Aragorn winkte müde mit seiner Hand und die Dienstboten verließen den Raum. Vor der Tür begannen die jungen Mädchen zu kichern, aber Aragorn kehrte sich nicht daran. Bald würde er verheiratet sein und sein Verstand rief ihm zu, dass er überglücklich sein sollte, aber als er seinem Herzen lauschte, fühlte er sich von einer entsetzlichen Leere erfüllt. Etwas fehlte, aber er konnte nicht sagen was.
Ziellos wanderte er im Raum umher und suchte etwas – ohne zu wissen, was es war. Auf Mornuans Nachttisch stand ein kleines Kästchen. Ohne nachzudenken, öffnete er es und sein Blick fiel auf ein Schmuckstück – eine silberne Kette mit einem grünen Juwel daran. Er kannte dieses Stück, aber ihm wollte nicht einfallen, woher. Wem gehörte es?
Das Gefühl des Verlustes wurde beinahe übermächtig groß und es schmerzte ihn. Aragorn streckte langsam die Hand aus und berührte den Stein. Er begann in einem grünen Licht zu glühen und wohlige Wärme umfing ihn. Das Bild einer jungen Frau mit roten Locken und blitzenden grünen Augen tauchte vor seinem inneren Auge auf. Die Leere wurde größer und Aragorn erkannte seine Schwester. Ihr hatte dieses Schmuckstück gehört.
Sein Verstand begann zu schreien. Sie war eine Verräterin, hatte versucht, seinen Thron zu stehlen, hatte ihm Übles gewollt! Die Stimme war laut und verbreitete Schmähungen. Sie war überzeugend. Aragorn musste sie doch hassen! Sein Urteil war gerecht gewesen. Wie eine Schlange hatte sie an seinem Herzen gesaugt.
Eine andere Stimme mischte sich ein. Sie war leise, kaum mehr als ein Flüstern und sie sprach nicht von Fakten und Verrat – nur von Liebe. Aragorn griff nach dem Stein und das Flüstern seines Herzens bahnte sich seinen Weg zu seinen Augen, aus denen nun Tränen über seine Wangen rannen. Sein Verstand verstummte – nur der Schmerz über den Verlust seiner Schwester blieb.
Er selbst hatte das Urteil gesprochen. Tot. Verloren. Für immer fort, ohne dass er ihr ein letztes Wort der Liebe zum Abschied hätte schenken können. Seine eigenen Worte echoten in seinem Kopf und jedes von ihnen traf ihn wie ein Pfeil ins Herz.
Ein Bild kam ihm in den Sinn – er und Laietha in Bruchtal, in ihrem Zimmer, im Schneidersitz auf ihrem Bett sitzend und sie erzählte ihm, dass sie sich zum ersten Mal verliebt hatte. Er hatte sie in den Arm genommen und sie hatten gelacht. Aragorn presste die Hand zusammen und der Stein fügte ihm fast Schmerzen zu. Es war das einzige, was ihm von seiner Schwester nun noch geblieben war.
Aragorn öffnete den Verschluss und legte die Kette um den Hals. Ja, vielleicht hatte sie versucht, ihm seinen Thron zu stehlen, aber er liebte sie und es schmerzte ihn jetzt, dass er es ihr bei ihrem letzten Treffen nicht gesagt hatte.
„Mein Herr, es ist Zeit. Eure Braut wartet." Aragorn nickte und wandte sich zum Gehen. Plötzlich fühlte er sich unglaublich alt und müde.
Eowyn sah sich das Schloss an der Tür zum hundertsten Mal an. Es musste doch eine Schwachstelle geben! Es war sinnlos – hier gab es keinen Weg raus. Natürlich nicht, dummes Kind, rief sie sich zur Ordnung. Dies war ein Gefängnis, gebaut, um die Leute in seinen Mauern gefangen zuhalten und nicht hinauszulassen.
Sie sah durch das Gitter in der Tür und erblickte Mornuans Männer im Gang. Sie konnten nicht mehr auf ihr Mitleid hoffen. Nun waren sie ganz auf sich gestellt. Faramir war fort und ihre Kinder...
Draußen von der Stadt her wurde Jubel laut. Nun waren sie also Mann und Frau – es war zu spät. Mornuan war die neue Königin Gondors und sie würden sterben.
Die Hobbits hatten stumm in einer Ecke der Zelle gesessen. Sam hatte besorgt nach Frodos Schulter gesehen, aber seitdem Mornuan verschwunden war, ging es ihm wieder besser. „Schwarze Magie," hatte Frodo erklärt. „Seit ich von der Morgulklinge des Nazgul verletzt worden bin, spüre ich, wenn schwarze Magie um mich herum ist. Sie muss sehr mächtig sein."
Merry gähnte und öffnete die Augen. Pippin schüttelte nur fassungslos den Kopf. Sicher, sie konnten nicht viel tun, aber woher sein Cousin die Seelenruhe nahm, im Angesicht des Todes zu schlafen...
„Hab ich was verpasst?" fragte Merry und rieb sich die Augen. „Zwei Stunden deines verbleibenden Lebens, würde ich meinen," grollte Pippin. Merry winkte ab. „Wenn es nur das ist..." Sie waren alle nicht in der besten Stimmung. In Gedanken waren sie bei ihren Familien und Frodo grübelte, wie sie wohl am besten aus dieser Misere herauskämen.
