Fünfzehn

Kashgar, China

Villa Zong

11.Dezember 2004

22:00 Uhr

"Damit wird einiges klar und zwar auf eine der unschönsten Weisen wie ich sie mir hätte vorstellen können.", Lara senkte das Fernglas und sprach in ihr Headset. Indy und Sara hatten ihr gerade mitgeteilt, dass ihr Artikel in einem ziemlich stark gesicherten Safe aufbewahrt wurde und erst kurz vor seiner Versteigerung dort herausgeholt wurde. Dann würde es auf der Bühne liegen, verdeckt von einer Säule aus Seide, die sich heben würde, sobald die Gebote gefallen waren.

Es war ein Überraschungsartikel. Lara rückte sich den Kälteanzug zu Recht und murmelte leise: „Scheiß Latex."

Ich find es ziemlich cool. Du siehst heiß aus Baby.", ertönte die Stimme von Chase an ihrem Ohr. Er saß in dem Lieferwagen und hakte sich gerade in das Sicherheitssystem der Villa. Es gab Wärmesuchkameras, Videokameras, Wächter, Laserschranken und ähnliches Zeug. Sara und Indy waren im Inneren Undercover und sollten überwachen, wann ihre Überraschung auf die Bühne geholt würde.

Die beiden würden die Feier einwenig sabotieren, damit Lara mehr Zeit haben würde das Pergament zu bergen. Es würde doch schwieriger werden, als sie es eigentlich gedacht hatte. Alles eine Frage des Timings. Noch hatte die Versteigerung nicht angefangen und Lara legte wieder das Fernglas an die Augen.

Sara stand am Fenster und sah kurz zu ihr herauf, machte ein Zeichen das die Versteigerung bald anfangen würde, dann lächelte sie und schloss sich einer Gruppe von Menschen an. Lara beneidete sie. Sie würde auch viel lieber mit ihnen da unten sein und an der Versteigerung teilnehmen, das würde viel mehr Spaß machen, als hier rumzusitzen und zu frieren. Und außerdem trug Sara ein wunderschönes, dunkelblaues Kleid.

„Chase, wie sieht's aus? Wann kann ich endlich loslegen?", wollte sie von ihm wissen. Am anderen Ende der Leitung ertönte seine Stimme: „Noch nicht, Red. Noch nicht. Geduld ist eine Tugend.", flötete er in ihr Ohr.

„Ich kenn mich mit Tugenden aus, Chase. Geduld gehört aber nicht zu meinen!", murmelte Lara und ging im Kopf noch mal den Plan durch.

Auf das andere Dach wechseln, einsteigen ohne bemerkt zu werden, sich hinauf zur Bühne arbeiten und von dort abseilen und Pergament bergen. Das war gut und wenn sie es schaffte würde es noch viel besser sein. Die Ausrüstung sollte jedenfalls reichen! Erneut warf sie ein Blick durch ihr Fernglas und lies es über das Anwesen streifen.

Es gab insgesamt sechs Möglichkeiten in das Haus durch das Erdgeschoss zu gelangen, doch an jeder der Türen standen mindestens vier Chinesen. Manchmal sogar mehr. Im zweiten Stock gab es vergitterte Fenster und einen oder zwei Balkone, denn sie hatte keinen Blick auf die gegenüberliegende Seite des Hauses.

Und diese waren auch bewacht. Auf dem Dach stand ebenfalls einer der schwarzgekleideten Wächter und sie fand mindestens vier noch im Ballsaal, wo die Party stieg. Yu Noa schien wohl mit ähnlichem gerechnet zu haben. Vielleicht hatte ihn jemand informiert? Oder er war es einfach schon gewohnt.

Dem Lageplan zu folge gab es einen Weg über das Dach, den sie ungesehen nutzen konnte. Doch es könnte sein, dass er vielleicht schon zugemauert war, da der Plan schon was älter war, als das Anwesen noch in den Händen von seinem Vorfahren war. Der Mann war angeblich ein Musterbeispiel an Tugend und Nächstenliebe gewesen. Er war viel unterwegs und half Kinder in Afrika und auch in anderen Mittellosen Ländern.

Dann war er eines Tages von einem Blitz erschlagen worden. Ironie des Schicksals, dachte Lara und warf vorsichtshalber einen Blick zum Himmel. Doch die Nacht war klar. Keine Wolken.

Lara blickte erneut auf die Gäste. Ein Haufen von Prominenten chinesischen Schauspielern und auch ein Haufen anderer Machtgieriger Chinesen, die Lara aus Zeitungsartikeln kannte. Dann eine Hand voll Amerikaner und Engländer und mittendrin. Samuel Quill. Dieser Schmarotzer.

