Dreiundzwanzig
Sankt Petersburg, Russland
Simons Anwesen
13.Dezember 2004
12:00 Uhr
Sie standen vor dem angelehnten Tor vor Simons Anwesen. Sie waren vor einer Stunde mit dem Flieger in Russland gelandet. Und jetzt standen sie vor dem Haus. Lara hatte das Pergament auf ihrem Rücken gebunden, in der Hartplastikröhre. Die Pistolen hingen in ihren Halfter an ihrer Hüfte und ihr Blick war grimmig. Sie trug einen grauen Pullover und eine graue Jeans. Über dem Pullover noch eine Jacke, die sie allerdings offen ließ, wegen der Bewegungsfreiheit.
Neben ihr standen Sara und Sandy. Beide Frauen blickten grimmig drein, wobei Sara eher besorgt wirkte. Während es bei Sandy aussah, als würde sie sich auf was großes vorbereiten. Okay, sie tat es ja in Gewisserweise auch, denn man begegnete seinem Bruder ja nicht alle Tage, wenn man versucht hatte vor ihm zu fliehen.
Ihr Blick wanderte zu Sara. Die Wunde an ihrer Schulter war schnell geheilt. Was größtenteils an ihrer kleinen Freundin, der Witchblade lag. Lara mochte sie nicht, musste aber zugeben, dass sie ziemlich praktisch sein konnte. Sie schien ihren besorgten Blick zu spüren, denn Sara drehte sich fragend zu ihr hin.
Lara warf ihr ein Lächeln zu und wand sich ab. Dann schauderte sie, was man auf das Haus schieben konnte, aber es lag an der Witchblade. Und sie schien es zu spüren, sie konnte den Hasserfüllten Blick durch den Kristall regelrecht fühlen. Die Archäologin atmete noch einmal durch und öffnete das Tor. Sie hatten es echt in einer Rekordzeit geschafft.
Der Hof war, wie sie es erwartet hatte, bewacht. Zu beiden Seiten standen Soldaten, die sie allerdings passieren ließen. Nur bei Sandy sahen sie einwenig verwirrt aus. Denn sie hatten keine Bilder von ihr. Aber sie hielten sie nicht auf. Lara trat an die Tür und betrachtete diese. Sie war offen, leicht angelehnt. Also ging sie hinein. Die Eingangshalle sah genauso aus wie beim letzten Mal, als sie hier gewesen war. Ihr erster Blick galt dem Bild an der Wand. Und es war tatsächlich Hillary.
Sandy hatte die Wahrheit gesagt. Die dort positionierten Soldaten, richteten ihre Waffen auf Lara und ihre Gefährten. Lara hob beide Arme: „Ruhig Blut, Leute. Wir sind nicht hier um zu kämpfen."
„Wo ist Simon?", wollte Sandy wissen. Wie beim letzten Mal hielten sich die anderen zurück und überließen Lara das Reden. Sie hoffte nur, dass Sandy nicht dumm war. Doch sie stellte sich im Moment so an. Warum hielt sie nicht den Mund?
Ein blonder Soldat trat vor: „Wer ist sie, Miss Croft?" „Simon!", schrie Sandy mit Eiskalter Stimme. Es war wie der Ruf nach seinem Todfeind, der einem alles genommen hatte und nicht wie der Schreie eines Menschen. Sandy war ein Killer. Und das schien auch Sara in dem Moment bewusst zu werden. Endlich, dachte die Archäologin und senkte die Hände. „Kannst sie oben lassen. Ich find das ziemlich sexy.", ertönte eine Stimme und ein schwarzhaariger Kerl trat aus dem Schatten.
Simon!
Sein Blick schweifte über die Gruppe: „Lara. Schön dich wieder zu sehen. Und wen hast du mi...", er stockte und Lara sah ihn zum ersten Mal richtig sprachlos: „Hillary?", seine Stimme klang schrill und erschrocken.
Er hatte wohl nicht mit seiner toten Schwester gerechnet. Dann fing er sich wieder und sein Gesicht war wieder so kalt wie ein Eisblock: „Und Lara. Hat dir deine kleine Weltreise gefallen?", er blickte auf die Uhr: „Oh. Sieh mal an. Du bist ja drei Tage vor dem Termin hier. Erstaunlich.", er schüttelte den Kopf und überlegte. Wut stieg in der Grabräuberin auf und sie löste langsam, damit die Soldaten nicht auf dumme Ideen kamen, den Gurt von der Rolle auf ihrem Rücken. Sie wollte ihnen keinen Grund geben, um sie zu erschießen, denn so konnten sie Winston auch nicht helfen.
