Autor Daeny
Kapitel: 8
Pairing: RL/SS (Lupin/Snape)
Rating NC-17, Slash
Zusammenfassung: Die Ereignisse nehmen ihren Lauf, Severus hat Schuldgefühle und Madame Pomfrey ist ratlos. Ob ein Experte aus dem St. Mungos Remus beim Graben nach seinen Erinnerungen unterstützen kann?
Danke: an all die vielen Leser, die mich mit Reviews unterstützen. :)
Disclaimer:Alle in dieser Geschichte verwendeten Charaktere und Orte gehören JK Rowling. Ich verdiene mit dieser Geschichte keinen Cent. Alleine die Idee entsprach meiner Fantasie.
Edit:Rechtschreibung überarbeitet.
Kapitel 8
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Snape hatte die Flasche fast völlig geleert, sich Selbstvorwürfe gemacht und darüber nachgegrübelt, wie er Remus helfen konnte. Zu einem wirklich brauchbaren Ergebnis war er nicht gekommen, allerdings hatte er durch die viele Grübelei sein Glas und die halb volle Flasche Whiskey vergessen.
Er hockte mit dem Glas in der einen und mit der Flasche in der anderen Hand und starrte in das vor sich hin prasselnde Kaminfeuer. Die flackernden Flammen übten eine beruhigende Wirkung auf sein erhitztes Gemüt aus und das kontinuierliche Knacken des Holzes steuerte den Fluss seiner Gedanken.
Genau wie das Feuer brannte die Scham, dem Dumbledores Schellte in ihm hinterlassen hatte, tief. Er fühlte sich gedemütigt. Jetzt, nach mehr als vier Stunden, kamen ihm bissige Bemerkungen, die er zu Dumbledores Ausführungen hätte anbringen können, in den Sinn. Doch die würde der alte Zauberer jetzt nicht mehr hören. Als es an der Zeit war, sich zu verteidigen, fehlten ihm einfach die Worte. Zu tief saß der Schock, der Schmerz, der Verlust.
Ja, er hatte eine Dummheit begangen, aber ein Severus Snape ließ sich nicht einfach wie ein kleiner Junge ausschimpfen. Schon von Kleinauf hatte er gelernt, sich gegen Spott und verbale Angriffe der anderen zu wehren, wenn auch nur mit bissigen Bemerkungen oder vernichtenden Blicken. Aber heute Abend war er wie erstarrt gewesen.
Das Schamgefühl vertiefte sich noch zusätzlich, als er an Dumbledores Blick dachte. Der Alte hatte guten Grund, ihn auszuschimpfen. Severus ärgerte sich auch weniger über Dumbledore, sein eigentlicher Ärger galt sich selbst.
Der Direktor hatte Recht gehabt, und Severus hätte die Schellte auch so kommentarlos über sich ergehen lassen, aber dass er nicht mal innerlich aufbegehrt hatte, verärgerte ihn zutiefst. Langsam glaubte er, sein jahrelanges Training, sich wenigstens innerlichen Spott zu gönnen, würde nachlassen und sei vergeblich gewesen.
Severus seufzte schwer, hob die Flasche an und stelle sie auf einen kleinen Beistelltisch, der neben seinem Lieblingssessel stand und das Bild eines gemütlichen Kaminbereichs abrundete. Sein Glas enthielt nur noch einen winzigen Rest Whiskey, gewöhnlicherweise verschwendete er keinen einzigen Tropfen dieses kostbaren Getränks, aber der Geschmack nach Whiskey war ihm für heute Nacht vergangen.
Mühsam kämpfte er sich aus seinem Ohrensessel und musste bitter feststellen, dass er doch ein wenig betrunken war, als seine Knie leicht zu zittern begannen und sich der Raum sanft um ihn herum bewegte. Leicht benebelt schwankte er zur Tür, musste sich allerdings noch einmal abstützen um nicht komplett das Gleichgewicht und damit die Orientierung zu verlieren.
Auf seinem Weg zur Apartmenttür gewöhnte er sich an die veränderte Situation und schwankte gemächlich weiter.
..:oO8Oo:..
Remus öffnete wieder die Augen, starrte kurz an die weiße Decke und wandte dann seinen Blick nach rechts, vielleicht saß Madame Pomfrey, deren Name ihm sofort einfiel, noch dort. Aber dort saß nur ein mürrisch dreinblickender Mann, der seinen Blick stur in ein Buch gesteckt hatte und konzentriert las.
