siebzehn

London, 23. Maerz 1880

Die Kutsche fuhr ratternd und klappernd über die unbefestigte Straße, auf der sie sich nun schon seit fast drei Stunden befanden. Richard und Lizzy waren kurz nach Sonnenuntergang in London losgefahren, um Spike und Buffy am Sommerhaus der Atherbys abzuholen. Sie hatten Rose zu Lynn geschickt, um dort zu übernachten und den Tag zu verbringen. Dieses Verhalten hatte ihre Tochter irritiert, doch nachdem ihre Eltern zu keinerlei Erklärung bereit waren, hatte sie sich gefügt. Am Abend würde sie dann zusammen mit Lynn, Constance und William zu den Underwoods fahren. Was Rose jedoch nicht wusste, war die Tatsache, dass sie nicht mit William zusammen zurückfahren würde. Zunächst waren sie sich nicht sicher gewesen, ob es klug war, Rose zu den Atherbys zu schicken, weil es vielleicht doch noch einen Einschnitt in den geschichtlichen Zeitablauf bedeuten könnte, doch wollten sie Lynn und Constance die größtmögliche emotionale Stütze bieten, die ihnen möglich war. Und das war im Moment wohl Rose, auch wenn die nichts von ihrer schweren Prüfung ahnte, die vor ihr lag.

„Sag mir bitte, dass wir das Richtige tun", durchbrach Lizzys Stimme plötzlich die angespannte Stille, die in der Kutsche herrschte.

„Ich halte es jetzt noch immer für genauso richtig, wie vor drei Tagen, als ich den Vorschlag gemacht habe. Rose wird ihnen beistehen können, wenn... wenn es vorbei ist." Richards Stimme klang in Lizzys Ohren erschreckend sachlich, und nur die Art und Weise, wie er ihren Blick mied und stattdessen seiner Aufmerksamkeit weiterhin auf die Schwärze der Nacht gerichtet hielt, verriet ihr, wie nah auch ihm die Sache ging, und er es nicht nur als beruflichen Fall abstempelte.

„Das habe ich nicht gemeint, Richard", gestand Lizzy nach einer Weile, ind er sie über seine Worte nachgedacht hatte. Natürlich, Rose zu den Atherbys zu schicken, war die einzig richtige Lösung gewesen. „Ist es richtig, nichts zu tun, was William Atherby retten könnte?"

Diese Worte zogen Richards Aufmerksamkeit nun doch vollends auf seine Frau, und er riss den Blick von der dunklen, vorbeifahrenden Landschaft Englands los, und schaute seine Frau an. Nicht so sehr, weil ihn ihre Frage überrascht, nein, schließlich waren sie dieses Thema an die tausendmal in den letzten 6 Monaten durchgegangen, sondern um zu sehen, wie ernst ihre Zweifel waren. Nicht, dass sie auf ihre eigenen Zweifel Rücksicht nehmen durften, die Zukunft der Welt hing immerhin von diesem Abend ab.

„Wir wissen beide, dass es nicht richtig ist, William Atherby sterben zu lassen. Einen Mann, der vermutlich in wenigen Monaten Mitglied unserer Familie wäre, sobald Arthur offiziell um Lynn angehalten hat. Aber genauso wissen wir beide, welche Rolle Williams vampirisches Ich für die Welt spielen wird. Nach allem, was ich über diese Prophezeiung herausgefunden habe, wird es alles aufwiegen, was Spike in den nächsten 120 Jahren tun wird." Nach diesen Worten richtete er den Blick wieder auf die Landschaft, die er doch nicht sehen konnte. „Es muss geschehen, sonst ist die Welt verloren."

‚Und wir werden ein Leben lang mit dem Wissen leben müssen, es nicht verhindert zu haben. Jedes Mal, wenn wir Lynn oder Constance sehen, werden wir Schuldgefühle haben, und ihnen nie wieder in die Augen sehen können', dachte Lizzy, sich bei der ganzen Sache nicht wohl fühlend. „Ich weiß, ich wollte es nur noch mal hören", sagte sie jedoch laut.

Richard, der den Gemütszustand seiner Frau durchaus versehen und auch nachvollziehen konnte, griff in einer beruhigenden Geste nach ihrer Hand. „Es wird alles gut werden, das verspreche ich dir." Es gelang ihm ein einigermaßen überzeugendes Lächeln zustande zu bringen. „Arthur hat bereits alles vorbereitet. Lynn und Constance wird kein Leid geschehen."

„Zumindest kein körperliches", gab Lizzy schwermütig zu bedenken.

Für den Rest der Fahrt kehrte wieder Stille in der geräumigen Kutsche ein, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Dabei dachte Richard weniger, im Gegensatz zu seiner Frau, an William Atherby und seine Familie und das, was vor ihnen lag, als vielmehr an die beiden, die sie schon bald wiedersehen würden. Es war etwas mehr, als fünf Monate her, seit Buffy und Spike London und das Haus der Giles verlassen hatten, um auf dem Land bis zu diesem Tag unterzutauchen. Rose, Christopher und auch Lynn waren sehr erstaunt und traurig gewesen, als sie von der plötzlichen Abreise der Hausgäste erfahren hatten, und die ersten Tage und Wochen hatte besonders Rose ihre Eltern mit Fragen gelöchert, die diese natürlich nicht hatten beantworten können. Doch irgendwann hatte das Interesse der Kinder nachgelassen, und Richard und Lizzy konnten das Thema auf sich beruhen lassen, zumindest vor den nun 16jährigen Zwillingen – sie hatten im Januar ihren Geburtstag gefeiert. Sie selbst ließen diese Angelegenheit niemals ganz auf sich beruhen, und das lag auch zum großen Teil daran, dass sie in ständigem Briefkontakt miteinander standen. Richard berichtete ihnen alles, was er über die Prophezeiung herausfinden konnte, und über diejenigen, die – zumindest aus jetziger Sicht – ein Interesse daran haben könnten, das dort beschriebene zu verhindern. Buffy hingegen schilderte ihre Erlebnisse auf dem Land, die, wenn auch nicht von essentieller Wichtigkeit, Richard und Lizzy das Gefühl vermittelten, bei den beiden nicht in Vergessenheit geraten zu sein, was ihnen – aus welchen Gründen auch immer – ein wichtiges Anliegen war.

„Wir werden in etwa fünf Minuten eintreffen", erschallte plötzlich die Stimme des Kutschers, der diese Strecke auch vor rund fünf Monaten zurückgelegt hatte, um Spike und Buffy hier in abzusetzen. Im Gegensatz zu Nancy, die in täglichem Kontakt zu der Jägerin und ihrem Vampir gestanden hatte, wusste der Kutscher so gut wie nichts über die Gäste, die für seine Arbeitgeber so wichtig waren, dass sie sich persönlich auf die weite Reise machten, einmal um sie fortzubringen, und einmal, um sie wieder abzuholen.

„Danke, Hastings", ließ Richard den Kutscher wissen, dass er die Information zur Kenntnis genommen hatte.

„Ich werde die beiden vermissen", sagte Lizzy, als sie sich der eleganten Auffahrt zu dem schon fast 50-jährigen Herrenhaus näherten. „Sie waren jetzt fast ein halbes Jahr fester Bestandteil unseres Lebens und es wird irgendwie eigenartig sein ohne sie, denkst du nicht auch?"

