sechzehn

Sunnydale, 6. August 2001

Die Hitze stand in den Straßen der kalifornischen Kleinstadt, und selbst für einen Ort dieser Gegend, waren diese Temperaturen nicht normal. Die meisten Einwohner konnten sich schon nicht mehr daran erinnern, wann es das letzte Mal geregnet hatte, und die Sehnsucht nach Abkühlung jeglicher Art, war von Zeit zu Zeit unerträglich. Tagsüber waren die Straßen wie leergefegt, und auch in den Abendstunden zogen viel die künstliche Kühle ihrer klimatisierten Heime dem gesellschaftlichen Leben Sunnydales vor.

Dieses extreme Wetter hatte vor mehr als zwei Wochen begonnen, und vor etwa einer Woche waren die Mitglieder der SCOOBY INVESTIGATIONS, wie Cordy und Xander beschlossen hatten, ihre fusionierte Gruppe zu taufen, überzeugt gewesen, es wäre eine Ankündigung auf einen kommenden Weltuntergang. Sechs Tage hatte der Großteil der SI in hunderten Nachschlagewerken nach Referenzen geforscht – immer wieder durch spöttische Bemerkungen aus Richtung der ehemaligen Wächterfront unterbrochen – nur um letztendlich zu dem Schluss zu kommen, dass es sich um nichts weiter handelte, als es lediglich war. Extremes Wetter, das von Meteorologen als Folge des Klimawandels und Resultat der jahrzehntelangen Umweltverschmutzung, bezeichnet wurde.

Die Erkenntnis hatte eine einigermaßen ernüchternde Wirkung auf die Recherchierenden, denn eine drohende Apokalypse, die durch Götter oder Dämonen herbeigerufen wurde, konnte man versuchen zu bekämpfen. Nicht aber Naturereignisse, für die lebenslanger Missbrauch des Planeten verantwortlich war. So waren sie wieder dazu übergegangen, sich einfach so in die klimatisierte Kühle der Magic Box zurückzuziehen und nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, Buffy und Spike sicher und wohlbehalten nach Hause zu holen.

Nach den Ereignissen um Dawn, und der Vernichtung Glorys, hatten sowohl die Scoobies, als auch die AI-Gang, ihre volle Konzentration auf dieses Problem gelenkt, doch als die Tage sich in Wochen, und die Wochen sich in Monate ausdehnten, ließ auch die Hoffnung, jemals einen Weg zu finden, merklich nach. Sie verschwand zwar nicht vollständig, doch wurde aus den Recherche-Treffen inzwischen oftmals ein einfaches Zusammensein der Freunde.

„Ich versteh einfach nicht, warum Buffy in ihren Briefen nicht beschrieben hat, wie wir sie wieder nach Hause holen könne!" Willow legte einmal mehr niedergeschlagen die Briefe ihrer Freundin beiseite und blickte müde lächelnd in die Runde. Dabei fiel ihr Blick auf Dawn, die sich vor einigen Wochen offiziell Scooby Investigations hatte anschließen dürfen. Seit ihren Erlebnissen unter Glorys Einfluss war Dawn insgesamt viel ruhiger geworden, auch wenn sie sich scheinbar gut erholt hatte. Man hatte ihr nicht erlaubt bei den Geschehnissen anwesend zu sein, aus Angst, die Anwesenheit des Schlüssels könne sich auf Glory irgendwie auswirken, aber nachdem was Joyce ihnen später erzählt hatte, war Dawn in dem Moment von Glorys Tod, erschöpft zu Boden gesunden, als wäre die Last eines ganzen Lebens von ihr genommen worden. Joyce war sofort an ihrer Seite gewesen, und zum ersten Mal seit Wochen, konnte Dawn dem inneren Drang, ihre Mutter in die Arme zu schließen, nachgeben. So hatten Cordy und Anya die beiden dann auch vorgefunden, nachdem Wesley sie telefonisch benachrichtigt hatte, dass alles vorbei war.

„Ich nehme jetzt einfach mal an, dass sie es selbst nicht wusste... weiß... wie auch immer. Oder einer ihrer Briefe ist in den letzten 120 Jahren irgendwie abhanden gekommen."

„Danke, Wes, ein einfaches ‚Weiß ich nicht', oder ein Ignorieren meiner Frage hätte voll und ganz gereicht." Sie zwinkerte dem jüngeren der beiden ehemaligen Wächter freundlich zu, um ihn wissen zu lassen, wie sehr sie seine Hilfe und Gegenwart schätzte.

„Ich frage mich, was die zwei wohl die ganze Zeit da machen", murmelte Xander zwar müde, aber auch nachdenklich.

