Sechsunddreißig
Höhenplateau, Tibet
Lichter See
5. Januar 2005
12:30 Uhr
Chase Carver und die anderen sahen geschockt zu, wie Lara in die Tiefe sank. Keiner war Imstande was zu tun, da keiner richtig realisiert hatte was gerade passiert war. Ein Schuss, Blut, der tote Yeti, dann sank Lara auch schon hinab.
Schließlich riss Chase sich los. Ihm wurde klar, dass Lara Gefahr lief zu sterben und sie war schon nah dran, denn mit jeder Sekunde sank der Schneemensch immer tiefer und tiefer ins Wasser. Er griff nach seinem Stiefel und bracht ein Messer hervor. Dann schwamm er los. Er erreichte Lara recht schnell und erkannte, was los war. Ihr Arm hatte sich in der Seilwinde verfangen und sie bekam ihn nicht mehr los. Chase versuchte das Seil durchzuschneiden, doch sein Messer war zu schwach und das Seil war von Eisenfäden durchzogen, so dass der Magnethaken sich daran verfangen konnte.
Er musste erschrocken feststellen, dass er keine Chance hatte seine Freundin zu retten. Er blickte sie an, in ihren Augen war Panik geschrieben, aber auch etwas anderes. Eine Entschuldigung. Lara wollte sich für alles entschuldigen, was sie jemals mit ihm gemacht hatte. Doch das hatte nun wirklich Zeit. Du kannst dich entschuldigen, wenn du überlebst Red, dachte er und versuchte es erneut. Doch vergebens. Plötzlich schoss ein orangefarbener Blitz heran und durchtrennte das Seil zielgenau.
Der Yeti sank weiter in die Tiefe, während aus seiner Stirn noch immer rotes Blut quoll. Zusammen mit Lara schwamm Chase zur Oberfläche und sie tauchten auf. Kein weiteres dieser Schneemonster griff sie an.
Lara riss sich die Atemmaske vom Gesicht und inhalierte die eisige Luft, dann schwamm sie zum Rand und zog sich so gut es ging hinauf. Chase und die anderen folgten ihr. Dort trocknete sich Lara so gut es ging ihre Haare, was eher aussah, als würde sie ein Waschlappen auswringen. Dann checkte sie ihre Ausrüstung und das Headset und blickte zu der Höhle, die nur wenige Schritte von ihr entfernt war. Das riesige Loch erinnerte Lara an ein aufgerissenes Maul. Und wahrscheinlich war der Vergleich sogar passend. Der offizielle Weg zum Tempel war wahrscheinlich total überfüllt von diesen Monstern, obwohl Lara nicht davon ausgehen wollen würde.
Außerdem konnten noch immer überall Simons Söldner lauern. „Ist alles okay?", wollte Sara wissen und legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter. Diese nickte: „Ja, ist alles in bester Ordnung, danke.", sie lächelte: „Trotz der schlechten Erfahrung muss ich sagen, so ein Magnet Haken der hat schon was praktisches." Sara und Lara lachten beide herzhaft auf, doch sie verstummten direkt wieder, als ihnen klar wurde, wo sie sich befanden. Außerdem hörten sie ein verdächtiges knacken und krachen. Lara blickte zu dem nah liegenden, aufgesprengten Loch. Leichte Risse begannen das Eis zu durchziehen.
Die Archäologin hatte nicht vor noch ein weiteres Mal schwimmen zu gehen, also bugsierte sie ihre Freunde schnell in die Höhle hinein und auf festen Grund. Wobei sie erkennen musste, dass fester Grund erst Knietief im Wasser beginnen würde. Die Höhle lag teilweise unter dem Wasser und war nur begehbar, wenn auch Eis auf dem See war. Dem Lichter See, so nannten ihn die Einheimischen. (Anmerkung: Dieser See existiert, meiner Erfahrung nach nicht...den hab ich frei erfunden, ebenso wie das Kloster. )
Lara hatte sich schon immer gefragt, wieso er so hieß und dann bekam sie die Antwort. Als der Schnee aufhörte und durch die Wolken ein Schein von Sonne brach, spiegelte sich das Licht auf den zerbrochenen Eiskristallen, die überall herumlagen und warf Regenbogenfarbenes Licht in alle Richtungen. Ein wirklich schöner Anblick, der noch schöner geworden wäre, wenn Lara nicht das charakteristische Grrrr... der Yeti vernommen hätte. Die sind ja wie eine Pest, dachte sie sich. Chase entzündete eine Magnesiumfackel und schritt voran, wobei der vor allem versuchte die dunklen Nischen alle auszuleuchten, um keine böse Überraschung zu erleben.