Sie hatten darüber nachgedacht, auf dem Weg zur Hinrichtung einen Fluchtversuch zu starten – was hatten sie schon zu verlieren? Auf der anderen Seite hofften sie auf Aragorns Begnadigung. „Doch wer weiß, ob der König noch selbst die Entscheidungen trifft," hatte Eowyn eingeworfen und sie wussten, dass sie recht hatte. Alles was sie jetzt tun konnten, war abwarten – und sie hassten es.
Sie traten hinaus auf den Balkon und das Volk jubelte ihnen laut zu. Der Jubel war ohrenbetäubend. Das Volk von Gondor war froh, dass ihr König endlich eine Königin hatte.
Aragorn bekam kaum etwas davon mit, denn in seinem Kopf wirbelte alles durcheinander. An seinem Herzen glühte eine merkwürdige Hitze und als er die Hand an diese Stelle legte, bemerkte er, dass die Wärme von der Kette seiner Schwester ausging. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Während er versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen, hörte er seine eigene Stimme, die Mornuan offiziell zur neuen Königin Gondors erklärte. Er spürte ihren sanften Griff an seiner Hüfte und drehte sich um. Es war Zeit, sie zu küssen. Die Menge forderte mit einer Stimme diesen Kuss.
Aragorn betrachtete sie genau. Sie war wunderschön – die weiße Seide ihres Hochzeitskleides bildete einen wundervollen Kontrast zu ihrem schwarzen Haar und ihren brennenden Augen, die Lippen waren voll und rot und doch – als sie sich gegen ihn drückte und er daran dachte, sie zu küssen, überkam ihn eine so große Abscheu, dass er sie beinahe von sich gestoßen hätte. Sein Herz schrie ihm zu, er möge sich von ihr fernhalten, aber sein Verstand schaltete sich ein und brüllte ihn an, dass sie doch seine geliebte Frau wäre. Aragorn spürte, wie er erblasste.
Mornuan sah ihn besorgt an. „Ist alles in Ordnung, mein Liebster?" fragte sie mit ihrer melodischen, aber eisigen Stimme, die sein Herz zum Schweigen brachte. Ein Nebel drohte sich über Aragorns Geist auszubreiten. Er kämpfte darum, seinen Verstand zu behalten. Mühsam nickte er und drückte ihr einen halbherzigen Kuss auf, der vom Volk mit donnerndem Applaus bedacht wurde. Dann stürzte er in sein Gemach und ließ sich keuchend aufs Bett sinken.
Seine Knie waren weich geworden und er fühlte sich elend. In seinem Kopf drehte sich alles und sein Magen krampfte sich zusammen. Mornuan trat auf ihn zu – ein wölfisches Lächeln im Gesicht. Aragorn sprang auf und wich einen Schritt vor ihr zurück. Die Hitze an seinem Herzen war fast unerträglich.
Merkst du nicht, wie diese Hexe dich verwunschen hat?
Laiethas Worte echoten in seinen Ohren. „Nein," keuchte er und wich zurück.
Also hat sie dich ganz in ihrer Gewalt. Kämpf dagegen an, Aragorn!
Kühle Hände legten sich auf seine Brust und er spürte, wie die Schwäche ihn zu übermannen drohte. Fast verzweifelt stieß er sie von sich. „Lass mich!" rief er voller Panik. „Ich fühle mich nicht wohl," setzte er nach einem winzigen Augenblick hinzu. Sie lachte leise. Draußen an der Tür klopfte es und einer der fremden Soldaten trat ein.
„Alles ist zu eurer Zufriedenheit eingerichtet worden, Herrin. Die Vorbereitungen für die Hinrichtung sind abgeschlossen und die Wachen Gondors sind aus euren Diensten entlassen worden." Der Soldat knallte die Hacken zusammen und nahm Haltung an. Mornuan lächelte zufrieden. „Gut."
Aragorn fühlte Wut in sich aufsteigen. „Was soll das alles? Warum weiß ich davon nichts? Ich bin schließlich der König!" Er machte einen schnellen Schritt auf Mornuan zu, aber sofort stellte sich die Wache vor sie. Die Frau lachte leise. „Schon in Ordnung. Du kannst gehen." Der Soldat verbeugte sich und verließ den Raum.
Aragorn kam wütend auf sie zu, nun vollends verwirrt. Was ging hier vor sich? Mornuan lachte und presste sich fest gegen ihn. Etwas in seinem Kopf fühlte sich plötzlich an, als würde jemand mit kalten Fingern darin herumtasten. Er wehrte sich dagegen und als Mornuans Hände in sein Hemd glitten und sich Laiethas Kette näherten, schlug er ihre Hand weg und umklammerte den Elbenstein, wie um ihn vor ihrer Berührung zu schützen.
Mornuan stieß ein schnaubendes Lachen aus. „Also bist du schließlich doch noch dahintergekommen, ja? Ist es nicht bedauerlich, dass es nun zu spät ist?" In ihren Augen brannte ein grimmiges Feuer der Befriedigung. „Laietha hatte die ganze Zeit über Recht. Ich wünschte, ich hätte auf sie gehört." Mornuan lächelte ihn hämisch an. „Zu schade, dass sie es nie erfahren wird, nicht wahr? Ich glaube, es hätte ihr den Tod ein wenig erleichtert."