„Nun, Nachforschungen anstellen, schätze ich", kam die für Giles typische Antwort.

„Ja, aber ansonsten. Es sind jetzt schon sechs Monate, die werden sie doch wohl nicht durchgehend mit Nachforschungen verbracht haben." Die Blicke waren jetzt alle auf Dawn gerichtet, und wie immer, wenn der Teenager es schaffte, aus seinem selbsterrichteten Schneckenhaus auszubrechen, bildete sich auf den anderen Gesichtern ein hoffnungsvolles, glückliches Lächeln. In Momenten wie diesen waren sie sicher, irgendwann die alte Dawn wieder vor sich zu haben.

„Na ja, wir wissen ja nicht, ob die Zeit für Buffy und Spike wirklich genauso schnell – oder langsam – voranschreitet, wie für uns. Wer weiß, vielleicht ist für sie bis jetzt erst ein Tag verstrichen, während für uns schon sechs Monate vergangen sind, oder aber...", Gunn musste den Satz nicht beenden, er wusste auch so, dass die anderen seinen Standpunkt verstanden hatten.

„Das ist eine Theorie, Gunn, die ich aber nicht gewillt bin, auch nur in Betracht zu ziehen", Giles klang entschlossen, und alle Anwesenden wussten, dass Giles in den letzten Monaten sich nicht einmal gestattet hatte, den Gedanken, Buffy vielleicht niemals wieder zu sehen, zu Ende zu führen. Trotzdem hatten Gunns Worte es geschafft, wieder bedrückende Stille einkehren zu lassen, die nichts mit dem heißen Wetter draußen zu tun hatte.

„Ich wette, sie spaziert von einem schicken Ball zum nächsten", riss Cordys fröhlich, lächelnde Stimme sie aus ihrer vorübergehenden, trübsinnigen Phase. „Sie darf jeden Tag diese schicken Kleider anziehen, und sich dann wie eine Prinzessin fühlen", schwärmte Cordy bei der Vorstellung.

Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sie Probleme h at, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Eine weltoffene Amerikanerin des 21. Jahrhunderts im viktorianischen England... das könnte zu Problemen führen", setzte Wesley nachdenklich, Cordy aber dankbar für diesen Stimmungswechsel, hinzu.

„Spike ist ja bei ihr, der wird schon auf sie aufpassen, damit sie sich nicht blamiert", sagte Dawn, woraufhin sie sich einen vernichtenden Blick von Seiten Angels einhandelte.

„Na ja, es ist ja nicht so, als könne er ihr auf Partys und Bällen beistehen, immerhin besteht die Möglichkeit, dass er dort jemandem über den Weg läuft, den er kennt." ‚Ganz abgesehen davon, dass sie froh sein wird, ihn auch mal nicht um sich zu haben', setzte er in Gedanken hinzu, ohne es jedoch laut zu sagen, denn er wollte Dawns offensichtliches Vertrauen in Spike – eine Art Vertrauen, wie sie es nicht einem von ihnen entgegen brachte – untergraben.

„Ja, oder sich selbst und seiner Familie", sprach Dawn belustigt weiter, als sie sich die Szene vorstellte, was ihr auch Gelächter vom Rest der Gruppe einbrachte.

„Spike hatte keine Familie mehr, als wir ihn kennen gelernt haben", meinte Angel beiläufig, bewusst nicht die Begriffe töten oder erschaffen, verwendend.

„Natürlich hatte er noch Familie. Seine Mutter und seine Schwester." Dawn hatte nun auch irritiert die Stirn krausgezogen. Sie war sich sicher gewesen, dass ein Vampir etwas mehr über die Personen wusste, die er einmal in einen Vampir umgewandelt hatte.

„Nein, er ..." Angel war verwirrt. Wovon sprach Dawn da nur?

„Doch, wirklich, er hat es mir erzählt. Seine Schwester hieß... Lynnet, oder so ähnlich. Sie war ein paar Jahre jünger, als er."

„Aber...", und in diesem Moment dämmerte es ihm. „Er hat gelogen." Entsetzt schlug er sich die Hände vors Gesicht und stand auf. „All die Jahre hat er mich angelogen. Wie ... wie konnte er ..."

„Wie meinst du das?" Cordelia war aufgestanden und stand nun neben ihrem ehemaligen Arbeitgeber und besten Freund.