Er runzelte die Stirn, an diese Person konnte er sich nicht erinnern, was ja auch nichts Neues war. Das Gesicht des anderen Mannes strahlte auch nicht gerade eine herzliche Freundlichkeit aus, wie Madame Pomfreys es getan hatte. Remus brauchte also ein paar Sekunden um sich zum Ansprechen seines "Wächters" zu überwinden.
Ohne weiter darüber nachzudenken, wie man sprach, öffnete er den Mund und krächzte ein stockendes "Hallo" heraus.
Die Augen des anderen Mannes sprangen von dem Buch auf und richteten ihren stechenden Blick auf Remus halb geöffnete Augen. Noch traute er sich nicht, seine Augen dem gedämpften Licht, es schien Nacht zu sein, auszusetzen, denn er hatte immer noch leichte Kopfschmerzen.
Remus hatte eigentlich eine Antwort von dem anderen Mann erwartet, doch dieser starrte ihn einige Sekunden verblüfft an, bevor seine Mundwinkel zuckten, so als würde er sich an einem Lächeln versuchen, es aber nicht hinkriegen. Remus suchte nach dem passenden Wort. Es hatte fast den Anschein, als könnte der Mann nicht richtig lächeln.
Dafür konnte es Remus umso besser. Er zog die Mundwinkel breit und grinste den anderen Mann an. Dieser reagierte sofort darauf.
"Lassen Sie dieses dümmliche Grinsen, Lupin", fuhr der Mann ihn harsch an und klappte das Buch lautstark zu. "Sie sollten lieber Ihre Kräfte schonen."
Remus' Lächeln verschwand und er nickte reuevoll. "Ich meine, es geht mir eigentlich schon viel besser." Zwar kam der Satz nur stockend über seine Lippen und seine Kehle fühlte sich staubig und ausgedörrt an, aber er konnte sprechen. Und in diesem Augenblick wurde es ihm erst so richtig bewusst. Er hatte die Worte ausgesprochen, Laute von sich gegeben und sie nicht nur gedacht.
Wieder setzte er ein Grinsen auf, aber diesmal war es ein Triumphierendes, kein Dümmliches.
Der andere Mann nickte nachdenklich. "Nun, ich möchte Sie ja nicht enttäuschen, aber so richtig gut geht es Ihnen noch nicht, wenn Sie immer noch hier auf der Krankenstation sind und Madame Pomfrey Sie nicht eine Minute aus den Augen lässt."
Remus runzelte die Stirn und blickte sich kurz suchend um. "Aber sie ist doch gar nicht hier!", empörte er sich.
Der Mann nickte. "Ja. Das haben Sie völlig richtig erkannt." Remus blinzelte verwirrt. Was sollte das denn jetzt?
Der Mann musste seinen verwirrten Gesichtsausdruck richtig gedeutet haben, denn er schüttelte enttäuscht den Kopf. "Madame Pomfrey wollte keine Sekunde von Ihrer Seite weichen, also habe ich ihr angeboten, die Wache für heute Nacht zu übernehmen."
Remus blickte an dem Mann vorbei aus dem Fenster. Ein sanfter heller Streifen zeichnete sich am Horizont ab und kündigte den herannahenden Morgen an. Es würde ein schöner Tag werden, denn der Himmel war klar.
"Danke", murmelte Remus und wandte seinen Blick wieder dem Mann zu, der vermutlich die ganze Nacht bei ihm gesessen und über ihn gewacht hatte. Der Mann nickte ihm kurz zu.
"Sie wollte, dass jemand bei Ihnen ist, falls Sie aufwachen sollten."
Remus lächelte. Er fühlte sich plötzlich gut aufgehoben und umsorgt. Diesen Menschen musste wirklich viel an ihm liegen, dass sie sich so aufopferungsvoll um ihn kümmerten. Er war zwar nicht in Lebensgefahr, dennoch hielten sie es für nötig, ihn nicht alleine zu lassen. Eine Welle des Glücks überrollte ihn. Er musste ein wirklich beneidenswerter Mensch gewesen sein, bevor es hier passiert war.
Auch wenn er es für unpassend hielt, so konnte er dennoch nicht länger warten. Immerhin wollte er den Mann in seinen Gedanken nicht immer nur "den Mann" nennen.
"Und wer sind Sie?", fragte er schließlich.
Abrupt verschwand der fast friedvolle Ausdruck in den Augen des Mannes und an seine Stelle trat eine Bitterkeit, der Remus schockierte. Hastig griff er nach dem Buch und erhob sich.
"Derjenige, der für diesen Schlamassel verantwortlich ist", presste er zwischen zusammengebissen Zähnen hindurch und floh regelrecht von der Krankenstation, einen gänzlich verwirrten Remus zurücklassend.