Mit grausamer Klarheit erinnerte er sich nun an jedes einzelne Wort ihrer letzten Begegnung – ein Schauer überkam ihn. Ihr Todesurteil war aus seinem Mund ergangen, es war seine Schuld, dass sie tot war. Aber vielleicht war das nur ein Trick von Mornuan! Der winzige Funken Hoffnung entflammte ein Feuer in seinem Herzen, das auch den letzten Rest ihres Bannes wie Schnee in der Sonne schmelzen ließ. „Das ist nicht wahr," lächelte er. „Du bist die Königin aller Lügen! Sie ist nicht tot, also sag mir, wo du sie hingeschafft hast!" Mornuan lachte leise.
„Nicht? Brauchst du noch mehr Beweise? Dass du ihre Kette gefunden hast, habe ich gesehen – oder wo glaubst du, hätte ich sie sonst her?" Sie ging zu ihrem Nachttisch und zog den dunkelroten Zopf hervor. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht warf sie ihm die Haare zu. „Oh, ich weiß nicht, ob es dich interessiert, aber es steht eine Hinrichtung für heute an – vier Halblinge und Frau Eowyn. Willst du wissen, wer das Urteil unterzeichnet hat?"
Aragorn starrte sie einen Moment lang fassungslos an. Dann warf er den Zopf zur Seite und stürzte auf sie zu. Er presste sie gegen die Wand und legte ihr die Hände an die Kehle. Er begriff, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Sie hatte ihn dazu gebracht, seine eigene Schwester töten zu lassen und nun sollten fünf seiner besten Freunde auf sein Wort hin sterben!
Aragorns Hände begannen zu brennen, als hätte er ins Feuer gefasst, als er ihren Hals berührte. Plötzlich konnte er keinen Muskel mehr bewegen und er spürte, wie seine Knie nachgaben. Er fand sich auf dem Boden zusammengekrümmt liegend wieder und jede Faser seines Körpers schmerzte. Mornuan beugte sich mit einem süffisanten Lächeln über ihn.
„Hast du im Ernst geglaubt, du könntest mich so einfach erdrosseln? Ich bin viel zu mächtig für dich oder jeden deiner einfältigen Freunde. Nun, ich habe was ich wollte. Ich bin Königin von Gondor und du bist nun mehr als unnütz für meine weiteren Pläne. Ich will gnädig sein und dir erlauben, dass du deinen Freunden beim Sterben zusehen kannst, aber danach wird der altersschwache König von Gondor einen tragischen Unfall noch vor der Hochzeitsnacht haben."
Damit verschwand sie aus der Tür. Aragorn konnte noch immer keinen Muskel bewegen, aber der Stein an seiner Brust begann mit aller Kraft zu leuchten und langsam ließen Kälte und Schmerz nach und das Gefühl kehrte in seine tauben Glieder zurück. Langsam kam er wieder auf die Beine und bewegte sich vorsichtig durch den Raum. Als er aus dem Fenster sah, fiel sein Blick auf die fertigen Galgen und er wurde schmerzlich daran erinnert, wer dort durch sein Wort sterben sollte.
Das konnte er nicht zulassen. Vielleicht hatte er nichts tun können, um seine Schwester zu retten, aber diesmal würde er nicht so einfach zusehen. Alles was er brauchte, war ein Plan – wenn auch einen verdammt guten!
Aiglos genoss es sehr, dass er endlich mal ohne seine Eltern auf Reisen gehen durfte. Zwar hatte ihm der besorgte Gesichtsausdruck seiner Mutter nicht gefallen, aber manchmal war sie eben ein wenig pessimistisch. Bergil ritt neben ihm und lachte ihn an. „Na, tut dir der Hintern schon weh?" Aiglos lachte laut auf. „Ich wette, mein Hintern ist das Reiten eher gewöhnt als deiner!" Bergil klopfte ihm auf die Schulter. „Gut, dann schieb es ruhig auf mein Hinterteil, aber ich denke, dass deinem Allerwertesten eine Pause auch nicht schaden wird!"
Es war um die Mittagszeit und sie beschlossen, ihr Essen zuzubereiten. Aiglos erwies sich als erstaunlich guter Koch. „Ich hab mehr als einmal zur Strafe, weil ich etwas angestellt hatte, meiner Mutter in der Küche helfen müssen. Inzwischen kann ich besser kochen als sie," erklärte er. Bergil und Daurel lachten. Laiethas Kochkunst war eher berüchtigt als berühmt. „Worum geht es eigentlich?" fragte Aiglos, als sie nach dem Mittag noch eine kurze Verdauungsrast einlegten.
Bergil kaute nachdenklich auf einem Grashalm. „Wir sollen deinem Großvater sagen, was in der Stadt vor sich geht und ihn zur Eile antreiben. Deine Mutter meinte, wir brauchen seine Hilfe und er solle wissen, was ihn erwartete." Aiglos zog nachdenklich die Brauen zusammen. „Ist etwas mit Onkel Aragorn nicht in Ordnung? Ich meine, er benimmt sich eigenartig." Bergil und Daurel tauschten einen Blick.
