Laietha hörte einen Tumult und öffnete die Augen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Sie verfluchte sich dafür, dass der Schlaf sie doch noch übermannt hatte. Schell sprang sie aus dem Bett und eilte ans Fenster um zu sehen, wer dort solchen Lärm gemacht hatte.

Aragorn stand im Hof und brüllte Beregond an. Sofort eilte Laietha nach draußen.

Alle Soldaten hatten sich im Hof versammelt und Beregond sah sich hilfesuchend um, während Aragorn seine ganze Wut an dem Soldaten ausließ. „Was du getan hast, ist unverzeihlich! Ich entlasse dich aus meinen Diensten! Pack dich!" Laietha erreichte den Hof und rannte an Aragorns Seite.

„Was ist hier los?" fragte sie kritisch. Als ihr Blick auf Aragorn fiel, schrak sie zusammen. Sein Haar war über Nacht fast vollständig ergraut und er schien sich seit Tagen nicht rasiert zu haben. Seine Kleidung war in Unordnung und sein Hemd stand offen. Auf seiner Brust konnte Laietha deutlich den langen Schnitt erkennen. An seiner Seite stand Mornuan und grinste Laietha breit an.

„Das geht dich nichts an, Weib! Misch dich nicht in meine Angelegenheiten!" schnauzte Aragorn sie an. Beregond aber begann zu erklären. „Ein Bote kam, der verlangte, den König zu sprechen. Er sagte, es sei von größter Wichtigkeit, also..."

„Ich habe ausdrücklich befohlen, dass ich nicht gestört werden will. Niemand hat sich dem Wort des Königs zu widersetzen!" tobte Aragorn und hob den Arm, um Beregond zu schlagen.

Angelockt von dem Krawall waren Boromir und Faramir in den Hof geeilt und der Fürst von Ithilien ergriff das Wort. „Was geht hier vor sich? Beregond ist der Hauptmann meiner Wache und wenn es ein Problem mit ihm gibt, bin ich derjenige, der es zu lösen hat!"

Aragorn erstarrte in der Bewegung, fuhr herum und kam drohend auf Faramir zu. „Du bist nur ein Fürst und ich bin dein König! Du unterstehst meinem Befehl wie jedes atmende Wesen hier! Ich entscheide immer noch solche Dinge, niemand sonst. Du tätest besser daran, meine Befehle nicht in Frage zu stellen!" Mornuan lachte leise.

Jetzt hatte Laietha wirklich die Nase voll. Sie marschierte auf ihren Bruder zu und packte ihn am Oberarm. Die Leute um sie herum kehrten sie herzlich wenig. „Jetzt komm endlich wieder zu dir, Aragorn. Du machst dich zum Narren." Langsam drehte er sich um und trat ganz dicht an sie heran. „Was hast du gesagt?" zischte er. Zum ersten Mal in ihrem Leben bemerkte Laietha, wie viel größer er war als sie. Trotzdem blieb sie nicht stumm.

„Hör auf, dich wie ein liebestrunkener Narr zu benehmen, Aragorn. Du bist nun einmal der König und kein einfacher Waldläufer, der tun und lassen kann, was er will. Du hast Pflichten und im Moment vernachlässigst du sie. Dein Volk ist unzufrieden mit dir, also solltest du dich besser wieder daran erinnern, wer du bist! Und jetzt geh dir etwas vernünftiges anziehen und erfülle deine Pflichten, wie es sich für einen wirklichen König geziemt!"

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, aber sie fiel nicht, statt dessen zerriss ein klatschender Laut die Luft und Laiethas Hand wanderte an ihre brennende Wange. Boromir war der erste, der sich protestierend zu Wort meldete. „Was fällt dir ein..." Weiter kam er nicht, denn Aragorn packte Laietha an den Schultern und schüttelte sie.

„Ich habe dich bereits einmal gewarnt, Annaluva und ich wiederhole mich nicht gerne. Hüte deine Zunge, wenn du mit dem König sprichst." Laietha lachte traurig und warf einen Blick auf Mornuan, die sie zufrieden anlächelte. Die Kriegerin wurde wütend. „Bist du so blind, dass du nicht bemerkst, was hier vor sich geht? Merkst du nicht, wie diese Hexe dich verwunschen hat? Bist du so schwach im Geist, dass du dich ihrem Zauber nicht widersetzen kannst?"

Die umstehenden Zuschauer schnappten kollektiv nach Luft. Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit dem König zu sprechen. Aragorn stieß einen wütenden Schrei aus und zog sein Schwert. Er packte Laietha im Nacken und hielt ihr Anduril an die Kehle. Laietha schluckte und rang sich ein bitteres Lächeln ab. „Also hat sie dich ganz in ihrer Gewalt. Kämpf dagegen an, Aragorn!"

Er presste die Klinge dichter an ihre Kehle und Laietha spürte einen winzigen Blutstropfen, der sich seinen Weg über ihre Haut bahnte. Boromir war sprachlos. Er wollte zu ihr stürmen, aber sie bat ihn mit ihren Blicken zu bleiben, wo er war. In Aragorns Augen glimmte eine finstere Wut. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber man verstand ihn bis in die letzte Reihe.

