Das Wetter war ihnen hold gewesen und nach einwöchiger Reise ohne besondere Vorkommnisse – sah man von zwei heftigen Streits zwischen Aiglos und Luthawen einmal ab – standen sie vor den Toren der Weißen Stadt. Die Palastwachen staunten nicht schlecht über so viele hohe Besucher und ließen sie ohne Schwierigkeiten passieren.
Sie ritten durch die Straßen der Stadt, wo sie vom Volk bald mit Jubelschreien begrüßt wurden. Es war früher Nachmittag und die Sonne schien hell und am Himmel sah man kaum ein Wölkchen. Der Turm Ecthelions ragte schimmernd weiß über die Stadt. Boromirs Herz machte einen Freudensprung.
Sicher, er liebte das Haus in dem er mit seiner kleinen Familie lebte, aber das hier war nun einmal die Stadt, in der er geboren worden und aufgewachsen war und in der er den Großteil seines Lebens verbracht hatte. Es war seine Heimat und er konnte es kaum erwarten, endlich seinen Bruder und dessen Familie wiederzusehen. Sie waren schon lange nicht mehr dort gewesen.
Als sie schließlich am Palast angekommen waren, übergaben sie die Pferde den Stallburschen und machten sich auf die Suche nach Aragorn. Sie mussten nicht lange suchen, denn er stand in der Empfangshalle und sah aus dem Fenster in den Hof, wahrscheinlich um herauszufinden, warum es draußen so einen Tumult gegeben hatte.
Laietha betrat den Raum mit einem breiten Grinsen. Als ihr Bruder sie erblickte, hellte sich sein Gesicht sofort auf. „Aiwe! Was machst du denn hier?" rief er und Laietha stieß einen Freudenschrei aus. „Dunai!" Sie ließ alles stehen und liegen, vergaß, dass sie eine Frau von 45 Jahren war und rannte durch den Thronsaal, um sich dem König von Gondor in die Arme zu werfen.
Er schwenkte sie fröhlich herum und beide sahen sich lachend an, nur um sich wieder und wieder in die Arme zu schließen, zu herzen und zu küssen. „Du meine Güte – wie lange ist es her?" keuchte Aragorn fassungslos und presste Laietha gegen seine Brust. „Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben!" Laietha küsste ihn auf die Wange und sie begannen zu lachen.
„Es tut so gut, dich zu sehen, meine liebe Schwester!" Er küsste sie auf die Stirn. „Dunai, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe!" Sie strich ihm übers Gesicht und schüttelte den Kopf, weil sie es immer noch nicht fassen konnte, endlich wieder bei ihm zu sein. Sie sahen sich lächelnd an.
Plötzlich fühlte Laietha einen stechenden Schmerz in ihrem Rücken, genau zwischen den Schulterblättern, fast, als hätte man ihr einen Dolch in den Rücken gestoßen. Sie krallte ihre Finger in Aragorns Schultern. Besorgt sah er zu ihr hinunter. „Was ist mit dir? Geht es dir gut?" Langsam nickte sie, der Schmerz wurde schwächer, aber sie hatte das Gefühl, als würde man sie genau beobachten.
Sie löste sich aus der Umarmung ihres Bruders und drehte sich um. In der Tür stand eine große schlanke Frau, von unbeschreiblicher Schönheit, die sie von Kopf bis Fuß musterte. Die Frau trug ein dunkelrotes Kleid und mochte vielleicht in Laiethas Alter sein. Rabenschwarzes Haar umschmeichelte ihr Gesicht, in dem zwei kohlschwarze Augen saßen, die von einem brennenden Feuer erfüllt zu sein schienen. Ihre Haut war so blass wie das Licht des Mondes in einer Winternacht.
Aragorn folgte Laiethas Blicken und als sie auf die Frau in der Tür fielen, trat ein breites Lächeln auf sein Gesicht. „Ich wusste, dass du sie als erste bemerken würdest, Laietha." Er drückte ihre Hand fest und zog sie mit sich zur Tür. „Darf ich vorstellen – das ist Frau Mornuan, die ich von ganzem Herzen liebe."