„Das kannst du wohl laut sagen, mein Junge. Aber das wirst du wohl erst verstehen, wenn du älter bist," bestätigte Daurel. Bergil grinste und zwinkerte Aiglos zu. „Er will damit sagen, er hat selbst keine Ahnung, was genau vor sich geht." Plötzlich versteifte sich Daurel und gab Bergil einen Stups in die Seite. „Sieh mal – da kommt wer," flüsterte er. Die beiden Männer sprangen auf und stellten sich vor Aiglos. Angestrengt versuchten sie, etwas in der Ferne auszumachen.
„Ich habe es gesehen," sagte Elrond, als Elrohir zu ihm geritten kam. Er hatte die drei Gestalten, die in der Ferne ihr Lager aufgeschlagen hatten schon vor einer ganzen Weile erspäht. Es waren nur drei und sie waren in einer Gruppe von zwanzig Mann unterwegs, also würde ihnen nichts geschehen. Aber Elrond hatte auch gesehen, dass eine der Personen kaum mehr als ein Junge war – einer mit strohblondem Haar. Was taten sie hier in der Wildnis? Elrohir schien die selbe Frage zu bewegen. „Lasst uns schneller reiten. Wir sollten sie in einer Viertelstunde erreicht haben," schlug er vor und sie trieben ihre Pferde zur Eile an.
Tatsächlich dauerte es nicht lange und sie hatten Bergil und seine Begleiter erreicht. Olbern schüttelte verwundert über die scharfen Sinne der Elben den Kopf. Er selbst hatte Aiglos und die Soldaten erst wenige Minuten vor ihrem Zusammentreffen ausmachen können. Luthawen und Aiglos fielen sich in die Arme. Die beiden Geschwister waren sehr froh, sich zu sehen. Aufgeregt fragte Luthawen nach dem Befinden ihrer Mutter und war mehr als beruhigt zu hören, dass sie wohlauf war.
Aiglos sah seine Schwester lange an. „Was ist denn mit dir los, Lutha? Du siehst ja so anders aus als sonst!" Die junge Frau sah ihn verständnislos an, begann dann aber zu begreifen. „Erzähl ich dir ein anderes Mal, ja?" murmelte sie rasch. Dann wurden die Kinder Boromirs durch die Stimme ihres Großvaters angelockt, der mit Bergil sprach.
Der junge Soldat erstattete Bereicht von den Vorfällen in der Stadt. Alle Umstehenden erblassten und Herr Elrond legte die Stirn in Falten. Das hörte sich sehr ernst an. „Wir sollten nicht lange warten. Lasst uns erst heute Abend rasten." Damit schwang sich Elrond wieder auf sein Pferd. Er überlegte, was man gegen diese Frau unternehmen könnte.
Etwa ein Tagesritt trennte sie von den Grenzen zu Minas Tirith und Laietha fühlte, wie sich ihr die Kehle beim Gedanken an ein Treffen mit Aragorn zuschnürte. Es war die Furcht, dass er sie wieder beschimpfen würde.
Wir sind nicht blutsverwandt!
Boromir nahm ihre Hand und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Sie hatten einen Plan gefasst. Zwei von Beregonds Soldaten würden in die Stadt gehen. Sie würden von niemandem erkannt werden, denn sie gehörten zur Wache Ithiliens und waren erst vor kurzem aus ihren Heimatdörfern in die Stadt gekommen. Wenn die Wachen allerdings ausgetauscht waren, würde es sowieso keinen Unterschied machen. Sie sollten die Lage auskundschaften, während sich sie anderen am Rande des Druadanwaldes versteckten.
Soweit schien alles ganz passabel zu sein, aber was sie tun würden, wenn die Stadt besetzt und Aragorn nicht mehr Herr seiner Sinne war, wussten sie auch nicht. „Eowyn ist gewiss nach Rohan geritten, um Hilfe zu holen," warf Faramir ein.
Das Wetter war strahlend schön, wie um ihre trübe Miene zu verhöhnen. Sie ritten im Schutze des Druadanwaldes. Die Mücken surrten um ihre Köpfe und mit einem ärgerlichen Ausdruck im Gesicht, erschlug Faramir eine von ihnen, die sich an seiner Wange festgesaugt hatte. Er grummelte etwas Unverständliches vor sich hin. Die Sonne stieg beständig und gegen Mittag hörten sie aus der Ferne den Schall von Trompeten. Laietha zuckte zusammen.
Sie konnte sich schon denken, was das zu bedeuten hatte – Aragorn hatte Mornuan das Ja Wort gegeben. Boromir drückte ihre Hand. „Ihm wird nichts geschehen sein," murmelte er, aber er fand sich selbst nicht sehr überzeugend. Auf jeden Fall würde es nun schwieriger werden, gegen Mornuan vorzugehen. „Vielleicht schaffen wir es bis zur Dämmerung, nahe genug an die Stadt heranzukommen, um unsere Männer einzuschleusen," versuchte Beregond die Stimmung in der Gruppe zu heben und tatsächlich huschte ein leichtes Lächeln auf Laiethas Gesicht. „Danke," flüsterte sie.