„Doch, ich weiß genau, was du meinst", stimmte Richard wehmütig lächelnd zu. Er mochte Buffy, hatte sie vom ersten Moment an in sein Herz geschlossen. Es war praktisch ein automatischer Vorgang gewesen, gegen den er sich nicht hätte wehren können, selbst wenn er es gewollt hätte. Vielleicht hatte ihr Dasein als Jägerin etwas damit zu tun, er wusste es nicht, und wenn er ehrlich war, war ihm der Grund für die Freundschaft, die sie beide verband, auch ziemlich egal. Was Spike betraf, so konnte er auch da nicht leugnen so etwas wie Freundschaft zu empfinden. Vampir hin oder her. In den sechs Monaten ihrer – unfreiwilligen – Bekanntschaft hatte Richard in Spike jemanden kennengelernt, der es wert war, respektiert und gemocht zu werden, und er konnte nur hoffen, dass er sich dieses Bild von dem Vampir auch nach heute Abend bewahren konnte, wenn sich William Atherby in einen Vampir namens Spike verwandelte. Und dass er davon erfahren würde, von dem Schrecklichen und dem Grausamen, von der Folter und der Qual, für die Vampire des Aureliusbundes berüchtigt waren, das war ihm bewusst. Ebenso wie die Tatsache, dass ihm jedes Opfer ein Stück seiner Seele rauben werden würde.

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„Bist du fertig mit Packen?" Sie schreckte zusammen, als sie seine Stimme plötzlich hinter sich hörte, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihn an diesem Morgen noch nicht zu Gesicht bekommen, was ungewöhnlich war, wenn man bedachte, dass sie hier seit ihrer Ankunft ein Zimmer geteilt hatten. Sie hatten vorher nicht groß darüber gesprochen, für beide war es selbstverständlich, nach der Nacht die sie bei den Giles zusammen verbracht hatten, dass sie sich nicht wieder würden, und wenn es sich nur um wenige Meter handelte, die zu überwinden kein Problem darstellen sollte. Doch als sie an diesem Morgen gegen vier Uhr aufgewacht war, war er nicht im Bett, und auch nicht im Raum gewesen. Verwirrt hatte sie die Tür zum Korridor aufgestoßen und nach dem Vampir gerufen, doch als sie keine Antwort erhalten hatte, war sie zurück in ihr gemeinsames Zimmer gegangen und hatte angefangen die Kleider, die sie von Rose bekommen hatte, in dem großen Schrankkoffer der Giles zu verstauen. Sie war noch nie ein Held im Packen gewesen, doch hatte sie nicht erwartet, dass es so schwer sein würde, die zehn Kleider einigermaßen glatt in der Kiste unterzubringen. Aber Nancy würde die Kleider sowieso erst wieder ändern müssen, damit Rose sie wieder tragen konnte. Das einzige Kleid, das sie nicht in dem Koffer verstaut hatte, war das von Lynn Atherby, das sie hier in zurücklassen wollte. Nachdem sie Roses Kleider – mehr oder weniger – erfolgreich verstaut hatte, hatte sie sich zum ersten Mal seit sechs Monaten wieder ihre eigene Kleidung angezogen, und auch wenn sie froh war, wieder um Längen praktischere Klamotten tragen zu können, so musste sie doch zugeben, wie ungewohnt der Lederrock und das sportliche Oberteil waren.

Während sie sich so im Spiegel betrachtet hatte, hatte sie sich zum ersten Mal Gedanken zum kommenden Tag gestattet, und augenblicklich war Nervosität in ihr aufgestiegen. Was, wenn etwas schief ging, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt am falschen Ort waren, wenn sie aus einem ganz anderen Grund hier im 19. Jahrhundert waren, als sie die ganze Zeit über vermutet hatten? Was, wenn sie durch ihren bloßen Aufenthalt den Lauf der Welt bereits verändert hatten? Durch diese Fragen tief in Gedanken versunken, hatte sie Spike nicht eintreten gehört.

„Du hast mich erschreckt", gestand sie ihm mit einem leicht gezwungenen Lächeln. Etwas bedrückte ihn, und das schon seit Tagen, aber jedes Mal, wenn sie ihn darauf versuchte anzusprechen, blockte er sofort ab und wechselte augenblicklich das Thema, bis sie es aufgegeben hatte ihn zu fragen, ob alles in Ordnung sei. „Hab alles gepackt und den Koffer sogar zubekommen, also wenn ich jetzt noch was finde, was mit muss, haben wir Pech gehabt, das Ding bleibt nämlich zu." Sie erhielt keine Reaktion von ihm, außer einem durchdringenden Blick, der sie bis ins Mark erschütterte. Sie musste den Augenkontakt abbrechen, sonst hätte er sie vermutlich in die Knie gezwungen. „Wie ist es mit dir? Willst du auch noch Sachen packen, oder ziehst du einfach deine Klamotten an, und gut ist?"

„Ich liebe dich", sagte er plötzlich und unvermittelt, ohne auf die Frage zu antworten. Und wie immer, wenn sie diese Worte von ihm hörte, machte ihr Herz einen Satz, als wolle es zerspringen. Sie erinnerte sich noch genau an den Moment, als er es ihr zum ersten Mal gestanden hatte, und es war nicht so gewesen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Er hatte nicht auf einen romantischen Abend gewartet, an dem sie zusammengekuschelt vor dem Kamin lagen, nachdem sie sich leidenschaftlich geliebt hatten. Es war vielmehr ein Moment ähnlich der jetzigen Situation gewesen. Sie hatte sich in der Küche etwas zu Essen zubereitet – uns sie war sich nun sicher niemals in ihrem Leben kochen lernen zu werden – als er sie, ähnlich wie gerade eben, mit einem für ihn fast untypisch ernsten Blick gemustert hatte. Sie hatte ihn schon fragen wollen, was los sei, als er ihr die Worte sagte, von denen sie nicht mal gewusst hatte, wie sehr sie sich danach sehnte, sie zu hören. Doch im Gegensatz zu dem romantischen Ende, das sein damaliges Geständnis zur Folge gehabt hatte, wusste Buffy, dass es heute keine Wiederholung der Ereignisse geben würde.

„Spike, du machst mir Angst", antwortete sie, statt der vertrauten Gegenworte, mit denen sie ihm für gewöhnlich versicherte, dass sie seine Gefühle erwiderte, mit leiser Stimme, und doch ernstem Tonfall.

„Weil ich dir sagen, dass ich dich liebe?", fragte Spike mit einem ähnlich gezwungenen, unnatürlich wirkenden Lächeln, wie sie es zuvor schon auf den Lippen gehabt hatte.

„Nein, sondern weil du es mir sagst, als würdest du Abschied von mir nehmen", redete Buffy unbeirrt weiter, ohne auf seinen scherzenden Tonfall einzugehen, und als sie sah, wie er ihr automatisch den Blick entzog, konnte sie spüren, wie in ihr die Panik aufstieg.

