Einer
der letzten wenigen lief mit erhobenem Schwert auf Aysha zu. Sie
bemerkte ihn zu spät. Er holte zum Schlag aus. Die Heiligelbe
drehte sich um und schrie auf.
Die Klinge schnellte auf sie zu.
Plötzlich sanken seine Hände zurück und Rangier
tauchte hinter ihm auch. Aysha zitterte noch mehr, als sie in seine
Augen sah.
Rangier hatte dem Angreifer mit dem Rest seiner Kraft
ein Messer in den Rücken gerammt. Dann verschwand langsam das
Leben aus Rangiers Augen. Doch er lächelte.
Aysha kniete
neben ihm nieder. Hastig zog sie ihn hinter einige Steine.
"Wenn
du mir mein Leben rettest, will ich, dass auch du lebst!"
flüsterte Aysha und hob seinen Kopf an.
"Versuche es
nicht. Meine Zeit ist vorüber. Lass mich gehen..." Er
hustete. Dann nahm er Ayshas verletzte Hand. Aber sie verzog keine
Miene.
"Nimm meinen Platz hier ein...Ich war mir nicht
sicher, doch es ist wahr..."
"Was? Was ist wahr?"
Er
zeigte auf eine winzige Inschrift an einem kleinen Armband, das er
trug.
"Nein..."murmelte Aysha. "Du bist es
nicht...Du bist nicht mein...Bruder..."
"Doch das bin
ich...Du wirst die letzte sein. Die letzte der Malandil,
Aysha..."
Dann starrten seine Augen ins Leere. Vorsichtig
ließ Aysha ihn zu Boden sinken. Sie nahm ihm das Armband ab und
streifte es über ihr Handgelenk an dem ein ähnliches Band
hing.
Dann hatte sie wirklich ihren Bruder sterben sehen.
Sie.
Die letzte der Malandil.
Sie ritten immer tiefer in die
Stadt hinein. Und sie waren nicht die einzigen, die Gefangene hier
her brachten. Überall schlichen kleine Gruppen durch die
überfüllten Straßen.
"Hier muss es mehr
Gefangene und Sklaven als Einwohner geben..." murmelte Merry und
sah sich unbemerkt um.
Sie folgten der Menge und erreichten bald
eine dunkle Seitenstraße. An den Häuserreihen standen
einige Händler und schienen mit dem Sklavenhandel ihr Geld zu
verdienen.
"Ihr werdet uns doch nicht hier lassen, oder?"
flüsterte Pippin ängstlich.
"Natürlich
nicht..." antwortete Aragorn leise und zog die beiden Hobbits
näher zu sich heran. "Wir sollten versuchen hier etwas über
Aysha zu erfahren...Vielleicht hat sie jemand gesehen..."
"Ich
finde..." begann Gimli. "Ihr dürftet uns sogar
verkaufen. Unter der Bedingung, dass ihr uns so schnell wie möglich
wieder befreit und mir einen Krug Bier spendiert! Wenigstens müssten
wir dann nicht mehr hinter zwei Pferden herlaufen..."
Aragorn
betrachtete die Händler. Einer von ihnen war dabei einen seiner
Sklaven mit einer Peitsche zu schlagen. Und Aragorn konnte nicht
eingreifen.
"Aragorn?" Merry tickte ihn an. "Hast
du gehört?"
"Ja, ja... Aber diese Möglichkeit
ziehen wir nur in Betracht, wenn uns nichts anderes mehr übrig
bleibt. Wie siehst du das, Legolas? Legolas?"
Die vier
sahen sich um. Der Elb war wie vom Erdboden verschluckt...
Aysha
öffnete ihre Augen. Sie wusste nicht, wo sie sich befand.
"Daynic...gefangen...Arena..." dachte sie. Der Kampf!
Er war noch nicht vorüber.
Sie stand auf, nahm ihr Schwert
und rannte auf den letzten Krieger zu, der die ganze Zeit nach ihr
gesucht hatte.
Als er sich umdrehte holte Aysha aus und schlug ihm
mit einem Entsetzensschrei den Kopf von den Schultern.
Legolas
hatte Aragorn gehört, doch er antwortete nicht. Kurz sah er sich
um. Dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner, einem
kleinen Mann mit einem Pferdewagen, zu:
"Kaufen, verkaufen,
vollkommen egal!" begann dieser auf den Elben einzureden.
"Ich
will hier weder kaufen, noch verkaufen. Ich will eine
Auskunft!"
"Auskunft kostet extra..."
"Hört
erst, was ich wissen will. Wenn ihr etwas darüber wisst, lässt
sich über eine Bezahlung reden..."
Der Mann
überlegte.
"In Ordnung. Raus damit!"
"Habt
ihr eine Frau gesehen? Mit einem dunklen Mantel und vier Narben im
Gesicht?"
