fuenfzehn

„Was wird mit ihnen geschehen?" durchbrach ihre leise Stimme plötzlich die friedliche Stille, die in der vergangenen Stunde geherrscht hatte. Seine Hand, die sachte Kreise über ihren bloßen Rücken zog, geriet ins Stocken, als er sie fragend ansah.

„Von wem sprichst du?" Die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen, doch stand die Frage in keinem Zusammenhang mit irgendeinem Thema, das sie bis zu diesem Zeitpunkt besprochen hatten.

„Ich meine Lynn und deine Mutter." Sie spürte, wie sein Körper sich unter dem ihren anspannte, als ihm klar wurde, was sie gerade gefragt hatte, und für eine Sekunde bereute sie es. Doch auf der anderen Seite musste sie es wissen. Sie musste wissen, was die beiden erwarten würde, sobald William sich vom Leben und den gesellschaftlichen Regeln verabschiedet hatte.

„Warum fragst du, Liebes?" Spikes Hand hatte ihre Rundreise auf Buffys nacktem Rücken wieder aufgenommen, fast so, als wäre nichts geschehen.

„Weil ich es gerne wissen möchte", antwortete sie noch immer leise.

Er antwortete nicht sofort, und einen Moment dachte Buffy, er würde es gar nicht tun. Seine Familie war ein heikles Thema, das hatte Buffy in der Zeit, die sie jetzt hier waren, gelernt, und sie wusste auch, dass es nicht klug wäre, jetzt nachzubohren und weitere Fragen zu stellen. Umso überraschter war sie, als sie seine Stimme doch plötzlich hörte.

„Ich weiß es nicht." Nicht die Antwort, die sie erwartet hatte, aber immerhin ein Anfang.

„Du meinst, du hast es vergessen?" Ihre Stimme klang sanft und verständnisvoll, ganz ohne Anklage, und Spike musste bei dieser Vorstellung lachen.

„Nein, Liebes, da gab es nichts zu vergessen." Die Bedeutung seiner Worte sank nur lang­sam in ihr Bewusstsein vor, und der schockierte Ausdruck in ihrem Blick war fast mehr, als Spike ertragen konnte.

„Aber... Du meinst, du hast sie nicht getötet?" Unglauben und Fassungslosigkeit bloc­kierten noch ihre Freude darüber, dass Lynn und Constance wahrscheinlich nichts ge­sche­hen war.

„Genau das will ich damit sagen."

„Aber warum nicht?"

„Warum hätte ich das tun sollen?" Nun war es an ihm fassungslos zu sein.

„Nun.. ich dachte, das ist es, was Vampire als erstes tun, nachdem sie erschaffen wurden." Sie kam sich plötzlich unglaublich dumm vor. War sie die Vampirjägerin, oder irgend so ein blondes Dummchen, das nicht rechts von links unterscheiden konnte?

„Ich nehme an, diesen Blödsinn hast du von Angel, oder?" Die Art und Weise, wie Spike den Namen seines Grandsires ausspie verriet einmal mehr die Abneigung des jüngeren Vampirs Angel gegenüber.

„Ja, wir haben damals Stunden damit verbracht über solche Dinge zu sprechen. Ich glaube, er wollte mir damit zeigen, wie schlimm er als Angelus war, und wie unwürdig er deswegen heute noch immer ist."

„Ja, ich kann es mir lebhaft vorstellen. Er sollte aufpassen, sonst vergisst er vor lauter Brüten und Bereuen noch mal irgendwann einem Unschuldigen aus der Patsche zu helfen. Wäre doch ein Jammer, wenn zu seinen Bluttaten noch eine weitere hinzukäme, oder?" Wäre es nicht so verdammt traurig gewesen, hätte Spike tatsächlich über Angel lachen können. Doch jeder Gedanke an den Iren brachte Spike auf die Palme, und die bloße Vorstellung, wie Angel und Buffy zusammengekuschelt dalagen und über alte Zeiten plauderten brachte seinen Magen fast zum revoltieren.