„Du siehst Gespenster, Jägerin." In dem Moment, als er ihren Titel aussprach, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte, denn so hatte er sie schon seit Monaten nicht mehr genannt. Für ihn hieß sie nur noch Liebes, Schatz, oder einfach Buffy, aber nicht mehr Jägerin. Warum das so war, konnte er nicht einmal sagen, aber es war ihnen beiden aufgefallen, und nun konnte er ihr ansehen, dass die Benutzung ihres Titels für sie ein Schlag ins Gesicht gewesen war. Er wollte nichts lieber tun, als zu ihr gehen, sie in den Arm nehmen, ihr sagen, dass es ihm leid tat und er sie bis ans Ende seiner Tage lieben würde, aber das konnte er nicht. Diesen Luxus konnte, und durfte er sich nicht leisten. Heute nicht mehr. Er hatte es genau durchdacht, und jetzt durfte er sich keine Fehler erlauben. Also tat er das einzige, was ihm möglich war, wenn er sie nicht in die Arme nehmen durfte, er verließ den Raum.

„Verdammt, Spike, rede mit mir!", hörte er die wütende und verletzte Stimme der Frau, die ihm in den letzten sechs Monaten ein Leben geschenkt hatte, wie noch nie jemand zuvor, und es hätte nicht viel gefehlt, da hätte er all seine guten Vorsätze über Bord geworfen, wäre zurückgelaufen und hätte sich so fest an sie geklammert, dass sie vermutlich keine Luft mehr bekommen hätte. Doch gerade, als er sich seiner inneren Zerrissenheit beugen wollte, hörte er vorm Haus eine Kutsche vorfahren. Gott, oder wer auch immer für dieses Timing verantwortlich war, im Stillen dankend, rief er ein neutrales „Sie sind da!" über die Schulter und bewegte sich in Richtung Tür, um Richard und Elizabeth eintreten zu lassen, und mit jedem Schritt, den er tat, wurde ihm schwerer zumute.

‚Na toll', dachte Buffy, den Tränen nahe, nicht wissend, was das alles zu bedeuten hatte. Sie wünschte sich insgeheim, Richard und Lizzy hätten sich noch eine Stunde Zeit gelassen, vielleicht hätte sie dann erfahren, was in Spike vor sich ging. Jetzt bereute sie, nicht weiter nachgehakt zu haben, als dieses Verhalten, das er nun schon seit Tagen zum Besten gab, angefangen hatte. Vielleicht hätte sie ihm helfen können, oder wüsste jetzt zumindest, woran sie war. Hunderte Szenarien schossen ihr durch den Kopf, als sie nach Gründen für sein Verhalten suchte, doch die einzige Variante, die ihr plausibel erschien, war, dass er Angst davor hatte, wie es sein würde, sobald sie wieder zu Hause in Sunnydale waren, wenn sie wieder von ihren Freunden und ihrer Familie umgeben war, und nicht mehr auf ihn als emotionale Stütze würde zurückgreifen müssen. Sofort, als ihr dieser Gedanke gekommen war, hatte sie sich bemüht, ihm zu sagen, dass sie ihn auch nach ihrer Rückkehr genauso lieben und als Partner brauchen würde, doch er hatte sie nur mit diesem seltsamen Blick angesehen, der ihr sagte, dass sie mit ihrer Vermutung total daneben lag, und keine Ahnung von seinen Ängsten und Gefühlen hatte.

„Spike, wie schön, Sie endlich wieder zu sehen", drang Lizzys Stimme gedämpft an ihr Ohr, und obwohl sie wegen der Sache mit Spike noch immer durcheinander war, konnte sie nicht umhin sich über die Ankunft der Giles zu freuen.

„Mr. Giles, Mrs. Giles, kommen Sie rein", hörte sie Spikes Stimme, die auch Richard und Lizzy gegenüber unnatürlich distanziert klang, als sie, den großen, schweren Koffer hinter sich herziehend, als ob er nichts wiegen würde, die wenigen Meter bis in die Eingangshalle des Herrenhauses zurücklegte. „Buffy ist fast fertig, und ich schlag vor, dass wir dann gleich aufbrechen." Sie hatte gerade den Raum betreten und konnte sehen, wie er die Giles wie angewurzelt stehen ließ und das Haus in Richtung Kutsche verließ.

„Entschuldigen Sie bitte", sagte Buffy kleinlaut, und zog somit die verdutzten Blicke des Ehepaars auf sich. „Ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist." Für einen Moment brachte weder Richard, noch Lizzy ein Wort heraus, und Buffy wusste nicht, ob das an Spikes Verhalten lag, oder daran, dass die beiden sie zum ersten Mal in ihren eigenen Klamotten sahen, und nun zu schockiert waren, um etwas sagen zu können.

„Hat er sich etwa die ganze Zeit so verhalten?", fragte Richard, der sich als erster wieder gefangen hatte, besorgt, dass Buffy in ihren Briefen die letzten Monate über stets gelogen hatte, wenn sie beschrieben hatte, wie wunderschön und friedlich das Leben hier auf dem Land doch wäre. Wenn Spike jedoch die meiste Zeit über ein solches Verhalten an den Tag gelegt hatte, musste das Leben hier ja die reine Hölle gewesen sein.

„Nein", antwortete Buffy mit gedämpfter Stimme, in der Hoffnung nicht von Spike gehört zu werden. „Bis vor ein paar Tagen war er eigentlich ganz normal... Spike eben. Aber irgendwas muss in den letzten Tagen passiert sein, was ich allerdings nicht mitbekommen habe." Sie zuckte mit den Schultern, um ihrer Ratlosigkeit Ausdruck zu verleihen und beschloss dieses Thema auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, am liebsten auf dann, wenn sie wieder in Sunnydale waren. „Aber bitte, kommen Sie doch rein. Darf ich Ihnen vielleicht eine Kleinigkeit zu Essen und etwas zu Trinken anbieten, bevor wir die Rückreise antreten?"

„Vielen Dank, Miss Summers, aber wir hatten uns für unterwegs Verpflegung eingepackt, und ich schlage vor, wir machen uns zeitig auf den Weg zurück nach London. Das Wetter ist um diese Jahreszeit recht unbeständig, und wir sollten kein Risiko eingehen", gab Richard zu bedenken, noch immer unschlüssig, was hier vorgefallen war, um eine solche Stimmung zwischen Jägerin und Vampir heraufzubeschwören.

Sich der Mehrheit beugend, streifte Buffy sich ein dunkelblaues Cape über, das ihre moderne Kleidung zumindest größtenteils verdeckte, und griff nach ihrem Koffer, bevor Richard Gelegenheit dazu hatte.

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Sie erreichten Westminster am frühen Abend, etwa eine halbe Stunde nach Sonnenunter­gang – eine Tatsache, für die Spike sehr dankbar war, hätte er es nervlich vermutlich nicht durchgestanden auch noch auf die sichere Dunkelheit warten zu müssen, bevor er mit seinem Plan hätte fortfahren können. Die fast 12stündige Kutschfahrt war für ihn die reinste Tortur gewesen, und er hatte es als kleinen Vorgeschmack dessen aufgefasst, was ihm nach seinem Ableben wohl erwarten würde. Obwohl er sich sicher war, dass nichts so schlimm sein könnte, wie der starre, hilflose Blick, den Buffy ihm etwa alle zwei Minuten zugeworfen hatte, gekoppelt mit dem ihm endlos erschienenen Geschwafel, mit dem Lizzy anscheinend versucht hatte, Buffy abzulenken. Er kam sich vor, wie der letzte Bastard, doch er führte sich vor Augen, dass er ja auch in ihrem Sinne handelte, wenn es vielleicht auch nicht sein Hauptmotiv war.