„Wir sind nicht blutsverwandt, Annaluva. Du warst schon dem Tode geweiht, an dem Tag, als ich dich im Wald auflas. Es war allein meine Wahl, dein Leben zu verlängern und nun habe ich mich entschlossen, es dir zu nehmen. Am liebsten würde ich es sofort und hier beenden, denn ich habe deine verräterischen Ratschläge satt. Lange genug hast du meinen Geist mit deiner Zunge vergiftet. Aber dein Tod soll allen Aufrührern, die den Frieden meines Landes zerstören wollen, ein Beispiel dafür sein was sie erwartet, wenn sie sich mir widersetzen. Morgen wirst du öffentlich hingerichtet werden."

Er rief nach seinen Wachen. „Schafft sie in den finstersten Kerker! Sie wird morgen Mittag getötet. Jeder der sie zu befreien versucht, wird an ihrer Seite sterben, wie es sich für Hochverräter geziemt!" Die Wachen sahen verwirrt von Laietha zu Aragorn, nahmen die Frau dann aber doch und brachten sie fort. Sie schlugen sie nicht einmal in Ketten, denn die meisten kannten sie als Freundin. Laietha wehrte sich nicht.

Nachdem Boromir den ersten Schrecken überwunden hatte, wollte er Aragorn an die Kehle springen, aber Faramir reagierte geistesgegenwärtig und zog ihn mit sich davon. Unüberlegte Handlungen würden ihnen nur noch mehr Scherereien einbringen. Jetzt brauchten sie einen kühlen Kopf, einen starken Weinbrand und einen guten Plan.

Laietha hatte sich auf die niedrige Pritsche gesetzt, die ihr als Bett dienen sollte. Aragorn hatte nicht zu viel versprochen, als er davon geredet hatte, sie in den finstersten Kerker zu schaffen. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es solche Verliese in Gondor gab. Der Soldat, der sie in die Zelle gebracht hatte, hatte sich noch bei ihr entschuldigt, aber Laietha hatte nur müde abgewinkt. Das war alles mehr als absurd.

Dennoch war sie in großer Gefahr, solange Mornuan den Willen ihres Bruders lenkte. Mornuan – allein der Gedanke an dieses Weib, das am Herzen ihres Bruders saugte wie ein boshaftes Insekt, ließ Wut in Laietha aufsteigen. Doch die Wut wurde von Hilflosigkeit überschattet, als sie sich wieder bewusst wurde, wo sie war.

Mornuan!

Die Tür flog mit einem Knall auf und Laietha erhob sich. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, betrat Mornuan den Raum. Laietha straffte sich und schob trotzig ihr Kinn vor. Mochte sie auch eine Gefangene sein – sie würde vor diesem Weibsbild keine Schwäche zeigen.

Mornuan umrundete die Kriegerin langsam. „Du weißt viel über mich, Schwester, zu viel, aber das wird dir nichts nützen. Niemand glaubt dir." Mornuan legte eine Hand auf Laiethas Herz und der Kriegerin war, als wäre alles Leben aus ihr entwichen. Ihr Herz raste, aber ihre Glieder waren von einer kalten Schwere erfüllt. Sie konnte sich nicht bewegen. Mornuan lachte leise. „Lange habe ich darauf gewartet Ich freue mich jetzt schon auf dein Gesicht, wenn dein Bruder den Befehl gibt, dich zu töten."

Die Kälte breitete sich über Laiethas ganzen Körper aus und drohte ihr, den Atem zu rauben. Der Elbenstein an ihrer Brust begann zu glühen und nahm ein wenig von der Todeskälte mit sich. Sein Licht erhellte die finstere Zelle. Mornuan starrte Laietha an, aber dann gefror ihr Lächeln und blitzschnell packte sie den Stein und riss an der Kette. Das Metall schnitt in Laiethas Haut und Blut begann ihr über den Rücken zu tropfen. Mornuan beugte sich zu ihrem Nacken und leckte die feine Blutspur ab.

Die Kriegerin konnte sich noch immer nicht rühren. Mit einem boshaften Kichern baute sich Mornuan vor ihr auf. Sie leckte sich eine Spur von Laiethas Blut von den Lippen. „Süß. Schade, dass du nicht mehr sehen kannst, wie dein Bruder mir das Ja-Wort gibt und mich zu seiner Königin macht. Aber vielleicht wirst du uns ja vom Jenseits her beobachten können." Damit machte sie kehrt und schlenderte aus dem Raum – den Elbenstein wie eine Trophäe in der Hand schwenkend.

Es dauerte einen Moment, bis die Kälte von ihr abfiel und Laietha sank zu Boden. Sie hatte diese Frau unterschätzt. Elrond war im Düsterwald – wer wusste schon, wie lange es brauchen würde, bis Elladan ihn fand? Und würde ihr Vater etwas gegen dieses Weib unternehmen können? Nein, es schien hoffnungslos! Aragorn hatte den Verstand verloren und sie würde sterben ehe die Sonne am nächsten Tag versank. Laietha schlug die Hände vors Gesicht und begann bitterlich zu weinen.

„Das kann er unmöglich machen! Er muss komplett den Verstand verloren haben!" Faramir sah schweigend zu, wie sein Bruder wütend durch den Raum lief. Er selbst war zu schockiert, um Worte zu finden. Boromir starrte düster aus dem Fenster. „Sie hat es gewusst. Sie hat gesagt, dass etwas nicht stimmt, und ich habe ihr nicht geglaubt. Warum habe ich nur nicht auf sie gehört?" Schweigen legte sich zwischen beide Männer. Jeder von ihnen wusste, dass Selbstvorwürfe nun niemandem nutzten. Auf dem Tisch standen zwei leere Gläser. Der Weinbrand lag Faramir noch immer auf der Zunge.

Auranor kam ins Zimmer gestürmt und stieß einen Freudenschrei aus, als sie Boromir entdeckte. „Onkel Bormie! Soll ich dir mal zeigen, was ich heut gefunden habe?" Faramir hob seine kleine Tochter schnell auf den Arm. „Nicht jetzt, Liebes. Wir haben ganz wichtige Sachen zu besprechen. Geh und spiel mit deinem Bruder, ja?" Die Kleine verzog das Gesicht, aber sie war ein artiges Kind und tat, wie man sie geheißen hatte.

Boromir hieb wütend die Faust gegen die Wand und sank auf die Knie. Faramir stürmte an seine Seite. „Lass den Kopf nicht hängen, Boromir, wir werden ihr helfen." Boromir stieß einen verzweifelten Schrei aus. Die Worte seines Bruders trösteten ihn nicht im Geringsten. Sie wussten beide, dass die Kerker gut bewacht waren und Laietha war auf Geheiß des Königs eingesperrt worden. Und selbst wenn es ihnen gelang – sie würden die Stadt und Gondor verlassen müssen, denn das war Hochverrat. Boromir würde seine Heimat nie mehr wiedersehen können.

Faramir legte ihm ermunternd die Hand auf die Schulter. „Der Morgen ist weiser als der Abend. Wir werden uns etwas einfallen lassen und außerdem glaube ich nicht, dass Aragorn sie wirklich töten lassen wird." Im selben Moment, als seine Worte den Mund verlassen hatten, bezweifelte er sie selbst. Er selbst hatte Aragorn gesehen, als er seine Schwester verurteilt hatte und der König hatte verdammt ernst ausgesehen.

Eowyn betrat den Raum zusammen mit Aiglos. Als Boromir seinen Sohn sah, stand er rasch wieder auf. „Ich habe davon gehört. Jetzt sagt mir bitte, dass es ein schlechter Scherz ist." Aber als Eowyn die beiden Männer ansah, wusste sie, dass es die Wahrheit gewesen war. „Das kann er doch nicht machen! Sie ist doch seine Schwester und jeder hier weiß, dass er sie mehr als alles andere liebt!" Boromir sah sie müde an und seine Stimme klang rau. „Aber er ist nicht mehr Herr seiner Sinne." Sie verfielen ins Schweigen.

Aiglos sah von einem zum anderen und schluckte schwer, um nicht weinen zu müssen. Er verstand nicht, was mit seiner Mutter geschehen war, sondern hatte nur gehört, dass sie verurteilt worden war. Er durfte jetzt nicht weinen! Schließlich war er schon fast ein echter Mann! Fast. Die ersten salzigen Tropfen fielen über seine Wange und blieben an der Nasenspitze hängen. Boromir ging zu seinem Sohn und nahm ihn fest in den Arm. Aiglos war froh, sein Gesicht in dem weichen Hemd seines Vaters verbergen zu können. Der Krieger strich dem Jungen sanft übers Haar. „Keine Sorge, Aiglos, wir werden sie dort rausholen."

Er wusste nur noch nicht wie.

Aragorn saß auf seinem Thron, die Hand in der Tasche vergraben und dachte nach. Er war verwirrt, aber konnte sich nicht erklären, warum. Seine Finger berührten etwas, das er schon fast vergessen hatte – eine Strähne vom Haar seiner Schwester, die er wie einen Talisman bei sich trug. Was hatte er nur getan? Seine Erinnerungen an die Ereignisse des Mittags waren verschwommen. An eines erinnerte er sich ganz genau – er hatte sie zum Tode verurteilt. Aragorn schüttelte den Kopf. Seine Entscheidung war richtig gewesen, nicht wahr? Sie versuchte doch, seinen Thron für sich zu beanspruchen, ihn zu verraten! Niemals würde eine Frau ihn so übertölpeln!

Ein Zweifel regte sich in seinem Hinterkopf, der ihn schon seit dem frühen Nachmittag plagte. Sie würde so etwas nie tun. Aber nun hatte er sein Urteil vor so vielen Zeugen verkündet und er konnte es unmöglich zurücknehmen, ohne seine Glaubhaftigkeit zu verlieren. Wie würde das denn aussehen? Nein, sie musste sterben. Aber allein schon bei dem Gedanken daran, fühlte er sich miserabel. Vielleicht war diese Strafe doch zu hart. Während er so vor sich hingrübelte, senkte sich langsam die Dämmerung über die Stadt.

Mornuan betrat den Raum und ging auf Aragorn zu. Sanft legte sie ihm die Hände auf die Schultern und begann, ihn zu massieren. Er stöhnte erleichtert auf und lehnte sich in ihre Liebkosung hinein. Mornuan küsste seinen Nacken und ließ ihre Hände in sein Hemd gleiten. Aragorns Kopf war wie leergeblasen. Woran hatte er eben gedacht? Es wollte ihm nicht einfallen. Mornuan lächelte zufrieden.