Die Frau bedachte Laietha mit einem Lächeln. „Ihr seid also Laietha, Aragorns Schwester. Er hat mir schon sehr viel von euch erzählt. Was für eine Freude, dass ich euch nun endlich einmal kennen lerne!" Sie lächelte freundlich. Ihre Stimme war melodiös, aber von einer Kälte, dass Laietha eine Gänsehaut bekam. Mornuan kam auf sie zu und nahm ihr Gesicht in ihre kühlen Hände. Sie überragte Laietha um gut einen halben Kopf. Die Kriegerin erzitterte. „Lasst mich euch willkommen heißen, liebe Schwester." Die Frau presste ihre Lippen auf Laiethas Stirn. Aragorns Schwester verlor das Bewusstsein.
Als sie die Augen aufschlug, fand sie sich in den Häusern der Heilung wieder und sah in das besorgte Gesicht ihres Mannes. „Den Valar sei Dank, du bist wieder wach!" seufzte er und nahm ihre Hand. Ihr Kopf dröhnte und schmerzte. „Was ist passiert?" flüsterte sie mit rauer Stimme. „Das wollten wir eigentlich von dir wissen," bemerkte Aragorn, der aus der Ecke hervortrat und ihr ein Glas Wasser reichte. Laietha trank dankbar und Aragorn lächelte erleichtert. Er küsste sie auf die Stirn.
„Es war ein heißer Tag und der Weg hierher war weit. Vielleicht hat dich die Reise etwas überanstrengt. Jedenfalls bin ich froh, dass es dir besser geht." Er lächelte und strich ihr übers Haar, wie er es schon so oft getan hatte, wenn es ihr nicht gut ging. Laietha setzte sich auf. „Ich weiß auch nicht, aber du wirst recht haben. Der Weg zu deinem Palast war weit und die Reise anstrengend. Ich werde eben alt, aber jetzt geht es mir besser." Aragorn nickte. „Du musst hungrig sein. Ruh dich noch etwas aus und dann werden wir zu Abend essen. Ich habe Faramir und seine Familie für heute eingeladen. Es ist schon sehr lange her, dass wir alle zusammengewesen sind und es wird gewiss ein netter Abend."
Boromirs Gesicht erhellte sich, als der Name seines Bruders fiel. Er war so in Sorge um seine Frau gewesen, dass er sich noch gar nicht auf den Weg zu seinem Bruder gemacht hatte, um ihn zu begrüßen. Er freute sich schon sehr auf das Essen.
Sie trafen sich im großen Speisesaal. Laietha hatte sich für ein schlichtes weißes Kleid entschieden. Sie trug ihr dichtes rotes Haar zu einem Knoten im Nacken gebunden, so wie es bei den Frauen Gondors Sitte war. Boromir sah sie voller Bewunderung an. Sie war an diesem Abend besonders schön, fand er. Laietha nahm zwischen ihrem Mann und ihrem Bruder platz. Ihre Kinder waren sehr froh, sie wieder auf den Beinen zu sehen.
Herr Elrond und seine Söhne saßen an der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Luthawen setzte sich zwischen Olbern und ihren Onkel Elladan. Ihr Bruder setzte sich neben den jungen Beorninger.
Einer der Herolde trat ein und berichtete, dass die nächsten Gäste eingetroffen seien. Faramir und Eowyn betraten den Raum. Boromir sprang auf, um seinen Bruder stürmisch zu begrüßen. Die Männer fielen sich lachend in die Arme, denn auch sie hatten sich schon sehr lange nicht mehr gesehen. Auch Laietha und Eowyn freuten sich über das Wiedersehen. Mit einem glucksenden Lachen stellten sie fest, dass Eowyn fast das gleiche Kleid wie Laietha trug.
Dann stürmten ihre Kinder in den Saal, der 13 jährige Ionvamir voraus und ihm dicht auf den Fersen seine 7 jährige Schwester Auranor. Laietha zerzauste Ionvamirs Haar. „Du meine Güte, was bist du großgeworden!" rief sie aus, denn der Junge überragte sie um einen halben Kopf. „Das letzte Mal als wir hier waren, gingst du mir doch nur knapp bis zur Schulter!" Eowyn legte ihr den Arm um die Hüfte. „Ihr seid eben lange nicht mehr hier gewesen, liebe Freundin."
Die Frauen umarmten sich lächelnd. „Tante Lai!" krähte Auranor und warf sich Laietha um den Hals. Die Kriegerin küsste ihren Scheitel. „Wie die Zeit vergeht! Was für ein hübsches kleines Ding aus dir geworden ist!" Kinder sind wirklich erstaunlich, dachte sie mit einem Schmunzeln. „Bei den Valar, kann es denn sein, dass diese wunderschöne junge Frau meine liebe Lutha ist?" schnappte Eowyn erstaunt. Die junge Frau wurde puterrot und senkte verschämt den Kopf.
Eowyn bedachte den jungen Beorninger an ihrer Seite mit einem Lächeln. „Und ist das nicht der Sohn unseres lieben Freundes Bereg? Du musst uns alles darüber erzählen, wie es deinem Vater geht! Grundgütiger, aus dir ist ja ein echter Mann geworden! Bist du etwa Luthas Freund?" Boromir erbleichte vor Schreck, als er das hörte. „Natürlich nicht!" verkündete er laut. „Lutha ist noch viel zu jung, um sich für Männer zu interessieren!"
Laietha und Eowyn tauschten einen Blick aus. Na klar!
„Tante Eowyn, Onkel Faramir!" Aiglos riss die beiden fast um, als er auf sie zustürmte, um sie zu begrüßen. „Onkel Faramir," krächzte der Junge, „ich bin wirklich gut im Schwertkampf geworden! Wenn du willst, werde ich es dir zeigen!" Faramir strich ihm über den Kopf und grinste breit. „Immer mit der Ruhe, morgen ist auch noch ein Tag. Ich glaube nicht, dass ihr so früh wieder abreisen werdet."
Er musste noch immer schmunzeln. Obwohl sein Sohn und sein Neffe nicht ganz ein Jahr auseinander waren und sich recht ähnlich sahen, waren sie vom Charakter her doch so verschieden wie er und sein Bruder selbst.
Ionvamir hatte sich neben seine Tante gesetzt. „Tante Laietha, du wirst mir doch diesmal ein wenig mehr elbisch beibringen, nicht wahr? Vater hat gesagt, du wärst darin viel besser als er!" Laietha lachte. „Das werde ich, Ionvamir und vielleicht helfen mir mein Vater und meine Brüder, denn ich selbst bin auch ein wenig aus der Übung."
Nun krabbelte Auranor auf ihren Schoß und beanspruchte die Aufmerksamkeit ihrer Tante für sich allein. „Tante Lai, du wirst mir doch bestimmt ganz viele Geschichten erzählen, nicht wahr? Am besten über die Elben!" Auch hier gab Laietha ihr Wort und das kleine Mädchen quietschte vor Vergnügen.
Auch Ionvamir und Aiglos freuten sich über das Wiedersehen, denn die Cousins kamen hervorragend miteinander aus. Sofort fingen sie an, miteinander zu reden und zu scherzen. Luthawen und Olbern nutzten den allgemeinen Aufruhr, weil sie niemand beobachtete. Ihre Hände fanden sich unter dem Tisch und sie sahen sich gedankenversunken in die Augen.
„Aber, aber! Wir haben dich noch den ganzen Abend und es wird nicht der letzte sein!" rief Elrond mit einem Lächeln. Alles lachte und so begaben sie sich zu ihren Plätzen.
Als endlich alle saßen, war immer noch ein Platz neben Aragorn frei. Laietha fragte sich für den Bruchteil einer Sekunde, wer noch erwartet würde, aber dann fiel es ihr wieder ein und sie dachte an die Frau, die sie bei ihrer Ankunft getroffen hatte. Wie war noch gleich ihr Name gewesen?
Die Tür schwang auf. „Mornuan!" Aragorn sprang von seinem Stuhl auf und stürmte auf die Frau zu, um sie mit einem leidenschaftlichen Kuss zu begrüßen. Laietha zog eine Augenbraue hoch. Es sah ihrem Bruder so gar nicht ähnlich, seine Würde dermaßen zu vergessen. Es schien fast, als hätte er seine Gäste ganz und gar vergessen. Laietha räusperte sich. Boromir knuffte sie mit dem Ellenbogen leicht in die Seite. „Lass ihn doch," grinste er.
Als Aragorn endlich damit fertig war, die Frau zu begrüßen, geleitete er sie galant zu dem Platz an seiner Seite – mit einem breiten Lächeln auf den Lippen.
