Magisches Treiben

Legolas hatte den ganzen Tag auf der Lauer gelegen und den Eingang beobachtet. Man hatte den Pfeil entdeckt und ihn mittels eines langen Stabes heraus geschlagen. Die Männer hatten alle Mühe gehabt, bis der Pfeil nachgegeben hatte, doch sie hatten es geschafft. Nun waren sie wachsamer, als am Tag zuvor.

In den späten Nachmittagsstunden hatte Aragorn die Umgebung abgesucht und Legolas war gezwungen gewesen, sich vorerst ein anderes Versteck zu suchen. Doch seit die Nacht herein gebrochen war, hatte niemand mehr die Wälder durchstreift. Stattdessen waren immer mehr Wachen zum Teich gezogen worden und dort starrten sie nun in die Finsternis, suchten die hohen Klippen nach ihm ab. Sie hatten etwas vor und Legolas wusste noch nicht, was.

Doch sie konnten ihn nicht entdecken. Durch Galadriels Mantel war er für sie unsichtbar und konnte beobachten, ohne selbst beobachtet zu werden.

Dann wurden Fackeln heraus getragen und die Fackelträger stellten sich in zwei Reihen auf, vom Ausgang aus der Höhle bis hinab zum verbotenen Teich. Legolas blieb fast das Herz stehen, als Aragorn heraus trat. Würde er nun getötet werden? Das bedeutete, dass Arwen Undomiels Leben verloschen war und der Hauch der Valar sie endgültig verlassen hatte. Legolas betete, dass dem nicht so war. Er nahm einen Pfeil auf den Bogen und suchte nach dem Elbenseil, das noch immer hinab hing.

Wenn es nun an der Zeit war, würde er so viele Männer erschießen, wie seine Pfeile ausreichten und sich danach hinab in den Abgrund schwingen, um zu versuchen, den Rest im Nahkampf zu besiegen. Unter allen Umständen würde er Aragorn beistehen. Er würde immer mit seinem Freund sein, sei es im Kampf oder auch im Tode.

Aber dann legte sich die Aufregung und doch war er besorgt. Zwei Männer brachten Faramir herbei, der sich angestrengt wehrte. Legolas atmete auf, als er ihn am Leben sah.

Aber was dort unten vorging, konnte er nicht deuten. Sie führten Faramir kurz vor den Teich, er konnte ihn schon fast nicht mehr sehen. Dann kam die Zabor heraus und schritt zwischen den Fackelträgern entlang. Aragorn verbeugte sich, als sie an ihm vorbei schritt.

Sie beachtete den König nicht. Ihre Aufmerksamkeit galt Faramir. Legolas konzentrierte sich, als er sich auf die Stimmen unter ihm besann.

Zabor strich Faramir über die linke, dann über die rechte Wange. Ihre Augen leuchteten.

„Faramir, Denethors Sohn," ihre Stimme war verführerisch und einnehmend. „Gib dich mir hin. Gehorche meiner Stimme und befreie dich von den Zweifeln," raunte sie, als sie über seine Wangen strich.

Faramir wollte sich wehren, entkam aber nicht aus dem festen Griff der beiden Männer. Stattdessen spukte er sie an.

Sie zuckte zusammen. Doch kein Zorn war in ihren Augen. Sie wischte sich mit den Fingern die Spucke aus dem Gesicht und lächelte zufrieden darüber. Dann brachte ihr ein Mann in dunkelblauer Robe ein Tablett. Sie nahm etwas roten Staub aus einer kleinen Holzschale und vermischte ihn mit der Spucke auf ihrer Hand. Dann malte sie Faramir einen Strich damit ins Gesicht, vom Haaransatz bis hinunter zum Kinn.

„Im Denken," sagte sie, als sie oben anfing, „und im Handeln, gehorche mir."

Faramirs Gesicht wurde ausdruckslos und bleich. Legolas fühlte das Dunkel in Zabors Wirken. Ein düsterer Schleier schien sich über Faramir zu legen.

Dann rief sie die Himmelsrichtungen an.

„Ihr Mächte der Winde! Ihr Hüter der Allwissenheit! Helft mir bei meinem magischen Treiben! Oh, Wind des Ostens, kalt und Unheil bringend. Gewähre mir Zugang zu deinen dunklen Künsten. Gewähre mir deine Huld! Oh, Wind des Südens, heiß und verdorrend. Gewähre mir Kraft! Gewähre mir deine Huld! Oh, Wind des Westens, salzig und lebendig. Gewähre mir deine Unerschütterlichkeit! Gewähre mir deine Huld! Oh, starker Wind des Nordens, mächtig und unbarmherzig. Erfülle mich mit deiner Gesinnung! Gewähre mit deine Huld!"

Sie nahm eine Schale dunkler Flüssigkeit von dem Tablett und begoss Faramir drei Mal.