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Durch das westliche Fenster seines Büros drangen bereits die ersten Sonnenstahlen. Sie erfüllten den Raum mit sanftem Licht, machten die tanzenden Staubkörnchen in der Luft sichtbar und sammelten sich schließlich in einer Kaskade aus Licht auf dem Boden.
Dumbledore hob langsam den Kopf und kniff die Augen gegen das gleißende Licht zusammen. Müde rieb er sich über die Augen und versuchte so, die drohende Erschöpfung noch ein wenig länger hinauszuzögern. Die vergangenen zwei Nächte seit Vollmond waren nicht von erholsamer Ruhe erfüllt gewesen, stattdessen hatte er sich in seinem Bett hin und hergewälzt und nach einer Lösung für Remus Lupins kleines Problem gesucht.
Das Bücherwälzen hatte Dumbledore bereits aufgegeben. Wenn es eine mögliche Therapie gab, dann wäre sie sicherlich so bekannt und berühmt, dass er von ihr gehört haben musste. Oder Poppy.
Langsam erhob er sich aus seinem Sessel, rückte seinen dunkelblauen Umhang mit den goldenen Sternen und Monden zurecht und strich ihn über seinem fast nicht vorhandenen Bauch glatt. Schließlich nahm er seine Brille in die Hand und putzte sie nachdenklich. Sein Blick verweilte irgendwo in weiter Ferne, folgte seinen Gedanken. Albus seufzte schwerfällig auf und setzte sich die nun blank polierte Brille auf die Nase.
Nach dem Frühstück würde er ein paar persönliche Sachen von Remus aus seinen Gemächern holen, sie zu ihm bringen. Und mit etwas Glück würde sich der Werwolf zumindest an ein paar bruchstückhafte Details erinnern.
Remus Lupin saß aufrecht in seinem Bett und genoss ein leichtes Frühstück, welches Madame Pomfrey ihm gestattet hatte. Eier, ein wenig Toast, keine Butter. Sein Magen würde noch kein Fett vertragen, nachdem er die letzten Tage nur Stärkungstränke zu sich genommen hatte. Remus nahm es hin, das Ei schmeckte ohnehin zu köstlich, um sich noch über die nicht vorhandene Butter auf dem Toast zu beschweren.
Wieder tauchte er seinen kleinen Löffel in die gelbe, cremige Masse und schob ihn genüsslich in den Mund. Er hatte ganz vergessen, wie gerne er ein gekochtes Ei zum Frühstück verzehrte. Allerdings konnte er sich nicht mehr wirklich an den Geschmack erinnern und dieses kleine Ei war bei Weitem das Köstlichste, was er je gegessen hatte. Nun ja, an das er sich erinnern konnte.
Madame Pomfrey leistete ihm pflichtschuldig Gesellschaft und plauderte ein wenig über das alltägliche Geschehen in der Schule. Remus hörte ihr nicht richtig zu, sagten ihm die Namen der Personen, die sie in ihren Ausführungen erwähnte, ja doch nichts. Ihre Stimme hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn und lullte ihn sanft ein. Die Sonne kitzelte ihn in der Nase und seine noch immer empfindlichen Augen gewöhnten sich nur langsam an das Licht.
Doch als Madame Pomfrey über einen Jungen berichtete, der sich beim Quidditch einen Arm gebrochen hatte, horchte Remus plötzlich interessiert auf.
"Wie war noch sein Name?", fragte er hastig nach, bevor die Medihexe ihre Ausführungen fortsetzen konnte.
Madame Pomfrey hielt inne, starrte ihn kurz irritiert an, bevor sie den Namen des Jungen wiederholte. "Potter, Harry Potter. Er hat sich beim Training den Arm gebrochen, wollte eine Rolle probieren, landete allerdings etwas unglücklich auf dem Boden." Sie runzelte die Stirn, als Remus' Augen sich in scheinbarem Wiedererkennen weiteten.
"Sagt Ihnen der Name etwas, Remus?", hakte sie schließlich nach.
Remus erstarrte. Der Name hatte eine seltsame Vertrautheit, aber es war nicht der Vorname - Harry - des Jungen, der ihm so vertraut vorkam. Vielmehr schien er mit dem Nachnamen eine innige Bekanntschaft zu verbinden. Sein Herz wurde warm. Aber in seinem Magen bildete sich auch ein frostiger Klumpen schmerzhaften Verlustgefühls.
"Kenne ich einen Menschen namens Potter?", fragte er langsam. "Nicht den Jungen, aber jemanden, der den gleichen Nachnamen trägt."
Madame Pomfrey holte scharf Luft und nickte schließlich. "Sie waren sehr gut mit Harrys Vater, James, befreundet. Ihre gesamte Schulzeit hier auf Hogwarts haben Sie quasi mit James Potter verbracht."
