Anmerkung: Okay, eigentlich hatte die Sache nicht so lang werden sollen. Aber mir fielen dann immer mehr Details ein, die ich einbauen wollte, und plötzlich führten meine Finger ein Eigenleben. Dank des zweiwöchigen Urlaubs, in dessen zweiter Hälfte ich mich momentan befinde, habe ich auch Ruhe und kann bis nach Mitternacht am Laptop sitzen. Begleitmusik: Lene Marlins neues Album "Lost in a Moment". Wunderschön.

Drückende Dunkelheit

Teil 4

Sein linker Schuh hatte einen Kratzer auf der Innenseite.

Woody seufzte kurz und wandte den Blick von seinen Schuhspitzen ab und erneut auf die großen Flügeltüren, hinter die er nicht durfte. Das Wort Intensivstation prangte in großen, dunkelroten Buchstaben darauf. Jordan war jetzt schon seit über vier Stunden dort drinnen, und keine der herauskommenden Schwestern konnte ihm Auskunft über ihren Zustand geben.

Beunruhigt ließ er seinen Blick wieder zu seinen Schuhen wandern. Er hatte sie bereits bei seinem ersten Einsatz getragen. Damals, als Jordan ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt hatte, ihn, den naiven Farmboy aus Wisconsin.

"Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Wie geht es ihr?"

Woody sah auf. Max stand vor ihm, leicht außer Atem. Seine Augen waren gerötet und die dunklen Ringe darunter waren stumme Zeugen der schlaflosen Nächte, die er damit verbracht hatte, sich Vorwürfe und Sorgen zu machen.

"Ich weiß es nicht." Woody lächelte ihm müde zu. "Sie ist noch auf der Intensivstation."

"Aber Sie haben sie doch gesehen." Max setzte sich auf den freien Platz neben dem Detective. "Wird sie durchkommen?"

Woody nickte.

"Ja. Sie hatte keine lebensgefährlichen Verletzungen. Eine Schnittwunde am Arm, doch die war noch relativ frisch. Und sonst..." Er hätte Max die vielen Schürfwunden und blauen Flecke beschreiben können, doch er wollte den ehemaligen Polizisten nicht unnötig beunruhigen. Er wusste ja selbst nicht, wie schlimm es um Jordan stand.

Max ließ die Schultern hängen. Er sah aus, als wäre er innerhalb der letzten Tage um Jahre gealtert. Nie hatte Woody ihn so mit den Nerven am Ende gesehen.

"Was passiert jetzt eigentlich mit den Tätern?", wollte Max wissen.

"Sie kommen in Untersuchungshaft und werden angeklagt. Sollte Simmons in der Lagerhalle Drogen finden, kommt das noch erschwerend hinzu. So genau weiß ich das nicht." Er war müde. Das lange Warten gab ihm zu viel Zeit zum Nachdenken. Erschöpft fuhr er sich durch die Haare.

"Dort hinten kommt Garret", meinte Max leise. Woody hob seinen Kopf und suchte den Gang ab. Dr. Macy kam mit schnellen Schritten auf sie zu.

"Schon was Neues?", begrüßte er sie.

Woody schüttelte den Kopf.

Seufzend ließ sich auch Garret in einen der Stühle fallen.

"Danke, dass Sie gleich angerufen haben", meinte er an Woody gewandt.

"War doch selbstverständlich", gab dieser leise zurück. Dann tauschten er und der Gerichtsmediziner einen besorgten Blick aus, der ihnen verriet, dass sie das selbe über Max dachten.

"Sie wird das schon durchstehen", machte Garret einen aufmunternden Versuch. "Wir wissen doch alle, wie zäh sie ist."

Max nickte nur. Er ließ sich in dem unbequemen Wartestuhl zurücksinken und hatte seinen Blick ins Leere gerichtet.

Nach einer weiteren halben Stunde kam schließlich einer der Ärzte aus der Intensivstation auf sie zu.