Aragorn hatte den Kopf in die Hände gestützt. Er war wild entschlossen, Eowyn und den Hobbits zu helfen – es gab nur ein Problem: Mornuan hatte die Tür abgeschlossen und er kam nicht aus dem Raum heraus. Es war einfach zum Verrücktwerden! Egal was er versuchte, es hatte keinen Sinn, er saß fest. Einige Male war er schon zum Fenster gelaufen und hatte die Höhe abgeschätzt – nur um zu dem selben Ergebnis zu gelangen – wenn er sprang, würde er sich sämtliche Knochen brechen. Plötzlich wurde er ganz still, denn er hörte Stimmen vor der Tür.
Es waren Kinder – zwei. Ein Junge und ein Mädchen und sie stritten mit einem Erwachsenen, der mit fremden Akzent sprach. „Ich will zu Onkel Aragorn! Wo ist meine Mama!" weinte ein kleines Mädchen. „Auf Geheiß der Königin darf niemand mit dem König sprechen!" donnerte die Männerstimme und das Kinderweinen wurde lauter. „Wir müssen zum König!" Kleine Fäuste trommelten gegen die Tür. „Onkel Aragorn! Hilfe!" rief die hohe Kinderstimme.
Aragorn sah sich im Zimmer um. Rasch griff er nach einem Briefbeschwerer auf Mornuans Kommode und verbarg sich hinter der Tür. Er hatte nur diese eine Chance. Er hörte, wie das Kinderweinen verstummte und ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. „Gut, wenn ihr unbedingt wollt, könnt ihr euch eurem Onkel gerne anschließen," lachte die Männerstimme hämisch.
Aragorn machte sich ganz klein. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit. Aragorn hob die Hand mit dem Briefbeschwerer. Auranor betrat den Raum.
Ohne zu zögern, stieß Aragorn sie zur Seite und dann geschah alles ganz schnell. Auranor schrie erschreckt. Aragorn sprang aus der Tür. Er packte den Wächter im Genick und schlug ihm den Briefbeschwerer über den Kopf. Der Soldat brach zusammen und Ionvamir starrte den König entsetzt an. Auranors Schrei vergellte und die Stille wurde greifbar.
Aragorn zauderte nicht. Er hob den Soldaten unter den Achseln an und zerrte den leblosen Körper ins Zimmer. Der Mann atmete noch. Der König fesselte ihn an das breite Bett und knebelte ihn. Sollte er versuchen, Alarm zu schlagen. Schnell nahm er Auranor auf den Arm. Das kleine Mädchen sah ihn mit schreckensweiten Augen an.
„Alles in Ordnung, mein Liebes," beruhigte Aragorn sie. Ionvamir trat zu ihnen und musterte den König lange. Er sah furchtbar aus, aber wenigstens war sein Blick klarer und er wirkte größer und stattlicher als in den Wochen zuvor. „Onkel Aragorn, was wollen wir denn jetzt machen?" Beide Kinder blickten fragend zu ihm auf und Aragorn verpasste Auranor, die immer noch gegen die Tränen kämpfte, einen sanften Nasenstüber. „Wir gehen jetzt eure Mama befreien."
Er nahm die Waffe des fremden Soldaten und spähte auf den Gang hinaus. Es war alles frei. Wahrscheinlich hatten sie sich schon in der Stadt postiert, denn wenn die Menschen sahen, wer hingerichtet werden sollte, würde es zu Protesten kommen und das wusste Mornuan. Den ganzen Weg zum Kerker hin, fühlte sich Aragorn entsetzlich elend.
Es war seine Schuld, dass seine Freunde in Gefangenschaft waren. Nur wegen ihm war Mornuan jetzt Königin von Gondor. Er hatte sein ganzes Volk verraten und nun wusste er nicht, wie er es rückgängig machen sollte. Was würde geschehen, wenn er Eowyn und die Hobbits nicht befreien konnte? Leise schlich er über den Hof, Auranor noch immer auf dem Arm, als ihn ein Schlag auf den Hinterkopf traf und er zusammenbrach.
Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und Eowyn sprang auf. Es war also soweit. Sie kamen, um sie zu holen. Sie hatten sich noch immer nicht entschlossen, ob sie die Flucht wagen sollten oder lieber auf Aragorns Gnade hofften. Jetzt war es wohl zu spät, um darüber zu diskutieren. Auch die Hobbits erhoben sich. Keiner von ihnen wollte Schwäche zeigen, auch wenn die Angst vor der Hinrichtung ihnen die Eingeweide zerwühlte. Dass sie so sterben würden, hätte keiner von ihnen für möglich gehalten.
Die Wache betrat den Raum und legte ihnen massive Ketten an. Sie kamen sich wie Schwerverbrecher vor. Trotzdem ließen sie sich keine Schwäche anmerken und erhobenen Hauptes ließen sie sich die Gänge entlang und die Treppen hinaufführen. Vor dem Kerker stand ein großer Karren – bewacht von zwanzig Soldaten der neuen Palastwache. Wohl eher zum Schutz vor dem Volk, dachte Eowyn bitter. Die Menschen würden auf ihrer Seite sein, aber nach Faramirs Berichten wusste sie, dass es ihnen nichts nützen würde. Mornuan würde schon dafür gesorgt haben, dass die Gefangenen sicher an der Hinrichtungsstätte ankämen.
Das grelle Tageslicht blendete sie, denn die Fenster in ihrer Zelle waren winzig gewesen. Die Wachen waren grob. Sie stießen die Gefangenen auf den Karren und dort wurden sie festgekettet. Der Kutscher ließ die Pferde seine Peitsche schmecken. Es war ein Mann aus Gondor, den Eowyn sehr wohl kannte.
Mehr als einmal war er von Faramirs Männern inhaftiert worden, weil er sich gegen den König ausgesprochen hatte. Dass er nun freudig in den Dienst der neuen Königin getreten war, wunderte die Fürstin von Ithilien wenig. Der Karren setzte sich in Bewegung. Die Angst wuchs, aber ihre Mienen waren steinern. Am Ende der Gasse vor den Kerkern sahen sie schon die Menschenmenge, die auf die Vorführung der zum Tode Verurteilten wartete. Ihre Gesichter trugen die verschiedensten Ausdrücke – Entsetzen, Hohn, Blutgier aber über allen lag die Angst. Sie wussten genau, niemand würde es wagen, ihnen zu helfen.
Der Karren bog um die nächste Ecke und nun erkannte Eowyn, was ihnen bevorstand. Sie wurden nicht direkt zur Hinrichtungsstätte gefahren, sondern vorher einmal durch die ganze Stadt. Mornuan wollte nicht nur, dass sie starben – vorher wollte sie Eowyn demütigen und die Angst vor dem Tod wachsen lassen. Die Freunde tauschten einen Blick, als auch die Hobbits begriffen was geschehen sollte. Sie alle strafften sich. Vielleicht konnte die neue Königin ihnen das Leben nehmen, aber ihren Stolz nahm sie ihnen nicht.
Es war schwieriger als sie gedacht hätten. Eowyn hatte erwartet, dass die Menschen in den Häusern bleiben würden, aber die Straßen waren voll von Schaulustigen. Ihre Köpfe dröhnten von den Schreien der Masse. Die Sonne brannte auf sie hernieder und ihre Münder waren trocken. Die Ketten schnitten in ihre Haut. Schwindel ergriff von ihnen Besitz, jedoch noch immer versuchten sie sich tapfer aufrecht zu halten. Ihr Mut aber, war bis in die Zehen gesunken. An Flucht war nicht zu denken.
Ein Mann aus den Reihen der Zuschauer hatte versucht, sie zu befreien. Eowyn hatte gar nicht so schnell begreifen können, was geschehen war. Einer der Wächter hatte dem Mann, ohne mit der Wimper zu zucken, die Kehle durchgeschnitten.
Eine Frau hatte sich vor den Karren gestellt und gebeten, die Hinrichtung nicht auszuführen. Sie waren über sie hinweggerollt und Eowyn hatte ihre Knochen brechen hören. Einer der Wächter hatte sie getötet.
Die Nachricht schien sich herumgesprochen zu haben, denn als sie am äußersten Ring der Stadt angekommen waren, machte die Menge artig Platz für den Karren. Die Menschen waren betrunken. Viele johlten in freudiger Erwartung auf die Hinrichtung. Ebenso viele senkten beschämt den Blick. Als sie fast am Stadttor angekommen waren und wendeten, warf Eowyn noch einen letzten Blick hinaus vor die Stadt. Sie schickte ein stummes Gebet zu den Valar und dachte an ihren Bruder und ihre Familie.
Nichts geschah. Der Karren wendete und trug sie in Richtung der Richtstätte. In wenigen Stunden würden sie sterben.
Sein Kopf schmerzte heftig, als er die Augen aufschlug und für einen Moment war alles ganz verschwommen. „Er wollte uns nichts tun – er wollte uns helfen!" piepste Auranor. „Na, das wollen wir doch erst mal sehen. Der Gute ist nämlich nicht ganz bei Sinnen, Kleines!" dröhnte eine Männerstimme. Sie war voll unterdrückter Aggression.
Aragorn stöhnte und versuchte sich aufzurichten. Es ging nicht. Jemand musste ihn geschickt verschnürt haben. „Onkel Aragorn!" murmelte Auranor und als Aragorn die Augen erneut aufmachte, sah er die Tochter von Eowyn und Faramir über sich gebeugt.
Er befand sich in einem düsteren Raum. Um ihn herum standen fünf Männer, von denen er zwei erkannte. Der eine war ein Veteran seiner eigenen Wache, der andere ein Freund Bergils aus der Wache von Ithilien. Sie sahen ihn grimmig an und Aragorn konnte es ihnen nicht einmal verübeln.
„Was wolltest du mit den Kindern?" fauchte der Freund von Bergil und packte ihn am Kragen. Aragorn schluckte und versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern. Es dauerte eine Weile, bis er ihm einfiel. „Ich wollte ihre Mutter befreien, Bregol. Ich wollte ihnen helfen." Der Soldat schnaubte höhnisch. Natürlich glaubte er ihm kein Wort. Der Mann aus Aragorns Wache legte seinem Freund die Hand auf die Schulter und brachte ihn dazu, Aragorn loszulassen.
„Er ist immer noch der König, Bregol," sagte er ruhig. Der junge Soldat spuckte aus. „Schöner König, der seine eigene Schwester umbringen lassen will!" knurrte er bitter. Aragorn schlug die Augen nieder. Dann war es wahr...