Ein breites Lächeln legte sich auf Remus Gesicht.
"Sie erinnern sich?"
Das Lächeln wurde zu einem Grinsen. "Nun ja, nicht wirklich. Aber der Klang des Namens ist mir vertraut und ich fühle tiefe Zuneigung und Freundschaft, wenn ich den Namen in meinen Gedanken wiederhole."
Madame Pomfrey lächelte. "Ihre Erinnerung ist vielleicht etwas verblasst, aber ihr Gefühlsleben weiß noch ganz genau Bescheid."
„Madame Pomfrey, warum spüre ich neben der Freude auch starken Schmerz?", fragte er tief in Gedanken versunken.
Der fast glückliche Ausdruck in ihren Augen verschwand, ihm wich bittere Gewissheit. Sie wusste ganz genau, woher sein Schmerz rührte, doch irgendwie brachte sie es nicht übers Herz, ihm den Grund seiner Gefühle zu erzählen. Stattdessen klopfte sie ihm aufmunternd auf die Schultern und erhob sich hastig als der Direktor die Krankenstation betrat, den Arm voller Erinnerungsstücke. Sie schien sehr glücklich über die Unterbrechung. Nun gut, Remus hatte alle Zeit der Welt, ihr diese Erinnerung zu entlocken.
Professor Dumbledore ließ ein paar Bilder, einige alte Bücher und einen alten Reisemantel auf Remus' Bett plumpsen. Er selbst setzte sich auf den Stuhl, den Madame Pomfrey soeben freigegeben hatte.
Remus Blick wanderte über seine Sachen. Seine Gedanken versuchten Erinnerungen aus seinem Unterbewusstsein über diese Gegenstände hervorzurufen, aber noch hing ein undurchdringlicher Schleier über seiner Vergangenheit.
Vorsichtig streckte er eine Hand nach einem alten Foto in einem scheinbar noch älteren, dunkelbraunen Rahmen, aus. Das Bild war an vielen Stellen eingerissen, und zeigte einige Spuren von starkem Gebrauch. Vermutlich war es oft berührt worden, denn auch sein ehemaliger Glanz schien verblasst. Dennoch lächelten die Personen auf dem Foto Remus freundlich an und sein Herz öffnete sich für einen Moment. Wärme und Geborgenheit durchfluteten ihn, füllten sein Innerstes aus. Außerdem fühlte er eine tiefe Verbundenheit mit den vier jungen Männern, die das Bild zeigte. Langsam stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, seine Mundwinkel zuckten amüsiert und es war ihm, als wüsste er ganz genau, welcher Augenblick auf dem Papier eingefangen worden war, vor so langer Zeit.
Der dunkelhaarigste Junge klopfte einem etwas zu dünn geratenen, bebrillten Jungen so heftig auf die Schultern, das dieser beinahe stolperte und sich an einem seiner Kameraden festhalten musste. Die Gruppe brach in helles Gelächter aus und schubste sich gegenseitig. Schließlich wiederholte sich die Szenerie. Remus grinste. Er kannte diese Augenblicke.
Sein Blick glitt zu Albus Dumbledore, der ihn aufmerksam beobachtet hatte. Die Mundwinkel des Direktors zuckten amüsiert und er nickte ihm aufmunternd zu. "Nur zu, versuchen Sie die verschiedenen Gegenstände. Sie werden Ihnen helfen, Ihre Erinnerungen wiederzufinden."
Remus lächelte ebenfalls und befasste sich mit dem nächsten Gegenstand.
Nach einer Weile hatte er die wenigen Habseligkeiten durchgetestet, bei jedem Gegenstand wusste er sofort, wo er ihn erstanden hatte, welche Erinnerungen er damit verband und seltsamerweise kamen die Erinnerungen mit jedem Gegenstand schneller wieder. Zu Beginn musste er sich sehr stark konzentrieren, doch dann wurde es einfacher. Es schien als wären diese Erinnerungen tief in ihm eingeschlossen, und diese Gegenstände würden die verschiedenen Türen öffnen wie ein Schlüssel. Und je älter die Erinnerung war, desto einfacher schien sie wieder hervorzukommen.
Sein Verlustgefühl, dass er beim Klang des Namens „Potter" verspürt hatte, war er allerdings noch nicht näher auf den Grund gelangt. Vielleicht war diese Erinnerung noch recht neu... oder so schmerzhaft, dass er sich vielleicht nicht erinnern wollte. Doch Remus schüttelte diesen grausamen Gedanken hastig ab und ging weiter seinen Erinnerungen nach. Es war viel einfacher, die schönen Erinnerungen auszugraben.