"Vielleicht habe ich das...vielleicht habe ich
das auch nicht..."
Sofort drückte Legolas ihm ein
blankes Goldstück in die Hand.
"Ich glaube ich habe sie
gesehen. Ich kann mich nur leider nicht mehr erinnern wo..."
Ein
zweites Goldstück klirrte auf das erste.
"Ah ja, jetzt
erinnere ich mich. Ich habe sie weg gebracht... Nur ich weiß
nicht mehr wohin..."
Ein drittes Goldstück.
"Wohin?"
"Das kann ich euch nicht sagen, mein
Herr. Ich mache auch nur meine Arbeit. Wenn ich es euch sage, könnte
selbst hunderte solcher Goldstücke mich nicht
retten."
"Wohin?"
Der Händler witterte
seine Chance.
"Gebt mir den ganzen Beutel und ich glaube, ich
kann darüber hinweg sehen..."
Legolas hielt ihm das Geld
vor die Nase.
"Nehmt es! Und jetzt: WOHIN?"
"Zu
den schwarzen Klippen. Dort gibt es eine...Ruine! Ein Gefängnis,
oder so..."
Gierig öffnete er den Beutel. Legolas
würdigte ihn keines Blickes und ging schnell zu den anderen
zurück.
Die Zuschauer jubelten. Noch nie wurde
dieser Kampf von einer Frau gewonnen.
"Wir haben eine
Siegerin!" schallte die Stimme durch die Arena. "Sie wird
in drei Tagen erneut kämpfen..."
Aysha wurde von einem
Sklaven gepackt und zurückgeführt.
Auf ihrem Weg kamen
sie an Rangiers Leiche vorbei, die gerade in eine riesige Kiste
geschafft wurde.
Ayshas Blick traf den von Daynic, der klatschend
in den Zuschauerreihen saß. Dann verloren sie sich.
Die
Heiligelbe wurde durch die Tür gestoßen und stand nun
wieder in den dunklen Gängen des Gefängnisses.
Sie
fühlte sich nicht wie eine Siegerin. Doch sie war froh darüber,
überhaupt noch am Leben zu sein, auch, wenn sie ein anderes
Leben aufgeben musste.
"Da bist du ja!"
prustete Gimli los. Legolas hielt ihm den Mund zu.
"Einer
der Händler hat sie gesehen."
"Wo ist sie?"
fragte Aragorn und führte sie an die Seite.
"In einem
Gefängnis an den schwarzen Klippen, meinte er. Ich weiß
nicht, ob man den Händlern hier trauen kann. Aber einen Versuch
ist es auf jeden Fall wert."
Die anderen stimmten zu. Was
hatten sie schon zu verlieren?
Vor ihr wurde die
Kerkertür aufgesperrt und sie wurde hineingestoßen.
Unsanft landete sie auf den harten Steinen.
Lanjaniel und Mergon
halfen ihr auf.
"Was ist geschehen? Wo ist Rangier?"
hastete Mergon.
Aysha schnappte nach Luft:
"Er ist tot."
Sie ließ sich auf den Boden fallen. "Ich soll wieder
kämpfen. Bis ich sterbe!"
Mergon lächelte.
"Vielleicht
hast du in deinem Leben zu wenig erlebt und getan und nun fordert das
Schicksal dich heraus."
"Dann muss sich mein Schicksal
aber sehr geirrt haben."
Mergon und Lanjaniel wurden
neugieriger.
Und so begann Aysha ihnen die gesamte Geschichte zu
erzählen. Von Frodo und dem Ring und von allem, was sie erlebt
hatte...
Legolas und Aragorn streiften nun ein weiteres
Mal mit ihren "Gefangenen" durch die engen Gassen. Nach
einigen Minuten hatten sie den Marktplatz der Stadt erreicht.
Aragorn lief zu einigen Ständen und kaufte ihnen etwas zu
essen.
"Lasst uns hier verschwinden." grummelte Gimli.
"Irgendwo hin, wo ich in Ruhe essen kann..."
Daynic
hatte die Arena gemeinsam mit seinem Begleiter verlassen. Abwesend
starrte er ins Leere.
"Kommt!" der Vorgesetzte seines
Ordens bestieg sein Pferd. "Hört ihr nicht?"
Daynic
erwachte.
"Ich...was...ja ich höre euch..."
"Ich
kenne euch lange genug um zu wissen, dass mit euch etwas nicht
stimmt. Das kommt bestimmt von der Kleinen eben in der Arena!"
lachte der Mann von seinem Pferd hinunter.
Daynic sah zu ihm
hinauf und versuchte ebenfalls zu lachen, doch es gelang ihm
nicht.
"Ja, eine unmögliche Vorstellung, nicht wahr?
Wegen der Kleinen in der Arena..."
