Anmerkung: Okay... Normalerweise schreibe ich die "Anmerkung" immer, bevor ich die Story verfasse, und bearbeite sie dann danach noch einmal. Diesmal verfasse ich sie, nachdem Teil 4 bereits fertig ist, weil ich einfach nicht aufhören konnte, zu schreiben... Einen lieben Dank möchte ich an Feedbacker meiner ersten CJ-Fanfic ("Regen") richten. Und an Mel, die mir mit ihrem CJ-FF Archiv gezeigt hat, dass es noch andere CJ-FF-Autoren gibt, und die überhaupt viel Liebe für die Serie übrig hat ;-)

Drückende Dunkelheit

Teil 2

Als sie zum zweiten Mal erwachte, glaubte sie, etwas zu hören. Ein leises, scharrendes Geräusch rechts von ihr. Eine Weile lauschte sie in die stille Dunkelheit hinein. Da war es wieder, ein Scharren gefolgt von einem Klirren, vielleicht ein Schlüsselbund. Und dann wurde sie plötzlich so stark geblendet, dass sie das Gefühl hatte, in ihrem Kopf würden kleine Messer tanzen. Eine Hand packte sie grob am Oberarm und zog sie ein wenig aus der Ecke hervor.

"Mach schnell!", raunte eine tiefe, kratzige Stimme. Sofort legte sich etwas über ihre Augen und wurde hinter ihrem Kopf verknotet. Die Hand ließ sie wieder los.

"So", meinte die Stimme erneut. "Du bist also Detective Jordan Cavanaugh."

Jordan wollte etwas erwidern, brachte jedoch nur ein heiseres Krächzen hervor. Ihre Kehle war ausgetrocknet. Sie schluckte schwer und versuchte es dann erneut. Sie wollte nicht geschwächt klingen, was ihr jedoch kläglich misslang.

"Abgesehen von dem Detective, ja."

"Und was bist du dann?"

"Gerichtsmedizinerin. Ich habe eine Marke in der Hosentasche." Jordan rückte ein wenig auf dem harten Beton hin und her. Ihr tat jeder einzelne Knochen weh.

"Die haben wir bereits gesehen. Das ist doch eine Fälschung. Halt uns bloß nicht zum Narren. Wir wissen, dass du Undercover arbeitest. Also... Wer bist du wirklich?"

Jordan seufzte. Wo war sie hier nur hereingeraten. "Ich... ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Rufen Sie meinen Boss an, Dr. Macy, der wird es Ihnen bestätigen. Ich arbeite im Gerichtsmedizinischen Institut."

"Du willst uns also weis machen, dass du nicht beim Boston PD arbeitest. Seltsam nur, dass du genau in der Apotheke in der Vierten eingekauft hast. Und mal so ganz nebenbei nach illegalen Drogen fragst."

"Oh Gott..." Jordan wurde schwindelig. Das Sprechen fiel ihr schwer. "Ich war dort, weil ich rasende Kopfschmerzen hatte. Habe. Und das mit dem illegalen Schmerzmittel war ein Scherz. So was nennt man Sarkasmus."

"Sicher."

Eine Weile hörte Jordan nichts als das tiefe Atmen des Mannes und das Scharren der Füße der zweiten Person. Dann war ein leises, metallisches Schnappen zu hören.

"Du willst also nicht reden...", murmelte dieselbe Stimme. Der Mann packte sie erneut am Oberarm und zog sie hoch. Brutal wurde sie an die Wand gedrückt. "Vielleicht hilft dir ja das."

Jordan fühlte etwas Kaltes an ihrem Hals. Eine Klinge! Sie sog scharf die Luft ein und presste ihre Lippen aufeinander. Sie wollte hier raus.

"Ich weiß wirklich nicht, was hier vor sich geht. Bitte..." Das Schwindelgefühl wurde stärker und vereinte sich mit ihrer Übelkeit. Und plötzlich übergab sich Jordan.

"Was zur Hölle..." Der Mann hatte überrascht das Messer zurückgezogen und war erschrocken einen Schritt nach hinten getreten. An Jordans Hals lief ein kleines Rinnsal Blut herunter, doch sie spürte es nicht. Erschöpft und noch immer vor Ekel geschüttelt rutschte sie an der Wand herunter.