Sie hatten beschlossen, nicht erst noch zu den Giles zu fahren, sondern sich direkt im St. James's Park, genau an der Stelle, an der sie vor nunmehr sechs Monaten plötzlich aufgewacht waren, absetzen zu lassen. Wenn ihre Vermutungen korrekt waren, würde sich genau in dem Moment, in dem William Atherby von Dru in einen Vampir verwandelt worden war, ein Portal öffnen und Spike und Buffy wieder in ihre richtige Zeit und an den richtigen Ort befördern. Buffy hatte sich in den letzten Wochen nicht einmal gestattet darüber nachzudenken, was geschehen sollte, wenn sie mit dieser Theorie daneben lagen. Nicht, dass ihr das Leben hier in London, oder generell England, nicht gefallen hätte, aber für immer wollte sie dann doch nicht hier bleiben, besonders, wenn sie ihre Gedanken schweifen ließ, und diese bei Dawn und der Gefahr durch Glory landeten. Wer konnte schon wissen, was in den letzten Monaten in Sunnydale geschehen war, ob Glory herausgefunden hatte, dass ihre kleine Schwester der ominöse Schlüssel war, nach dem diese verrückte Höllengöttin die ganze Zeit krampfhaft suchte, oder ob Dawn, ihre Mutter und ihre Freunde vielleicht längst Opfer dieser höheren Macht geworden waren. Dieser Gedanke spornte sie immer wieder von Neuem an, und untersagte ihr, auch nur einen negativen Gedanken in Bezug auf ihre Heimkehr zuzulassen.

„So, da wären wir", riss Richards Stimme sowohl die Jägerin, als auch den Vampir aus den Gedanken, und in die Realität zurück. Die vier Erwachsenen stiegen aus der Kutsche aus und standen für einen kurzen Moment betreten auf der Stelle, nicht wissend, was sie sagen, oder wie sie es sagen sollten. „Danke, Hastings, Mrs. Giles und ich werden heute Abend nach Hause laufen. Bringen Sie das Gepäck zu Nancy, sie wird sich darum kümmern", gab Richard dem Kutscher Anweisungen, damit dieser so wenig, wie möglich von den Geschehnissen mitbekam. Abgesehen davon war auch er seit fast vierundzwanzig Stunden unterwegs und hatte sich die warme Mahlzeit und das weiche Bett – beides wartete in der Villa der Giles auf ihn – redlich verdient.

„Tja, ich schätze, jetzt heißt es wohl Abschied nehmen", sagte Buffy leise, um dem Schweigen, das wieder eingekehrt war, ein Ende zu bereiten. Sie zupfte etwas nervös an ihrem Cape herum, um ihren Hände eine Aufgabe zu geben.

„Ja, es scheint fast so", bestätigte auch Richard. „Es war mir eine Freude, Sie kennengelernt zu haben. Richten Sie Ihrem Wächter aus, welch Glück er hat, eine derart talentierte Jägerin an seiner Seite zu wissen, die darüber hinaus auch noch eine zauberhafte Person ist." Bei diesen Worten griff er nach ihrer Hand und hauchte einen Handkuss, wie sie ihn im Film schon oft gesehen bekommen hatte, darauf.

„Richard, du bringst das arme Mädchen ja völlig in Verlegenheit." Elizabeth schupste ihren Mann energisch zur Seite und baute sich vor Buffy auf. Einem mütterlichen Impuls folgend, nahm sie die junge Frau, die für fast zwei Wochen für sie wie eine zweite Tochter gewesen war, in ihre Arme und drückte sie fest an sich. „Ich wünsche Ihnen alles Glück dieser Welt, dass Sie sicher wieder nach Hause kommen. Und falls..." Sie löste sich von der Jägerin, der sie unter normalen Umständen niemals hätte begegnen dürfen, und blickte ihr fest in die Augen. „Und falls es doch nicht funktioniert... nun..."

„Was meine Frau Ihnen ... Ihnen beiden...", präzisierte er mit einem Blick auf Spike, der ihm den ganzen Tag schon zu ruhig gewesen war, und der eine Aura der Traurigkeit um sich trug, als hätte er die Liebe seines Lebens verloren. Schlimmer noch, als vor sechs Monaten, als er hatte erfahren müssen, wie nah ihm seine Schwester plötzlich wieder war. „... sagen möchte ist, dass Sie jederzeit bei uns willkommen sind, und wir Ihnen jederzeit hilfreich zur Seite stünden, sollte heute Abend nicht das geschehen, wovon wir eigentlich ausgehen."

„Danke, wir wissen das wirklich zu schätzen... obwohl wir natürlich davon ausgehen, dass alles glatt gehen wird", sagte Buffy mit einem nervösen Lachen. Jetzt, da sie wirklich wieder hier in London war, nur wenige Stunden von der Tat, wegen der sie hier waren, entfernt, wrude sie doch langsam unruhig, und die Tatsache, dass Spike sich noch immer so seltsam aufführte, trug nicht gerade zu ihrer Entspannung bei.

„Natürlich", stimme Lizzy lächelnd zu, Buffy noch immer halb im Arm haltend, nun aber den Blick auf Spike richtend. „Um wie viel Uhr... ich meine, wann etwa..." Sie fing an zu stottern, als ihr klar wurde, dass sie nicht wusste, wie sie eine solche Frage formulieren sollte.

„Ich bin nicht ganz sicher, aber vor 23 Uhr", antwortete Spike knapp, anscheinend nicht gewillt, sich in das Gespräch mit verwickeln zu lassen.

„Möchten Sie, dass wir solange mit Ihnen warten?" fragte Lizzy, die den Gedanken Buffy und Spike über vier Stunden hier noch allein ausharren zu lassen, fast nicht ertragen konnte.

„Das wird nicht nötig sein", meldete Spike sich wieder zu Wort, ehe Buffy die Chance hatte, etwas zu sagen. Als sich nun drei Augenpaare auf den nervös und doch irgendwie tödlich entschlossen wirkenden Vampir richteten, wurde ihm bewusst, dass seine Antwort womöglich zu schnell gekommen war, so als fürchte er die Gesellschaft der Giles, oder die Folgen, die diese haben könnte. „Ich meine, Sie sind jetzt schon solange auf den Beinen, Sie müssen müde sein. Wir kommen schon zurecht", versuchte er auf die stummen Fragen plausible Antworten zu geben.

„Es würde uns wirklich nichts ausmachen, mit Ihnen noch etwas zu warten. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir heute noch Schlaf finden ist aus verständlichen Gründen eh ziemlich gering."

„Vielen Dank, Mr. Giles, aber wir kommen schon zurecht." Buffy hatte beschlossen Spikes Wunsch vorerst zu respektieren, auch wenn sie seine Gründe dafür nicht ganz nachvollziehen konnte. Doch war sie gewillt, sich ihm unterzuordnen, obwohl sie betete damit keinen Fehler zu machen. Sie konnte den zweifelnden Blick sehen, den das Ehepaar austauschte – auch sie ahnten, dass mit dem Vampir etwas nicht stimmte – sich dann aber den Wünschen beugte.

