5
Die kommenden Tage sah ich Ellesar nicht wieder. Ich unternahm zwar viele Ausflüge in den Wald, aber ich traf ihn nirgends an.
Ich dachte viel über ihn nach. Ich mochte ihn. Zeitweise dachte ich sogar, ich würde mich nach ihm sehnen, aber ich glaubte eher, dass ich einfach mal wieder eine rauchen wollte.
Nach jenem Abend, an dem ich spät wiedergekommen war, beschäftige sich Legolas, zu meinem Leid, wieder mehr mit mir.
Eines Abends bestand er darauf, mich zu meinem Zimmer zu bringen. Ich dachte mir nichts weiter dabei, aber als ich ihm eine gute Nacht gewünscht hatte und mich zur Tür gewandt hatte, griff Legolas nach meinem Arm. Ich war erschrocken und wehrte mich nicht. Legolas drückte mich an die Wand und stellte sich vor mich, damit ich nicht weggehen konnte.
Ich war starr vor Schreck.
Legolas strich mit seinem Handrücken über meine Wange und säuselte:
„Wieso weichst du mir aus? Ist es nicht offensichtlich, dass ich dich mag! Lass es doch endlich zu, nicht so schüchtern!"
Ich wusste, was er beabsichtigte. Aber ich wollte es nicht. Verzweifelt versuchte ich ihn abzulenken:
„Äh, was meinst du? Ich für meinen Teil wollte gerade in mein Bett!"
Legolas ließ sich nicht beirren:
„Aber das wollte ich doch auch, in dein Bett!"
„Also, weißt du, du solltest in dein Bett gehen und ich in meins!"
„Ich liebe es, wenn du Witze machst!"
Mit diesen Worten kam Legolas immer näher an mich heran. Dann küsste er mich.
Ich konnte mich nicht wehren, er war stark und drückte mich gegen die Wand. Er konnte gut küssen, und doch war es mir unangenehm, wie er seine Lippen auf meine drückte. Dennoch genoss ich die Zärtlichkeit kurzen Augenblick, aber rasch viel mir ein, was ich – oder viel mehr er - tat.
Ich nahm all mein Kraft zusammen, stieß Legolas weg und brüllte ihn an:
„Was soll das! Was glaubst du wer du bist?"
„Huhu," entgegnete Legolas. „immerhin habe ich dich hier aufgenommen. Ein kleiner Dank wäre da schon angebracht! Also zier dich nicht so!"
„Das reicht Legolas!", sagte eine Stimme.
„Was willst du Ellesar? Verzieh dich, das hier ist meine Sache." erwiderte Legolas schroff.
Aus dem Schatten trat Ellesar und kam auf uns zu.
Dann wiederholte er:
„Es reicht. Lass sie in Ruhe!"
„Seit wann interessiert es dich, welche Frauen ich flachlege! Verschwinde einfach!", forderte Legolas Ellesar auf.
Ellesar sagte an mich gewand:
„Geh schon, Linwê! Ich regle das hier."
„Kommt nicht in die Tüte! Immerhin geht's hier um mich!", antwortete ich aufgebracht. Und an Legolas gewandt bemerkte ich: „Und von dir lass ich mich bestimmt nicht flachlegen!"
„Ich versteh schon, Kleine. Du willst dich lieber von meinem Bruder nageln lassen. Da hat er wohl auch mal Glück gehabt. Ich geh dann mal. Viel Spaß euch beiden. Und Linwê, falls du dir es anders überlegst, du weißt ja, wo du mich findest."
Legolas drehte sich um und schlenderte davon.
Wütend fauchte ich ihm hinterher:
„Nein, weiß ich nicht. Will ich aber auch nicht wissen!"
Ich war davon überzeugt, dass Legolas mich gehört hatte, da Elben bekanntermaßen erstaunlich gute Ohren hatten, aber es kümmerte mich nicht.
Ellesar sah mich an und erkundigte sich, ob bei mir alles in Ordnung sei.
„Jaja, alles bestens. Danke, für deine Hilfe." erwiderte ich leise.
„Kein Problem, Gute Nacht!"
Ellesar war schon fast am Ende der Flurs, als mir einfiel, dass er etwas zum rauchen besaß und ich schon lange Keine mehr geraucht hatte. Hastig lief ich ihm nach. Er war schon abgebogen und als ich kurz vor der Ecke war. hörte ich Legolas' Stimme. Ich bremste und schlich dann achtsam weiter. Vorsichtig schaute ich um die Ecke. Als ich aufsah, erkannte ich, dass Legolas Ellesar direkt gegenüber stand. Er sah sehr wütend aus.