Die beiden Männer flüsterten sich etwas zu, das sie nicht verstehen konnte. Dann hörte sie ein erneutes Knarren und einen dumpfen Knall. Sie atmete flach und lauschte. Stille. Waren sie gegangen?

"Hallo?"

Keine Antwort.

Erst nach weiteren, endlos langen drei Minuten war Jordan davon überzeugt, wieder allein zu sein. Sie stieß erleichtert die Luft aus, ohne bemerkt zu haben, dass sie sie angehalten hatte. Und nun saß sie hier, in diesem feuchtkaltem Raum. Der Geruch des Erbrochenen mischte sich unter den modrigen und fauligen Gestank ihres Gefängnisses. Für den Moment waren ihre Kopfschmerzen schwacher geworden und sie konnte klarer denken.

Was war hier passiert? Man musste sie verwechselt haben. Hoffentlich würden sie in der Gerichtsmedizin anrufen und alles aufklären. Und dann? Sie hatte keinen der beiden Männer gesehen, geschweige denn wusste sie, wo sie war. Lediglich die Stimmen hatte sie gehört und dass die Sache wohl irgend etwas mit Drogen zu tun hatte. Die Chancen standen gut für sie, einfach wieder frei gelassen zu werden. Ein wenig der Anspannung der letzten Minuten fiel von ihr ab. Das Adrenalin schien sich aus ihren Blutbahnen zurück zu ziehen. Und erst jetzt bemerkte sie, wie es ihr wirklich ging.

Ihr Hals schmerzte. Sie fühlte sich seltsam leicht und unwirklich. Also musste sie Fieber haben. Jordan wusste nicht, wie lange sie schon hier war, aber ihr Magen schmerzte vor Hunger und sie sehnte sich nach etwas Wasser. Ihre Rippen fühlten sich gestaucht an und ihre Hüfte musste grün und blau sein, vom Liegen auf dem harten Boden. Ihre Fußgelenke waren wundgescheuert von dem Seil, das viel zu fest darumgewickelt war. Die rechte Schulter fühlte sich taub an, von dem kräftigen Schlag gegen die Wand. Und in ihrem Mund machte sich ein madiger Geschmack breit.

Jordan wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren, und war zu schwach um sich den Kopf zu zerbrechen.

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"Guten Morgen Nigel." Woody fuhr sich durch die Haare, als er das Labor des Spezialisten betrat.

"Hallo Woodrow. Können Sie mir vielleicht erklären, warum der Zentralcomputer jedes Mal abstürzen muss, wenn ich gerade die Datensicherung vornehmen möchte?" Nigel warf ihm einen verzweifelten Blick zu.

"Das Schicksal wird sich gegen Sie gewendet haben." Woody seufzte. Wahrscheinlich hatte es das gegen sie alle.

Nigel zuckte mit den Schultern. "Ist ja nicht so, als ob es das erste Mal wäre. Also, was kann ich für Sie tun?"

"Ich bräuchte noch eine Analyse von der Substanz, die wir in der Bombe von Lester Marsch gefunden haben. Ist nur für's Protokoll." Woody reichte Nigel ein kleines Tütchen.

"Wird sofort erledigt."

"Danke." Woody zögerte kurz. Nigel sah ihn fragend an. "Ist noch was?"

"Na ja... Ist Jordan heute schon hier gewesen? Bei Max hat sie sich schon seit zwei Tagen nicht gemeldet."

Nigel sah Woody überrascht an. "Nein, nicht dass ich wüsste. Ich dachte, sie hätte sich frei genommen, oder wäre mit in die Grippewelle reingerutscht."

"Zu Hause ist sie jedenfalls nicht." Woody kaute auf seiner Unterlippe.

Nigel musste grinsen. "Sie machen sich aber viel Arbeit um unsere liebe Jordan."

Woody räusperte sich kurz und sah auf seine Schuhspitzen. "Na ja. Sie wissen ja..." Er ließ den Gedanken unausgesprochen im Raum hängen und wusste genau, dass Nigel verstand. Dieser nickte bestätigend.

"Also dann", meinte Woody, immer noch nicht ganz schlüssig, was er eigentlich wollte.