„Du hast die richtige Entscheidung getroffen, Aragorn. Sie hat versucht, dich um den Thron zu betrügen. Sie hat nichts anderes als den Tod verdient." Der König schüttelte sein Haupt. Der Gedanke seine Schwester zu töten, behagte ihm nicht sonderlich. „Ich habe mir eine bessere Strafe für sie ausgedacht. Morgen, wenn sich alles zur Hinrichtung versammelt hat, will ich sie begnadigen und aus meinem Reich verbannen. Sollte sie es jemals wagen, hierher zurückzukehren, werde ich sie persönlich töten."

Mornuan hob ihre Braue und zog ihre Hände aus Aragorns Hemd zurück. „Du bist ein weiser Mann, Aragorn. Jeder in deinem Königreich wird morgen sehen, dass sie einen gnädigen König haben." Damit drehte sie sich um und verließ den Raum, denn ihre Pläne waren anderer Natur als die des Königs.

Mornuan hatte wohl bemerkt, dass Laietha vor Allem unter den älteren Soldaten sehr beliebt und hochgeschätzt war, deshalb würde sie sich jemand anderen für diese Aufgabe suchen müssen, aber das sollte kein Problem sein. Am Ende des Korridors sah sie einen jungen Mann, der die Uniform der Garde des Fürsten von Ithilien trug, auf sie zukommen. Mornuan lächelte breit. Das war genau, wonach sie gesucht hatte. Alles fügte sich so, wie sie es geplant hatte.

„Hey, du!" Der junge Mann stoppte, musterte sie von Kopf bis Fuß und als er sie erkannte, verbeugte er sich eilig. Mornuan lachte leise. Soweit, so gut. „Meine Herrin," murmelte er artig. Mornuan nahm sein Kinn zwischen ihre Finger und hob seinen Kopf. „Du kannst dich erheben, mein Junge." Sie setzte ihr verführerischstes Lächeln auf und bemerkte, dass der junge Soldat schwer schluckte. „Du hast doch gewiss von der Verräterin gehört, die heute festgenommen worden ist, nicht wahr?" Der Soldat nickte.

Mornuan schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln. „Ich will, dass du sie gut bewachst. Sollte sie versuchen zu fliehen, wirst du sie töten – und du wirst sicherstellen, dass sie versucht zu fliehen, ist das klar?" Der junge Mann sah sie einen Moment lang verdutzt an. Mornuan musterte ihn und lächelte. „Keine Sorge, deine Mühen werden nicht unbelohnt bleiben. Ich will als Zeichen dafür, dass du sie getötet hast, ihr Haar. Bring es mir heute Nacht in den Garten und du wirst eine reiche Belohnung empfangen."

Der junge Soldat knallte die Hacken zusammen und begab sich auf den Weg, um zu tun, was man ihm aufgetragen hatte. Mornuan lachte laut und zufrieden. Alles verlief genau so, wie sie es geplant hatte. Nur zu schade, dass sie Annaluvas Tod nicht mit ansehen können würde.

Bergil stürmte durch die Stadt, als wäre ein Balrog hinter ihm her. Die Passanten, die er anrempelte, schimpften ihm wütend hinterher, aber er hatte jetzt Wichtigeres zu erledigen. Völlig außer Atem, kam er an dem kleinen Stadthaus von Faramir und Eowyn an. Die Haushälterin stieß einen erschreckten Schrei aus, als sie den keuchenden Soldaten in der Tür stehen sah.

„Ich muss sofort zu Hauptmann Faramir," stieß er hervor. Die ältere Frau stemmte die Hände in die Hüften. „Kommt gar nicht in Frage. Der Hauptmann befindet sich in einer Besprechung. Wer seid ihr überhaupt?" Bergil nannte ihr seinen Namen, aber das stieß bei der Frau auf taube Ohren. „Kenne ich nicht. Nichts da, ihr könnt morgen zu früherer Stunde wiederkommen und nicht so spät am Abend, wo sich allerlei Gesindel herumtreibt."

Bergil war der Verzweiflung nahe. „Es ist aber wichtig! Es geht um Leben und Tod!" Nun war er lauter geworden. Die Haushälterin zog ein grimmiges Gesicht und stellte sich in die Tür. Mochte der Soldat seine Arbeit tun, aber sie würde ihre Aufgaben genauso ernst nehmen.

Angelockt von dem Spektakel, kam Eowyn die Treppen hinuntergestürmt. „Es ist gut, Nana," sagte sie beruhigend und schob die erboste Haushälterin sachte zur Seite. Dann zog sie Bergil schnell ins Haus. Sie stiegen die Treppen hinauf und Eowyn führte Bergil in Faramirs Arbeitszimmer, wo der Fürst von Ithilien und sein Bruder in eine hitzige Diskussion verstrickt waren.

„Und wie bitte sehr sollen wir dort wieder herauskommen?" fragte Faramir genervt. Die Atmosphäre war mehr als nur angespannt. „Du bist der clevere Bruder, nicht ich!" schnaubte Boromir und ließ sich frustriert in einen Sessel fallen, nur um eine halbe Sekunde später wieder aufzuspringen und durch den Raum zu laufen. „Wie soll ich nachdenken, wenn du die ganze Zeit über hin und herläufst? Setz dich, Boromir!"

Bergil konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. „Guten Abend," rief er in die Runde und die beiden Männer fuhren herum. Sie starrten ihn an, als hätten sie einen Geist gesehen. Eowyn holte Bergil etwas zu Trinken. „Hör zu, Bergil, wenn es wegen der Wachablösungen ist, können wir das ein anderes Mal besprechen?" fragte Faramir. Bergil nahm Eowyn mit einem dankbaren Nicken das Glas Wein ab und nahm einen Schluck. Er befeuchtete seine trockenen Lippen und bedeutete den Männern mit einem Lächeln, sich zu setzen.

„Ich habe Neuigkeiten, die euch vielleicht interessieren dürften." Boromir sah ihn erwartungsvoll an. „Sprich, Freund," bat er und Bergil begann zu berichten.

Draußen wurden die Wachen abgelöst. Es musste also kurz nach zehn Uhr sein. Laietha stützte den Kopf auf die Knie und nahm einen kleinen Bissen von dem Brot, das ihr einer der Wächter vor einiger Zeit gebracht hatte. Er hatte es vor Scham kaum gewagt, sie anzusehen, aber das half ihr nun auch nicht. Es gab kein Fenster in ihrer Zelle und Laietha konnte nur den Schimmer der Fackeln von draußen vor der Tür erahnen. Die Dunkelheit machte sie schläfrig. Ihr Kopf sank nach vorne auf die Brust und sie begann zu träumen.

Sie wusste nicht, was sie geträumt hatte, aber der Schweiß war ihr auf die Stirn getreten und als sie erwachte, hatte sie Aragorns Bild vor Augen. Die Müdigkeit war wie weggeblasen und in ihren Kopf kreisten nun tausende von Gedanken.

Als sie noch ein Kind gewesen war, war sie mit Aragorn oft durch die Wälder gestreift. Er hatte sie auf seinen Schultern getragen und war mit ihr auf Bäume geklettert. Sie hatte ihn zu Wettläufen herausgefordert und er hatte jeden einzelnen von ihnen verloren.

Als sie älter wurde, hatte er sie oft auf Streifzüge durch die umliegenden Ländereien geführt. Er hatte ihr alles über das Leben in der Natur beigebracht, das er selbst wusste.

Als sie begann in den Krieg zu ziehen, wich er so selten wie möglich von ihrer Seite, um sie so gut wie möglich zu beschützen.

Laietha hatte ihn vergöttert. Ihr großer starker Bruder, der sie vor allem beschützte. Wo war er nun? Hatte Mornuan ihn völlig in ihrer Gewalt? War Aragorn für sie verloren? Eine Träne rann über ihre Wange, aber sie wischte sie schnell weg. Es nutzte gar nichts, jetzt zu heulen wie ein Waschweib. Sie besann sich darauf, wer sie war – Ziehtochter von Elrond Halbelben, dem Herrscher über Bruchtal. Nun war es wohl beschlossen – sie sollte morgen sterben, aber vielleicht konnte sie doch noch etwas tun, um ihrem Bruder zu helfen. Sie musste nur genau nachdenken. Die Nacht war noch lang, aber wenn ihr nichts einfiel, würde es morgen auch nichts ausmachen, denn dann würde sie sterben müssen. Laietha sprach ein Gebet zu den Valar und bat sie um Stärke. Dann begann sie zu überlegen.

Bergil berichtete, dass er von Laiethas Gefangennahme gehört hatte – sein Vater hatte es ihm fassungslos berichtet, als er nach Hause gekommen war. Bergil hatte in der Kaserne nach Faramir gesucht, ihn aber nicht gefunden. Dann hatte er zum König gehen und mit ihm reden wollen. „Auf dem Weg zum König bin ich seiner Braut begegnet. Ratet, worum sie mich gebeten hat!"

Boromir wollte die Antwort am liebsten aus dem Jungen herausschütteln, riss sich aber zusammen und sah ihn nur erwartungsvoll an. Bergil fuhr mit seinem Bericht fort. „Mornuan will, dass ich Laietha töte." Faramir wusste nicht so recht, ob er das als gute oder schlechte Nachricht aufnehmen sollte, aber Boromir lächelte breit. „Das sind gute Nachrichten. Wir werden sie befreien und heimlich verschwinden. Mornuan wird sie für tot halten und wir können uns in Sicherheit wiegen." Der junge Soldat nickte. „Wir sollten noch ein paar Vorbereitungen treffen. Wir sehen uns in zwei Stunden wieder hier. Macht euch bereit, die Stadt zu verlassen."

Es war also beschlossene Sache. Boromir holte noch ein paar ihrer Sachen und auch Faramir ging noch einmal aus dem Haus. Eowyn sorgte dafür, dass ihre Pferde bereit waren und weckte dann Aiglos, der in Ionvamirs Zimmer untergebracht war. Auch Bergil traf in dem kleinen Stadthaus ein und als alle versammelt waren, machten sich Bergil und Boromir auf zu den Kerkern. Faramir wollte sich mit ihnen später vor den Ställen treffen.

Die beiden Männer sprachen nicht viel miteinander, als sie zu den Gefängnissen gingen. Sie hatten Glück. Als sie dort eintrafen fanden sie heraus, dass der wachhabende Offizier ein Veteran war, der schon früher unter Boromir gedient hatte. Es bedurfte nicht vieler Worte, um den Mann zu überzeugen, sie zu Laietha zu führen. Vor ihrer Zelle waren zwei weitere Wachen postiert. Zunächst kreuzten sie ihre Waffen, aber als sie Boromir erkannten, ließ einer von ihnen seine Waffe sofort sinken.

Der andere war ein relativ junger Mann. Er sah seine beiden Kameraden verwundert an, aber Dagoron, der Veteran unter ihnen, legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. „Lass gut sein, mein Junge. Sie ist unschuldig, dafür leg ich meine Hand ins Feuer, auch wenn ich nicht mal so genau weiß, was man ihr vorwirft." Boromir klopfte ihm dankbar auf die Schulter.

Die Tür öffnete sich und Laietha sprang auf. Was war denn nun schon wieder? Gespannt versuchte sie die schattenhafte Gestalt auszumachen, die ihre Zelle betrat. Das Licht der Fackeln von draußen blendete sie. Als sie Bergil erkannte, entspannte sie sich. Der junge Mann trat zu ihr. „Wir müssen uns beeilen, Frau Annaluva. Keine Zeit für Fragen, komm einfach mit." Laietha konnte ihr Glück kaum fassen. „Wie hast du das geschafft?" wollte sie wissen. Bergil erklärte es ihr kurz. „Sie will dein Haar als Beweis für deinen Tod, Laietha."

Die Kriegerin nahm eine der dicken Locken in die Hand und sah sie nachdenklich an. Sie war stolz auf ihr Haar. Boromir liebte ihre Lockenmähne, aber es war ein geringer Preis für ihr Leben. Sie nickte. Bergil reichte ihr einen Dolch und mit einem unglücklichen Gesicht schnitt sie den dicken Zopf im Nacken ab. Sie reichte ihm die Haarpracht und Bergil bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Wir können ihn nicht in ihrer Gewalt lassen, Laietha," flüsterte er und sie nickte stumm. Aber sie wusste auch, dass es nicht in ihrer Macht lag, Mornuans Fluch zu brechen. Sie brauchten Elronds Hilfe.

Geschwind verschwanden sie aus dem Kerker. Bergil schärfte den Wächtern ein, sie sollten sagen, dass er Laietha zur Hinrichtung abgeholt hatte. Sie nickten und wünschten ihnen Glück auf der Reise.

Bei den Pferdeställen angekommen, trafen sie Eowyn und Aiglos. Die Herrin Rohans drückte ihre Freunde und ihren Neffen. Faramir würde sie vor den Toren der Stadt erwarten. Bergil hatte sich verabschiedet. Er musste Mornuan noch Laiethas Haar bringen, damit sie glaubte, er hätte ihren Befehl befolgt. Dann würde er nachkommen und sich mit ihnen am Rande des Druadanwaldes treffen.

Als sie vor den Toren der Stadt ankamen, erwartete sie eine Überraschung. Faramir hatte Beregond und einige seiner Männer zusammenkommen lassen. Der Hauptmann von Ithiliens Garde war inzwischen selbst ein gutes Stück gealtert. Er und Boromir waren nur wenige Jahre auseinander. Als er den früheren Schwertarm des Weißen Turmes auf sich zukommen sah, sprang er vom Pferd und salutierte erfreut. „Mein Hauptmann, es ist gut, unter eurem Befehl zu stehen." Er machte eine winzige Pause. Mit einem Lächeln setzte Beregond hinzu: „Mal wieder."

Boromir schmunzelte und klopfte ihm auf die Schulter. Faramir wandte sich an seinen Bruder. „Ich dachte, nur für den Fall, dass Mornuan nicht darauf reinfallen sollte, wäre es vielleicht besser, wenn ihr nicht alleine unterwegs seid." Die beiden Brüder sahen sich lange an und auch Boromir stieg ab. Sie sagten nichts, aber jeder von ihnen wusste, wenn sie nichts gegen Aragorn unternahmen, würden sie sich vielleicht eine ganze Weile lang nicht sehen können. Wortlos umarmten sie sich fest.

Laietha hasste es, sie stören zu müssen, aber die Zeit drängte und jede Sekunde, die sie so dicht bei der Stadt waren, würde man sie entdecken können. Sachte berührte sie die Schulter ihres Mannes. „Wir müssen gehen oder alles war umsonst." Boromir nickte und sie bestiegen ihre Pferde.

Sie waren nur Schatten in der Nacht, als sie in Richtung des Waldes davon sprengten. Faramir sah ihnen noch so lange nach, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. Seine Gedanken waren bei dem Tag, als Boromir nach Bruchtal aufgebrochen war. Vielleicht würden sie sich nie mehr wiedersehen. Er seufzte tief und machte sich auf den Heimweg zu seiner Familie.

Mornuan nahm Laiethas Haar mit einem wölfischen Lächeln in Empfang. Bergil wäre um ein Haar einen Schritt zurückgewichen, als er das Glitzern in ihren Augen sah. Die Verlobte des Königs löste den Verschluss ihrer Halskette und legte sie Bergil in die Hand. Das Schmuckstück sah sehr wertvoll aus. „Ich habe ja gesagt, dass du nicht leer ausgehen wirst. Und jetzt pack dich und zu niemanden ein Wort davon."

Das ließ sich der junge Mann nicht zweimal sagen. Schnell eilte er von dannen. Unterwegs bat er noch einen Kameraden, seiner Frau zu sagen, sie solle mit den Kindern zu ihren Eltern gehen und dann machte er sich auf den Weg zu den Ställen, wo ihn bereits ein gutes Pferd erwartete. Er wusste, sollte Mornuan herausbekommen, dass er sie betrogen hatte, würde er in ganz Gondor nicht mehr sicher sein.

Mornuan schlenderte mit einem Lächeln im Gesicht zu ihren Gemächern. Sie stricht sachte über den schweren roten Zopf, der von einigen silbernen Strähnen durchzogen war. Es war vollbracht. Annaluva hatte ihre gerechte Strafe empfangen. Nun würde sich Mornuan auf den Weg zu Aragorn machen und ihm von diesem fürchterlichen Zwischenfall erzählen, der seine Ziehschwester das Leben gekostete hatte. Sie kam ihrem Ziel immer näher. Mornuan konnte es kaum noch erwarten.

Sie fand Aragorn immer noch in seinem Arbeitszimmer sitzend. Der König starrte ins Leere. Mornuan umarmte ihn von hinten, aber er reagierte nicht. „Mein Liebster, ich habe schreckliche Nachrichten erhalten." Langsam hob er den Kopf. Sein Blick war trübe und er schien einen Moment zu brauchen, bis er Mornuan erkannte. Sie fuhr fort. „Eine der Wachen hat mir berichtet, dass Annaluva versuchte zu fliehen. Sie ist tot."

Für einen kurzen Moment konnte sie Trauer in seinen Augen aufblitzen sehen – den leisesten Versuch eines Protestes erahnen, aber sein Geist war schon zu schwach, um sich ihr noch zu widersetzen. Behutsam legte sie ihm eine Phiole mit glühend rotem Inhalt an die Lippen und er trank willenlos. Mornuan zog ihn in ihre Arme.

Woran hatte er eben noch gedacht? Aragorn konnte sich nicht erinnern. Er versank in ihrer Umarmung, als hätte er keine Knochen im Leib und ihr Parfüm vernebelte seine Sinne. All seine Wahrnehmung beschränkte sich nun auf die sanften Hände, die über seine Brust glitten und ihm das Hemd von den Schultern streiften. Er schloss genießerisch die Augen, als ihre weichen Lippen sich den Weg zu seinem Hals bahnten und keinen Raum für andere Gefühle als das Verlangen nach seiner Braut ließen. Seine Braut, die ihm eben doch etwas gesagt hatte...was war es nur gewesen?

Er konnte sich nicht entsinnen und es spielte auch keine Rolle mehr. Mornuan hob ihren Kopf aus seinem Schoß und er stieß ein Keuchen aus. Die Frau lächelte ihn verführerisch an. „Ihr arbeitet zu hart, mein Liebster. Kommt, ich will euch zu etwas Entspannung verhelfen." Damit zog sie ihn auf die Beine und geleitete ihn in Richtung ihrer Gemächer davon.

Die Nacht war kühl und es hatte zu nieseln begonnen. Laietha saß an einen Baum gelehnt an der Seite ihres Mannes, während sie auf Bergil warteten. Aiglos war vor einer halben Stunde eingeschlafen und Laietha hatte ihren Mantel über ihn gelegt, um ihn vor dem feinen Regen zu schützen. Auch Boromirs Atemzüge waren ruhig und gleichmäßig. Gewiss schlief auch er. Die Soldaten saßen ein Stück weiter abseits und hielten Ausschau nach Bergil. Laietha sah sehnsüchtig zu dem weißen Turm Ecthelions hinüber, der wie ein Dorn aus Perlen in den Himmel stach.

Aragorn, dachte sie und fühlte Tränen in ihre Augen steigen. Zunächst zwang sie sich, nicht zu weinen. „Wir sind nicht blutsverwandt!" Tränen fielen aus ihren Augen und obwohl sie versuchte, sich zusammenzureißen, wurde sie schon bald von Schluchzern geschüttelt. „Nicht blutsverwandt!" Aragorns Worte hallten in ihrem Herzen wieder. „Ich habe deine verräterischen Ratschläge satt!" Ein verzweifelter Laut entkam ihrer Kehle und Laietha wollte aufspringen und in den Wald laufen, denn so sollte sie niemand sehen.

Zwei warme Arme legten sich um ihre Schultern und sie erstarrte für einen Moment. „Ich weiß, dass dich seine Worte verletzt haben." Laietha warf sich in die Arme ihres Mannes und Boromir drückte sie fest an sich. Es war so selten, dass sie weinte. Ihre Tränen durchnässten sein Hemd, aber er presste seine Lippen gegen ihren Scheitel und strich ihr beruhigend über den Rücken. Sollte sie ruhig weinen, er würde sie trösten. Das Licht des nahen Lagerfeuers fiel auf sie und Boromir sah sie lange an.

Der Nieselregen fing sich in ihren Haaren, die ihr noch bis knapp auf die Schultern fielen. Es war seltsam, sie so zu sehen. Die Locken entwickelten in der feuchten Luft ein Eigenleben und begannen sich zu kringeln. Laietha presste sich fest gegen ihn und obwohl es nicht kalt war, zitterte sie. Boromir nahm seinen Mantel und breitete ihn wie eine Decke über seine Frau. Laietha ließ ihn nicht los und auch ihr Schluchzen wollte nicht verebben. Aragorns Worte mussten sie schwer getroffen haben.

„Denk immer an eines, Liebes, es waren nicht seine Worte." Laietha hob langsam den Kopf und sah ihn aus großen Augen an. Boromir küsste ihre Stirn, wie er es oft bei den Kindern getan hatte, wenn sie sich das Knie aufgeschlagen hatten. „Es war Mornuan, die aus ihm gesprochen hat. Sie hat dich vom ersten Tag an gehasst – und sie hat Angst vor dir." Sie schenkte ihm einen überraschten Blick, aber Boromir strich ihr eine kurze Haarsträhne aus der Stirn. Wenigstens hatte sie aufgehört zu weinen.

Sie bat ihn um Erklärung. Boromir lächelte sie ermunternd an. „Sie wollte dich aus dem Weg räumen lassen. Erstens heißt das, Aragorn hatte andere Pläne mit dir und zweitens bedeutet es, dass sie glaubt du könntest ihr gefährlich werden." Laietha rang sich ein Lächeln ab. „Du bist wirklich der Beste, Boromir." Er zuckte mit den Schultern und küsste ihre Stirn.

„Nun, was recht ist muss recht bleiben, nicht wahr? Außerdem bedeutet das noch etwas anderes – wenn sie glaubt, du könntest ihren Plänen gefährlich werden heißt das, dass sie eine Schwachstelle hat und die werden wir finden." Er drückte sie fester an sich und Laietha küsste ihn dankbar. „Ich werde dich nie wieder einen dummen Krieger nennen!" Er lachte leise. „Das glaub ich erst, wenn ich es sehe!"

Sie saßen eine gute Weile schweigend nebeneinander. Auch Boromir wirkte bedrückt und Laietha wusste, dass auch ihr Mann an seinen Bruder dachte, den er nun für sehr lange Zeit nicht mehr sehen können würde. Sie waren wie Verbrecher geflohen, waren vogelfrei in Gondor. In dem Land, für das Boromir so viele Jahre seines Lebens hart gekämpft hatte. Dem Land, das für ihn alles bedeutete – seiner Heimat. Boromir seufzte tief und Laietha legte ihm ihre Hand auf die Brust. „Anim nach dim, melethron.1"

Er sah sie an, konnte sich aber kein Lächeln abringen. „Wir werden eine Lösung finden – das hast du selbst doch gerade gesagt. Ich habe Elladan losgeschickt, damit er meinen Vater holt. Er wird wissen, was zu tun ist." Boromir nickte und spielte gedankenverloren mit einer vorwitzigen Strähne ihrer Haare. „Können wir nicht einfach hingehen, ihr den Kopf abschlagen und die Sache wäre ausgestanden?" Laietha schüttelte traurig den Kopf. „Boromir, sie ist eine Hexe. Wir können ihrem üblen Fluch nicht mit Schwertern beikommen. Mein Vater ist weise und mächtig. Wir müssen auf seine Künste vertrauen." Und darauf, dass Aragorn selbst die Stärke aufbringt, sich aus ihrem Bann zu lösen, setzte sie in Gedanken hinzu.

Die Stunden der Nacht krochen dahin, der Regen wurde stärker und langsam begannen sie sich zu sorgen. Wo blieb Bergil nur? Hatte er seinen Auftrag erfüllt und hatte fliehen können? Oder war ihre List durchschaut worden? Das schlechte Gewissen nagte an Laietha, denn schließlich ging es bei dieser Sache um sie – in gewisser Weise.

Die Regentropfen verdampften zischend in dem kleinen Lagerfeuer und als es langsam zu tagen begann, wurden auch die Soldaten unruhig. Besonders Beregond lief unruhig hin und her. In der Ferne sahen sie einen Reiter, der sich ihnen schnell näherte. Die Soldaten zogen ihre Waffen und Laietha weckte rasch Aiglos. Ein Aufatmen ging durch die Menge, als sie Bergil erkannten. Der junge Soldat grüßte seine Freunde mit hoch erhobenem Schwert.

„Das hat aber lange gedauert," brummte Boromir und schlug seinem jungen Freund auf die Schulter. Bergil grinste und bedeutete ihnen, aufzusitzen. „Wir sollten uns beeilen und ein gutes Stück Weg zwischen uns und die Stadt bringen – sicher ist sicher!"

Niemand wagte zu widersprechen und sie beeilten sich mit dem Aufbruch. Sie ritten entlang des Druadanwaldes und das Wetter war ihnen keine rechte Hilfe. Bald schon goss es wie aus Eimern und die anfänglich noch fast gelöste Stimmung, ging in bedrücktes Schweigen über. Sie würden etwa eine Woche bis zu Thranduil brauchen, wo sie dann auf Elrond zu treffen hofften. Aiglos ritt bei seinem Vater mit, denn er war so schläfrig, dass er fast aus dem Sattel gefallen wäre. Boromir sah seine Frau besorgt an, die schweigend neben ihm herritt. Aber als die Kriegerin es bemerkte, lächelte sie ihm zu. „Ich komm schon klar."

Nun, ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen, aber er würde sie im Auge behalten. Der Himmel tat sich auf und es prasselte auf ihre Mäntel hernieder, ihre Schultern weiter zu Boden drückend.

1 Sein nicht traurig, Liebster.