Fünfundzwanzig
Auf den Straßen, Russland
Weit weg von Sankt Petersburg
14.Dezember 2004
03:51 Uhr
Lara saß am Steuer. Die Chaika rollte über die Straße. In Russland gab es keine Highways, weswegen sie nicht schnell vorankamen. Aber in den Stunden, seit sie unterwegs waren, hatten sie viele Kilometer zwischen sich und Sankt Petersburg gebracht. Und Lara war ziemlich froh darüber. Sie wollte Simon nicht mehr wieder sehen.
Ihr Blick fiel in den Spiegel und sie konnte Chase, Sara und Indy schlafen sehen. Sara lag rechts von Indy, lehnte sich an ihn und atmete leise. Chase drehte sich im Schlaf immer wieder, so dass er jedes Mal anders lag, als vor fünf Minuten. Aus dem Radio plärrte leise Musik, ein russischer Kanal, der alte Lieder sang. Winston schlief neben ihr auf dem Beifahrersitz.
Er war schon zu alt für solch eine Reise, weswegen sie froh war, wenn er schlief. Denn sie mussten viele Pausen einlegen, damit Winston wieder zu Kräften kam. Lara selbst war erstaunlich wach. Vor ihr und hinter ihr fuhren nur wenige Autos. Sie hatten erst vor einigen Minuten ein Dorf passiert, dass Lara noch nie gesehen hatte. Aber sie hatte nicht viel gesehen, denn der Himmel war Wolkenverhangen.
Schnee fiel vom Himmel und reduzierte die Sicht auf ein Minimum. Es gab keine Straßenlaternen, so dass sie sehr vorsichtig fahren musste. Sie befanden sich in einem Wald und ein Tier könnte blitzschnell herausgeschossen kommen. Dann wären sie alle hinüber. Im Radio begannen leise die Nachrichten, doch Lara hörte nicht hin.
Sie hatte vor zwei Stunden mit Chase den Platz getauscht, damit dieser sich ausschlafen konnte. Ein Pappbecher mit Kaffee stand in einem extra vor gesehenen Becherhalter und dampfte. Er war frisch. Sie hatte erst vor einigen Minuten an einem Kiosk gehalten, der rund um die Uhr offen hatte. Dort hatte sie sich eine Zeitschrift und Kaffee geholt. Die Zeitschrift lag auf dem Armaturenbrett und war noch nicht angesehen worden.
Sie hatte auch keine Zeit dafür.
Der Wagen vor ihr bog in eine Seitenstraße und sie war alleine, bis auf die Autos hinter ihr, auf der Straße. Lara trommelte mit den Daumen auf dem Lenkrad rum. Obwohl die Situation im Moment eigentlich ziemlich angenehm war, konnte sie trotzdem keine Ruhe finden. Die Bücher und das Pergament lagen in dem Kofferraum. Sie hatte die ganze Zeit das Verlangen diese zu nehmen und darin zu lesen. Aber erstens: Sie fuhr im Moment! Und zweitens: Sie war nicht gerade darauf erpicht noch mehr Fanatiker zu begegnen. Denn man konnte nie wissen, wer alles auf den Straßen unterwegs war.
Sie fuhr noch eine volle Stunde ohne weitere Ereignisse auf der Straße. Zwischendurch erwachte Sara, um etwas zu trinken oder ähnliches. Manchmal sprach sie auch mit ihr. Lara war jede Abwechslung willkommen.
Schließlich verließen sie den, schier unendlichen, Wald und der Wagen fuhr wieder über Felder. Bis sie ein Schild passierten, dass eine Raststätte anpries. Lara fuhr in die Einfahrt und löschte den Motor des Wagens. Dann stieg sie aus, schloss die Tür ab und ging ins Innere des 24 Stunden Restaurants.
Es war ein schäbiges Ambiente. Der Putz bröckelte, die Tische waren nur teilweise sauber und die Zimmerpflanzen hatten noch nicht einmal das Wort Wasser kennengelernt. Hinter der Ausgabe stand eine Frau die nicht unbedingt freundlich wirkte. Die einzigen Gäste waren Lara und ein Mann Mitte fünfzig, der nicht aussah wie ein Biker, sondern eher wie ein Truckfahrer oder ähnliches. Lara warf ihm ein Lächeln zu und er lächelte zurück, sichtlich über die Abwechslung erfreut. Die Frau hinter der Kasse blickte sie düster an und wartete, bis Lara sich die Sachen angesehen hatte, die es da gab. Aber sie entschied sich schließlich für ein scheinbar frisches Brötchen und eine Tasse starken Kaffee, da ihrer auf der halben Stunde leer gegangen war.