"Es muss
sehr aufregend gewesen sein." sagte Mergon als Aysha zu ende
erzählt hatte.
"Vielleicht...Aber jetzt sitzen wir hier.
In einem dunklen Verließ. Irgendwo in der Mitte vom
Nirgendwo..."
Niemand erwiderte etwas. Über dem der Rand
der Gitterstäbe glänzte der letzte Schein der untergehenden
Sonne.
Sie ließen die engen Gassen hinter sich und
kamen bald an einen großen, leeren Platz.
Außer
einigen Frauen, die mit riesigen Körben in die kleinen
Seitenstraßen verschwanden war niemand da.
In der Mitte des
Platzes stand ein riesiger Brunnen. Das Wasser floss aus den Mäulern
von zwei riesigen Pferden in das tiefe Becken.
Aragorn ließ
einige ihrer Vorräte auf den Brunnenrand fallen. Gimli ließ
sich von Legolas entfesseln und begann sofort damit alle
Nahrungsmittel durch zu probieren.
"Lass uns was über!"
rief Merry und wusch sich mit Pippin mit dem kristallklaren
Wasser.
Legolas trat langsam an den Brunnenrand und sah auf die
Wasseroberfläche.
Bald hatte er sich ganz dem Brunnen
hingegeben. Er ging noch einen Schritt heran. Irgendetwas leitete ihn
dazu das Wasser zu berühren. Langsam wanderte seine Hand darauf
zu. Doch kurz bevor er seine Finger eintauchte zuckte er
zurück.
"Aragorn..." flüsterte er und mit
einer seltsamen Mischung aller sprachen die er kannte fügte er
hinzu:
"Hier stimmt etwas nicht. Wir sollten so schnell wie
möglich fort von hier!"
Aragorn trat neben den
Elben.
"Was siehst du?"
"Im Wasser..."
Legolas trat zur Seite und gab den Blick auf den Brunnen
frei.
Aragorn sah an ihm vorbei. Und nach einiger Zeit veränderte
sich Legolas Spiegelbild vor seinen Augen.
Es veränderte sich
langsam. Schließlich war Legolas Gesicht blutverschmiert, seine
Hände von Feuer zerfressen, aus seinen Kleidern wurde eine alte
Rüstung und in seinen Augen glänzte nicht mehr der
strahlende Schimmer sondern ein mattes totes Licht.
Aragorn erhob
sich. Und plötzlich sah er wieder das Bild des Elben aus dem
Düsterwald, mit den blauen Augen und den langen Haaren.
Erst
sah Aragorn zu Legolas, dann auf die Wasseroberfläche zurück.
Denn er selbst war nicht einmal in dem Besitz eines
Spiegelbildes...
Die Zeit verging langsam. Aysha starrte
aus dem vergitterten Fenster hinaus.
In regelmäßigen
Abständen ging eine Wache vor ihren Augen auf und ab. Einige
letzte Fackeln strahlten kaltes Licht in die Dunkelheit. Doch
schließlich erloschen auch sie. Die Schritte entfernten sich
wieder.
Aysha steckte ihre Arme durch die Gitterstäbe und
betrachtete ihre verletzte Hand. Die wickelte den Stofffetzen ein
wenig fester und knotete ihn fest. In nächster Zeit würde
sie keinen Bogen mehr halten können. Doch vielleicht würde
das sowieso nie wieder geschehen.
Die Schritte kamen wieder
näher. Aysha zog ihre Hände zurück.
Die Schritte
entfernten sich wieder... Bald würden sie wieder
zurückkehren...
"Was ist das?" fragte
Aragorn und sah auf.
"Lasst uns hier verschwinden!"
drängte Gimli. "Was hier vor sich geht ist mir nicht
geheuer!"
"Was meinen die Hobbits? Merry? Pip...?"
Die
drei drehten sich um. Die beiden Halblinge lagen regungslos am Boden.
Sofort versuchten die anderen sie wieder zu beleben.
"Zwecklos."
meinte Gimli. "Die schlafen wie die Füchse im Winter. So
schnell wachen die nicht wieder auf. Das kommt bestimmt von diesem
verdammten Wasser!"
"Lassen wir sie liegen."
murmelte Aragorn leise. "Hier geschieht ihnen nichts. Sie wachen
schon irgendwann auf. Sie schnarchen ja sogar. Wir haben nicht viel
Zeit zum schlafen. Legolas hält Wache. Wenn jemand kommt tust du
so, als würdest du uns nicht kennen und gehst irgendwo hin,
verstanden?"
Legolas nickte. Er wartete bis die beiden
eingeschlafen waren, dann erhob er sich, zog seine Kapuze in sein
Gesicht und schlich langsam über den Platz ohne seine Freunde
aus den Augen zu verlieren.
Wie ähnlich musste er Aysha
jetzt sein. Zu gern hätte er gewusst, wo sie war...
