Vierundvierzig
Surrey, England
Croft Manor
9. Mai 2005
11:22 Uhr
Lara Croft, Archäologin und Abenteurerin, saß am Rande ihres Springbrunnens. Die Sonne hatte sich schließlich auch über Croft Manor gezeigt und Lara trug nun ein weißes Sommerkleid. In ihrer Miene spiegelte sich Trauer wieder. Und in ihrer Seele ebenfalls. Indiana Jones war vor genau viel Monaten und vier Tagen aus ihrem Leben gerissen worden, von einem Mann den sie mal ihren Bruder genannt hatte.
Jetzt waren beide weg und Lara Croft machte sich auf den Weg zum Grab von Indianas Vater. Aus einem Buch hatte sie herausgefunden, dass er sich in England hatte beerdigen lassen, unweit von London. England war sein Lieblingsland gewesen, deshalb lag er nun hier. Und Lara hatte sich mit Sara überlegt, auf dem Heimflug von Tibet, dass sie gemeinsam das Grab aufsuchen würden, um seinem Vater zu berichten, wie stark und mutig er gewesen war. Indiana Jones hatte für das Gute gekämpft und war dafür gestorben.
„Kommst du?", Lara blickte auf und kniff die Augen zusammen, als sie in die Sonne blickte. Sara Pezinni stand in einem roten Kleid vor ihr und hielt ihr die Hand hin. Lara warf ihrer Freundin ein Lächeln zu: „Ja." Dann stand sie auf und gemeinsam gingen sie über den geteerten Weg in Richtung Tiefgarage. Lara hatte sich auf Frust ein neues Auto zugelegt. Das neuste Lamborghini Model. Direkt eingeflogen aus Italien.
Lara blickte ihre Freundin an, während sie in gemächlichem Tempo dahinschlenderten: „Schön das du dir wieder frei nehmen konntest." „Find ich auch. Allerdings wird ich wohl auf Weihnachtsurlaub und so verzichten müssen. Mein Boss war echt wütend." Die beiden Frauen lachten auf. Sara war kurz nach der Ankunft in England wieder nach Amerika abgereist und hatte sich erst jetzt wieder frei nehmen können, mit der Begründung, dass sie einen Todkranken Freund besuchen musste. Jetzt würde sie sich allerdings wohl nicht mehr so schnell wieder frei nehmen können.
Laras Blick wanderte zum Fenster und sie sah Winston am Telefon stehen. Er telefonierte rum, denn Lara brauchte neue Angestellte. Gestern war ein neues Headset Model geliefert worden, dass sich mit einem Computer und einem Satelliten verbinden ließ. Somit konnte man von überall auf der Welt problemlos senden, bis hinab zu einer unmenschlichen Tiefe. Und Lara hatte sich überlegt das als Standard zu nehmen, doch brauchte sie dann ein professionelles Team. Deshalb nahm Winston nun Bewerbungen an und sortierte sie nach qualifiziert, nicht qualifiziert und nicht brauchbar. Danach würde sich Lara die qualifizierten Leute ansehen.
Doch zuerst galt es, mit der Vergangenheit reinen Tisch zu machen. Es kam ihr schon vor, als wären Jahre vergangen, seit sie Indy das letzte Mal gesehen hatte. Dabei waren es nur wenige Monate. Die beiden Freundinnen stiegen hinab in die Kühle der Tiefgarage und Lara fand ihr neues Auto schnell. Rot, war die Farbe. Eine von Laras neuen Lieblingsfarben. Sara ging zum Beifahrersitz auf der linken Seite und griff nach dem Türöffner. Diese glitt nach oben auf und sie blickte ihre Freundin an: „Links zu sitzen wird für mich immer ein Rätsel sein." Lara lächelte sie an und dann stiegen sie ein.
Die Archäologin startete den Motor und lenkte den Wagen aus der Garage, während sie zu Sara sah: „Und heute Abend machen wir uns eine Pizza und ziehen uns Videos rein?" Sara nickte und grinste viel sagend. „Was ist?", wollte Lara wissen. „Für eine Lady aus England bist du aber sehr amerikanisch.", erwiderte Sara und bekam einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
Dann verließen sie Croft Manor und setzten ihren Weg in Richtung London fort. Die Fahrt dauerte keine halbe Stunde und schon hielt der rote Sportwagen auf einem kleinen Parkplatz in einem Wäldchen. Der Friedhof lag direkt hinter einer kleinen Bergkuppe. Die beiden Frauen stiegen langsam aus, jede Bewegung schien ein Ausdruck ihrer Trauer zu sein. Auch Sara hatte Indiana gemocht und jetzt nach seinem Tot war sie tief betroffen. In den wenigen Monaten war er ihr doch ziemlich ans Herz gewachsen.
