Olbern saß auf einer kleinen Lichtung und beobachtete die Elben, die das Abendessen zubereiteten. Bereg und seine Frau ruhten am Lagerfeuer und Luthawen versorgte einen Schnitt an der Wange von Beregs Frau, wo sie im Ritt ein Zweig gestreift hatte. Der junge Beorninger lächelte versonnen. Er fühlte sich so glücklich! Manchmal gab er sich kurzen Tagträumen über ihn und Luthawen hin, wie sie in einem kleinen Haus mit Garten lebten...
Aber wenn sie in Minas Tirith ankamen, würde die schöne Zeit vorbei sein. Er schüttelte den unangenehmen Gedanken an Trennung ab und griff nach einem Stückchen Pergament und seiner Feder. Er begann, etwas niederzuschreiben und als er fertig war, betrachtete er es eine Weile lang. Elrohir trat an seine Seite und sah ihm über die Schulter. „Was ist das, Olbern?" fragte er neugierig. Der junge Mann sah auf und reichte ihm das Pergamentstück. „Ein Gedicht für Lutha."
Der Elb sah es sich eine Weile an. Olbern wurde abwechselnd rot und weiß vor Aufregung und als Elrohir das Schriftstück endlich sinken ließ, sah Olbern ihn erwartungsvoll an. „Was hältst du davon?" Der Elb lachte. „Geh und pflück ihr ein paar Blumen, mein Junge!" Er schlug dem jungen Beorninger freundschaftlich auf die Schulter. Zunächst sah der junge Mann ihn etwas verdutzt an, dann aber stimmte er in das Gelächter mit ein.
„Na ja, ich bin eben eher ein Krieger vielleicht ein Diplomat, aber bei weitem kein Dichter! Man kann ja nicht alles können!" Damit lief er in den Wald und kam nach einigen Minuten mit einem kleinen Strauß Waldblumen zurück. Sie nahmen ein gemütliches Mittag zu sich und machten sich wieder auf den Weg. Es waren noch etwa drei Tagesmärsche bis Minas Tirith, denn schließlich hatten sie keine Eile.
Am späten Nachmittag sahen sie, wie sich jemand am Horizont auf sie zu bewegte. Sie stiegen von den Pferden und erwarteten den einsamen Reiter. „Es ist Elladan!" rief Elrohir schließlich aus und schwang sich aufs Pferd, um seinem Bruder entgegenzugaloppieren. Bevor er sich jedoch von den anderen entfernen konnte, war sein Bruder schon eingetroffen. Er sah völlig erschöpft aus.
„Seit Tagen suche ich nach euch! Ich dachte schon, ich würde bis Düsterwald reiten müssen!" Elrond und sein Sohn tauschten einen Blick und Elrohir dachte wieder an das ungute Gefühl, das er wegen seiner Schwester gehabt hatte. „Was ist geschehen?" fragten sie wie aus einem Munde.
Elladan berichtete, was er wusste und Elronds Miene verfinsterte sich zusehends. Luthawen hatte sich an Olberns Hand geklammert, als Elladan von Laiethas Verletzung berichtet hatte. Auch Elrond legte die Stirn in Falten und dachte eine ganze Weile lang nach. Ja, sie hatten es mit dunkler Magie zu tun, und nach allem, was sein Sohn berichtet hatte, war diese Frau sehr stark. Warum hatte er nur nichts bemerkt?
Schuldgefühle stiegen in ihm hoch, denn er hätte allen viel Leid ersparen können. Er hoffte nur, dass er in der Lage sein würde, etwas gegen diese Frau zu unternehmen – und dass es noch nicht zu spät war, um zu handeln. „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Lasst uns aufbrechen. Elladan, du wirst neben mir reiten und mir noch einmal alles genau berichten. Vielleicht weiß ich, wie man diesem Weib beikommen kann."
