall landen würde, wo Drusilla ihn getroffen hatte, war mikroskopisch gering, und ihre Chancen wieder nach Hause zu kommen wären dahin. Und was war mit Spike? Ohne diesen schicksalhaften Abend, an dem Cecily William einen eindeutigen Korb gegeben hatte, würde der Vampir nicht existieren.
Ein Stich durchfuhr sie bei diesem Gedanken. Wollte sie das etwa? Wollte sie, dass Spike niemals existiert hatte? Nein, das wollte sie nicht. Auch wenn er zu Beginn ihrer Bekanntschaft der nervigste und großspurigste Zeitgenosse gewesen war, in den vergangenen Tagen hatte sie ihn durchaus als einen netten Mann kennen gelernt, der sich lediglich hinter dieser Fassade, die er in den letzten 120 Jahren aufgebaut hatte zu verstecken verstand. Nein, sie wollte nicht, dass er einfach verschwand.
Aber was war mit William? Wollte sie, dass er starb? Nein, auch das wollte sie nicht. Sie wollte auch seine Mutter, die ihren Sohn offensichtlich über alles liebte, und seine Schwester, die ihren Bruder vergötterte, nicht diesem Schmerz aussetzen. Was geschah mit ihnen, wenn William starb und Spike geboren wurde? Sie hatte ihn noch nie danach gefragt, aber nachdem, was Angel ihr über die ersten Tage und Wochen im Leben eines Vampirs erzählt hatte, konnte sie sich ausrechnen, was William/Spike mit ihnen getan hatte. Wahrscheinlich machte er sich heute Vorwürfe deswegen, und vielleicht war auch dadurch sein Verhalten an diesem ersten Abend, als Lynn zu Besuch gewesen war, zu erklären, als er sie so inständig gebeten hatte zu sehen, ob es seiner kleinen Schwester gut ging.
Und was war mit all den Opfern, die Spike als Vampir umgebracht hatte. Wie viele Leben konnte sie dadurch retten? Aber andererseits, wie groß würde dadurch der Einschnitt in die Weltgeschichte wirklich sein? Wer konnte schon wissen, was dieses Kind in dem Kohlenkasten, von dem Spike Dawn erzählt hatte, und das er ganz sicher nicht bei einer Pflegefamilie abgegeben hatte, in seinem Leben noch erreicht hätte, wenn es ihm nicht zum Opfer gefallen wäre. Vielleicht wäre ihm ein großer Durchbruch in der Genforschung gelungen, wodurch sämtliche Krankheiten auf einmal heilbar gewesen wären, oder es hätte auch eine Waffe entwickeln können, die in der ersten Testphase die gesamte Menschheit ausgerottet hätte. Oder dieses Kind wäre irgendwann Amokläufer geworden, der an einem sonnigen Tag in LA ihre eigene Mutter erschossen hätte, noch bevor Buffy Summers eine Chance gehabt hätte auf die Welt zu kommen. Wer konnte das schon wirklich wissen?
Nein, sie durfte seine Verwandlung in einen Vampir nicht verhindern. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel. Und wer war sie überhaupt zu entscheiden, was richtig und was falsch war. Hatten die Guten Mächte sie in diese Zeit geschickt? Nicht sehr wahrscheinlich, wenn man bedachte, was in dieser Prophezeiung stand. Viel wahrscheinlicher war es, dass irgendwelche Mächte der Finsternis dahinter standen, die verhindern wollten, dass Spike es einmal so weit bringt. Also musste Buffy alles in ihrer Macht stehende tun, um sicherzustellen, dass Spike auch wirklich an seinem Ziel ankam.
Also hatte sie wohl keine andere Wahl, als William zu opfern – und mit ihm all die Menschen, die ohne Spike wahrscheinlich immer noch am Leben wären, allen voran seine eigene Familie. Auf der anderen Seite hatte Spike natürlich auch schon Gutes getan, seit er damals in Sunnydale aufgetaucht war. Immerhin hatte er ihr damals geholfen Angel zu vernichten – auch wenn sie im Prinzip die meiste Arbeit hatte und er sich am Ende einfach aus dem Staub gemacht hatte. Und was war mit ihrer Schwester? Sie war sich sicher, dass er für Dawn durchs Feuer gehen würde, auch wenn er das noch nie so gesagt hatte. Es war nur einfach etwas an der Art und Weise, wie er mit Dawn umging, die sie zu dieser Vermutung brachte. Es spiegelte das Verhalten wieder, das sie am Abend zwischen William und Lynn hatte beobachten können. Diese brüderliche Liebe und Fürsorge, die allen Fremden signalisierte bloß auf Abstand zu bleiben, da sonst etwas Schlimmes passieren würde.
Frohe Ostern! Lasst mich wissen, was ihr denkt, lg N.Snape