Ein weiterer Mann kam in das Zimmer und nun erst begriff Aragorn, dass sie sich in einem größeren Haus befinden mussten. Er hörte aus dem anderen Zimmer und von über sich Stimmengewirr. Von draußen her klang Gejohle aus der Ferne. Er versuchte auszumachen, wie viele Menschen sich in diesem Haus befanden und kam zu dem Schluss, dass es gut zwanzig waren.
Der Lärm von außerhalb schwoll immer mehr an. Der Mann, der das Zimmer betreten hatte, verbeugte sich knapp vor Bregol und in ihm erkannte Aragorn einen weiteren Mann seiner Palastwache. „Sie kommen, Herr," flüsterte er. Bregol entließ ihn mit einer knappen Geste. „Also dann – zwei Männer bringen die Kinder in Sicherheit und ihn..." Sein Blick ruhte kurz auf Aragorn und der König sah maßlose Enttäuschung in seinen Augen. Er wurde von Scham überwältigt.
Der Soldat sog scharf den Atem ein. „Wir werden Frau Eowyn und die Halblinge befreien," erläuterte er knapp. Aragorn hob den Kopf und sah ihm fest in die Augen. „Macht mich los. Ich habe große Schuld auf mich geladen in der letzten Zeit. Meine Schwester kam durch mein Wort zu Tode, ihr konnte ich nicht helfen. Lasst mich wenigstens an meinen Freunden einen Teil meiner Schuld büßen."
Aragorn sah ihm an, wie sehr er mit sich rang. Das Spektakel außerhalb des Hauses wurde lauter und die Männer aus Aragorns Wache nickten Bregol zu. Mit einem Seufzer durchtrennte er Aragorns Fesseln und gab ihm ein Schwert in die Hand. „Beeilt euch. Wir müssen rasch handeln." Damit trat er in den anderen Raum.
Es waren dreißig Männer aus den ehemaligen Wachen von Gondor und Ithilien, die sich versammelt hatten. Viele verbeugten sich, als sie ihren König sahen, aber Aragorn bemerkte auch, dass einige ihn skeptisch musterten. Auranor und Ionvamir wurden von zwei Soldaten nach draußen geführt und Aragorn sah noch aus dem Augenwinkel, wie sie sich schnell zur Stadtmauer durchschlugen. Sie befanden sich also im äußersten Ring von Minas Tirith.
Bregol schien der Anführer der Gruppe zu sein. Er erklärte kurz, wie sie vorgehen würden. Sie sollten sich unters Volk mischen. Keiner von ihnen trug seine Uniform. Sie waren gekleidet wie Bettler – die Kapuzen ihrer Umhänge tief ins Gesicht gezogen.. Sobald der Karren mit seinen Wachen an ihnen vorbeiziehen würde, sollte es losgehen. „Wartet auf das Zeichen," sagte Bregol und damit stießen sie die Tür auf und traten hinaus ins Freie.
In einiger Ferne konnten sie schon den Karren mit den Gefangenen sehen. Geschwind verteilten sie sich unter den Zuschauern. Aragorn zog die Kapuze des Mantels, den man ihm gegeben hatte, tief ins Gesicht. Er war bereit, seinen Fehler wieder gutzumachen und seinen Freunden zu helfen, wenn er schon Laietha nicht hatte helfen können.
Kurz nachdem der Karren gewendet hatte und sie auf dem Rückweg zum Palast waren, begann die Schlägerei in der Menge. Zwei Betrunkene waren in Streit geraten und hieben mit den Fäusten aufeinander ein. Die Wachen reagierten sofort. Vier Männer entfernten sich vom Karren und machten sich daran, die beiden Streithähne zu trennen. Als sie bei den Männern ankamen, zogen die zwei ihre Messer und schnitten den ersten Wachen die Kehlen durch. Die Frauen schrieen entsetzt auf und die beiden Männer riefen laut: „Für Gondor!" Damit begann der Tumult.
Eowyn und die Hobbits waren auf einmal gespannt bis in die Haarspitzen und sie konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen. Aus der Menge sprengten bewaffnete Männer hervor und die Wachen Mornuans, die von den umstehenden Menschen behindert wurden, konnten nichts unternehmen. Einige der Zuschauer fanden nun den Mut, sich zwischen die Wachen und die Gefangenen zu stellen und so dauerte es nicht lange, bis ein Mann mit einem dunklen Umhang den Karren erklommen hatte und sich an den Ketten Eowyns zu schaffen machte.
Als sie rasselnd zu Boden fielen, hob er den Kopf und Eowyn und die Hobbits stießen einen verwunderten Schrei aus. „Aragorn!" Der König lächelte traurig und widmete sich den Ketten von Frodo. Bregol war ebenfalls auf den Karren gestiegen und befreite Merry und Pippin. Aus der Ferne sahen sie Verstärkung für die Wachen Mornuans auf sie zueilen. „Nichts wie weg hier!" bellte Bregol und half Eowyn vom Karren.
Aragorn hatte seine Waffe gezogen und die Massen, die in Panik auseinander liefen, als sie erkannten, dass sie bald in eine Schlacht verwickelt werden würden, erleichterten den Soldaten Mornuans den Weg zum Geschehen.
Mit grimmiger Miene stellte er sich ihnen entgegen und war kurz darauf in ein Gefecht verstrickt. „Bringt Frau Eowyn und die Halblinge in Sicherheit!" rief er und stieß einem der Angreifer die Waffe ins Herz. Bregol warf ihm einen anerkennenden Blick zu. „Macht schon!" befahl er und die Männer stürmten hinaus, sich schützend vor Eowyn und die Hobbits stellend. Aragorn schwitzte wie verrückt. Zu lange hatte er sich nicht mehr in einen Kampf gewagt und seine Hände zitterten fast bei den Schlägen, die er austeilte.
Bregol stürzte an seine Seite und half ihm, einen der Feinde zu besiegen, der ihn zu überwältigen drohte. „Wir sollten uns zurückziehen – mein König," setzte er nach kurzem Zögern hinzu. Aragorn nickte. Zwar war seine Wut noch nicht besänftigt, aber er war klug genug um zu erkennen, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. „Rückzug!" befahl er und sie verließen fluchtartig die Stadt.
Vor dem Stadttor warteten Reiter mit Pferden auf sie. Aragorn erkannte die meisten von ihnen. Also hatten sich der Männer der Wache zusammengeschlossen. Eigentlich war das Hochverrat, aber Aragorn bewunderte sie im Stillen. Sie dienten ihrem Land wahrhaft treu – besser als er, was in der letzten Zeit nicht gerade schwer gewesen war. Geschwind entfernten sie sich von der Stadt und bald schon bemerkten sie, dass sie nicht mehr verfolgt wurden. Am Rande des Druadanwaldes, trafen sie auf noch mehr Soldaten.
Es klopfte leise an der Tür zu Mornuans Gemächern. Ein Mann ihrer Armee trat ein. „Ich weiß es bereits. Sie sind geflohen, samt dem sogenannten König," sagte sie kühl. Der Mann verbeugte sich. „Die Schuldigen haben den Tod gefunden." Mornuan nickte. „Mach deine Männer bereit zur Schlacht. Sie sammeln sich am Rande des Waldes. Sicher werden sie versuchen, uns anzugreifen. Ich will, dass du ihnen zuvorkommst. Niemand aus der Armee Gondors soll am Leben bleiben." Der Mann verbeugte sich knapp.
Sie lächelte in sich hinein. Gut, es würde also doch noch ein wenig Zeit zum Spielen bleiben. Sie hatte gehört, dass sich rebellische Soldaten aus der Stadt entfernt hatten und nun war der König also auch noch am Leben. Sollte er doch – es kümmerte sie nicht. Dank ihrer Zauberkünste war er ein alter Mann, der schon bald sterben würde. Und nun hatte sie seine Stadt in ihrer Gewalt.
„Postiert Wachen überall in der Stadt. Macht klar, dass ich keinen Aufstand dulden werde. Ich will so ein Fiasko nie wieder erleben." Der Soldat verbeugte sich und Mornuan entließ ihn. Mit einem Lächeln trat sie ans Fenster und betrachtete den Sonnenuntergang in ihrem neuen Königreich. Sie würde sich von einem sabbernden Greis nicht ihr Eigentum nehmen lassen.
Lächelnd nahm sie die Krone vom Haupt und wog sie fast zärtlich in ihrer Hand. Sie spazierte zu ihrem Nachttisch und zog Laiethas Haar hervor. „Siehst du, Annaluva, so sollte es von Anfang an sein. Du bist tot und ich bin Königin. Zu schade, dass du es nicht mehr sehen kannst. Fast wünschte ich, du wärest noch am Leben, damit ich vor dir prahlen könnte. Aber man kann nun mal nicht alles haben." Mornuan lachte laut und entkleidete sich.
Sie ließ sich in das weiche Bett sinken und nahm sich einen Schluck Rotwein aus der Karaffe neben dem Bett. An der Wand des Schlafzimmers hing ein Bild von Laietha und Aragorn, das Herr Elrond einmal hatte anfertigen lassen. „Auf meine Gesundheit!" prostete Mornuan den Figuren zu und sie kicherte albern wie ein Schulmädchen. „Ich denke, ich werde euch noch ein Weilchen hier hängen lassen," murmelte sie verträumt. Sie war mit dem Ergebnis ihrer Arbeit mehr als zufrieden.
Der Rotwein beschwipste sie und bald schon stellte sie das Glas auf den Nachttisch. Sie streckte sich über das ganze Bett aus und summte zufrieden. Endlich hatte sie ihre Ruhe und musste ihr Lager nicht mehr mit diesem alten Zausel teilen. „Wirklich ekelhaft," schüttelte sie sich. Dennoch – ein wenig stand ihr der Sinn nach Gesellschaft, also ließ sie ihren Heerführer rufen.
Sie musterte ihn eine Weile, als er entblößt vor ihr stand. Das war doch ein ganz anderer Anblick. Sein Körper war gestählt, seine Haut dunkel und glänzend, seine Augen wild. Sie räkelte sich verführerisch in den Laken und warf ihm einen einladenden Blick zu. Es lag keine Bitte in ihrem Lächeln, sondern es war ein Befehl.
Ihre helle Haut bildete einen starken Kontrast zu seiner dunklen, als er sich zu ihr legte und Mornuan schloss genießerisch die Augen, während er begann, ihren Befehlen Folge zu leisten. Das war doch gleich etwas ganz anderes. „Sei zärtlich zu mir," gurrte sie ihm ins Ohr. „Heute ist schließlich meine Hochzeitsnacht!"