„Nun gut, wenn Sie sicher sind...", Richard reichte Spike die Hand, während Lizzy Buffy noch einmal kräftig an sich zog. „Wir wünschen Ihnen alles Gute und eine sichere Heimkehr." Nach diesen Worten half er seiner Frau sich von der junge Jägerin zu lösen, und nach einem letzten Blick drehte sich das Ehepaar entschlossen um, und verschwand im Dunkel der Nacht. Spike und Buffy sahen ihnen noch nach, bis sie sie nicht mehr sehen konnten, und auch wenn Buffy eine gewisse Wehmut ob der Trennung nicht leugnen konnte, so war sie im Moment doch eher daran interessiert, herauszufinden, was im Kopf ihres Freundes vor sich ging, warum er seit Tagen so merkwürdig war, und warum er die Giles so schnell hatte loswerden wollen. Entschlossen der Sache jetzt ein für alle mal auf den Grund zu gehen, drehte sie sich zu ihm um.

„Also, Spike, was ist los?"

Der Blick, dem sie nun begegnete, schickte eiskalte Schauer über ihren Rücken, als ihr klar wurde, was sie von Anfang an hätte erkennen müssen.

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„Und du bist ganz sicher, dass wir dich allein zu Hause lassen können, Mutter?" Constance verdrehte bei der übermäßig besorgt klingenden Stimme ihres Sohnes die Augen, setzte aber ein zuversichtliches Lächeln auf, um ihm jeglichen Zweifel, dass es ihr an nichts fehlen würde, zu nehmen.

„Ganz sicher, William. Die Mädchen freuen sich außerdem schon so sehr auf dieses Fest, und wir können ihnen doch nicht den Abend verderben, nur weil ich eine leichte Erkältung habe, oder?" Das sanftmütige Lächeln, mit dem Constance ihren einzigen Sohn bedachte, hatte offenbar eine beruhigende Wirkung auf William. „Ich verrat dir was, ich werde mich, sobald ihr fort seid, mit einem guten Buch ins Bett legen und mich wieder gesund schlafen. Also mach dir bitte keine Sorgen."

„Nun gut", William erhob sich aus dem bequemen Sessel, in dem er den ganzen Nachmit­tag gesessen hatte, um seiner Mutter Gesellschaft zu leisten. „Aber du versprichst mir, sofort nach Dr. Burk zu schicken, wenn es dir schlechter gehen sollte."

In dem Moment wurde die schwere Eichentür zum kleinen Salon der Atherby-Villa aufgestoßen und Lynn und Rose kamen herein. „William, wir sollten aufbrechen, wenn wir uns nicht verspäten wollen", ermahnte Lynn ihren großen Bruder liebevoll. Sie wusste ums eine Sorge ihre Mutter betreffend, doch fand sie, dass er sich manchmal doch zu sehr wie eine Glucke aufführte

„Du versprichst es, Mutter?" fragte William noch einmal, ohne auf das Drängen seiner Schwester zu achten.

„Ja, William, ich verspreche es." Sie warf Rose und Lynn einen verschwörerischen Blick zu. Sie wussten alle drei, weshalb William diese Fest eigentlich auf keinen Fall verpassen wollte. „Und jetzt geht schon, sonst denkt Cecily Underwood noch, ihr hättet sie vergessen", fügte sie verschmitzt hinzu, und bei der Röte, die William daraufhin ins Gesicht schoss, konnten Lynn und Rose eigentlich nur lachen, obwohl sie die Sache an sich ziemlich traurig fanden. Besonders Lynn hatte gehofft, ihr Bruder könne diese Verliebtheit in Cecily überwinden, doch da dem nicht so war, wünschte sie ihm selbstverständlich alles Glück der Welt mit Cecily.

„Auf Wiedersehen, Mutter, erhol dich gut", verabschiedete die 16jährige sich schließlich von ihrer Mutter.

„Verlebt einen schönen Abend ihr zwei, und achtet auf das, was William euch sagt. Das gilt auch für dich Rosemary Giles", fügte sie mit einem Blick auf die Tochter des Wächters ernst hinzu. „Deine Eltern haben uns die Verantwortung für dich übertragen, und du wirst tun, was William dir sagt."

„Natürlich, Mrs. Atherby, keine Sorge." Rose küsste Constance liebevoll auf die Wange, bevor sie zusammen mit William und Lynn das Haus verließ. Sie hatte ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend, eine unbestimmbare Intuition, die ihr sagte, dass an diesem Abend etwas ge­sche­­hen würde. Vielleicht war es das seltsame Verhalten ihrer Eltern vor deren Abreise gewesen, vielleicht der betrübte Blick Arthurs vor zwei Wochen, als er wieder zurück zur Universität ge­fah­ren war, vielleicht die Art und Weise, wie sich in ihrem Elternhaus eine angespannte At­mos­phä­re über die letzten Monate aufgeladen hatte, die langsam an ihrem Höhepunkt angekommen zu sein schien. Sie wusste es nicht. Doch sie konnte nicht umhin sich Sorgen zu machen, als sie in der Kutsche der Atherbys einem Abend entgegenfuhr, auf den sie sich eigentlich hätte freuen sollen, von dem sie sich aber nur wünschte, er wäre schon wieder vorbei.

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„Buffy, ich habe keine Wahl", versuchte Spike zu erklären, nachdem er in ihrem ungläu­bi­gen Blick erkannt hatte, dass sie erraten hatte, was er vorhatte.

„Was heißt hier, du hast keine Wahl?" Ihre Stimme klang zu schrill, und sie wusste es. Sie durfte ihm jetzt auf keinen Fall Vorwürfe machen, oder ihn anschreien, das würde zu nichts führen. „Natürlich hast du keine Wahl, du kommst in ein paar Stunden mit mir nach Hause, was sonst willst du schon groß machen?" Sie verfluchte ihre eigene Schwäche, als sie spürte, wie in ihr die Tränen aufstiegen, und sie ein ohnmächtiges Gefühl der Panik zu übermannen drohte.

„Du wirst mich nicht umstimmen, Buffy." Seine Stimme klang ruhig, viel zu ruhig, als habe er alles, jedes kleinste Detail genauestens durchgeplant, und sei sich über jeden seiner Schritte im Klaren. „Ich werde es verhindern."

„Was willst du verhindern?" Inzwischen klang ihre Stimme tränenerstickt und verzweifelt, als ihr frühere, ähnliche Begebenheiten durch den Kopf schossen. Einmal mit Angel, als der sich entschlossen hatte, nach LA zu gehen – zu ihrem eigenen Besten, wie er gesagt hatte – und einmal mit Riley, als der ihr vorgeworfen hatte, sie wäre unnahbar und nicht in der Lage einem anderen Menschen soviel von sich selbst zu geben, dass es für eine Beziehung reichte. Jetzt war sie wieder an dem Punkt angelangt. Sie stand heulend vor ihrem Freund und wusste, sie würde ihn verlieren. Doch noch war sie nicht gewillt aufzugeben. Nicht heute, nicht bei ihm. „Willst du verhindern erschaffen zu werden? Willst du verhindern zwei Jägerinnen zu töten? Willst du meine Berufung – oder hey – gleich meine Geburt verhindern?" Sie sah den stechenden Schmerz in seinem Gesicht aufblitzen, doch er schaffte es, ihn sofort wieder zu kaschieren.

„Du weißt nicht, ob das wirklich die Folge wäre." Für den Moment wagte er es nicht, sie anzusehen.

„Natürlich nicht, woher auch! Ebenso wenig, wie du vorhersehen kannst, was passieren wird, wenn du heute Abend deine Verwandlung in einen Vampir verhindern wirst." Sie wollte auf ihn zugehen, ihn berühren und beruhigen, doch sie fürchtete, er könne sich dadurch in die Enge gedrängt fühlen und Reißaus nehmen, wie ein verschrecktes Tier.

