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Ich dachte den ganzen Tag darüber nach. Warum beschäftigte es mich so? Konnte es sein, dass ich etwas mehr für ihn fühlte und ich ihn nicht nur als ‚Kippenautomat' sah!

Ich wusste nicht, warum es mich so bewegte.

Ich sah Ellesar während meiner Krankheit nicht wieder. Als ich endlich wieder gesund war, teilte mir Legolas mit, dass ich von nun an bei Elrond in Bruchtal leben solle, da ich mein Gedächtnis offenbar nicht wiedergefunden hatte.

Betrübt suchte ich meine Sachen zusammen. Es war nicht viel. Ich fand meine Jeans wieder, die ich beim Erwachen in Düsterwald getragen hatte.

Gedankenverloren durchsuchte ich die Taschen und stieß auf einen Songtext, den ich total betrunken, in der Bar auf eine Serviette geschrieben hatte. Ich las ihn durch und ich erinnerte mich an die Zeit, in der ich noch Carry gewesen war. Ich begann meinen Lieblingssong zu singen, den ich selbst geschrieben und komponiert hatte. Es sollte meine Debütsingle werden. Aber ich hatte den Durchbruch ja nicht geschafft wegen diesem Herr der Ringe – Film und Peter Jacksons Entscheidung.

Ich sank auf das Bett und versuchte mir vorzustellen, wie es wohl gewesen wäre, wenn Peter Jackson an jenem Tag nicht zu mir gekommen wäre, um mir zu sagen, dass er sich doch für Enya entschieden hatte und ich nicht total betrunken gegen die Mauer gefahren wäre.

Dann wäre ich jetzt wohl ein großer Star, würde vielleicht auf der Bühne im Kodak - Theatre singen und den Oskar für die beste Filmmusik einheimsen. Wäre auf Amerika Tour und würde jede Menge Autogramme geben. Ich würde täglich hart für meine Bühnenshow arbeiten und mein zweites Nummer Eins Album aufnehmen. Die größten Stars würden mir Blumen und Pralinen schicken und mir zu meinem Erfolg gratulieren.

Stattdessen war ich in meiner Welt gestorben und saß jetzt in Mittelerde fest. Mit zwei Brüdern, von denen der eine ein notgeiler Elb war, der mich flachlegen wollte und der andere jemand, den ich kaum kannte, der aber eine seltsame Faszination auf mich ausübte.

Und jetzt sollte ich ein unsterbliches Leben als Elb führen, dass niemals enden würde. Völlig uninteressant, jeden Tag dieselbe Leier und keine Abwechslung.

Bei dieser Vorstellung sprang ich auf. Das war das letzte, was ich wollte. Es war nun wirklich nicht meine Art, sich auf ein solches Leben einzulassen.

Ich zog mein Kleid aus und schlüpfte in meine alten Kleider. Dann ging ich schnell hinaus zu den Ställen, nahm mir ein Pferd und wollte Düsterwald so schnell wie möglich verlassen. Was mir tatsächlich gelang.

Tagelang irrte ich umher, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wo ich war. Mein Lembas, das ich mir eingepackt hatte, ging langsam zur neige und ich bereute es, keine Waffe bei mir zu haben, um mir etwas zu Essen zu fangen oder mich gegebenen Falls zu verteidigen.

Ich ritt weiter und ernährte mich von Beeren.

Eines Abends, als ich mir einen Platz zum Übernachten suchte, erblickte ich am Horizont eine Bergkette. Ich wusste sofort, dass es nur das Nebelgebirge sein konnte.

Am folgenden Abend hatte ich den Fuß des Gebirges erreicht. Ich suchte mir einen sicheren Rastplatz und bereitete mein Nachtlager vor. Gerade als ich mich hingelegt hatte und die Augen schließen wollte, hörte ich ein seltsames Geräusch. So leise wie möglich stand ich wieder auf, suchte mir einen Stock, damit ich mich wehren konnte und versteckte mich hinter einem Baum, um einen guten Blick auf mein Lager zu haben, ohne gesehen zu werden.

Ich musste nicht lange warten, bis ein Schatten zwischen den Bäumen hervortrat. Konzentriert und bereit sofort zuzuschlagen, umklammerte ich mit den Händen den Stock.

Die Person schien etwas zu suchen, denn sie blickte angestrengt auf den Boden. Gerade als sie sich umdrehte und den Kopf hob, wollte ich hinter dem Baum hervorspringen und sie niederstrecken. Doch just in diesem Moment fiel das Mondlicht auf das Gesicht der Person und ich erkannte Ellesar.

Verblüfft ließ ich den Stock sinken. Was wollte er? Suchte er mich etwa? Aber ich wollte nicht gefunden werde. Ohne lange zu überlegen, drehte ich mich um und verschwand lautlos zwischen den Felsen. Ich kletterte die ganze Nacht über Felsen, immer bergauf. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass er mich entdeckt hatte und verfolgte.

Als die Sonne aufging sank ich erschöpft auf einen Stein. Ich sah nach oben zur Spitze und erkannte, dass ich noch viel vor mir hatte. Entkräftet ließ ich meinen Kopf sinken, schloss kurz die Augen, um mich auszuruhen. Dann kletterte ich weiter.

Aber ich war zu müde. Ich tat einen unbedachten Schritt und glitt auf dem abbröckelnden Gestein aus. Verzweifelt versuchte ich mich irgendwo festzuhalten, schaffte es aber nicht. Ich rutschte den Abhang hinunter und kam erst wieder zum Halt, als ich gegen einige hochragende, spitze Felsen prallte.

Doch ich hatte schon längst das Bewusstsein verloren und wusste nicht, was danach geschah.