Von den letzten Worten schreckte Legolas auf.
"Was ist?" fragte Gimli und sah zu dem Elben hinauf.
"Wo ist Aysha?"
"Ich weiß es nicht. Ich habe sie nicht gesehen." Doch Legolas hatte sich schon in den peitschenden Regen hinausgeworfen. Niemand war zu sehen. Nur Galdans Fell glänzte im schwachen Licht.
"Aysha!" schrie Legolas. "Wo bist du? Antworte!" Doch nichts geschah. Kein Laut. Kein Zeichen. Nichts.
Als Legolas zu Gimli zurückkehrte sagte er kein einziges Wort. Er fand zum ersten Mal wieder zu der Ruhe zurück, die er nach ihrer langen Reise mit den Gefährten ein wenig verdrängt hatte. Der Zwerg war ebenso nachdenklich:
"Ich wusste von Anfang an, dass wir diesem Dayndings nicht trauen können... Alleine können wir ihnen nicht folgen. Der schickt uns mit seinen Zaubersprüchen ins Auenland! Wir brauchen Hilfe!"
"Man hat mir einmal gesagt, man soll sich an Taten von denen erinnern, die große Taten vollbracht haben."
"Aha, ganz toll. Und was soll das jetzt heißen?" Legolas sah ihn ein wenig verwirrt an.
"Ah ja verstehe schon. Du meinst...wir sollten die Gemeinschaft der Gefährten wieder vereinen?"
"So habe ich das nicht gesagt. Vielleicht nur einige von ihnen. Aragorn und die Hobbits vielleicht..."
"Und diesen Zauberer von Gandalf. Der kennt sich doch am besten mit so einem Heiligelbenkram aus." Legolas überlegte.
"Wir sollten so schnell wie möglich nach Minas Tirith aufbrechen."
"Das wird ewig dauern. Selbst, wenn wir schnell reiten, würden wir länger als zwei Wochen brauchen!"
"Da hast du Recht."
"Ich werde euch helfen..."
"Herrin des Waldes!" rief Gimli und warf sich auf die Knie.
"Reitet drei Tage Richtung Süden. Dann werdet ihr euer Ziel erreicht haben. Reist schnell! Schnell..."
"Herrin..." Gimli sah sich um. Legolas sagte nichts. In Gedanken dankte er der Herrin der Galadhrim. Dann begann er damit ihr Gepäck zu verstauen.
"Beeile dich, Herr Zwerg. Du hast gehört, was sie uns gesagt hat."
"Ja, ja...ähh...ja..."
Bald waren sie fertig. Legolas half Gimli auf den Rücken des Pferdes. Dann stieg er selbst auf.
"Glaubst du, wir finden sie?" fragte der Zwerg hinab.
"Hoffentlich, Gimli. Hoffentlich..."

Aysha saß fest. Daynic zog sie hinter sich her. Die Heiligelbe torkelte im Halbschlaf über die aufgeweichte Wiese. Doch sie waren nicht mehr im Fangorn Wald. Sie waren weit entfernt davon. Und doch kam Aysha alles sehr bekannt vor.
"Da rauf!" rief Daynic du stieß Aysha unsanft auf den Rücken eines Pferdes, das vor ihnen aufgetaucht war. Daynic knotete Ayshas Handgelenke mit einem Strick zusammen. Einige Augenblicke später verlor sie das Bewusstsein.

Legolas und Gimli ritten in Richtung Minas Tirith, dem Sitz von Aragorn, König von Gondor. Der Regen hatte nachgelassen und nachdem sie ein großes Stück des Weges hinter sich gelassen hatten riet Gimli zu einer Rast:
"Lass uns hier bleiben. Ich versteh ja, dass du den ganzen Tag auf einem Pferd rum sitzen kannst. Das kann ich aber nicht!"
"Du hast Recht. Ein wenig ausruhen könnten wir uns schon. Wir reiten noch bis zu den Bäumen dort hinten." Dort angekommen hängte Gimli zwei ihrer Decken zum Trocknen auf, mit den anderen baute er sich ein Bett und eine trockene Stelle zum Sitzen.
"Sollen wir uns mit der Nachtwache abwechseln?" fragte er, als er fertig war. Legolas überlegte:
"Nein, schlaf du nur."
"Wenn du meinst..." Der Zwerg nahm sich eine Decke, wickelte sich darin ein und schloss die Augen. Legolas beobachtete ihn einen Moment lang. Dann stand er auf und setzte sich auf einen umgekippten Baumstamm einige Meter entfernt. Er legte seinen Arm in eine der Astgabeln und starrte in die sternenlose Nacht hinaus. Nach einigen Minuten bemerkte er, dass er noch alle seine Waffen am Körper trug und, dass es nicht gerade bequem war mit ihnen zu sitzen. Er stand auf und legte sie ab. Zu seiner Verblüffung hatte er gar nicht bemerkt, dass er seine Messer und seinen Bogen genauso am Boden angeordnet hatte, wie Aysha es tat...
Einige Wolken zogen vorüber. Die Mondsichel wanderte langsam in einer Linie über den Horizont. Plötzlich schallte wieder Ayshas Stimme durch seinen Kopf. Immer wieder wurde es ihm in sein Gedächtnis gerufen:
"Hast du genug Mut, um zu kämpfen? Genug Stärke um zu siegen? Und genug Willenskraft um all das zu bewältigen?" Alle diese Dinge verstand Legolas sehr wohl. Nur der letzte Satz war ein Rätsel in seinen Augen geblieben:
"Hast du genug Zeit um alles wieder zu vergessen?" Als er sie zum Scherz einmal gefragte hatte:
"Hast du genug Farben um den Regenbogen zu malen?" schien sie es sehr ernst zu nehmen. Aysha hatte ihn oft so etwas gefragt. Aber mehr als eine Erinnerung an etwas und ohne eine Antwort zu erwarten.
"Was mag wohl in den letzten Tagen geschehen sein...?" dachte Legolas und wandte sich verträumt von der Welt um sich herum ab. Traurig sah er in die Richtung, aus der er einige Stunden zuvor Ayshas Schreie gehört hatte.
"Ich weiß, dass du vielleicht nicht auf mich hören wirst..." kam Gimlis Stimme hinter Legolas näher. "Aber ich möchte dir trotzdem einen Rat geben." Der Zwerg legte seine Hand auf Legolas dunkle Schulter. "Springe erst hinunter, wenn du weißt, dass jemand unten steht und dich auffängt." Der Elb sah zu Gimli hinauf. Immer noch mit demselben traurigen Ausdruck in den Augen, der selbst Gimli nicht verborgen blieb.
"Wir finden sie schon."
"Vielleicht finden wir sie. Aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie wirklich finde? Erst die Sache mit ihrem Heiligelben- Schicksal und dann kommt ER..."
"Man soll seinen Gedanken nicht immer einen Schritt voraus sein. Niemand weiß was noch auf uns alle zukommt."
Der Zwerg ging langsam zu seinem Schlafplatz zurück, da drehte Legolas sich um und flüsterte fast mehr in sich hinein:
"Danke für das Augenöffnen..."