Aysha
stand alleine, ohne jegliche Regung ein weites Stück von den
anderen entfernt und betrachtete die Sterne durch den Regenschimmer.
Wütend auf alles dieser Welt rang sie mit ihren Gedanken. Sie
wollte nur allein sein...allein sein...
Ohne Angst vor dem
Unbekannten ließ sie sich rückwärts in das schlammige
Gras fallen. Die Regentropfen prasselten auf ihre geschlossenen
Augen. Plötzlich fuhr eine warme Hand über ihr Gesicht und
Daynics ruhige Stimme durchdrang die Stille der Dunkelheit.
"Was
hast du nur getan? Was hast du uns angetan?" Aysha wollte
antworten, doch die Hand des Heiligelben fuhr über ihre kalten
Lippen. "Was hast du getan?" Daynics Stimme verstummte und
seine Hand wich aus Ayshas Gesicht. Die Heiligelbe öffnete
langsam die Augen. In diesem Moment schmiegte Daynic sein Gesicht an
Ayshas und küsste sie.
Aysha wusste nicht, was sie tun
sollte. Was würde geschehen, wenn sie sich wehrte? Trotzdem
schob sie Daynics Hand zu ihm zurück und versuchte sich von
seinen Lippen zu lösen. Plötzlich schossen wildfremde
Gedanken durch ihren Kopf. Erinnerungen, Hoffnungen, Träume,
Ängste. Jedoch nicht alle stammten von ihr selbst. Auf einmal
schallte eine klare Stimme durch die Unruhe:
"Erinnerst du
dich? Es waren unsere Träume und Wünsche. Wir haben sie
gemeinsam gelebt. Wir haben uns gegenseitig vor unseren Ängsten
bewahrt und unsere Hoffnungen geteilt, um unsere Trauer zu bezwingen.
Einige Wünsche erfüllten sich. Andere verschwanden. Sei
nicht wie sie. Entschwinde nicht aus meinen Gedanken. Lebe nicht in
meinen Träumen und Hoffnungen, deren Ende von Angst und Hass
gezeichnet sein wird. Vergiss nie, was ich dir sage! Träume dein
Leben in deinen Hoffnungen, wenn du willst. Aber träume auch die
Hoffnungen in deinem Leben um nicht alleine mit deinen Ängsten
verweilen zu müssen..." Aysha hörte auf sich zu
wehren. Schon bald formten sich Bilder vor ihren Augen. Viele
erkannte sie wieder. Nur aus Daynics Sicht. Das Bild wurde immer
realer. Dann wurde sie von Dunkelheit umschlossen. Aysha erhob sich
und bemerkte das Haus vor dem sie plötzlich stand. Ihr Haus! Da
entdeckte sie Daynic. Er war genauso, wie sie ihn in Erinnerung
hatte. In einem langen Umhang gehüllt, abgemagert, das Gesicht
blutverschmiert und das Schwert in seiner Hand zerbrochen. Plötzlich
öffnete sie die große, hölzerne Tür. Auf einmal
stand Aysha sich selbst gegenüber. Als sie ihrem eigenen
Ebenbild in das Gesicht sah hob sie langsam ihre Hand und strich
ihrem Spiegelbild, das sie nicht bemerkte über die Wange. Die
Aysha vor ihr war nicht mit den Narben geziert, die sie jetzt trug.
Noch nicht.
"Erinnerst du dich?" klirrte Daynics Stimme
in der Luft. "Es ist lange her." Die Welt um die Heiligelbe
veränderte sich. Sie stand nun zwischen einigen steinigen Hügeln
und beobachtete einen Kampf. Und wieder erkannte sie sich selbst. Die
Wächter. Das furchtbare Wesen. Und da sie alles aus Daynics
Sicht sah, durchfuhr sie auch sein Schmerz, der ihn in diesen
Momenten berührt hatte.
"Verstehst du, was du mir
bedeutest?" Daynics Ebenbild schlug mit letzten Kräften auf
die Angreifer ein um Aysha zu beschützen.
"Sag mir. Was
bedeute ich dir?" Aysha drehte dem Kampf den Rücken zu. Das
Geschrei verstummte. Jetzt ging sie auf zwei verhüllte Gestalten
zu. Sie flüsterten. Das einzige, was sie verstand war das "Ich
liebe dich" aus dem Mund ihrer eigenen Vergangenheit.
"Hast
du mich damals belogen, oder stehst du noch immer zu deinem Wort, das
du mir gegeben hast?" Die Personen verschwanden. Eine riesige
Wüste tat sich vor Aysha auf. Bei jedem Schritt wurde es dunkler
um sie und bei jedem Schritt wurden ihre Beine schwerer. Zuerst fiel
sie auf die Knie. Im zweiten Moment befand sie sich wieder unter
Daynics Armen im nassen Gras mitten im Regen. Daynic ließ von
ihr ab und zog sie ab die Füße. "Was bedeute ich
dir?" wiederholte er seine Frage.
"Du bedeutest mir
mehr als du dir vorstellen kannst." antwortete Aysha leise.
"Doch nicht genug um dir zu folgen und mich den Obersten zu
stellen. Denn das ist es doch, was du willst, oder?"
"Ja,
sie suchen dich, aber..."
"Sie haben mich schon immer
gesucht. Und dich haben sie auch gesucht. Doch tun sie es jetzt nicht
mehr. Du hast den Weg zu ihnen zurück gesucht. Das, was ich nie
zulassen wollte und was ich nie zulassen werde! Ich werde nicht
zurückkehren! Ich will keine Heiligelbe bleiben!" Daynic
starrte sie wortlos an.
"Ich habe neue Freunde gefunden.
Elben, Zwerge, Menschen und sogar Hobbits! Sie sind alle nicht das,
was uns erzählt wurde. Zu gern würde ich zu dir zurück
wollen. Aber, wenn ich gehe, würde ich sie alle verraten! Bitte,
hilf mir!"
"Ich verstehe dich nicht. Als eine von uns
würdest du ein dir angemessenes Leben führen. Du verlierst
nichts außer deinen Freunden."
"Meine Freunde
sind mir wichtiger als alles andere! Außerdem wolltest du auch
dem Willen unseres Volkes entsagen."
"Das ist
Vergangenheit! Die Obersten würden sich an dir erfreuen. Ein
schönes Geschenk. Doch ich werde dir helfen. Aber nur um dich zu
schützen."
"Wie willst DU mich vor den Obersten
schützen? Hast du mal darüber nachgedacht?"
"Aysha..." flüsterte Daynic. Er machte eine rasche
Bewegung und stand plötzlich in einem grünen Umhang vor der
Heiligelbe.
"Ich bin einer der Obersten!"
"Wie...wie..." brachte Aysha nur hervor. Daynic sah sie
sicher an.
"Trotz unserer Flucht haben sie mich anerkannt.
Ich könnte dir jetzt helfen, wenn ich wollte. Ich könnte
dich auch töten."
"Aber du wirst keines von beidem
tun, so wie ich dich kenne. Aber warum erzählst du mir das
alles?" Daynics Augen blitzten auf.
"Weil ich als einer
der Obersten gegen dich arbeiten MUSS!" Er riss Aysha herum,
hielt ihre Arme hinter ihrem Rücken fest und zog sie zu sich
heran.
"Hilfe! Gimli! Legolas!"
"Halt den
Mund!" Daynic hielt der Heiligelbe den Mund zu und verdrehte
ihre Handgelenke. Gegen seine Kraft kam Aysha nicht an. Sie
schüttelte sich ein letztes Mal frei und schrie so laut sie
konnte: "LEGOLAS!" Dann stopfte Daynic ihr ein Stück
Stoff in den Mund und löste sich mit Aysha in Luft auf.
