Geisterhaft

Faramir saß da, seine Decke lag über seinen Schultern. Er beobachtete den Elben einen Augenblick, dessen Augen noch immer geöffnet waren. Er musste sich über diese Art zu schlafen wundern.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Wald zu. Er schien ruhig und unbewegt. Das war ihm nur Recht.

Doch da erhob sich der Elb, als hätte er sich nie zur Ruhe gebettet und spähte umher.

Faramir zog eine Augenbraue hoch.

„Faramir?" flüsterte Legolas.

Der junge Mann war sofort in Alarmbereitschaft und sah sich um. Aber Legolas bedeutete ihm, ruhig zu sein, und sich nicht zu rühren. Dann sah er ihn an, mit seinen großen dunkeln Augen und nickte ihm zu.

„Bleib hier, ich sehe mich kurz um," sagte er leise und verschwand kurz darauf im Wald.

Faramir verlor ihn schon bald aus den Augen, denn der Elb passte sich perfekt an seine Umgebung an. Selbst zog er seinen Bogen aus dem Sattel seines Pferdes und legte einen seiner grün gefiederten Pfeile an. Er drehte sich langsam um sich selbst, um auf eine eventuelle Gefahr vorbereitet zu sein. Aber da war nichts. Alles ruhig. Alles friedlich. Er atmete tief ein. Legolas blieb weiterhin verschwunden. Seine Abwesenheit zog sich zuerst Sekunden, dann Minuten hin. Faramir schluckte. Hoffentlich war sein Freund vorsichtig. Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.

Ein Geräusch aus seinem Rücken! Aber als er sich umdrehte, sah er nur sein Pferd, das friedlich graste. Er war zu nervös! Er musste sich beruhigen. Wieder fing er an, sich zu drehen.

Als er eine halbe Drehung beschritten hatte, kam es plötzlich aus dem Nichts. Nur ein Gefühl warnte Faramir, nichts weiter. Erschrocken drehte er sich um und es war, als wären alle Geräusche dieser Welt verbannt, als wäre er plötzlich taub. Aus dem Schatten hinter seinem Pferd rannte geisterhaft und ohne jegliches Geräusch Streicher. Es war wie ein Traum, Faramir konnte sich nicht bewegen. Er sah, dass Aragorns Füße den belaubten Waldboden berührten, aber sie machten kein Geräusch. Er kam aus dem Nichts, wie ein Geist. So schnell war er bei ihm, dass Faramir fast nicht reagieren konnte.

Anduril blitzte auf, ein Streich wurde geführt. Doch er ging ins Leere.

Faramir hatte seinen Bogen fallen lassen und sich selbst in letzter Sekunde mit ihm. Ein Schrei entrann seiner Kehle. Als er sich aufrichtete war die Welt wieder real, für seinen Geschmack zu real. Instinktiv machte er eine Drehung und warf sich zurück, knapp außer Reichweite des Berühmten Schwertes. Er fühlte den feinen Wind, den die Klinge verursachte, an seinem Hals. Die Geräusche waren wieder da, Streichers Füße scharrten über den Boden, als er sein Gewicht auf das Bein verlagerte, das er gerade vor gestellt hatte. Faramir fiel auf den Rücken, konnte sich mit den Händen abfangen. Aragorn war bereits wieder zur stelle. Er machte einen weiteren Schritt nach vorne und hob Anduril über seinen Kopf, bereit zum Stoß.

Faramir drehte sich auf dem Boden entlang und entkam ein weiteres Mal. So schnell er es konnte, kam er stolpernd auf die Füße und nahm die Beine in die Hand. Er wollte weglaufen, denn Aragorn hatte den Überraschungseffekt auf seiner Seite und so lange er sein eigenes Schwert nicht gezogen hatte, war er wehrlos. Doch als er los sprintete, spürte er den reißenden Schmerz in seinem Rücken, als Anduril diagonal durch seine leichte Rüstung schnitt und die Haut verletzte. Aber Faramir blieb nicht stehen. Wenn er jetzt zögerte, war er verloren. Geistesgegenwärtig setzte er einen Fuß vor den anderen und rannte los, so schnell er konnte.