„Nehmt mein Opfer an… das ich euch bereite… nehmt diesen jungen Mann, als Zeichen meiner Verehrung."

Die zähe Flüssigkeit floss in Faramirs Haar und verklebte es. Dann nahm die Fürstin die Arme hoch und streckte sie gen Himmel.

„Oh, meine Ahnen, alt und weise! Euch zu Ehren bringe ich dieses Opfer dar und erbete dafür von Euch… die Gabe der Hellsichtigkeit, die diesem Mann inne wohnt."

Legolas wusste nun, was hier vor sich ging. Nicht Aragorn war es, der hier getötet werden sollte, sondern Faramir. Ein Bann lag auf dem jungen Mann, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte.

Legolas Gedanken fingen an zu rasen, suchten nach einer Lösung.

Die Fürstin verschwand aus seinem Blickfeld und näherte sich dem Teich. Nun wurde auch Faramir dort hin geführt und Legolas konnte nicht mehr sehen, was vor sich ging. Er sprang auf und sprintete hinfort, umrundete die Klippen. Auf der anderen Seite angekommen, näherte er sich so weit es ging der Klippe. Zu seiner rechten war der rauschende Bach, zu seiner Linken die scharfen Felsen.

Legolas war kaum noch zwei Meter von der Klippe weg. Er verhakte seinen Bogen mit Sehne und Holz an einem kleinen scharfen Vorsprung im Fels, testete die Konstruktion. Sie hielt. Dann setzte er einen Fuß ins Wasser. Der Strom war stark, aber so lange er sich an seinem Bogen fest hielt, konnte ihm nichts passieren.

Vorsichtig legte er die letzten Meter zurück und passte auf, dass er nicht ausrutschte.

Zu seinem Erschrecken war es bereits zu spät. Faramir saß aufrecht im Wasser und während die Fürstin sein Haupt mit einigen glitzernden Tropfen bespritzte, ließ sie ihn hinab ins Wasser gleiten. Weiter und weiter und schließlich tauchte Faramirs Kopf unter. Legolas konnte das Blau seiner Augen noch sehen, bevor die Spiegelungen des Wassers ihm die Sicht darauf nahmen.

Die Zabor lächelte und schien sehr zufrieden. Sie ließ Faramir los und dieser blieb unter Wasser liegen. Dann legte sie einen flachen glatten Stein ans Ufer des Teiches und stand auf. Sie stimmte einen gräulich murmelnden Gesang an und die Schatten um sie herum schienen einen Moment lang größer zu werden.

Legolas sah hilflos zu. Er hatte keine Möglichkeit einzugreifen. Faramir tauchte nicht auf, auch wenn er nur ein paar Zentimeter unter dem Wasser lag. Die Minuten zogen sich hin und das Lied der Fürstin erstickte sich selbst. Mit einem Nicken verließ sie den Teich und zog sich wieder in die Höhle zurück. Aragorn blieb noch eine Weile am Ufer stehen, bis er ganz allein war. Dann kniete er sich ans Wasser hin und sah hinein. Legolas konnte nicht sehen, ob er noch etwas tat, denn er stand mit dem Rücken zu ihm.

Dann wandte er die Augen ab. Sein Gesicht voller Bedauern und Trauer. Faramirs Tod war unnötig gewesen. Wenn er selbst gegangen wäre, wäre alles vielleicht nicht so weit gekommen. Er zog sich aus dem Strom des Wassers heraus und prüfte seinen Bogen. Dann betrachtete er sich den Abendhimmel. Er fand wonach er suchte. Ein heller Stern am Himmel, der immer geglitzert hatte und hell leuchtete. Heute Nacht gab er nur ein schwaches Licht ab, als verlöre er alle Kraft.

„Arwen," flüsterte der Elb.

Die Zeit wurde knapp und er wusste nicht, was er tun sollte. Aber er musste etwas tun. Die Zeit lief ihm davon.

Oo

Legolas hatte bis hin in die späten Vormittagsstunden nachgedacht und war auf keinen Nenner gekommen. Sein Seil hatte er inzwischen wieder eingeholt, was natürlich aufgefallen war.

Am Mittag dann hatte er sich etwas zur Ruhe gelegt und als er am Nachmittag erwachte, konnte er leichte Erschütterungen in der Erde wahrnehmen. Sofort hatte er sich auf den Weg gemacht und nach einer Stunde schnellen Laufes hatte er von einem Hügel aus in der Ferne die vielen Menschen ausmachen können.

Boromir war gekommen. Legolas Herz machte einen Freudensprung. Auch wenn er jetzt noch nicht darüber nachdenken wollte, wie sie Aragorn befreien konnten, so war er dennoch froh, nicht mehr allein dem Gegner gegenüber zu stehen…

Faramir. Der Gedanke kam ihm im Lauf. Er musste Boromir von seinem Bruder erzählen.