„Erzähl es mir." Er musste nicht erst fragen, was sie genau wissen wollte.

„Dir ist schon bewusst, dass wir in weniger, als drei Stunden aufstehen müssen, oder?" unternahm er einen letzten Versuch, sich diesem Gespräch, von dem er gewusst hatte, dass es irgendwann kommen würde, noch eine Weile zu entziehen.

„Spike."

Seufzend schlängelte er sich unter ihrem Körper hervor, stand auf und lief langsam, aber un­ruhig im Raum auf und ab, als überlege er, was er sagen, wie er anfangen sollte. Schließlich kam er wieder zum Bett zurück und setzte sich bedächtig auf die Kante, wo Buffy augenblicklich in einer auf­mun­tern­den Geste, ihre Arme um seine Schultern schlang. Die Schnelligkeit, mit der sie sich an die gegenseitige Nähe gewöhnt hatten, erschreckte sie fast. Vor nicht ganz zwei Tagen noch hatten sie sich gegenseitig angeschrieen und sich das Leben schwer gemacht. Bis zu dem Moment, in dem sie dachte, Arthur hätte ihn getötet, oder auch nur verletzt. Was danach ge­sche­hen war, konnte Buffy noch immer nicht in Worte fassen, zu intensiv, zu emotional war es gewe­sen, zu deutlich waren die Gefühle gewesen, die ihm ins Gesicht geschrieben standen. Doch auf der anderen Seite erschien es ihr auch vollkommen normal und natürlich zu sein, fast so, als sei es vom Schicksal vorherbestimmt gewesen.

„Als ich damals aufgewacht bin, war Angelus das erste, was ich sah. Er stand da, über mich ge­beugt, einen angeekelten, verächtlichen Ausdruck im Gesicht. In dem Moment habe ich ange­fan­­gen ihn zu hassen." Sein Blick schweifte in die Ferne, als er sich an diese Nacht vor so langer Zeit erinnerte. „Mein erster Gedanke war der, dass ich nach Hause wollte, weil meine Mutter sich sicher Sorgen um mich machte, wenn ich erst so spät komme. Aber dann sah ich Dru hinter Angel stehen, und die Erinnerung kam wieder – und mit ihr dieses eigenartige Gefühl, dass sich in meinem Körper etwas verändert hatte. Ich trug meine Brille nicht, aber meine Sehschärfe war besser, als jemals zuvor, ich konnte jedes Wort verstehen, das Dru und Darla sagten, obwohl sie nur flüsterten, ich spürte diese Stärke, die ich noch nie in meinem Leben besessen hatte, und ich hatte Durst. Dieser Drang, dieses Bedürfnis nach Blut war überwältigend und überhaupt nicht erschreckend. Es musste mir niemand erklären, was mit mir geschehen war, ich wusste es einfach." Er stand wieder auf und ließ sie auf dem Bett zurück.

„Die ersten Tage waren einfach ... ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll. Drusilla hat mich bemuttert, wie meine Mutter es nicht hätte besser machen können. Sie brachte mir genug Blut, um damit eine ganze Vampir­ar­mee füttern zu können, aber ich habe mich nicht beschwert. Dachte, das wäre normal. Aber dann kam Angel, der dieses Getue wohl nicht mehr mit ansehen konnte. Hätte er bei dieser ersten Schlägerei ernst gemacht, wäre ich keine Woche alt geworden. Nachdem er mich zu Klump geschlagen hatte, hat er mich da liegen lassen und gesagt, wenn ich dazu gehören wollte, müsste ich schon anfangen, mich auch wie einer der ihren zu benehmen. Mit anderen Worten, ich musste töten, wenn ich was zu trinken haben wollte." Spike lachte humorlos bei der Erinnerung.