Nigel griff nach dem Tütchen und schwenkte es kurz. "Ich werde mich dann mal darum kümmern."

Als Woody immer noch nicht ging, fügte er hinzu: "Und Sie sofort anrufen, wenn ich Bescheid weiß. In beiden Fällen."

Woody schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Dann erst verließ er das Gerichtsmedizinische Institut wieder, um sich auf den Weg in die Mittagspause zu machen.

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Es war genau 3:33 Uhr, als Woody zurück in sein Büro kehrte. Er hatte momentan keinen neuen Fall, und nutzte die Zeit, um einige liegengebliebene Akten aufzuarbeiten. Die Zeit schien eher dahin zu schleichen und Woody rechte Schulter wurde leicht taub. Er hasste Schreibtischarbeit, aber es gehörte eben zu seinem Job dazu, den er ja sonst liebte.

Das aufdringliche Klingeln des Telefons ließ ihn hochschrecken. Er nahm den Hörer ab. "Morddezernat, Hoyt."

"Sie glauben wohl, wir meinen es nicht ernst?"

Woody setzte sich kerzengerade hin. Diese Stimme hatte er schon einmal gehört.

"Wie bitte?"

"Bei unserem letzten Gespräch meinten Sie, Sie würden unsere Forderungen weiterleiten. Ihre Vorgesetzten wussten nichts von einer Entführung."

Woody wollte das Gespräch aufzeichnen, hatte jedoch noch keine neue Kassette eingelegt. Während er versuchte, den Anrufer hinzuhalten, suchten seine Hände die Schreibtischschubfächer nach einem neuen Tape ab.

"Wir haben die Sache überprüft und Ihren Bluff durchschaut. Alle meine Kolleginnen sind wohlbehalten und mehr oder weniger gesund, und mit Sicherheit nicht entführt worden." Endlich hatte er eine Kassette gefunden. So schnell er konnte, legte er sie ein und drückte auf die Aufnahmetaste.

"Wir haben die gefälschte Dienstmarke dieses Luders hier. Sie behauptet, Gerichtsmedizinerin zu sein. Wer ist sie wirklich? Ist sie von euch oder vom FBI?"

Woody glaubte, er war für einen kurzen Moment zu Eis erstarrt. Ihm fiel die Sache wie Schuppen von den Augen. "Jordan Cavanaugh?"

"Ah..." Die Stimme am anderen Ende der Leitung lachte zufrieden auf. "Also doch."

"Nein... Nein, Sie verstehen das falsch. Jordan ist tatsächlich Gerichtsmedizinerin. Sie hätten das ganz einfach überprüfen können." Woody ließ sich völlig aus der Fassung gebracht in seinem Sessel zurücksinken. Das durfte doch alles nicht wahr sein.

Er vernahm ein Raunen und leises Gemurmel.

"Wir werden Ihre Behauptung überprüfen. Sollten Sie Recht haben, spielt das auch keine Rolle. Unsere Forderung bleibt die Gleiche, sollten Sie das Püppchen ihrem Institut oder dem Boston PD etwas Wert sein."

"Also schön", meinte Woody so ruhig wie möglich. "Ich werde dafür sorgen, dass man ihre Forderung erfüllt. Aber ich brauche einen Beweis dafür, dass Jordan noch am Leben ist. Ich möchte mit ihr reden."

"Das geht nicht", erwiderte der Mann knapp. "Ich werde in genau drei Stunden wieder anrufen. Bis dahin sollten Sie mit ihrem Vorgesetzten gesprochen haben..." Die Drohung hing unverkennbar im Raum. Ein Klicken bedeutete Woody, dass der Fremde aufgelegt hatte.

Woody ließ den Hörer sinken und schluckte schwer. Er konnte es nicht glauben. Jordan - entführt worden! Ihm gingen Annes Worte durch den Kopf.

Es ist zwar kein hübscher Mordfall, könnte aber durchaus einer werden...

Das musste er unbedingt verhindern. Hätte er die Sache doch nur eher ernst genommen. Woody machte sich Vorwürfe, obwohl er wusste, dass diese unbegründet waren. Er hatte alles Notwendige getan. Wie hätte er auch ahnen sollen, dass ausgerechnet Jordan...