Lara blickte ihrem Exfreund hinter her und wünschte sich wahrscheinlich das erste Mal, dass nicht alles so dumm gelaufen wäre. Doch es ließ sich nicht ändern. Chase war von nun für sie unerreichbar, selbst wenn er noch immer so um sie rumtanzen würde wie früher. Ein leichtes Gefühl des Verlustes machte sich in ihr breit, als sie erkannte, dass Chase nun für immer weg war. Wahrscheinlich würde ihr Verhältnis ebenso erlöschen, wie ihre Gefühle.
Doch wahrscheinlich war Chase viel zu stolz, um dies jemals zugeben zu wollen. Für Lara galt das Gleiche. Sie bildete das Schlusslicht und lief mit gezogener Waffe. Keine bösen Überraschungen.
Etwa eine halbe Stunde lang schlichen sie durch die Dunkelheit, ohne auf eines der Biester zu treffen, bis sie schließlich vor einem großen, verschlossenen Tor landeten. Zwei Symbole waren in die Tür eingelassen. „Na super.", murmelte Chase resignierend: „Warum können die nicht einfach was total simples machen. Manchmal wäre ich echt dankbar ein Schild auf dem dann Drücken stehen würde."
Lara musste unweigerlich schmunzeln und auch Indy und Sara blieben von dem Spruch nicht verschont. „Wir werden wohl suchen müssen.", erklärte Lara: „Wie sehr ich dieses Wort doch hasse." Irgendwie lockerten diese Sprüche Laras Stimmung einwenig. Aber sie wirkten einwenig aufgesetzt. Keineswegs Sachen, über die man lachen konnte. Sie taten es trotzdem. Schließlich trennten sie sich und begannen die Halle in der sich die Tür befand zu durchsuchen.
Nach einer weiteren halben Stunde gab Lara auf. Es gab einfach keine Schlüssel oder Stecker oder sonst was. Diese Tür würde für immer verschlossen bleiben, es sei denn...
„Oh ich hasse diese Methoden.", murmelte sie leise. Dann ging sie zu Sara hin: „Du hast deine doch noch, oder?" Sara sah sie etwas verständnislos an. „Die Granate.", erklärte Lara. Ihre Freundin nickte und reichte sie ihr. Dann ging die Abenteurerin zu der Tür und platzierte die Granate an der Stelle, wo sonst die Schlüssel hineinkamen.
Dann ging sie in Deckung. Chase und Indy waren beide im hinteren Teil der Höhle und suchten noch immer vergebens. Also würden sie nicht getroffen werden. „Hey, hie...", begann Indy doch die plötzliche Explosion die alles erschütterte unterbrach ihn. Das Türschloss zersprang in tausende von Teilen und die Tür ließ sich nun Problemlos öffnen und schließen. Na ja, schließen war übertrieben, aber zu ziehen war gut. „...ist das Teil.", beendete Indy seinen Satz und hielt ein rundes, goldenes Stück in die Höhe. Es war Rund und hatte auf einer Seite die gleichen Einschlüsse wie die Symbole an der Tür.
Fuck, fluchte Lara im Stillen. Laut sagte sie: „Jetzt hat Chase sein Drücken Schild.", sie grinste und gemeinsam gingen sie durch die große Doppeltür. Direkt dahinter lag eine riesige Treppe, die immer weiter hinaufführte, in einem steilen Winkel und das Ende verlor sich im Dunklen.
Die Fackel von Chase war ausgegangen und Lara griff auf vertraulichere Lichtquellen zurück. Eine kleine Taschenlampe an ihrem Rucksack. Sie hatte diesen Trick bei einem Buch abgeguckt.
Der Oberste Mönch Twin-Xiau-Yu geleitete den Amerikaner ins Inneres des Tempels. Gestern Abend hatte er sich mit ihnen in Verbindung gesetzt, und hatte ihnen ein Versprechen gegeben. Twin glaubte an den Amerikaner, denn er war gut. Er hatte schöne, edle Kleidung und wundervoll verzierte Schuhe. Sachen, die Twin niemals anziehen würde, vor allem nicht als Mönch, aber die Erfurcht war da.
Der Amerikaner strotzte nur so vor Geld. Ein Mittel, dass ihrem Tempel des Lichtes eindeutig fehlte. Geld war leider das führende Mittel dieser Welt geworden, ohne diesem ging gar nichts mehr. Twin lass gern und viel und er träumte von Zeiten, wo es keine Geldmittel benötigt hatte, um reich zu werden. Oder wo ein Tempel noch besucht wurde, weil es ehrvoll war. Zwar herrschte im Buddhismus keineswegs ein so reges Desinteresse an der Kirche, aber trotzdem gab es das. Twin und seine Brüder hatte Hilfe echt nötig.
