Kapitel 2

Mit einem Schlag war Harry wach. Mit gehetztem Blick saß er sofort kerzengerade in seinem Bett, und wollte nach seinem Zauberstab greifen, als die Matratze unter dem gespaltenen Holz nachgab. Krachend wurde Harry unter den Trümmern seines Bettes begraben.

„Tut mir echt leid, Mann.", hörte er Rons Stimme gedämpft.

„Halt die Klappe, und befreie mich aus diesem Haufen.", gellte er zurück.

Von seinen anderen Zimmergenossen konnte er schallendes Gelächter vernehmen.

Ron musste wohl irgendeinen Zauberspruch angewendet haben, um sein Bett in Stücke zu zerteilen, anders konnte er es sich nicht vorstellen. Er musste wahnsinniges Glück gehabt haben, denn er hatte keinen einzigen Kratzer abbekommen.

„ Harry! Das habe ich jetzt wirklich nicht mit Absicht gemacht.", meinte Ron entschuldigend, als er Harry befreite und ihm hoch half.

„Also, wenn es keine Absicht war, hast du es wohl doch sehr gut hinbekommen mich aufzuwecken.", sagte Harry schmunzelnd.

Ron zuckte mit den Achseln. „Ja das wollte ich eigentlich auch. Ich habe nur versucht deinen Baldachin auf dich runter fallen zu lassen, doch irgendwie kam das Gerüst gleich mit, und das ganze Bett ist auseinander gebrochen."

„Du hättest dich sehen sollen, Harry.", rief Seamus, gefolgt von dem Gelächter von Neville und Dean.

„Das war erste Sahne!", kommentierte Dean. „So ein Aufstehen könnte ich mir jeden Tag vorstellen."

„Ja, vor allem, weil ich dabei draufgehen hätte können.", schnaubte Harry. „Solche Ebenholzbalken sind nicht aus Schaumgummi."

Auf Rons schuldbewusste Mine hin, fügte er hinzu: „Aber wir können es ja mal bei den Mädchen drüben probieren."

Scherzend machten Ron und Harry sich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum, wo Hermine schon auf sie wartete und machten sich auf in die Große Halle.

„Was war da oben los?", fragte sie besorgt.

Harry und Ron brachen abermals in Gelächter aus, als sie Hermine davon erzählten.

„Du weißt, dass Harry sich alles hätte brechen können.", sagte Hermine.

„Hat er aber nicht.", konterte Ron. „Also, ich brauche jetzt mal ein Frühstück. Ich sterbe vor Hunger..."

Harry und Hermine warfen sich bedeutende Blicke zu, und folgten Ron, der schon aus dem Portraitloch geschlüpft war.

„Hey Kumpel, schau mal wer da gerade so stolz die Türe hereinkommt.", meinte Ron zwischen zwei Bissen von seinem Schinken- Eiertoast.

„Malfoy.", zischte Harry.

„Also, ich würde das unbedingt der McGonagall melden. Du weißt schon, die Sache wegen gestern..."

„Ich glaube nicht, dass das nötig ist, Ron.", sagte Hermine mit wichtiger Mine. „Bei dem, was er angestellt hat, ist es ein Wunder, dass er überhaupt noch an der Schule ist. Das kann beim besten Willen auch Snape nicht mehr durchgehen lassen."

„Da haben Sie vollkommen Recht, Miss Granger.", ertönte die forsche Stimme von Minerva McGonagall, ihrer Hauslehrerin. „Der Schulleiter wünscht Sie, Mr. Potter nach dem Frühstück in seinem Büro zu sprechen. Ach ja, Ihre Stundenpläne. Und vergessen Sie nicht, Prof. Dumbledore hat eine Schwäche für Lakritzschnecken."

„Besser kann ein Tag für dich nicht beginnen, Harry.", meinte Ron. „Wir haben die ersten zwei Stunden Zaubertränke. Ich wäre zu gerne in deiner Haut, Mann. Zaubertränke könnte mir gestohlen bleiben."

„Dann hättest du es besser abgewählt.", fuhr Hermine dazwischen.

„Ich will Auror werden. Da braucht man Zaubertränke."

„Das weiß ich, Ron."

„Also, ich geh dann mal.", warf Harry dazwischen.

So stand er auf, und verließen gefolgt von zwei sturmtobenden Augen, die Große Halle.