Sie war ganz in schwarz gewandet. Ihr Kleid flatterte im milden Abendwind, der durch die hohen Fenster in den Raum strömte und die Abendsonne fing sich in den winzigen Perlen, die darauf gestickt waren. Ihr Haar floss über ihre Schultern, als hätte es ein Eigenleben. Sie trug eine sehr teuer aussehende Halskette aus Silber, in die Edelsteine so rot wie Blut eingefasst waren. Ihr Blick fiel auf Laietha.
„Ich bin sehr froh, euch wieder auf den Beinen zu sehen," sagte sie in ihrer wohltönenden Stimme. Laiethas Miene gefror. „Ich danke euch," erwiderte sie förmlich.
Aragorn klatschte in die Hände und das Essen wurde aufgetragen. Es gab frische Früchte, Käse, frisch gebackenes Brot und aus den vielen Schüsseln stiegen wunderbare Düfte in ihre Nasen. Guter Wein war mehr als reichlich vorhanden und selbst Aiglos und Ionvamir durften zur Feier des Tages ein Gläschen davon probieren.
Sie ließen sich das Essen schmecken und bald schon herrschte wieder ausgelassene Stimmung in der Runde. Nur Laietha war ungewöhnlich still. Boromir berührte unauffällig ihre Hand. „Was ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?" Seine Frau schüttelte den Kopf. Irgendwie war ihr seltsam zu Mute, aber sie konnte nicht feststellen warum.
Aragorn kümmerte sich recht wenig um sie. Er war damit beschäftigt, Mornuan zärtliche Dinge ins Ohr zu flüstern und sie mit kleinen Happen von seinem Teller zu füttern. Mornuan kicherte wie ein Schulmädchen und Aragorn hauchte ihr einen Kuss auf den Hals. Laietha verzog das Gesicht. „Ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen," lächelte Boromir.
Laietha murmelte etwas Unverständliches und Boromir schüttelte den Kopf. Er legte ihr die Hand aufs Knie. „Benimm dich gefälligst," zischte Laietha ihn an und stieß seine Hand fort. Boromir seufzte und widmete sich wieder seinem kleinen Bruder.
„Na, Faramir, wie fühlt man sich denn nun als Vater zweier Kinder? Willst du immer noch mehr von der Sorte?" Der Fürst von Ithilien lachte laut. „Bei den Valar, nein! Zwei sind vollauf genug!" Boromir grinste ihn an. „Da kann ich mich aber noch an ganz andere Worte aus deinem Munde erinnern, Brüderchen. Da waren von dreien oder gar noch mehr die Rede..." Faramir tätschelte mit einem schelmischen Lächeln seine Schulter. „Oh, lass nur, Bruderherz. Bis jetzt haben wir Glück gehabt, aber wir wollten auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass das nächste Kind zu sehr nach dir schlagen würde." Boromir lachte leise vor sich hin.
„Bis jetzt habt ihr Glück gehabt? Ach, was weißt du denn schon? Warte nur, bis sie älter werden! Kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen, wie das Sprichwort so schön sagt." Das erinnerte ihn doch an etwas...er sah zum anderen Ende des Tisches hinüber, wo Luthawen noch immer in ein angeregtes Gespräch mit Olbern vertieft war. Sie waren dichter zusammengerückt und lächelten sich unentwegt an, während sie miteinander sprachen. Boromir verzog grimmig das Gesicht.
Nun war es sein Bruder, der leise zu lachen begann. „Sie passen ganz gut zueinander, findest du nicht auch?" Boromir funkelte ihn wütend an und Faramir hob abwehrend die Hand. „Musst ja nicht gleich ärgerlich werden, Bruder!"
Boromir erhob sich und ging auf seine Tochter zu. „Lutha, sei ein nettes Mädchen und geh mal einen Moment zu deiner Mutter, ja? Ich würde mich auch gern einmal mit unserem jungen Freund hier unterhalten." Luthawen hob eine Augenbraue, protestierte aber nicht, sondern tat, wie man sie geheißen hatte. Olbern lächelte Boromir freundlich zu. „Es ist mir eine Ehre, dass ihr meine Gesellschaft aufsucht, mein Herr." Das war auch nicht gelogen, Boromir wusste, dass Olbern ihn sehr schätzte. Er begann, sich ein wenig unsicher zu fühlen und rutschte unentschlossen auf seinem Stuhl hin und her.
Mit gesenktem Kopf begann er zu sprechen: „Du magst meine Tochter ziemlich gerne, nicht wahr?" Allein schon als er sie erwähnte, hellte sich das Gesicht des jungen Mannes merklich auf. „Oh ja! Sie ist wirklich ein wundervolles Mädchen! Ich habe sie vom ersten Tag an gemocht! Mit ihr ist es nie langweilig geworden!" Er strahlte Luthawen an und sie warf ihm einen besorgten Blick zu, aber er lächelte aufmunternd zurück. Boromir nickte. „Ja, ja, schon recht. Ihr kennt euch ja auch schon sehr lange."
Nun nickte der junge Beorninger. „Ich bin gesegnet worden, ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich einem Mädchen von solcher Schönheit und Güte begegnet wie ihr." Boromir starrte ihn an. als hätte er gerade eine Kröte verschluckt. Jetzt reichte es wirklich. „Sieh mal Olbern, du bist ein netter junger Mann..." begann er.
Luthawen schlenderte zu ihrer Mutter hinüber. Die Kriegerin hatte nun neben Eowyn Platz genommen und ihre Tante redete mit Laietha, die eher unbeteiligt am Tisch saß. Irgendwie wirkte ihre Mutter leicht abwesend. Luthawen gesellte sich zu ihnen und Eowyn bekräftigte erneut, was für eine hübsche junge Dame aus ihr geworden war. Luthawen errötete verschämt und Eowyn lachte. „Und ich scheine nicht die Einzige zu sein, der das aufgefallen ist," schmunzelte sie indem sie mit einem Kopfnicken auf Olbern deutete. Laietha und Luthawen folgten ihrem Blick und Luthawen senkte verlegen den Kopf.
In Laietha allerdings erwachten die Lebensgeister, als sie ihren Mann entdeckte, der mit Olbern sprach. Irgendwie gefiel ihr sein Blick nicht. „Entschuldigt mich bitte einen Augenblick," sagte sie und stand auf. Eowyn sah sie verdattert an. „Was hast du denn vor?" fragte sie neugierig. Laietha schenkte ihr ein gequältes Lächeln. „Verhindern, dass mein Mann eine Dummheit begeht!"
Olbern lächelte ihn freundlich an. „Ich danke euch, mein Herr." Boromir sah ihn verdutzt an. Die guten Manieren des jungen Mannes brachten ihn völlig aus dem Konzept. Er atmete tief durch. „Ja, aber..."
„Boromir, geh doch Olbern nicht mit Geschichten über den Krieg auf die Nerven." Laietha legte ihrem Mann lächelnd, aber bestimmt eine Hand auf die Schulter. Er und Olbern sahen sie gleichermaßen verwirrt an. „Du willst mich doch nicht etwa den ganzen Abend über alleine lassen, oder?" säuselte sie kokett.
Er wollte sie gerade in die Schranken weisen, als Aragorn aufstand und sein Glas erhob. Schnell huschten alle auf ihre Plätze zurück und erwarteten, was der König zu sagen hatte. Als er sich der Aufmerksamkeit aller gewiss war, ergriff Aragorn das Wort.
„Ich bin ausgesprochen froh, heute Abend all die Menschen, die mir wichtig sind, hier zu sehen." Aragorn bedachte seine Schwester mit einem liebevollen Lächeln. „Ich könnte mir keinen besseren Augenblick als diesen vorstellen, um zu verkünden, was ich zu sagen habe." Laietha versteifte sich und auch die anderen lauschten gespannt auf das, was gleich kommen würde.
„Ich weiß, dass die Valar mich gesegnet haben, weil ich Menschen wie euch meine Freunde nennen darf, liebe Eowyn und lieber Faramir. Und noch mehr haben sie mich mit meiner Familie beschenkt." Er sah Boromir lächelnd an. „Einige meiner Freunde sind ein Teil davon geworden. Ich bin überglücklich, euch in dieser Stunde hier zu sehen, und dabei lasse ich keinen aus." Ionvamir gab Aiglos einen kleinen Knuff und die Jungs begannen zu johlen und zu applaudieren, wofür sie von ihren Müttern strafende Blicke ernteten. Aragorn zwinkerte ihnen zu und lachte.
„Ich bin sehr damit beschäftigt gewesen, den Frieden in diesem Land zu erhalten und ohne euch hätte ich das sicher nicht geschafft. Wann immer ich eure Hilfe und Stärke brauchte, wart ihr an meiner Seite und habt mich in allem unterstützt. Aber ich habe mich immer nach einer Familie gesehnt und bis jetzt war es mir nicht vergönnt, eine eigene Familie zu gründen."
Alle waren still und Laietha und Boromir sahen sich an. Die Frau erinnerte sich daran, wie oft Aragorn melancholisch geworden war, wenn er ihre kleine Familie besucht hatte und wie viele Gespräche sie geführt hatten, bei denen er ihr fast schuldbewusst gestanden hatte, wie einsam er sich manchmal fühlte. Und wie oft hatte sie ihn selbst gedrängt, endlich Arwen zu vergessen und sich auf die Suche nach einer Frau zu machen, der er sein Herz schenken könnte.
Faramir nahm Eowyns Hand. Obwohl er sehr gute Freunde hatte – wie einsam würde er sich ohne seine Frau und ihre Kinder fühlen!
Aragorn nahm Mornuans Hand, die sich nun ebenfalls erhob. „Liebe Freunde, meine teure Familie, ich möchte, dass ihr die ersten seid, die es erfahren. Heute in einem Monat werde ich diese Frau zu meinem Weib nehmen." Er umfasste Mornuans Hüfte und zog sie in seinen Arm, um sie lange zu küssen. Die Gäste erhoben sich und klatschten freudig in die Hände.
Laietha fühlte etwas kaltes, nasses auf ihrer Wange. Boromir sah sie an – sie war kreidebleich. Er legte ihre Tränen falsch aus und drückte ihre Hand. „Ist das nicht wundervoll? Endlich wird auch er eine Familie gründen können!"
Ihr Bruder trat zu ihr und nahm sie fest in den Arm. „Warum weinst du? Freust du dich denn gar nicht für mich, liebste Schwester?" Sie rang sich ein Lächeln ab. „Doch, ich bin glücklich, wenn du es bist. Ich bin wohl noch etwas schwach auf den Beinen und fühle mich nicht wohl. Vielleicht bin ich nur müde." Er strich ihr sanft über die Wange. „Du solltest zu Bett gehen. Es macht mir nichts aus. Gewiss bleibt ihr bis nach der Hochzeit hier – wir werden noch viele gemeinsame Abende haben." Sie nickte.
Auch die anderen gratulierten Aragorn von ganzem Herzen. Mornuan trat zu Laietha. „Ist das nicht wundervoll? Nun werden wir Schwägerinnen sein!" Sie lächelte die Kriegerin an, aber in ihren Augen las Laietha etwas ganz anderes. Die Kriegerin fühlte sich wie ein Wurm an einem Angelhaken. Sie musste unbedingt hier raus.
Nachdem alle dem König gratuliert hatten, verabschiedete sich Laietha, um zu Bett zu gehen. Auch Olbern und Luthawen verließen das Fest mit der Kriegerin, um sie auf ihr Zimmer zu geleiten. Die anderen blieben, um die gute Nachricht gebührend zu feiern. Aiglos und Ionvamir waren froh, weil sie länger aufbleiben durften, und obwohl Auranor fast auf dem Schoß ihrer Mutter einschlief, wollte sie um keinen Preis der Welt etwas von dem Fest verpassen und so durfte auch sie bleiben.
Die Nacht war warm und klar – eine wohltuende Abwechslung nach der Hitze des Tages. Luthawen bat ihre Mutter, noch einen Spaziergang mit Olbern machen zu dürfen und Laietha schlug ihrer Tochter diese Bitte nicht ab.
„Worüber hat denn mein Vater mit dir gesprochen?" wollte Luthawen von Olbern wissen. Der zuckte nur mit den Schultern. „Das hab ich nicht erfahren, weil deine Mutter ihn nicht hat ausreden lassen." Das Mädchen lächelte verschmitzt. „Dann war es gewiss besser so. Normalerweise weiß sie ganz gut, was sie tut."
Sie waren im Schlossgarten angekommen und nahmen auf einer kleinen Bank in der Nähe eines Springbrunnens Platz. Die Grillen zirpten im Gras und die Luft war erfüllt vom schweren Duft der Rosen. Eine Nachtigall sang irgendwo versteckt in den Büschen.
Sie schwiegen eine ganze Weile lang und genossen die Nacht. Luthawen rutschte vorsichtig etwas dichter an Olbern heran und nach langem Zögern legte er ihr den Arm um die Schultern – bis in die Haarspitzen gespannt vor Aufregung. Sie blieb neben ihm sitzen und wich nicht zurück. Erleichtert stieß er den Atem aus, den er bis eben angehalten hatte und entspannte sich ein wenig.
Er konnte den Duft ihrer Haare selbst zwischen dem Geruch der Rosen ausmachen. Luthawen lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. Nach einer Weile begann sie ein leises Lied in einer fremden Sprache zu singen. Olbern schloss die Augen und lauschte, bis sie verstummte.
„Das war wunderschön," seufzte er und das Mädchen lächelte verschämt. „Der Vogel hat mich an dieses Lied erinnert. Es erzählt die Geschichte von Luthien Tinúviel. Ihr Name bedeutet Nachtigall." Schüchtern sah sie ihn an. In seinen Augenwinkeln schimmerten Tränen, aber er lächelte verklärt. „Wunderschön," wiederholte er. „Was sagen sie über die Frau?" Luthawen seufzte schwer.
„Sie war eine Elbin und schenkte ihre Liebe einem Sterblichen – dem Krieger Beren. Für ihn gab sie die Unsterblichkeit ihres Volkes auf und starb." Olbern streichelte sanft ihre Wange. Sie sah im Mondlicht so zerbrechlich aus. „Wie traurig," meinte er mit einem Kopfschütteln. Luthawen sah ihn an. „Das dachte ich zuerst auch, aber heute sehe ich es anders." Olbern hob interessiert seine Braue.
Luthawen erklärte es ihm. „Sie hat ihn so sehr geliebt, dass sie lieber nur kurz, aber mit ihm gemeinsam auf dieser Welt verweilen wollte, als ihre Liebe zu verraten und das hat beide unsterblich gemacht – in den Liedern und Geschichten der Elben und Menschen." Ihre Blicke trafen sich. „Du bist so viel klüger als ich," lächelte Olbern. Sie brachen beide in Gelächter aus. „Ich schätze, wenn du das meinem Großvater sagen würdest, wäre er gewiss anderer Meinung!" schmunzelte das Mädchen. Wieder verfielen sie ins Schweigen.
Luthawen berührte gedankenverloren sein Haar. Der junge Mann erschauderte unter ihrer Berührung. Er fragte sich, ob er nicht versuchen sollte, sie zu küssen, aber allein bei dem Gedanken daran, wurde ihm ganz schwindelig vor Angst. Was, wenn sie nun gar nicht so für ihn empfand, wie er für sie? Sie kannten sich nun schon so lange und waren gute Freunde! Was, wenn er mit dieser unüberlegten Sache alles kaputtmachen würde, was zwischen ihnen...
Er spürte ihre weichen Lippen auf seinen. Völlig überrumpelt wich er zurück. Luthawen errötete – selbst im blassen Licht des Mondes konnte er es sehen. Sie sprang auf und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Oh, tut mir leid!" rief sie und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Das wollte ich nicht...also...ich wollte es schon...es ist nur...ich wollte...ich...ich bin so schrecklich dumm, Olbern! Verzeih mir...ich..." Sie machte auf dem Absatz kehrt und wollte davon stürmen. Aber nun endlich fand Olbern wieder zu sich.
Er sprang auf und zog sie in seine Arme. „Nein, Lutha, was redest du nur!" rief er lachend. „Du bist nicht dumm! Es ist nur so – nichts hat sich geändert." Sie wagte es, den Kopf zu heben und ihm in die Augen zu sehen. Er lächelte sie warm an. „Nichts hat sich geändert. Du bist immer noch die Mutigere von uns beiden." Jetzt endlich hatte er genug Mut und zog sie fester an sich heran. Er nahm ihr Kinn sanft zwischen seine Finger und küsste sie.
