2

Misstrauisch betrachtete ich meine neuen Ohren. Immer wieder befühlte ich sie, um sicher zu gehen, dass es nicht am Spiegel lag.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Legolas kam herein. Schnell ließ ich meine Ohren in Ruhe und setzte eine Unschuldsmiene auf.

Legolas betrachte mich von oben bis unten und stellte dann zufrieden fest:

„Das Kleid steht Euch!"

Ich lächelte freundlich, denn dies war mir durchaus bewusst.

„Danke, es freut mich, dass es Euch gefällt. Und vielen Dank dafür, dass ihr Euch um mich gekümmert habt." antwortete ich höflich.

Ich hatte ja immerhin genug Ahnung von Mittelerde-Verhaltensregeln!

„Ich habe mit meinem Vater gesprochen," fuhr Legolas fort. „Er sagte, Ihr könnt eine Weile hier bleiben und versuchen Euer Gedächtnis zurückzuerlangen. Solltet Ihr euer Gedächtnis nicht wiederfinden, werde ich Euch nach Bruchtal bringen und dort wird sich Elrond Eurer annehmen."

Das war die beste Nachricht des Tages. Trotz meiner Lage freute ich mich auf die Zeit in Düsterwald. Natürlich hoffte ich trotzdem wieder nach Hause zu kommen.

„Ihr seid zu freundlich. Ich danke Euch sehr. Ich hoffe ich kann mich irgendwann erkenntlich zeigen." bedankte ich mich, in aller Form.

Legolas wandte sich um, um zu gehen, als er sich noch einmal umdrehte und sagte:

„Du kannst mich übrigens duzen. Und ich werde dir gern dabei helfen, dein Gedächtnis wieder zu finden. Allerdings hoffe ich, es geht nicht zu schnell und du bleibst mir noch etwas erhalten. Du solltest nun schlafen. Es war sicher ein anstrengender Tag."

Ich runzelte die Stirn. Er hatte das so anzüglich gesagt. War er etwa gar nicht so brav, wie er tat?

Dankend lächelte ich ihn an und Legolas schloss die Tür hinter sich. Jetzt wo er es erwähnt hatte, bemerkte ich tatsächlich eine leichte Erschöpfung. Immerhin war ich den halben Tag im Wald herumgeirrt. Gähnend öffnete ich den Schrank, der - extra für mich - prall gefüllt mit Kleidern war. Ich suchte mir ein bequemes Nachthemd heraus, zog es an und ließ mich dann in mein Bett fallen. Ich schlief sofort ein.

Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, fiel ich vor Schreck beinahe aus dem Bett. Legolas lag grinsend auf meinem Bett und sah mir direkt ins Gesicht.

In meinem Schockzustand schrie ich Legolas an:

„Ich glaub dir hakt's! Was machst du in meinem Bett?"

Legolas sah mich erstaunt an:

„Wow, schrei nicht so! Ich wollte dich nur wecken! Außerdem ist mir eingefallen, dass ich gar nicht weiß, wie du heißt!"

Verwirrt sah ich ihn an. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.

Es viel ihm aber auch reichlich früh ein.

„Ich heiße –"

Plötzlich fiel mir ein, dass ich ihm nicht sagen konnte, dass ich Carry heiße. Also sagte ich:

„Ich hab vergessen wie ich heiße!"

Legolas lächelte mich verständnisvoll an und sagte:

„Gut, dann heißt du ab sofort Linwê! Das passt zu dir!"

„Linwê? Na wenn du meinst!" Ich machte eine Pause und fügte dann etwas genervt hinzu:

„Darf ich jetzt weiter pennen?"

Ungläubig sah mich Legolas an.

„Ist das dein ernst? Die Sonne lacht und steht schon hoch oben am Himmel. Willst du etwa den ganzen Tag verschlafen?"

„Sicher, warum nicht?", antwortete ich laut gähnend.

Kopfschüttelnd stieg Legolas aus meinem Bett und ging zum Kleiderschrank, zog das nächstbeste Kleid heraus und schmiss es auf das Bett.

„Zieh dich an! Mein Vater will dich kennen lernen."

Dann ging er hinaus.

Ich hob missbilligend die Augenbraue. Wie konnte er in diesem Ton mit mir reden. Ich war doch nicht einer seiner Lakaien. Aber daran musste ich mich wohl gewöhnen, immerhin war ich nur ein normaler „Elb".

Trotz dieser Gedanken zog ich mich an und verließ mein Zimmer. Im Gang wartete Legolas auf mich. Grinsend sagte er:

„Die Nummer zieht immer."

„Welche Nummer?"

„Na die ‚mein Vater will dich kennen lernen' – Nummer. Aber um die Wahrheit zu sagen, er ist heute Morgen nach Lothlorien abgereist und wird erst in ein paar Wochen wiederkommen."

„Na super!"

Verärgert ging ich an ihm vorbei. Lachend folgte er mir und sagte plötzlich:

„Aber das Gute ist, wir haben jetzt den ganzen Palast für uns und alle müssen auf mich hören."

„Angeber! Was bringt uns das? Ich wird mich zu Tode langweilen!"

Ich stockte, war ich mir sicher, dass ich nicht schon tot war? Dieser Gedanke verwirrte mich. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber wie sollte ich sonst hierher gelangen. War dies vielleicht meine Version des Himmels? Immerhin war es schon seit ich „Der Herr der Ringe" zum ersten Mal gelesen hatte, mein größter Traum gewesen einmal in Mittelerde zu leben. Hatte sich mein Traum etwa mit meinem Tod erfüllt?

„Wir werden uns schon nicht langweilen. Wir können ja immer noch meinen Bruder ärgern. Und Partys schmeißen und –„

In diesem Moment unterbrach ich ihn:

„Du hast einen Bruder? Das wusste ich ja gar nicht."

Diese Tatsache war mir tatsächlich nicht bekannt gewesen.

„Ja sicher habe ich einen Bruder! Aber er lässt sich nicht oft blicken. Drum weiß auch kaum jemand von ihm. Er ist irgendwie komisch."

Ich zog es vor nicht darauf zu antworten, denn komischer wie Legolas mir vorkam, ging es fast gar nicht.