zwoelf

London, 27. September 1879

Zu sagen, sie wäre nicht nervös, wäre eine glatte Lüge gewesen. Ihr Puls ging viel zu schnell, und ihr Adrenalinpegel war ebenfalls höher, als gewohnt. Die Vorstellung in wenigen Stunden für einen relativ langen Zeitraum mit William Atherby und seiner Familie allein zu sein, war fast ein wenig angsteinflößend, und Buffy war heilfroh, dass sie in Lynn so eine Art Verbün­dete hatte. Sie mochte das Mädchen und entdeckte in ihr ein klein wenig ihre eigene kleine Schwester – wohl auch ein Grund für Spikes und Dawns Freundschaft, wie sie vermutete.

Buffy saß zusammen mit Rose und Lizzy im Teezimmer und saß dort die Stunden ab, bis sie von der Kutsche der Atherbys abgeholt wurde. Constance war der Meinung gewesen, wenn sie Buffy einluden, mussten auch sie dafür sorgen, dass sie unbeschadet bei ihnen ankam. Diese Fürsorge hatte Buffy gerührt, aber es schien, als sei dieses Verhalten für diese Zeit normal. Ihr Blick wanderte auf die große Standuhr, die neben dem alten Sideboard aus hellem Eichenholz stand, und musste ein frustriertes Seufzen unterdrücken. Noch immer vier Stunden, bis sie ab­ge­holt wurde. Diese Warterei war nicht gerade dazu angetan, ihre Nervosität zu unterbinden. In zwei Stunden würde sie spätestens nach oben gehen, um sich umzuziehen. Es war ihr ein wenig unangenehm, wie viele Kleider sie in der kurzen Zeit, die sie jetzt hier war, schon von Lizzy und Richard geschenkt bekommen hatte. Es waren fast alles Kleider von Rose, die nur zum Teil geändert werden mussten, aber das störte keine von beiden. Rose fragte auch nicht nach den Gründen, warum Buffy es nötig hatte, sich aus ihrer Garderobe zu bedienen, und dafür war Buffy ihr im Stillen sehr dankbar. Inzwischen war Nancy aber auch schon dabei, eigene Kleider für Buffy zu nähen, aber auf Buffys Proteste, dass sie das nicht annehmen könne, hatte Lizzy gar nicht reagiert. Spikes Garderobe hingegen war bei weitem noch nicht so aufgestockt worden, wie Buffys, und ihr war aufgefallen, dass er sich in seinem eigenen Anzug noch immer am wohlsten fühlte. Doch sobald sie abends nach Hause kamen, riss er sich stets die Kleider vom Leib und zog sich sein T-Shirt und seine Jeans an. Da er sowieso die meiste Zeit in seinem Zimmer bleiben musste, machte es auch keinen Unterschied, was er trug.

Bei dem Gedanken an Spike überkam sie ungewollt ein Gefühl der Traurigkeit, als ihr der Streit vom Vorabend wieder in den Sinn kam. Er hatte seitdem noch kein Wort mehr mit ihr gewechselt und war heute morgen allein mit Richard zum Rat gefahren. Sie konnte verstehen, dass er sauer auf sie war, aber das war doch kein Grund ihr jetzt die kalte Schulter zu zeigen. Immerhin waren sie Verbündete hier und nicht die Feinde, die sie zu Hause immer gewesen waren – oder als die sie sich gerne gesehen hatten, denn wirklich Feinde waren sie eigentlich nur zu Beginn ihrer Bekanntschaft gewesen, wenn sie ehrlich war.

„Buffy, geht es dir nicht gut?" Rose hatte sie leicht am Arm gestupst, um ihre Aufmerk­sam­keit zu erlangen.

„Was?"

„Du wirkst ein bisschen weit weg irgendwie. Bist du aufgeregt wegen deiner Einladung heute Abend?" Die kindliche Begeisterung in Roses Blick erinnerte Buffy einmal mehr an Dawn, und ein wehmütiges Lächeln fand seinen Weg auf ihre Lippen.

„Was? Nein, natürlich nicht." Sie log, und sie war sich bewusst, dass Rose und Lizzy es sahen.

„Na gut, wenn du es sagst", ihr wissendes Grinsen strahlte über ihr ganzes Gesicht. Komm mit, wir suchen dir ein schönes Kleid für heute Abend aus. Eigentlich hast du ja noch genug Zeit, aber man kann ja nicht früh genug anfangen, sich hübsch zu machen."