"Sind Sie Miss Cavanaughs Bruder?", fragte er, an Woody gewandt.

Max sprang auf. "Ich bin ihr Vater. Wie geht es ihr?"

Der Arzt nickte ihm zu und schüttelte seine Hand, die nach frischen Desinfektionsmittel roch.

"Den Umständen entsprechend gut."

Wie Woody diesen Satz hasste. Auch er und Garret waren aufgestanden.

"Und was bedeutet das?"

"Sie ist in einem stabilen Zustand. Ihre äußeren Verletzungen sind alle oberflächlich, bis auf eine tiefe Fleischwunde am linken Oberarm, die jedoch keine der Hauptschlagadern getroffen hat. Ihr Blutverlust war erstaunlich gering. Auch die leichte Gehirnerschütterung, die sie sich bereits vor einigen Tagen zugezogen hat, hinterließ keine bleibenden Schäden." Der junge Mann räusperte sich kurz. "Was uns mehr Sorgen bereitet, ist die verschleppte Bronchitis. Wir haben ihr bereits Antibiotika zugeführt und sie wird künstlich ernährt, doch ihr Körper ist stark geschwächt. Sie hat ein Beruhigungsmittel bekommen. Im Moment schläft sie."

Max stieß erleichtert die Luft aus. Er hatte sich alles viel schlimmer ausgemalt. "Können wir zu ihr?"

Der Arzt sah die drei Männer skeptisch an. Garret kannte er, und auch Woody schien einen vernünftigen Eindruck auf ihn zu machen.

"Na gut. Aber die Patientin braucht viel Ruhe." Er wies ihnen den Weg durch die Flügeltüren hindurch zu einem der Zimmer.

Max hielt bei Jordans Anblick die Luft an. Woody stellte erleichtert fest, dass man sie von all den Dreckspuren befreit hatte. Auch ihre Haare waren nicht mehr verfilzt. Sie schlief. Ein Tropf führte zu ihrer rechten Armbeuge, um den linken war ein Verband gewickelt. Jordan wirkte abgemagert und erschreckend blass.

Max setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett. Er presste seine Lippen aufeinander und Garret bemerkte, dass sie zitterten. Mitfühlend legte er ihm eine Hand auf die Schulter.

"Es ist überstanden", meinte er leise. Max nickte und sah erst Garret und dann Woody an.

"Danke", brachte er heiser hervor. "Danke, dass ihr sie mir lebend zurück gebracht habt. Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, wenn..." Er sprach den Gedanken nicht zuende.

Woody hatte Mitleid mit Jordans Vater. Er respektierte ihn und schenkte ihm Anerkennung für seine jahrelangen Dienste bei der Polizei. Doch jetzt fühlte er nur freundschaftliche Anteilnahme.

"Soweit ist es ja nicht gekommen." Er betrachtete Jordan, wie sie ruhig atmete. "Und Garret hat Recht. Jordan ist zäh und hat einen starken Willen. Ich denke, das hat sie von ihrem Vater."

Max huschte ein Lächeln über das faltendurchzogene Gesicht. "Offensichtlich..."

Eine Weile standen die drei Männer einfach nur da und betrachteten Jordan. Jeder hing seinen Gedanken nach und war auf seine Art erleichtert. Er war, als hätten sie einen stillen Pakt geschlossen, Jordan zu beschützen und dafür zu sorgen, dass sie so schnell wie möglich wieder auf die Beine kam.

"Es ist schon ziemlich spät", durchbrach Garret die Stille.

Woody sah auf seine Uhr und war überrascht. Er würde Jordan nur ungern alleine lassen.

"Ich muss zurück in die Gerichtsmedizin. Ich habe Bug vorhin inmitten einer Autopsie einfach sitzen lassen." Garret seufzte.

Max nickte. Dann sah er zu Woody. "Sie sollten sich auch etwas Schlaf gönnen. Noch ein paar Stunden und Sie fallen im Stehen um."

Woody schüttelte den Kopf. "Ich werde heute Nacht hier bleiben. Ich..." Er wollte da sein, wenn sie aufwachte. Zögernd sah er Max an. Natürlich wusste Woody, dass seine Gefühle für Jordan ihm nicht entgangen waren. Doch ob er das Recht hatte, sich in so eine familiäre Angelegenheit einzumischen?

"Ich rufe Sie an, sobald sich ihr Zustand ändert oder sie aufwacht", meinte Max besänftigend, als hätte er seine Gedanken erraten.

Woody zögerte noch immer, doch dann gab er sich geschlagen. Er hatte seit Tagen kaum noch geschlafen und brauchte tatsächlich dringend Ruhe. "Also gut... Danke." Er schenkte Max ein Lächeln und verließ dann gemeinsam mit Garret das Krankenhaus.

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Als Max am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Er schlug die Augen auf.

"Uh... Sie sind's schon. Wie spät ist es?" Er richtete sich auf und hatte das Gefühl, jeden Wirbel in seinem Rücken zu spüren. Er hatte die ganze Nacht an Jordans Bett gesessen und war irgendwann nach Mitternacht eingeschlafen.

"Kurz nach zehn", meinte Woody. Er hatte sich heute Morgen wie frisch geboren gefühlt. All die Anspannung der letzten zwei Wochen war über Nacht von ihm abgefallen und er hatte so gut geschlafen, wie schon lange nicht mehr.

"Wie geht es Ihnen?"

Max massierte sich mit einer Hand kurz den Nacken. "So gut wie seit Tagen nicht."

Woody konnte sich dem nur anschließen. "Vielleicht sollten Sie erst einmal etwas frühstücken. Die Cafeteria ein Stockwerk tiefer ist gar nicht mal so schlecht."

Max nickte. "Da haben Sie Recht. Haben Sie schon gefrühstückt?"

"Ja. Aber vielleicht könnten Sie mir auf dem Rückweg einen Kaffe mitbringen?"

"Sicher." Max stand auf und überließ Woody seinen Platz. "Ich bin in einer halben Stunde wieder da."

"Ist gut", meinte Woody. Als Max den Raum verlassen hatte, ließ er sich auf den Stuhl neben Jordan sinken und betrachtete sie erneut. Sie hatte schon ein wenig mehr Farbe im Gesicht. Das war ein gutes Zeichen.

Nach ein paar Minuten griff er wahllos nach einer Zeitung. Bereits heute früh auf dem Weg ins Krankenhaus hatte er am Kiosk die Schlagzeilen gesehen. Sie waren allesamt über die Festnahme von Bricks, meistens in Verbindung mit der Entführung. Er blätterte bis zu den Cartoons und flog mit mäßigem Interesse darüber.

"Hey...", hörte er plötzlich ein Flüstern und Jordan hob vorsichtig ihre Hand. Sofort hatte er die Zeitung beiseite gelegt und nach ihrer Hand gegriffen.

"Hey", erwiderte er lächelnd. "Wie fühlst du dich?"

Jordan schloss kurz die noch immer geschwollenen Augen. Sie versuchte, zu grinsen.

"Wach", meinte sie schließlich, als sie die Augen wieder öffnete. "Und verdammt angeschlagen."

Woody erwiderte ihr Grinsen. Jordans Stimme war nicht mehr als ein Krächzen, doch sie hatte ihren Humor nicht verloren.

"Dein Vater ist unten in der Cafeteria, etwas essen. Soll ich ihn..."

"Nein...", unterbrach Jordan ihn mit dem Versuch eines Kopfschüttelns. "Ich war heute Nacht kurz wach und habe gesehen, dass er hier geschlafen hat. Lass ihn in Ruhe frühstücken."

Woody nickte. Für einen Augenblick sahen sie sich nur an. In Jordans Blick lag eine unausgesprochene Dankbarkeit. In Woodys Erleichterung.

"Welcher Tag ist heute eigentlich?", wollte Jordan schließlich wissen.

Woody lachte leise. "Samstag."

Wieder Stille.

"Sag mal...", begann Woody dann. "Bist du sicher, dass du... okay bist?"

Jordan sah ihn mit leichter Überraschung an. Sanft drückte sie seine Hand. Dann hellte sich ihr Blick auf und richtete sich auf etwas hinter ihm.

"Dad. Schon fertig gefrühstückt?" Man konnte nur erahnen, wie viel Freude eigentlich in ihrer Stimme liegen sollte. Noch immer war sie leise und heiser.

Auch über Max' Gesicht zog sich ein breites Lächeln. "Schön, dass du wach bist."

Woody ließ Jordans Hand los und überließ Max wieder seinen Platz. Er sah sich nach einem zweiten Stuhl um und setzte sich auf die andere Seite des Bettes. Max reichte ihm einen Becher Kaffee.

"Oh..." Jordan richtete sich leicht auf, während das dampfende Getränk vor ihrer Nase den Besitzer wechselte. "Das duftet gut..."

"Ich denke nicht, dass wir deinem Medikamentencocktail noch Koffein hinzufügen sollten", meinte Woody.

Der bedauernde Ausdruck in Jordans Gesicht ließ ihn schmunzeln.

"Apropos..." Jordan versuchte zu erkennen, was auf ihrem Tropf stand. "Wie schlecht geht es mir denn eigentlich?"

"Na, wenn du das nicht selber weißt." Max las ihr vor, was auf dem durchsichtigen Plastikbeutel stand.

Sie verzog ihr Gesicht. "Das hört sich an, als wäre ich Vollinvalide."

"Na ja, auf der Liste stehen immerhin Bronchitis, Eisenmangel, Blutverunreinigung und Schock." Woody zählte die Diagnosen spaßhaft von den Fingern ab.

"Ich hätte schwören können, diese Bastarde hätten mir zwei Rippen gebrochen."

Plötzlich wurden sie alle ernst. Diese Aussage hatte alles andere als scherzhaft geklungen, sondern wütend und voller Hass.

"Nein, nur geprellt...", meinte Woody leise.

Jordan nickte und schloss die Augen. "Würdet ihr mich vielleicht eine Weile allein lassen?"

Max seufzte kurz und stand auf. "Sicher. Wir... Ich komme heute Nachmittag wieder. Okay?"

"Okay."

Auch Woody war aufgestanden. Er wollte sich nicht festlegen, da er noch viel Arbeit vor sich hatte. Dann fiel ihm etwas Unangenehmes wieder ein.

"Ich brauche noch eine Aussage von dir." Er wagte es fast nicht, sie anzusehen. "Spätestens übermorgen."

Jordan gab einen Stoßseufzer von sich. "Komm einfach vorbei, wenn du Zeit hast. Ist ja nicht so, als ob ich irgendwo hin müsste...", fügte sie hinzu, um die Stimmung wieder etwas aufzulockern.

Max und Woody verließen den Raum. Beide machten sich Sorgen um Jordan, doch beide wussten, dass sie Zeit brauchen würde. So eine Sache hinterließ auch tiefe seelische Spuren.

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Woody hätte nicht gedacht, dass die Arbeit ihn so sehr einnehmen würde. Er hatte stapelweise Berichte zu schreiben und Protokolle auszufüllen. Eigentlich hatte er geplant, Montag Morgen zu Jordan zu gehen. Doch Telefonate und E-Mails hielten ihn regelrecht in seinem Büro gefangen. Als es dann später Nachmittag war, wurde er in Simmons Büro gerufen.

Dort wurde von ihm ein Zeugenbericht erwartet. Woody hatte geglaubt, sein schriftlicher würde ausreichen, doch allem Anschein nach wollte Simmons alles doppelt und dreifach. Also ließ er den Schwall an Fragen über sich ergehen.

Am späten Abend war Simmons fertig.