„Das hat natürlich meinen Ehrgeiz angespornt, und eh ich mich versah, hatte ich meinen ersten Mord begangen. Es war leicht. Ich war stark und die Menschen waren schwach. Angelus war aber noch nicht zufrieden, sagte, ich müsste das machen, was alle Grünschnäbel tun müssen, und das war, sich an denen rächen, die einem das Leben zur Hölle gemacht haben. Und so legte ich los, und einige der Leute, die du auf diesen netten Partys kennengelernt hast, haben dabei geholfen mir einen bleibenden Spitznamen zu verdienen. Aber das war es nicht, was Angel gemeint hatte, und er gab mir das ziemlich deutlich zu verstehen." Er drehte sich wieder zu ihr um und sah ihr zum ersten Mal, seit er angefangen hatte zu erzählen in die Augen.

„Bei dieser Prügelei war ich schon eher in der Lage mich gegen ihn zu behaupten, doch auch diesmal wäre ich wohl Asche gewesen, wenn Dru nicht gewesen wäre, die ihren ‚Daddy' gebeten hat, mich zu verschonen. Dann fing Angel an von der Familie zu sprechen, wie sie einen immer belogen und betrogen hat. Zwei Stunden hat er davon geredet, und der Tenor war klar. Ich sollte sie umbringen, sonst wäre ich niemals einer von ihnen." Der angewiderte Blick in ihrem Gesicht zwang ihn dazu, sich wieder abzuwenden. Das konnte er jetzt zusätzlich nicht gebrauchen. „Als Angel fertig war, war ich gelinde gesagt schockiert. Ich hatte seit diesem ersten Moment, in dem ich aufgewacht war, nicht mehr an meine Familie gedacht, doch der Gedanke sie umzubringen war unerträglich. Frag mich nicht, wie ich es gemacht habe, aber ich habe ihn angelogen und Angelus gesagt, ich hätte keine Familie. Zuerst hat er mir nicht geglaubt und mir unterstellt ihn nicht zu respektieren, doch als ich auch noch Stunden später schwor keine Familie mehr zu haben, hat er dann doch von mir abgelassen."

„Er hat dich wieder geschlagen?" Ihre Stimme erschreckte ihn ein klein wenig, doch im nächsten Moment beruhigte sie ihn auch wieder.

„Unter anderem", flüsterte er, nicht gewillt auf die verschiedenen Foltermethoden, die Angel an ihm bis zur Perfektion ausprobiert hatte, einzugehen, deshalb fuhr er fort, bevor sie weiter nachfragen konnte. „Kurz darauf habe ich erfahren, dass er Drus Familie umgebracht hatte, nachdem er sie erschaffen hatte. Sie fand das komisch und schwärmte noch immer von den Vögeln, die ein Lied darüber sangen. Frag nicht", sagte er, als er ihren irritierten Blick auf sich spürte.

„Die folgenden Jahre verbrachte ich damit mir fast täglich Sorgen um Mutter und Lynn zu machen. Ich fragte mich, wie es ihnen ging, was sie machten, ob Lynn inzwischen einen Mann gefunden hatte, und wenn ja, ob er gut zu ihr war – na ja, diese Dinge eben. Doch ich traute mich nicht, nach ihnen zu sehen, weil ich Angst hatte, Angel könne davon Wind bekommen und erst sie und dann mich umbringen, weil ich ungehorsam gewesen war. Dru wusste, dass ich gelogen hatte, doch sie hat nie ein Wort gesagt. Dafür war ich ihr dankbarer, als sie jemals erfahren wird." Er spürte, wie sich ihre Arme von hinten um seinen Körper schlangen und er rieb ihre kühlen Hände, dankbar ihr so nah sein zu dürfen, und dankbar für den stillen Trost, den sie ihm spendete, ohne ihn für das zu verurteilen, was er war. „Als wir dann Anfang der Neunziger Jahre England verließen, machte ich mir nicht mehr so häufig Sorgen um sie, und als Angel dann mit diesem Fluch belegt wurde, war ich diese Sorge endgültig los."

„Weißt du gar nicht, was auch ihnen geworden ist?" fragte sie nach einer Weile, ihre Wange sanft an seinen Rücken gelehnt.