„Als William in einen Vampir verwandelt wurde, haben Darla und ich ihn nicht einfach in unserer kleinen Familie aufgenommen. Wir haben ihn Prüfungen unterzogen und ihn zu dem gemacht, was er heute ist." Angel war nicht stolz auf diese Geschichte, und die Tatsache, dass er Darla da mit reinzog war reiner Selbstschutz. Es reichte, wenn er allein wusste, wie groß sein eigener, und wie gering ihr Anteil an der Erschaffung von Spike gewesen war. „Unter anderem gehörte zu diesen Prüfungen auch der Mord an der eigenen Familie." Er hörte, wie Dawn entsetzt die Luft einsog, und er konnte es ihr nicht mal verübeln. „Doch er hat gesagt, er hätte keine Fa­mi­lie mehr." Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an diese längst vergangenen Tage. „Ich hat­te ihm nicht geglaubt, jeder musste doch irgendwo Familie haben, aber er hat darauf bestanden, der einzige zu sein."

„Er hat seine Familie also beschützt." Die Verwunderung in Giles Stimme war deutlich zu hören. „Warum hat er das getan?"

„Weil er sie geliebt hat?" Dawn klang patzig und nicht gewillt noch mehr schlechte Dinge über den Vampir zu hören, der für sie mehr wie ein großer Bruder, als wie ein Todfeind war.

„Dawn, du begreifst das nicht." Angel sah das Summersmädchen geradewegs an. „Wenn du wüsstest, wie überzeugend meine Verhöre damals waren, könntest du verstehen, warum ich eigentlich nicht wirklich daran geglaubt habe, dass er mich belügen könnte. Und kein Vampir sollte soviel Mitgefühl und Liebe für jemanden empfinden können, um solche Qualen freiwillig über sich ergehen zu lassen." Mehr sagte er nicht, aber das war auch nicht nötig. Inzwischen hatte jeder im Raum verstanden, dass Angel Spike nicht nur zweimal höflich nach seiner Familie gefragt hatte.

„Wollen Sie damit sagen, dass Spike noch so etwas wie ein Seele hat?" Giles sah Angel fassungslos an.

„Ziemlich kranke Vorstellung, was?" Angel musste fast lachen, als er versuchte sich diese Mög­lichkeit bildlich auszumalen. „Nein, eigentlich möchte ich das nicht behaupten. Aber irgen­d­ein Teil seiner Menschlichkeit muss seine Verwandlung in einen Vampir wohl überlebt haben." Er zuckte mit den Schultern, nicht wissend, wie er es anders ausdrücken sollte. „Wer weiß, was Dru mit ihm gemacht hat, als sie ihm das Blut ausgesaugt hat."

„Aber all die Dinge, die er als Vampir getan hat..."

„Sein Ruf war immer wesentlich schlimmer, als er tatsächlich war", schnitt Angel dem Wächter das Wort ab. „Zugegeben, er hat gemordet, und viele dieser Morde hat er mit Sicherheit auch genossen, und wahrscheinlich denkt er an diese Begebenheiten heute auch mit einem Gefühl der Zufriedenheit zurück. Trotzdem, er war nie so grausam und gnadenlos, wie sein Ruf einen glauben machen möchte."

Er begegnete den erstaunten Blicken der Anwesenden, und mit einem mal, wurde ihm das alles zu viel. Das Gefühl zu ersticken war plötzlich übermächtig geworden, und ehe noch jemand etwas sagen konnte, war er bereits aus dem Laden gerannt. Im Hof hinter der Magic Box kam er zum Stehen und ließ sich erschöpft auf eines der dort stehenden Fässer fallen.

„Also, was ist das zwischen dir und Spike", Cordys Stimme klang sanft, als sie von hinten an sein Ohr drang.

„Was meinst du damit?"

„Nun, es scheint so, als sei dein Verhältnis zu Spike doch nicht ganz so schwarz-weiß, wie du uns immer zu verstehen gegeben hast." Sie setzte sich neben ihn, eine Kaffeetasse in den Händen und richtete ihren Blick ebenfalls in den schwarzen Nachthimmel hinauf. „Erzähl mir davon."

„Ich nehme nicht an, dass du locker geben wirst, wenn ich einfach nicht antworten will, oder?" Es war kein Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen, aber Cordy ahnte, dass es da war, tief in seinem Innern, unter dieser Schicht an Schuldgefühlen und Selbstverachtung, wo er sich noch selbst erlaubte zu lächeln.

„Nein, keine Chance."