Zwar hatte er Lara damals geholfen wieder in ihre Zeit zu gelangen, als sie einen unfreiwilligen Abstecher zu Caronne genommen hatte. Doch er hatte ihr das Auge von Shaherettin gestohlen. Und sie wusste nicht ob sie ihn dafür hassen, oder lieben sollte. Da war auch schon der Punkt: Lieben. Er meinte er hätte in der Zukunft gesehen, wie er und sie ein Paar wurden.

Doch sie wollte es auf jeden Fall verhindern. Und sie wollte das Auge haben. In seinen Händen war es zu nichts nutze. Und außerdem war es gefährlich. Doch wie sie in der Zukunft gesehen hatte, hatte Lara ihm das Auge wohl nicht stehlen können. Aber sie würde alles daran setzen um sowohl die eine, als auch die andere Zukunft zu verhindern.

Sie mochte Quill nicht besonders und jetzt war er da und drohte alles zu zerstören. Was zur Hölle wollte er dort? Sara unterhielt sich lachend mit ihm. Lara hatte ihrer Freundin gesagt, sie sollte ihn im Auge behalten. Lara traute ihm nicht.

Ihre rechte Hand fuhr automatisch zu ihren Pistolengurt und strich über das kalte Eisen ihrer Beretta Pistole. Quill, dachte sie wütend, was willst du dort. Normalerweise war er niemand, der sich mit so was abgab? Ob er was mit Yu Noa zu tun hatte?

Lara schnaubte und hakte das Fernglas an ihrem Waffengurt fest. Dann richtete sie sich langsam auf und blickte auf ihre Uhr. Es war langsam an der Zeit, sie musste losschlagen. Sara gab ein Zeichen.

Denn die Versteigerung hatte angefangen: „Chase, wie lange noch?"

Einen Moment kam nichts, dann hörte sie ein schnauben und dann die Stimme von Chase: „Okay, Babe. Kannst dich austoben gehen, viel Glück." „So was brauch ich nicht Chase.", entgegnete sie und zog eine ihrer Pistolen, schraubte einen Schalldämpfer und ein Visier dran, dann legte sie die Waffe an und zielte auf den Wachmann auf dem Dach.

Dann schoss sie und tötete ihn. Der Chinese kippte auf die Seite und wäre beinah über den Balkon gekippt. Das wäre Fatal gewesen. Aber Lara hatte Glück gehabt. „Anscheinend brauch ich es doch.", murmelte sie leise, zog eine Nachtsichtbrille und sprang.

Sara gähnte und blickte auf ihre Armbanduhr. Die Versteigerung würde bald losgehen. Sie gab Lara das Zeichen durch die große, verglaste Westseite des Anwesens. Die Feier fand im Erdgeschoss statt.

Sara mochte dieses Haus nicht besonders. Es war an sich sehr schick mit vielen Fenstern und Terrassen, Gemälden an der Wand und wunderschönen Sitzgelegenheiten. An der Decke hingen chinesische Kronleuchter und an der südlichen Wand waren viele Schwerter und andere antike Waffen angebracht. Yu Noa selbst wuselte irgendwo wie eine Ratte in der Menge.

Nach allem was Sara über ihn gehört hatte, war er ein Boss von irgendeiner großen Gang. Und doch wirkte er eher wie so ein Staubsaugervertreter. Sein Kopf war kahl und er war fast einen halben Kopf kleiner als Sara und sie war auch nicht besonders riesig. Die Gäste waren alle schon jetzt angetrunken, bei der Menge Alkohol die ausgegeben wurde. Sara selbst hatte an ihrem Sektglas nur genippt. Es schmeckte ihr irgendwie nicht. Nicht heute.

Dafür war sie viel zu aufgeregt. Doch ihr gefiel das Kleid, dass sie sich hier in einem Laden hatte kaufen müssen. Indiana war als ihr offizieller Begleiter eingetragen. Doch sie hatte ihn lange nicht mehr gesehen, denn er unterhielt sich mit einigen der reichen Männer in dieser Feier.

Keiner davon sprach Sara an. Es gab nur eine Handvoll Amerikaner und die meisten kamen aus Kalifornien oder irgendwo dort in der Nähe. Und die Briten hatten alle ihre Frauen dabei. Der einzige der ebenfalls ohne Begleitung war, war Samuel Quill.

Und er war für Saras Geschmack schon ein Stück zu alt und nach allem, was Lara ihr eben über das Headset erzählt hatte, war sie nicht besonders begierig darauf ihn kennen zu lernen. Ein reicher, verwöhnter, prolliger Kerl mit einem Hang zum Harem. Angeblich hatte er in Louisiana einen gehabt, bis dieser untergegangen war. Lara hatte gemeint, Sara könnte das ruhig wörtlich nehmen.