„Nein", er seufzte, sich in ihrer Umarmung drehend, bevor er seine Stirn an die ihre lehnte. „Als ich in den sechziger Jahren mal wieder in London war, habe ich versucht etwas heraus­zu­be­kom­men. Ich habe nicht geglaubt, dass sie noch leben, immerhin wäre Lynn schon knappe hundert gewesen, aber ich konnte nicht mal eine Geburtsurkunde oder so was finden. Es ist, als hätten sie niemals existiert."

Die Traurigkeit, die sie in seiner Stimme wahrnahm, zerriss ihr fast das Herz, aber sie wusste nichts, was sie hätte sagen können, um ihm diesen Schmerz zu nehmen, oder auch nur erträglicher zu machen. Stattdessen griff sie einfach nach seiner Hand, und drückte sie in einer – wie sie hoffte – aufmunternden Geste.

„Wir sollten London verlassen", zerriss seine Stimme nach einer Weile die wiedereinge­kehr­te Stille.

„Was meinst du?" Buffy richtete sich auf, um ihn ansehen zu können.

„Meine Familie hat auf dem Land einen Sommersitz, aber seit dem Tod meines Vaters waren wir nur noch selten da. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Jahr niemand dort auftauchen wird. Dort könnten wir bleiben." Er mied ihren Blick, obwohl er sich bewusst war, dass sie den seinen suchte.

„Warum sollten wir London verlassen? Was ist mit den Nachforschungen?" Sie war sich nicht sicher, was sie von seinem plötzlichen Verlangen die Stadt verlassen zu wollen, halten sollte.

„Was gibt es noch groß nachzuforschen, Liebes? Wir sind uns doch jetzt schon ziemlich sicher zu wissen, dass wir beide nur wieder nach Hause zurückkehren können, sobald Dru ihr Werk vollbracht hat. Und das können wir nicht beschleunigen, wenn wir hier ausharren, bis es getan ist. Das einzige, was wir zustande bringen können, ist eine Veränderung der Zeitlinie, und das ist etwas, was ich wirklich nicht ausprobieren möchte, wenn du verstehst was ich meine." Vorsichtig begegnete er ihrem durchdringenden Blick. Er hoffte, die richtigen Worte gefunden zu haben, und nicht wieder wie ein absolut eifersüchtiger Irrer geklungen zu haben. Sie sollte nicht wissen, dass ihm der Gedanke, sie noch länger in Williams Nähe zu wissen, ganz und gar nicht gefiel – abgesehen von der Gefahr, die diese Bekanntschaft seiner Meinung nach für seines, aber auch für ihr Leben barg. Was er in ihrem Blick sah, war jedoch pure Irritation. „Warum guckst du mich an, als würde ich chinesisch sprechen?"

„Tut mir leid, ich muss irgendwo den Faden verloren haben, fürchte ich." Sie setzte sich etwas weiter im Bett auf, wie um sich selbst zu zwingen ernsthafter nachzudenken. „Aber wann genau haben wir herausgefunden, dass wir in dem Moment, wenn Dru Will in dich verwandelt, wieder nach Hause zurück kommen?"

„Oh, stimmt, das hatte ich dir ja noch gar nicht erzählt. Richard und ich haben gestern diese Theorie aufgestellt." Er hatte nicht vor, sich bei ihr zu entschuldigen die letzten vierundzwanzig Stunden nicht mit ihr gesprochen zu haben, weil er wütend über ihre Verabredung mit seinem Alter Ego gewesen war. Dazu hatte er allen Grund gehabt. Aber diese Funkstille hatte Buffy wohl ein ziemliches Defizit an Informationen ihre Nachforschungen betreffend, eingebracht. „Wer immer uns hierher geschickt hat – und wenn wir wieder zu Hause sind, sollten wir wirklich herausfinden, wer das war – hat ja wohl das Ziel zu verhindern, dass meine Wenigkeit jemals auf Erden wandeln wird. Also hat Richard die Theorie, dass der ganze Spuk automatisch ein Ende haben wird, sobald Dru den letzten Tropfen Blut aus William Atherby ausgesaugt hat, und dieser sich in dieses unwiderstehliche Geschöpf der Nacht verwandelt hat, das hier gerade neben dir liegt." Um seine Worte zu unterstreichen fing er an, behutsam an ihrer Unterlippe zu knabbern, und diese nahezu unschuldige Geste löste in ihr einen Sturm an Gefühlen aus, denen sie sich so schnell wie möglich hingeben wollte, aber nicht, bevor sie diese Sache hier zuende diskutiert hatten.

„Und was sagen wir Richard und seiner Familie?" fragte Buffy, Spike mit sanfter Gewalt wieder von ihren Lippen ablenkend. Spike, der eine leichte Enttäuschung, dass sie ihn wieder unter­brochen hatte, nicht leugnen konnte, war erleichtert, dass sie seine Idee nicht gleich als Schnaps­­idee abstempelte, sondern bereits über die praktische Ausführung nachzudenken schien.

„Nun, die Wahrheit, nämlich dass wir erkannt haben, wie wenig es allen nützt, wenn wir hier weiter rumhängen, und dass wir ihm und seiner Familie nicht weiter zur Last fallen wollen." Er hielt kurz inne, beschloss aber, ihren zweifelnden Blick zu ignorieren. „Er wird es verstehen, besonders, weil er dann sicher ist, dass ich seinen Sohn in Ruhe lasse, und ihm nicht bei nächstbester Gelegenheit die Kehle rausreiße", fügte er mit einem unterdrückten Grollen hinzu. In den vergangenen Stunden hatte er fast vergessen, was er am Vorabend erfahren hatte, und als die Erinnerung nun wieder zurückkehrte, konnte er noch immer nicht behaupten, von der Vorstellung seine Schwester könnte einen Freund haben, angetan zu sein. Wenn er sich vorstellte, er hätte das noch als William erfahren, musste er fast lachen. Wahrscheinlich wäre er in Ohnmacht gefallen vor Schreck.

‚Du solltest froh sein, dass Lynn jemanden hat, bei dem sie sich geborgen fühlt, wenn das alles hier vorbei ist', dachte Buffy, brachte es aber nicht über sich, ihm das ins Gesicht zu sagen. Nach allem, was sie in den letzten Tagen über Spike erfahren hatte, hatte dieser schon genug Schuldgefühle seine Familie betreffend, da musste sie nicht noch weiter in der Wunde herum­stochern.

„Wann meinst du, sollten wir uns auf den Weg machen?" fragte Buffy, die sich nicht sicher war, wie sie sich bei dem Gedanken diese, ihr inzwischen doch recht vertraute, Umgebung wieder zu verlassen.

„So schnell wie möglich, meiner Meinung nach." Er beobachtete sie einen Moment aus dem Augenwinkel aufmerksam und konnte den Anflug von Traurigkeit deutlich in ihren Gesichts­­zügen erkennen. „Ich weiß, wie wohl du dich hier fühlst, aber ich glaube wirklich es ist das Richtige", versuchte er sanft sie zu überzeugen.

„Im Prinzip stimme ich dir auch zu", meinte sie tapfer lächelnd. „Aber es ist nicht leicht schon wieder Menschen an denen mir etwas liegt, zu verlassen. Lach mich bitte nicht aus, aber wenn ich Richard ansehe, dann habe ich das Gefühl ein Stück von Giles bei mir zu haben, und ich habe Angst davor dieses Gefühl der Sicherheit aufzugeben."

„Glaub mir, ich verstehe was du meinst, wenn auch aus anderen Gründen. Aber ich sag dir was. Bevor das alles hier zu Ende ist, kehren wir noch einmal nach London zurück. Dann hast du die Möglichkeit dich noch mal in aller Form von allen zu verabschieden. Was hältst du davon?" Spike konnte eigentlich gar nicht fassen, was er da gerade gesagt hatte. Er hoffte insgeheim inständig, dass diese Zeilen aus irgendeiner verdammten Fernsehshow stammten, und nicht wirklich gerade seinem Hirn entfleucht waren. So sentimental konnte ein Vampir doch nicht denken, oder?