„Ich werde kein Monster werden." Seine Worte waren so leise, dass sie sie fast nicht ver­stan­den hätte, und insgeheim wünschte sie sich auch, sie hätte es nicht gehört. Wie konnte sie da­rauf schon reagieren, ohne herunterzuspielen, was er in den letzten 120 Jahren getan hatte. Er hat­te Recht, er war zu einem Monster geworden, das über ein Jahrhundert lang eine breite Blutspur quer durch Europa und Asien gezogen hatte, nicht einen Gedanken darauf verschwen­dend, wem er Leid zufügte, und was diese Erfahrungen in den Angehörigen seiner Opfer auslösen mochten.

„Und was ist mit der Prophezeiung? Was ist mit den ... lass mich überlegen... sechs Milliarden Menschen, die du retten wirst, wenn du die Welt vorm Untergang bewahrst?"

„Was ist mit den zigtausend, die ich auf dem Gewissen habe, zu viele, als dass ich sie noch zählen könnte?" kam seine spontane Gegenfrage, seine Stimme nun schon aufgeregter. „Versteh doch, Buffy, ich habe die Chance all das Leid, dass ich verursacht habe, zu verhindern, und wer sind wir, einfach tatenlos dabeistehen zu wollen, und das Ganze noch einmal geschehen zu lassen?"

„Spike, wir lassen es nicht noch einmal geschehen... für uns ist es doch längst passiert, und wir dürften eigentlich gar nicht die Möglichkeit bekommen haben, den Lauf der Dinge zu ändern, nur weil wir mit dem Resultat nicht zufrieden sind. Und was hättest du davon? Du würdest das Ergebnis nicht mitbekommen, weil du gar nicht existieren würdest." Er begegnete ihren glasig-wirkenden Augen und sie konnte sehen, dass auch er den Tränen nahe war.

„Buffy, wenn mich die letzten Monate eines gelehrt haben, dann dass wenige schöne Monate, zusammen mit einem Menschen, der einem mehr bedeutet, als das eigene Dasein, wertvoller sind, als 120 Jahre Existenz. William war vielleicht niemand, der jemals die Frau seines Lebens getroffen hat... sicherlich nicht diese dumme Pute Cecily..." Er brachte ein schwaches Lächeln zustande. „... aber wenn wir ihm die Chance geben, wird er sie vielleicht noch finden."

„Woher willst du wissen, dass du ihr nicht auch nach deiner Verwandlung noch über den Weg laufen kannst. Wie kannst du so sicher sein, dass alles, was geschehen ist, nicht von einer höheren Macht gelenkt worden ist, auf die wir beide keinen Einfluss haben? Und was das Monster in dir angeht... Spike, du kannst es bekämpfen. Du tust es jetzt schon seit fast zwei Jahren. Denkst du wirklich, es gäbe diese Prophezeiung, wenn du dazu verdammt wärest, auf ewig den niederen Trieben, die dein Dasein als Vampir in dir ausgelöst hat, unterworfen zu sein."

„Der Text könnte sich immer noch auf Angel beziehen... wär doch sowieso logischer, immerhin ist er der Vampir mit Seele und..."

„Ja, falls er diesen Zigeunern auch dann über den Weg läuft, wenn du nicht existierst", unterbrach Buffy ihn unwirsch. „Hey, das ist doch auch eine schöne Überlegung. Dadurch, dass Angel mit Dru abgelenkt ist – du bist ja nicht da, um dich um sie zu kümmern – verpasst Angel sein Treffen mit der Tochter dieses Zigeunerstammes, er bleibt seelenlos und mordet auch die nächsten 120 Jahre munter weiter... und Spike, wir beide wissen, du warst ein Schatten gegen ihn." Langsam wurde sie zornig ob der Kurzsichtigkeit seines Handelns. Aber damit hätte sie eigentlich rechnen müssen, denn so viel ihr auch an Spike lag, er war nicht gerade für seine ausgereiften und durchdachten Pläne berühmt.

„Buffy, du hast ja keine Ahnung, was du da sagst! Hast du wirklich vergessen wer ich bin – WAS ich bin? Ich bin ein Monster, und du ... ich bin ein Monster, das dich mit Haut und Haaren auffressen würde, wäre da nicht dieser dämliche Chip in meinem Schädel." Die Tränen liefen ihm nun ungehindert über die Wangen, als er ihr diese Worte entgegenschleuderte und strafte seine Worte dadurch Lügen. Als sie versuchte nach seinen Händen zu greifen, wich er zurück, als fürchte er sich daran zu verbrennen.

„Spike, bitte..."

„Du hast was Besseres als mich verdient, Buffy. Wenn ich nicht gewesen wäre, könntest du jetzt auf einer Uni sein, dich für jeden Beruf entscheiden, der dich glücklich machen würde und einfach dein Leben genießen." Sie sah, wie er Luft holte, um noch etwas zu sagen, den Mund aber sofort wieder schloss, anscheinend nicht wissend, wie er sich ausdrücken sollte. „Leb wohl, Buffy." Und mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand schneller, als sie hätte reagieren können. Zu geschockt, um etwas zu tun, ließ Buffy nun ihren Tränen freien Lauf, als sie sich auf dem kühlen Boden des St. James's Parks in London, in einer Zeit, die sie zu hassen begann, niedersinken.

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„Lynn", zog Rose mit nachdenklicher Stimme die Aufmerksamkeit ihrer Freundin auf sich. „Was macht dein Bruder da?"

„Sag nicht, er sitzt schon wieder mit George Shaw zusammen und faselt über Gedichte, statt sich unter die Leute zu mischen." Rose konnte Lynn anhören, dass diese sich Sorgen um ihren großen Bruder machte.

„Nein, er sitzt allein da hinten in der Ecke und schreibt", beschrieb Rose die Handlungen William Atherbys. „Ist ihm eigentlich nicht bewusst, was die Leute über ihn sagen?" fragte sie mehr sich selbst, als Lynn, als sie plötzlich ein lautes Gemurmel hinter sich wahrnahm. Als sie sich umdrehte, konnte sie sehen, wie Cecily Underwood gerade ihren großen Auftritt genoss, indem sie die Treppe herabstieg, als wäre sie die Prinzessin, für die sie sich zweifelsfrei hielt. „Und hier kommt die Diva persönlich", konnte sie nicht umhin boshaft zu flüstern. „Was Will an ihr findet, möchte ich doch gerne mal wissen. Oh Gott, sie dir nur an, wie er magisch von ihr angezogen wird."