Sein Blick fiel auf einen letzten Gegenstand, einen kleinen abgenutzten Becher. Remus runzelte die Stirn. Wieso hatte der Direktor ihm einen Becher gebracht? Nun, anscheinend weil er glaubte, mit diesem Becher ein paar wichtige Erinnerungen zu verbinden.
Albus Dumbledore hatte sich bereits taktvoll zurückgezogen und Remus mit der Suche nach seiner Vergangenheit allein gelassen, doch jetzt, als Remus nach dem Becher griff, wäre er vermutlich diebisch erfreut gewesen.
Der Becher war von dunkelbrauner Farbe, irgendwann, so schien es, hatte er mal einen goldenen Rand gehabt. Aber vom vielen Gebrauch war dieser bereits verblasst, nur noch ein paar goldene Rückstände deuteten auf die ehemals vorhandene Verzierung hin. An sich war es ein schlichter Becher. Doch als Remus mit den Fingern sanft seine Kanten nachzeichnete, durchflutete ihn plötzlich ein Gefühl tiefer Zufriedenheit, nein, Dankbarkeit.
Er schloss die Augen, lehnte sich zurück und ließ die Erinnerung auf sich wirken. Dumbledore hatte ihm den Vorschlag unterbreitet, so an seine Gedanken zu kommen, indem er sie einfach auf sich wirken ließ, ohne den Versuch zu unternehmen, sie aktiv zu steuern.
Plötzlich kehrten Bilder in seinen Geist zurück. Er sah den dunkelhaarigen Mann in der schwarzen Robe, wie er ihm diesen Becher reichte und ihn gehässig darauf hinwies, den Inhalt schnell zu sich zu nehmen, bevor er kalt wurde.
Gehorsam hatte er den Becher entgegengenommen, doch sein Blick blieb an dem anderen Mann hängen und sein Herz begann, schneller zu schlagen. Er sah ihn aufmerksam an, suchte in seinem Gesicht nach einer Regung und während er dies tat, spürte er ein starkes Verlangen nach körperlicher Nähe.
Remus fuhr wie von der Tarantel gestochen aus seinem Bett hoch und schleuderte den Becher angewidert in die Ecke. Was hatte er da gesehen? War er verrückt? Er kannte diesen Mann doch noch nicht einmal, und dennoch... Irgendetwas war da gewesen.
Aber warum hatte er es vor wenigen Stunden nicht auch gespürt, als er ihm einen Besuch abgestattet hatte. War er so blind gewesen, etwas von seiner Vergangenheit zu erfahren, dass er seine eigenen Gefühle völlig übersehen hatte? War da etwas gewesen?
Remus seufzte schwer. Er kannte ja noch nicht einmal seinen Namen.
Nach dem anstrengenden Vormittag war Remus wieder eingeschlafen. Und sobald er die Augen geschlossen hatte, war ein völlig übermüdeter Severus Snape in der Tür zur Krankenstation aufgetaucht, hatte wortlos auf den Stuhl neben Lupins Bett gedeutet und dann auf Lupin.
Madame Pomfrey hatte diese Geste dankbar angenommen und war in ihr Büro verschwunden. Wenn Severus Remus gerne beim Schlafen zusehen wollte, so konnte sie dann wenigstens ihren anderen Aufgaben nachgehen. Wie auch schon in der vergangenen Nacht.
Allerdings zeigte auch Severus erste Anzeichen von körperlicher Erschöpfung. Sie würde ihn heute Abend davon abhalten, bei Remus zu wachen. Stattdessen sollte er lieber selbst etwas Ruhe finden. Und wenn er sich weigerte würde sie ihm hier auf der Krankenstation ein Bett anbieten. So konnte er über Remus wachen und selbst Kraft schöpfen.
wenige Stunden später
Immer wenn er aufwachte, war er da, ein Buch lesend, die ruhige Gestalt an seiner Seite. Remus lächelte und ließ seinen Blick zu dem Mann gleiten. Seine Stirn war konzentriert auf eine bereits vergilbte Seite eines dicken Wälzers gerichtet. Seine Lippen formten lautlose Worte, während er las.
„Was ließt du da?", fragte Remus völlig unschuldig.
Der Mann hob den Kopf und sah Remus verblüfft an, doch dann antwortete er: „Ein Buch über Fluchfolgen." Sein Blick glitt über Remus und hielt dann auf den Seiten des Buches inne. Er wollte weiterlesen.
„Wegen mir?"
Der Mann zog scharf die Luft ein, nickte dann aber ohne den Blick vom Buch zu heben.