Seine Gedanken überschlugen sich. Was sollte er zuerst tun? Noch während er nach der dünnen Akte suchte, die Anne ihm vor zwei Tagen auf den Schreibtisch geworfen hatte, entschied er sich, zuerst einmal in der Gerichtsmedizin und bei Max anzurufen.

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Jordan hatte das Gefühl, bereits gestorben zu sein. Sie fühlte sich taub und wie in eine neblige Kälte gehüllt. Man hatte ihr bereits zweimal Wasser gebracht, jedoch nichts zu essen. Bei jedem "Besuch" achteten ihre Entführer darauf, dass sie nichts sehen konnte.

Einmal hatte Jordan gemeint, dass sie auf Toilette müsse. Daraufhin hatte der zweite Mann sie in eine Ecke des Zimmers geschleift und ihr die Jeans samt Unterwäsche herunter gezogen. Vor den Augen der beiden Männer musste sie sich hinhocken und ihre Blase entleeren. Jordan hatte sich noch nie so gedemütigt gefühlt. Als der Mann sie wieder anzog, spürte sie, dass ihre Jeans am linken Oberschenkel nass und warm war. Sie biss sich auf die Lippe, um ihre Scham zu verbergen. Sie würde sich keine Blöße geben. Nicht, solange sie noch Hoffnung hatte.

Die schwand jedoch jetzt langsam dahin. Sie vermied jede Bewegung, um nicht vor Schmerz aufschreien zu müssen. Wenn sie einfach nur still dalag, war ihr Körper taub und leer.

Sie hatte vor einer Weile an der Wand entlangrutschend den Raum abgetastet. Es war vielleicht zwei mal drei Meter lang und hatte weder erreichbare Lüftungsschächte oder Fenster noch Abflüsse. Die Tür war aus einem schweren, kalten Metall und von Innen konnte sie das Schloss nicht ertasten.

Das letzte Mal, als man zu ihr gekommen war, wurde sie mit dem Rücken an die Wand gesetzt. Man nahm ihr die Augenbinde ab und zwei Taschenlampen leuchteten ihr in die Augen. Blendeten. Ließen jeglichen Versuch, etwas zu erkennen, vergeblich bleiben. Eine Tageszeitung wurde auf ihren Schoß gelegt und zurechgerückt. Dann schoss einer der beiden Männer ein Foto von ihr und sie wurde wieder allein gelassen.

Ihr Fieber war schlimmer geworden und ihre Nebenhöhlen waren geschwollen. Jedes Mal, wenn sie husten musste, glaubte sie, ihr Kopf würde zerspringen. Also versuchte sie, so viel wie möglich zu schlafen. Wenn sie schlief, konnte sie auch nicht nachdenken.

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Im Police Departement war inzwischen die Hölle los. Woody hatte Hilfe von zwei weiteren Detectives bekommen. Dies hier war keine private Entführung, dies hier ging weiter. Die Entführer hatten nicht bei einer hilflosen Person angerufen und als Bedingung "keine Polizei" festgelegt, sondern sich direkt im Police Departement gemeldet. Sie mussten gerissen sein und genau wissen, was sie tun.

In Woodys Büro hatte man zwei Tafeln aufgestellt, um Informationen übersichtlich festzuhalten. Sie hatten ein grobes Täterprofil und mögliche Hintergründe der Entführung zusammengestellt. Jetzt hörten sie sich die aufgenommenen Telefonate an und versuchten, mehr herauszuholen.

Woody wiegte seinen Kopf hin und her, um die Anspannung in seinen Schultern zu lockern.

"So kommen wir nicht weiter." O'Hara, die junge Ermittlerin, strich sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Kollege, Detective Siler, nickte zustimmend. Woody zerbrach sich den Kopf.

"Vielleicht sollten wir doch eine Stimmanalyse machen."

"Das hatten wir doch schon...", meinte O'Hara. "Dadurch könnten wir nur das Alter genauer bestimmen. Das hilft uns nicht viel." Sie seufzte leise. "Wir sollten den Anruf abwarten."

"Nein." Woody nahm das Tape und stand auf. "Ich kenne da einen Spezialisten, der ist genialer, als ihr euch vorstellen könnt. Ich kann nicht einfach rumsitzen und nichts tun. In einer Stunde bin ich wieder da."