Und das tat sie auch. Sie kannte Lara viel zu gut, um dies nicht wörtlich zu nehmen. „Sehr geehrte Damen und Herren.", Sara blickte sich um, als sie einen Mann auf Englisch reden hörte. Es war Yu Noa, der auf einer kleinen Bühne stand und die Menge angrinste. Diese spendete ihm einen Haufen Beifall.

Indy kam wieder neben sie und flüsterte: „Es beginnt." Beinah hätte Sara gesagt: ‚Ach nein und wie bist du darauf gekommen, Nostradamos?' doch sie behielt es für sich. Indiana konnte nun mal nichts dafür, dass ihm die Feier spaß machte und Sara es einfach nur zu kotzen fand. Das nahm sie allerdings nicht unbedingt wörtlich.

„Herzlich willkommen.", sprach er weiter, als der Beifall verklang. Sara warf einen Blick zu Quill, der noch immer in seiner Ecke stand und alle Misstrauisch musterte. War das eigentlich nur purer Zufall, dass sich der Typ hier auch befand. „Ich möchte sie herzlich willkommen heißen zu meinem Bankett. Wir möchten mit der Versteigerung beginnen. Unser erstes Objekt ist ein antikes, chinesisches Gebilde...", Sara hörte schon nicht mehr hin, während sie zusah wie zwei Männer in schwarzem Anzug und schwarzer Sonnenbrille ein Gemälde hineinschoben.

Sie konnte von ihrer Position nicht genau erkennen, was es für ein Bild war. Aber sicherlich ein Original. Lara hätte ihren Spaß gehabt einen Haufen Sachen zu ersteigern. Doch sie war nun mal nicht hier. Und außerdem kam sie sich vor wie bei Ebay. Sie gab ein unauffälliges Zeichen zum Fenster hinaus, dass Lara los musste.

Es konnte nicht sehr lange dauern, bis das Pergament dran war. Sara warf einen Blick durch den Ballsaal. Bei der Bühne gab es, wie in einem echten Theater auch Metallgerüste. Lara konnte sich also ohne weiteres ungesehen bewegen, denn die Gerüste lagen alle im Schatten und ihr Outfit war so schwarz wie die Nacht.

„Denkst du nicht, wir sollten auch mitbieten?", wollte Indiana wissen. „Hmm? Was?", sie entschwand ihrer Traumwelt und kam wieder in die Realität. „Denkst du nicht, wir sollten auch mitbieten?", wiederholte er.

Sie zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung. Stand das im Plan?" „Nein, aber wir fallen sicher auf, wenn wir als einziges Paar nichts machen.", erklärte der Grabräuber seine Bedenken genauer. Und sie musste zugeben, dass er Recht hatte. Doch da war noch was anderes, was sie auch nicht überhört hatte: „Paar?"

Er nickte.

„Klar, wir sind immerhin hier als Mann und Frau, nicht?", er grinste und ergriff ihre Hand, dann blickten sie beide in Richtung Bühne, wo Yu Noa einige Gebote aufnahm. „zwölftausend? Bietet irgendwer mehr? Nein...na dann...zum ersten, zum zweiten, zum...", in dem Moment hob Indiana seine Hand. „Dreizehntausend von dem Herren in Beige!", erfreut grinste die Ratte die beiden an, während Indiana sich über sein Gebot freute. Sara grinste, während sie daran dachte wie er von der Seite aussah. Wie ein neureicher, der zum ersten Mal Daddys Geld zum Fenster rauswerfen durfte.

Sie warf einen Seitenblick aus dem Fenster hinaus in die Finsternis und erschrak, als einer der dunkeln Wachmänner um die Ecke kam und sie ansah. Sie zuckte innerlich zusammen und sofort schüttete ihr Körper Adrenalin in Maßen aus. Ihr wurde heiß, als sich der Körper auf Flucht einstellte. Doch von dem Mann drohte ihr keine Gefahr.

Lara hingegen schon. „Fünfzehntausend!", schnappte sie einen Fetzen von ihrem Begleiter auf. Sie hoffte nur, Lara würde das Motiv gefallen, denn wenn es so weiter ging, würde er all ihr Geld zum Fenster rausschmeißen für ein bisschen Gepinseltes.

Ihr Blick wanderte zu der Hecke, hinter der Chase den Wagen geparkt hatte. Sara war natürlich nicht die plötzliche Veränderung entgangen die zwischen ihm und Lara vorgegangen war. Von einem Tag auf den anderen waren sie plötzlich unzertrennlich. Sie roch die Veränderung förmlich.