„Ja, ich glaube, die Idee gefällt mir", stimmte Buffy zufrieden zu. Sie drückte einen sanften Kuss auf Spikes leicht geöffneten Mund, und bevor sie es sich an seiner Seite wieder gemütlich gemacht hatte, war sie auch schon in einen friedlichen Schlaf gesunken.

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„Und Sie sind sicher, dass das die richtige Lösung für Sie beide ist?" Lizzy war die erste, die nach Spikes und Buffys Ankündigung die Stadt noch an diesem Tag zu verlassen, etwas sagen konnte. Sie warf einen vorsichtigen Blick auf ihren Mann, und sie war erschrocken, als sie den emotionslosen Ausdruck auf seinem Gesicht sah – eine Fassade, die er sich in seinem Beruf wohl über die Jahre hinweg aufgebaut hatte, und die eine Art Schutzschild für seine Gefühle war. Es zerriss ihr fast das Herz bei dem Gedanken, wie sehr Richard sich in den wenigen Tagen, die Buffy und Spike eigentlich nur hier gewesen waren, an ihre Gäste gewöhnt und sie schätzen ge­lernt hatte. Es war das erste Mal, dass es ihr möglich war wirklich mitzuerleben, was es für einen Wächter hieß für eine Jägerin verantwortlich zu sein, selbst wenn es sich nur um eine mehr oder weniger unfreiwillige Adoption gehandelt hatte. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie sich die­se Wächter-Jägerinnen-Beziehung nie so intensiv vorgestellt. Vielmehr so, wie ihre eigene Be­zie­hung zu ihren Lehrern früher in der Schule. Was sie aber zwischen Buffy und Richard hatte be­ob­ach­ten können, ging tiefer, es reichte mehr an eine Vater-Tochter-Beziehung heran, und die­se Tat­sache rührte sie unsagbar. Wenn Richard und Buffy schon so sehr aufeinander abge­stimmt wa­ren, wie tief musste dann erst Buffys Verbindung zu ihrem echten Wächter sein?

„Wir denken einfach, wenn wir noch viel länger hier bleiben, könnten wir Gefahr laufen entscheidende Veränderungen in der Geschichte zu verursachen, und dann hätten diejenigen, die uns hierher geschickt haben, genau das erreicht, was sie wollten." Buffy versuchte wirklich überzeugt zu klingen, von dem was sie sagte, doch die Vorstellung des Abschieds erleichterte ihr die Sache nicht gerade. Zwar wusste sie verstandsmäßig, dass es richtig war, doch wollte ihr Herz ihrem Verstand nicht so recht folgen.

„Wissen Sie denn schon, wie Sie dahin kommen werden? Die Strecke da raus ist nicht gerade ein Katzensprung", meldete nun auch Richard sich zu Wort.

„Wir werden den Abendzug Richtung Norden nehmen, und dann versuchen eine Mitfahrge­le­gen­heit zu bekommen. Das sollte eigentlich kein Problem sein." Spike war sich sicher, keine Probleme in der Richtung haben zu werden. Immerhin kannte er sich in der Gegend aus, und war schon oft allein herumgereist. Natürlich hatte er in den letzten hundert Jahren immer relativ schlagkräftige Argumente gehabt, falls jemand ihn mal nicht mitnehmen wollte.

„Meinst du denn, ihr schafft die Strecke, bevor die Sonne zum Problem wird? Nichts für ungut, aber wenn du hier aufgrund deiner Sonnenallergie drauf gehst, hat immer noch keiner gewonnen." Alle drehten sich überrascht zu Arthur rum, der sich bis jetzt aus der Diskussion herausgehalten hatte. Buffy waren die Spannungen zwischen Spike und Arthur durchaus aufgefallen, und ihr waren auch die skeptischen Blicke, die der angehende Wächter in ihre Richtung geworfen hatte, nicht entgangen. Wahrscheinlich fragte er sich, wie eine Jägerin sich nur mit einem Vampir abgeben konnte, obwohl es doch ihre Aufgabe sein sollte, eben diese Spezies zu bekämpfen.