Auf dem Weg zum Gerichtsmedizinischen Institut zerbrach sich Woody den Kopf. Er hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Sache von der richtigen Seite her anzugehen. Er wollte nicht, dass man Jordan als Geisel ansah, die für die Gefangennahme von wer-weiß-wem zu Schaden kommen konnte.

Als er aus dem Fahrstuhl heraustrat, kam ihm sofort Dr. Macy entgegen.

"Und, schon was Neues?"

Woody hob die Kassette hoch. "Nicht direkt, aber wenn ich mir Nigel mal ausborgen dürfte..."

"Natürlich. Ich komme gleich mit." Garret bahnte sich, gefolgt von Woody, einen Weg zum Labor. Er sah besorgt aus und man erkannte deutlich, wie sehr ihm die Sache an die Nieren ging.

Fast schon aggressiv trat er durch die Schwingtür und räusperte sich. "Nigel, wir haben hier etwas."

Der Wissenschaftler fuhr auf seinem Drehstuhl herum. Als er Woody sah, hellte sich seine Miene auf. "Woodrow, was bringen Sie uns? Einen Fingerabdruck von einem Erpresserbrief?"

"Nein, aber das hier." Woody reichte ihm die Kassette. "Ich habe Teile der Telefongespräche aufgezeichnet. Ich dachte, Sie könnten damit etwas anfangen..." Hoffnungsvoll sah er Nigel an. Dieser fuhr sich durch die Haare.

"Na ja, das ist schon mal ein Anfang..." Er legte das Tape in einen Recorder und öffnete ein Computerprogramm. Garret und Woody traten näher und sahen ihm über die Schulter. Nigel veränderte einige Einstellungen und spielte die Aufnahme ab. Alle drei starrten wie gebannt auf den Monitor.

"Okay...", murmelte Nigel. "Männlich, Ende dreißig, Akzentfrei. Tiefe, raue Stimme. Bis jetzt würde ich sagen, jeder dritte Neuengländer käme als Verdächtiger in Frage."

"Soweit sind wir auch schon", entfuhr es Woody genervt. Er hatte das Gefühl, festzustecken.

"Wer wird denn gleich aufgeben." Nigel verschob einige der Regler in verschiedene Richtungen und hörte sich das Ganze noch einmal an. Und dann noch einmal. Immer und immer wieder verstellte er weitere Regler, und gab ab und zu ein kurzes "Hm" von sich. Woody glaubte, er würde sich vor Anspannung auflösen.

"Ich weiß nicht genau..." Nigel beugte sich näher an den Bildschirm und öffnete ein weiteres Fenster, auf dem man die Frequenz des Gesprochenen als Kurve sehen konnte. Er kniff die Augen zusammen und vergrößerte einen Ausschnitt zwischen zwei extremen Schwankungen.

"Das gibt es doch nicht!", platzte er schließlich heraus. Wenn es nicht um Jordan, sondern einen gewöhnlichen Fall ginge, dann würde er jetzt vergnügt glucksen.

"Was denn?", drängelte Woody. Er hing Nigel fast mit dem Kinn auf der Schulter. Garret räusperte sich kurz und Woody wurde sich seiner Situation bewusst. Er wich etwas zurück, ohne jedoch die Augen vom Monitor zu nehmen.

Nigel spielte die Aufnahme ein weiteres Mal ab. An einer bestimmten Stelle stoppte er.

"Hier" meinte er und wiederholte einen kurzen Abschnitt.

"...re Behauptung überprüfen..."

"Während er das Wort Behauptung ausspricht, kratzt seine Stimme besonders. Das kann man an dieser Stelle der Kurve besonders gut sehen." Nigel wies auf den vergrößerten Ausschnitt auf dem Bildschirm. "Dieses Muster wiederholt sich regelmäßig. Besonders bei Worten, die er betont."

Woody verstand nicht, worauf Nigel hinaus wollte, doch das kannte er bereits und er wusste, dass der Ire sich sicherlich etwas bei dem dachte, was er tat.

"Das Kratzen wird von seinem Kehlkopf verursacht", fuhr Nigel fort. "Hört ihr, wie metallisch es klingt?" Noch einmal spielte er dieselbe Stelle ab.

