Kapitel 30
Tja, hier kommt also das letzte Kapitel!
Wenn ihr an einer Downloadversion mit Illustrationen interessiert seid: die gibt es jetzt im Download-Bereich von harry-auf-deutsch.de
Außerdem gibt es ab Mitte Juli eine gedruckte und als Taschenbuch gebundene Ausgabe, die unter Selbstkostenpreis abgegeben wird. (klar, darf ja nix dran verdienen!) Wer daran interessiert ist, soll mir bitte eine mail schreiben!
Was wirklich zählt
Lautes Krächzen weckte Harry. Als er verwirrt die Augen öffnete, hörte er noch immer die Schreie des Krähenschwarms, der eben über das Schloss hinwegstob. Er tastete nach seiner Brille auf dem Nachtschränkchen neben seinem Bett, stand auf und ging langsam zum Fenster hinüber. Klarer Himmel, der noch mehr von durchscheinendem Grau war als von dem Hellblau, das er wohl in der nächsten Stunde annehmen würde.
Harry sah zurück ins Zimmer, wo Ron, Dean und Seamus noch fest schliefen. Neville war immer noch auf der Krankenstation. Madam Pomfrey hatte irgendwas von "Entzugserscheinungen" gemurmelt und Neville kurzerhand noch ein paar Tage zur Beobachtung dabehalten.
Er setzte sich auf die Fensterbank und sah hinaus. Die kühle Luft, die durch das Fenster drang, weckte ihn allmählich ganz auf. Zum ersten Mal, seit sie von der Goldenen Festung zurückgekehrt waren, hatte er das Gefühl, dass er wieder normal sehen konnte. Nicht länger zerfiel seine Umgebung in zusammenhanglose Einzelbilder, in die sich dann und wann Erinnerungen mischen wollten. Er fühlte sich nicht länger wie jemand, der durch einen Albtraum geht, aus dem er nicht aufwachen kann.
Er hatte schon ein bisschen Angst gehabt, das komische Sehen könnte damit zu tun haben, dass er seine magischen Fähigkeiten verloren hatte. Wer wusste denn, was dieser Verlust in seinem Kopf noch so anrichten konnte? Aber wenn er in die Gesichter der anderen sah, die mit ihm zusammen der Festung entkommen waren und von denen die meisten immer noch mit verständnislosen, etwas benommenen Mienen herumliefen, verstand er, dass es ihnen ebenso ging wie ihm.
Aber heute Morgen, an dem Tag, der sein letzter in Hogwarts sein sollte, war sein Kopf endlich wieder klar, und er fühlte eine tiefe Ruhe in sich, als hätte er gut geschlafen.
Das musste daran liegen, dass er gestern endlich eine Entscheidung getroffen hatte.
Unter anderem. Er lächelte, ohne es selbst zu bemerken.
Dann sah er hinaus über die Ländereien, über die jetzt bald das erste Sonnenlicht fallen würde, und fühlte Traurigkeit, weil er diesen Ort verlassen würde, der seine eigentliche Heimat gewesen war. Aber da war auch eine neue Sicherheit in ihm, mit der er sich viel stärker fühlte.
Heute war der Sonntag endlich da, der Tag, an dem in der ganzen Zaubererwelt das Ende Voldemorts mit Festen gefeiert werden würde. Heute, und von nun an jedes Jahr an diesem Tag. Er freute sich darauf, Hogwarts noch einmal fröhlich und in Feststimmung zu erleben. Einen besseren letzten Tag konnte man sich doch kaum wünschen.
Als hätte sie nur darauf gewartet, Harry am Fenster zu sehen, kam in diesem Moment Hedwig herangeflogen. Leise öffnete er das Fenster, um sie einzulassen. Im Morgenlicht segelte sie ins Zimmer und blieb schließlich auf der Vorhangstange seines Bettes sitzen, wo sie die Flügel spreizte und alle Federn sträubte – wie ein Mensch, der sich müde reckt und streckt.
Harry lächelte. Er war so froh, dass Hedwig sich offenbar nicht im Geringsten daran störte, dass er kein Zauberer mehr war. Nachdem er sich ächzend von der Fensterbank geschwungen hatte, stand er auf und wollte nach dem Paket mit Eulenkeksen auf dem Wandbord neben seinem Bett greifen – da fiel ihm das kleine Päckchen auf, das auf seinem Nachttisch lag. Es war in dunkelrotes Seidenpapier eingeschlagen, auf das, wie er beim zweiten Hinsehen erkannte, winzige goldene Phönixe geprägt waren. Außerdem war ein viel zu breites rotgoldenes Schleifenband so ungeschickt darumgewickelt, dass es nur die Arbeit eines Hauselfs sein konnte. Oder vielleicht noch Hagrids, überlegte Harry.
Neugierig nahm er das Päckchen auf und fragte sich, ob Dobby es dahin gelegt hatte – und seit wann es da wohl liegen mochte –
Letzte Nacht war er sehr spät in den Schlafsaal gekommen. Es war halb vier vorbei gewesen, als er durch die stockdunklen Gänge geschlichen war. Ohne Zauberstab oder Tarnumhang (den hatte er noch nicht wieder ausprobiert, er hatte Angst davor), und doch gleichgültig gegen Filch oder sonstige Unannehmlichkeiten. Auch über die Fette Dame machte er sich wenig Gedanken – wenn sie ihn nicht mehr einlassen wollte, würde er den Rest der Nacht eben in irgendeinem Winkel verbringen! Er hoffte nur für Hermione, die in wenigen Minuten nachkommen wollte, dass sie gnädig gestimmt war. Aber als er vor dem Porträtloch angekommen war, öffnete die Dame nur ein Auge und schwang dann zur Seite, bevor er etwas sagen konnte.