„Du machst dir Sorgen um mich, ich bin gerührt", kam Spikes sarkastischer Gegenkom­men­tar, der von den meisten Anwesenden jedoch nur mit einem amüsierten Lächeln auf­ge­nom­men wurde. „Du musst nicht glauben, dass es dir etwas bringt, dich bei mir einzuschmeicheln. Deswegen find ich den Gedanken von dir und meiner Schwester immer noch nicht besser oder beruhigender."

„Ich glaube nicht, dass das jetzt wirklich das Thema ist", schaltete Buffy sich ein, die in Spikes Verhalten Anzeichen für dessen Unruhe bemerkte, und das war etwas, was sie an ihrem letzten Tag in London nicht wirklich gebrauchen konnte. In einer beruhigenden Geste griff sie nach seiner Hand, und augenblicklich konnte sie spüren, wie die Anspannung von dem Vampir abfiel, und er seinen stechenden Blick von Arthur abwendete – etwas, was auch den drei anderen Anwesenden nicht entging, worüber jedoch keiner ein Wort verlor. „Arthur, Sie haben Recht, die Sonne könnte sich als Problem erweisen, aber Spike ist geübt darin diesem Hindernis auszu­wei­chen. Wir werden das schon hinbekommen."

„Es hört sich trotzdem sehr riskant an, und nach allem was wir wissen, ist Spikes Überleben von essentieller Wichtigkeit. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, es sei das Beste hier zu verschwinden, doch Sie können sich nicht dagegen wehren, wenn meine Familie Ihnen die nötige Hilfe zuteil werden lässt." Richard war aufgestanden und hatte in einer unwirschen Geste seine Brille von der Nase gezogen und putzte diese nun auf eine unbewusste Art und Weise, die die Männern in dieser Familie einzigartig machte. „Mrs. Giles und ich werden Sie beide zu dem Sommer­haus der Atherbys fahren."

„Mr. Giles, das ist wirklich ein liebenswürdiges Angebot, aber ich glaube nicht, dass..."

„Miss Summers, die Zukunft der Welt hängt von Ihrer beider Überleben ab, und als Wächter ist es meine Pflicht, mir alles menschenmögliche zu tun, um dieses zu gewährleisten." Die Brille saß nun wieder auf seiner Nase, und der Wächter blickte die Jägerin auf seine durchdringende Art an, die Buffy bereits von einem anderen Mitglied aus der Gilesfamilie kannte, und die ihr jetzt die Tränen in die Augen trieb.

„Buffy, ich glaube, wir können es uns nicht leisten, die Hilfe, die uns praktisch auf­ge­zwängt wird, abzulehnen", sagte Spike, der mit jedem Augenblick der verging, deutlicher spürte, wie schwer Buffy die Trennung von dieser Familie, die sie ohne Fragen und fast ohne Vor­urteile bei sich aufgenommen hatte, fallen würde, und für einen kurzen Moment geriet seine Über­zeu­gung richtig zu handeln, ins Wanken. Gleich darauf schalt er sich jedoch einen senti­men­ta­len Idi­o­ten, denn wenn er logisch über die Sache nachdachte, wusste er, es gab keinen anderen Ausweg, wenn sie nicht den Lauf der Geschichte ändern wollten – wenn es nicht sogar schon zu spät war. In einer Mischung aus Dankbarkeit und Verwirrung blickte er Richard an. „Wir nehmen das Angebot an."

„Sehr schön, dann werde ich dem Kutscher Bescheid geben, alles für die Fahrt vorzuberei­ten." Elizabeth, die ebenfalls Tränen in den Augen stehen hatte, war zu schnell aus dem Raum, als dass jemand etwas hätte erwidern können.