„Weil ein Fluch mir so etwas angetan hat?" Wieder ein verbittertes Nicken, der Mann verkrampfte sich, sein ganzer Körper eine angespannte Sehne, bereit, jeden Moment loszustürmen, den Fragen zu entfliehen. Aber insgeheim wusste er, dass Remus diese Fragen stellen musste, und dass er irgendwann Antworten zu geben hatte. Und das er so oft er konnte, bei Remus verweilen würde. So lange er mit ihm diese besondere Flasche Whiskey getrunken hatte.
„Du hast beim letzten Mal gesagt, dass..." Remus wagte nicht, den Satz zu beenden. Zu tief saß noch der Schmerz der Zurückweisung von heute morgen. Aber entgegen seiner Ängste sprang der Mann dieses Mal nicht auf und entfloh der Krankenstation. Er bebte ganz leicht, seine steifen Gesichtszüge zeigten keinerlei Emotionen und sein Blick klammerte sich weiterhin verzweifelt an die Seiten des Buches, so als würden sie ihm die Antwort auf alle Fragen, die Remus stellen könnte, liefern.
Lupin wartete geduldig ab, richtete seinen unschuldigsten, fragensten Blick auf den Mann. Schließlich hob er den Kopf, blickte Remus kurz tief in die Augen und ließ seinen Blick dann zum Fenster hinaus gleiten. „Ja. Weil ich es war."
Dann erhob er sich schnell, strich hastig seinen Umhang glatt und hielt sich das Buch schützend vor die Brust. „Du solltest noch etwas ruhen..." Und damit rauschte er wieder von Dannen ohne Remus noch ein einziges Mal anzusehen.
Doch dieser eine Blick hatte genügt, damit Remus den Schmerz in seinen Augen sehen konnte. Und plötzlich wollte er ihm nur noch diesen Schmerz, den er ja offensichtlich wegen ihm empfand, nehmen. Ihn von dieser Last befreien. Und an ihm allein lag es. Die Lösung lag auf der Hand, doch sie war so unendlich schwer zu erreichen. Er musste lediglich seine Erinnerung wieder gewinnen. Je schneller, desto eher waren die vergangenen, schrecklichen Ereignisse, die sie beide zu seelischen Krüppeln auf so unterschiedliche Weise gemacht hatten, vergessen.
Remus ließ sich wieder in die Kissen gleiten. Und dann traf es ihn wie aus heiterem Himmel. Er wusste immer noch nicht den Namen des Mannes.
Madame Pomfreys Blick weilte nicht mehr auf der Krankenakte von Remus Lupin vor ihr, nein, sie sah die Worte schon lange nicht mehr vor sich, die sie vor wenigen Stunden verfasst hatte. Immer wieder hatte sie ihre eigenen Anmerkungen gelesen, darüber nachgedacht, was ihr die Ärzte aus dem St. Mungos berichtet hatten, was sie über Amnesien im Allgemeinen wusste. Immer wieder drehten sich ihre Gedanken nur um die eine Tatsache.
Wie konnte sie Remus behilflich sein. Aber ihr blieb im Augenblick nichts weiter übrig, als auf die Fluchspezialisten aus dem Spezialbereich des St. Mungos zu warten und deren Einschätzung der Lage. Sie hatten sich dagegen entschieden, Remus in das Magierkrankenhaus zu verlegen. Man war der einhelligen Meinung, eine vertraute Umgebung würde den Heilungsprozess fördern. Und da Remus selbst auf Hogwarts zur Schule gegangen war, lag es nahe, ihn nicht zu verlegen. Und um weitere Stresssituationen zu vermeiden, würde Alois Fentiman heute Nachmittag kurz vorbei schauen und einen Blick auf Remus werfen.
Poppy Pomfrey und auch der Direktor setzten all ihre Hoffnung in dessen Diagnose. Er würde ihnen sagen, wie sie Remus behandeln konnte. Und wenn sie Näheres wussten, würde vielleicht auch Severus wieder Mut schöpfen. Er hatte die letzten Nächte Bücher um Bücher gewälzt, doch war er auf nichts Brauchbares gestoßen.
Remus hingegen schien es den Umständen entsprechend recht gut zu gehen. Zu den Mahlzeiten nahm er jeweils eine leichte Kleinigkeit zu sich und die Heilungstränke für seine rein körperlichen Wunden zeigten ihre Wirkung. Bald würde er wieder richtig essen können. Wenn er vielleicht einige seiner Lieblingsspeisen... Poppy machte sich eine kurze Notiz in Remus' Akte. Wer weiß, vielleicht würde das die Therapie fördern.