Und dieser Mann würde sie ihnen bringen.
Was Twin-Xiau-Yu nicht wissen konnte war, dass dieser Mann vollkommen andere Pläne mit diesem Orden hatte.
Höhenplateau, Tibet
Innere des Tempels
5. Januar 2005
13:32 Uhr
Die Treppe war verdammt lang gewesen. Über hundert Stufen hatte Lara gezählt, jede Stufe mit einem anderen Symbol gekennzeichnet. Und keines hatte sich je wiederholt. Wirklich faszinierend, fand die Archäologin. Hätte sie mehr Zeit gehabt, würde sie in Erfahrung bringen, was für Symbole das waren. Und vor allem: Was sie bedeuteten. Doch es ging hier keineswegs um Forschung, sondern um Rettung. In letzter Zeit driftete Lara immer und immer weiter davon ab, als Archäologin arbeiten zu können.
Als sie schließlich vor einer weiteren Tür aus Holz standen, hielt der kleine Trupp kurz an. Lara löschte das Licht. Sie wusste nicht, wie es da oben aussah. Falls Simons Soldaten schon hier waren, so würden sie sicher jeden Gang bewachen. Wenn sie es noch nicht waren, blieben immer noch die Mönche, die vielleicht ebenfalls nicht unbedingt freudig auf die Fremden reagieren. Lara hörte leise Stimmen auf chinesisch sprechen. Seit Tibet von den Chinesen eingenommen worden war, lebten die meisten Tibeter unter ständiger Propaganda durch die Chinesen und auch viele sprachen nur noch chinesisch.
So auch die beiden Männer, wie Lara an der Stimmlage erkannte. Sie wartete, bis die Stimmen verklangen, dann schob sie das große Holztor auf. Ein Wächter lehnte an der Wand und döste vor sich hin. Als er die Tür aufschwingen hörte, schrak er aus seinem Zustand auf und griff nach seinem Kampfstab. Lara war schneller und hielt ihm die Pistole an den Schädel. Der Mann erstarrte mitten in der Bewegung.
Anscheinend wusste er genau, was dieses Schießeisen bedeuten konnte. Memo an mich: Mönche haben Zivilisation kennen gelernt, dachte sie sich. Dann sprach sie ihn ruhig auf tibetanisch an: „Wir sind hier in friedlichen Absichten." Der Mönch schielte mit seinen Augen nach der Pistole an seinem Kopf. „Oh.", Lara legte die Waffe weg: „Gewohnheit." Doch der Mönch schien ihr nicht zu glauben.
Denn plötzlich schwang er seinen Stab und zielte nach Laras Kopf. Chase ging dazwischen und schlug dem Mönch die Faust in den Magen: „Hast du es nicht kapiert?" Der Gottesmann ging unter Schmerzen zu Boden und blieb dort liegen. Die Grabjägerin ging vor dem Mann in die Knie: „Wir sind hier, um einen Mann zu finden. Simon Williams, kennst du ihn?" Der Mann verneinte und Lara erhob sich wieder, blickte ihre Freunde an. „Was sagt er?", wollte Sara wissen.
Lara sah, dass die Witchblade wieder aktiviert war. „Er kennt Simon nicht. Also ist er wohl noch nicht da.", Lara überlegte. „Wir könnten uns das Artefakt schnappen, aber das will ich nicht. Simon soll büßen, hier und jetzt." „Dann lass uns doch auftrennen.", schlug Indy vor. Alle schwiegen einen Moment, schließlich ergriff Lara die Initiative: „Gut. Sara, Chase. Sucht ihr euch einen geeigneten Platz und wartet dort. Versucht Simon und die Söldner aufzuhalten. Aber lasst euch nicht töten. Indy und ich gehen zu der Sichel und werden dort auf Simon und seine Leute warten."
Der Plan stand. Lara blickte ihre Freunde ein letztes Mal, so kam es ihr jedenfalls vor, alle der Reihe nach an. Dann, wie ein Mann, gingen sie aufeinander zu und umarmten sich. „Passt auf euch auf.", meinte Sara leise, ihre Stimme klang brüchig, so als müsste sie weinen.
Doch Lara war zuversichtlich. Schließlich lösten sie sich alle und gingen in verschiedene Richtungen davon. Der Raum in dem sie sich befunden hatten war von zwei Gängen durchzogen worden. Der eine führte zum äußeren Rand des Klosters, der andere weiter ins Innere, ins Zentrum, wo sich auch die Sichel befinden musste. So vermutete Lara jedenfalls. Das Innere selbst war spärlich, aber schön eingerichtet. Säulen stürzten die Decke, die in gelben und roten Farbtönen gehalten wurde.