Buffy folgte Rose in deren Zimmer und die zwei machten sich über den großen Kleider­schrank her, der zwar nicht ganz so voll war, wie Lynn Atherbys, dem aber auch nicht in viel nachstand. Und sie hatte immer gedacht, zu dieser Zeit hätten die Leute nicht so viele Klamotten gehabt.

Nach einigem hin und her entschieden sie sich für ein dunkelblaues Kleid, das nach Roses Aus­sage gut zu den Polsterbezügen im Esszimmer der Atherbys passte. Buffy behielt einen Kom­men­tar, seit wann man sich passend zu den Möbeln kleidete, für sich. Als Nancy sie dann, wie auch schon am Abend zuvor, kunstvoll frisierte, musste diese sich viele nützliche Anmerkungen von Rose anhören, die wollte, dass an diesem Abend alles perfekt war.

Als sie dann drei Stunden später endlich fertig war, waren sie alle drei mit dem Ergebnis zufrieden. „Du wirst einen tollen Eindruck auf William machen", sagte Rose mit einem Leuchten in den Augen. „Sag mal, kannst du nicht versuchen, ihn von Cecily abzulenken? Damit wäre uns allen geholfen."

„Tut mir leid, aber ich glaube, da sollte ich besser passen. Irgendwann fahr ich auch wieder nach Hause, weißt du?" Sie tat so, als nehme sie diese Frage nicht ernst, doch in Wahrheit fürchtete sie insgeheim, genau das könne passieren. Was dann wohl hier geschehen würde? Würde es dann einfach puff machen, sie wäre irgendwo in einer anderen Dimension, vielleicht auf dem College in LA und hätte noch nie was von Vampiren und Sunnydale gehört, während Spike niemals existiert hätte? Oder wären sie vielleicht für immer in dieser Dimension gefangen, und Spike müsste mit ansehen, wie es hätte sein können, wenn er damals Drusilla nicht in die Arme gelaufen wären, während sie zu einem Leben in dieser Gesellschaft verdammt wäre. Sie war sich nicht sicher, welche Vorstellung ihr weniger behagte.

„Rose, Darling, kommst du bitte mal her?" ertönte plötzlich Richards Stimme aus der unteren Etage, und Buffy wusste, dass Operation Spike-ins-Haus-schmuggeln-ohne-dass-die-Kinder-ihn-sehen begonnen hatte.

Sie nutzte die Gelegenheit sich von Rose loszueisen und verschwand in ihrem Zimmer. Bevor sie gleich abgeholt wurde, wollte sie noch einmal versuchen mit Spike zu sprechen. Er kam in sein Zimmer geschlichen, und als sie nur wenige Sekunden später die Verbindungstür öffnete, stand er bereits ohne Hemd da. Ihr stockte einmal mehr der Atem bei seinem Anblick. Wie konnte ein Leiche nur so kräftig und lebendig aussehen?

„Willst du was bestimmtes, Jägerin, oder willst du nur mal wieder einen Mann aus der Nähe sehen?" Da war kein Humor in seiner Stimme, kein Zeichen dafür, dass es nichts weiter als ein witziger Kommentar auf ihre Kosten sein sollte. Vielmehr klang er fast grausam und ver­ächt­lich, und sie hatte Mühe den Zorn, der in ihr aufstieg, zu unterdrücken.

„Nein, eigentlich wollte ich noch mal mit dir sprechen, bevor ich gleich gehe." Sie klang zickig, und sie wusste es.

„Oh, noch mal Hallo sagen, bevor du mich umbringst. Bloß keine Umstände, Schätzchen." In wütenden, abgehackten Bewegungen streifte er sich sein schwarzes T-Shirt, das Nancy gestern erst gewaschen hatte, über und fing an, seine beigefarbenen Hosen aufzuknöpfen.

„Weißt du Spike, ich habe nicht vor, William einen Antrag zu machen, um mein restliches Leben mit ihm zu verbringen. Das ist jetzt ein Abend, etwa ein halbes Jahr, bevor er Dru begegnet. Glaubst du wirklich, ich würde da ein Risiko eingehen?" Sie wurde lauter, als die Wut sich ihren Weg nach oben bahnte. „Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich?"

„Oh, für ziemlich beschränkt um genau zu sein", schleuderte er ihr ohne zu zögern entgegen. „Ich dachte immer, du hättest ein bisschen Grips im Kopf, aber da hab ich mich wohl geirrt." Ohne darauf zu achten, dass sie vor ihm stand, zog er seine Hosen runter, und zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass er nichts darunter trug. Erschrocken und mit rotem Kopf, drehte sie sich genau eine Sekunde zu spät um.

„Weißt du, wenn du mir nur eine Minute mal zuhören würdest, dann könnte ich dir erklären..."

„Was, dass du von Natur aus so dämlich bist? Kein Problem, das hab ich inzwischen auch mitbekommen." Etwas in seiner Stimme störte sie. Es war nicht nur Wut über ihre Gedankenlo­sig­keit, die sie ja nicht einmal leugnen konnte, aber da war auch noch etwas anderes. Ihre Augen weiteten sich, als sie es erkannte. Das Ge­räusch von Jeansstoff, der über einen Hintern gezogen wurde, veranlasste sie wieder dazu, sich um­zudrehen.

„Dir ist schon bewusst, dass du dich anhörst, wie Angel damals, als er Riley das erste mal gesehen hat, oder?" Sie hätte nicht sagen können, wie es ihm gelungen war, doch ehe sie sich versah, hatte er sie an die Wand genagelt und sah ihr zornig in die Augen.

„Vergleich mich nie wieder mit deinem seelenvollen Kuschelvampir." Lediglich das leise Zucken seines Auges verriet, dass sein Angriff auf sie den Chip aktiviert hatte, und er gerade alles in seiner Macht stehende tat, um den Schmerz, der ihn durchfuhr, zu ignorieren.

„Spike, lass mich sofort los." Der kalte Ton in ihrer Stimme erschreckte sie fast mehr, als ihn, und als er von ihr abließ, konnte sie ihm ansehen, dass es ihm unangenehm war, so die Kontrolle verloren zu haben. „Spike, glaub mir, ich verstehe, dass du zur Zeit unter Stress stehst, und du kannst sicher sein, mir geht es da nicht viel anders. Und deswegen schiebe ich das hier eben auch auf die ganze Situation, und beschließe, es wieder vergessen zu haben, wenn ich nach Hause komme. Aber wenn du es wagen solltest, mich jemals wieder anzugreifen, dann jag ich dir einen Pflock durchs Herz."

Ohne ihm die Möglichkeit für eine Antwort zu geben, rauschte sie aus dem Zimmer und schloss lautstark die Verbindungstür. Spike starrte die Tür, durch die sie verschwunden war, noch einen langen Moment an, bevor er sich ermattet aufs Bett fallen ließ. ‚Großartig', gratulierte er sich sarkastisch. ‚Verhalte dich doch noch ein bisschen eifersüchtiger, das gefällt ihr!' ‚Nein, sie hat es verdient. Sie spielt hier immerhin mit euer beider Leben.' ‚Es ist nur ein Essen, was kann da schon groß passieren?' ‚Es kann die Zukunft verändern.' ‚Halt den Mund, sie würde nichts tun, was ihre Heimkehr riskieren würde!'

XOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXO

Die Kutsche kam pünktlich zur verabredeten Zeit und brachte sie zur Abbey Orchard Nr. 12. War Buffy am Vorabend auf dem Weg zur Party fast vor Nervosität gestorben, so war sie jetzt viel zu sehr in Gedanken an einen wasserstoffblondgefärbten Vampir versunken, um nervös zu sein. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein? Sie als beschränkt und dämlich zu be­zeich­nen – ja, wo seine Taten immer vor Intelligenz und Weitsicht strotzten! Was fiel ihm eigentlich ein, sich plötzlich wieder wie das größte Arschloch aufzuführen? Gut, diese Verabredung war vielleicht nicht das klügste auf dieser Welt, aber trotzdem! Und war das nicht Eifersucht in seiner Stimme und in seinem Blick gewesen? Für sie hatte es sehr danach geklungen. Aber um eifersüchtig zu sein, müsste ihm doch etwas an ihr liegen, oder? Es erschreckte sie, wie sehr ihr diese Vorstellung gefiel. Allerdings konnte er doch wohl nicht eifersüchtig auf sich selbst sein, oder? Wow, das könnten nur wenige Leute von sich behaupten. Dabei war gestern alles noch so ... schön gewesen. Das Gefühl in seinen Armen aufzuwachen war einfach unbeschreiblich gewesen. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so sicher und geborgen gefühlt. Eigentlich konnte sie sich nicht daran erinnern sich schon einmal so gefühlt zu haben. Sein schlanker, muskulöser Körper hatte sich auf eine Art an den ihren geschmiegt, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Einfach so, als sei er dazu bestimmt genau an diesem Ort zu sein. Es war so leicht gewesen, sich noch einmal an ihn zu kuscheln und friedlich weiterzuschlafen.