Oben im Schlafsaal spielte Ron im Schlaf ein Quidditchspiel durch und kommentierte es dabei auch gleich selbst, aber die beiden anderen schliefen tief und ruhig. Harry hatte nur eben seine Brille achtlos auf den Nachttisch gelegt – möglicherweise sogar auf das Päckchen hier – und war dann wie betrunken in sein Bett gefallen. Mit dem Gefühl, nie wieder schlafen zu müssen, war er Sekunden später weggekippt.
Ein Picken an seinem Ohr holte ihn recht unsanft aus den Gedanken, in die er sich eben verlieren wollte – Hedwig forderte ihren Keks. Als sie sich damit wieder auf die Vorhangstange zurückzog, nahm Harry sein Päckchen und ging zurück zum Fenster. Dort löste er Band und Verpackung, öffnete schließlich eine Schachtel und starrte dann ungläubig auf – eine Schokofrosch-Sammelkarte!
Der Abgebildete, als hätte er ihn mit dem Seidenpapier wachgekitzelt, nieste und schlug die Augen auf.
"Guten Morgen, Harry. Ich hatte mich schon gefragt, wann du wohl dein Bett aufsuchen würdest. Aber jetzt bist du ja da, und glücklicherweise muss ich mich nicht mehr darum kümmern, wenn Schüler die ganze Nacht nicht in ihrem Schlafsaal erscheinen", sagte Dumbledore.
"Pst! Äh – ich meine, die anderen – die schlafen noch –", flüsterte Harry und wurde knallrot.
"Sehr schön. Und nachdem du dein Geschenk jetzt ausgepackt hast, musst du mich erst einmal entschuldigen, ich muss zurück in mein Porträt im Büro, bevor ich dort vermisst werde."
Harry starrte ihn immer noch an. Langsam begann er zu begreifen. Dumbledore sah es mit einem Lächeln.
"Sie können mit mir sprechen, aus dieser Karte raus?"
"Hm – offensichtlich, nicht wahr? Eine Spezialanfertigung dieser auch sonst recht informativen kleinen Dinger – an der übrigens Professor McGonagall, Professor Slughorn und Professor Snape nicht ganz unbeteiligt waren."
"Und die – gehört jetzt mir? Ich kann sie mitnehmen – egal wohin ich gehe?"
"Ganz genau", bestätigte Dumbledore. "Ich dachte mir, das ist die einfachste Methode, miteinander in Kontakt zu bleiben. Und nun wünsche ich dir einen schönen Festtag!"
Er hob grüßend die Hand und verschwand aus dem Bild. Harry drehte die Karte um, und statt des Textes über Dumbledore, der dort sonst zu stehen pflegte, las er jetzt: "Für Harry Potter. Unser Dank und unsere besten Wünsche werden ihn immer begleiten." Und darunter standen in winzigen Buchstaben die Namen sämtlicher Lehrer.
Harry schluckte.
Was für ein wundervolles Geschenk! Und Dumbledore würde ihn besuchen, mit ihm sprechen können!
Sorgfältig legte er die Karte zurück in die Schachtel, wickelte diese wieder ins Geschenkpapier und schlang sogar noch das Band darum. Dann legte er sein Geschenk in seinen Koffer, den er bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal wieder öffnete. Als sein Blick dabei auf Regulus Blacks Tagebuch fiel, beschloss er spontan, dass er das Professor Harper geben würde.
Leise schloss er den Koffer wieder und vergewisserte sich, dass er niemanden geweckt hatte. Aber es war immer noch alles still, sogar Ron schlief jetzt ganz ruhig.
Ein weiterer Blick von der Fensterbank aus zeigte ihm, dass die Sonnenstrahlen inzwischen voll über die Wiesen um Hogwarts fielen. Harry konnte zusehen, wie der feine Nebel rasch verdunstete. Vielleicht hatten sie Glück, und das Wetter blieb heute so.
Unten kam nun ein ganzer Trupp von Leuten in grünen Arbeitsanzügen in Sicht. Sie gingen durch die Wiesen in Richtung See, und neben ihnen schwebten mehrere übergroße Container, die grellbunte Aufschriften trugen. Er versuchte, sie zu entziffern, aber sie waren zu weit entfernt, und das Sonnenlicht blendete ihn. Hinter ihnen gingen zwei Rothaarige, die er auch von hier aus als Fred und George Weasley erkannte.
Harry hatte gehört, dass die beiden für den heutigen Tag einiges geplant hatten, aber im Moment konnte er dafür einfach kein großes Interesse aufbringen. Er fühlte sich träge und ein bisschen schläfrig, und in seinem Kopf summte es. Gähnend lehnte er sich an die Leibung des Fensters und schloss die Augen.
Die Monde des Saturn –
Wie gut, dass ich heut nicht Quidditch spielen muss, ging es ihm durch den Kopf, und dann nickte er noch einmal ein.
oooOOOooo
Die Große Halle war bereits festlich in den Farben der verschiedenen Häuser geschmückt und erfüllt von übermütigen Schülern, die heute Morgen ein ziemliches Getöse veranstalteten.
Harry ging zum Gryffindortisch und bemerkte Rons Blick, der ihn ausdruckslos verfolgte. Er war froh, dass alle Plätze um ihn herum schon besetzt waren. Die Quidditchspieler saßen alle zusammen und diskutierten heftig. Offenbar ging es darum, dem neuen Jäger – einem Drittklässler namens Georgios Athenakis – noch alle möglichen Anweisungen und Tricks einzutrichtern. Harry selbst fand eigentlich, dass Georgios seine Sache ziemlich gut machte.
Harry griff sich eine große Schüssel mit Ei, Speck und Pilzen und wollte gerade loslegen, als er Hermione durch die Tür kommen sah. Sie setzte sich nicht neben ihn, sondern auf einen Platz ihm gegenüber und sah ihn erst an, als sie sich einen Becher mit Kürbissaft genommen hatte.
Sie lächelten einander über den Rand des Bechers hinweg an.
An der Lehrertafel stand indessen wieder einmal Professor McGonagall auf, um ein paar Anmerkungen zum Fortgang des Schuljahrs zu machen, das am nächsten Morgen wieder aufgenommen werden sollte.
Professor Trelawney habe bis zum nächsten Schuljahr um Beurlaubung gebeten.
Professor Harper sei ebenfalls beurlaubt.
An ihrer Stelle habe sich Mr Moody bereit erklärt, für den Rest des Schuljahres Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu geben. Er habe da ja noch etwas nachzuholen ...
Harry überlegte, wie der wirkliche Moody den Unterricht wohl gestalten würde. Der falsche hatte seine Sache damals jedenfalls ziemlich gut gemacht, fand er. Es würde interessant sein, das herauszufinden. Dann erst fiel ihm wieder ein, dass er selbst nicht dabei sein würde.
Hermione sah ihn immer noch an, und er hielt sich fest an diesem Blick.
oooOOOooo
Sie verließen die Halle zusammen, Hand in Hand, und so gingen sie auch weiter durch die sonnenüberfluteten Gänge. Sie hatten kein Ziel. Harry wollte einfach noch einmal in Ruhe durch die Schule gehen, und anscheinend verstand Hermione das, denn sie stellte keine Fragen.
Um sie herum schossen mehrere Erstklässler durch den Gang.
"Da – da vorne ist sie!", brüllte einer.
"Fangt sie doch endlich!", schrie ein anderer voller Jagdeifer.
Harry und Hermione entdeckten den Gejagten gleichzeitig. Vor ihnen im Gang bewegte sich mit lang erprobter, aber immer wieder erstaunlicher Geschwindigkeit – Trevor. Nevilles Kröte!
Und dann hatte sie einer der beiden Kleinen gefangen und hielt sie triumphierend mit beiden Händen in die Höhe.
"Ich hab sie!"
"Die gehört übrigens Neville Longbottom", sagte Hermione zu ihm. "Bring sie ihm rüber in den Krankenflügel, der freut sich bestimmt total!"
"Wir könnten auch noch mal nach ihm sehen. Hoffentlich lässt die Pomfrey ihn heute endlich raus", fuhr sie an Harry gewandt fort.
"Lass uns das auf später verschieben", sagte Harry.
"Warum, wir können doch auch jetzt –"
Von weiter vorne im Gang sahen sie beide Bill mit einer Kanne in der Hand herankommen. Er zügelte seine langen Schritte, um den stark hinkenden Snape nicht zu überholen, der neben ihm ging.
"Das wird dieser Trank sein. Der Bill zum Werwolf macht, wenn es wirklich das war, wovon die gestern geredet haben", sagte Hermione.
"Verschwinden wir nach draußen. Ich muss sowieso noch zum Quidditchfeld", sagte Harry.
Aber die beiden Männer bogen vom Gang ab und gingen hinunter zum Kerker.
"Was glaubst du wird jetzt aus ihm?", fragte Harry. "Meinst du, sie werden ihn wirklich verurteilen?"
"Bei Mord? Was sollen sie da schon anderes tun? Und er hat ja gestanden." Hermione sah nachdenklich aus. "Aber ich denke, die Harper wird sich darum kümmern", sagte sie schließlich.
"Die Harper? Wieso sollte sie?", fragte Harry.
Hermione warf ihm einen kurzen Blick zu. "Hast du sie denn nicht gesehen, da auf dem Schiff? Und hier auf der Krankenstation? Ich meine –"
"Nein", sagte Harry verloren. "Na ja, klar hab ich sie gesehen. Aber was war – "
"Schon gut." Hermione verdrehte die Augen. "Ich bin jedenfalls sicher, dass sie sich für ihn einsetzen wird."
Sie hatten die Eingangshalle wieder erreicht, gerade rechtzeitig, um die Ankunft einer Band mitzubekommen, die unter den neugierigen Blicken von zahlreichen Schülern ihre Instrumente ins Schloss trug. Hagrid folgte ihnen mit mehreren Holzgestellen bepackt, die offenbar Teile eines Podiums waren.
"He, macht mal Platz!"
"Sind das nicht die Leute, die bei Bills Hochzeit gespielt haben?", fragte Harry überrascht, als er den dunkelhaarigen jungen Mann sah, der einen Geigenkasten trug. Eindeutig, das war Etienne, Fleurs attraktiver Bruder!
"Ja. Hab's vorhin gehört. Die wollten eigentlich die Weird Sisters, aber die waren schon ausgebucht, weil heute überall gefeiert wird. Da kam Bill auf die Idee, die Franzosen zu fragen", sagte Hermione. "Ich find das toll. Mir hat die Musik gefallen!"
"Von Etienne ganz zu schweigen", sagte Harry grinsend, und einen Moment lang wusste sie offenbar nicht, ob sie ihn in die Rippen boxen oder küssen wollte.
oooOOOooo
Harry sah auf die Uhr. Er hatte noch ein letztes Training angesetzt, bevor das Spiel heute Nachmittag stattfinden sollte. Er hoffte unter anderem, dass es Rons Nerven helfen würde, wenn er heute schon mal gespielt hatte. Urquhart, der Kapitän der Slytherin-Mannschaft, wollte das Feld am Vormittag auch noch mal für seine Leute haben. Zu Harrys Überraschung hatten sie ganz vernünftig und ohne die traditionellen Feindseligkeiten über die Zeiten verhandeln können.
"Musst du los?", fragte Hermione.
"Nee, ist noch zu früh."
"Dann lass uns auch ein bisschen da auf den Wiesen rumgucken! Ich will wissen, was die Leute von Fred und George da aufbauen!"
Draußen auf dem Rasen streunten inzwischen eine Menge Schüler in Grüppchen umher und verfolgten neugierig die verschiedenen Vorbereitungen.
In einiger Entfernung, schon fast bei der Mauer, die Hogwarts umgab, konnten sie Fred und George sehen, die in einem weiträumig abgesperrten Bereich ein ganzes Arsenal von Feuerwerkskörpern aufbauten. Offenbar war das eine sehr komplizierte Angelegenheit, die eine Menge Planung und Überlegung erforderte, denn während George Anweisungen von einem Bogen Pergament ablas, stellte Fred immer wieder etwas um. Zwischendurch verscheuchten sie die Leute, die ihnen allzu aufdringlich nahe rücken wollten.
Inmitten des Rasens bauten Hagrid und Filch eine Bühne auf, umringt von einer auffällig großen Schar von aufgeregten Teenagern.
"Ich wette, die hoffen alle noch auf die Weird Sisters", sagte Hermione grinsend.
"Dann werden sie ganz schön enttäuscht sein, meinst du nicht?", fragte Harry, aber eigentlich war seine Aufmerksamkeit viel mehr davon gefesselt, wie sich ihre Hüfte unter dem Pullover anfühlte.
"Ich weiß nicht", erwiderte sie. "Ich hab gehört, dass Taranis et ses Chiens auch ziemlich gute Rockmusik spielen, so mit irischem Einschlag."
"Hm", murmelte Harry, aber da schob sie seine Hand energisch zurück.
Sie waren inzwischen bei den großen, bunten Containern angekommen, die Harry schon vom Schlafsaal aus gesehen hatte. Die Arbeiter bauten auf der Wiese, die zum See hin langsam abfiel, ein seltsames Gebilde auf.
"Eine neue Errungenschaft meiner Brüder", sagte Bill, der plötzlich neben ihnen auftauchte.
Er war ziemlich blass, und zum ersten Mal seit langer Zeit nahm Harry wieder bewusst wahr, wie schwer die Verletzungen in seinem Gesicht waren. "Sie haben damit angefangen, ein paar – äh, wie nennen die Muggel das doch – Jahrmarktsattraktionen zu vermieten."
"Jahrmarkt?", fragte Harry total überrascht. Von so was hatte er in der Zaubererwelt noch nie gehört.
"Genau. Haben sie natürlich den Muggeln abgeguckt. Und dann ein paar Dinge erfunden und zusammengebaut, die wahrscheinlich nicht mehr viel mit Muggeljahrmärkten zu tun haben."
"Stimmt", sagte Fred selbstzufrieden.
Er kam eben mit einem Arm voll knallroter Feuerwerkskörper an ihnen vorbei. "Wir hatten zwar 'ne Unmenge Probleme, bis die Abteilung für Verbrauchersicherheit im Ministerium ihre Zustimmung gab. Aber jetzt läuft es, und wir sind mit den Dingern für das nächste halbe Jahr ausgebucht."
Einer der Arbeiter hob eben seinen Zauberstab und brüllte etwas. Im selben Moment klappten die merkwürdigen Aufbauten zu einem großen Schiff mit Segeln und allem anderen zusammen, das dann mitten auf der Wiese stand.
"Der Fliegende Holländer", erklärte Fred stolz. "Eins unserer Glanzlichter."
"Na, besonders fliegend sieht das Ding im Moment aber nicht aus!", sagte Hermione skeptisch.
"Und wer sind die da?", fragte Harry, dem erst jetzt die höchst merkwürdige Ansammlung von Gestalten auffiel, die auf dem Dach eines der Container herumlungerten.
Dass er sie erst jetzt entdeckte, war nicht so überraschend, denn im hellen Sonnenlicht hier draußen waren sie beinahe unsichtbar, kaum mehr als blasse Schemen, die ein wenig schimmerten, wenn sie sich bewegten. Als er jetzt genauer hinsah, erkannte Harry, dass sie alle Seemannskleidung trugen.
"Das ist die Besatzung", grinste Fred. "Alles echte Geister. Verdammt schwer lenkbar, sag ich euch, denn ihr könnt ihnen ja nicht mal mit Lohnkürzung oder Rausschmiss drohen, wenn sie Mist bauen. Und leider ist schlechtes Benehmen so was wie 'ne Berufskrankheit bei denen. Wir haben sie ja schließlich eingestellt, damit sie den Leuten den Angstschweiß auf die Stirn treiben."
Harry und Hermione sahen ihn verständnislos an.
"Das ist 'ne Geisterbahn, Leute, so was solltet ihr beide doch wirklich kennen!", rief Fred. "Und sie ist bisher ein echter Knüller, wartet's ab bis heute Abend!"
Jetzt wechselten Harry und Hermione einen skeptischen Blick. Eine Geisterbahn – als Vergnügen für Leute, die gerade ein paar Tage in einer Inter-Dimensionsblase hinter sich hatten!
"Ja, ja, ich weiß, was ihr denkt!", sagte Fred im Weggehen. "Aber sie werden es lieben! Ihr werdet's schon sehen! Und für zartere Gemüter haben wir auch noch die Riesenschaukel da drüben!"
"Eigentlich wollten sie so ein gigantisches Ding rund ums Schloss aufbauen – Achterbahn heißt das bei den Muggeln, glaube ich. Aber da hat McGonagall dann doch mal Nein gesagt", sagte Bill grinsend. "So, ich muss rein!"
"Ich bin ja mal gespannt auf heute Abend", sagte Hermione, die seit ihrer Kindheit nicht mehr auf einem Jahrmarkt gewesen war.
"Ich auch", sagte Harry, und Hermione machte sich noch einmal von ihm los und hielt lachend seine Hände fest.
Aber dann begegneten sich ihre Blicke, und er konnte hinter dem Lachen die ängstliche Frage nach der Zukunft in ihren Augen sehen.
oooOOOooo
Das war kaum zu ertragen! Da flogen sie hoch über ihnen vor dem hellen Blau des Septemberhimmels und warfen sich den Quaffel zu – und er saß hier auf der Tribüne wie ein Invalider und sah ihnen zu. Seine Hände krallten sich immer wieder in das Holz der Bank, auf der er saß. In dieser Stunde hätte er fast alles gegeben, um seine Entscheidung rückgängig machen zu können. Er hatte nicht gewusst, wie sehr ihm Quidditch am Herzen lag – das Fliegen, das Suchen, die wilde Aufregung, wenn der Schnatz endlich entdeckt war! Zu wissen, dass er das nie mehr tun würde, das – ja, das reichte fast aus, einem das Herz zu brechen!
Hermione sah ihn zweifelnd von der Seite an. Aber im Moment konnte selbst sie ihn nicht trösten. So saß er da und knirschte mit den Zähnen, ohne es zu bemerken. Das Spiel selbst glitt wie ein Traum an ihm vorüber. Die Schreie der Spieler und der Zuschauer, aufbrandender Jubel auf der einen, Verwünschungen auf der anderen Seite – alles übertönt von Lunas träumerischen Kommentaren – ihre Stimme passte noch am besten zu der Art, wie er dieses Spiel erlebte.
Sie spielten erstaunlich gut, wenn man die lange Trainingspause bedachte. Vor allem Ginny spielte mit höchster Konzentration und einer kühlen Angriffslust, die ihn beeindruckte. Demelza und Georgios wirkten blass neben ihr. Sie hatte allein schon drei Tore erzielt. Das zumindest hatte er mitbekommen. Und die neue Hüterin schien auch nicht schlecht zu sein.
Gelegentlich fiel sein Blick auf die Tribüne des Gegners, wo zwischen all den anderen Slytherins Dracos heller Haarschopf unverkennbar war. Genau wie Harry selbst saß auch er still auf seinem Platz und versuchte dem Spiel zu folgen, obwohl sein Kopf zweifellos voll anderer Bilder war ...
Seit ein paar Tagen kursierten überall Gerüchte über Draco – es hieß, dass er mit seiner Mutter zusammen die letzten Wochen in Voldemorts Kerker verbracht hatte, dass sein eigener Vater ihm die Hand abgehackt hatte und später selbst umgebracht worden war. Von Snape. Harry hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte. Aber unmöglich schien es ihm nicht.
Seine Mutter lag immer noch oben auf der Krankenstation. Draco selbst war heute Morgen das erste Mal zum Frühstück in die Große Halle gekommen, schweigsam und mit diesem teilnahmslosen Blick, mit dem er sich seitdem durch die Schule bewegte, immer begleitet von Pansy Parkinson.
Es hieß, dass er Hogwarts verlassen würde, sobald seine Mutter wieder auf den Beinen war. Angeblich war auch er inzwischen von den Auroren verhört worden und musste sich auf eine Untersuchung im Ministerium gefasst machen. Zu Harrys Überraschung wurde er überwiegend in Ruhe gelassen, trotz allem, was man über seine Verwicklung in die Todesser-Aktivitäten und nicht zuletzt in den Mord an Dumbledore wusste. Es schien, als wichen ihm die Leute eher aus.
Als Harry jetzt zu ihm hinüberblickte, wo er so blass und still zwischen all diesen mit grünen Schals und Kappen geschmückten Slytherins saß, die unvermeidliche Pansy an seiner Seite, da konnte er keinerlei Hass mehr auf ihn empfinden. Und wie seltsam es war, dass sie beide jetzt hier als ehemalige Sucher auf den Tribünen saßen und zum Zusehen verdammt waren!
Mit einem Gefühl der Leere wandte er den Blick wieder von Draco ab und dem Spiel zu.
Und er war sich sicher, dass er der Erste war, der den Goldenen Schnatz schließlich sichtete! Das goldene Flirren, das ziemlich genau in der Mitte des Spielfeldes für Sekundenbruchteile im Sonnenlicht aufblitzte, ließ sein Herz schneller schlagen und ihn von der Bank aufspringen. Jetzt – jetzt – das wäre sein Einsatz gewesen!
Da – Ron hatte ihn auch gesehen! Harper, der wegen Dracos Ausfallen wieder als Sucher der Slytherins spielte, hatte aber offensichtlich noch nichts gemerkt! Wenn Ron bloß aufpasste – aber bis jetzt machte er das ganz geschickt. Den Schnatz im Blick flog er schnell, aber nicht hastig in dessen Richtung und erhöhte das Tempo erst, als er deutlich näher daran war als Harper. Und dann endlich sah auch Harper, was los war.
Mit angehaltenem Atem verfolgten die Zuschauer, wie die beiden Sucher nun dem Zickzackkurs des Goldenen Schnatzes nachjagten. Beide Seiten feuerten ihren Spieler immer lauter an – Harry hörte das alte Kampflied "Weasley ist unser King!" aufklingen und sah, wie Hermione neben ihm begeistert mitbrüllte.
Der Schnatz stürzte sich plötzlich in die Tiefe, gefolgt von beiden Suchern. Rücksichtslos schossen sie zwischen den anderen Spielern hindurch, tiefer, immer tiefer.
"Sie werden aufknallen!", schrie Hermione, die längst von der Bank aufgesprungen war und herumzappelte.
Der Schnatz schlug eine Bahn knapp einen Meter über dem Boden ein. Die Zuschauer brüllten, als Ron und Harper beinahe auf dem Rasen aufschlugen. Ihre Füße pflügten kurz durch den schlammigen Boden und wirbelten jede Menge davon auf. Ron wäre fast vom Besen gefallen, als er sich den größten Schlammspritzer aus den Augen zu wischen versuchte.
Der Schnatz sauste mit unglaublicher Geschwindigkeit über das Spielfeld. Als er eben in einem unerwarteten Bogen wieder hochzog, flog Ron – ob beabsichtigt oder nicht, blieb sein Geheimnis, aber es sah sehr beeindruckend aus – eine schnelle Schraube, drehte sich mehrfach um die Längsachse, während er wie ein Geschoss schräg nach oben raste – und den Schnatz einen Sekundenbruchteil früher packte, als Harper ihn erreichte.
Unglücklicherweise traf ihn in diesem Moment ein Klatscher so hart in den Rücken, dass er das Gleichgewicht verlor und unter dem Geschrei der Zuschauer hinabstürzte, eine Hand krampfhaft um den Besen geklammert. Nur wenig abgebremst krachte er so in den aufgeweichten Boden des Spielfeldes und verursachte eine Schlammfontäne.
Als sich der Schlamm wieder gelegt hatte, arbeitete Ron sich daraus hervor, stand mit etwas wackeligen Schritten auf und streckte die rechte Hand in die Höhe.
"Ich hab ihn! Ich hab ihn!", brüllte er. "Yeah, Mann, ich hab ihn!"
Tatsächlich war etwas Goldenes in der Hand der ansonsten schwärzlich übergossenen Gestalt zu erkennen.
Unglaublicher Jubel brach in den Reihen der Gryffindors aus. Und weil es ein Freundschaftsspiel gewesen war und die Fronten zwischen den Häusern ohnehin noch nicht wieder so scharf gezogen waren, ließen sich schließlich sogar die Slytherins zu einem verhaltenen Beifall hinreißen.
Harry und Hermione aber sahen nur Ron an, der da unten schlammbedeckt und jubelnd stand, einmal der strahlende Mittelpunkt.
"Komm, gehen wir runter zu ihm!", sagte Hermione plötzlich, und während noch die übrigen Spieler nach und nach auf dem Spielfeld landeten, kamen sie auch dazu.
Ron ließ sich feiern, aber als er Harry und Hermione sah, machte er sich von den Mitspielern los und stürmte auf sie zu. Aus seinem schlammverkrusteten Gesicht strahlten ihnen nur die Augen entgegen, aber das war auch genug.
"Ich hab's geschafft! Mann, ist das nicht Wahnsinn! Harry, ich hab's geschafft!", brüllte er, und als er vor ihnen stand, packte er Harry plötzlich und umarmte ihn.
"Oh Mann", sagte Ron. "Das war so toll! Ich hab mich echt wie ein Idiot benommen. Und jetzt bist du auch total voll Schlamm!"
Harry lachte, weil er so blöd aussah mit seinem schlammverschmierten Gesicht und weil er Grashalme in den Haaren hatte und es nicht merkte, und dann fing er an zu weinen.
Na klasse, dachte er voll Abscheu. Auch das noch. Jetzt bin ich auch dran.
Ron schlug ihm mit der Hand auf den Rücken, was wohl so etwas wie ein Tätscheln sein sollte.
"Jetzt hör' doch bloß auf damit, Harry!", sagte er mit gefährlich schwankender Stimme. "Ich will jetzt nicht auch noch anfangen, nicht jetzt, verstehst du, nicht in diesem verdammt guten Moment!"
"Ich mach' doch gar nichts", sagte Harry und wischte sich über die Augen.
"Tut mir alles leid, Harry. Dass ich dich geschlagen hab und so. Wirklich. Ich – ich hab es nicht so gemeint, was ich da gesagt hab."
"Mir tut's auch leid", sagte Harry. "Und den Schlag hatte ich verdient."
"Ja, verdammt. Das stimmt. Ich sollte dir noch einen verpassen!"
Aber bevor es dazu kommen konnte, war auf einmal auch Hermione bei ihnen.
Das war der beste Moment von allen. Als Ron auch sie mit in ihre Umarmung hineinzog.
oooOOOooo
Als Harry die letzten Schlammreste von seinem Gesicht geschabt hatte, blieb sein Blick an seinem Spiegelbild hängen. Das war seit vielen Wochen das erste Mal, dass er sich selbst bewusst in einem Spiegel sah. Während ihm die Wassertropfen von Kinn und Nase ins Waschbecken fielen, starrte er hin, gebannt von seinem eigenen, fremd gewordenen Anblick. Schließlich setzte er sogar seine Brille wieder auf, um genauer sehen zu können.
Das Gesicht seines Vaters, und die Augen – die Augen –
Er sollte sie rausnehmen, es wären nicht seine – hatte das nicht Snape in dieser grässlichen Spiegelgangszene gesagt? Echt krank. Und irgendwie schrecklich.
James Pepperleaf, sagte Harry probeweise zu seinem Spiegelbild. Ja, das hat was!
Ein Grinsen breitete sich langsam über sein ganzes Gesicht aus. Er trocknete sich ab und machte sich dann auf den Weg nach unten, zum Festessen.
Im Treppenhaus entdeckte er Harper, die mit einer Hand am Geländer ziemlich gelassen nach unten ging.
"Vorsicht auf der nächsten Treppe!", sagte Harry, als er sie einholte. "Da gibt's 'ne Stufe, die immer gerade dann verschwindet, wenn man drauftreten will."
"Ich erinnere mich, aber trotzdem vielen Dank!"
Während immer wieder Leute an ihnen vorbei liefen, entschloss sich Harry, neben ihr zu bleiben.
"Sie halten sich ziemlich gut, Mr Potter", sagte Harper mit einem schiefen Grinsen. "Aber verdrücken wollen Sie sich trotzdem, hab ich Recht?"
"Verdrücken?", fragte Harry zurück. "Kann man wohl kaum so nennen! Ich gehör' nicht mehr wirklich hierhin, oder? Wollen Sie mich vielleicht aufhalten?"
Harper lachte leise.
"Nein. Auch diesmal nicht. Ich denke, Sie werden schon das Richtige tun. Dafür haben Sie anscheinend ein Talent."
"Mein Cousin – den hat's erwischt", hörte sich Harry zu seiner eigenen Überraschung sagen. "Ein Dementor hat ihn und meine Tante angegriffen. Sie ist tot. Und er – durchgedreht."
"Und jetzt? Wollen Sie ihn finden?"
"Na ja – er ist ein Muggel, verstehen Sie. Er ist schon mal einem Dementor begegnet und ziemlich ausgeflippt. Ich meine, keiner wird kapieren, was er sagt, oder? Die werden ihn ins Irrenhaus sperren."
"Gut möglich", erwiderte Harper. "Auch wenn das eigentlich nicht mehr so heißt."
"Er ist ein ziemliches Ekel", sagte Harry nachdenklich. "Und seiner Figur könnte ein bisschen Überwachung auch nicht schaden. Aber – irgendwer sollte doch versuchen, ihn da rauszuholen. Meine Tante – also, er war ihr Liebling – das wär' schrecklich für sie, wenn sie das wüsste."
Was red' ich hier eigentlich, fragte er sich mit einem Anflug von Verzweiflung über seine eigene Redseligkeit. Er hatte zwar inzwischen eine ganze Menge darüber nachgedacht, aber bisher nicht einmal mit Hermione über seine Pläne gesprochen.
"Was meinen Sie, werden Sie klar kommen in der Muggelwelt?", fragte Harper nun ganz sachlich, und Harry merkte, wie gut ihm das tat. Die Sache mal von jemandem betrachten zu lassen, dem seine Entscheidung ganz egal sein konnte.
"Glaub schon, ja. Ich bin da aufgewachsen. Ich muss mal sehen. Wo ich anfange und so. Es gibt da ein Haus – das gehörte meinen Eltern. Das müsste jetzt eigentlich mir gehören."
Harper ging ein paar Schritte schweigend neben ihm her.
"Sie sollten die magische Welt nicht vergessen", sagte sie dann. "Sehen Sie mich an: Mein Vater war ein Squib, meine Mutter eine Muggel ohne einen Tropfen magisches Blut – und ich bin – eine Hexe."
Sie lächelte. "Ihre Kinder werden eines Tages nach Hogwarts gehen, Harry, glauben Sie mir!"
"Danke", sagte er und öffnete die Tür zur Großen Halle für sie. "Auch für alles andere. Ich hab's nicht immer direkt kapiert."
"Manches kapieren Sie vielleicht auch jetzt noch nicht", erwiderte sie trocken. "Aber mir geht's ehrlich gesagt nicht anders."
Die Halle war schon ziemlich voll und schwirrte von Stimmen und schien in ein Meer von Farben und Licht getaucht. Jeder Tisch prangte in den Farben seines Hauses, und die Wände waren abwechselnd mit langen Stoffbahnen in den vier Farben drapiert.
Harry sah Ron, Ginny und Hermione zusammen am Gryffindortisch sitzen. Hermione hatte ihn entdeckt und winkte ihn heran. Da drängte sich hinter ihm Neville durch die Tür, blass und immer noch ein wenig ausgebeult im Gesicht, aber mit viel wacherem Blick. Er wollte ihn gerade begrüßen, als er hinter Neville Professor Slughorn entdeckte, der in den Gang zurückblickte.
"Professor McGonagall hat sich also erweichen lassen, die Bestimmungen ein wenig zu lockern?", sagte dieser. "Wie schön, dass Sie sich doch noch entschieden haben, ein wenig am Fest teilzunehmen!"
"Ich bin hier, weil es Professor McGonagalls ausdrückliche Anweisung war", erwiderte Snape kühl.
Diesmal war es zu spät, um unauffällig zu verschwinden. Also blieb Harry einfach stehen und sah zu, wie sein alter Feind mit mühsamen Schritten an ihm vorbeiging. Der Blick, den er Harry zuwarf, war nicht kalt, sondern nur ernst.
"Severus? Sind Sie das?", fragte Harper. "Warten Sie. Ich werde Sie begleiten."
Sie hielt ihm den Arm hin.
"Wenn Sie mich führen, werde ich Sie stützen!", sagte sie mit einem Grinsen.
Ein säuerliches Lächeln kräuselte seine Lippen, aber er nahm ihren Arm. Während sie in Richtung Lehrertisch gingen, zogen Harry und Neville zum Gryffindor-Tisch hinüber, wo vor allem die siegreichen Quidditchspieler mächtig Lärm machten. Ron saß glücklich mittendrin und war offensichtlich bereit, beim Festessen sämtliche verpassten Mahlzeiten der letzten Zeit auf einmal nachzuholen.
"Keine weitere Rede mehr!", rief Professor McGonagall ihnen zu. "Guten Appetit, und vergessen Sie das Feuerwerk nachher nicht!"
"Sie macht sich", sagte Fred und nahm sich eine Platte mit Koteletts.
"Ja, die tiefsinnige Kürze von Schwachkopf, Schwabbelspeck, Krimskrams und Quiek hat sie zwar noch nicht erreicht – aber du hast Recht, sie macht sich!", gab George zurück, während er gebratene Hähnchenschenkel auf seinen Teller häufte.
oooOOOooo
Und dann war es Abend geworden, und die Schüler drängten sich unter den bunten, bisweilen recht eigenwillig umherfliegenden Lichtern der Marke Irrwisch (von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze), beteiligten sich an verrückten Zauberwettkämpfen (inzwischen waren auch die auf der Flucht vertauschten Zauberstäbe so ziemlich alle wieder bei ihren rechtmäßigen Besitzern angekommen), kauften absurde Scherzartikel, die die Schule noch eine Weile in Atem halten würden, an einem Stand (von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze) und zahnschädigende Köstlichkeiten an einem anderen (vom inzwischen einigermaßen wiederhergestellten Honigtopf aus Hogsmeade). Sie kreischten im Fliegenden Holländer (der tatsächlich über den See, aber auch um die Turmspitzen herum flog) und kämpften mit ihren überladenen Mägen auf der Riesenschaukel (die ganz sicher nichts für zartere Gemüter war, wenn man nach den Schreien urteilen durfte, die ständig von dort herüberschallten). Sie lauschten der Musik von Taranis et ses Chiens, und die Mutigeren unter ihnen tanzten sogar.
Hermione und Harry ließen sich zusammen mit Ron und Neville von der quirlenden Menge über die Wiesen treiben, probierten aber weder den Fliegenden Holländer noch die Riesenschaukel, und auch an den Zauberwettkämpfen nahmen sie nicht teil. Schließlich blieben sie am Rand der Tanzfläche stehen und sahen Ginny zu, deren Tanzen mit jeder vergehenden Minute die Falten der Missbilligung auf Rons Gesicht vertiefte. Neville fiel beinahe in Ohnmacht, als er von einem sehr hübschen schwarzhaarigen Mädchen auf die Tanzfläche gezogen wurde.
Es war ein unterhaltsamer Abend, und es war gut, die ausgelassene Stimmung mitzukriegen, in der sich die Schrecknisse der vergangenen Wochen auflösten. Aber Harry – und auch Hermione – konnten sich nicht wirklich da hineinfinden. Insgeheim warteten sie auf das Ende des Festes.
Und endlich kündigte ein erster ohrenbetäubender Knaller den Beginn des Feuerwerks an.
Sie strömten von allen Seiten auf dem Rasen zusammen, um den letzten Höhepunkt des Tages zu genießen, und sie wurden nicht enttäuscht: Die beiden Weasleys hatten alles aufgefahren, was sie hatten, und zündeten ein grandioses Feuerwerk.
Fast eine Stunde lang sahen sie alle zu, wie vielfarbige und immer neue Feuerblumen am Nachthimmel erblühten. Viele von ihnen zerstoben zu Gebilden, die wie riesige Quallen aussahen, deren lange Arme anmutig über ihnen dahinstrichen und alle Bäume und Gebäude, die sie berührten, für Minuten mit funkelnden Bändern überzogen.
Vor Beginn des Feuerwerks hatte George versichert, dass die verschiedenen Flammen völlig ungefährlich seien und niemand beunruhigt sein sollte, wenn sie irgendwo niederfielen. Aber keiner hatte mit einem Schauspiel wie dem gerechnet, das mit der Zündung der letzten Serie von Feuerwerkskörpern begann. Rote und grüne Kugeln schossen in wirbelnden Bahnen hoch über die Zuschauer und verwandelten sich über dem See in unzählige kleine Lichtfunken, die mit einem Prasseln wie ein starker Regenschauer über dem Wasser und den umstehenden Bäumen niedergingen. Sie verloschen nicht, sondern trieben langsam auf dem ruhigen, schwarzen Wasser dahin, bis der See wie ein Teppich aus blassgoldenen Lichtern aussah. Auch in den Bäumen blieben sie als zarte Girlanden hängen.
"Ist das schön!", sagte Hermione leise, und das war auch wie ein kollektiver Seufzer aus der Menge zu hören.
Immer mehr Leute gingen zum See hinunter, viele von ihnen Arm in Arm und fast alle schweigend. Am Seeufer verteilten sie sich und blieben stehen. Auch Harry, Hermione und Ron folgten ihnen.
Als Harry Hermione ein bisschen von den anderen wegziehen wollte in das tiefere Dunkel jenseits des Weges, hielt sie ihn zurück.
"Lass uns da wegbleiben", flüsterte Hermione und warf einen vielsagenden Blick in die Richtung. Harry sah die beiden erst jetzt, die eng umschlungen da standen, wo der Weg sich ins Dunkel verlor.
"Gehen wir in die andere Richtung", sagte Hermione. Und schließlich, weil sie sonst geplatzt wäre: "Hast du gesehen, wer das war?"
"Nein", sagte Harry, dem das auch ziemlich egal war.
Im Moment wurde hier so viel herumgeküsst, dass man geradezu den Überblick verlor. Er zog Hermione an sich, und so blieben sie stehen.
Sein Blick fiel auf eine Bank schräg vor ihnen, auf der beinebaumelnd einige Winzlinge saßen. Einer von ihnen wandte sich um, und zwischen den Falten eines grünsilbernen Slytherin-Schals konnte Harry die Funken sehen, die der Drache auf dem übergroßen T-Shirt darunter ausstieß. Das Mädchen entdeckte ihn im selben Moment und winkte ihm vergnügt mit einem gigantischen Exemplar von Lola's-Lila-Lollies zu, hinter dem ihr Gesicht dann sofort wieder verschwand.
Harry lächelte.
Dem Prasseln des letzten Lichterregens folgte eine tiefe Stille.
Und dann erhob sich aus der Stille eine Stimme, die sie alle schon einmal vernommen hatten, aber so wie sie in jener anderen Nacht voll Klage gewesen war, so war sie jetzt voller Süße und Freude. Das Lied des Phönix erklang aus der Richtung von Dumbledores Grabmal, und keiner, der es hörte, konnte länger bei Traurigkeit oder Verzweiflung verweilen.
"Fawkes!", flüsterte Hermione. "Er ist zurückgekommen!"
Harry, Ron und Hermione standen ganz still beieinander und hörten zu, während die Lichter immer weiter über das Wasser hinaus in die Dunkelheit glitten.
Also gut, dachte Harry. Ich bin vielleicht kein Zauberer mehr. Aber ich habe Freunde hier, und ich kann hierher zurückkehren. Das wird immer mein Zuhause sein!
Und in diesem Moment war er glücklich.
ENDE