Die Dunkelheit hatte ihren schützenden Mantel über die Stadt gelegt und die drei Figuren schlichen durch die Straßen zu den Kerkern. „Hoffentlich sind die Wachen bei den Gefängnissen noch nicht ausgetauscht worden," flüsterte Eowyn. Sie waren nur zu dritt und so waren sie auf Verbündete angewiesen, wo es nur ging. Die Hobbits zogen ein grimmiges Gesicht – sie waren zu einer Hochzeit gekommen – es hatte ein fröhliches Fest werden sollen und nun mussten sie sich Sorgen machen, weil ihre Freunde zum Tode verurteilt worden waren.
Aber das Glück oder die Gunst der Valar waren mit ihnen, denn vor den Zellen fanden sie Aragorns Männer. Sie kreuzten ihre Waffen, als Eowyn und die Hobbits in den Kerker gehen wollten. Der ältere von beiden erkannte Eowyn sofort. „Was führt euch denn hierher, Herrin? Wollt ihr nach den Halblingen sehen?" Eowyn lächelte traurig und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Mein lieber Rangamer, unser König hat seinen Verstand verloren. Zuerst befiehlt er seine Schwester zu verhaften – du hast es gewiss gehört – und nun will er seine Freunde hinrichten lassen. Ich komme, um dieses Unrecht zu verhindern und bitte dich, mich nicht zu hindern." Er dachte einen Moment lang nach, denn schließlich war es ja seine Pflicht, den Kerker zu bewachen. Aber auf der anderen Seite hatte auch er sich gefragt, was diese Halblinge wohl getan haben mochten, um sich den Zorn des Königs aufzuladen. Dennoch – es blieb Hochverrat, was er tun würde. Sein Kamerad sah ihn fragend an.
Schließlich seufzte Rangamer. „Man munkelt, Frau Annaluva sei geflohen – andere berichten, man hätte sie bei der Flucht getötet. Unser König scheint nicht mehr bei Sinnen zu sein und auch ich war damals ein junger Soldat, als die Halblinge alles riskierten, um den Finsteren zu besiegen. Soll man ihnen ihre Mühen damit lohnen, indem man sie von ihren eigenen Freunden töten lässt? Folgt mir, ich werde euch den Weg zu ihrer Zelle zeigen!"
Leise liefen sie durch die Gänge des Gefängnisses und schließlich wies Rangamer auf eine der Zellen. „Eilt euch, ich werde hier Wache halten." Eowyn nickte dankbar. „Wir werden uns auf die Suche nach Faramir und den anderen machen. Keine Sorge, wenn der König wieder Herr seiner Sinne ist, wird euch kein Leid mehr geschehen. Fürs erste aber, begleitet uns, Rangamer. Eure Güte soll vergolten werden."
Frodo und Sam saßen zusammengekauert an der Wand ihrer Zelle. Der Schreck und die Fassungslosigkeit standen ihnen ins Gesicht geschrieben. „Wenn ich den in die Finger kriege, Herr Frodo! Hat man so was schon mal gesehen!" Frodo schüttelte den Kopf. Natürlich verstand er Sams Zorn, aber er hatte einen Funken der Macht gespürt, die in Mornuan steckte – allein die Erinnerung ließ seine Schulter brennen.
Als die Tür sich öffnete, sprang Sam auf, aber bevor er zu einer Schimpftirade ansetzen konnte, erblickte er Eowyn und seine Freunde. Sie sahen sich kurz an, doch dann umarmten sie sich freudig. „Was geht denn hier vor, Eowyn? Kannst du es mir erklären?" fragte Sam, doch die Frau schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht viel, doch das Wenige nimmt noch zu viel Zeit in Anspruch. Wir alle sind nun in Gefahr und müssen die Stadt rasch verlassen." Damit machte sie sich daran, Sams Ketten zu lösen. Sie konnte es nicht fassen, aber man hatte die Hobbits tatsächlich an der Wand festgekettet, wie gemeine Räuber und Mörder.
Frodos Schulter wurde eiskalt. Der Schmerz bohrte sich bis zu seinem Herzen vor und er schnappte nach Luft. Er kannte dieses Gefühl! Er stöhnte vor Schmerz und umklammerte seine Schulter. „Was zum Balrog hat sie nur mit ihm angestellt?" tobte Sam, als er die letzte Fessel abstreifte. „Wer?" fragte Pippin, der sich neugierig im Kerker umgesehen hatte. Er hätte gar nicht für möglich gehalten, dass es in Gondor solche Verliese gab. „Mornuan!" brachte Frodo schmerzgepeinigt hervor.