An den Wänden waren kunstvolle Bilder von Drachen und Wolken, im typischen Stil. Lara erkannte, dass an dieser Wand die Geschichte des Tempels verewigt wurde. Auch interessant, doch auch einer der Punkte, für den jetzt keine Zeit war. Die Liste wurde immer länger. Am liebsten wäre Lara andauernd angehalten, nur um sich sämtliche Kunstwerke und Säulen ansehen zu können. Jede schien eine eigene Geschichte zu erzählen und Lara interessierten alle.
Doch dafür war keine Zeit. Aus dem Augenwinkel sah sie auch Indiana Jones Augen leuchten, wie Diamanten. Er war ebenfalls ein Professor der Archäologie und ihm war das alles genauso schwer wie Lara. Wahrscheinlich hatte er auch unter der Vernichtung dieser Tür vorhin gelitten.
Sie seufzte und richtete ihren Blick wieder nach vorne. Einige Mönche, ohne Waffen, passierten ihren Weg. Aber sie taten nichts. Keiner schien richtig Notiz von ihnen zu nehmen, sie gingen herum, von Raum zu Raum und murmelten leise Gebete. Plötzlich ertönte ein einzelner Schuss. Kurz, präzise, tödlich. Lara blickte sich um. Der Schuss war von der anderen Seite gekommen, war den ganzen Weg bis hier hinauf gehallt.
Die Mönche hielten in der Bewegung inne und starrten zum Gang. Lara wusste: Simon und seine Leute kamen. Sie kamen um sich die Beute zu holen und sie würden nicht scheuen, jeden zu töten. Und sei es nur aus Spaß. Simon war ein Monster, ein Drecksack. Sie musste diese Menschen in Sicherheit bringen.
„Geht.", rief sie in ihrer Sprache: „Geht. Los, weg. Versteckt euch. Sofort!" Die Mönche folgten zögernd. Lara blickte durch den Gang, die Halle in der sie vorhin gewesen waren verlor sich im Dunklen. Aber sie konnte das aufblitzen von Stakkatoartigem Licht sehen. Kurze Zeit später folgte der Schall. Die Mönche wichen nur langsam. Und Lara hatte keine Zeit. Sie hoffte nur, dass Chase und Sara sich nichts taten. Und sie hoffte, dass sie ihren Job erfüllen würden.
Irgendwo weiter hinten im Tempel saß Sara hinter einer Säule. Die Witchblade an ihrem Arm schrie nach Blut und Sara konnte sich kaum noch konzentrieren. Die Blade war stark und nützlich, aber sie schien auch eine große Kontrolle über sie zu haben. Chase war einige Meter weiter, in einen Raum gegangen, die Tür stand sperrangelweitoffen, so dass er jeder Zeit schießen konnte, sollten die Feinde kommen. Die Mönche in diesem Gang sahen Sara fragend an und verzogen sich murmelnd, als sie ihren Arm erblickten.
Sara keuchte, die Witchblade wollte töten. Schnell, sauber, aber viel. Das konnte sie nicht zulassen, aber es war ihre einzige Methode mit so vielen Männern fertig zu werden. Der erste Ansturm kam um die Ecke gebogen. Vierzehn Soldaten erkannte sie auf Anhieb. Wie viel Geld musste Simon besitzen, wenn er sich zwei Helikopter und eine ganze Armee mieten konnte? Töteeeeeeennnnn...Sara horchte auf. Hatte die Witchblade das eben gesagt? Wahrscheinlich nicht, sie hatte sich das sicher nur eingebildet.
Doch plötzlich erhob sich ihr Körper wie von alleine. Eine Aura aus roter Energie umhüllte sie und dann tat sie etwas unvorstellbares. Sie setzte einen Fuß nach vorn und trat aus ihrer Deckung. Die Soldaten sahen sie, legten an und schossen. Sara wollte zurückspringen und sich in Sicherheit bringen, die Witchblade wollte es nicht. Sara sah die Kugeln, dann hatten sie die Polizistin auch schon erreicht.
Twin hielt an, als er ein Schuss hörte. „Was war das?", wollte er wissen und horchte. Es wiederholte sich nicht, jedenfalls vorerst. Dann hörte er ein weiteres Stakkato von Schüssen. Jemand war hier, jemand wollte diesen Tempel zerstören. Das konnte Twin nicht zulassen, also wand er sich an seinen Gast, um ihm zu erklären, er solle sich irgendwo verstecken, doch der Gast hielt ihm bereits eine Waffe an den Hals. Eine lange Klinge, die nun anstelle des Holzes an dem Stab des Mannes befestigt war.
„Ninja Kunst.", erklärte er kurz und auf Englisch: „Bringen sie mich zur Halle der Seelen. SOFORT!"
Fortsetzung folgt:
