Meine liebe Hermine!

Ja, das wird diesmal wieder ein längerer Brief.
Setze Dich also in aller Ruhe hin und koch Dir vorher vielleicht eine schöne Tasse Tee.

Fertig?
Gemütlich hingesetzt?
Gut.

Wir sind ja jetzt schon länger wieder hier gelandet, aber ich hatte wirklich noch keine Zeit für eine ausführlichere Lagemeldung. Ich denke, Du verstehst das ...

Denn es war ja doch alles mehr als hektisch ...

Sowohl mein Aufbruch nach Davos, als beide Dracos unabhängig voneinander „um Hilfe gerufen haben" wegen der Untersuchungsergebnisse von meinem Mann, als auch mein Aufenthalt mit Severus´ letzten Untersuchungen ... wir zwei haben uns ja in den ganzen drei Tagen fast überhaupt nicht gesehen.

Aber irgendwie war ich Dir einfach nur dankbar, dass Du immer im Hintergrund nur für mich da warst und mir einfach nur den Kopf für Wichtiges freigehalten hast. Es ist so wunderbar, jemanden zu haben, der für einen denkt und die Routine am Laufen erhält, wenn für einen selber die Zeit gerade still steht und man einfach nicht selber funktionieren kann.

Ich weiß nicht, wie ich Dir das jemals wieder gut machen kann ...

Jedenfalls sind wir jetzt gut eingetroffen.
Mit der Zeit wird Severus jetzt etwas ruhiger. Ich denke, dass wir langsam aber sicher den schlimmsten Teil hinter uns haben ... er kann es in seinem Inneren immer noch nicht akzeptieren, dass seine Ohren sicherlich nicht mehr besser werden, und ich weiß nicht, ob er es jemals können wird, aber er ist mittlerweile soweit, dass er in Unterhaltungen und Gesprächen zurecht kommt, wenn nicht zu viele Menschen daran beteiligt sind.
Aber er meint, dass es ihm im Gespräch, wenn er Ablenkung hat, noch leichter fällt, schlecht zu hören, als wenn er alleine ist ... es muss schrecklich für ihn sein, wenn nichts seine Gedanken ablenkt, wenn er irgend etwas macht, egal was, und wenn es ganz normal Kaffee einschenken ist, und das Geräusch dazu erwartet ... einfach unbewusst mit dem Geräusch des Kaffees in der Tasse rechnet ... das dann ausbleibt. Er sagt, dieses Ausbleiben der kleinen, der unbewussten Geräusche sei viel schlimmer, als wenn er einer Unterhaltung mal nicht so schnell folgen kann ... und diese Kleinigkeiten wären es auch, die ihn fast in den Wahnsinn treiben.

Deshalb achten wir auch darauf, dass er nie lange alleine irgendwo sein muss, jedenfalls jetzt, am Anfang nicht ... die Zwillinge sind einfach fabelhaft. Ich weiß nicht, was ich momentan ohne meine Töchter machen würde. Es war keine Absprache oder so etwas nötig ... ganz von alleine ist immer mindestens eine von ihnen hier, bei ihrem Vater – meistens beide.

Ja, und er kann jetzt auch zumindest ein bisschen darüber sprechen.

Du kennst ihn ja – es hat keinen Zweck, ihn zu einem Gespräch drängen zu wollen, aber seit wir aus Davos zurück sind, sitzen wir jeden Abend zusammen am Kamin und er erzählt. Ja, auch über seine Krankheit. Manchmal, spät abends, bezeichnet er es als „die letzte Rache des dunklen Lords" ...

Irgendwie ist es ein eigenartiges Gefühl, wenn Dir Dein Mann im Gespräch nicht mehr in die Augen sieht, sondern auf die Lippen ... aber ich genieße unsere Gespräche wie nie zuvor, einfach nur das „zusammen zu reden" ... Auch wenn ich momentan mehr zuhöre als rede ... Wir reden jetzt, gerade jetzt, über viele Sachen, die über Jahre hinweg unausgesprochen geblieben waren.

Jedenfalls hat Severus seit ein paar Tagen auch wieder angefangen zu arbeiten, er hat die Verwaltungsstelle, die Minerva im angeboten hat, angenommen, und eigentlich habe ich das Gefühl, dass er den Unterricht nicht wirklich vermisst.
Das wundert mich jetzt gerade mal überhaupt nicht, oder?
Damit hat Minerva also eine exzellente Lösung gefunden.

Ich weiß, der Weg wird noch ein bisschen dauern, aber er hält sich nicht nur an mir, sondern vor allem auch an unseren beiden Mädels fest. Die Zwei sind einfach großartig, aber das habe ich glaube ich schon erwähnt. Ich bin momentan sehr stolz auf sie.

Was gibt es sonst noch neues?
Ja doch, es gibt noch mehr Neuigkeiten.

Also:
Durch die Reise und die ganze Geschichte war ich ja von meiner eigenen Gesundheit doch etwas abgelenkt. Es erschien mir auch so unwichtig in Anbetracht von allem anderen, weißt Du? Deswegen habe ich auch, als wir in Davos waren, weder Deinen noch meinen Draco damit nerven wollen.

Aber seit wir wieder zu Hause sind, gerade seit ein paar Tagen, hatte ich immer so ein unbestimmtes Gefühl in der Magengrube, und auch wenn ich wie gesagt die Gedanken an meine eigenen Probleme weitestgehend verdrängt hatte, hat sich mein Verdacht doch so mehr und mehr bestätigt.

Und dann ... dann ist mir mit einem Schlag der Briefumschlag eingefallen, den Du mir gerade zugeschickt hattest, den ich gerade in der Hand hatte, als die Eulen von unseren beiden Dracos eingetroffen sind, weißt Du noch? Den mit den Testergebnissen ... glaubst Du mir, dass ich wirklich die ganzen Tage lang gar nicht mehr daran gedacht hatte, so unwichtig erschien mit mein „Zusammenbruch" – zumal ich ja felsenfest davon überzeugt war, dass sowieso alles in Ordnung ist ...

Egal, jedenfalls bin ich dann sofort an meinen Schreibtisch gerannt und habe dann doch endlich diesen Umschlag geöffnet.
Und ich hatte Recht.

Jedenfalls bin ich heute früh dann wieder zu unserem Heiler gegangen, um ihm mal gewaltig die Meinung zu blasen und um ihm mitzuteilen, dass seine „malignomverdächtige Vergrößerung der Gebärmutter" mir mittlerweile ganz schön kräftig in den Bauch treten und vor allem auf der Blase herumtanzen kann.

Ja.
Ich habe Dir doch gesagt, dass Du Dich setzten sollst!
OK, ja, ich gebe zu, wer hätte darauf kommen sollen?
Ich kann es selber ja so noch gar nicht begreifen, und das, obwohl es ja nun schon die vierte Schwangerschaft für mich ist. Ich meine, ich bin 45!

Der Heiler wollte mich dann noch einmal RICHTIG untersuchen, aber ich denke eher, dass ich dann mal kurz nach Davos appariert komme, bevor diese Flasche noch mal Hand an mich legt.

Dann kann Draco die Vorsorgeuntersuchungen für sein eigenes Geschwisterchen machen ... sag ihm mal noch nichts, ich will ihn überraschen, wenn er mich dann untersucht.

Obwohl ... eigentlich hatte der arme Kerl in den letzten Wochen genug Überraschungen mit seinen Eltern, oder? Er hätte sicher nicht gedacht, dass – wenn er ein Auslandspraktikum bei seinem Patenonkel macht - ausgerechnet seine eigenen Eltern seine besten Patienten werden.

Aber ich sage es ihm trotzdem selber.

Jedenfalls bin ich vom Heiler direkt zu meinem Mann – Severus war schon zu Hause – und habe mit ihm geredet ...
Er hat mich den Satz fünfmal wiederholen lassen, weil er es nicht glauben konnte.

Du kannst Dir seine Rührung nicht vorstellen.
Ausgerechnet jetzt, ein neues Leben ...
Wir haben fast eine Stunde lang nur dagesessen, auf dem Sofa vor dem Kamin und uns festgehalten.

Gut, wir hatten uns beide eigentlich nicht vorgestellt, noch einmal Eltern zu werden – eigentlich sind vier Kinder mehr als genug. Wirklich. Und die Zwillinge sind auch schon lange aus dem Gröbsten raus, ich meine, jetzt noch mal mit einem Säugling anzufangen, hätten wir uns beide nicht träumen lassen ...

Aber jetzt freuen wir uns.
Kannst Du Dir vorstellen, wie sehr wir uns freuen?

Langsam entwickle ich mich wirklich zu einer zweiten Ausgabe meiner Mutter.
Und weißt Du was?
Das stört mich in dieser Beziehung mal überhaupt nicht.

Nie und nimmer.

Jedenfalls werde ich mich die nächsten Tage mal wieder auf zu Euch machen, um dann doch endlich die nötigen Vorsorgen einzuleiten ...
Ja, und den Weihnachtsball müssen wir ja auch langsam planen.
Das sind – auch wenn ich jetzt wirklich nicht mehr daran gedacht habe – ja auch nur noch knapp drei Wochen.

Kann ich am Freitag gegen Mittag mal bei Euch einschlagen – und kannst Du „unauffällig" einen Termin für mich in der Sprechstunde von meinem Sohn ausmachen?

Ich denke im Moment sehr viel an Dich ... und ich würde dann auch über Nacht bleiben, erstens um nicht zu oft zu apparieren, zweitens, um endlich so zu reden, wie wir jetzt die letzten paar Wochen nicht konnten.

Einverstanden?

Ich freue mich auf Deine Antwort!

Ginny


Ihr denkt doch an das kleine, freundliche, hellblaue Knöpfchen?