Die anderen fuhren herum und als sie seinen gequälten Ausdruck bemerkten, eilten sie an seine Seite. Frodos Augen wanderten unruhig im Raum herum. „Mornuan!" rief er warnend, aber Eowyn legte ihm schnell die Hand auf den Mund. „Sch, Frodo, still! Wir dürfen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen!" Sie machte sich an seinen Ketten zu schaffen.
Frodos Kopf begann zu pochen und ihm wurde schwarz vor Augen. Es war ihm, als breitetet sich die Kälte von seiner alten Wunde über seinen ganzen Körper aus. „Mornuan..." flüsterte er heiser. Sam und Eowyn tauschten einen besorgten Blick und Merry und Pippin machten sich schon daran, ihrem Freund auf die Beine zu helfen. „Wir müssen von hier verschwinden," stellte Sam fest. Ein entsetzter Schrei entkam Frodos Kehle und er riss die Augen auf. Hinter ihnen wurde höhnisches Gelächter laut. „Ihr werdet nirgendwohin gehen!"
Eowyn wirbelte herum und starrte auf die Spitze eines blutbefleckten Schwertes. „Euer verräterischer Freund von der Palastwache hat mit seinem Leben bezahlt, und so wird es euch ebenfalls ergehen. Ihr und eure Freunde werdet morgen sterben!"
Zu rasch für die Hobbits und Eowyn, die vom Erscheinen der Frau überrascht gewesen waren, war Mornuan zur Tür gehuscht und hatte sie mit einem Knall ins Schloss fallen lassen. Eowyn war hinter ihr hergestürmt und hämmerte mit den Fäusten gegen die schwere Eichentür, aber es war sinnlos. Durch das schmale Guckloch konnte sie erkenne, wie einige Männer in den Uniformen von Mornuans Armee einen leblosen Körper fortschafften. Rangamer – er war der erste gewesen, der ihrem bösen Spiel zum Opfer gefallen war, aber er würde nicht der letzte sein.
Eowyn ging mit einem verzweifelten Ausruf in die Knie. Was würde jetzt aus ihren Kindern werden? Ihr Vater war fort und sie würde morgen sterben müssen. Jetzt war alle Hoffnung dahin, denn nicht einmal ein Wunder würde ihnen helfen können. Wenn Mornuan erst Königin von Gondor war, würde niemand in diesem Königreich mehr hoffen können.
Faramir war am Rande seiner Kräfte. Seit fast zwei Tagen war er ohne Unterbrechung geritten. Er dachte, dass er gleich vom Pferd fallen würde. Trotzdem musste er es schaffen! Er musste Laietha und Boromir finden und ihnen von den Soldaten in der Stadt erzählen. Es würde zum Krieg kommen! In einiger Ferne konnte er den Schein eines Lagerfeuers sehen. Die Sonne war vor einigen Stunden untergegangen und Faramir hoffte, seine Freunde dort zu finden. Er gab seinem Pferd die Sporen und trieb das Tier zu einem Tempo an, als wäre ein Balrog hinter ihm her.
Bergil und Boromir hatten die erste Wache übernommen. Der junge Soldat schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was in unseren König gefahren ist! Er ist doch sonst so vernünftig und willensstark! Man erzählt sich, dass er sogar Sauron am Palantir gegenübergetreten ist, ohne seinem Bann zu verfallen!" Schnell verstummte er, denn schließlich war es bekannt, dass Boromirs Vater durch das Palantir wahnsinnig geworden war. Aber der Mann schien nicht daran zu denken.
„Er ist sehr einsam gewesen, Bergil. Wir können nicht immer stark sein. Meine Frau sagt, er steht im Bann seiner Braut." Bergil schüttelte den Kopf. „Und warum gehen wir dann nicht einfach hin und schlagen ihr den Kopf ab?" Nun musste Boromir lachen. Der Junge war ihm manchmal ziemlich ähnlich. „Genau meine Meinung, Junge, aber das geht leider nicht so einfach." Boromir wurde wieder ernst. „Dieser Bann ist nicht wie der, den unsere Frauen über uns gelegt haben. Sie ist eine mächtige Hexe und mit Schwertern kommen wir ihr nicht bei. Deshalb suchen wir Herrn Elrond. Er wird Rat wissen." Oder wir sind verloren, setzte er in Gedanken hinzu.