Gegen Aragorn hatte er keine Chance! Er musste Legolas finden, zu zweit konnten sie ihn bezwingen! Doch wenn er nach seinem Freund rief, wäre dieser verraten. Ohne Orientierung lief er in den Wald hinein, betend, dass er dem Angreifer entkommen könnte.

Aber da wurde er in die harte Realität gerissen: Er fühlte das Gewicht in seinem Rücken und den kurz aufflammenden Schmerz, als die Hand seinen Rücken berührte und ihn nieder warf. Faramir drehte sich im Fall, so dass er auf dem Rücken landete. Gleichzeitig zog er sein Schwert hervor und brachte es schützend vor sich.

Aragorn trat nach seinem Handgelenk und Faramir konnte nicht anders, als die Waffe los zu lassen.

Was der Angreifer jedoch nicht vermutet hätte, war, dass sein Opfer genau das gleiche tat. Im Fall bekam Faramir zum Glück so viel Schwung und Verstand zusammen, dass er es ebenfalls schaffte, fest gegen Aragorns Unterarm zu treten und damit dessen Waffe auch weit weg schickte.

Beide Schwerter blieben mit der Klinge im Boden stecken. Anduril zu Faramirs Rechten, sein eigenes Schwert zu seiner Linken, doch beide außer Reichweite.

Wie vom Wahn ergriffen stürzte Aragorn sich auf ihn. Faramir hatte ihn mit einem Tritt über sich hinweg schicken wollen, aber schaffte es nicht. Aragorns Gewicht legte sich schwer auf seine Brust, die Arme der beiden Männer waren ineinander verhakt.

Streichers Gesicht kam ganz nahe, seine blauen, einst so gütigen Augen von einer Kälte ergriffen, die Faramir an Aragorn neu war. Der König war nicht bei Sinnen! Er war nicht er selbst!

Mit einem kräftigen Ruck und aller Kraft, die Faramir aufbringen konnte, stieß er Aragorn von sich herunter. Er versuchte zu seinem Schwert zu krabbeln, aber wieder wurde er nieder gedrückt. Es war sein Glück, dass er es schaffte, sich herum zu drehen, denn sonst hätten Aragorns Hände seinen Kopf und sein Kinn ergriffen und ihm das Genick gebrochen. Stattdessen aber schlug Faramir um sich und wand sich unter dem König. Aragorn war schneller. Er bracht seine Hände an den Hals des Hauptmannes und griff hart zu.

Faramir spürte, wie ihm die Luft weg blieb. Er kämpfte um Luft, kämpfte darum, sich aus dem harten Griff des Königs zu befreien. Aber Aragorns starken Händen waren seine zarten nicht gewachsen. Immer weiter drückten Aragorns Finger zu.

Weiße Punkte begannen vor Faramirs Augen zu tanzen, immer mehr und immer mehr. Faramir wusste, er musste sterben, wenn er nicht etwas unternahm. Aber was? Er hatte keine Waffe mehr und an körperlicher Kraft war er Streicher weit unterlegen…

Es gab nur eine Möglichkeit.

Er nahm seine letzte Konzentration, alles was er aufbringen konnte und bündelte sie zu einem einzigen Zweck. Er stellte sich die unendlich vielen winzigen Teilchen vor, aus der diese Welt bestand.

„Erschaffen aus Staub,

Erschaffen aus nichts,

Die Sinne geraubt,

Verschwommen die Sicht."

Mit letztem Willen packte er sich ein einziges von ihnen, nur ein einziges! Und dann wirbelte er es so schnell herum, wie er nur konnte. Zuerst erschien nur ein kleines Flackern, wie das eines Glühwürmchens. Doch es wuchs exponentiell heran. Faramir ließ Aragorn mit einer Hand los und brachte sie vor seine Augen, als ein furchtbarer Schmerz in sein Gehirn stach.

„Des Königs Gestalt,

Des Bösen Gesicht,

Im Dunkeln verhallt

Nicht gutes Licht!"

So gleißend war das Licht, dass es sogar durch seine Augenlider brannte.

Er spürte, wie er aus dem Griff befreit wurde, wie Luft seine Lunge ungehindert passieren konnte und nahm einen tiefen Atemzug.

Im nächsten Moment erlosch sein Licht und mit ihm war auch Aragorn verschwunden. Faramir fühlte schnell seinen Hals, ob auch alles in Ordnung damit war. Als er sicher war, dass er wieder atmen konnte, kam er auf die Ellenbogen, damit er besser Luft bekam.

Als er eine Bewegung vor sich wahrnahm, erschrak er. Doch sofort war er entwarnt. Legolas sah ihn an, musterte ihn schnell und dann sah er sich um, ob noch jemand da war.

„Er ist weg," krächzte Faramir, dessen Hals sich rau und aufgerissen anfühlte.

Legolas sah ihn an. Es schien so als zögere er, zu fragen.

„Wer?"

„Aragorn," Faramirs Stimme war düster. „Er kam wie aus dem Nichts. Es war beinahe unnatürlich, wie er heran kam und mich angegriffen hat," versuchte er sich zu erklären.

Legolas kam heran und half ihm mit einer Hand auf. Den Bogen wollte er auf keinen Fall aus der Hand legen.

„Gehen wir zurück. Ich glaube, eines unserer Pferde ist weg gelaufen. Wir müssen zusammen packen und von hier weg. Wenn Aragorn weiß, dass wir kommen, macht das die Ganze Sache schwieriger… und riskanter."

Faramir kam hoch und streckte seinen Rücken durch. Die Wunde brannte, aber er hatte schon Schlimmeres erlebt.

„Wo bist du gewesen?" fragte Legolas, als er schnell, aber sauber Faramirs Wunde versorgte.

Faramir zog eine Braue hoch.

„Was?"

„Ich bin aufgewacht und du warst fort. Was hast du gemacht?"

„Ich war nicht fort, als du aufgewacht bist," sagte Faramir bestimmt. „Du hast mir noch gesagt, ich solle hier bleiben."

Legolas schüttelte ungläubig den Kopf.

„Das kann nicht sein, Fara…" die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er die Zeit seit dem Erwachen noch einmal in Gedanken durchging.

Es war fast, wie ein innerer Film, der vor ihm ablief. Er war aufgewacht, Faramir hatte ihn fragend angesehen, aber er hatte ihn angewiesen, auf der Lichtung zu warten. Legolas war fassungslos. Da waren zwei Erinnerungen an ein und dieselbe Zeit in seinem Kopf.

Aber Faramir bewahrheitete die, welche ihm wie ein Traum vorkam.

„Böse Kräfte sind hier am Werk. Ich habe das Böse unmittelbar bei mir gespürt, aber dass es solche Macht über mich hatte…" Legolas war tatsächlich erschrocken.

„Was?" Faramir verstand kein Wort.

Legolas nahm das kleine Säckchen aus seiner Westentasche und zeigte es Faramir. Asche.

„Diese Zabor muss eine Giftmischerin und Hexe sein. Sie bedient sich dunkler Kräfte und vermag es, den Verstand zu verwirren."

„Ja, dass sie Leute verzaubert, haben wir schon an Aragorn gesehen. Wir müssen vorsichtig sein. Vorhin hatte ich befürchtet, dass der Kampf einen von uns das Leben kostet," murmelte Faramir und schien niedergeschlagen.

Er packte den Bogen an den Sattel von Legolas Pferd, denn es war sein eigenes gewesen, das fortgerannt war.

„Woher kam dieses Licht?" fragte Legolas. „Ich habe es zuvor nur bei Gandalf und der Herrin des Waldes gesehen."

Aber er wusste die Antwort bereits.

„Ich wusste nicht, wie ich mich verteidigen sollte. Es war wie ein Reflex," versuchte Faramir es zu erklären.

„Wir müssen uns beeilen," Legolas schien in eine ferne Welt zu blicken, als er in die Richtung sah, die sie nun einschlagen würden. „Sie wissen von uns und sie können sich unser Zögern zu Nutze machen."

Faramir stieg hinter Legolas auf das Pferd und hielt sich an dem schlanken Elben fest.

Zusammen ritten sie weiter.