Woody konnte nichts heraushören und auch Garret schien erfolglos nach dem "metallischen Klang" zu suchen.

"Und was bedeutet das?", wollte Woody schließlich wissen, als Nigel nicht weitersprach, sondern offenbar davon ausging, dass Garret und Woody zu dem selben Schluss gekommen waren wie er selbst.

"Der Gute hat einen künstlichen Kehlkopf. Und damit, mein lieber Woodrow, laufen in Boston sicher nicht allzu viele Männer herum." Zufrieden lehnte er sich zurück und faltete die Hände zusammen.

Garret klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. "Danke, Nigel."

Woody war verblüfft. "Woher wissen Sie so etwas eigentlich? Gibt es da oben in Ihrem Kopf eine Datenbank für besonders merkwürdige... Dinge eben?" Er zog eine Augenbraue hoch.

"Nein." Nigel lachte kurz auf. "Das hier haben wir meinem Professor für Soundanalyse zu verdanken. Er hatte einen künstlichen Kehlkopf und hat uns während einer Vorlesung als Beispiel den Unterschied zwischen seiner und ähnlichen Stimmen gezeigt."

"Und daran haben sie sich mal eben so erinnert." Woody sah ihn skeptisch von der Seite an. "Jedenfalls tausend Dank. Das wird uns einen gewaltigen Schritt nach vorn bringen." Er nahm sich das Tape aus dem Rekorder. "Ich werde das gleich weiterleiten."

"Halt, halt", hielt Nigel ihn auf.

"Was noch?"

"Das ist doch noch nicht alles. Ich kann doch mal in der Datenbank für Sie nachsehen, welche Personen in den letzten... sagen wir mal, zwanzig Jahren, einen künstlichen Kehlkopf erhalten haben."

"Und das erwähnen Sie hier so nebenbei...", meinte Garret und Woody war mit wenigen Schritten zurückgekehrt.

Nigel zuckte mit den Schultern. Er öffnete ein neues Fenster und klinkte sich in eine medizinische Datenbank ein. Nachdem er ein paar Daten eingegeben hatte, erschien eine Liste auf dem Bildschirm. Nigel druckte sie aus und reichte sie weiter an Woody.

"Danke", murmelte dieser und flog darüber. "Nur drei Einträge. Alle davon sind zwischen 1960 und 1970 geboren. Das schränkt die Sache natürlich gewaltig ein. Sie sind ein Genie, Nigel."

Nigel grinste kurz. "Und Sie sehen zu, dass Sie Jordan da raus holen. Wir brauchen sie hier."

Garret rieb sich die Nase. "Halten Sie uns auf dem Laufenden, okay? Und wenn wir irgendetwas tun können..."

"Na ja...", überlegte Woody. "Am Besten schauen Sie heute Abend mal bei Max vorbei. Er hat vor etwa einer Stunde auf dem Revier vorbeigeschaut, aber man hat ihn wieder nach Hause geschickt, ohne dass ich davon wusste. Es kann sicher nicht schaden, wenn Sie ihm etwas Gesellschaft leisten. Ich melde mich, sobald ich etwas Neues habe."

Garret nickte. "Gut."

"Ach", meinte Nigel plötzlich. "Bevor ich's vergesse..." Er griff nach einem Tütchen, and das eine Auswertung geheftet war und drückte es Woody in die Hand. Dieser sah ihn fragend an.

"Ihre weiße Substanz."

"Oh. Die hatte ich völlig vergessen. Danke." Woody steckte sie ein. "Bis dann."

"Bis dann", erwiderte Nigel.

"Warten Sie, ich begleite Sie noch ins Foyer." Garret klopfte Nigel noch einmal kurz anerkennend auf die Schulter und verließ dann mit Woody das Labor.