„Ich hätte dir sagen können, dass du da nicht ungeschoren raus kommst.", flüsterte Blaise seinem Freund zu.

„Und für dich wäre es am besten, wenn du einfach mal die Klappe hältst.", knurrte Draco zurück.

„Wie stellst du dir das vor? Soll ich andauernd die Hände auf meinen Mund gepresst halten?"

„Mach hier nicht den Komiker, Zabini. Und nein, das ist nicht nötig, denn dafür gibt es ein paar wunderschöne Flüche. Wenn du mich jetzt entschuldigst.", fauchte Draco.

Blaises Augenbrauen zogen sich finster zusammen. Es war immer das Selbe mit Draco. Er konnte sich noch zu gut an die ersten drei Jahre in Hogwarts erinnern. Damals waren sie gute Freunde gewesen, doch mit einem Schlag musste sich Draco das allerdings anders überlegt haben. Genaugenommen, hatte das angefangen, als der Dunkle Lord die Macht wieder erlangt hatte.

Seid diesem Zeitpunkt hatte Draco ihn öffentlich nur noch als Zabini angesprochen, und sich völlig kalt gegeben. Draco war noch nie mit vielen befreundet gewesen, und als er sich Crabbe und Goyle gegenüber plötzlich anders benommen hatte, hatte er es als eine von Dracos üblen Launen abgetan. Doch er hatte sich auch von ihm, Blaise Zabini abgewandt.

Die Momente in denen sie sich Geheimnisse anvertrauten waren immer seltener geworden. Eigentlich wusste er kein bisschen mehr über Dracos Leben bescheit. Und obwohl sie erst einen Tag in der Schule waren, merkte er, dass sich seit dem letzten Schuljahr noch viel mehr geändert hatte. Draco hatte bis jetzt jegliche Versuche an ihn heran zu kommen abgeblockt. Aber immerhin kannte er ihn doch schon 8 Jahre lang, und war immer derjenige gewesen, der sich in Dracos Gefühlschaos zurecht gefunden hatte. Und so war er sich ziemlich sicher, dass es etwas mit dem Dunklen Lord auf sich haben musste.

Er würde bestimmt nicht so schnell aufgeben, und seinen besten Freund laufen lassen. Nein, das würde er nicht.

Draco war bemüht darum, seine kalte Maske aufrecht zu halten, als er hoch zu Dumbledores Büro lief.

Er fragte sich, wie er dieses Jahr durchhalten würde, wenn es jetzt schon so unberechenbar anfing. Er wusste genau, dass er Dumbledore nicht in die Augen sehen konnte, und ihm war mehr als bewusst, dass er es musste.

Ihm platzte jetzt schon fast der Kopf. Er konnte es sich nicht leisten, sich irgendjemanden anzuvertrauen, nicht mal mehr Blaise, so Leid es ihm tat. Dracos Mine verfinsterte sich drastisch. Ja, es tat ihm Leid, aber eigentlich tat es ihm mehr Leid um sich. Er wusste genau, dass er irgendwann diesem Druck nicht mehr standhalten können würde, aber das war jetzt nicht wichtig.

Kurz hielt er vor Dumbledores Wasserspeicher an, straffte seine Schultern, bevor er das Passwort nannte, und sich von der Treppe hinauftragen ließ.

Harry war schon da, als Draco eintrat. Er saß auf einem Sessel vor dem Schreibtisch. „Nun gut, dann können wir ja anfangen. Setzen Sie sich Mr. Malfoy.", sagte Dumbledore.

Der Schulleiter deutete auf einen Stuhl neben Harry.

„Danke, ich bevorzuge es, zu stehen."

„Sind Sie sicher?"

Draco hob als Antwort nur eine Augenbraue.

„Nun Mr. Malfoy.", fing Dumbledore an. Seine Stimme war eine Spur kälter als sonst. „Sie wissen sehr wohl, dass Ihr gestriges Handeln im Hogwartsexpress äußerst unreif von Ihnen war. Und Sie sind sich wohl bewusst, dass Sie dafür bestraft werden müssen."

Draco blickte in Dumbledores strahlend blaue Augen, und sagte ohne der Spur jeglicher Reue: „Natürlich, Sir."