„Was denn? Willst du gleich zum Geschäft?", er sah sie empört an: „Dabei war es doch beinah wie damals. Jetzt musst du nur noch abhauen, Schlampe.", zischte er. Das reichte, also meinte sie: „Ich hab dich nicht verlassen. Es wurde nur langsam ernst bei mir auf der Schule...", doch er unterbrach sie. „Schweig!", zischte er wie eine Schlange und sah sie mit purem Hass an. Und sie tat es auch.
Reden war sinnlos. Er hatte sich dem Bösen verschrieben und war von der Idee mit der Sonne schon total besessen. Sie konnte es regelrecht sehen, wie es seine Seele zerfraß. Simon war schon immer einwenig „merkwürdig" gewesen, doch das überstieg alles was sie bisher von ihm erlebt hatte.
Früher war sein Humor vielleicht einwenig makaber gewesen oder seine Fantasien, aber jetzt war er nicht mal mehr er selbst. Schließlich raffte sie sich auf: „Wo ist Winston?" Simon lachte, dann pfiff er einmal und ein weiterer Söldner brachte Winston ins Foyer.
Er sah schrecklich aus. Sein Blick war traurig, sein Gesicht aschfahl und unter seinen Augen bildeten sich Ringe in blauem Ton. Über seinem linken Augen prangte eine verkrustete Platzwunde.
Das war zu viel: „Was hast du gemacht, Williams?", sie wollte alles persönliche hinter sich lassen. Sie hörte, wie Saras Witchblade kurz ein Geräusch von sich gab und sich unauffällig entfaltete. Sara hielt es in Maßen, denn sie wollte ebenfalls nicht, dass jemand sie und die anderen erschoss. Und den Söldnern schien gar nicht aufzufallen, dass Sara sich veränderte. Lara schmunzelte. Dummköpfe, dass waren sie.
Sandy trat unauffällig einen Schritt vor. Simon blickte den alten Mann an: „Was denn? Wie neu. Na ja, jedenfalls fast.", dann sah er zu Lara: „Das Pergament!" Lara deutete auf die Plastikröhre an ihrer Seite: „Hier!" Sie sah sich um, ob er irgendwo den Koffer für die Bücher hatte. Doch sie fand ihn nirgends. „Pergament her.", rief Simon.
Doch Lara verneinte, trat vor, als einer der Söldner auf sie zutrat, um das Pergament zu bergen. Und er wich einwenig zurück. Das war ein gutes Zeichen. „Erst Winston, dann das Pergament. Wer gibt mir das Wort, dass du uns nicht direkt erschießen lässt?", wollte sie von ihm wissen. Das schien einleuchtend, aber dann lachte er diabolisch: „Und wer garantiert mir, dass du nicht abhaust wenn Winston frei ist?"
„Wenn ich nur das Pergament hab, wird es mir wenig nutzen, nicht?", jetzt war er einsichtig, denn er machte ein Zeichen und der Soldat neben ihm griff nach dem alten Butler und bugsierte ihn gewaltsam die Stufen hinab. Lara konnte kaum mit ansehen, wie der alte Mann litt. Es war kein Job für ihn, dessen war sie sich sicher. Und sie würde ihn in Rente schicken, zu seiner Frau in Afrika. Sie kümmerte sich dort um Aidskranke. Und das war sicherlich ungefährlicher.
Zwar gab es dort auch Widerstände, aber Winston wäre dort um einiges besser aufgehoben. Dann stand der Butler neben ihnen und Sandy machte noch einen unauffälligen Schritt vor. Lara wand sich an Chase: „Bringst du ihn sicher in...du weißt schon wohin.", sie wollte nicht, dass Simon wussten, wo sie sich befanden. Es musste schnell gehen.
Plötzlich wand sich Simon an seine Schwester: „Hillary. Lang nicht mehr gesehen, wie ist es dir ergangen.", er begutachtete sie: „Sie mal an. Du hast dich gebessert, siehst nicht mehr so mager aus und dein Haar."
Sandy zuckte zusammen, als er Mager sagte. Und sie würde sich nicht wundern, wenn sich herausstellte, dass Simon seiner Schwester das Essen verwehrt hatte. Was ein Bastard. Doch Sandy schien sich wieder zu fangen: „Bist noch kranken als damals." Das versetzte ihm einen sichtlichen Stich, denn er machte einen Schritt zurück, zog seinen geliebten Colt und zielte auf seine Schwester, senkte die Waffe aber. Anscheinend entschied er eine andere Strategie. Doch zu dieser würde er jetzt nicht mehr kommen, denn plötzlich bewegte sich Sandy.
Sie war so schnell, dass Lara kaum mitbekam, wie sie hinter den Söldner, der Laras Butler hinabgetragen hatte, auftauchte und seine Beretta Pistole aus dem Hüfthalfter zog. Dann schoss sie ihm in den Kopf und sah zu, wie er starb. Das alles geschah in einigen wenigen Sekundenbruchteilen. Dann sah sie direkt zu Lara, als Chase und Winston durch die Tür verschwunden waren: „Lauft!"
Sie machte blitzschnell einige Flickflacks, sprang ab, landete hinter dem zweiten Söldner am Fuße der Treppe, dem Blonden, und griff ihn an seinem Hemd. Kugeln pfiffen durch die Luft und bohrten sich in den Blonden Soldaten, während Sandy sich langsam drehte und so auch die Kugeln der anderen Leute abfing.
Der Körper des Söldners wurde von den Kugeln regelrecht zerrissen, dann schoss Sandy unter dem Arm hindurch, tötete zwei Söldner ohne weiteres und warf den Leichnam des Blonden weg. Dann rannte Lara los, gefolgt von Sara, die einige Blitze abschoss. Zwei weitere Söldner gingen zu Boden. Lara zog ihre Pistolen und schoss nach Simon, doch der tauchte schnell unter und bot ihr so kein Ziel.
Sie konnten nicht durch die Eingangstür fliehen, denn dort waren ebenfalls Soldaten, also blieb ihnen nur die Flucht durch das Haus. Also eilten sie durch die große Doppeltür vor ihnen und betraten einen großen, fast leeren Saal. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass Indy dem erschossenen Wächter wieder die Rolle entriss. Sie sah sich um. Währenddessen verriegelte Sara die Doppeltür, in dem sie einen Schrank davor schob. Das würde sie einwenig aufhalten. Aber sie mussten sich beeilen. Hier unten gab es allerdings nur den Weg durch ein Fenster, über einen (im Moment) überdachten Pool.
Aber noch wollte sie nicht gehen, denn ihr Blick wurde auf eine Vitrine gelenkt. Dort lagen ihre Bücher. Erfreut schritt sie drauf zu, hielt aber inne. Simon war doch nicht so doof, dass er die Bücher so offen auslegte. Irgendwo war der Haken. Doch sie sah ihn nicht. Also sah sie sich erneut um, fand eine antike griechische Figur.
Sie hob diese vom Sockel und es tat ihr Leid. Ein antikes Stück musste für den Erhalt der Welt sorgen. Na super, schon wieder. Sie warf das Stück und ließ das Glas der Vitrine zerbrechen. Doch weder Laser, noch Strom, noch versteckte Sprengsätze zündeten sich. Es schien alles okay zu sein. Sie konnte ihr Glück nicht fassen, aber dafür hatte sie keine Zeit. Als nächstes wickelte sie die Bücher wieder in ihr altes Tuch und band sie so, dass sie diese tragen konnte.
Dann wurde ihre Aufmerksamkeit auf ein weiteres Buch gelenkt. Simons Tagebuch. Schnell steckte sie das in ihren Rucksack und atmete durch. Die Schüsse waren verklungen. Jetzt hörte man gedämpfte Schläge. Sandy war echt ein Profi. Doch dann zerriss ein weiteres Geräusch die Luft. Es klang nach einer Explosion. Sara blickte geschockt auf die Tür und auch Lara war genauso erstaunt. Indiana schien es weniger zu wundern, denn er tastete über die Glasscheibe.
Sie wussten alle was da passiert war. Eine Bombe. Wahrscheinlich hatte Sandy eine gezündet. Durch Laras Kopf schossen Bilder. Ihre Haltung beim Schlafen, die dicken Klamotten, der traurige Blick. Sie hatte von Anfang an vorgehabt sich selbst umzubringen. Armes Ding, dachte Lara leise und sprach ein kurzes, leises Gebet. Ein tibetanisches, dass ihr den Weg in den Himmel weisen sollte. Plötzlich hämmerte es gegen die Tür und sie hörte Simons Stimme: „Lara! Mach auf!", er hatte überlebt.
Bastard! Dreckskerl! Arsch! Amöbe! Mistkerl! Eine Reihe von Flüchen schossen ihr durch den Kopf und sie hob die Pistolen, zielte und schoss. Dabei schrie sie vor Wut. Die Rufe verstummten und sie vernahm noch einige Todesschreie. Aber Simon lebte immer noch. Sie wusste es.
Die letzte Patronenhülse schlug dampfend auf dem Teppich auf und hüpfte noch einwenig weiter. Lara keuchte vor Anstrengung und Sara blickte sie traurigberührt an. Dann schoss das Magazin aus der Waffe und Lara lies es zu Boden fallen, schlug die Pistolen auf zwei volle an ihrer Hüfte und lud durch.
Dann wand sie sich an Indy: „Bei Seite!", meinte sie dunkel. Doch er wich nicht: „Das ist Sicherheitsglas. Mit einer normalen Pistole kommst du da nicht durch." Laras Herz pumpte und schlug gegen ihren Brustkorb, sie hörte ihren Puls in ihren Ohren rauschen und vernahm, wie Simons Stimme wieder einsetzte: „Sei nicht dumm, Croft. Mach die Tür auf und ich lasse euch vielleicht einen schmerzlosen Tod."
„Aber ich kann das.", erklärte Sara und machte der Witchblade in ihrem Inneren noch mehr Platz, zielte und schoss. Der Orange Blitz entlud sich auf der Scheibe und lies sie zerspringen. Dann zog sich die Blade zurück und Sara war wieder die Alte. „Los.", kugeln bohrten sich durch das Holz der Tür und pfiffen durch die Luft. Indy eilte hinaus und die beiden Frauen folgten ihm.
Der Hinterhof war riesig und von hohen Mauern umgeben. Es gab keinen Zugang zur Vorderseite, außer durch das Haus, was hieß dass es bei den vier Wachen blieb. Diese lebten nicht lange, denn sie machten mit Laras Kugeln Bekanntschaft. Dann waren sie nur noch einige Meter von der Freiheit entfernt. Die Tür hinter ihnen barst. Simon schrie nach ihnen, dass sie stehen bleiben sollten, doch dann hatten sie das Tor erreicht. Indy eilte zwischen Sara und die Männer, damit sie nicht noch mal angeschossen werden konnte.
Doch die Kugeln waren Blindgänger, denn sie pfiffen nur durch die Luft und bohrten sich in die Mauer. Aber die drei Gestalten blieben verschont. Sie hörte von weit hinten das Quietschen von Autoreifen und wusste, dass Chase sein Ziel erreicht hatte.
Bei ihrer Ankunft hatten sie sich einen alten Wagen gemietet, damit sie mobil waren. Denn Lara dachte nicht daran hier in Sankt Petersburg zu bleiben. Und auf einen Flug zu warten war ebenfalls nicht angebracht. Also würden sie mit dem Wagen bis Deutschland reisen und von dort aus mit dem Zug nach Frankreich und dann nach Surrey. Sie bezweifelte, dass Simon ihr so weit folgen würde.
Er war verrückt, aber nicht bescheuert. Sandy, ihre Gefährtin auf Zeit, war tot und sie konnten nichts mehr für sie tun, als ihren Bruder zu erledigen. Das Tor lies sich nach einem gezielten Schuss gegen das Schloss (es war ein gewagter Schuss, denn ein Querschläger konnte einen töten aus dieser Nähe!) ohne weiteres öffnen und sie befanden sich auf einem schmalen Bürgersteig.
Autos brausten an ihnen vorbei. Und dann kam Chase schließlich angefahren. Es war ein alter Chaika eine Möwe, wenn man es übersetzte. Ein schwarzer, alter Wagen. Vom Model erinnerte er an den Wagen, den Von Croy damals in Ägypten gefahren war. Was sie sich alles merkte. Sie lächelte über diese Idee und verwarf sie wieder.
Dann hielt der Wagen und sie stiegen hinten ein. Es gab keine Anschnallgurte, weswegen sie sich festhalten mussten, als Chase losschoss. Winston saß vorne und blickte verwirrt zurück, um sich zu vergewissern, dass es seiner Arbeitgeberin gut ging.
Typisch Winston, immer sorgte er sich um andere. Der Wagen schoss durch die Straßen und verließ Sankt Petersburg und Lara hatte gar nicht mehr das Bedürfnis wieder hier her zukommen. Alles was sie wollte war nach Hause. Und das würde sich noch mindestens drei Tage hinziehen.
Fortsetzung folgt:
