Der erste Review! Vielen Dank dafür :)
Habe gerade entdeckt, dass ffnet meine ganzen Sternchen zur Trennung von Abschnitten rausgelassen hat. Dadurch liest sich alles etwas holprig. Ich werde das aber in den nächsten Tagen korrigieren. Und jetzt Schluss mit dem Geschwafel - viel Spaß beim Lesen ;)
Schweiß überströmte Laiethas Gesicht. Sie stöhnte im Schlaf und wälzte sich von einer Seite auf die andere. „Nein, Aragorn! Nicht!" Sie war alleine. Weit entfernt – unerreichbar weit weg, sah sie ihren Bruder – nur ein Schattengebilde in der Dunkelheit, aber sie erkannte ihn ohne Zweifel. Er bewegte sich auf eine schemenhafte Gestalt zu – mit langsamen, hölzernen Bewegungen – wie eine Marionette. Laietha spürte, dass er in Gefahr war. „Aragorn!" schrie sie, aber er hörte nicht.
Plötzlich wurde sie von einem eisigen Hauch verschlungen und dann zog sich die Kälte fester um sie zusammen, fast als hätte sie jemand in ein nasses Laken gewickelt. Laietha begann sich gegen die klamme Kälte zu wehren, aber alle Versuche, sich zu befreien, blieben vergebens. Sie fühlte einen stechenden Schmerz in der Brust und schrie auf. Blut strömte über ihren Körper und eine bedrohliche Präsenz kam immer näher an sie heran.
„Du hättest dich besser nicht mit mir angelegt, Kriegerweib," wandte sich eine kalte Stimme an sie. Eine Hand berührte ihren Körper und Laietha war, als wäre ihr Fleisch an diesen Stellen sofort abgestorben. Zunächst lag die Hand auf ihrem Bauch, dann glitt sie höher und als sie schließlich an ihrem Herzen ruhte, schnappte die Frau nach Luft. Wie ein Dolch bahnte sich die Kälte ihren Weg in den Körper der Kriegerin. Es war, als hätte der Tod persönlich sie berührt.
Nun ergriff Panik von ihr Besitz und sie begann dagegen anzukämpfen. Kalte Lippen versiegelten ihre, eine eisige Zunge erzwang sich den Einlass in ihren Mund und raubte ihr den Atem. Mit stählernen Griff wurde sie in die Kissen gepresst. Etwas saugte ihr die Luft aus den Lungen und langsam wurden ihre Bewegungen schwächer. Mit der Luft entschwand das Leben aus ihrem Körper. Sie erstickte. Sie hörte auf, sich zu bewegen.
Alles wurde leicht und warm.
Die Fesseln des Schattens waren von ihr abgefallen. Nun schlief sie nicht mehr. Laietha bewegte eine Hand und stellte erfreut fest, dass es ohne Schwierigkeiten funktionierte. Jemand rief ihren Namen und sie lächelte. Eine Frau, die sie schon so lange nicht mehr gesehen hatte, winkte ihr zu. Ein gleißendes Licht umgab sie und als sich Laietha daran gewöhnt hatte, erkannte sie die Frau. „Mutter," flüsterte sie. Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht und sie nahm die Beine in die Hand. Sie konnte es nicht mehr erwarten, ihre Mutter nach all den Jahren endlich wieder in die Arme zu schließen. „Mutter!"
Die Frau hob ihre Hand und Laietha blieb stehen. „Noch nicht, Liebes. Noch nicht," war alles was sie sagte und dann begann die Frauengestalt zu verblassen. Laiethas Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie hatte so lange darauf gewartet! „Nein!"
Wieder rief jemand ihren Namen – ängstlich und verzweifelt dieses Mal. Das Licht verlosch und auf einen Schlag hatte sie die Finsternis wieder. Laietha bekam es mit der Angst zu tun.
„Laietha!" Die Stimme klang gedämpft und unendlich weit weg. Sie öffnete kurz die Augen und sah ihren besorgten Mann. Dann fiel sie in eine tiefe Ohnmacht.
„Nein, bitte..." Boromir hielt ihre Hand fest mit seiner umschlossen und wollte sie gar nicht loslassen. Einer der Heiler legte sachte die Hand auf seine Schulter. „Ihr müsst jetzt gehen, mein Herr. Ihr könnt jetzt nichts für sie tun – wir müssen abwarten." Boromir fühlte sich entsetzlich hilflos. Er warf einen Blick auf Aragorn, der sich mit einem Gähnen der Tür zugewandt hatte. „Tu doch was, verflucht!" Der König zuckte mit den Schultern.
„Ich kann nicht mehr für sie tun als ich getan habe. Wir müssen abwarten und hoffen, dass es ihr bald besser geht. Hast du die Heiler denn nicht gehört?" Boromir schüttelte trotzig den Kopf. Das war das Letzte, was er jetzt vorhatte. „Ich verstehe das alles nicht! Es ging ihr doch schon viel besser als ich noch vor ein paar Stunden hier war!" Der Heiler sah den aufgebrachten Mann ratlos an. „Wir können es uns ja selbst nicht erklären! Es ging ihr besser! Mitten in der Nacht aber kamen die Wachen, um uns zu informieren, dass sie einen Schrei aus diesem Zimmer gehört hatten und als sie nachsahen, fanden sie Frau Annaluva blutüberströmt in ihrem Bett. Niemand hatte das Zimmer nach ihren Aussagen betreten oder verlassen. Ihr seid doch selbst dabei gewesen, als wir um ihr Leben gekämpft haben!"
Boromir senkte den Kopf. Er schüttelte sich noch immer bei dem Gedanken daran, wie viel Mühe es Aragorn und die Heiler gekostet hatte, die Wunde zu schließen. In der Ecke des Zimmers lagen noch die blutigen Laken. Fast hatten sie gedacht, Laietha würde verbluten. Es war knapp gewesen – verdammt knapp. Aragorn gähnte laut. „Geh schlafen, Boromir. Du kannst jetzt nichts für sie tun." Der Mann Gondors schüttelte den Kopf und nahm auf einem Stuhl neben dem Bett seiner Frau Platz.
„Ich werde sie nicht alleine lassen. Ich werde heute sowieso keinen Schlaf finden." Damit war für ihn die Diskussion beendet und er drehte seinem Schwager und den Heilern den Rücken zu. Laietha lag in ihrem Bett und war noch immer nicht bei Bewusstsein. Boromir machte sich schreckliche Sorgen. Sie war schon oft dem Tod von der Schippe gesprungen, aber wie oft würde sie noch soviel Glück haben? „Ganz wie du willst," erwiderte Aragorn und verließ den Raum. Auch die Heiler gingen irgendwann.
„Ich werde sie nicht verlassen," murmelte Boromir mehr zu sich selbst als zu allen anderen. Behutsam strich er seiner Frau über die Hand. Wie musste sie sich wohl gefühlt haben, vor so vielen Jahren, als sein Leben in ihren Händen gelegen hatte? Ohne sie wäre er verloren gewesen und nun hatte er zum ersten Mal seit sehr langer Zeit Angst, sie zu verlieren. Laietha stöhnte schwer im Schlaf und er lief schnell, um ihr einen kühlen Lappen auf die Stirn zu legen. Boromir dachte an den Tag, als Luthawen zur Welt gekommen war und sie zum ersten Mal eine richtige Familie gewesen waren. Er dachte zurück an ihre erste Begegnung, daran, wie glücklich er in den letzten Jahren gewesen war, wie glücklich er jetzt war, wie sehr er sie liebte.
Tränen rannen lautlos über seine Wangen und die kühle Nachtluft, die durch das Fenster in den Raum strömte und den schweren Duft der Rosen mit sich trug, trocknete sie und ließ sie für anderen unentdeckt bleiben. Boromir kehrte sich nicht daran, sonder hielt weiter voller Pflichtbewusstsein seine stumme Nachtwache.
Der Morgen graute und als die Sonne die Nebelfelder nieder brannte, schlug Laietha endlich die Augen auf. „Den Valar sei Dank," murmelte Boromir erleichtert, der sie die ganze Nacht über nicht ein Mal aus den Augen gelassen hatte. Sie brachte ein schwaches Lächeln zu Stande. „Ich fühle mich furchtbar," murmelte sie leise und Boromir konnte nicht anders, als zu lachen. Dafür liebte er sie. Sanft strich er mit seinem Finger über ihre Wange. „Du siehst auch furchtbar aus, Liebes, aber ich bin froh, dass du wieder wach bist." Sie wollte seine Hand nehmen, war aber kaum in der Lage, sie zu bewegen. „Geh schlafen, Boromir," flüsterte sie. Ihr Mann lachte. „Ach das – ich kann sowieso nicht schlafen, wenn deine Bettseite leer ist."
Natürlich blieb er bei ihr und ließ sich nicht vertreiben – nicht, dass sich Laietha viel Mühe damit gegeben hätte. Ein wenig später am Morgen flog die Tür auf und Aiglos stürmte in den Raum. Als er seine Mutter sah, wurde er vor Schreck ganz blass. Laietha rang sich ein Lächeln ab. „Na Sohn, ich hoffe, du hast nicht schon wieder Unfug im Sinn!" Aiglos zuckte mit den Schultern und setzte sich zu ihr aufs Bett. „Nicht wirklich, aber man kann ja nie wissen, nicht wahr?"
Er fühlte sich unbehaglich, weil er seine Mutter gar nicht so zerbrechlich kannte. Aiglos hatte sie erst ein Mal so schwach gesehen und da war sie schwer gestürzt. Es machte ihm ganz schön Angst. Aber er sagte sich, dass er schon fast ein Mann war und es aushalten würde. Dennoch war er erleichtert, als Laietha ihre Männer kurz vor dem Mittag hinauswarf.
„Gönnt mir wenigstens auf dem Krankenbett etwas Ruhe, ihr zwei," schmunzelte sie. Boromir zögerte zwar etwas, aber da er wusste, dass die Heiler und die Wachen seine Frau gut im Auge behalten würden, entschied er sich doch dafür, ein kleines Nickerchen halten zu gehen. Langsam kroch ihm die Müdigkeit gehörig in die Glieder. „Du kannst doch heute Nachmittag wiederkommen. Ich wette, dann werde ich mich nach Gesellschaft sehnen," sagte Laietha und ein breites Grinsen trat auf sein Gesicht. Er und sein Sohn ließen Laietha allein. Mit einem Seufzer lehnte sie sich zurück in die Kissen und schloss die Augen.
Als Laietha aufwachte, hörte sie die Stimmen zweier Heilerinnen, die leise miteinander sprachen. Zunächst interessierte es sie nicht besonders, aber dann fiel der Name ihres Bruders und nun wurde sie doch rechtschaffend neugierig. Die Tür öffnete sich und die Heilerinnen betraten den Raum. Geschwind schloss Laietha die Augen und lauschte aufmerksam.
„Dummes Kind! Du solltest deine Zunge hüten, denn er ist noch immer der König! Was verstehst du schon von seinen Aufgaben!" Eine ganze Weile herrschte Stille und Laietha vernahm nur die Geräusche des Lappens, mit dem der Boden gewischt wurde, die eiligen Schritte der Frauen, während sie Ordnung schafften. Dann ergriff die erste Stimme wieder das Wort. „Aber im Moment scheint er sich um gar nichts zu kümmern! Die Botschafter stehen in langen Reihen vor dem Palast, aber er empfängt sie nicht."
Schnelle Schritte durchquerten den Raum und ein klatschendes Geräusch verriet Laietha, dass die Frau, der die eine Stimme gehörte, wohl gerade eine Ohrfeige bekommen hatte. Die zweite Stimme hatte nun einen warnenden Tonfall angenommen. „Du solltest dich auch besser auf deine Pflichten besinnen und die bestehen darin, sich hier um die Kranken zu kümmern. Und lass dich besser nicht bei solchen Reden erwischen! Du weißt doch ganz genau, was seinem einen Ratgeber passiert ist! Der sitzt immer noch im Kerker und wartet auf seine Strafe."
Laiethas Herz zog sich zusammen und die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Das sah ihrem Bruder so gar nicht ähnlich, nicht wahr? Nun, ganz sicher war sie sich dessen nicht mehr, denn seit sie in der Stadt angekommen war, hatte sie einige Sachen bemerkt, die ihr ganz und gar seltsam vorgekommen waren. „Aber das hat er doch früher nie getan! Ich meine.." die Stimmen verstummten und Laietha hörte leise Schritte im Raum und eine angenehme Frauenstimme ergriff das Wort. Wer wollte ihr da wohl einen Besuch abstatten?
Neugierig schlug sie die Augen auf und sah Mornuan in der Tür stehen. Die zukünftige Frau ihres Bruders sah sie an und bedachte sie mit einem Lächeln. Einen Moment lang dachte Laietha, ein kalter Wind wäre durch das Zimmer gefegt. Mornuan trat an ihr Bett und nahm ihre Hand. Die Kriegerin meinte, erfrieren zu müssen und begann zu zittern.
„Idioten! Seht ihr nicht, dass sie friert? Bringt eine Decke, statt zu schwatzen!" herrschte sie. Mit einem kühlen Lächeln auf Laietha fuhr sie fort. „Wir wollen doch schließlich nicht, dass du dir noch eine Lungenentzündung holst, jetzt wo es dir schon wieder besser geht, nicht wahr, liebste Schwester?" Laietha verkniff sich einen Kommentar.
Sie hatten sich eine ganze Weile unterhalten und langsam begann Laietha, sich zu Tode zu langweilen. Artig unterhielt sie sich mit Mornuan über das Leben am Hof, Gondor und das Wetter. Die Kriegerin unterdrückte ein Gähnen. Es war nicht ihre Art, den ganzen Tag untätig im Bett zu liegen.
„Dein Mann hat berichtet, dein Leben wäre diese Nacht in Gefahr gewesen, aber du siehst jetzt schon wieder ganz gut aus." Laietha schmunzelte. „Ja, ich bin eben eine richtige Kämpfernatur – sagt zumindest mein Bruder." Laietha wunderte sich, dass Aragorn noch nicht gekommen war. Sonst wich er ihr bei der leichtesten Erkältung kaum von der Seite. Aber vielleicht hatte er sich endlich besonnen und machte sich nun an die Arbeit. Schließlich ließ er ja auch Mornuan für mehr als einen Augenblick alleine...
Sie bemerkte, dass die Frau sie interessiert musterte. „Was ist denn?" fragte sie spitz und biss sich im nächsten Moment dafür auf die Zunge. Sei freundlich, mahnte sie sich selbst. Mornuan schüttelte den Kopf. „Du hast wundervolles Haar. Erlaube mir, dass ich es bürste. Es wird sich sicher verknoten, wenn du den ganzen Tag liegen musst." Dieser Gedanke gefiel Laietha ganz und gar nicht, aber sie schluckte ihre Vorbehalte herunter. Mornuan wollte ja nur freundlich sein und sie selbst sollte sich zusammenreißen. Schließlich war Mornuan die Braut ihres Bruders – und vor der Tür standen zwei sehr gut ausgebildete Wachen. Also stimmte sie zu.
Mornuan griff nach einer Bürste und begann sich durch die dichten roten Locken zu arbeiten. Nach einer ganzen Weile schüttelte sie den Kopf. „Wie kommt es nur, dass du und dein Bruder so verschieden seid. Ich meine, deine Haare, die Augen, die Haut..." Laietha schmunzelte. Natürlich sahen sie sich nicht ähnlich – sie mit ihrer weißen Haut, den hellen Augen, dem roten Haar und Aragorn ganz ein Mann Gondors – die Haut wettergegerbt vom Leben als Waldläufer.
„Hat er es dir denn nicht erzählt? Ich dachte, es wäre weithin bekannt, dass wir nicht blutsverwandt sind." Sie konnte nicht verhindern, dass ein gewisser Triumph in ihrer Stimme mitschwang und als Mornuan überrascht eine Augenbraue hob, musste sie lächeln. „Erkläre mir das," sagte die Frau, die Stimme voller Neugier auf das was folgen würde. Die Kriegerin lächelte. „Oh, das ist eine lange Geschichte!" Mornuan verzog das Gesicht zu einem wölfischen Grinsen und lehnte sich zurück. „Oh, das macht nichts. Ich habe Zeit."
Laietha begann also zu erzählen – wie ihre Eltern getötet wurden und Aragorn sie im Wald fand, wie sie bei den Elben in Bruchtal aufgewachsen war und wie sie zum Kriegshandwerk gekommen war. Mornuan hörte ihr zu und ließ ihre Aufmerksamkeit nicht eine Sekunde abschweifen. Am Ende lächelte sie zufrieden. „Ich danke dir, Schwester. Das war sehr aufschlussreich. Es ist immer gut, wenn man etwas über seine Verwandten weiß."
Laietha bekam eine Gänsehaut und konnte sich nicht helfen, aber sie hatte das Gefühl, zu viel von sich preisgegeben zu haben. „Ihr seid an der Reihe, Mornuan. Erzählt mir etwas über eure Familie." Die Geliebte ihres Bruders lächelte breit. „Es wird mir ein Vergnügen sein, Schwester."
Boromir langweilte sich entsetzlich. Verdammt, dachte er, es hat Zeiten gegeben, da war ich froh, wenn mich die Weiber mal einen Augenblick in Frieden gelassen haben! Na ja – die Zeiten ändern sich eben. Wahrscheinlich werde ich alt.
Ein wenig ziellos streifte er durch die Straßen der Stadt. Das Wetter war wunderbar. Keine Wolke stand am Himmel und die Sonne warf ihre warmen Strahlen auf die Stadt. Die Erwachsenen murrten über die Hitze, aber die Kinder lachten und planschten fröhlich mit dem Wasser aus den Viehtränken. Boromir musste lächeln, als er an seine eigenen Kinder dachte. Er überquerte den Markt und sah einen Stand mit Waffen.
Boromir nahm sich einen Augenblick, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Sein Blick fiel auf einen kleinen Dolch, der Laietha gewiss gefallen würde. Er seufzte. Es war einfach nicht das selbe, wenn sie nicht dabei war. Er lief weiter und achtete bald nicht mehr auf den Weg. Er würde sich nicht verlaufen – er kannte jeden Winkel dieser Stadt. Als Boromir schließlich den Blick hob, hielt er den Atem an.
Vor ihm ragte die Zitadelle der Sterne auf. Man hatte die verbrannten Ruinen direkt nach dem Krieg wieder aufgebaut. Es war das Grab seines Vaters – und fast wäre es auch seinem Bruder zum Grab geworden. Ein Schauer überlief seinen Rücken. Ohne nachzudenken, trugen ihn seine Beine zu der schweren Tür. Eine Aura des Verfalls lag über dem Gebäude. Boromir war sich nicht sicher, ob er es wagen sollte, die Zitadelle zu betreten. Seine Hand ruhte auf der kalten Klinke der Tür. Er holte tief Luft und trat ein.
Die Luft war stickig und staubig und ein Frösteln überkam ihn, als er die Wärme des Sonnenscheins hinter sich zurückließ. Er verließ die Welt der Lebenden. Hier schwang nur der Tod sein Zepter. In der Mitte des Raumes war der Sarg seines Vaters aufgebahrt. Wie von selbst bewegten sich seine Füße. Boromir schluckte schwer. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass es das erste Mal seit dem Tod seines Vaters war, dass er sein Grab besuchte. Ein leises Schuldgefühl überkam ihn. Vor dem Sarg seines Vaters kniete er nieder und senkte den Kopf.
So blieb er eine ganze Weile lang knien, aber Trauer um seinen Vater empfand er nicht. Boromir verharrte in der knienden Haltung, aber noch immer wollte sich weder Trauer noch Bedauern einstellen. Seine Knie begannen zu schmerzen und ihm wurde kalt – aber er stand nicht auf. Faramir hatte recht gehabt – ihr Vater war zu streng gewesen. Und ungerecht und so kalt wie dieses Gebäude hier. Plötzlich fühlte sich Boromir wieder wie ein kleiner Junge – er war zwölf gewesen – so alt wie sein Sohn jetzt.
„Boromir, was hast du dir dabei gedacht, als du die Statue zerstört hast?" Der Junge mit dem rötlichen Haar senkte beschämt und ängstlich den Kopf. Er zitterte vor Angst, denn er wusste, was ihn erwartete. „Nichts, Vater. Ich habe nur..." mit Faramir gespielt, hatte er sagen wollen, als er eine harte Ohrfeige erhielt.
Vielleicht ist es besser so, dachte er sich. Faramir soll nicht bestraft werden. Seine Wange brannte von dem Schlag. Er kämpfte gegen die Tränen an, die sich in seine Augen gestohlen hatten, aber es war zu spät. Die erste bahnte sich ihren Weg über seine Wange und Denethor hatte es längst gesehen. „Hör auf, wie ein Weib zu heulen! Du bist der Sohn des Stadthalters und eines Tages wirst du diese Stadt verwalten. Dein Benehmen ist inakzeptabel gewesen."
Der Junge senkte den Kopf noch tiefer. Er konnte den bohrenden Blick seines Vaters nicht ertragen und er wollte nicht, dass Denethor herausfand, dass Faramir mit schuldig war an diesem Unfall. „Es tut mir leid, Vater, es wird nie wieder vorkommen." Sein Vater nahm sein Kinn in die Hände und zwang ihn, seinem kalten Blick standzuhalten. Der Junge zitterte, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. „Nein, das wird es nicht. Ich bin viel zu nachlässig mit dir gewesen, das weiß ich jetzt. Morgen wirst du deine Ausbildung in der Armee beginnen. Du wirst ein Soldat werden und lernen, was Verantwortung bedeutet."
Boromir seufzte. „Wie ihr wünscht, Vater." Denethor machte auf dem Absatz kehrt und drehte dem Jungen den Rücken zu. Boromir fühlte sich plötzlich sehr verloren in dem großen Raum. „Du kannst gehen, Boromir. Geh und mach deine Aufgaben."
Eine Hand legte sich auf seine Schulter und Boromir sprang auf die Beine. Hinter ihm stand sein Bruder. „Lass ihn los, Bruder. Er ist schon so lange tot und wir wissen nun, dass sein Geist vergiftet war. Es war nicht seine Schuld." Der frühere Hauptmann des Weißen Turmes stand verloren im Raum, die Hände an den Seiten hängend. Faramir schloss seinen Bruder in den Arm. Keiner von ihnen wagte es zu sprechen und in der Kälte dieses Grabes, fühlte sich die Wärme des anderen so unglaublich gut an.
Schließlich ließ Faramir seinen Bruder los. „Komm schon, Boromir, lass uns nachsehen gehen, in welchen Schlamassel sich unsere Jungs mal wieder gebracht haben!" lächelte er und zog Boromir mit sich in das Licht und die Wärme des Sommernachmittags hinaus.
Auf ihrem Weg durch die Straßen der Stadt trafen die beiden Brüder Bergil und seine Familie, die gerade einen Einkaufsbummel über den Markt machten. Bergil hatte an diesem Nachmittag frei und genoss das schöne Wetter. Faramir grüßte den Soldaten seiner Wache freundlich und Bergil warf Boromir einen skeptischen Blick zu. Boromir brach in Gelächter aus. „Keine Sorge, Junge, das ist alles längst vergessen und ich bin nicht nachtragend!" Dann fiel sein Blick auf Bergils Kinder und ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
„Nein, was haben wir denn hier?" rief er aus und beugte sich hinunter zu Bergils ältesten Sohn. „Du bist aber schon ein großer Junge. Wie heißt du, mein Sohn?" Das Kind überwand seine anfängliche Scheu sehr schnell und bald waren sie in ein angeregtes Gespräch vertieft. Faramir lachte leise und auch Bergil konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Von seinem Vater hatte er gehört, dass Herr Boromir ein harter Ausbilder war, aber nun hockte der ehemalige Schwertarm des Weißen Turmes hier auf der Straße und lauschte den Erklärungen seines ältesten Sohnes, warum man sich vor dem Essen stets die Hände zu waschen hatte.
Bergil wandte sich an Boromir: „Mein Herr, wie geht es eurer Frau? Geht es ihr schon besser?" Boromir stand auf und sah ihn sorgenvoll an. Er berichtete dem jungen Mann, was in der Nacht vorgefallen war und Bergil erblasste. „Das müsst ihr mir genauer berichten. Am besten bei einem kühlen Bier." So war es also abgemacht. Sie machten sich auf den Weg in ein gemütliches Wirtshaus. Natürlich nicht, ohne dass Bergils Frau ihn im nach Hause gehen klarmachte, dass sie ihn rechtzeitig zum Abendessen zurück erwartete. Die Männer grinsten sich an. „Weiber – die sind doch alle gleich!" knurrte Bergil im Spaß. Boromir lachte und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Ganz meine Rede, mein Junge!" lachte er dröhnend und die anderen stimmten mit ein.
Die Schrecken der Nacht waren nach einigen Krügen Bier vergessen und die drei Männer wandten sich fröhlicheren Themen zu. Die Zeit bis zum Abend verging wie im Flug. Ein wenig bierselig starrte Bergil vor sich hin, während Boromir und Faramir in alten Erinnerungen schwelgten. „Was ist eigentlich mit dem König los?" fragte Bergil ganz plötzlich.
Die beiden Brüder sahen ihn überrascht an und der junge Soldat begann zu erklären. „Es sind nur Gerüchte, die mir zu Ohren gekommen sind, aber es heißt, der König würde Botschafter fortschicken und Leute für nichts bestrafen. Ist das wahr?" Denethors Söhne wollten von Bestrafungen nichts wissen, „aber, dass er Leute wegschickt, habe ich selbst schon gesehen." Boromir zuckte mit den Schultern.
„Ich dachte eigentlich, das wäre eine Ausnahme gewesen, aber ich bin mir sicher, dass er seine Gründe hatte. Er muss wirklich sehr aufgeregt wegen seiner Hochzeit sein." Bergil schüttelte den Kopf. „Auf jeden Fall war das Volk im Angesicht dieser Gerüchte nicht sehr begeistert."
Die gute Stimmung war gedämpft und es dauerte auch nicht mehr lange bis sich Faramir und Bergil verabschiedeten, weil sie zum Abendessen bei ihren Familien sein wollten. Boromir schlug das Angebot seines Bruders, ihn zu begleiten, aus. Er wollte lieber nach seinem Sohn sehen. Ein wenig verloren kam er sich schon vor und Boromir hoffte inständig, dass Laietha bald wieder gesund sein würde, damit auch er sich wieder solchen Geboten fügen musste. Er lächelte bei dem Gedanken daran in sich hinein. Vielleicht sollte er die Zeit jetzt erst einmal nutzen, um mit dem König zu sprechen.
Es war ziemlich schwierig gewesen, den König zu finden. Anders als erwartet, hatte er sich nicht in seinem Arbeitszimmer aufgehalten. Auch in der Bibliothek war keine Spur von ihm und schließlich, kurz bevor er die Suche aufgeben wollte, entdeckte Boromir ihn im Thronsaal. Niemand war bei ihm, was Boromir erstaunte. Sonst war es so gut wie unmöglich, seinen Schwager einmal alleine zu fassen zu bekommen. Er verzog das Gesicht, als er den König erblickte.
Aragorn saß auf seinem Thron und sah sehr müde und erschöpft aus. Sein Hemd war offen und sein Haar durcheinander. Er sah ganz und gar nicht königlich aus. Boromir lächelte und hob die Hand zum Gruße. Der König schien ihn gar nicht zu bemerken. Na, das war wirklich seltsam. „Gibt es ein Problem, Schwager?" fragte er. Aragorn grinste ihn dümmlich an. „Nein, warum fragst du?"
Boromir biss sich auf die Zunge. „Sieht wohl so aus, als hätte jemand eine anstrengende Nacht hinter sich, he?" scherzte er. Nun hellte sich Aragorns Gesicht auf. „Oh ja, es war fantastisch!" Boromir verdrehte die Augen. Das hatte er nun wirklich nicht wissen wollen! Sein Blick fiel auf einen tiefen Schnitt an Aragorns Brust. Ugh – diese Frau würde ihn mit Sicherheit eines Tages umbringen!
Er konnte sich nicht helfen, aber der Schnitt erinnerte ihn an die Wunde an Laiethas Brust. „Wo ist denn Laietha? Ist sie ausgeritten?"
Boromir versteifte sich und sein Blick wurde eiskalt. „Was?" fragte er entsetzt. Aragorn sah ihn ahnungslos an. „Das Wetter ist schön. Ist sie ausgeritten?" Nun lief Boromir schnell auf seinen Schwager zu und packte ihn am Kragen. „Was soll das sein? Ein schlechter Scherz? Sie wäre heute Nacht fast gestorben und du..." Aragorn erbleichte bei diesen Worten.
„Was sagst du da?" fragte er ungläubig. Boromir war so verdattert, dass er ihn losließ. „Du bist doch selbst bei ihr gewesen, Aragorn! Du hast sie doch selbst gesehen!" Aragorn ließ sich mit weichen Knien auf den Thron sinken. „Nein," flüsterte er. Boromir musterte ihn skeptisch. Er wusste einfach nicht, was er darauf erwidern sollte und machte auf dem Absatz kehrt.
„Ich werde nach dem Abendessen nach ihr sehen," murmelte Aragorn leicht abwesend. Boromir konnte förmlich an seiner Stimme hören, dass er sich schuldig fühlte. Er drehte sich um und sah den König scharf an. „Du solltest dir besser vorher etwas Anständiges anziehen," sagte er bestimmt und verließ den Raum. Schließlich wollen wir doch nicht, dass sie sich aufregt, setzte er in Gedanken hinzu.
Aragorn massierte sich die Schläfen. Irgendwie fühlte er sich müde – nicht zum ersten Mal in der letzten Zeit. Täglich erinnerten seine Berater ihn an seine Pflichten, aber er hatte es satt, sich ständig um all die unwichtigen kleinen Probleme kümmern zu müssen. Hörte das denn nie auf? Er hatte diese Verpflichtungen nie gewollt!
Und nun hatte ihm Boromir berichtet, dass seine Schwester sich krank fühlte. Was hatte er gesagt? Fast gestorben wäre? Warum wusste er davon nichts? War er denn wirklich dort gewesen? Aragorn versuchte sich zu erinnern, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Aber er würde sie ganz sicher nach dem Abendessen besuchen.
Elladan war im Palastgarten und erteilte Aiglos und Ionvamir Schwertkampfunterricht. Sein Neffe saß an der Seite des kleinen Springbrunnens und beobachtete seinen Cousin, der gerade mit dem Bruder seiner Mutter die Klingen kreuzte. Rasch warf er einen Blick zu dem Fenster der Häuser der Heilung, hinter dem seine Mutter lag. Er machte sich schon so seine Sorgen um sie, aber sein Vater hatte ihm versichert, dass es ihr bald wieder gut gehen würde.
„Das war schon ganz gut, Ionvamir, aber du solltest niemals unachtsam werden, wenn du kämpfst," grinste Elladan. Ionvamir starrte auf die Schwertspitze, die ihm mitten ins Gesicht deutete. Aiglos tauschte wortlose Blicke mit seinem Cousin und erhob sich lautlos.
Elladan fuhr mit seiner Lektion fort. „Sieh mal, mein Junge, du musst mich aufmerksam bei jedem meiner Schritte beobachten, denn dann wirst du wissen, was ich als nächstes vorhabe."
Aiglos war dicht an seinen Onkel herangeschlichen. „Das Wichtigste ist, dass du mich nie aus den Augen lässt, wenn..."
Mit einem Schrei hatte sich Aiglos auf Elladans Rücken gestürzt und auch Ionvamir war nicht faul. Er kam blitzschnell auf die Beine und packte den überraschten Elben am Arm. Gemeinsam brachten sie ihn zu Fall. Sofort stürzten sich die Jungen auf ihn und nagelten ihn am Boden fest. „Lass deinen Feind niemals aus den Augen!" lachte Aiglos. Elladan versuchte sich, aus ihrem Griff zu befreien, aber die Jungen waren erbarmungslos. Schließlich begannen sie alle zu lachen.
Plötzlich versteifte sich Elladan und brachte die Jungen mit einer raschen Geste zum Schweigen. Er lauschte aufmerksam. Hörte er da nicht einen seltsamen Gesang? „Runter von mir, schnell!" zischte er. Die Jungen leisteten sofort Folge. Elladan erhob sich und nun war er sich ganz sicher – jemand sang in der Nähe. Er versuchte herauszufinden, woher der Gesang kam, bei dem sich ihm die Haare im Nacken aufstellten.
Sein Blick fiel auf das Fenster an den Häusern der Heilung, hinter dem seine Schwester lag. Ohne ein Wort zu verlieren, stürmte er davon. Die Jungen standen nun etwas verloren im Garten herum und sahen sich an. „Und was machen wir nun?" fragte Aiglos. Ionvamir zuckte mit den Schultern. „Lass uns weitermachen! Langsam bekomme ich Übung darin!" Gesagt, getan – die Jungen stürzten sich erneut in den Kampf.
Elladan erreichte die Tür zum Krankenzimmer seiner Schwester und sofort kreuzten die Wachen ihre Klingen. „Was wollt ihr?" Elladan schenkte ihnen ein unschuldiges Lächeln und zeigte seine bloßen Hände. „Nichts was Unrecht ist. Ich will nur meine Schwester besuchen." Die Wachen nickten und ließen die Waffen sinken. Elladan konnte noch immer den seltsamen Gesang vernehmen. Die Sprache war ihm allerdings nicht bekannt.
Als er die Tür öffnete, sah er Mornuan, die dicht über das Bett Laiethas gebeugt saß und leise sang. Als sie ihn bemerkte, verstummte sie augenblicklich. Elladan musterte sie misstrauisch. „Was macht ihr da?" fragte er. Mornuan schenkte ihm ein unschuldiges Lächeln.
„Ich habe ihr nur ein Lied aus meiner Heimat vorgesungen, in der Hoffnung, es möge ihr gefallen!" Damit stand sie auf und sah ihn direkt an. Elladan huschte an die Seite seiner Schwester. Laietha schien zu schlafen, aber der Schweiß stand ihr auf der Stirn und sie sah gequält aus. Die Kriegerin atmete schwer.
„Könnt ihr nicht sehen, dass es ihr schlechter geht? Schnell, holt einen Heiler!" bellte Elladan. Mornuan zuckte mit den Schultern und schlenderte zur Tür hinaus. Elladan ergriff Laiethas Hand. „Muinthel mail1!" flüsterte er leise. Laietha stöhnte auf und öffnete die Augen. Er musste kein großartiger Heiler sein um zu erkennen, dass sie fieberte. So gut er es vermochte, konzentrierte er sich darauf, ihr etwas von seiner Stärke zu übertragen. Er legte ihr eine kühlende Hand auf die Stirn und sang ein paar leise elbische Verse. Langsam beruhigte sich ihr Atem.
Elladans Blick fiel auf ihr Haar – eine weitere rote Strähne war weiß geworden. Das Gesicht seiner Schwester war grau. Schnell untersuchte er die Wunde, aber es gab keine Zeichen einer Infektion oder, dass sie wieder geblutet hatte. Plötzlich spürte er einen festen Druck an seiner Hand. Sein Blick traf den seiner Schwester. „Was passiert mit mir, Elladan?" fragte sie heiser.
Er schüttelte den Kopf, selbst nicht wissend, was vor sich ging. Laietha zog sein Ohr dicht an ihren Mund heran. „Im gerich kaure, Elladan2." Sie sahen sich lange nur an. Natürlich musste sie nicht erwähnen, wovor sie sich fürchtete. Der Elb spürte das Herz der Frau rasen und schnell legte er Laietha die Hand auf die Brust. Die Kriegerin schloss die Augen und die Schläge wurden langsamer und kräftiger. Elladan versuchte, nicht darüber nachzudenken. Zunächst musste er seine Schwester beruhigen. Das war das Wichtigste.
Von draußen her wurde auf einmal Geschrei laut und Elladan lief schnell zum Fenster, um zu sehen, was dieses Spektakel verursacht hatte. Laietha lauschte aufmerksam. „Was ist da los?" fragte sie nicht ganz ahnungslos. Elladan drehte sich mit verräterischer Unschuldsmiene zu ihr. „Ach, nichts," log er. Laietha zog die Stirn kraus. „Nun sag mir schon, was wieder passiert ist." Der Elb zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nichts. Dein Sohn ist wohl nur grad über ein paar Heilkräuterbeete gerannt."
Schon hörten sie die verärgerte Stimme Boromirs und Aiglos, der versuchte sich zu rechtfertigen. Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Einige Augenblicke später betrat Boromir den Raum – ohne Aiglos. „At in Valar3," seufzte Laietha. „Was hast du dir diesmal als Strafe ausgedacht?" Boromir zuckte mit den Schultern. „Er muss so lange im Garten arbeiten, bis er die Arbeit eines Gärtners zu schätzen weiß." Er zog einen kleinen Blumenstrauß hinter dem Rücken hervor und stellte ihn in eine kleine Vase an ihrem Bett. Laietha lächelte ihn liebevoll an.
Boromir nahm neben ihr auf dem Bett Platz und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Kriegerin musste leise kichern. „Die Frau, die unseren Sohn einmal heiratet hat wirklich Glück. Meine Güte, er ist ja schon jetzt ein perfekter Gärtner, Koch, Tischler, Schneider, Stalljunge und Bäcker!" Boromir schüttelte den Kopf. „Ich wünschte, er würde mit diesen Dummheiten aufhören. Mir fallen langsam keine Strafen mehr ein." Er strich ihr sanft übers Haar und dann bemerkte auch er die weiße Strähne.
Er verzog erwartungsvoll das Gesicht, aber Laietha hatte sich entschieden, ihm nichts von Mornuans Besuch zu erzählen – es würde sich lächerlich anhören, wenn sie die Frau dafür verantwortlich machte. Wahrscheinlich wurde sie einfach nur alt. Aber um keinen Preis der Welt wollte sie alleine sein. „Boromir, kannst du mir einen Gefallen tun?" Mit einem schiefen Grinsen küsste er ihre Hand. „Was immer du willst, Liebes." Sie lächelte dankbar, denn eine andere Antwort hatte sie nicht erwartet.
„Lass mich heute Nacht nicht alleine." Er strahlte übers ganze Gesicht – fast als hätte er den ganzen Tag darauf gewartet, dass sie so etwas sagen würde. „Gib mir nur ein paar Minuten, um ein freies Bett zu finden!" Damit war er schon aus der Tür. Elladan lachte und nahm die Hand seiner Schwester. „Das war damals eine gute Wahl, Schwesterchen!" Sie lachten beide.
Es dauerte nicht lange und Boromir war wieder zurück. Er hatte es tatsächlich geschafft, noch ein Bett in den Raum bringen zu lassen und hatte mit Faramir abgemacht, dass Aiglos bei seinem Cousin schlafen würde. Die Jungen waren von diesem Vorschlag begeistert gewesen, auch wenn sie gerade dabei waren, den Mist aus den Pferdeställen zu den Komposthaufen zu karren – „Für fruchtbare Erde!" wie der Gärtner gedonnert hatte. Laietha lächelte ihn dankbar an. Nun fühlte sie sich schon viel sicherer.
Gegen Abend tauchte Aragorn für einen kurzen Besuch auf, aber schon nach wenigen Minuten, verabschiedete er sich wieder. Laietha war natürlich nicht entgangen, dass er müde und abgespannt aussah. Sie schüttelte den Kopf. Boromir entschied, dass es besser war, ihr nichts von dem Gespräch mit ihrem Bruder zu erzählen. Sie würde sich nur unnötig aufregen. Es dauerte nicht mehr lange und Laietha war eingeschlafen.
Boromir hielt ihre Hand. Die Sonne war untergegangen und blasses Mondlicht fiel ins Zimmer. Sie sah schrecklich verletzlich aus, aber die Heiler hatten versichert, dass sie es überstanden hatte. Nun musste sie nur noch wieder zu Kräften kommen. Trotzdem wollte Boromir etwas nicht in den Kopf – warum hatte sie ihn gebeten, in dieser Nacht bei ihr zu bleiben. Sie hatte fast ängstlich geklungen und so kannte er sie gar nicht.
Trotz allem war er froh, dass er nun wenigstens etwas für sie tun konnte. Die Nachtluft trug den Gesang der Vögel ins Zimmer und Boromir gähnte herzhaft. Vielleicht sollte er sich auch langsam zu Bett begeben. Behutsam zog er die Decke über Laiethas Schultern und strich ihr übers Haar. „Schlaf gut, meine Kriegerin," lächelte er und legte sich in sein Bett.
Boromir war schon weggedämmert, als er doch noch einmal erwachte. Er hörte leisen Gesang vor dem Fenster. Wer konnte das sein? Hier waren die Häuser der Heilung und eigentlich sollte hier niemand ein Ständchen zum besten geben. Nun, Boromir war zu neugierig, wer dieser Spaßvogel war und stand auf, um zum Fenster zu gehen. Er kam nicht weit, denn plötzlich hörte er Laietha stöhnen. Geschwind drehte er sich um und eilte an ihre Seite.
Sie sah aus, als würde sie etwas quälen. „Laietha, Liebes, wach auf!" flüsterte er und rüttelte sie sanft an der Schulter, aber sie hörte nicht. Vorsichtig warf er einen Blick auf die Wunde, aber es gab keine Spuren einer neuen Blutung oder Infektion. Vielleicht hatte sie nur einen bösen Traum. Beruhigend strich er mit den Fingern über ihr Gesicht. Er beugte sich hinunter, um sie sachte zu küssen.
Ein leichtes Glühen erfüllte den Raum und Boromir begann zu lächeln. Vorsichtig löste er die Kette, die er seit vielen Jahren um den Hals trug und noch nie abgelegt hatte. Mit einem Lächeln wog er den Elbenstein in der Hand. Sie hatte ihm dieses Juwel geschenkt, um sein Leben zu retten. Es hatte heilende Kräfte und linderte die Furcht.
„Du brauchst das jetzt nötiger als ich," lächelte er und legte ihr vorsichtig die Kette um den Hals. Sobald der Stein ihre Haut berührte, erfüllte ein grünliches Glühen den Raum. Laiethas Atem wurde ruhiger. Ihre zerfurchte Stirn glättete sich.
Boromir sah sie noch lange an, aber was immer ihren Schlaf gestört haben mochte, es war fort. Der Gesang war verstummt. Nur das sanfte Leuchten des Elbensteins und das Mondlicht erfüllten den Raum. Die Elben besaßen wahrhaftig die wundersamsten Dinge in dieser Welt.
„Niemand sollte sich so sehr für eine fremde Kultur interessieren, dass er die eigene darüber vergisst! Ich schaue voller Verachtung auf diejenigen, die sich so wenig für ihre eigene Kultur interessieren und anderen Kulturen vor ihrer eigenen den Vorzug geben. Ich kann nicht verstehen, dass sich Faramir so sehr für die Elben begeistert. Er sollte sich mehr mit den Menschen beschäftigen. Für mich ist Faramir ein Verräter seines eigenen Volkes! Ich werde nicht erlauben, dass du seinem Beispiel folgst und dich in Märchen über Elben verlierst, Boromir. Du wirst mich sicher nicht enttäuschen. Bleib deinem eigenen Volk treu, Boromir. Dein Interesse soll den Menschen gelten."
„Halt den Mund, Vater," murmelte Boromir und ergriff die Hand seiner Frau. Der Elbenstein schien ihr Kraft zurückzugeben, denn er konnte förmlich zusehen, wie sich ihre Wangen röteten und das Leben in ihren Körper zurückkehrte. Warum er nicht schon vorher auf diese Idee gekommen war!
Boromir küsste sie sanft auf die Lippen. „Im cen mellin4, Laietha," flüsterte er und musste lachen. Die elbischen Worte aus seinem Mund klangen so seltsam. Er schüttelte den Kopf. Kaum zu glauben, dass er sich mit solchen Dingen befasste. Boromir stieg zurück in sein Bett und es dauerte nun nicht mehr lange, und er war eingeschlafen. Sein leises Schnarchen erfüllte den Raum. „Ich liebe dich auch, Boromir," flüsterte Laietha mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, die Hand fest um den Elbenstein geschlossen.
Kurz nach dem Frühstück kamen Auranor und Eowyn, um Laietha einen Besuch abzustatten. Boromir verabschiedete sich, weil er sich ein wenig mit Bergil bei den Soldaten umsehen wollte. Jetzt, da er wusste, dass er abends wieder bei seiner Frau sein würde, genoss er die kurze Freiheit.
Eowyn lächelte wohlwollend und stellte ein paar frische Blumen neben die von Boromir. „Du siehst schon viel besser aus," stellte sie zufrieden fest. Laietha nickte. Sie fühlte sich auch besser. Ihre Wangen hatten wieder ein wenig Farbe bekommen und das Fieber war verschwunden. Auranor sprang aufs Bett und umarmte die Frau. „Tante Lai!" Laietha verzog das Gesicht und schob das Mädchen vorsichtig von ihrer Verletzung weg. „Ugh...immer langsam, Liebes! Ich freu mich ja auch, dich zu sehen!"
Sie plauderten den ganzen Vormittag über. Auranor wollte ihrer Tante gar nicht mehr von der Seite weichen und auch Laietha genoss die Gesellschaft des kleinen Mädchens. Auranor hatte sich an sie gekuschelt und flocht die dichten Locken zu einem Zopf. Eowyns Blick fiel auf das Juwel am Hals ihrer Freundin. Sie berührte den Stein vorsichtig. „Wow, was ist denn das? Das ist wunderschön!" Laietha lächelte.
„Ein Elbenstein. Mein Vater hat ihn mir einst geschenkt und ich gab ihn Boromir vor langer Zeit. Gestern Nacht ging es mir sehr schlecht und er hat ihn mir zurückgegeben." Die Herrin Rohans lächelte wissend. „Er liebt dich sehr." Die beiden Frauen begannen zu lachen. Auch Auranor wollte sich natürlich den Stein ansehen. Sie machte große Augen und hielt das Juwel vorsichtig in ihren Händchen. „Das ist aber schön! Und es ist von den Elben!"
Sie dachte eine Sekunde lang nach – Laietha und Eowyn grinsten, denn das Mädchen saugte dabei wie immer an ihrer Unterlippe. Plötzlich umarmte sie Laietha heftig und schmiegte sich fest an die Frau. „Tante Laaii..." Sie grinste Laietha breit an und die Frau war neugierig, was jetzt geschehen würde. „Was gibt es, Liebes?"
Das Mädchen sah sie aus großen blauen Augen an, die es unverkennbar von seiner Mutter geerbt hatte. „Ugh...du bist jetzt schon soooo lange hier und hast mir noch gar nicht wirklich viele Geschichten erzählt!" Eowyn nahm ihre Tochter auf den Schoß. „Deine Tante ist sehr krank. Sie muss sich noch ausruhen. Sie wird dir Geschichten erzählen, wenn sie wieder gesund ist." Laietha lachte.
„Oh nein, ich langweile mich zu Tode! Ich würde mich freuen, dir eine Geschichte erzählen zu können, Auranor." Die Augen des Mädchens begannen zu leuchten. „Au fein! Erzähl mir bitte eine Geschichte über die Elben!" quietschte sie fröhlich. „Biiiiiiitteeee!" Die Frauen begannen zu lachen. Laietha und Eowyn tauschten einen Blick aus und Eowyn zuckte mit den Schultern. „Du hast es nicht anders gewollt, Schwester!"
Auranor fürchtete, dass sie die Aufmerksamkeit ihrer Tante verlor. Sie kuschelte sich an Laietha an. „Bitte, eine ganz lange Geschichte, ja? Wir wollen ja nicht, dass du dich langweilst, Tante Lai!" Eowyn winkte ihr zu und verließ den Raum, aber Auranor war nun ganz auf ihre Tante konzentriert. Laietha sah das Mädchen lange an und lächelte schließlich. „Du bist zu fürsorglich, mein Schatz. Nun, meine liebe Nichte, was für eine Geschichte willst du denn hören?"
Auranor zog die Stirn kraus und saugte an ihrer Unterlippe. „Hm...ich will...hmmmm...am besten...hm...über Elben! Und...hm..." Ihr Blick fiel auf das Juwel an Laiethas Hals. „Und über ganz tolle Schätze!" Die Kriegerin lachte leise.
„Wie du willst. Also hör zu, was ich dir erzählen will. Du weißt ja, dass viele Elben geschickte Handwerker sind, und dass sie Schmuckstücke sehr schätzen. Es ist schon sehr lange her, da gab es einen unter ihnen, der war der beste Goldschmied aller Zeiten. Er schuf die schönsten Juwelen, die man je gesehen hatte, denn in ihnen war das Licht der zwei Bäume Yavannas eingeschlossen. Sein Name war Feanor – der Feuergeist. Alle Elben liebten diese Juwelen. Man nannte sie die Silmaril. Doch es gab jemanden, der war zerfressen von Gier und er begehrte nichts mehr als die Silmaril, also versuchte er, sie Feanor zu stehlen..."
1 Liebe Schwester!
2 Ich habe Angst, Elladan.
3 Bei den Valar!
4 Ich liebe dich.