Sara blickte wieder zu Quill hin, da Lara sie geboten hatte auf sie zu achten. Und sie bemerkte, wie er sie eingehend musterte. Sie wäre beinah wieder zusammengezuckt. Dann löste sie sich von ihrem Partner und ging langsam auf ihn zu. Der alte Mann lächelte unter seinem ergrauten Bart und nippte an seinem Glas Champagner. „Enschufigung.", murmelte einer der Amerikaner, während er an Sara vorbeischritt und zum Punschbrunnen ging.

Dann erreichte sie den Mann und lächelte unschuldig. „Verzeihen sie mir, wenn ich sie belästigt habe mit meinem Blick, aber sie sind wirklich bezaubernd.", erklärte ihr Quill, während er sie erfreut musterte.

Sie wusste nicht was sie sagen sollte, außer: „Danke!" Denn Lara hatte vor diesem Mann gewarnt. Er wusste wie man mit Worten spielte und erzwang das ein oder andere Geständnis, ohne es wirklich gezielt zu verfolgen. Er war geschickt. Noch besser als Chase, was das betraf. Und Sara hatte gedacht dieser Kerl wäre der geborene Casanova.

„Sie erinnern mich an eine Frau, die ich mal gekannt hab. Eine gute Freundin von mir. Sie war eine echt tapfere Person gewesen.", erzählte Samuel Quill weiter. Und Sara begriff. Er meinte Lara. Und er wusste auch, wer sie war. Wahrscheinlich wegen diesem Auge von Schachtelding. Sie lächelte nur: „Wirklich und wen, wenn ich fragen darf?"

„Das ist persönlich.", erwiderte Quill und sah sich um. Das reichte ihr. Er wusste wer sie war, sie wusste wer er war. Also dann los: „Meinen sie Lara?" Er blickte sie einwenig erstaunt an, dann lachte er: „Also doch, sie sind Sara Pezinni und Lara Croft ist auch hier. Nur wo ist die Frage?"

Sara fand die Sache ganz und gar nicht komisch. Wieso war dieser Typ nur so ein Widerling? Er mochte Lara zwar geholfen haben, aber deswegen musste sie ihn ja nicht mögen, oder? Sie funkelte ihn finster an: „Das geht sie nichts an."

„Ist sie wegen einem der Kunstgegenstände hier? Will sie diesen Mann etwa beklauen?", wollte er flüsternd wissen. Das musste man ihm lassen, er brüllte nicht wie wild herum, so dass sofort Alarm geschlagen wurde. Es schien so, als würde er keine Gefahr darstellen. „Und warum sind sie hier?", wollte sie von ihm wissen.

„Wegen der Überraschung. Man munkelt es sei etwas wirklich wertvolles.", Saras Augen weiteten sich, doch sie fing sich wieder, während der Mann in zur Bühne hinsah. Er ist wegen dem selben Teil hier, weswegen auch Lara hier ist, dachte sie sich und setzte ein Lächeln auf, dann verbeugte sie sich und ging wieder zurück zu Indy, der immer noch seinen Spaß hatte, dass Gebot in die Höhe zu treiben: „Achtzehntausendfünfhundert!", rief er durch den Raum und Yu Noa grinste immer breiter.

Lara hatte ihnen ihre Kreditkarte gegeben, so dass sie sich einwenig austoben konnte. Aber sie musste ihn stoppen: „Hey, komm mal mit!" Er sah sie entgeistert an, doch dann schien er zu begreifen. Yu Noa zählte ab, doch da sich niemand mehr meldete, rief er plötzlich aus: „VERKAUFT! An den Herren in dem Beigen Anzug!"

Sara hielt inne, als sie erkannte, dass Indiana gemeint war. Dieser grinste wie ein Schuljunge und erntet den Beifall. Die Polizistin warf noch mal einen Blick zu Quill, der sie belustigt musterte. Dann lies sie sich den Beifall gefallen und lehnte sich zurück. Lara würde dem Mann den Kopf abreisen, wenn sie sah wie viel Geld er ausgegeben hatte für dieses Gebilde. Und irgendwie freute sie sich darauf.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Sie müsste eigentlich bald da sein, oder? Immerhin hatte Indiana die Versteigerung hinausgezögert. Schließlich kam er grinsend zurück und meinte dann: „Sie packen das Bild ein und schicken es mir."

Jetzt konnte Sara es tatsächlich nicht glauben: „Hast du ihnen Laras Adresse gegeben?" Er nickte und sie schlug sich auf die Stirn. Wenn sie Lara erwischten, dann würde sie eine Menge Ärger kriegen. Sie blickte noch mal auf die Uhr, dann sah sie wie zwei Männer eine Statue hineinbrachten. „Das ist eine antike, griechische Staute, die angeblich aus dem Tempel der Luna stammt.", kommentierte Yu Noa das Stück, dann grinste er zu Indiana hin: „Das Mindestgebot liegt bei zwanzigtausend!"

Fortsetzung folgt: