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Als ich erwachte, sah ich einen sternenklaren Nachthimmel. Plötzlich fiel mir ein, was geschehen war und wollte mich aufrappeln. Da erinnerte ich mich auch an meine Schmerzen, die ich vor meiner Ohnmacht gehabt hatte.
Ich versuchte meinen Kopf zu bewegen, um zu sehen, wo ich war, als eine, für mich weit entfernt klingende, vertraute Stimme sprach:
„Du solltest dich nicht bewegen. Du bist schwer verletzt."
Erschöpft versuchte ich zu antworten, aber ich brachte kein Wort heraus. Dann sah ich endlich das Gesicht zu dem die Stimme gehörte, es war Ellesar's Gesicht.
Er lächelte mich an und sagte:
„Keine Sorge, Morgen bringe ich dich nach Bruchtal und dort wird Elrond dich schon wieder zusammenflicken!"
Ich wandte meinen Blick ab, ich wollte ihm nicht in die Augen schauen, ich hatte ihn bestimmt sehr verletzt. Ich wünschte mir, dass ich jetzt meinen Arm hätte bewegen können, um mir die Tränen abzuwischen.
Als Ellesar mich auf sein Pferd hob, war es noch früh am Morgen. Er wollte mich so schnell wie möglich nach Bruchtal bringen. Auf dem Weg dorthin verlor ich wieder die Besinnung.
Dort angekommen kümmerte sich sofort, wie man mir später berichtete, Elrond um mich.
Als ich wieder aufwachte, tupfte mir gerade eine wunderschöne, aber mir unbekannte, Frau die Stirn ab.
„Wer bist du?", flüsterte ich.
„Ich bin Arwen, Elronds Tochter." erwiderte sie ruhig.
„Danke!"
Arwen lächelte mich an und erklärte mir:
„Bedanke dich lieber bei Ellesar, immerhin hat er dich gefunden und hergebracht."
Ich schloss wieder die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Viele Tage vergingen, bis ich wieder laufen konnte. Aber ich hatte noch große Schmerzen, bei meinen Gehversuchen. Ellesar hatte mich die ganze Zeit nicht besucht, aber von Arwen erfuhr ich, dass er noch in Bruchtal war.
Eines Nachts konnte ich wegen meiner Schmerzen wieder einmal nicht schlafen, also stand ich auf und tastete mich langsam zur Tür. Ich wollte mir etwas zu Trinken holen, in der Hoffnung, dann einschlafen zu können.
Nachdem ich mir in der leeren Küche etwas zu trinken geholt hatte, ging ich wieder zurück, machte aber auf dem Weg eine Pause. Da das Laufen für mich noch eine große Qual war, lehnte ich mich an eine Wand und blickte hinaus auf das schlafende Bruchtal.
Erschrocken drehte ich mich um, als ich angesprochen wurde:
„Warum bist du nicht im Bett?"
Regungslos standen Ellesar und ich uns gegenüber.
Als ich nicht antwortete, sagte er:
„Geh wieder in dein Bett. Es ist spät und du bist noch nicht gesund."
„Ich – ich habe mir was zu trinken geholt." erwiderte ich, in der Hoffnung mich damit rechtfertigen zu können.
„Dann geh jetzt wieder in dein Bett." beharrte Ellesar.
„Es tut mir leid."
„Was tut dir leid?"
„Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe." sagte ich mit Tränen in den Augen.
„Du hast mich nicht enttäuscht. Aber jetzt geh endlich in dein Bett!"
Ellesar drehte sich um und ging. Ich wollte auch gehen, aber meine Beine gehorchten mir nicht. Ich konnte sie nicht bewegen. Plötzlich gaben sie nach und ich sank auf den Boden.
Ellesar drehte sich wieder um und als er sah, wie ich weinend auf dem Boden saß, stürzte er sofort auf mich zu. Er setzte sich neben mich auf den Boden und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
„Es tut mir so leid!", schluchzte ich.
Ellesar nahm mich in den Arm und streichelte mir über den Kopf.
„Ich weiß."
„Danke, Ellesar."
Ellesar hob mich auf und trug mich in mein Zimmer zurück, dort legte er mich ins Bett und verließ das Zimmer.
Als Elrond am Morgen hereinkam, wurde er von Ellesar begleitet. Elrond sah kurz nach mir und verschwand dann wieder.
Ellesar aber setzte sich ans Ende des Bettes und fragte:
„Warum bist du weggelaufen, von Düsterwald und am Nebelgebirge?"
So schwer war mir noch nie eine Antwort gefallen und schließlich sagte ich:
„Weil ich kein Elb mehr sein wollte. Und ich wollte mein altes Leben wiederhaben."
Erstaunt sah mich Ellesar an:
„Wie meinst du das? Erinnerst du dich etwa an dein altes Leben?"
„Natürlich, an jedes Detail! Aber deswegen hättet ihr es mir nicht wieder geben können."
„Du kennst dein altes Leben! Aber warum hast du das nicht gesagt?"
„Wie gesagt, ihr könnt es mir nicht wiedergeben."
Wir schwiegen, wusste nicht, was wir sagen sollten. Und endlich fragte Ellesar:
„Warum? Warum können wir es dir nicht wiedergeben?"