Harry warf ihm einen äußerst ungläubigen Blick zu, was Draco abermals mit dem Zucken einer Augenbraue quittierte.

„Punkteabzüge und weiteres werden Ihre beiden Hauslehrer besprechen, das soll nämlich nicht meine Aufgabe sein. Bevor es allerdings dazu kommt, möchte ich wissen, was Sie Mr. Malfoy, zu den Gegebenheiten sagen.", fuhr Dumbledore fort. „Mr. Potter war bereits so freundlich, mir die Umstände zu erläutern."

Oh ja, Draco konnte sich nur zu gut vorstellen, was Potter alles zu seinem besten gegeben hatte. „Ich habe nichts dazu zu sagen.", meinte er daher arrogant. „Sie wissen so wie so schon über die Umstände bescheid, und haben alle „Zeugenaussagen" gehört, was soll ich also noch zu sagen haben?"

Ihm war es Lieb, so schnell wie möglich aus diesem Zimmer rauszukommen. Er konnte es schlichtweg nicht ausstehen, wie sich die Stimmung in diesem Raum zusammenbraute.

„Ich werde bestimmt nicht auf die Knie fallen, und mich entschuldigen. Es tut mir nicht leid, und das wird es auch nicht tun. Ich habe getan, was ich getan habe, und das lässt sich nicht ändern.", sagte Draco emotionslos.

Dumbledore besah ihn mit einem aufmerksamen Blick.

„Ich will auch gar nicht, dass du dich dafür entschuldigst.", meinte Harry. „Eigentlich ist es mir so ziemlich egal. Ich will nur, dass deinem arroganten Reinbluta-."

„Danke, ich glaube das reicht, Harry.", fuhr Dumbledore dazwischen.

„Mr. Malfoy.", sagte Dumbledore. „Ich will Ihre Haltung dies bezüglich nicht akzeptieren. Ich kann sie auch nicht akzeptieren. Ich weiß sehr wohl, dass Sie vom Vertrauensschüleramt abgesetzt wurden, das soll jedoch nicht heißen, dass Sie tun und lassen können, was Sie wollen. Haben Sie mich verstanden? Es mag banal sein, von einem 16 jährigen Schüler zu erwarten, sich zu entschuldigen, da sich in diesem Alter die eigene Persönlichkeit schon sehr weit einen eigenen Weg eingeschlagen hat, aber ich tue es dennoch. Und ich will kein Wort von wegen Freiheitsberaubung, oder Selbstbestimmungsrecht hören. Als Schulleiter verlange ich das von Ihnen. Ich möchte Ihnen noch eine Chance geben, zu beweisen, dass Sie nicht so sind, wie Sie sich geben."

Harry saß buchstäblich auf Nadeln, und blickte mal von Dumbledore zu Malfoy. Wie in Zeitlupe konnte man die Gefühlsregungen in Dracos Gesicht erkennen, die sich von Gleichgültigkeit zu Erschrockenheit und Wut wandelten. „Wagen Sie es nicht, meinen Vater zu beleidigen.", spie er hervor. „WAGEN SIE ES VERDAMMT NOCHMAL NICHT."

Unschlüssig was er tun sollte, ballte Draco seine Hände und ließ sie wieder locker, als er schließlich zur Tür rannte, und sie schwungvoll öffnen wollte. Dass er sich dabei allerdings beinahe seinen Arm herausreißen würde, hätte er nicht gedacht. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter.

Furios wirbelte er herum, und funkelte Dumbledore an. „Lassen Sie mich raus.", wisperte er gefährlich leise.

„Draco, ich hatte nicht vor, deinen Vater zu beleidigen. Und denk daran, deine Entschuldigung ist fällig. Und zwar eine ehrliche. Draco, glauben Sie ja nicht, dass ich nicht dazu fähig bin, zu wissen ob Sie sich ehrlich entschuldigen. Sie haben eine Chance, und sollten Sie diese nicht korrekt nutzen, blüht Ihnen etwas. Nehmen Sie mich ernst.", sagte Dumbledore ruhig.

Diesmal öffnete sich die Türe schwungvoll und Malfoy stürzte hindurch.

Harry blickte zu Dumbledore als auch er aufstand. „Ich geh dann mal. Ich will keinen Ärger mit Snape bekommen. Nicht am ersten Schultag."

„Dann los. Und Harry, Professor Snape.", lächelte der Schulleiter.

Als Harry die Kerkertüre öffnete, blickte er sich nach Snape um, doch als er den neuen Professoren Slughorn entdeckte, entschuldigte er sich kurz für die Störung, und wandte sich verwirrt um.

„Harry.", hörte er Hermine wispern.

„Ah, Mr. Potter.", flötete Slughorn. "Sie sind selbstverständlich nicht falsch. Ich unterrichte von nun an das Fach der Tränke. Schließlich war ich es, der damals auch Snape unterrichtet hat. Also setzen Sie sich, dann können Sie sofort mitmachen."

Harrys Gesicht hellte sich auf. Schnell ließ er sich auf den freien Platz neben Ron nieder. Ihm fiel auf, dass nur sehr wenige Zaubertränke weiter belegten. Er fand, dass war auch kein Wunder. Wer wollte schon freiwillig bei Snape Unterricht haben. Zu seiner Freude sah er, dass Malfoy anscheinend nicht da war.

„Malfoy belegt Zaubertränke nicht mehr?", fragte er Ron leise.

„Oh doch. Eigentlich dachte ich, er müsste mit dir mitkommen, da ihr beide bei Dumbledore wart. Aber der hat ihn wahrscheinlich noch ordentlich bestrafen wollen."

Harry lächelte gequält. Wenn Ron wüsste.. „Also-.", fing er an.

Als er jedoch Hermines strafenden Blick begegnete, hielt er inne. „Später.", murmelte er.

Zaubertränke brauen bei Slughorn war um einiges leichter, als bei Snape. Er fühlte sich durch und durch entspannt. Und obwohl die Zutatenschriften um einiges komplizierter geworden waren, hatte Harry um einiges weniger Probleme sie zu verstehen. Harry vermochte es, sich imaginär auf seine Schulter zu klopfen. Am Ende bekam er sogar noch ein Lob von Slughorn, als er einen fast einwandfreien Trank in einer Phiole ablieferte.

„Slughorn scheint euch gut zu tun.", meinte Hermine anerkennend nach der Stunde.

„Ja, da schaust du, was?", prahlte Ron, dem auch ein glimpfliches Ergebnis gelungen war. „Also Harry, wie sieht es aus? Kann Malfoy jetzt bei Filch die Pokale polieren?"

„Schön wäre es.", antwortete Harry. „Dumbledore hat nur verlangt sich bei mir zu entschuldigen."

Als Harry fertig erzählt hatte, meinte Hermine: „Ich denke, dass war eine Bestrafung genug für Malfoy."

„WAS?", rief Ron, sodass einige Schüler zu ihnen umdrehten. „Ich meine, dass kannst du doch nicht im Ernst meinen."

„Natürlich würde es ihm nicht schaden, die ganze Nacht lang irgendwelche Böden zu schruppen. Das würde seinem Stolz schaden. Aber Dumbledore hält es für Erniedrigender sich bei Harry zu entschuldigen. Und wenn man es genau nimmt, kann es keine erniedrigendere Strafe für in geben, oder?"

„Das will ich sehen.", sagte Harry ungläubig.

„Er ist wirklich ein penetrantes Arschloch, aber ich glaube, das wird ihm eine Lehre sein.", fügte Hermine hinzu.

Der Rest des Tages verlief ohne große Ereignisse. Malfoy ignorierte Harry wie gekonnt. Harry hätte es auch absurd gefunden, wenn Malfoy sich sofort bei ihm entschuldigt hätte. Ihm war überhaupt klar, dass Malfoy sich nie entschuldigen würde.

Was ihn am meisten an der Sache störte, war dass er genau wusste, dass wenn er Malfoy so zugerichtet hätte, wie er von ihm zugerichtet worden war, ihm dann eine saftige Strafe von Snape geblüht hätte. Und Malfoy dagegen kam mit einer einfachen Entschuldigung davon.

Harry war sich zwar ziemlich sicher, dass Dumbledore wusste, ob Draco sich bei ihm entschuldigte oder nicht, aber er fand es trotzdem ungerecht.

Harry hasste Malfoy. Er hasste ihn mit jeder Faser seines Körpers. Und er wusste, dass Malfoy ein Todesser war. Ihm war es egal, ob Hermine und Ron ihm nicht glaubten. Er wusste es einfach.