"Damit dürften wir Bricks für einige Jahre hinter Gitter bringen. Natürlich muss Dr. Cavanaugh auch noch vor Gericht aussagen, aber mit ihrem ersten Zeugenbericht als Grundlage dürfte das kein Problem sein", meinte Simmons abschließend.

Woody wurde hellhörig. "Ihrem ersten Bericht?"

"Ja", bestätigte der Sergeant. "Ich war heute morgen bei ihr und habe ihre Aussage protokolliert."

Eine leichte Welle der Wut machte sich in Woodys Magen breit, doch er ignorierte sie.

"Aha", meinte er trocken. "Dann sind wir hier fertig?"

"Ja. Sie können gehen. Vielen Dank für Ihre gute Mitarbeit. Ohne Sie hätten wir das sicherlich nicht so reibungslos über die Bühne gebracht."

Wenigstens das sah er ein. Woody musste zugeben, dass Simmons auf seinem Gebiet - der Drogenfahndung - unglaublich professionell war. Doch alles darüber hinaus schien für ihn unwichtig zu sein, und deshalb würden er und Woody sicherlich nie Freunde werden.

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Als Woody am nächsten Abend den Fahrstuhl zur achten Ebene des Krankenhauses betrat, plagte ihn das schlechte Gewissen. Er hatte es in den letzten beiden Tagen einfach nicht geschafft, bei ihr vorbeizuschauen. Die Arbeit hatte ihn regelrecht aufgefressen.

Von Garret wusste er, dass Jordan noch am Samstag von der Intensivstation in ein normales Zimmer verlegt worden war. Er hatte ihr einen Blumenstrauß mitbringen wollen, doch dann konnte er sich nicht entscheiden, was denn nun angemessen war. Rote Rosen waren übertrieben. Und ein beliebiger bunter Strauß war ihm... zu beliebig. Als entschied er sich für einen Obstsalat mit extra viel Erdbeeren. Sie würde den Zusammenhang verstehen, und doch war er harmlos genug.

In den Gängen des Krankenhauses konnte man sich verirren. Es dauerte eine Weile, bis Woody Jordans Zimmer gefunden hatte. 874.

Die Tür war angelehnt. Vorsichtig schob er seinen Kopf durch die Tür und klopfte gegen den Rahmen. Jordan saß, in Jeans und Pullover gekleidet, in einem Sessel am Fenster und drehte ihrem Kopf zu ihm um. Sie lächelte.

"Nicht so schüchtern", meinte scherzhaft und Woody stellte sofort fest, dass ihre Stimme wieder wie die von Jordan klang. Er trat ein und sah sich in dem Raum um. Er war in einem warmen, hellen Gelb gestrichen und mit einem Bett und zwei Sesseln ausgestattet. An einer Ecke befand sich ein Waschbecken mit Spiegel. Auf der einzigen Kommode befanden sich dicht an dicht mehrere Blumensträuße, die sie wohl von ihren Kollegen bekommen hatte.

"Ich wollte dir ja auch einen mitbringen", meinte er mit einer Kopfbewegung in Richtung der Vasen. "Aber dann habe ich mich hierfür entschieden." Er reichte Jordan den Plastikbehälter.

Jordan brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, was sich darin befand. Dann musste sie lachen.

"Danke. Genau das, was ich nach dem immer gleich schlecht schmeckenden Kantinenessen gebrauchen kann." Sie griff nach der Gabel und machte sich gleich darüber her.

Woody setzte sich in den zweiten Sessel. Jordan sah heute schon viel besser aus. Ihre blauen Flecke waren blasser geworden und die Schürfwunde auf ihrer Wange war vollkommen verheilt. Von dem Schnitt an ihrem Hals zeugte nur noch eine dünne rote Linie. Sie wirkte auch nicht mehr so schwach. Wahrscheinlich hatte man sie erst intravenös ernährt und dann mit einer 3000 Kalorien Diät hochgepäppelt.

Jordan bemerkte seinen abschätzenden Blick und sah von ihrem Salat auf.

"Was?"

"Du siehst besser aus", meinte er ehrlich.

"Das will ich auch hoffen. Ich wurde bis gestern gemästet und zu strikter Bettruhe gezwungen."

"Was macht der Arm?"

Jordan streckte ihm den linken Arm entgegen. "Der Verband und die Antibiotika sind das einzige, auf das ich noch nicht verzichten darf. Die Bronchitis ist dank Dreifachdosierung schon fast abgeklungen."

Das hörte sich gut an.

"Und wann, sagen die Ärzte, kommst du hier wieder raus?"

"Heute noch", meinte Jordan mit vollem Mund.

Woody war verblüfft. "So schnell?"

Jordan grinste verschmitzt. "Ich habe mit meinem Gedrängel ein bisschen nachgeholfen. Da ich selbst Ärztin bin, glauben sie daran, dass ich weiß, was ich tue. Ich wartete nur noch auf die Ergebnisse der letzten Untersuchung."

Als hätte die Krankenschwester auf ihr Stichwort gewartet, betrat sie das Zimmer.

"Miss Cavanaugh...", meinte sie lächelnd. "Es sieht gut für Sie aus."

"Na bitte!" Jordan erhob sich aus dem Sessel.

"Der Verband muss jeden Tag gewechselt werden und von denen hier sollten Sie vor jeder Mahlzeit zwei einnehmen." Die blonde Schwester drückte ihr eine Packung Antibiotika in die Hand. "Und hier brauchen wir eine Unterschrift."

Jordan griff nach dem Kuli, flog über die Entlassungspapiere und setzte ihre Unterschrift darunter.

"Danke. Und passen Sie auf, dass sie sich nicht übernimmt", meinte die Schwester im Hinausgehen zu Woody.

"Genau", stimmte Jordan ihr zu. "Und damit kannst du gleich anfangen, indem du meine Tasche trägst."

Woody musste Grinsen. Nach außen hin schien Jordan schon wieder ganz die Alte zu sein. Er wusste, dass sie innerlich noch nicht wieder im Gleichgewicht war. Doch sie weigerte sich nicht dagegen, die Sache zu verarbeiten und vor allen Dingen verschloss sie sich nicht davor, dass man ihr helfen wollte. Das gab Woody die Hoffnung, dass sie ihn an sich heranlassen würde. Als guter Freund, um ihr beizustehen.

Mit einem kurzen Handgriff hatte er sich die Reisetasche umgehängt.

"Also dann." Jordan schob sich eine letzte Erdbeere in den Mund und warf die leere Plastikschale im Hinausgehen in den Mülleimer.

Auf der Straße atmete sie tief die kühle Luft ein. Für einen Moment war es, als wäre diese ganze Sache nie geschehen. Ihre Wunden waren fast verheilt oder zumindest auf dem besten Weg dahin. Die Kopfschmerzen hatten sich dank der Medikamente bereits vor zwei Tagen verzogen und auch ihre Lunge fühlte sich nicht mehr an wie ein Vulkan.

Woody trat hinter sie.

Im Westen stand die Sonne bereits in einem niedrigen Winkel über den Hochhäusern von Boston. Das Licht ließ Jordans Haare immer wieder golden aufleuchten.

"Komm, ich fahr dich nach Hause." Woody deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der er das Auto geparkt hatte.

Jordan folgte ihm und ließ sich auf den Beifahrersitz gleiten. Woody warf ihre Tasche auf den Rücksitz und stieg ein.

Die Fahrt verlief schweigsam. Woody konzentrierte sich in der Dämmerung auf die Straße und Jordan hatte ihren Blick aus dem Fenster gewandt. Als Woody das Auto vor dem Eingang ihres Hauses zum Stehen brachte, bemerkte er, dass sie eingeschlafen war.

Er betrachtete sie für einen Moment; sie sah so friedlich aus. Dann fuhr er ihr sanft mit der Hand über die Wange.

"Aufwachen, Dornröschen."

Jordan schlug die Augen auf. Sie brauchte einen Augenblick, um zu sich zu kommen.

Woody stieg aus und nahm die Tasche vom Rücksitz. Dann öffnete er Jordans Tür und half ihr beim Aussteigen. Sie war doch noch nicht wieder völlig bei Kräften.

Er schloss das Auto ab und folgte ihr. Sie ging die Treppen zu ihrer Wohnung langsamer hoch als gewöhnlich, doch Woody bot ihr keine Hilfe an. Jordan war ein stolzer Mensch, und er wusste dass er ihr am ehesten half, in dem er sie allein zu ihrem alten Ich zurück finden ließ. Also lief er dicht hinter ihr, um sie nur im Notfall stützen zu können.

Woody war schon einige Male bei Jordan gewesen. Er mochte ihre Wohnung, sie spiegelte Jordans Charakter wider.

Unschlüssig ließ er die Reisetasche neben der Couch fallen.

"Hast du schon gegessen?" Jordan nahm sich ein Glas aus dem Schrank und goss sich etwas Wasser ein. Sie nahm einen großen Schluck.

"Nein."

Jordan stellte das halbleere Glas neben der Spüle ab und öffnete dann ihren Kühlschrank.

"Hm. Ich habe eine Tiefkühlpizza, einen Tiefkühlauflauf, und - oh Wunder - eine Tiefkühlgemüsepfanne."

Woody grinste.

"Lass mich mal." Er schob sie sanft beiseite und durchstöberte ihre Küchenschränke.

"Na Bitte", meinte er triumphierend und förderte ein Paket Nudeln und ein Glas Pastasoße ans Tageslicht.

"Schau lieber auf's Verfallsdatum. Ich kann mich nicht erinnern, je Pastasoße gekauft zu haben."

"Das war ja auch ich", gab Woody trocken zurück. "Vor ein paar Wochen, zum Videoabend mit Nigel, Lily und Bug."

"Aha. Und wieso haben wir das dann nie gegessen?" Jordan zog eine Augenbraue hoch.

"Weil euch vom Popcorn so schlecht geworden ist, dass wir darauf verzichtet haben." Er grinste.

Jordan zuckte mit den Schultern.

"Okay. Während du dich in der Küche amüsierst, gehe ich erst mal eine heiße Dusche nehmen." Und damit verschwand sie, vorher noch ein paar Sachen zusammensuchend, ins Badezimmer.

Woody drehte sich um die eigene Achse, fand schließlich die Schürze und griff dann zielsicher nach einem Kochtopf.

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"Wie oft haben wir uns diesen Streifen jetzt eigentlich schon angesehen?", fragte Jordan mit vollem Mund und zeigte mit ihrer Gabel in Richtung Fernseher.

"Keine Ahnung", meinte Woody und schob sich erneut eine Portion Pasta in den Mund.

Sie hatten einen alten Schwarzweißfilm herausgesucht und saßen auf dem Sofa, jeder eine Schüssel Spaghetti auf dem Schoß.

"Jeden zweiten Videoabend, mindestens", stellte Jordan fest. "Wir sollten den Film verbannen."

"Obwohl", warf Woody ein. "Dann hätten wir keinen mehr, bei dem wir uns unterhalten können, ohne etwas zu verpassen."

"Weil wir es ja eh schön kennen, stimmt", nickte Jordan. "Wie auch immer. Ich brauche Nachschlag."

Sie stand auf und holte sich noch eine Portion Spaghetti.

"Ich nicht", meinte Woody, stellte seinen leeren Teller vor sich auf den flachen Couchtisch und lehnte sich zurück.

Als Jordan zurück kam, setzte sie sich direkt neben und lehnte sich an ihn. Trotz der warmen Dusche und dem kuscheligen Pullover, den sie trug, war ihr kalt. Sie wusste, dass die Kälte von Innen heraus kam, und dass sie mit der Dunkelheit verbunden war, die um sie herum herrschte. Das einzige Licht ging von der gedämpften Herdbeleuchtung und dem Fernsehbild aus.

Woody schien ihr Frösteln zu bemerken. Er legte einen Arm um sie und zog sie sanft noch ein Stückchen näher. Sofort fühlte Jordan sich besser.

In aller Ruhe leerte sie ihren Teller, und machte sich dabei immer wieder über einzelne Szenen des Filmes lustig.

Woody genoss es, sie lachen zu hören. Er hatte Angst gehabt, sie würde sich zurückziehen und alle aus ihrem Schmerz ausschließen, so, wie sie es damals getan hatte. Als sie nach Los Angeles aufgebrochen war, um den Mörder ihrer Mutter zu finden.

Als Jordan fertig war, stellte sie ihren Teller neben den von Woody. Dann rutschte sie ein wenig von ihm weg, jedoch nur, um sich eines der kleinen Sofakissen zu angeln und sich dann mit dem Kopf auf seinen Schoß zu legen.

Sie konnte spüren, dass Woody überrascht war. Dann fühlte sie, wie er zögernd seine Hand auf ihren Arm legte, darauf bedacht, nicht die wunde Stelle zu berühren. Jordan musste lächeln. Sie wusste nicht, was sie hier tat, aber sie wollte Woody nicht mehr aus ihrem Leben ausschließen. Dazu hatte er sich bereits zu weit hineingewagt. War ihr zu wichtig geworden.

Woody war verunsichert. Mit Jordans abweisender Art hatte er umgehen können. Er hatte stets nur das annehmen dürfen, was sie bereit war, zu geben. Er hatte nie gefordert. Aber jetzt schien sie ihm eine Hand hinzuhalten. Er wusste nicht, ob es nicht noch zu früh war, danach zu greifen. Er wollte Jordan nicht verlieren.

"Woody?", meinte Jordan leise. Sie fühlte sein Zögern und hatte Angst, dass er sie abweisen würde. Plötzlich war sie verunsichert. Sie war sich seiner Gefühle immer so sicher gewesen. Was, wenn er ihr doch nur ein guter Freund sein wollte? Oder er würde sie zurückweisen, aus Angst, sie sonst zu etwas zu drängen, zu dem sie nicht bereit war.

"Mmh?" Auch seine Stimme war leise.

"Würde es dir etwas ausmachen, heute Nacht hier zu bleiben?"

Die Frage hing einen Moment im Raum.

Woody löste seine Hand von ihrem Arm und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Nein." Seine Stimme war warm und voller Zuneigung. Ohne dabei Erwartung auszudrücken.

Jordan griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger in seinen.

Etwas später schlief sie ein.

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Als Jordan am nächsten Morgen aufwachte, brauchte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Sie lag noch immer auf dem Sofa. Unter ihr ein Kissen, und sonst nichts.

Sie setzte sich auf.

"Woody?", rief sie in Richtung Badezimmer.

Keine Antwort.

Noch ein wenig schlaftrunken stand sie auf und ging ins Bad. Er war nicht da. Als sie zurückkam, fiel ihr ein Zettel auf der freien Fläche neben der Spüle auf.

Musste zur Arbeit, wollte dich nicht wecken.
Gruß, Woody

Mehr nicht. Jordan wusste nicht, was sie davon halten sollte. Er hatte weder geschrieben, ob er später bei ihr vorbei schauen würde, noch, ob sie ihn vielleicht in der Mittagspause besuchen konnte. Vielleicht war er auch einfach unsicher gewesen und wartete, dass sie sich bei ihm meldete. Jordan entschied sich, einfach gar nichts zu denken und abzuwarten. Und jetzt würde sie zu Max ins Pogue gehen. Sie hatte das Gefühl, dass ein langes Gespräch ihnen beiden gut tun würde.

Ende Teil 4