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Sie hatte Angst. Die Dunkelheit schien zu erdrücken zu wollen und raubte jede Hoffnung auf einen Ausweg. Wenn sie nicht an Dehydrierung sterben würde, dann würde die Grippe sie irgendwann so stark schwächen, dass sie den Angriffen der Entführer nicht mehr standhalten konnte. Jordan hatte in ihrem Leben oft Angst gehabt. Aber dies hier überstieg alles Vorstellbare. Sie hatte Todesangst, die jedes Mal wie eine Welle über ihr zusammenschlug, wenn das stählerne Knarren der Tür zu ihrem Gefängnis erneut ertönte. Zweimal hatte sie bereits auf Toilette gemusst. Und inzwischen wusste sie nicht, was schlimmer war: Erneut die Demütigung ertragen oder das Wasser verweigern und auszutrocknen. Ihr starker Lebenswille ließ sie jedes Mal das Wasser trinken, das man ihr anbot. Ihre Geruchsnerven waren inzwischen fast abgestumpft und den scheußlichen Geruch aus modriger Fäule, Urin und Erbrochenem nahm sie nur noch schwach war.

Als sie diesmal das kalte Geräusch hörte, zog sie sich reflexartig soweit wie möglich in die Ecke zurück, in der sie hockte. Sie schloss ihre Augen, denn das plötzliche Licht bereitete ihr nach wie vor höllische Kopfschmerzen. Sie wartete. Und da waren sie, die groben Hände an ihren Armen. Diesmal zog man den Knoten der Augenbinde schmerzhaft fest. Jordan biss die Zähne zusammen. Ihr Kiefer schmerzte.

"Das ist der Stand der Dinge", begann die raue Stimme. "Wir wissen, dass du kein Bulle bist, aber das spielt keine Rolle. Du bist unsere Geisel und wir verlangen von den Behörden zweihunderttausend Dollar. Sollten wir die nicht bekommen, werden wir ihnen eine hübsch zerstückelte junge Gerichtsmedizinerin zuschicken. Je weniger Schwierigkeiten du uns machst, umso besser für dich."

Jordan nickte schwach als Zeichen, dass sie verstanden hatte.

Es scharrte leicht neben ihr.

"Mund auf!" Das war das erste Mal, dass sie die zweite Stimme hörte. Sie war weniger rau als die andere, aber ebenso grob und kaltschnäuzig. Jordan weigerte sich.

"Willst du hier verhungern? Das hier ist Brot und ein Apfel."

Zögern öffnete Jordan ihre Lippen und spürte, wie der Typ ihr etwas Brot in den Mund schob. Sie biss ab und kaute. Das Brot war schon alt und zäh. Beim Herunterschlucken spürte sie deutlich, dass ihr Hals entzündet und wund war. Sie fühlte sich so hilflos, wie sie hier gefesselt und geschunden dasaß und gefüttert wurde. Am Anfang sträubte sich ihr überstrapazierte Magen gegen das plötzliche Essen, doch dann nahm er es dankend an. Jordan spürte eine angenehme Wärmewelle durch ihren Körper ziehen. Die sich jedoch nach kurzer Zeit wieder in Schmerzen und Angst verflüchtigte. Sie würgte gezwungenermaßen Bissen für Bissen herunter und war erleichtert, als man sie wieder alleingelassen hatte.

Sie wusste nicht, ob sie hier je wieder rauskommen würde.

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"Ich hab unsere Chancen, Dr. Cavanaugh gesund zurück zu bekommen, auf eins zu drei erhöht!" Woody stürmte regelrecht in sein Büro und warf die Liste, die Nigel ihm gegeben hatte, auf seinen Schreibtisch. "Die Stimmanalyse hat uns diese drei Personen als Verdächtige gegeben. Die müssen wir jetzt nur noch überprüfen."

Die beiden Detectives sahen ihn verblüfft an. "Und das haben Sie auf legalem Weg erreicht?"

"Man muss halt nur die richtigen Leute kennen", meinte Woody, und fügte hinzu: "Unser Entführer hat einen künstlichen Kehlkopf."

Er setzte sich in seinen Sessel und öffnete die Verbrecherkartei im Computer. "Wir haben noch eine knappe viertel Stunde, bis er sich wieder melden wird. Das dürfte reichen."

Woody griff nach der Liste und gab den Namen des ersten Kandidaten ein.

"Harold Quentin. Tätig als Computerfachmann bei einer Handyfirma. Hat in seiner Akte genau zwei Strafzettel wegen Falschparken und Geschwindigkeitsüberschreitung. Sehen wir mal weiter..."

Er gab den zweiten Namen auf der Liste ein und O'Hara und Siler sahen ihm gespannt zu. Man hatte sie vor der Zusammenarbeit mit dem Detective aus Wisconsin gewarnt. Er sei ein Softie und extrem gutgläubig. Das mochte wohl stimmen - aber seinen Job machte er hervorragend.