„Wir sind da, Miss", hörte sie plötzlich die sonore Stimme des Kutschers, bevor dieser ihr die Tür öffnete und ihr eine Hand als Stütze beim Aussteigen hinhielt. Als Buffy das Haus, in dem sie vor einigen Tagen bereits einmal gewesen war, betrachtete, bekam sie doch weiche Knie und wünschte sich, sie hätte den Mut gehabt die Einladung abzulehnen. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr – obwohl, war eine Ohnmacht ein guter Grund, um da nicht reinzumüssen? Sie hatte diesen halbernsten Gedanken noch nicht ganz beendet, als auch schon die Vordertür, die sie damals nur von außen gesehen hatte, geöffnet wurde, und Mrs. Atherby ihr strahlend entgegen kam. Buffy setzte ein tapferes Lächeln auf und marschierte entschlossen auf Spikes Mutter zu.

Die untere Etage des großen Hauses war im gleichen Stil, wie die oberen eingerichtet. Buffy entdeckte sofort die Treppe, an der sie und Spike am ersten Abend, der schon wieder ein ganzes Leben weit zurückzuliegen schien, vorbeigeschlichen waren, und ihr wurde bewusst, wie nah sie im Prinzip an Constance vorbeigegangen sein mussten, ohne von ihr gehört worden zu sein. Diese Tatsache erfüllte Buffy mit einem gewissen Unbehagen, denn so konnte sich auch jederzeit ein echter Einbrecher – denn sie weigerte sich zuzugeben, dass sie und Spike echte Einbrecher gewesen waren – Zutritt zu diesem Haus beschaffen, ohne von Constance wahrgenommen zu werden. Eine Vorstellung, die ihr ganz und gar nicht behagte.

Das Essen war herrlich, und langsam fragte Buffy sich, wann in den letzten hundertzwanzig Jahren die Engländer das Kochen verlernt hatten. Bis zu diesem Tag hatte sie noch nicht einmal schlecht in London gegessen. Keine faden Speisen, die kaum, oder gar nicht gewürzt waren, keine ungenießbaren Sorten Chips und keine eigenartigen Zusammenstellungen verschiedenster Wurstsorten. Aber vielleicht hatte sie auch nur unverschämtes Glück, und der Rest Englands konnte wirklich nicht kochen. Mrs. Atherby schien es allerdings aufgefallen zu sein, mit welchem Appetit Buffy bei dem deftigen Braten zugelangt hatte, und das zufriedene Grinsen ließ erkennen, wie glücklich sie darüber war. ‚Wahrscheinlich hält sie mich für viel zu dünn', dachte Buffy, der bereits aufgefallen war, dass Frauen Anfang zwanzig bei weitem nicht so schlank waren, wie sie es oftmals in ihrer eigenen Zeit waren. Wahrscheinlich passten ihr deshalb die Kleider von Rose und Lynn so gut. Sie hatte die Figur einer fünfzehnjährigen.

Nach dem Essen zogen sie sich in einen kleineren Salon zurück. Lynn erzählte aufgeregt von der nächsten Woche, die vor ihr lag, wenn die Schule einen tollen Ausflug zu einem alten Schloss veranstalten wollte, in dem die Schülerinnen die Geschichte des eigenen Landes hautnah erleben konnten. Buffy wusste bereits davon, denn Rose hatte es erwähnt, und wieder einmal fragte sie sich, ob bei ihr vielleicht etwas nicht stimmte, weil sie nie so großes Interesse für Geschichte, oder die Schule im Allgemeinen gezeigt hatte. Allerdings war sie da nicht die einzige in der Schule gewesen, und so schob sie es entschlossen auf die Tatsache, dass die Mädchen früher einfach keine anderen Hobbys hatten – und weder Lynn noch Rose täglich von so einer Kleinigkeit wie der Vampirjagd abgelenkt wurden.

Hatte Buffy sich am Vorabend noch sehr angeregt mit William unterhalten können, so herrschte an diesem Abend zwischen ihnen die meiste Zeit fast eisernes Schweigen, das Buffy sich nicht ganz erklären konnte. Zwischendurch bemerkte sie, wie er sie aufmerksam musterte, doch wenn sie ihm dann zulächelte, wurde er rot, und wendete den Blick peinlich berührt von ihr ab und seiner Mutter zu, die eigentlich den Hauptteil der Unterhaltung bestritt. Diese Blicke machten Buffy ein klein wenig nervös, und Spikes Warnung, William könne sich in sie verlieben, schoss ihr nicht nur einmal durch den Kopf.

Der Abend war schon weiter fortgeschritten, als Constance wieder bei dem Thema ange­langt war, vor dem Buffy sich am meisten fürchtete – ihre Herkunft, der Grund ihres Besuches, das Leben in Amerika, kurz alles, was Buffy nicht einfach und ohne zu lügen beantworten konnte. An die hundert mal wünschte sie sich, sie hätte bei Professor Roberts in der Uni besser aufgepasst, als dieser versucht hatte, seinen Studenten die Geschichte Amerikas nahe zu bringen. Dann hätte sie wenigstens den Hauch einer Ahnung gehabt, wie weit Kalifornien um 1880 entwickelt war.

„London ist eine wunderbare Stadt. Noch nie habe ich mich so schnell irgendwo heimisch gefühlt, wie hier", antwortete sie nun auf Constances Frage, was sie von Englands Hauptstadt hielt.

„Wie lange haben Sie eigentlich vor, in London zu verweilen?", fragte William plötzlich, der sich bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend nicht an dem Gespräch beteiligt hatte.

Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie Spike nun schon seit Jahren kannte, und in dieser Zeit gelernt hatte, in seinen Augen wie in einem Buch zu lesen, oder ob William seine Gefühle und Emotionen wirklich offener vor sich hertrug, als sein Alter Ego es tat, oder ob es vielleicht eine Mischung aus beidem war, doch sie konnte nicht umhin, die aufkeimende Hoffnung in seinem Blick zu erkennen. Die Hoffnung, die Person, die ihm gegenüber saß, sei dazu bestimmt, ein Teil seines Lebens, seiner Zukunft zu werden. Zu sagen, sie wäre darüber erschrocken und entsetzt, wäre nicht ganz zutreffend gewesen, denn sie hatte sich den ganzen Abend schon mit dem Gedanken auseinander gesetzt, Spike könne mit seiner Vermutung richtig gelegen haben. Trotzdem spürte sie plötzlich ein Kribbeln in der Magengegend, als ihr bewusst wurde, wie schnell sie es geschafft hatte, William von Cecily abzulenken. Ein Kribbeln, das ihr ganz und gar nicht gefiel, denn im Laufe des Abends hatte sie ebenso feststellen müssen, dass sie niemals in der Lage sein könnte die Gefühle, die in ihm aufzukeimen schienen, zu erwidern. Deshalb wählte sie ihre nächsten Worte sorgsam aus.

„Nicht mehr allzu lange, Mr. Atherby, vielleicht noch ein paar Wochen. Ich möchte noch ein wenig von Englands Landschaft sehen, bevor ich wieder in meine Heimat zurückkehre." Der Schatten, der sich nun um Williams Augen bildete, versetzte ihr einen Stich. Es erinnerte sie an den Blick, den sie bei Spike beob­ach­tet hatte, als Lynn bei den Giles unerwartet zu Besuch gewesen war, auch wenn die Gefühle bei Spike wesentlich intensiver gewesen waren.

„Oh", William wandte seinen Blick ab, und starrte betreten auf seinen Hände, als er etwas unbeholfen nach seiner Teetasse griff. In diesem Moment, in dem Buffy eigentlich Mitleid für William empfand, hatte sie trotzdem den innigen Wunsch, ihn bei den Schultern zu packen und zu schütteln. Wie konnte ein Mann nur so unsicher und schüchtern sein? Und wie konnte aus diesem Mann ein so selbstbewusster Macho wie Spike werden? William erinnerte sie immer mehr an Hugh Grant in Notting Hill! Hatte der da nicht auch William geheißen?

„Das ist aber schade, wir hatten gehofft Ihre Gesellschaft noch länger genießen zu dürfen", meinte Constance, der der betretene Ausdruck auf dem Gesicht ihres Sohnes keineswegs entgangen war. Sie wünschte sich nichts weiter, als dass William endlich ernsthaft beginnen würde, sich Gedanken über eine Frau und eine Familie zu machen, doch bisher hatte er bei der Wahl der Frauen, die sein Interesse erregt hatten, nicht gerade ein glückliches Händchen bewiesen.

„Du wirst aber doch sicher noch so lange bleiben, um mit auf den Ball bei den Andersons in zwei Wochen zu kommen, oder?" Lynn, die insgeheim gehofft hatte, ihr Bruder könne Inte­res­se für Buffy entwickeln, versuchte sich ihre Niedergeschlagenheit nun nicht anmerken zu lassen.

Bei der Erwähnung des Wortes Ball wurden Buffys Augen kreisrund, und sie erinnerte sich an die Gespräche, die sie mit Spike über diese Bälle hatte. Sie konnte ja noch nicht mal einen normalen Walzer tanzen, geschweige denn diese eigenartigen Formationstänze, die sie im Fern­sehen schon öfters gesehen hatte, und die ihr immer schon reichlich eigenartig vorgekommen waren. Und zwei Wochen erschienen ihr auch ein bisschen kurz, um sich so etwas beibringen zu lassen. Immerhin war das hier die Realität, und nicht Dirty Dancing, wo man in zwei Wochen aus einer Nulpe eine Profitänzerin machte.

„Äh..." sie blickte unsicher in die Runde und merkte, das sämtliche Augenpaare auf sie gerichtet waren. „Wie gesagt, ich weiß noch nicht, wie lange wi... ich überhaupt noch in London bleibe", sagte sie schließlich mit einem entschuldigenden Lächeln.

„Warum möchtest du das eigentlich wissen, Lynnie. Du bist noch zu jung, um auf einen Ball zu gehen." Der Tonfall, der liebevolle Blick und das sanfte Lächeln, während er mit seiner kleinen Schwester sprach, erinnerte Buffy daran, wie Spike mit Dawn umging, und es wunderte sie nicht zum ersten mal, dass gerade diese harmlose Geste, dieser eindeutige Beweis der Liebe und Zuneigung, dieses Zeichen der Menschlichkeit, in dem Vampir überlebt hatte, und in diesem Moment wünschte sie sich nichts mehr, als zu Hause bei ihm zu sein. Sie sehnte sich nach der Freundschaft, die sie in den letzten Tagen aufgebaut hatten, sie sehnte sich nach dem Gefühl der Geborgenheit, das sie gespürt hatte, als sie in seinen Armen aufgewacht war, sie sehnte sich nach dem Leuchten in seinen blauen Augen, nachdem er sie geküsst hatte. Sie vermisste ihn, und die plötzliche Angst, die in ihr aufstieg, als sie Williams Blick auf sich spürte, schnürte ihr fast die Kehle zu. Was war, wenn sie wirklich durch ihr unbedachtes Handeln Spikes Schicksal vollkom­men verändert hatte? Wenn sie die Geschichte verändert hatte, und Spike dadurch niemals existieren würde? Bei diesem Gedanken wurde ihr schwindelig, und sie musste sich anstrengen, um es sich nicht anmerken zu lassen. Warum nur hatte sie niemand von diesem Essen abge­hal­ten? Warum war sie mit zu dieser dämlichen Party gestern gegangen? Warum nur hatte sie nicht auf Spike gehört? Doch das Geschehene konnte sie nun nicht mehr ändern. Alles, was jetzt noch in ihrer Macht stand, war sicherzustellen, dass sie nicht weitere Gefühle in William wecken würde, und sein Interesse an Cecily wach halten. ‚Gut, das ist ein Plan. Kann doch nicht so schwer sein, oder?', versuchte die Jägerin sich selbst Mut zu machen, die zickige Stimme im Hinterkopf, die ihr sagte, sie hätte doch keine Ahnung von zwischenmenschlichen Beziehungen, krampfhaft ignorierend.