Ihr Blick glitt von den Buchstaben wieder in die Ferne, doch die schwarze Gestalt, die noch vor wenigen Minuten völlig in Gedanken versunken an Remus Bett gesessen hatte, hatte sich erhoben und rauschte nun mit wehenden Umhang aus der Krankenstation an ihrem Büro vorbei. Severus warf ihr lediglich einen kurzen, genervten Blick zu, ehe er fast völlig lautlos durch die beiden geweißten Schwingtüren der Station schwebte.
Sie erhob sich langsam und orderte über den Kamin in ihrem Sprechzimmer eine leichte Mahlzeit für Remus. Als Wehrwolf litt er vermutlich unter großem Hunger. Wenige Augenblicke später erschien ein Hauself mit dem Gewünschten und sie nahm es ihm dankend ab.
„So, mein Lieber", begann Madame Pomfrey und stellte das Tablett auf den Nachttisch neben Remus' Bett. „Ich schätze, Sie können etwas Kräftigeres als gekochtes Ei vertragen." Sie lächelte freundlich und ließ sich auf dem Stuhl nieder, auf dem vor wenigen Minuten noch Severus Snape gewacht hatte.
Remus nickte begeistert und griff hungrig nach dem Teller mit Erbsensuppe und Toast. „Kein Speck?", fragte er etwas enttäuscht. Doch noch ehe Poppy antworten konnte, hatte er bereits genussvoll den Löffel in die frische Suppe getaucht und sie sich gierig in den Mund geschoben. Jetzt schloss er ekstatisch die Augen und ließ sich langsam den Geschmack auf der Zunge zergehen.
Madame Pomfrey lachte herzlich. „Der Speck wäre etwas zu fett für Ihren Magen, aber es scheint Ihnen ja auch ganz gut ohne zu munden." Er lächelte breit und schob sich hastig noch einen weiteren Löffel in den Mund.
„Das ist das zweitköstlichste, was ich je gegessen habe", murmelte Remus voll Inbrunst. „Das Ei heute morgen!", erklärte er auf Madame Pomfreys fragenden Blick hin. „Wissen Sie, wenn man sich an keinen einzige Geschmack mehr erinnern kann, dann ist das erste, was man zu sich nimmt, eine wundervolle, ganz neue Erfahrung."
Die Medi-Hexe lächelte milde. „Remus, versuchen Sie doch, Ihre Gedanken zu notieren, was Ihnen einfällt, was Ihnen bekannt vorkommt. Das könnte dem Arzt, der Sie heute Nachmittag besuchen wird, bestimmt weiterhelfen."
Der Werwolf sah seine Krankenschwester für einen Moment verwirrt an. „Arzt?"
„Eher gesagt ein Spezialist für Amnesie und fluchbegründeten Gedächtnisverlust", erläuterte Poppy Pomfrey geduldig. „Ich habe ihn von Ihrem Fall und unserer Ratlosigkeit berichtet und er hat sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, nach Feierabend hier herzukommen, um Ihnen die strapaziöse Reise ins St. Mungos zu ersparen. Eine Apparation scheint in Ihrem Zustand nicht ratsam..." Sie studierte kurz Remus völlig verwirrten Gesichtsausdruck, der darauf schließen ließ, dass er sich nicht mehr an den Vorgang des Apparierens erinnern konnte. „... eine Reise via Besen ist zu dieser Jahreszeit nun wirklich keine Option und Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach London zu bringen würde zu lange dauern und wäre zu anstrengend." Madame Pomfrey holte kurz Luft. „Also hat sich Dr. Fentiman dazu entschlossen, Sie hier zu besuchen."
„Wie rücksichtsvoll", murmelte Remus immer noch ein wenig verwirrt. Was bedeuteten all diese seltsamen Worte, die Madame Pomfrey benutzt hatte? Anscheinend handelte es sich um Dinge, die er selbst vor wenigen Tagen noch beherrscht hatte. Und jetzt war alles wie weggeblasen.
Betrübt löffelte Remus weiter seine Suppe, während sich die Medi-Hexe wieder ihren Arbeiten zuwandte. Immer wieder rief er sich ihre Worte ins Gedächtnis zurück, hoffte, irgendeine Erinnerung damit auszulösen. Aber weder St. Mungos noch Apparieren löste irgendetwas in ihm aus. Er konnte mit dem Besen reisen? Sie bevorzugten das Reisen via Besen? Remus schüttelte verblüfft den Kopf. Er würde noch Fragen zu all diesen verschiedenen Dingen stellen müssen.