„Weil es nicht einmal in Mittelerde stattgefunden hat. Es war eine ganz andere Welt. Dort gibt es nur Menschen und normale Tiere wie Hunde und Katzen. Ich war dort ein Mensch, kein Elb." Ich machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Außerdem bin ich, glaube ich, gestorben und dann auf der Lichtung aufgewacht."
Plötzlich lachte Ellesar.
„Du willst mich für dumm verkaufen, oder!"
Verständnislos sah ich ihn an, er glaubte mir nicht. Dabei hatte ich gedacht, dass gerade er mich verstehen müsste.
„Nein, ich lüge dich nicht an! Ich – ich sage die Wahrheit!"
Nach diesen Worten lachte Ellesar nicht mehr. Ernst sah er mich an und fragte:
„Und du sagst auch wirklich die Wahrheit, Linwê?"
„Natürlich!"
Langsam sagte Ellesar:
„Gut, ich glaube dir. Aber alle anderen werden es nicht tun!"
Erleichtert sah ich ihn an:
„Das ist mir egal! Hautsache du glaubst mir."
Wir lächelten uns an und plötzlich flog die Tür auf.
Zu unserer Überraschung kam Legolas schwungvoll hereinspaziert.
„Linwê, mein Schatz! Was ist nur geschehen! Du kannst nicht vor deinen Gefühlen zu mir davonlaufen! Gib sie zu und komm in meine Arme."
Ratlos blickten wir zu ihm. Legolas schien, im Eifer des Gefechts, Ellesar nicht bemerkt zu haben und sah ihn nun ratlos an.
„Was machst du denn hier?"
„Dasselbe könnte ich dich fragen, Bruderherz!"
„Ich komme nur, um meine Herzensdame zu besuchen." erwiderte Legolas auf seine arrogante Art. Und dann sagte er an mich gewandt:
„Würdest du uns für einen Augenblick entschuldigen?"
Dann zog er Ellesar hinaus.
Das hätten sie sich sparen können, denn sie redeten vor meiner Tür so laut, dass ich sie gut hören konnte. Kaum war die Tür zu, fuhr Ellesar Legolas an:
„Was soll das? Hast du immer noch nicht verstanden, dass sie nichts von dir will?"
„Oh bitte, Ellesar! Die Kleine ist total heiß auf mich! Sie ist doch nur weggelaufen, um sich den schmerzhaften Abschied von mir zu ersparen! Du wirst sehen, dass sie gleich in meine Arme sinken wird."
„Das glaubst auch nur du! Lass sie endlich in Ruhe!"
„Du bist doch nur eifersüchtig! Was kann ich denn dafür, dass du zu blöd bist dir eine Tussi anzulachen! Ich werde heute Nacht auf jeden Fall sehr viel Spaß mit Linwê haben!"
„Wie war das? Das kannst du nicht machen, Legolas!"
„Und wie ich kann!"
„Selbst wenn sie wollte, wäre es unmöglich! Sie hat noch schmerzen. Linwê ist froh, wenn sie sich wieder auf den Beinen halten kann!"
„Die heiße Gefühle, die sie für mich hat, werden sie jeden Schmerz vergessen lassen."
Das war mir dann doch zu viel; ich musste mich rechtfertigen.
Mühsam kletterte ich aus dem Bett. Ich nahm mir die Krücken, die mir Elrond gegeben hatte und ging so leise wie möglich zur Tür. Die beiden bemerkten mich nicht, da sie immer noch heftigst diskutierten. Mit letzter Kraft riss ich die Tür auf. Dort standen sich Legolas und Ellesar mit geballten Fäusten gegenüber. Als ich ihnen auffiel, hielten sie sofort mit ihrem Streitgespräch inne.
„Legolas, das Letzte, das ich mit dir tun würde, ist mit dir zu schlafen. Du bist wirklich der größte Idiot, den ich kenne und ich werde mich hüten, mit dir etwas anzufangen. Versteh mich nicht falsch, ich bin dir dankbar, dass du mich zuerst aufgenommen hast, aber deswegen werde ich trotzdem nicht mit dir schlafen! Ist das jetzt klar!", schnaubte ich, mit letzter Kraft.
„Ist das dein letztes Wort?", fragte mich Legolas.
„Ja!", betonte ich laut und deutlich.
„Gut, dann noch viel Spaß mit dem Loser hier!"
Bei diesen Worten nickte Legolas zu Ellesar hin und schlenderte davon. Aber ich konnte mich trotz Krücken nicht länger auf den Beinen halten und brach zusammen.
Ich kniete auf dem Boden und keuchte Ellesar zu:
„Danke, dass du mich verteidigt hast!"
„Ist doch klar!", erwiderte er und half mir in mein Bett zurück. „Aber du musst mir versprechen, ab jetzt nur noch aufzustehen, wenn Elrond es dir ausdrücklich erlaubt!"
„Natürlich! Aber auch nur, wenn du mich ab sofort täglich besuchst!", antwortete ich lachend.
„Gut, abgemacht!"
Wir gaben uns die Hand darauf und wir hielten unsere Versprechen. Ellesar kam mich jeden Tag besuchen und blieb oft stundenlang. Er erzählte mir Geschichten aus seinem, deutlich längerem, Leben und unterstütze mich bei meinen Gehversuchen.
Ich wurde schnell wieder gesund und Elrond war der festen Überzeugung, dass dies nur Ellesars Unterstützung zu verdanken war.