„Ja, wie die Motte vom Licht", schnaubte Lynn, ihren Bruder nicht aus den Augen lassend, während dieser sich einer Gruppe Gleichaltriger anschloss, und von ihnen in ein Gespräch ver­wic­kelt wurde, dessen Inhalt sie jedoch nicht verstehen konnte. Mit Entsetzen konnte sie jedoch se­hen, wie Daniel Gilbert William den verschmierten Zettel aus der Hand nahm und begann das Ge­dicht, das dort geschrieben war, so laut vorzulesen, dass es wirklich jeder verstehen konnte. Als die Worte ihr Gehör trafen, konnte sie nicht anders, als sich beschämt wegzudrehen, denn es war wirklich einfach nur schlecht, und für sie, die wusste, wer Williams Inspiration für diese schlech­ten Verse gedient hatte, war es auch noch absolut unverständlich. An der Art, wie Cecily sich peinlich berührt wegdrehte, konnte Lynn sehen, dass auch die zukünftige Erbin des Under­wood­vermögens wusste, dass sich William Atherbys Gedichte um sie drehten, und nicht von einer fiktiven Person handelten. Lynn konnte nicht anders, als die Augen verdrehen, als diese un­ver­schämte Person, leicht errötend, damit es auch wirklich jeder mitbekam, wie äußerst un­an­ge­nehm ihr die ganze Angelegenheit war, fast fluchtartig den großen Salon verließ und sich nun in einem der angrenzenden kleineren Salons „versteckte". Ungläubig musste Lynn mit ansehen, wie ihr Bruder sich wie ein verliebter Trottel aufführte, und Cecily wie ein gehorsamer Dackel folgte.

„Was tut er denn jetzt?" fragte Rose, die natürlich ebenfalls Zeugin der ganzen Szene ge­we­sen war. „Reicht es ihm denn nicht, dass er sich heute einmal zum Narren hat machen lassen, muss er auch noch einen oben drauf setzen?" Unwillkürlich fragte sie sich, ob es dieser Au­gen­blick gewesen war, den sie hatte kommen sehen, verwarf diesen Gedanken jedoch gleich wieder. Nein, wenn etwas geschehen würde, dann etwas viel Schrecklicheres, als sich vor Mitgliedern der Lon­doner Upper Class zum Narren abstempeln zu lassen. Das beherrschte William schließlich schon seit längerer Zeit mit Perfektion.

„Scheint wohl so", murmelte Lynn, als sie sah, wie Cecily lächelnd zurück zu ihren Gästen ging. Sie wartete einen Moment, dass William ihr folgen würde, doch zu ihrer Überraschung war ihr Bruder nirgendwo zu sehen. „Was denkst du, ist geschehen?" fragte sie in Roses Richtung, ern­tete jedoch nur einen hilflosen Blick. Entschlossen raffte sie ihre Röcke und ging, mit Rose im Schlepp­tau, zu dem kleinen Salon, in dem Cecily und William noch vor wenigen Augenblicken mit­einander gesprochen hatten. Erstaunt mussten sie jedoch feststellen, dass eine der Türen, die zum Garten des Hauses führten, sperrangelweit offen stand und von William keine Spur zu sehen war. „Was..." Ein bis dahin kaum gekanntes Gefühl kochte in Lynn Atherby hoch, als sich in ihr ein Bild zusammensetzte, was zwischen Will und Cecily vorgefallen sein könnte. Energisch und erhobenen Hauptes, stolzierte sie zu Cecily und deren Gästen.

„Miss Cecily, dürfte ich Euch wohl um ein Gespräch unter vier Augen bitten?" fragte Lynn so höflich, wie es ihr nur eben möglich war. Sie hatte nicht vor, hier vor all diesen Leuten eine Szene zu veranstalten. Damit wäre William auch nicht gedient.

„Aber natürlich, Miss... Lynn, richtig?" Das zuckersüße Lächeln auf Cecilys Gesichtszügen hät­te nicht falscher sein können, und Lynn musste alle inneren Kräfte mobilisieren, um dem star­ren Blick ihres Gegenübers nicht auszuweichen. „Meine Herren, entschuldigen Sie mich bitte für ei­nen Augenblick", hauchte Cecily ihren zahlreichen Verehrern zu. Sobald sie nicht mehr in de­ren Hörweite waren, verschwand jedoch auch das zauberhafte Lächeln von ihren Lippen. „Ich hof­fe, es ist wichtig, es könnte meinem Ruf schaden, wenn ich mit einer Debütantin gesehen werde."

„Oh, keine Sorge, Miss Cecily, die Leute werden denken, ich hole mir hilfreiche Rat­schlä­ge bei Euch." Auch Lynn besaß die Kunst des falschen Lächelns. „Was haben Sie zu meinem Bru­der gesagt?" Der knallharte Ton, mit dem sie diese Frage stellte, schaffte es, eine leichte Bläs­se auf Cecilys Antlitz zu zaubern. Diese hatte jedoch nicht vor, vor einer 16jährigen in die Knie zu gehen.

„Ich habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich keine Hoffnungen machen muss. Er steht sozial einfach zu weit unter mir." Lynn konnte es nicht fassen, dass Cecilys Stimme bei die­ser Aussage so klang, als habe diese gerade von Ferienerlebnissen berichtet. „Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, ich habe Gäste, um die ich mich kümmern muss." Nach diesen Worten rauschte Cecily davon und ließ Lynn wie angewurzelt stehen.

„Was hat sie gesagt?" Rose war sofort an der Seite ihrer Freundin, inzwischen mehr als besorgt über das, was vorgefallen war.

„Ich muss Will finden." Mehr sagte sie nicht, bevor sie ebenfalls durch die Gartentür in die Dunkelheit Londons verschwand und Rose allein zurückließ.

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Jeden Moment musste es soweit sein. Dru würde um die Ecke kommen, sich in den Stall be­geben und ihr tödliches Werk vollenden. Sich selbst hatte er vor wenigen Augenblicken, tränenüberströmt an diesem Ort Zuflucht suchen sehen. Eine Erfahrung, die alles andere, als beruhigend war, wie er fand. Jetzt musste er nur die Augen und Ohren offen halten und darauf warten, dass Dru endlich auftauchte. „Denn heute werde ich nicht dein Sielzeug werden", murmelte er in die Dunkelheit, die Tür zu Williams Versteck nie aus den Augen lassend.

„Will", hörte er plötzlich eine Stimme nur wenige Meter hinter sich, von der er sich sicher ge­wesen war, sie niemals wieder zu hören. Einen Moment drohten ihn seine aufgewühlten Emo­tio­nen zu überwältigen, doch er kämpfte das Gefühl der Ohnmacht zurück und drehte sich langsam um... und schaute direkt in das Gesicht seiner Schwester. Er wusste, sie konnte ihn nur schemenhaft erkennen, denn es war dunkel, und er stand im Schatten. Er jedoch konnte sie durch sein geschärftes Vampirauge genauestens betrachten, und ihr Anblick drohte sein totes Herz zu zerreißen. „Will, ist alles in Ordnung?"

Ihre Frage holte ihn in die Gegenwart zurück, und ihm wurde eiskalt bewusst, welcher Gefahr sie sich hier draußen ausgeliefert hatte, indem sie ihm nachgelaufen war. Ob sie das beim ersten Mal auch schon getan hatte? Irgendwie wusste er, dass dem so gewesen war. „Lynn." Ihr Name fühlte sich fremd auf seinen Lippen an, als er zum ersten Mal seit 120 Jahren die Möglichkeit hatte, das Wort an seine kleine Schwester zu richten. „Was machst du allein hier draußen? Es ist gefährlich hier allein herumzulaufen!" Innerlich betete er, wenigstens annähern so zu klingen, wie sein Alter Ego, um sie nicht zu alarmieren.