Dr. Fentimans Besuch blieb ohne nennenswerte Ergebnisse , notierte Madame Pomfrey am Abend in Remus Lupins Akte. Müde setzte sie einen Punkt hinter den letzten Satz und verweilte nachdenklich mit der Feder über dem Geschriebenen. Selbst dem Spezialisten aus dem St. Mungos war diese Art von Amnesie völlig unbekannt. Was ihn am Meisten verwirrte, war die Tatsache, dass Remus sich sehr wohl erinnern konnte. Je weiter die Erinnerung in der Vergangenheit lag, desto mehr Details wusste Remus. Allerdings handelte es sich dabei hauptsächlich um glückliche Erinnerungen. Schlimme Erfahrungen blieben weiter im Dunklen, lediglich eine eisige Vorahnung ergriff von Remus Besitz, die er aber konsequent zu ignorieren schien. Dabei war ihm selbst dieser Vorgehensweise nicht bewusst, er tat es einfach als „Ich kann mich nicht erinnern" ab und damit war für ihn die Sache erledigt.
Dr. Fentiman riet dringend davon ab, Remus mit seinen schlimmen Erfahrungen zu konfrontieren. Er hoffte, dass das Nicht-Wissen um diese Erinnerung Remus Ehrgeiz anstacheln würden, selbst danach zu graben. Und wenn er erst mal anfangen würde, aktiv danach zu graben, würde er jede Erinnerung wieder heraufbefördern können. So die Theorie.
Aber leider sah die Praxis allzu oft anders aus. Und wie genau sie aussehen würde, würden die Wochen und Monate zeigen. Fentiman besaß kein Allheilmittel, er setzte auf die Zeit. Und die heilte bekanntlich alle Wunden.
Also war der Arzt nach der Visite wieder abgezogen, Remus völlig verwirrt mit dieser Diagnose zurücklassend. Er selbst glaubte nicht, dass er sich vor diesen Erinnerungen verschloss und beharrte darauf, dass man ihm erzählte, welche Abfolge von Ereignissen zu seinem Zustand geführt hatte oder was genau es mit James Potter und den anderen Jungen auf dem Foto auf sich hatte. Doch weder Albus Dumbledore noch Madame Pomfrey wollten es ihm so einfach machen. Laut Fentiman würden sie Remus damit nur mehr schaden als nützen. Und so ließ man ihn im Unklaren über James Potter und die Heulende Hütte.
Auch Severus Snape wurde über die weitere Vorgehensweise von Albus Dumbledore unterrichtet.
„Das ist einfach absurd", knurrte er verärgert und ballte die Hand wütend zur Faust. „Was soll das für eine Therapie sein? Das ist keine Therapie! Das drückt nur die Ahnungslosigkeit dieses Amateurs aus."
„Ich weiß, Severus", erwiderte Dumbledore mit ruhiger Stimme. „Aber sein Vorschlag ist der Einzige, den wir haben. Und du musst doch zugeben, dass Remus schon einige seiner Erinnerungen durch diese Therapie zurückerlangt hat." Albus lächelte friedvoll. „Und du hast doch nicht wirklich erwartet, dass Fentiman einen Trank aus dem Hut zaubert, den er Remus verabreicht, und damit die Ereignisse der letzten Tage ungeschehen macht?"
Severus sah den Direktor einen Augenblick verwirrt an, doch dann schüttelte er zustimmend den Kopf. „Nein, das habe ich nicht erwartet."
„Na also", Albus erhob sich und wies damit Severus an, dass das Gespräch beendet sei. Auch Severus erhob sich, strich seine Robe glatt und musterte Albus noch einmal eindringlich. „Und was ist mit dem Wolfsbanntrank? Wir müssen ihm schließlich irgendwann erzählen, was er ist und was ihn bei Vollmond erwartet. Wenn er diese Erinnerung nicht alleine zurück erlangt..."
Albus nickte zustimmend. „Du hast recht, aber bis dahin haben wir noch gute zwei Wochen Zeit und in dieser Zeit kann eine Menge geschehen." Er streckte Severus zum Abschied die Hand entgegen und schüttelte sie kräftig. „Ruh' dich ein wenig aus, Severus. Remus ist in guten Händen und wir sollten alle heute Nacht ein wenig mehr schlafen."
Severus nickte, in Gedanken wieder bei Remus, und verließ ohne ein weiteres Wort des Abschieds das Büro des Direktors. Ob er heute Nacht wirklich schlafen würde, bezweifelte er. Seine Dämonen warteten sicher schon auf ihn.
... to be contiued...
Wenn ihr Zeit habt, hinterlasst mir doch ein Review, was Euch gefallen hat, und was ihr anders schreiben würdet.
Danke, Daeny!