Die Sonne wurde durch die Baumkronen einwenig zurückgehalten und sie fröstelte. Vielleicht lag es aber auch an der Nähe zum Friedhof? Sara mochte solche Orte nicht. Früher als Kind hatte sie diese wegen Horrorfilmen gehasst, jetzt waren es persönliche Gründe. Es war nicht der erste Tote in diesen wenigen Monaten, den sie zu betrauern hatten. Das war schlimm und Sara wollte es möglichst weit von sich haben. Sie hatte wenigstens noch das Glück gehabt, keine dieser Personen mal persönlich gekannt zu haben.
Lara dagegen ging es anders. Sogar diesen Quill, wie Lara auf dem Heimflug berichtet hatte, hatte sie gekannt. Sara hatte ihn auch gesehen, ein mal...damals in China bei der Auktion, wo sie mit Indiana im Saal gestanden hatte, während Lara die Schriftrolle besorgt hatte. Lara schloss nun das Auto ab und blickte ihre Freundin an: „Können wir?" Sara nickte und sie machten sich auf dem Weg zum Friedhof.
Dieser war schnell erreicht und Lara schwang das kleine, eiserne Tor auf. Dieses war mit einem großen Kreuz verziert und als Sara daran vorbei schritt, hatte sie das Gefühl in einer vollkommen neuen Welt zu sein. Hier war alles irgendwie düsterer, bedrückender. Ein Friedhof hatte schon immer eine negative Auswirkung auf Menschen gehabt, jetzt wusste Sara auch warum. Nirgends war man dem Tod so nah, wie hier. (Außer vielleicht noch in einem Krankenhaus)
Sie schritten den mit Kies ausgestreuten Weg entlang, zwischen Gräbern und Tannen her, bis sie schließlich an ihr Ziel kamen. Von weitem schon sah Lara Henry Jones Senior auf einem kleinen Grabstein stehen. Der Stein stand an einer T-Kreuzung, die anderen Gräber waren von den schräg stehenden Gräbern verdeckt. Lara hielt kurz an und atmete durch. Plötzlich kam sie sich total merkwürdig vor. Ihr Herz begann ruhiger zu schlagen, sie spürte Tränen in den Augen, unterdrückte sie aber und ging weiter. Mit jedem Schritt konnte sie genauer das Grab des Vaters betrachten und sie konnte auch die nebenstehenden sehen. Aber sie beachtete sie gar nicht, es war im Moment nicht wichtig.
Sara folgte ihrer Freundin, mit einigen Schritten Abstand. Lara erreichte nun das Grab und blieb auf dem Kiesweg stehen. Sie lächelte, während die Sonne durch eine Lücke in der Baumkrone auf ihr Gesicht schien. „Mr. Jones.", begann sie lächelnd: „Schön sie kennen zulernen."
„Lara.", die Archäologin wurde in ihrem Vortrag unterbrochen, dabei hatte sie ihn schon so lange geübt. „Das ist merkwürdig.", Sara deutete mit dem Finger nach rechts. Lara folgte ihrer Geste, sie deutete auf den anderen Grabstein. Dann erstarrte ihr Herz. Und ein weiteres, ein echtes, Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. Der Grabstein daneben trug die Inschrift
Henry Jones Junior
3.März 1900 – 12.Dezember.1978
Möge der Segen sein für ihn und die Frau, die er niemals vergaß
Laras Herz machte einen Sprung und die Erkenntnis kam so plötzlich wie ein Donner. Jetzt erst verstand sie, was Indys Seele ihr damals wirklich gesagt hatte. „Schön dich wieder zusehen.", die Worte halten in ihren Erinnerungen wieder, so als würde sie diese zum ersten Mal hörte. Indy hat nach Hause gefunden. Sie lächelte. Dann ging sie zu dem Grabstein hin und setzte sich ins Gras daneben, fuhr die goldenen Buchstaben mit den Fingern nach. Dann drückte sie auf ihre Fingerspitzen einen Kuss und überreichte ihn dem Stein: „Schön dich wieder zusehen.", sagte sie und begann zu weinen, vor Freude. Du wirst immer ein Teil meiner Seele sein.
mehrere Monate zuvor
Indys Flug endete nach wenigen Sekunden. Gerade eben hatte er noch mit Quezacotl geredet, jetzt flog er. Jedenfalls fühlte es sich so an. Indy hatte die Augen geschlossen gehabt und als er sie nun wieder öffnete, sah er sich vor einem Haus stehen. Einem kleinen, gemütlichen Haus in England. Nein, nicht England. Indy schüttelte den Kopf. Es war sein Haus, sein eigenes. Mit Mühe erinnerte er sich an seinem Wunsch: Nach Hause. Das war alles gewesen. Zwar liebte er Lara Croft, doch die Zeit in der er gelandet war, war nicht für ihn gedacht gewesen. Indiana Jones gehörte hier hin, in die Vergangenheit.