"Steven Bricks. Saß bereits mehrfach wegen Drogenmissbrauchs und Raubüberfällen." Woody hielt plötzlich inne. "Wartet mal... Der Leiter der Abteilung für Drogenmissbrauch, das ist doch Sergeant Simmons, oder?"

"Ja, wieso?" O'Hara sah ihn fragend an.

"Bei unserem ersten Gespräch meinte der Entführer, er wolle mit Simmons sprechen. Und er dachte ja auch, Dr. Cavanaugh würde Undercover für die Polizei arbeiten. Wenn Bricks unser Mann ist - vielleicht hatte er geglaubt, Simmons wäre ihm auf den Fersen." Woody biss sich auf die Unterlippe und grübelte.

Siler wusste nicht so recht, was er von den Schlussfolgerungen seines Kollegen halten sollte. "Wir überprüfen die Sache nachher bei Simmons. Für's erste haben wir uns Folgendes überlegt. Sobald der Entführer wieder anruft, versuchen wir, seine Spur zurück zu verfolgen. Wir werden ihn damit hinhalten, dass wir Zeit brauchen, um das Geld zu beschaffen. In Wahrheit steht uns das bereits zur Verfügung."

"Genau", nickte O'Hara. Sie sah inzwischen auch ein wenig müde aus. "Die gewonnene Zeit nutzen wir, um das Geld professionell zu markieren und unser Sondereinsatzkommando vorzubereiten. Sie werden nach der Geldübergabe den Weg des Geldes verfolgen und uns hoffentlich zum Versteck der Täter führen."

Woody nickte zustimmend. "Das klingt doch gar nicht schlecht. Nun wollen wir mal hoffen, dass..."

Weiter kam er nicht, denn das Telefon klingelte. Woody hielt kurz die Luft an und sah zu seinen beiden Kollegen auf, die sich bereits ihren Computern zugewandt hatten. Als O'Hara ihm das Zeichen gab, hob er ab. Sie verfolgte auf dem Monitor, wie das Signal zurück verfolgt wurde.

"Morddezernat, Hoyt."

"Drei Stunden sind um. Wir erwarten Ergebnisse. Haben Sie das Geld?"

Woody versuchte, ruhig zu sprechen. "Nein, noch nicht. Es dauert drei Tage, um eine so große Menge Bargeld ausgezahlt zu bekommen. Vor Montag bekommen wir es nicht."

Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann ein Räuspern. "Na schön. Genaue Informationen zur Übergabe lassen wir Ihnen zukommen."

Woody hörte O'Hara fast lautlos fluchen, ignorierte sie jedoch. "Gut. Und jetzt wollen wir noch einen Beweis, dass Dr. Cavanaugh am Leben ist. Sonst läuft gar nichts."

Ein Lachen ertönte an seinem Ohr, laut und höhnisch. "Dann schauen Sie doch mal nach, ob Sie nicht ein Fax bekommen haben." Klick. Aufgelegt.

Woody seufzte angespannt. Er sah seine Kollegin erwartungsvoll an. Diese schüttelte den Kopf. "Die sind clever. Erhat irgendein Verschlüsselungssystem benutzt. Wir konnten den Anruf nicht zurück verfolgen."

Woody nickte leicht enttäuscht. Dann drehte er sich mit seinem Stuhl herum und starrte auf das Faxgerät. Nach einigen Momenten des Schweigens ertönte der leise Signalton des Gerätes und es zog ein Blatt Papier ein. Woody stand auf und wartete ungeduldig, bis der Drucker fertig war.

Was er sah, raubte ihm den Atem. Das konnte doch unmöglich Jordan sein!

Ihre Haare waren zerzaust und ihre Kleidung zerschlissen. Sie hatte getrocknetes Blut im Gesicht und am Hals kleben und ihre Augen waren geschwollen und blutunterlaufen; von den dunklen Ringen ganz zu schweigen. Sie sah blass und zusammengefallen aus. Woody hatte das Gefühl, in ihm würde sich alles zusammenziehen vor Hilflosigkeit. Er musste sie da raus holen!

Ende Teil 2