Angel stand auf und lehnte sich an die Außenwand des Zauberladens. „Als ich Spike das erste mal gesehen habe, habe ich ihn für seine Schwäche verachtet. Er war einer dieser englischen Upper Class Schnösel, die sich für was Besseres hielten und keine Ahnung vom wirklichen Le­ben hatten – nicht, dass ich das hatte, aber das spielte in dem Moment ja keine Rolle." Sein Blick glitt in die Vergangenheit, und ein Ausdruck des Schmerzes begleitete ihn auf dem Weg in ei­ne Zeit, die er am liebsten vergessen würde. Die nächsten zwanzig Jahre habe ich damit ver­bracht ihn zu dem zu machen, was er danach hundert Jahre lang sein sollte. Spike, William der Blu­tige, der seine Opfer mit Eisenbahnnägeln folterte." Er lachte humorlos auf. „Ich habe verdammt gute Arbeit geleistet einen ro­man­tischen, gefühlsbetonten Dichter in einen gefühllosen, brutalen Killer zu verwandeln."

Er setzte sich wieder neben Cordelia, die ihn aufmerksam musterte. „Dann bekam ich meine Seele wieder, und der einzige Gedanke, den ich hatte, wenn ich Spike sah, war der, dass ich mich in ihm sah. Vielleicht eine abgeschwächte Form, aber ich sah mich... Und dafür habe ich ihn gehasst."

Angel zuckte nicht zusammen, als er plötzlich ihre weiche, warme Hand auf der seinen spürte. „Ich habe ihn für das gehasst, was ich aus ihm gemacht hatte. Als er noch lebte war er ein... na ja, er war ein anständiger Kerl, und wenn ich nicht gewesen wäre, er wäre so geblieben. Das Monster in ihm... es ist nicht automatisch entstanden, als er erschaffen wurde. Ich habe es erschaffen. Niemand sonst."

„Angel, du kannst dir dafür nicht die Schuld geben. Du warst damals nicht der, der du heute bist."

„Nein, war ich nicht. Denn Angelus war ja ein seelenloses Monster, dem es Spaß gemacht hat, andere zu foltern und zu quälen. Das ist es, was Vampire tun, nicht wahr?" Er wünschte, sie würde ihm ihre Hand entziehen, doch sie tat es nicht. „Aber so läuft das nicht. Denn wenn es so wäre, hätte niemand William zeigen müssen, was es heißt ein Vampir zu sein."

„Und jetzt machst du dir Sorgen, was das über dich aussagt?"

„Wenn Spike nicht schon immer so war, und auch Jahre nach seiner Verwandlung noch fähig war, seine Familie so sehr zu lieben, um jede Art der Folter über sich ergehen zu lassen, nur um sie zu schützen, warum bin ich dann hingegangen und hab meine Eltern gleich in der ersten Woche abgeschlachtet?" Er hatte nicht vorgehabt es so rüberzubringen, und als er Cordys entsetztes Luftschnappen hörte, hätte er sich für seine Wortwahl ohrfeigen können, aber er war umso erstaunter, als sie ihm ihre Hand noch immer nicht entzog.

„Ich nehme mal an, weil er ein völlig anderes Verhältnis zu seiner Familie hatte. Spike hat sich vielleicht für seine Familie verantwortlich gefühlt und sie schon vorher immer beschützt, oder es zumindest versucht. Du selbst hattest kein inniges Verhältnis zu deiner Familie, und alles, was du von deinem Vater kanntest, waren die Schläge, die er dir als Kind beigebracht hat."

Angel sah sie erstaunt an, als er sich fragte, woher sie so viel über ihn und seine Familie wusste. Sie hatten noch nie darüber gesprochen.

„Aber wenn ich eines über Vampire gelernt habe, dann, dass sie auf das, was ihnen gehört, aufpassen. Und Spike hat nichts anderes gemacht, als das zu schützen, was ihm gehörte, als er seine Familie davor bewahrt hat, von Angelus getötet zu werden." Sie lächelte ihm aufmunternd zu, ohne Ekel und Abscheu in den Augen, den er nach Gesprächen über seine Tage als Angelus immer noch dort erwartete.

„Eine Freundin wie dich habe ich nicht verdient." Er flüsterte die Worte fast und sah ihr dabei fest in die Augen.

„Da hast du Recht", eine perfekte Zahnreihe kam zum Vorschein, als sie ihm ein strahlen­des Lächeln zeigte. „Aber du wirst mich trotzdem nicht los. Nicht mal, wenn du dich wie der letzte Volltrottel aufführst."

Danke Sweety, für die liebe Review :)
Heute nur ein kurzes Kapitel, sorry. Ich habe Glorys Vernichtung absichtlich nicht näher beschrieben, weil dieser Teil der Handlung nicht zu lang werden sollte. Außerdem stockte ich zu dem Zeitpunkt sowieso in der Handlung, also hab ich die Zeit etwas zusammengerafft. Danke fürs Lesen, lg, N.Snape