Die Frau reichte es ihr, Lara bezahlte mit einigen Rubel die sie noch von ihrem letzten Besuch hier in dem Portmonee trug. Dann setzte sie sich an einen der sauberen Tische. Ihr Blick wanderte nach draußen und sie konnte den Wagen durch das Schneegestöber sehen. Dann wanderte ihr Blick zu der Frau. Diese lass wieder in irgendeiner Zeitung und schien die Welt um sich herum vergessen zu haben.
Und auch Lara schweifte mit den Gedanken ab. Zu den Ereignissen von letzter Woche. Plötzlich sprang sie auf. Sie hatten etwas vergessen. Die Ellipse. Simon musste sie noch haben. Schnell eilte sie zu der Frau hin und fragte sie: „Haben sie ein Telefonbuch?", natürlich auf russisch. Doch diese verneinte. Sie konnte Simon also nicht kontaktieren. Eigentlich egal. Denn er würde die Ellipse sicher mitbringen, so bald er irgendwie herausgefunden hatte, was sie herausfinden würde in den Büchern. Er würde kommen, so wie Sheffield gekommen war.
Das beruhigte sie vorerst, also setzte sie sich wieder hin, aß ihr Brötchen und trank den Kaffee. Die Eingangstür wurde erneut geöffnet und sie sah Winston, wie dieser eintrat. Der Mann sah immer noch genauso schlimm aus, wie am Anfang. Er schien sich nicht wirklich zu erholen. Armer Mann, fuhr es Lara durch den Kopf. Ihr Butler erblickte sie und winkte, ging zu ihr und setzte sich hin.
„Was tun sie hier Miss Croft?", wollte er wissen. Sie zuckte mit den Schultern und zeigte auf den leeren Teller und den Becher, dann kam ihr ein Gedanke. Lara zog ihre Börse aus der Jeans und suchte nach Scheinen. „Was tun sie da?", fragte der Butler weiter.
„Sie wollen doch sicher was essen, oder? Ich lade sie ein.", erklärte sie ihm. Doch er winkte ab. Lara zog eine Grimasse und steckte den Geldbeutel wieder ein, sah aus dem Fenster. Sie sah sich selbst, Winston und die Frau an der Theke. Doch der Truckfahrer war verschwunden. Wo war er hin. Auf Toilette?
Sie sah sich um. Doch hier gab es kein Klo und das einzige außerhalb war nicht einmal beleuchtet. Das war eklige Teil des Landes, den Lara gerne mied. Er war doch nicht einfach verschwunden, oder? Ihr Blick fiel aus der Frontscheibe zu ihrem Wagen und da sah sie ihn, wie dieser sich an dem Kofferraum zu schaffen machte. „Shit.", fluchte sie und stürmte los. Der Mann arbeitete noch immer an dem Schloss, als sie ihn erreichte und von hinten ansprang.
Der Truckfahrer ging zu Boden und rollte sich ab. Ein Wagen schoss vorbei und erwischte ihn beinah, aber eben nur beinah. Dann schrie er vor Wut und stürmte los. Doch Lara wich geschickt aus, trat ihm in den Magen und schickte ihn wieder auf die Straße. Dann suchte sie den Boden ab nach einer Waffe, fand einen Stock und hob diesen auf, hielt ihn wie ein Schwert. Doch sie kam nicht dazu diese Waffe zu nutzen, denn im nächsten Moment schoss ein Truck vorbei, ohne Scheinwerfer, erwischte den Mann und tötete ihn auf der Stelle, fuhr weiter.
Lara schauderte, als sie die Blutflecken im Schnee liegen sah. Der Fahrer schien nicht mal bemerkt zu haben, dass er was erwischt hatte oder er hatte es für ein Reh gehalten.. So war es nun mal auf Russlands Straßen. Sie ließ den Stock fallen und überprüfte das Schloss. Es war alles heile. Die Archäologin atmete erleichtert aus und lehnte sich an den Wagen. Von innen sah sie Chase, wie dieser sie ungläubig anstarrte. Auch Indy war wach, seinen Blick auf die blutigen Überreste des Fahrers gerichtet.
Und dann sah Lara, warum sie aufgewacht waren (außer Sara). Der Truck hatte die linke Seite des Wagens erwischt und dort zierten nun Kratzer und ein fehlender Seitenspiegel die Fahrerseite. Glück gehabt, dachte sie und atmete aus. Sie sah ins Innere, wo Winston erschrocken zu ihr blickte, sie winkte ihn herbei und er begab sich zu ihr.
„Wir fahren weiter, ist das okay?", wollte sie von ihrem Butler wissen. Dieser nickte zustimmend und stieg ein.
Die Beifahrertür wurde geöffnet und Indy kam heraus: „Was war das eben?", Lara machte eine unwissende Geste und fröstelte. Der Schnee, der ihr auf die Schultern und den Kopf fiel, war kalt und sie wollte ins Innere von was warmen. „Soll ich fahren?", fragte der Grabräuber. „Gerne.", Lara war dankbar über das Angebot und stieg, nachdem sie sich abgeklopft hatte, hinten ein, machte es sich bequem und schlief beinah direkt ein.
Sie hörte wie Indy einstieg, wie er den Wagen anschmiss. Dann schlief sie erschöpft ein. Und wieder bestätigte sich die Theorie, dass Kaffee keinerlei Wirkung auf sie hatte. Oder das die Läden seit neustem an Koffein sparten.
Auf den Straßen, Weißrussland
Irgendwo
15.Dezember 2004
13:09 Uhr
Der Wagen fuhr noch immer, als die Archäologin aufwachte. Sie sah sich um. Neben ihr schliefen Chase und Indy. Sara saß am Steuer und orientierte sich Anhand einiger Notizen. Ihr nächster Blick galt Winston, der sich mit Sara unterhielt: „...denken sie es wird vorbei sein?", wollte er wissen.
Sie schienen sie noch nicht bemerkt zu haben. „Wenn Simon aus dieser Welt getilgt ist.", erklärte Sara und lächelte. Aber ihre Aussage war durchaus wahr. Laras nächster Blick galt der Außenwelt. Sie fuhren über eine gerade Straße und weit hinten konnte sie Häuser sehen, Wälder und Flüsse. Der Straßenrand war von ordentlichen Baumreihen gesäumt. Und die sporadisch angeordneten Schilder zeigten ihr, dass sie nun in Weißrussland waren. Das hieß, sie hatten die erste von mindestens sechs Etappen überstanden. Sie mussten nur noch durch Weißrussland, Polen, Deutschland, Frankreich und schließlich dann nach England. „Sie haben sicher Recht. Ich wünschte Miss Croft würde sich mit was „einfacherem" Beschäftigen.", erklang Winstons Stimme an ihrem Ohr.
„Ich auch.", erwiderte ihre Freundin. Lara wurde warm ums Herz. Ihre Freunde und Kollegen sorgten sich um sie. Das war ein schönes Gefühl, wenn man jemandem etwas bedeutet. Dann sah Sara in den Rückspiegel und erblickte ihre Freundin: „Morgen Schlafmütze." „Morgen.", Lara lehnte sich vor, so dass ihr Kopf nun zwischen den Sitzen hervorschaute: „Was gibt's zu essen?"
Winston wühlte in einer, scheinbar neuen, Tasche. Sie schien einiges verschlafen zu haben. Dann beförderte er eine Trinkpäckchen zum Vorschein: „Hier nehmen sie das.", er reichte es ihr: „Das ist Kefir aus Russland. Sehr nahrhaft." Lara dankte und schlürfte an dem Strohhalm. Von der Konsistenz war sie wie ein Milkshake, schmeckte aber nach pur, kein Zucker, keine Farbstoffe.
„Und wo genau sind wir?", wollte sie wissen. „In Weißrussland. Bei einem der vielen, namenlosen Dörfer, Süße.", erklärte Sara ihrer Freundin grinsend, die sie beobachtete, wie diese an dem Getränk nuckelte. Ein wirklich niedliches Bild. Sie wurde an die Lara erinnert, die sie damals in der Zelle kennengelernt hatte. Die jetzige Lara Croft war natürlich auch toll, aber nicht mehr die kleine Grabräuberin von damals. Die ganze Sache mit Ägypten und Von Croy hatte sie wirklich mitgenommen.
Lara hatte ihr erzählt, was ihr widerfahren war, während sie damals im Krankenhaus geredet hatten. Es war wirklich nicht gerade eine schöne Erfahrung gewesen.
Sie war gefallen und in einer unterirdischen Ader des Nils gelandet. Dort hatte sie das Bewusstsein verloren und war am Ufer einer Höhle wieder zu sich gekommen. Sie hatte keine Waffen gehabt und ihr rechter Arm war gebrochen gewesen.
Sie hatte einen Durchgang gefunden, der sie in eine andere Höhle geführt hatte. Doch es war ein harter Weg gewesen, denn sie musste robben und atmete andauernd Sand und Staub ein. Doch aus Angst, dass der Haufen über ihr einstürzte, hatte sie nicht husten können. Dann war sie auf eine andere Quelle gestoßen und war dieser gefolgt, bis sie am Ende Sonnenlicht gesehen hatte.
Sie musste schwimmen. Und beinah hätte sie wieder das Bewusstsein verloren, doch ihr wurde geholfen, von einem Mann. Dieser hatte sie an Board seines Schiffes gezogen und hatte sie gepflegt, auf seinem Weg nach Indien. Dort war Lara auf einen Stamm gestoßen, als es ihr wieder besser ging. Sie hatte dort die Kunst der Meditation gelernt und war danach wieder nach England gefahren.
Die Zeitung hatte davon Wind bekommen und hatte direkt in alle Welt Artikel versand: „Lara Crofts Auferstehung von den Toten." Lara hatte Gerüchteküchen und ähnliches immer gehasst, deswegen hatte sie sich zurückgezogen. Und dann hatte sie nicht mal, aus Wut, auf Von Croys Anrufe reagiert. Bis er voller Angst bei ihr geklingelt hatte. Irgendwas war passiert.
Und dann hatte sie sich entschlossen ihn zu besuchen. Danach war alles so plötzlich passiert. Von Croy Tot, die Polizei verfolgte sie, die Carbal waren ihr auch auf der Spur gewesen. Und dieser geheimnisvolle Kurtis! Aber jetzt war Lara beinah wieder die Alte. Es ging wieder Bergauf mit ihr.
Sie schien ihre Grübelei bemerkt zu haben, denn sie blickte sie fragend an: „Was ist?", wollte Sara von ihr wissen. „Na ja, du machst wieder dieses...", sie imitierte es: „...Gesicht.", dann steckte sie die leere Tüte in einen Müllsack, den sie hinten ausgelegt hatten. Sara zuckte mit den Achseln und folgte der Straße.
Hier lag der Schnee nicht so hoch, wie in Russland, aber man musste trotzdem aufpassen. Deswegen sagte sie nichts mehr, während Lara mit ihrem Butler sprach: „Wie geht es ihnen?", fragte die Archäologin besorgt. „Bin müde, aber ansonsten okay.", gab er als Antwort. Lara nickte: „Tut mir echt leid."
„Muss es nicht, Miss Croft.", entgegnete der Butler abwinkend. Er war ein zäher Kerl und das mochte sie an ihm. Ihr Butler war der Beste. Und er würde sich wahrscheinlich nicht abwimmeln lassen, wenn sie ihn zu seiner Frau schicken würde. Er würde sagen: „Ich habe ihrer Familie lange gedient und ich werde es tun bis zu meinem Tot."
Und sie würde auch nicht widersprechen. Sie wollte Winston als Butler und Freund behalten. Und er wollte auch weiter für sie arbeiten und auch weiter sein Leben aufs Spiel setzen, nur weil er in ihrem Haus wohnte.
„Wie lange brauchen wir noch bis Polen?", wollte Lara von ihrer Freundin wissen. Diese blickte theatralisch auf die nicht vorhandene Armbanduhr: „Noch bis heute Nacht, wenn es in diesem Tempo weiter geht!" Lara kicherte leise und streckte sich, um Chase und Indy nicht anzustoßen, die leise schnarchten.
Ein wirklich niedliches Bild. Die beiden so zu sehen. Lara streckte ihren Hals, so dass einige Wirbel knackten, dann fasste sie mit den Händen darüber und entlastete sich selbst, in dem sie noch drei weitere Wirbel knacken ließ.
„Ihh! Hör auf.", meinte Sara und blickte kurz nach hinten. Lara beließ es auch dabei. Diesen Handgriff hatte sie bei dem Stamm gelernt, wo sie auch die Kunst des Meditierens erfahren hatte. Es war wirklich praktisch, denn so war der Körper längere Zeit zu mehr Leistung fähig.
Und während sie darüber nachdachte, fuhren sie weiter. Immer ihrem Ziel entgegen.
Fortsetzung folgt:
