Bereg ging es nun schon ein wenig besser, worüber vor allem Olbern und seine Mutter sehr erleichtert waren. Endlich hatte der junge Mann auch ein wenig mehr Zeit für sich. In den letzten Tagen war er vor dem Morgengrauen aufgestanden und meist erst nach Mitternacht ins Bett gekommen. Während der Krankheit seines Vaters war viel Arbeit liegengeblieben. Jetzt hatte er die letzten Berichte durchgesehen und es war sogar noch etwas Zeit bis zum Frühstück. Heute würde er endlich einen Tag frei nehmen können.
Auf leisen Sohlen schlich er sich in Luthawens Zimmer. Die Morgensonne vertrieb die letzten Nebelschwaden aus dem Wald. Im Vorgarten des Hauses hatte er ein paar Blumen gepflückt und verteilte nun mit einem Lächeln die Blütenblätter über seiner schlafenden Freundin. Luthawen streckte sich, gähnte und drehte sich auf die andere Seite. Olbern lächelte still vor sich hin. Was war sie doch schön! Er konnte sein Glück noch immer nicht fassen! Sie war tatsächlich hier und seine Freundin...
Das Mädchen öffnete die Augen und strahlte ihn an. „Olbern!" Sie sprang aus dem Bett und warf sich in seine Arme. Er zog sich an sich und schenkte ihr einen zärtlichen Kuss. Dann fiel ihr Blick auf die Blütenblätter auf ihrem Bett. Sprachlos sah sie ihn an und der junge Beorninger schenkte ihr ein liebevolles Lächeln. „Sie waren so schön – ich musste einfach an dich denken – aber jetzt, wo ich euch nebeneinander sehe..."
Luthawen lachte und küsste ihn. Eine kühle Morgenbrise strömte ins Zimmer und Luthawen, die nur ihr Nachthemd trug, begann zu frösteln. Olbern scheuchte sie zurück ins Bett und deckte sie zu. Dann nahm er neben ihr auf dem Bett platz. Sie sah ihn an, als würde sie über etwas nachdenken. „Was hast du, Lutha?" fragte er vorsichtig. Das Mädchen druckste ein wenig verlegen rum. „Nun, ich habe mich nur gefragt...also...willst du mich nicht wärmen?"
Luthawen lief knallrot an und auch Olbern errötete verlegen. Dann fasste er sich aber ein Herz, zog sein Hemd aus und schlüpfte zu ihr unter die Decke. Luthawen kuschelte sich fest an ihn an und seufzte zufrieden. Olbern streichelte ihren Kopf.
Plötzlich fing das Mädchen leise an zu kichern. „Was ist denn so komisch?" fragte der junge Beorninger. „Ach nichts," grinste Luthawen, konnte sich aber nicht beruhigen. „Nur, wenn mein Vater das wüsste, würde er mich umbringen." Olbern verzog das Gesicht. „Du meinst wohl, er würde mich umbringen!" Beide begannen zu lachen. Olbern kitzelte Luthawen und sie küsste ihn auf die Nase. Derweil stieg die Sonne am Himmel immer höher.
Das Mädchen seufzte leise. „Was hast du denn?" fragte Olbern. In ihrer Gegenwart fühlte er sich oft ganz unsicher und doch so glücklich. Luthawen schüttelte den Kopf. „Ach nichts – ich war nur noch nie so lange von zu Hause fort."
Tatsächlich war es Olbern gelungen, den Tag über zur freien Verfügung zu haben und er war sehr glücklich darüber. Der junge Beorninger zeigte Luthawen und ihrer Familie voller Stolz die Wunder seines Volkes.
In der Tat waren Elrond und seine Söhne sehr beeindruckt von den Dingen, die Bereg in seiner Amtszeit erreicht hatte. Überall begegnete man ihnen mit Staunen – aber durchaus freundlich gesinnt. Sie spazierten durch das Dorf der Beorninger und Luthawen bewunderte die einfachen, aber schönen Schmuckstücke, die auf dem Markt feilgeboten wurden.
Viele Beorninger trugen Kleidung, die eindeutig aus Stoffen der Elben hergestellt waren. Es gab sogar einige Pferde aus Rohan auf dem Marktplatz und Steingut aus Esgaroth. Die Beorninger standen mit vielen der freien Völker im Handel, erklärte Olbern und in nicht allzu ferner Zukunft sollten auch Handelsruten mit Moria eröffnet werden.
Am späten Nachmittag kehrten sie zurück in Beregs Haus. Olberns Mutter bereitete ihnen ein gutes Mahl und sie aßen, als wären sie am Verhungern. Plötzlich öffnete sich die Tür und Bereg trat ein. Alle sahen ihn verwundert an. Es war einfach kaum zu glauben, wie viel besser es ihm bereits ging. Elrond untersuchte den Beorninger noch einmal und Luthawen sah ihm aufmerksam zu.
Der Elbenfürst erklärte seiner Enkelin genau, was er tat und ließ sie auch selbst schon ein wenig tun. Olbern lächelte stolz. Nur Elrohir saß etwas abwesend am Tisch. Er konnte sich nicht helfen, aber er hatte das Gefühl, dass etwas mit seiner Schwester nicht stimmte. Natürlich war das Unsinn. Laietha war sicher und wohlbehalten in Minas Tirith bei ihrem Bruder. Aragorn würde sie gut beschützen und niemals zulassen, dass ihr etwas passierte. Trotzdem wäre Elrohir lieber jetzt als später aufgebrochen, um nach dem Rechten zu sehen.
Elrond, Olberns Mutter und Bereg gingen hinaus. Sie wollten ein paar Boten zu Legolas schicken, um ihn von Aragorns bevorstehender Hochzeit zu informieren, denn Elrond und Elrohir hatten beschlossen, dass es sich nicht mehr lohnen würde, zu Thranduil zu reisen.
Luthawen und Olbern traten zu dem jungen Elben. „Was hast du, Onkel?" fragte Luthawen, der die besorgte Miene ihres Onkels nicht entgangen war. Elrohir lächelte gequält. Es war absurd. Laietha war in Sicherheit und er würde dem Mädchen keinen Schrecken einjagen. „Nichts, Liebes, alles ist in Ordnung."
Olbern legte dem Elben die Hand auf die Schulter. „Ich bin wirklich froh, dass dein Vater meinem geholfen hat. Wir sind ein Volk, das gut im Wald überleben kann, aber wir haben einfach zu wenig ausgebildete Heiler. Ohne die Hilfe von Herrn Elrond..., nun, wer weiß. Ich will gar nicht daran denken."
Elrohir fing sich wieder und begann zu lachen. „Nur keine Bange! Mein Vater ist ein ausgezeichneter Heiler und es gibt nur wenige Dinge auf dieser Welt, gegen die er nichts ausrichten kann." Olbern erwiderte sein Lächeln. „Dann lass uns hoffen, dass er ihnen nie begegnen wird, mein Freund."
Eine Woche war seit der Nacht vergangen, in der Laiethas Zustand zuletzt kritisch gewesen war. Faramir war in den Garten des Palastes geschlendert und mehr als froh gewesen, seine Schwägerin wieder auf den Beinen zu sehen. Endlich würde sein Bruder ihm wieder ein wenig Luft gönnen. Boromir war in der Zeit als seine Frau in den Häusern der Heilung gelegen hatte, mehr als anhänglich gewesen – für seine Verhältnisse.
Nun fand der Fürst von Ithilien seine Schwägerin im Garten sitzend, die ihrem Bruder Elladan zusah, wie er Aiglos im Schwertkampf unterwies. Faramir nahm neben ihr Platz. „Na, bist du wohlauf?" Laietha lächelte. „Ich bin froh, endlich wieder auf mein Zimmer zu dürfen. Und ich freue mich, dass ich hier in der Sonne sitzen kann. Ich konnte es noch nie besonders gut leiden, lange im Bett bleiben zu müssen." Faramir grinste breit. Das sah ihr so ähnlich! „Gut, zu hören."
Es dauerte keine zwei Minuten und Ionvamir kam in den Garten gerannt. „Hey, Aiglos," brüllte er, als er seinen Cousin entdeckt hatte. „Hast du heute schon was vor?" Boromirs Sohn warf sein Schwert achtlos zur Seite – und enthauptete dabei fast seinen Onkel. Laietha versetzte ihm einen kräftigen Klaps auf den Hinterkopf, aber Faramir grinste nur. „Du hast doch nicht schon wieder Unfug im Sinn, nicht wahr, mein Sohn?"
Ionvamir zog eine Unschuldsmiene und zuckte mit den Schultern. „Ich wollte meinen Cousin nur fragen, ob er mit zum Angeln kommen will." Aiglos sah seine Mutter aus großen Augen an. „Mama, darf ich? Bitte!" Laietha musste schmunzeln, erlaubte es ihm aber und wie ein Wirbelwind waren die Jungen auf und davon. Faramir und Laietha tauschten einen wissenden Blick und brachen in Gelächter aus. „Boromir kann sich wohl schon mal eine neue Strafe für unseren lieben Sohn überlegen," schmunzelte die Kriegerin.
Erstaunlicherweise hatte es Aiglos geschafft, sich an diesem Tag aus Scherereien herauszuhalten. Am Abend hatte Aragorn Faramir und Eowyn zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen.
Laietha hatte sich für ein Kleid aus dunkelgrünem Samt entschieden und da der Elbenstein farblich perfekt zu dem Stoff passte, entschied sie sich ihn offen zu tragen. Sie und Boromir tauschten ein Lächeln, als er seine Frau genau in Augenschein nahm. „Was bin ich doch für ein Glückspilz," schmunzelte er und hauchte ihr einen Kuß auf die Wange.
Auch Faramir und Eowyn trafen bald mit ihren Kindern ein und sie nahmen alle Platz. Aragorn war ebenfalls anwesend, aber er war ziemlich schweigsam. Er sah aus, als hätte er in der letzten Zeit wenig Schlaf bekommen. Laietha betrachtete es mit wachsender Besorgnis. Das gefiel ihr gar nicht. Sie würde in einer ruhigen Minute mal mit ihm reden.
Nun waren sie alle versammelt – nur Mornuan ließ auf sich warten. Eowyn und Laietha warfen sich vielsagende Blicke zu. Als Aragorns Braut schließlich erschien – strahlend schön, wie immer – erwachten auch die Lebensgeister des Königs wieder. Er stürmte zu ihr, um sie überschwänglich zu begrüßen. Laietha verzog das Gesicht. Missmutig begann sie zu essen.
Beim Abendessen spielte sich das gleiche Szenario wie bei den Essen zuvor ab. Aragorn hatte nur Augen für seine Verlobte und beachtete seine Gäste kaum. Laiethas Miene verfinsterte sich zunehmend. Boromir bemerkte es wohl, schüttelte aber im Stillen den Kopf über seine Frau, denn ihm war schon klar, was ihren Unwillen erregt hatte. Laiethas verfluchte Eifersucht raubte ihm den Verstand – von seiner eigenen ganz zu schweigen. Er gab es nicht offen zu, aber es wurmte ihn gewaltig, dass Laietha sich wegen Aragorn so aufregte. Boromir hatte gehofft, dass es sich legen würde, wenn seine Frau die Braut ihres Bruders erst näher kennengelernt hatte, aber dem war nicht so. Er bewunderte nur Mornuans Geduld.
Laietha versuchte ihren Ärger mühsam unter Kontrolle zu halten, aber es fiel ihr schwer. Wie konnte Aragorn sich nur so gehen lassen? Plötzlich erstarrte sie, denn sie spürte Mornuans kalten Blick auf ihr ruhen. Die Frau schien sie mit ihren Blicken durchbohren zu wollen. Laietha lächelte sie an und Aragorns Braut kopierte ihre Mimik.
„Ich bin wirklich froh, dass es dir besser geht, Schwester. Ich hätte nicht erwartet, dich so schnell wieder auf den Beinen zu sehen." Die Kriegerin zuckte mit den Schultern. „Die Leute in den Häusern der Heilung verstehen ihr Handwerk," war alles was sie sagte. Mornuan erhob sich und schlenderte zu ihrem Platz hinüber. Ein Frösteln überkam Laietha und sie straffte sich, um nicht aufzuspringen und fortzulaufen. Mornuan starrte auf das Juwel an ihrer Brust und plötzlich bedauerte Laietha, dass sie es so offensichtlich zur Schau getragen hatte.
Mornuan berührte es mit kennerhafter Miene. Laietha widerstand dem Drang, zurückzuweichen. „Das nenne ich hübsch. Wo hast du es her?" Laietha hatte nicht vor, ihr zu offenbaren, was sie da trug. „Es ist ein Geschenk," erwiderte sie knapp und vielleicht einen Hauch zu bissig. Schnell legte sie ihre Hand um den Stein, wie um ihn vor der Berührung Mornuans zu schützen. Aragorn lächelte sie ermunternd an, als er den Stein entdeckte.
„Es ist ein Geschenk unseres Ziehvaters – ein Elbenstein mit magischen Kräften. Ich denke, dass er der Grund ist, dass es meiner Schwester nun schon so viel besser geht." Laietha warf ihm einen giftigen Blick zu. Er redete zu viel. Früher hätte er bemerkt, dass sie ihre Gründe hatte, zu schweigen. Mornuan sah Laietha in die Augen und lächelte verstehend.
„So ist das also. Du kannst dich glücklich schätzen, solche Geschenke dein Eigen zu nennen." Laietha presste die Lippen zusammen. „Ich weiß," zischte sie mühsam kontrolliert. Mornuan schmunzelte. „Oh nein, tust du nicht, Kindchen." Damit begab sie sich zu ihrem Platz zurück.
Den Rest des Mahles über blieb Laietha stumm. Boromir nahm sich vor, später einmal mit ihr zu reden. Als die Tafel aufgehoben wurde und alle sich verabschiedeten, nahm Laietha jedoch die Gelegenheit wahr, um ihren Bruder kurz abzupassen.
„Ich muss mit dir reden, Dunai." Aragorn sah sie unglücklich an. „Muss das jetzt sein, Aiwe? Ich wollte eigentlich den Abend mit Mornuan verbringen. Kann das hier nicht warten?" Sie verdrehte entnervt die Augen. „Ich schätze nicht! Was zum Balrog ist mit dir los, Dunai?" Er blinzelte sie verständnislos an. „Ich weiß nicht, was du meinst, Laietha."
Die Kriegerin schnaubte wütend. „Das ist ja wohl mehr als offensichtlich! Ich frage mich schon die ganze Zeit, wo du die Weisheit, für die du geschätzt wirst gelassen hast!" Aragorn sah sie böse an. „Hüte deine Zunge, kleine Schwester. Du redest noch immer mit dem König." So hatte er noch nie zuvor mit ihr gesprochen, aber Laietha hatte keine Furcht – schließlich war er ihr Bruder und die Geschwister hatten sich immer ehrlich die Meinung gesagt, auch wenn – gerade Laietha – man diese lieber nicht hatte hören wollen. Und nun war es wirklich an der Zeit, Aragorn den Kopf zu waschen.
„Jetzt stell dich nicht dümmer als du bist, Aragorn. Glaubst du, du könntest mir etwas vormachen? Du hast nur noch Augen für deine Braut und darüber vergisst du, wer du bist!" Laietha war aufgebracht. Sie wedelte mit der Hand vor der unordentlichen Kleidung ihres Bruders herum. „Wie du rumläufst! Nennst du das königlich? Armes Gondor kann ich dann nur sagen! Du vernachlässigst deine Pflichten..." Aragorn drehte sich um und wollte seine Schwester stehen lassen, aber sie packte ihn am Ärmel seines Gewandes und wirbelte ihn herum. „Ich bin noch nicht fertig, Aragorn!"
Blitzschnell legte ihr Aragorn die Hand an die Kehle. „Aber ich habe genug gehört. Was ich tue und lasse, geht dich gar nichts an, Weib." Mornuan war aus dem Speisesaal zu ihnen getreten und beobachtete die Szenerie amüsiert. Laietha kochte innerlich. „Vielleicht solltest du dann dein Amt niederlegen und es jemanden übertragen, der sich besser um die Aufgaben eines Königs kümmert als ein liebestrunkener Narr!" fauchte sie.
Nun ging alles so schnell, dass Laietha nicht einmal wusste, wie ihr geschah. Der König versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. „Sei froh, dass du meine Schwester bist, denn sonst hätte ich dich schon längst in den finstersten Kerker werfen lassen. Wage es ja nie wieder, dich in meine Angelegenheiten einmischen zu wollen, Annaluva, oder du wirst es bereuen." Seine Stimme war ein bedrohliches Flüstern und sein Blick ließ selbst die kühne Kriegerin zurückweichen. „Du bist nicht du selbst, Elessar," murmelte sie kaum hörbar. Aragorn schnaubte und stapfte davon.
Mornuan trat an Laiethas Seite und bedachte die Kriegerin mit einem zuckersüßen Lächeln. Sie legte Laietha sanft eine Hand auf die Schulter und beugte sich zu ihr, um ihr etwas ins Ohr zu wispern.
„Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich in Zukunft aufpassen, was ich sage. Mir scheint, du stehst zur Zeit nicht allzu hoch in der Gunst deines Bruders. Vielleicht hat er deine verräterischen Ratschläge satt. Und wir alle wissen doch, was mit Verrätern geschieht, nicht wahr?" Sie strich Laietha mit einem Finger über die Wange und hinterließ eine rote Strieme mit ihrem Nagel. Die Kriegerin war zu schockiert, um eine passende Antwort zu finden. Mornuan schlenderte fröhlich summend hinter ihrem Bräutigam her.
Boromir sah seine Frau im Gang des Palastes stehen und er fand, dass es eine günstige Gelegenheit war, ein Wort mit ihr zu wechseln. Selbst Faramir und Eowyn hatten ihn beim gemeinsamen Essen schon gefragt, was mit seiner Gattin loswäre. Langsam wurde es kindisch. Seine Frau schien sein Kommen kaum zu bemerken. Boromir legte ihr die Hand auf die Schulter und als sie sich zu ihm umdrehte, sah er, dass ihr die Tränen in den Augen standen. Das war seltsam! Boromir sah sie besorgt an.
„Was hast du? Ist etwas passiert?" Laietha zuckte mit den Schultern, ihre Unterlippe begann zu zittern und sie warf sich in seine Arme. Boromir verstand die Welt nicht mehr. Was ging hier vor sich? Hatte sie Schmerzen? „Sch...Laietha, was ist denn los?" fragte er sanft. Die ersten Tränen durchnässten den Stoff seines Hemdes. „Er muss wahnsinnig sein! Was für einen bösen Fluch hat sie nur über meinen Bruder gelegt?" schluchzte Laietha.
Boromir versteifte sich. Darum ging es also...
Er nahm sie sanft bei den Schultern und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Laietha, darüber haben wir doch schon gesprochen. Du hast absolut keinen Grund, eifersüchtig auf sie zu sein."
„Ich bin doch nicht eifersüchtig, verdammt!" schluchzte sie. Boromirs Gesicht blieb ernst. „Du hast schon deine Familie, Laietha. Nimm ihm nicht das Recht auf eine eigene." Die Kriegerin sah ihn wütend an. Er verstand gar nichts!
„Lass mich in Ruhe! Ich weiß, was ich weiß! Und hier geht etwas seltsames vor sich! Warum seht ihr das alle nicht?" Sie wollte sich seinem Griff entwinden, aber Boromir hielt sie eisern fest. „Das einzig seltsame, das ich hier sehe, ist das Benehmen meiner Frau. Das ist kindisch. Hör auf damit! Reiß dich gefälligst zusammen, Laietha!"
Sie riss sich los und stürmte davon. Boromir sah ihr kopfschüttelnd nach. Seine Frau war in letzter Zeit ein wenig schwierig. Hoffentlich machte sie keine Dummheiten.
Laietha rannte, als wäre der Balrog hinter ihr her. Zwar sah sie durch den Tränenschleier vor ihren Augen kaum, wohin sie ihre Beine trugen, aber es war ihr auch egal – sie wollte einfach nur fort. Ihr Bruder hatte den Verstand verloren und nicht einmal ihr Mann schenkte ihr Glauben. Sahen sie denn alle nicht, was hier vor sich ging?
Sie wurde langsamer. Aber vielleicht hatte Boromir auch recht. War sie eifersüchtig? Vielleicht sah sie ja wirklich nur Gespenster! Boromir hatte nichts verdächtiges an Mornuan bemerkt, auch sein Bruder Faramir hätte doch gewiss etwas gesagt, wenn Mornuan etwas im Schilde führte. Laietha lehnte sich gegen eine Wand in ihrem Rücken.
„Sieh es ein, du bist ein närrisches, von Eifersucht zerfressenes altes Weib, Annaluva." Sie würde sich morgen bei Aragorn und Mornuan für ihr ungebührliches Verhalten entschuldigen. Sie seufzte laut und machte sich auf den Heimweg in den Palast – tief in Gedanken.
Laietha sah die vier Gestalten, die sich aus dem Schatten lösten zuerst nicht und selbst wenn – es hätte sie nicht gestört, denn die Straßen in Minas Tirith galten als sicher. Sie wurde erst stutzig, als es schon zu spät war und sie den Dolch eines der Männer funkeln sah. Aus einem Reflex heraus griff sie an ihre Seite und fluchte im Stillen, denn ihr Schwert trug sie nicht bei sich. Hinter ihr wurde boshaftes Gekicher laut.
„Sieh nur, Tion, da scheint sich jemand verlaufen zu haben," lachte einer von ihnen. Laietha sah sich blitzschnell um. Sie hatten sie eingekreist und es gab keine Chance zur Flucht. Sie versuchte sich zu orientieren und kam zu dem Schluss, dass sie in einem der äußeren Ringe war – weit weg vom Palast – weit weg von den Posten der Wachen.
Ein großer Mann, der sich bis jetzt in den Schatten gehalten hatte, trat auf sie zu. Er hatte nur ein Auge, das andere war von einer schwarzen Klappe verdeckt und als er grinste, enthüllte er eine Reihe bräunlicher Stummel, die in seinen besseren Tagen wohl einmal Zähne gewesen waren. „Holde Maid, ihr habt doch sicher ein paar Almosen für einen armen Mann übrig, nicht wahr?"
Sie war sich ihrer reichen Kleidung wohl bewusst, wenn sie auch kein Geld bei sich hatte, aber einer Frau konnten üblere Sachen geschehen, wenn sie alleine in der Stadt unterwegs war. Laietha trug nur einen wertvollen Gegenstand bei sich und den hatte der Anführer der Banditen jetzt entdeckt. Er nahm den Elbenstein in seine schmierigen Finger.
„Das nenne ich einen hübschen Stein. Habt ihr nicht eben gesagt, dass ihr ihn mir schenken wollt?" Laietha biss sich auf die Lippen. Wenn ihr das Leben lieb war, sollte sie besser schweigen, aber sie spürte bereits jetzt, dass ihr ein paar wütende Flüche in den Sinn kamen. Der Anführer wollte ihr den Stein abnehmen, als sie einen Schritt nach hinten wich und ihn böse anfunkelte. Die Männer um sie herum brachen in Gelächter aus und sie hörte, wie Waffen gezogen wurden.
„Aber, aber, wer wird denn geizig sein, edle Frau," lachte der Anführer. Die Männer zogen den Kreis um sie immer enger.
„Auseinander, Lumpenpack!" Ein Pfeil zischte durch die Luft und traf den Mann neben Laietha in die Schulter. „Die Palastwache," fluchten die Räuber und wie Ungeziefer verschwanden sie spurlos in den dunklen Gassen aus denen sie hervorgekrochen waren. Laietha bemerkte erst jetzt, dass sie die Luft angehalten hatte und atmete tief durch. Das war wirklich knapp gewesen!
„Laietha!" Sie erkannte Bergil unter den Soldaten und er umarmte sie erleichtert. „Was machst du denn hier? So weit draußen!" Der junge Soldat schüttelte den Kopf. „Komm, lass uns auf den Schrecken erst einmal ein Bier trinken. Ich habe jetzt sowieso Schluss."
In der Wirtschaft eingekehrt, ein kühles Bier vor der Nase, stopften sie ihre Pfeifen und saßen eine Weile lang schweigsam rauchend nebeneinander. Laietha schüttelte den Kopf. „Das kann auch nur mir passieren! In Minas Tirith überfallen zu werden!" Bergil sah sie lange an. Sein Gesicht war ernst. „Leider ist das keine Seltenheit mehr." Laietha starrte den jungen Mann bestürzt an und er begann zu berichten.
Die Straßen von Minas Tirith waren seit einiger Zeit nicht mehr sicher. Diebsgesindel trieb sein Unwesen, denn die Palastwache war deutlich unterbesetzt. „Der König kümmert sich zu wenig um seine Leute. Vieles geht drunter und drüber und das nutzt dieses Pack natürlich aus. Jemand sollte mit ihm reden." Er sah Laietha bittend an, aber die Kriegerin schüttelte resigniert den Kopf.
„Ich habe es heute erst versucht, aber er hat mir nicht zugehört. Was soll ich schon ausrichten?" Hilfloses Schweigen trat zwischen sie und Bergil seufzte laut. „Dann sieht es übel aus – wenn er nicht mal auf dich hört. Niemand anders würde es wagen, mit ihm zu sprechen – aus Angst vor der Strafe." Die Kriegerin sah ihn neugierig an. „Strafe?" Bergil nickte. Dann berichtete er von dem Botschafter, den Aragorn ins Gefängnis hatte werfen lassen, als er ihm widersprochen hatte.
Laietha entgleisten die Gesichtszüge und sie dachte an das Gespräch der Frauen in den Häusern der Heilung, das sie belauscht hatte. Es stimmte also. Sie zuckte mit den Schultern. „Also schön, ich werde versuchen, mit ihm zu sprechen, aber ich fürchte, es wird nicht viel nützen..." Bergil nickte. „Wenn er nicht auf dich hört, auf wen denn dann?" Darauf wusste auch Laietha keine Antwort.
Es war schon später Abend, als Laietha endlich wieder im Palast eintraf. Sie war von einer seltsamen Unruhe erfüllt und verwirrt. Gerade hatte sie sich damit abgefunden, dass sie sich wie ein dummes Kind benahm und dann bat sie Bergil, mit Aragorn zu sprechen. Gedankenverloren wiegte sie den Elbenstein in ihrer Hand. Als sie ihr Zimmer betrat, sah sie Boromirs vertraute Umrisse im Bett liegen und hörte seinen regelmäßigen Atem.
Langsam zog sie ihr Kleid aus und setzte sich an die kleine Kommode vor den Spiegel. Mit sorgfältigen Strichen, bürstete sie ihr Haar. Laietha betrachtete die grauen Strähnen und rückte ein wenig dichter an den Spiegel heran. Mit einem Seufzen lehnte sie sich zurück, als sie bemerkte, dass sie die Lachfalten um ihre Augen nicht verschwinden lassen konnte. Sie fühlte nicht die geringste Müdigkeit. In ihrem Kopf schwirrten alle möglichen Gedanken. Sie würde wohl doch nicht umhin kommen, ihren Bruder um ein Gespräch zu bitten. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen bei dem Gedanken daran, dass Aragorn vielleicht noch einmal so wütend werden könnte. Seine Worte hatten sie mehr als die Ohrfeige geschmerzt.
Laietha fröstelte in der kühlen Nachtluft und begab sich zu ihrem Bett. Lautlos schlüpfte sie unter die Decke und es tat gut, Boromirs Wärme zu spüren. Sie schloss die Augen. „Tut mir leid, dass ich dich angebrüllt habe." Sein warmer Körper presste sich gegen ihren Rücken und Boromirs Duft umhüllte sie wie eine zweite Decke. „Kannst du mir verzeihen?" Laietha drehte sich zu ihm um und hauchte ihm lächelnd einen Kuss auf die Lippen.
Er seufzte und drückte sie fest gegen sich. „Du hast ja recht, Laietha, er benimmt sich wirklich seltsam, aber vielleicht ist das die Aufregung. Weißt du noch, wie verrückt ich mich vor unserer Hochzeit benommen habe?" Sie schmunzelte und ihr Mann strich ihr sanft über die Wange. „Siehst du, es gibt nichts, was du befürchten müsstest." Von draußen klang ein fremder Gesang zu ihnen ins Zimmer hinein und Laietha begann herzhaft zu gähnen. „Du hast recht, Liebster. Vielleicht sehe ich Gespenster!"
Boromir lächelte und stieg aus dem Bett, nur um sich hinzuknien und hinunterzusehen. Mit einem breiten Grinsen kam er wieder zum Vorschein. „Dort sind jedenfalls keine," lächelte er und Laietha begann zu lachen.
Nachdem Boromir auch den Wandschrank und die Kommode nach Gespenstern abgesucht hatte, kam er zu ihr ins Bett zurück. „Du vermisst dein kleines Töchterchen, nicht wahr?" Boromir lächelte schief und nickte ihr zu. „Vielleicht wird sie ja Olbern heiraten und uns bald mit Enkelkindern beglücken," neckte die Kriegerin ihn. Boromir verdrehte die Augen. „Beim Turm von Ecthelion," stöhnte er gequält. Laietha lachte leise und vergrub ihren Kopf an seiner Brust. Ihr Mann küsste sie sachte auf die Stirn und noch während sie seinem Herzschlag lauschte, fielen beide in einen tiefen Schlaf.
Aiglos erwachte kurz nach Sonnenaufgang. Er sah sich eine Weile die Wände in seinem Zimmer an und begann, sich schrecklich zu langweilen. Ihm fehlte seine Schwester. Gestern hatte er ein Mädchen getroffen, das ihm gut gefallen hatte und nun, wo er ihren Rat mal brauchte, war sie nicht da. Typisch! Der Junge schwang die langen Beine aus dem Bett und lief zum Fenster. Die Morgensonne flutete die Weiße Stadt mit ihren goldenen Strahlen und langsam begannen die Leute in den Straßen zu erwachen.
Boromirs Sohn nutzte die Zeit, um sich lange im Spiegel anzusehen und sein glattes Kinn gründlich, aber vergeblich nach Bartflaum zu untersuchen. Er seufzte laut. Auch auf seiner Brust wollten sich die ersehnten Haare nicht einstellen. Neidvoll dachte er an seinen Badeausflug mit Olbern, als er den dunklen Flaum auf dessen Brust bewundert hatte. Ach, wenn er doch endlich ein Mann wäre!
Als auch sein Starren den Haarwuchs nicht förderte, wusch sich Aiglos, kämmte seine Haare, die er zu einem kurzen Zopf zusammenband, und zog sich an. Sein Magen knurrte laut. Es wurde Zeit, seine Eltern zum Frühstück zu wecken.
Als er in das Zimmer seiner Eltern kam, bot sich ihm ein seltsames Bild. Sein Vater saß mit entnervten Gesicht auf dem Bett, während seine Mutter auf Knien das Zimmer absuchte. „Laietha, jetzt beruhige dich, es muss ja irgendwo sein!" Aiglos sah seinen Vater fragend an, aber der zuckte nur hilflos mit en Schultern, als seine Frau zum siebenten Mal an diesem Morgen einen Blick in die Schublade ihrer Kommode warf.
„Ich kann es nicht finden! Es ist einfach weg!" jammerte Laietha und machte sich erneut daran, das Bett zu durchsuchen. „Vielleicht hast du es heute Nacht verloren. Schatz, wir werden es finden!" Aiglos sah seiner Mutter nach, die mit einem verzweifelten Ausdruck im Gesicht ihre Sachen durchwühlte. „Was ist denn los?" fragte er. Boromir seufzte und begann zu erklären.
Laiethas Elbenstein war verschwunden. Sie hatten nun schon den ganzen Raum auf den Kopf gestellt und Laietha war fest davon überzeugt, ihn nicht abgelegt zu haben – aber sie fanden nicht die geringste Spur von dem Schmuckstück. Aiglos´ Mutter war verzweifelt. Boromir seufzte und nahm sie tröstend in den Arm. „Lass uns erst mal etwas essen gehen – dann sieht die Welt schon ganz anders aus. Im Moment bringt das doch alles nichts. Nach dem Frühstück werden wir es schon finden, es sei denn, Elbensteine lösen sich für gewöhnlich in Nichts auf."
Aber auch nach den Frühstück blieb das Juwel verschwunden und Laietha begann zu weinen. Elladan beteiligte sich nun auch an der Suche und Boromir war zu einem Treffen mit seinem Bruder aufgebrochen, zu dem ihn Aiglos begleitet hatte. Es half nichts – Laietha und Elladan wurden nicht fündig und am Nachmittag stattete Auranor ihrer Tante einen Besuch ab.
Mit großen Augen sah das kleinen Mädchen die Frau an, die auf dem Bett saß und weinte. „Tante Lai..." begann sie schüchtern und tapste auf Laietha zu. Die Kriegerin wischte sich schnell die Tränen aus den Augen und lächelte das Mädchen an. „Was gibt es, mein Sonnenschein? Ich freu mich, dich zu sehen." Auranor wischte ihr mit ihren Knubbelfingern eine Träne von der Wange. „Was ist denn los? Warum bist du so traurig?" Laietha nahm ihre Nichte fest in den Arm.
„Ich habe etwas verloren. Das ist alles. Bist du gekommen, damit ich dir wieder eine Geschichte erzähle?" Auranor nickte zuerst, begann dann aber unruhig hin und her zu rutschen. „Du, Tante Lai..." Laietha sah sie aufmerksam an. „Was ist, Liebes?" Auranor kletterte auf ihren Schoß und schmiegte sich fest gegen die Brust der Kriegerin. „Ich will dir ein Geheimnis verraten, wenn du mir versprichst, nicht mehr traurig zu sein." Die Kleine machte ein ernstes Gesicht. Laietha lächelte. „Versprochen."
Auranor presste ihre Lippen ganz fest an Laiethas Ohr. „Ich habe einen Silmaril gefunden," flüsterte sie. „Zuerst wollte ich ihn ja Mama schenken, aber jetzt geb ich ihn dir, damit du nicht mehr traurig bist." Sie steckte ihre Hand in die Tasche ihres Kleides und zog etwas hervor.
Laietha dachte mit einem Lächeln an eine kleine Holzschachtel bei sich daheim, in der sie ein gutes Dutzend „Silmaril – Kiesel" aufbewahrte, die Luthawen und Aiglos ihr geschenkt hatten. Lächelnd streckte sie ihre Hand aus. „Das ist wirklich süß von dir, mein Schatz!" schmunzelte sie.
Auranor öffnete ihre Faust und als Laietha ihr Geschenk empfing, konnte sie einen erstaunten Schrei nicht unterdrücken. Das Mädchen lächelte befriedigt.
Elladan, der den Aufschrei seiner Schwester gehört hatte, kam ins Zimmer gestürmt. Er hatte draußen auf dem Flur nach Laiethas Kette gesucht. „Alles in Ordnung?" fragte er besorgt. Laietha winkte ihn zu sich – ihre Miene war eine Mischung aus Freude, Entsetzen und Überraschung und selbst der Elb konnte nicht sagen, welches Gefühl zu überwiegen schien. Langsam öffnete Laietha die Hand und Elladan keuchte erstaunt. Sie starrten eine ganze Weile lang fassungslos auf den grünen Elbenstein. Auranor war vollauf mit sich zufrieden.
Laietha wandte sich ihrer Nichte wieder zu. „Mein kleiner Schatzsucher, wo hast du den denn gefunden?" Auranors Augen begannen zu leuchten. „Kommt mit, ich werde es euch zeigen. Vielleicht finden wir ja noch viel mehr davon!" Das Mädchen stürmte aus dem Zimmer und nachdem Laietha die Kette wieder um ihren Hals gelegt hatte, folgten sie und Elladan dem Kind. Sie waren nun zu neugierig, wohin sie Faramirs Tochter führen würde.
Schnurstracks marschierte Auranor in den Garten – Laietha und Elladan folgten ihr auf dem Fuße. „Ich habe grade Verstecken gespielt und da hab ich den Silmaril hier liegen sehen. Er war ganz schön gut versteckt." Laietha und Elladan tauschten vielsagende Blicke. Der Elb sah sich den Boden an, aber Auranor hatte alle Spuren zertrampelt – falls welche dort gewesen waren. Sie hatten beide einen Verdacht, wer Laiethas Kette dort versteckt haben könnte, aber das Wichtigste fehlte ihnen leider – ein Motiv und Beweise.
Gedankenverloren strich Laietha ihrer Nichte durchs Haar. Auranor sah sie mit großen Augen an. „Erzählst du mir noch eine Geschichte, Tante Lai?" Die Kriegerin musste schmunzeln und auch Elladan feixte. „Von Elben und Drachen und Schätzen! Am besten die von dem kleinen Hobbit, der bei Onkel Legolas war und den Drachenschatz gefunden hat!"
Nun begannen Elronds Kinder laut zu lachen. „Du kennst die Geschichte doch schon auswendig," versuchte Laietha Auranor milde zu stimmen, aber das kleine Mädchen zog einen Flunsch. Plötzlich hatte Elladan die rettende Idee. „Was hältst du davon, wenn wir selbst nach Schätzen suchen?" Auranors Augen begannen zu leuchten. Das war ganz nach ihrem Geschmack.
„Meint ihr, wir finden hier noch mehr Schätze?" fragte sie hoffnungsvoll und schielte zu der Stelle, wo sie Laiethas Kette gefunden hatte. Die Kriegerin schmunzelte. „Ich glaube nicht – das wäre zu einfach. Nein, wir werden unseren Schatz schon eine Weile suchen müssen."
Gegen Abend kam Eowyn in den Garten spaziert und hörte schon von Weitem das fröhliche Lachen ihrer kleinen Tochter. Da kamen sie auch schon – Auranor auf den Schultern ihrer Tante, die von einem wütend fauchendem Elladan verfolgt wurde. Der Elb war ganz rot im Gesicht. „Schneller, Tante Lai!" jubelte Auranor und lachend kam die lustige Gesellschaft vor Eowyn zum Stehen.
Faramirs Frau musste gar nicht fragen, was los war, denn Auranor erklärte es ihr ganz von allein. „Onkel Elladan ist ein böser Drache. Wir haben ihm seinen Schatz gestohlen. Sieh nur – für dich, Mama!" Auranor streckte ihr die Hand entgegen und mit einem Ausruf der Verwunderung, nahm die Herrin Rohans die wundervollen Geschenke entgegen.
Einige interessant geformte, glitzernde Steine – vielleicht waren das ja die lang verlorengeglaubten Silmaril, wer konnte das schon genau sagen? Die Teile einer zerbrochenen Tasse, die bestimmt einmal Aule gehört hatte – eine echte Rarität. Und einen schneeweißen Kiesel – ein Drachenzahn.
Eowyn nahm diese wertvollen Geschenke voller Entzücken entgegen. Es hatte gut getan, wieder einmal einen Nachmittag ganz allein mit Faramir zu verbringen, aber nun war sie auch heilfroh, ihre Tochter wiederzuhaben. Sie bedankte sich bei ihrer Schwägerin und Laietha erwiderte das Lächeln. „Keine Ursache. Ein freier Nachmittag ist etwas herrliches."
Zusammen gingen sie in Richtung des Palastes. Im Garten kamen sie an Ionvamir und Aiglos vorbei, die sich im Bogenschießen übten. Eowyn verabschiedete sich und machte sich auf den Heimweg. Laietha und Elladan sahen den Jungen noch ein wenig zu. Dann machten auch sie sich af den Weg zu ihren Gemächern. Zuerst liefen sie schweigend nebeneinander her. Elladan warf Laietha einen Blick zu. „Was hast du?" Die Kriegerin sah sich auf dem Gang um, schüttelte dann aber den Kopf. Nicht hier.
Als sie Laiethas und Boromirs Gemach erreicht hatten, setzten sie sich an den kleinen Tisch und sahen sich lange an. „Du hast einen Verdacht, nicht wahr?" Laietha nickte. „Ja, den habe ich." Sie sah sich noch einmal im Raum um und fuhr dann in der Sprache der Elben fort.
„Etwas stimmt hier nicht. Meine Kette ist ganz gewiss nicht von alleine in den Garten gekommen und wenn du dich einmal genauer umsiehst – hier läuft nichts so wie es sollte. Ich denke, dass Mornuan irgendwie ihre Finger im Spiel hat, aber ich weiß noch nicht wie – und ich kann nichts beweisen." Der Elb nickte. „Ich verstehe, was du meinst, Schwester. Wir sollten versuchen herauszufinden, was hier vor sich geht."
Mit einem lauten Knall flog die Tür auf. Laietha und Elladan fuhren zusammen und starrten auf den fassungslos dreinblickenden Boromir. Er schnaubte vor Wut und brachte kein Wort über die Lippen. Laietha erhob sich schließlich. „Was ist denn los mit dir?"
Der Krieger rammte wütend seine Faust in ein Kissen. „Er muss den Verstand verloren haben!" knurrte er. Laietha und Elladan sahen ihn erwartungsvoll an. Boromir begann zu berichten. Er hatte den Nachmittag bei Beregond und seinen Männern verbracht und war nun gerade auf dem Heimweg gewesen, als er aus dem Flur Lärm hörte. Er war darauf zugelaufen und hatte Aragorn und Aiglos gefunden.
„Ionvamir und Aiglos haben bei ihren Bogenschießübungen im Garten aus Versehen ein Fenster zerbrochen. Aragorn hatte es gesehen und Aiglos musste sofort zu ihm kommen. Dein Bruder hat sich wie ein Irrer aufgeführt! Als ich dort ankam, wollte er Aiglos übers Knie legen!" Boromir schüttelte den Kopf. „Ich kann es immer noch nicht glauben! Es war doch nur ein Fenster, verdammt!" Laietha versuchte ihn zu beruhigen, aber ihr Mann war außer sich. „So habe ich ihn noch nie gesehen! Was ist nur in ihn gefahren?"
Elladan machte sich zum Gehen bereit. Er lächelte Laietha traurig an. „Wir sehen uns später." Sie nickte. Nachdem Elladan den Raum verlassen hatte, berichtete Boromir von seinem Besuch bei Beregond. Auch in der Armee war die Stimmung getrübt und Laietha dachte an die Begegnung mit den Straßenräubern. Elladan hatte Recht – sie mussten handeln.
Sie waren früh zu Bett gegangen und die Stimmung war gedrückt gewesen. Sowohl Laietha als auch Boromir hatten ihren eigenen Gedanken nachgehangen und Aiglos war erstaunlich ruhig gewesen. Boromir war eingeschlafen und als sie sein vertrautes Schnarchen hörte, stand Laietha so leise wie möglich auf und zog sich an. Für einen Moment hatte sie überlegt, ihren Mann einzuweihen, aber sie wollte nichts sagen, bevor sie nicht einen Beweis in den Händen hielt. Noch war es zu früh, aber mit etwas Glück...
Auf Zehenspitzen verlies sie den Raum und schlich über die leeren Flure des Palastes. An Elladans Zimmer angekommen, klopfte sie leise und wenig später erschien das Gesicht ihres Bruders in der Tür. „Lass uns in den Garten gehen. Das Licht der Sterne hilft mir immer, mich zu konzentrieren," flüsterte er und Laietha stimmte ihm zu.
„Was hältst du von ihr, Elladan?" fragte Laietha fast schüchtern. Der Elb zuckte mit den Schultern und starrte den vollen Mond an. „Keine Ahnung, aber irgendwie ist sie mir nicht geheuer." Laietha atmete erleichtert auf. „Bei den Valar, ich bin nicht die Einzige, das bedeutet, dass ich nicht verrückt bin!" Elladan zerzauste ihr das Haar. „Schön für dich, Schwesterchen, aber was sollen wir machen? Du hast gesagt, dass Elessar nicht auf dich hören will und außerdem wird ein schlechtes Gefühl wohl kaum als Beweis reichen."
Sie wollte gerade etwas erwidern, als aus dem Garten ein Schrei gellte. Beide erstarrten und die Haare in Laiethas Nacken sträubten sich. Sie hatte die Stimme sofort erkannt, würde sie selbst im stärksten Sturm erkennen, und der Schrei hatte von Schmerzen gezeugt. Die Geschwister sahen sich mit großen Augen an. Laietha begann zu laufen. „Aragorn," keuchte sie.
Elladan sprintete hinter ihr her und holte sie schnell ein. Er packte sie am Arm, um sie zum Stehen zu bringen und legte ihr die Hand auf den Mund. Mit seinen scharfen Elbenaugen hatte er Aragorn ausgemacht. Und er war nicht allein.
„Was ist los? Wir müssen ihm helfen, Elladan! Was ist, wenn er in Gefahr ist? Lass mich los!" Der Elb legte den Finger auf seine Lippen. „Still jetzt, Laietha. Wir müssen leise sein." Vielleicht würden sie schon bald wissen, warum sich ihr Bruder so seltsam benahm.
Sie schlichen durch den Garten und bald konnte auch Laietha einen Blick auf Aragorn erhaschen. Sie erstarrte im Gehen. Aragorn war nicht alleine. Er stand an einem kleinen Tümpel und im hellen Licht des Mondes konnte Laietha noch etwas anderes erkennen – er war nackt. Vor ihm kniete Mornuan.
Laietha errötete und wollte sich schon umdrehen und gehen, aber Elladan hielt sie fest. „Wart es ab und sieh hin, Laietha." Etwas widerstrebend kauerte sie sich neben ihren Bruder in das Gebüsch. Aragorn warf den Kopf zurück und stöhnte gequält auf. Es hörte sich nicht so an, als würde sie ihm Vergnügen bereiten. Mornuan erhob sich. Auch sie legte nun ihre Kleider ab und Laietha wollte endgültig gehen, als sie im Licht des Mondes etwas aufblitzen sah.
Sofort spannte sich jeder Muskel in ihrem Körper und sie fixierte den blitzenden Punkt. Sie riss die Augen auf, als sie erkannte, was dort reflektiert hatte – Mornuan hatte einen Dolch gezogen und näherte ihn Aragorns Brust. „Was..." Laietha wollte aufspringen, aber Elladan presste ihr eine Hand auf den Mund und zwang sie sitzen zubleiben. „Sedho1!" zischte er und Laietha gehorchte.
Sie sah, wie Mornuan den Dolch an Aragorns Brust hielt und einen tiefen Schnitt ausführte. Selbst im blassen Licht des Mondes konnte sie das Blut erkennen, das ihrem Bruder über die Brust strömte. Die Frau presste ihre Lippen auf den Schnitt und trank sein Blut.
Aragorn stöhnte, aber Mornuan riss den Kopf zurück in der Geste eines Raubtieres, das seinen Triumph über seine Beute feierte. Blitzschnell griff sie nach einer kleinen Phiole und fing etwas von dem Blut auf. Sie leckte sich die Lippen und murmelte über das Blut ein paar Worte, die keiner der beiden Beobachter verstand. Dann sang sie leise ein paar Verse und Aragorns Blut begann zu glühen.
Laietha fühlte solch eine Beklommenheit ihr Herz umklammern, dass sie es fast nicht mehr in ihrem Versteck ausgehalten hätte. Ihr Atmen schien ihr unendlich laut und ihr Herz pochte so heftig, dass sie fürchtete Mornuan würde es hören. Unter ihrem Hemd spürte sie den Elbenstein leuchten und sie presste die Hand dagegen, damit sein Licht sie nicht verraten würde.
Nun wurde Mornuans Stimme wieder laut und Laietha öffnete die Augen. Aragorn war auf die Knie gesunken und Mornuan stand mit einem breiten Grinsen über ihn gebeugt. In der Hand hielt sie noch immer die Phiole mit Aragorns Blut. Sie setzte das Gefäß an seine Lippen und zwang ihn, zu trinken. Der König stieß einen gequälten Schrei aus und sackte in sich zusammen. Mornuan lachte.
„Du wirst dich nur meinem Willen unterwerfen, Aragorn, Arathorns Sohn. Bald schon wirst du mein Mann sein und ich werde über Gondor herrschen." Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf den Mund. Laietha spürte Elladans Hand, die ihre so fest drückte, dass sie glaubte, er würde sie brechen. „Sie ist eine Hexe," stieß Laietha kaum hörbar hervor.
Die Kriegerin sah ihren Bruder an und fand sein Gesicht gezeichnet von Entsetzen. „Er ist in großer Gefahr. Wir müssen schnell handeln, bevor sie ihn mit ihrer morgul2 umbringt. Solche Dinge habe ich noch nie gesehen, aber ich hörte, wie Vater davon sprach."
Laietha war wie versteinert. Sie fühlte etwas, einen Stich in der Seite und riss den Kopf herum. Mornuan sah ihr direkt in die Augen. Schweiß brach Laietha aus allen Poren hervor und sie spürte, wie ihr Mut zu schwinden begann. „Sie hat uns entdeckt," flüsterte sie mit bebender Stimme. Mornuan lächelte und wandte sich dann wieder ihren Geschäften zu.
Elladan schwieg und zog seine Schwester mit sich fort. Als sie endlich am Palast angekommen waren, begannen Laiethas Knie zu zittern und auch Elladan wirkte durcheinander. „Wir können gegen sie nichts ausrichten. Sie scheint große Macht zu haben und Aragorn ist in ihrer Gewalt." Die Kriegerin nickte.
„Du musst Vater holen. Vielleicht kann er uns helfen. Ich werde hier bleiben und acht geben, dass sie Aragorn nichts zu leide tut." Elladan wollte protestieren. Er wollte seine Schwester nicht allein lassen, aber die Kriegerin hatte sich ein wenig gefangen und nun war ihre Sturheit zurückgekehrt. Sie schüttelte den Kopf.
„Ich werde ihn nicht allein lassen – keine Diskussion und jetzt beeil dich. Wir haben keine Zeit zu verlieren und der Weg zum Düsterwald ist weit." Elladan sah, dass alle Worte auf taube Ohren stoßen würden, also huschte er zu seinem Gemach und holte seine Sachen. Es verging nicht viel Zeit und er war reisefertig.
Schnell begaben sie sich zu den Ställen und sattelten sein Pferd – einen weißen Hengst namens Nauth. Und das Tier war wirklich fast so schnell wie ein Gedanke. Bevor er sich auf das Pferd schwang, küsste er seine Schwester und die beiden drückten sich fest.
„Sei schnell, Elladan." Der Elb lachte. Er würde sich keine Pause mehr als nötig gönnen. „Und du pass auf dich auf, Schwesterchen. Sie ist gefährlich und scheint dich nicht sonderlich gerne zu haben." Laietha nickte. Nichts anderes hatte sie vor.
Wie ein Schatten war Elladan verschwunden und Laietha begab sich zurück in ihr Bett. Boromir hatte ihr Fehlen noch nicht bemerkt und schlief friedlich, aber Laietha wälzte sich nur von einer Seite auf die andere. Ständig sah sie Mornuans Blick auf sich ruhen und der Gedanke daran, dass sie es mit schwarzer Magie zu tun hatten, jagte ihr Schauer über den Rücken.
Sie hörte, wie die Nachtwächter die Zeit ausriefen, aber die Stunden schienen einfach nicht vergehen zu wollen, also stand sie wieder auf und zog sich an. Vielleicht würde sie in der Bibliothek etwas finden, das ihnen weiterhalf.
Es war vergebens. Sie hatte zunächst nur auf die vielen Schriftrollen gestarrt und nicht recht gewusst, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte. Dann hatte sie sich systematisch durch ein Regal mit Schriftrollen gearbeitet, war aber nicht fündig geworden. Ihr Vater würde wissen, was zu tun war – zumindest hoffte sie das.
Jedes Rascheln ließ sie zusammenschrecken, denn fast erwartete sie, dass Mornuan ihr gefolgt war. Einmal nickte sie kurz ein, aber sofort schreckte sie aus ihrem Schlaf hoch, weil sie das Lachen der Frau in ihren Ohren gellen hörte. Es machte keinen Sinn, schlafen zu wollen. Als ihre Augen zu brennen begannen, ging sie in die Küche, um sich einen Tee zu holen.
Die Sonne streckte ihre ersten vorwitzigen Finger durch die Fenster und Laietha hatte ein wenig an Aiglos Bett gesessen und ihren Sohn im Schlaf beobachtet. Er ist ein hübscher Bengel, dachte sie. Vielleicht würde er bald mit seinen dummen Streichen aufhören.
Laietha ging schließlich in ihr Gemach zurück. Auch Boromir schlief noch tief und fest und sie musste lächeln, als sie ihn so ansah. Sein Haar war schlohweiß geworden, was ihn wie einen weisen Mann aussehen ließ. Sein Gesicht war noch immer scharf geschnitten und selbst jetzt im Schlaf, während er ihr Kissen umklammerte und leise vor sich hinschnarchte, sah er stolz und entschlossen aus. Er murmelte etwas und drehte sich auf die andere Seite.
Sein Körper war noch immer der eines Kriegers, auch wenn es schon seit vielen Jahren keinen Krieg mehr gegeben hatte. Laietha konnte der Versuchung nicht widerstehen und schlich zum Bett, um ihm einen Kuss auf die Schulter zu hauchen. Er roch noch genau wie damals – obwohl es nun schon so viele Jahre her war...
„Wo hast du dich die ganze Nacht über rumgetrieben, Frau Annaluva?" murmelte er verschlafen. Boromir drehte sich um und blinzelte den Schlaf aus den Augen fort. Laietha lächelte und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Sie fühlte sich auf einmal sehr beklommen und sog jede Sekunde dieses Morgens in ihr Herz auf. „Ich war spazieren." Boromir legte ihr die Arme um die Hüften und zog sie ins warme Bett. „Dann behalte deine Geheimnisse für dich!" Sie lachte, auch wenn ihre Gedanken um andere Dinge kreisten.
1 Sei still!
2 Schwarze Magie