Vielleicht würde Lara Croft irgendwann in vielen Jahren seine Gebeine irgendwo ausgraben. Er schmunzelte, fühlte sich aber einwenig traurig. Kein Wunder, wenn man bedachte das er eine geliebte Frau verloren hatte...schon wieder. Indy hatte einfach kein Glück mit den Mädels. Vielleicht sollte er sich mal anderweitig orientieren? Doch er schüttelte bei dem Gedanken nur den Kopf.
Plötzlich kam es über ihn. „Ach du Scheiße.", rief er aus. Dann sah er an sich hinab. Der Hightech Anzug den er trug musste in dieser Zeit wirken wie ein Raumfahreroutfit. Wenn ihn irgendwer so sah, würden alle denken er wäre von Außerirdischen entführt worden. Sowieso musste er jetzt einige Leute anrufen. Er musste seine Rückkehr ankündigen und außerdem erklären, wo er so lange war. Die Wahrheit kam nicht in Frage.
Doch dieser Job wurde ihm auch schon abgenommen. „Indy!", diese Stimme würde er nie vergessen. „Shorty?", Indy sah den kleinen Japaner aus seinem Haus rennen. Er kam auf ihn zu und sprang ihm in die Arme. „Ich hab dich vermisst, Indy.", rief der Junge unter Tränen. „Ich dich auch.", erwiderte der Abenteurer. „Wo warst du?", fragte ihn der Junge. Doch Indiana wurde ein weiteres Mal unterbrochen.
„Junior?", auch diese Stimme würde ihm immer in Erinnerung bleiben. Sein Vater verließ ebenfalls das Haus. Und mit ihm zusammen eine Reihe von anderen Freunden. Marcus und auch einige seiner Exfreundinnen waren dabei. Sie alle hatten sich wohl in seinem Haus eingefunden. Und nun stürmten sie alle zu ihm, nahmen ihn in den Arm und drückten ihn. Er war wieder zu Hause und er freute sich.
„Wo warst du?", wollte sein Vater wissen. Wo bin ich, dachte Indy, ist wohl die bessere Frage. Irgendwo hier musste er mittlerweile in einem Eisblock gefangen sein. Irgendwo auf diesem Planeten, um dann in sechzig bis siebzig Jahren von der wundervollsten Frau der Welt gefunden zu werden. Alles einwenig kompliziert. Aber jetzt war er erstmal froh wieder hier zu sein.
„Und überhaupt. Was trägst du für Klamotten?", fragte sein Vater. Indy zuckte mit den Schultern und lachte. Er fühlte sich endlich frei. Und doch fehlte ihm ein Teil, ein Teil seiner Seele, den in einigen Jahren zwei Menschen Lara Croft nennen würden.
Epilog
Weit, weit entfernt in einer vollkommen anderen Zeit in einem eisigen Land namens Tibet gab es einen Ort. Einen Tempel, den Einwohner Tempel des Lichts nannten. Dieser Tempel war allerdings verlassen. Seit einiger Zeit streiften nur noch einige wenige haarige Gestalten durch die gefrorenen Hallen. Der Tempel war ein Massengrab geworden.
Doch in diesem Tempel gab es einen Ort voller Magie. Einen einzigen Ort, den es sonst nirgends gab. Viele nannten ihn die Halle der Seelen. Für die Mitglieder des Ordens war es aber die Halle der Wiederkehr. Eine Legende besagte, dass einer, der gesegnet war von den Göttern, es schaffen würde wieder ins Leben zurück zu kehren. Und es gab tatsächlich einen Leib in der Halle, der seit mehreren Monaten unangerührt lag. Sein Leib war durchsiebt von Kugeln und aus vielen war bis vor einiger Zeit Blut ausgetreten. Jetzt aber war alles geronnen und getrocknet. Das Blut war weg, der Tod aber noch nicht. Plötzlich schlug die Gestalt ihre Augen auf. Die grauen Haare klebten am Boden und die Gestalt hatte im ersten Moment Probleme gehabt, sich aufzurichten. Doch nun stand sie.
Die Kugeln schienen wie in Zeitlupe seinen Körper zu verlassen und zu Boden zu fallen. Die Gestalt hieß Samuel Quill und sie war definitiv von den Göttern gesegnet. Außerdem trug er den Schutz des Auges von Shaherettin bei sich. Quill war kein Mensch mehr, er war weitaus mehr. Und er hatte nur ein Ziel.
Ende