Die Männer verfielen wieder ins Schweigen, als Boromir plötzlich eine Bewegung am Horizont ausmachte. Er stieß Bergil mit dem Ellenbogen an und deutete in die Richtung. Bergil sah ihn an und nickte. „Wir sollten die anderen wecken!"
Als Faramir das Lager erreichte, starrte er auf blitzende Pfeilspitzen, die auf ihn gerichtet waren. „Nicht schießen! Ich bin es!" rief er aus. Sofort ließen die Männer ihre Waffen sinken und Boromir stürzte zu ihm. Sein Bruder rutschte vom Pferd und kauerte keuchend am Boden. Die Erschöpfung drohte ihn zu übermannen. Boromir beugte sich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter und auch Laietha eilte an seine Seite. Sie sah ihn besorgt an.
„Oh Faramir, sprich, was willst du denn hier? Ist etwas mit meinem Bruder nicht in Ordnung?" Faramir hob den Kopf. Das Licht des Lagerfeuers warf Schatten auf sein Gesicht und nun wurde offenbar, wie müde er aussah. „Wir werden bald Krieg haben. Ihr müsst kommen und helfen!" Damit verlor er das Bewusstsein.
Boromir reagierte sofort und verhinderte, dass sein Bruder den Boden berührte. Laietha beugte sich zu ihrem Schwager hinab und untersuchte ihn gründlich. Sie fand weder Zeichen einer Verletzung noch von Krankheit. „Er ist erschöpft – schnell, bringt eine Decke!" befahl sie. Beregond brachte das Gewünschte und sie trugen Faramir ans Feuer. Der arme Teufel, dachte sie. Er musste die ganze Zeit durchgeritten sein. Ich frage mich, was ihn so zur Eile angetrieben hat. Laietha strich ihm sanft die Haare aus der Stirn.
Aiglos war wohl der Einzige, der Schlaf fand. Laietha und Boromir hielten bei Faramir Wache und die Soldaten saßen dicht beieinander und unterhielten sich leise. Das Lagerfeuer knisterte und knackte und ab und zu warfen sie frische Äste hinein, um es am Leben zu halten. Einige der Soldaten spielten gedankenverloren an ihren Waffen herum. „Krieg," murmelte Boromir nachdenklich. Sein Blick traf den seiner Frau. „Wir werden abwarten müssen, bis er wieder zu sich kommt, aber ich glaube nicht, dass uns seine Kunde gefallen wird." Ihr Mann nickte gedankenverloren. Sein Blick schweifte über die Soldaten und er zählte im Stillen. Es waren nicht mehr als dreißig.
Was sollten sie ausrichten können, wenn es zum Krieg kam? Und Krieg gegen wen? „Wahrscheinlich hat sie irgendwo eine Armee und Faramir hat davon Wind bekommen." Laietha zuckte hilflos mit den Schultern. „Selbst wenn – wir können nichts gegen sie ausrichten. Es hilft nichts, Boromir, wir müssen abwarten, was mein Vater sagt." Boromir sah sie lange an. „Wenn sie ihre Leute schon in die Stadt eingeschleust hat, werden wir jeden Man brauchen, der ein Schwert führen kann." Boromir hatte also den selben Verdacht wie sie – Mornuan hatte ihre Männer in die Stadt geholt. „Und jede Frau, die kämpfen kann," setzte Laietha bestimmt hinzu. Als sie sah, dass Boromir ansetzten wollte, sie zu bitten, dass sie nicht mit ihm käme, schnitt sie ihm schnell das Wort ab.