„Was willst du noch, Legolas?", fragte Ellesar.
„Was ich noch will! Du hast mir die Braut ausgespannt! Weißt du, was für eine Arbeit es ist, ein so unschuldiges Mädchen zu verführen!", machte Legolas ihm klar.
Ich stutze, hatte er gerade gesagt, dass ich unschuldig wäre! Ich war beinahe entrüstet.
„Ich weiß nicht, was du willst? Sie ist nun mal nicht so eine Schlampe, wie du sie gerne hast! Sie ist was besonderes und sollte nicht von dir besudelt werden!"
In diesem Moment spürte ich einen Stich in meinem Herz. Er hielt mich also für etwas besonderes; ich wusste gar nicht, dass ich ihm so viel bedeutete.
„Uh, du bist wohl ernsthaft verknallt! Wie süß! Aber früher oder später wird sie doch mit mir in der Kiste landen. Du wirst schon sehen. Nun denn, Ellesar! Gute Nacht!", lachend ging Legolas davon.
„Wie lang stehst du schon dort?"
„Seit wann hast du mich bemerkt?"
„Beantworte zuerst meine Frage!"
„Lange genug um zu wissen, dass du mich für etwas besonderes hältst."
„Hm, kommst du mit eine rauchen?"
Ich grinste unbemerkt und antwortete:
„Gern!"
Zögernd folgte ich Ellesar zu den Ställen. Er holte sein Pferd heraus und wir ritten zu der Lichtung, an der wir uns zum ersten Mal getroffen hatten. Auf dem Weg dorthin, zog der Himmel zu und es begann zu donnern.
Wir setzten uns an den Waldrand und rauchten schweigend unsere Zigaretten.
Wir saßen schon eine Weile schweigen da, als es schlagartig anfing zu blitzen.
Ellesar sah besorgt in den Himmel.
„Was ist? Stimmt etwas nicht?", erkundigte ich mich.
„Nein, es ist alles in Ordnung. Aber wir sollten uns auf den Rückweg machen. Es fängt bald an zu regnen." erwiderte Ellesar und stand auf.
Gerade als wir aufgestiegen waren platschte mir der erste Regentropfen auf die Nase. Völlig durchnässt kamen wir am Palast an. Schnell rannten wir hinein. Ellesar sah wortwörtlich wie ein begossener Pudel aus. Ich fing an, schallend zu lachen.
Ellesar hingegen fand es wohl doch nicht so lustig und knurrte:
„Als ob du besser aussehnen würdest!"
„Ist ja schon gut! Es ist eben eine witzige Situation! Na los, wir sollten uns abtrocknen." prustete ich.
Ellesar begleitete mich noch zu meinem Zimmer und ging.
Am nächsten Tag hatte ich einen ordentlichen Schnupfen. Mit triefender Nase wandelte ich durch die Gegend. Ich hatte gerade beschlossen mich auf die Suche nach Ellesar zu machen, besser gesagt nach seinen Zigaretten, als ich ihm auf dem Flur begegnete.
„Dich hab' ich gesucht!", schnell blickte ich mich um und fuhr flüsternd fort: „Könnten wir nicht irgendwo rauchen gehen?"
„Ich glaube, du solltest eher in dein Bett gehen, anstatt Waldspaziergänge zu veranstalten.", entgegnete Ellesar.
„Wieso? Mir geht's ... ha- ha- hatschi ... blendend!"
Ellesar lachte auf und meinte:
„Ja, sicher! Na los, geh ins Bett, ich komm dich auch nachher mit einem Tee besuchen!"
In stiller Hoffnung, dass es ein 1-Löffelchen-Tee-und-der-Rest-Jack-Daniels- Tee war, tat ich, wie mir geheißen.
Enttäuscht über die Tatsache, dass ich keine Zigaretten hatte, trottete ich in mein Bett zurück. Ellesar hielt sein versprechen und kam mich mit dem Tee besuchen. Leider war er total bitter und ohne einen Schuss Alkohol.
Als Ellesar vorhatte zu gehen, wollte ich mich gerade beschweren, als er mir einen Kuss auf den Mund gab. Es war nur ein kurzer, flüchtiger Kuss, dennoch büßte er nichts an Zärtlichkeit und Wärme ein. Er murmelte noch ein ‚Gute Besserung' und verließ das Zimmer. Ich blickte ihm nach, selbst als er längst verschwunden war, starrte ich noch auf die Tür.
War das wirklich nur ein Gute-Besserung-Kuss gewesen, oder empfand er etwa doch mehr für mich!