„Und für dich etwa nicht?" Er fragte sich, ob sie schon immer diesen weisen, warmen Ton draufgehabt hatte. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, und wollte nachsehen, wie es dir geht." In seinem Innern verkrampfte sich etwas bei diesen Worten. Einerseits war er gerührt, dass sie sich so sehr um ihn sorgte, aber auf der anderen Seite wurde ihm schlecht bei dem Gedanken, was hätte geschehen können, wenn Lynn ihn vor Dru gefunden hätte. Er zweifelte keinen Augenblick, dass das ihren Tod bedeutet hätte. Und jetzt drängte die Zeit. Lynn musste verschwinden, bevor Dru auf den Plan trat.

„Lynn, ich bin dir dankbar für deine Fürsorge, aber..." Er musste einen Moment überlegen, was er überhaupt sagen wollte. „Aber ich möchte im Augenblick lieber allein sein."

„Ich weiß, aber das viele Alleinsein ist nicht gut für dich, Will." Er konnte erkennen, wie sie versuchte ihm tief in die Augen zu sehen, doch es war einfach zu dunkel. Liebendgern hätte er die Hand nach ihr ausgestreckt, und doch wagte er es nicht. Wie hätte er ihr schon seine unnatürliche Kälte erklären sollen? „Hör mir mal zu, Will. Ich weiß, du bist in die verliebt, auch wenn ich nicht ganz verstehe, weshalb." Spike musste über den eher gemurmelten Zusatz lachen. Hätte er seine Schwester als William so sprechen gehört, hätte er vermutlich seinen Ohren nicht geglaubt. Heute jedoch empfand er ihre offene Art als sehr erfrischend. Es war gut zu wissen, dass sie keine zweite Cecily Underwood war. „Aber wenn du sie wirklich liebst, dann darfst du sie nicht gehen lassen. Kämpfe um sie und zeig ihr, was für ein Mann du bist. Nämlich, dass dein wahres Wesen nicht in deinem Äußeren steckt, sondern tief in dir drin." Sie schenkte ihm ein Lächeln, wie er es früher so oft an ihr gesehen hatte, und er konnte nicht anders, als ihren Worten Zugang zu seinem Inneren zu gewähren. Natürlich hatten sie einen anderen Effekt, als sie es beabsichtigt hatte, denn schon seit mehr, als 120 Jahren wusste er selbst nicht mehr, was genau ihn zu Lebzeiten an Cecily Underwood gereizt hatte. Dennoch erzielten ihre Worte Wirkung, als ihm statt der zimperlichen Brünetten, eine zierliche, sturköpfige Blondine plötzlich vor seinem inneren Auge erschien. Er sah sie vor sich, am Höllenschlund mit einem Dämon kämpfend, in der Mitte ihrer Freunde und Familie, sie lachte. Aber er sah sie auch hier in London, sah, wie sie beide angefangen hatte, sich mehr wie Freunde, als wie Feinde zu verhalten, den ersten Kuss, oder ihren Blick, als er ihr zum ersten Mal gesagt hatte, dass er sie liebte. Und mit jedem Bild, das sich in sein Bewusstsein stahl, konnte er die Sehnsucht weniger im Zaum halten.

Der Entschluss kam plötzlich und er hätte nicht einmal sagen können, welche Erinnerung seine vorherige Entscheidung zum Einsturz gebracht hatte. Vielleicht waren sie es alle zusammen gewesen, er wusste es nicht, es war ihm auch egal. Er wusste nur, dass ihm der Gedanke Buffy nie wieder zu sehen unerträglich war, und sich ihm bei der bloßen Vorstellung die Luft abzu­schnü­ren schien.

„Lynnie..."

„Ich weiß, ich weiß, du willst allein sein. Ich geh wieder zurück zu den Underwoods, sonst denkt Rose noch, ich hätte sie vergessen." Sie drehte sich um, und war schon fast fort, als Spikes Stimme sie noch einmal zurückhielt.

„Ich liebe dich, Lynn", sagte er ihr die Worte, von denen er sich 120 Jahre lang gewünscht hatte, sie wären das letzte gewesen, woran seine Schwester sich erinnert hätte, wenn sie an ihren toten Bruder dachte. Ihre Reaktion auf seine Worte bestanden in einem jugendlichen, unbe­schwer­ten Lachen, bevor sie sich endgültig von ihm entfernte. Er selbst wartete noch genau zwei Sekunden, bevor er sich in die entgegengesetzte Richtung wandte und geradewegs den St. James's Park ansteuerte.

Er konnte nicht mehr sehen, wie die dunkel, weibliche Gestalt den Stall, in dem William Atherby über die Liebe seines jungen Lebens weinte, betrat.

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Er konnte sie sehen, bevor sie ihn spüren konnte. Sie saß auf der feuchten Wiese, mitten im St. James's Park und wirkte verlorener, als er sie jemals gesehen hatte. Sein Herz, obwohl es schon vor Ewigkeiten aufgehört hatte zu schlagen, machte einen Satz vor Freude, als er sie sah. Im ersten Moment glaubte er, sie würde weinen, doch als er näher kam, konnte er keinerlei An­zei­chen dafür erkennen. Keine unregelmäßigen Atemzüge, keine leisen Schluchzer, die jeden, der sie hörte, in den Wahnsinn treiben mussten, keine Tränen, die sich langsam ihre Wangen ent­lang­fra­ßen. Absurderweise war er fast enttäuscht, sie nicht weinend und vollkommen aufgelöst vor­zu­fin­den, hätte die Vorstellung ihn niemals wiederzusehen bei ihr doch – ebenso wie umgekehrt bei ihm – ein Gefühl der Ohnmacht auslösen sollen. Er wagte einige weitere Schritte in ihre Rich­tung, noch immer nicht wissend, was er ihr sagen, wie er sich für sein Verhalten entschuldigen sollte. Ihm war bewusst, wie sehr er sie dadurch verletzt hatte, und jetzt, als er nur noch wenige Meter vor ihr stand, fürchtete er sich, von ihr zurückgestoßen zu werden. Was sollte er tun, wenn sie nicht gewillt war, ihm zu verzeihen, wenn sie nach Sunnydale zurückkehrten, und dort wieder die Feinde waren, als die sie hier in London angekommen waren. Es wäre schlimm – aber nicht so schlimm, wie ein Dasein ganz ohne sie. Solange er in ihrer Nähe war, konnte er um sie kämpfen. Entschlossen sich der Herausforderung zu stellen, legte er die wenigen Meter zu ihr noch zurück, noch immer nicht in ihr Blickfeld tretend, als er von hinten an sie herantrat.

„Ich wusste, dass du zurückkommst", verriet ihre leise Stimme ich, dass sie die ganze Zeit gespürt haben musste, dass er hinter ihr gestanden hatte. Sie drehte sich zu ihm um, ein glückliches Lächeln auf den Lippen. Ihre Hände bewegten sich gleichzeitig aufeinander zu und diesmal waren sie auf die plötzliche Dunkelheit vorbereitet, als sie das Bewusstsein verloren...

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... während nur wenige Kilometer von ihnen entfernt der junge Dichter erschöpft zu Boden ging, sein Mund blutverschmiert, aber mit einem zufriedenen, glücklichen Ausdruck um die Lippen, während sich seine Hand noch immer an dem kunstvoll gefertigten Kleid festkrallte, als die zweite Phase seines Daseins begann.

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Danke Sweety für die liebe Review, und keine Angst, ich werde sie bestimmt nicht so schnell leid ;)
Die Story neigt sich langsam aber sicher dem Ende entgegen, nur noch ein Kapitel und ein kurzer Epilog werden folgen.
lg, N.Snape