„Er ist immer noch mein Bruder, egal was vorgefallen ist. Verlange bitte nicht, dass ich ihn seinem Schicksal überlasse. Ihr braucht jeden, der eine Waffe führen kann." Boromir lächelte traurig und küsste sie auf die Stirn. „Ich hab mir schon gedacht, dass du so etwas sagen würdest, Frau Annaluva, obwohl ich gehofft hatte, du würdest dein Leben diesmal nicht riskieren." Sein Blick fiel auf Aiglos, der auf der anderen Seite des Lagers friedlich schlief. Laietha lehnte sich gegen seine Brust.
„Ich werde ihn mit zwei Männern vorausschicken, damit er meinen Vater sucht. Ihm wird nichts geschehen." Ich wünschte, du würdest ihn begleiten, Laietha. Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Aber du hast wohl recht, wir brauchen dich hier nötiger, dachte er und küsste ihren Scheitel.
Die Sonne ging auf und der Waldboden war mit Nebel bedeckt. Dämmriges Licht brach durch das Blätterdach und die Vögel begannen zu zwitschern. Es sah alles so friedlich aus, aber sie alle wussten, dass dieser Friede nicht von Dauer sein würde. Faramir schlief noch immer und Laietha hatte sich erhoben und ging zu ihrem Sohn. Sie rüttelte den Jungen sanft an der Schulter. „Hey, Aiglos, wach auf," flüsterte sie sanft. Er gähnte und öffnete verschlafen ein Auge. Sie rang sich ein Lächeln ab und reichte ihm etwas zu Essen.
„Du musst dich heut etwas mit dem Aufstehen beeilen – ich habe einen Spezialauftrag für dich." Als der Junge das hörte, leuchteten seine Augen. Er liebte den Gedanken, etwas sehr wichtiges und ehrenvolles tun zu müssen. Das roch nach einem Abenteuer! „Was soll ich tun, Mama?" fragte er aufgeregt und schlang hastig sein Frühstück herunter. Seine Mutter kämmte ihm das wilde Haar und band es zu einem Zopf zusammen. „Du wirst mit Bergil und Daurel reiten. Ihr müsst deinem Großvater eine wichtige Botschaft überbringen." Aiglos war nun kaum noch zu halten. Er mochte Bergil sehr und er würde ohne seine Eltern reiten! Was für ein Abenteuer! Laietha hatte ihren Sohn noch nie so schnell beim Waschen gesehen. Bald schon war er fertig zum Aufbruch.
Er umarmte seine Mutter fest und sein Vater schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Mach mir keine Schande, mein Sohn," grinste er. Aiglos schwang sich aufs Pferd und die drei jungen Männer stoben in Richtung Düsterwald davon. Laietha und Boromir sahen ihnen lange nach.
Faramir begann sich zu regen. Sofort eilte sein Bruder an seine Seite. Der Fürst von Ithilien sah noch immer müde und mitgenommen aus, aber nach einem Schluck Wasser und einem Bissen zu essen, begann er zu berichten. Boromir verzog das Gesicht, als sein Bruder mit seinen Ausführungen fertig war. „Schlechte Nachrichten bringst du." Sie hatten so etwas befürchtet, aber es bestätigt zu wissen, war etwas anderes. Aus Faramirs Bericht ging hervor, dass Mornuan ungefähr die selbe Anzahl an Soldaten in die Stadt geschleust hatte, wie es Männer in der Palastwache Ithiliens gab.
Es waren also nicht allzu viele, aber sie wussten, wenn diese Frau es geschickt anstellte und alle Wachen aus dem Dienst entlassen würde, wäre die Stadt trotzdem besetzt. „Diese Frau hat aber auch an alles gedacht," knurrte Boromir. „Sie hält ihn schön in ihrem Bann und platziert in Seelenruhe ihre Leute in der Stadt. Aber sie wird ihn ja wohl nicht für den Rest seines Lebens in ihrem Bann halten können, oder?" Boromir sah seine Frau erwartungsvoll an. Laietha seufzte. „Ich weiß es nicht, aber wenn sie den Bann löst, wird sie ihn wahrscheinlich umbringen – das ist es, was ich fürchte." Boromir und Faramir sahen sich an. Laietha hatte sicherlich einen guten Punkt angebracht.
Sie überlegten eine ganze Weile, bis Laietha sich schließlich erhob. „Wir können jetzt ewig hier sitzen und uns den Kopf zerbrechen, aber das Beste wird wohl sein, wir gehen nach Minas Tirith und machen uns selbst ein Bild von der Situation. Dann werden wir weitersehen. Vielleicht hat sie Aragorns Geist umnebelt, aber ich bin sicher, seine Männer stehen noch immer auf der Seite ihres Königs." Boromir schüttelte leicht den Kopf.
„Es wäre das Klügste, auf deinen Vater zu warten, Liebes!" Laietha kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Natürlich hatte er recht, aber sie hatte ein schlechtes Gefühl. „Wir werden später darüber entscheiden, wenn wir erst dort sind. Zur Not können wir uns auch immer noch im Druadanwald verstecken und dort auf ihn warten," gab sie zu bedenken. Boromir seufzte. Manchmal konnte sie sturer als ein Maultier sein. Beregond trat zu ihr und legte ihr ermunternd die Hand auf die Schulter.
„Frau Annaluva hat recht. Wir sollten nach dem Rechten sehen. Meine Männer werden sich noch ungehindert in der Stadt bewegen können und wenn wir erst ein genaues Bild von den Verhältnissen haben, wird uns gewiss etwas einfallen." Damit waren alle einverstanden und sie machten sich zum Aufbruch bereit. Laietha lächelte düster. Egal was vorgefallen war – sie liebte Aragorn und würde versuchen, ihn vor allem zu beschützen. Außerdem – sie griff nach einer der kurzen Haarsträhnen – hatte sie noch eine Rechnung zu begleichen. Mornuan würde bitter bezahlen müssen, was sie ihr angetan hatte.
Auch Faramir war aufgefallen, dass Laietha sehr schweigsam war. Er tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Boromir aus, aber sein älterer Bruder zuckte nur mit den Schultern. „Vielleicht wird es besser, wenn wir aufbrechen und sie nicht mehr das Gefühl hat, nichts tun zu können," erklärte er. Plötzlich huschte ein Lächeln über Faramirs Gesicht. „Das hätte ich ja fast vergessen!" rief er aus und lief zu seinem Pferd. Er rief Laietha zu sich. Mit einem Lächeln griff er an die Seite seines Sattels.
„Ich habe mir gedacht, du hättest bestimmt keine Zeit mehr gehabt, es zu holen – nun, ich hatte wohl recht. Außerdem hat sich Boromir mehr als einmal beschwert, dass du ohne es schrecklich unleidlich wärst." Mit einem Lachen reichte er Laietha ihr Schwert. Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht. „Dramthala, magol nin.1" Laietha strich zärtlich über die Klinge. Faramir lachte leise. „Starker Schlag – ist das der Name deines Schwertes?"
Laietha nickte und musste schmunzeln. „Aragorn hat es mir geschenkt, als ich vierzehn wurde – nun der Name war damals wohl ein frommer Wunsch." Nun fühlte sie sich bei weitem besser. Sie würden einen Weg finden, Aragorn zu helfen. „Wir brechen in zwei Stunden auf!" befahl sie. Die Männer sahen sie ein wenig erstaunt an. Boromir zuckte nur mit den Schultern. „Ihr habt gehört, was die Dame gesagt hat – in zwei Stunden geht es los!"
Jeder in der Stadt war ganz aus dem Häuschen. Eine riesige Menschenmenge hatte sich vor dem Palast versammelt. Eine königliche Hochzeit bekam man schließlich nicht jeden Tag zu sehen. Die Menschen erinnerten sich an diesem Tag an die Hochzeit von Boromir und Laietha und an die von Faramir und Eowyn. Nun sollte ihr geliebter König die schöne Frau Mornuan zur Frau nehmen.
Alles war in heller Aufregung, aber vereinzelt sah man auch besorgte Gesichter in der Menge. Am Nachmittag sollte es eine öffentliche Hinrichtung geben, die erste seit vielen Jahrzehnten und man munkelte, dass es sich dabei um vier Halblinge handeln sollte. Böse Zungen behaupteten auch, dass Frau Eowyn sich unter den Verurteilten befinden sollte – was natürlich lächerlich war.
Die Kinder tanzten und sangen fröhliche Lieder. Wer zur Schule ging, hatte an diesem Tag frei und das Wetter war einfach wie geschaffen für eine königliche Hochzeit. Die Kinder betrachteten neugierig die fremden Soldaten, die überall in der Stadt postiert waren. Sie hatten die Palastwache Gondors und Ithiliens abgelöst. Ihre glänzende Rüstung und ihre fremdartigen Waffen ließen die Jungen gar nicht mehr los. Neugierig versammelten sie sich um die Soldaten, die mit keiner Miene zuckten.
Die Dienstmädchen im Palast eilten geschwind durch die Gänge. Der König hatte die Hochzeit sehr kurzfristig beschlossen und nun gab es furchtbar viel zu tun. Der König und seine zukünftige Königin mussten noch herausgeputzt werden. „Ich frage mich nur, wie eine so schöne Frau nur Herrn Aragorn heiraten kann," flüsterte eines der jungen Dienstmädchen.
„Du lieber Himmel, er ist wirklich ein schrecklich alter Mann geworden. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich letztes Jahr noch für ihn schwärmen konnte! Valar, er ist ja ein Greis geworden!" Ihre Freundin begann zu kichern und eines der älteren Dienstmädchen kam um die Ecke gefegt. „Hört auf zu schwatzen, Mädchen! Wir haben noch genug zu tun! Sputet euch!" Die Mädchen schlugen die Hände vor den Mund und stoben auseinander.
Mornuan betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Sie trug ein kostbares Kleid aus weißer Seide und ihre schwarzen Haare waren kunstvoll hochgesteckt worden. Man hatte winzige Perlen hineingeflochten. „Du kannst dich jetzt entfernen, ich will alleine sein," befahl sie einem jungen Dienstmädchen. Die junge Frau verbeugte sich artig und huschte aus dem Zimmer.
Mornuan schlenderte zum Fenster und ließ ihren Blick auf den Galgen ruhen, die schon für die Hinrichtung später am Tag aufgebaut wurden. Jetzt war ihr Triumph zum Greifen nahe. Nichts und niemand würde sich ihr mehr in den Weg stellen können – sie würde es nicht zulassen. Obwohl es knapp gewesen war. Dieser eine Halbling hätte um ein Haar alles verdorben.
Sie zog die Brauen zusammen. Nur, wie hatte er ihr auf die Schliche kommen können? Nicht einmal Herr Elrond hatte etwas bemerkt. Es war schon schwieriger gewesen, den Elbenherrscher hinters Licht zu führen. Annaluva war von Anfang an misstrauisch gewesen – aber ihre Eifersucht, wenn es um ihren Bruder ging, war weithin bekannt. Man hatte ihr sowieso nicht geglaubt. Aber das war jetzt nicht mehr wichtig. Annaluva war tot, ihr Mann und ihr Sohn nach ihrem Tod verschwunden und es interessierte sie auch nicht, wo sie abgeblieben waren.
Aber was war mit diesem Halbling? War er ein Zauberer? Ein Zauberkundiger? Er schien sie sofort durchschaut zu haben. Nun, nicht, dass es ihm etwas genützt hätte – er würde bei Sonnenuntergang tot sein. Vielleicht würde sie sich noch einmal mit ihm beschäftigen, bevor er starb. Es spielte keine Rolle, ob der Halbling etwas über ihre Pläne wusste – die Wachen waren in der ganzen Stadt ausgetauscht worden, der Halbling saß im Kerker und wartete auf seinen Tod, Annaluva verrottete bereits... es war vollbracht.
Es klopfte vorsichtig an der Tür. „Herein," herrschte Mornuan und der Kopf eines Dienstmädchens erschien in der Tür. „Herrin, man erwartet euch." Mornuan nickte und bedeckte ihr Gesicht mit dem Schleier. Sie sah sich ein letztes Mal im Spiegel an. Nun trennten sie nur noch wenige Augenblicke davon, Königin zu sein. Ihre Zeit war gekommen. Mornuan, die Witwe des mächtigen Hexenkönigs, würde bald die mächtigste Frau Mittelerdes sein.
1 Dramthala, mein Schwert.
