Mein

Er ließ Aragorn zu Boden, der noch immer keuchte und hustete, rannte dort hin, wo gerade noch Faramir gestanden hatte.

Faramir fand sich in einer unwirklichen Welt aus Luftblasen und Schlangenleibern wieder. Als er die Augen öffnete brannte das dreckige Wasser in seinen Augen. Aber vor sich sah er das schöne Gesicht der Fürstin, wie sie ihn grausam anlächelte. Ihr schwarzes Haar umwallte sie im Wasser, wie tausende von Tentakeln, die ihr Gesicht umspielten.

„Du wirst büßen," sagte sie durch das Wasser direkt in seinen Kopf hinein. „Ich werde dir dein Leben nehmen, Zauberer."

Sie beugte sich zu ihm vor und schloss ihre Augen, als sie zu einem Kuss ansetzte. Faramirs Glieder waren kalt und er hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen die Fürstin zu wehren. Wenigstens würde Aragorn weiter leben.

Er schloss seinerseits die Augen und wartete. Er spürte ihre leblosen Lippen auf den seinen, als sie den Kuss schloss… Es schmeckte bitter.

Leblos.

Faramir öffnete die Augen und sah das Blut aus ihrem Munde. Die Augen der Fürstin waren geweitet und leer, sie starrte ins Nichts. Da sah Faramir, dass ihr Rücken durchbohrt war von einem mächtigen langen Schwert.

Als sie zurück in die Dunkelheit sank, auf den Grund des Teiches, rissen ihre verhakten Finger noch eine Locke aus seinem Haar heraus. Ihm war, als hätte sie noch etwas gesagt, als hätte sie ein Wort in seinem Kopf zurück gelassen.

"Mein."

Aber es konnte ebenso gut auch Einbildung gewesen sein. Etwas packte ihn an seinen Schultern und er wurde hoch gezogen.

Als er die kühle Luft auf seinen Wangen spürte, erlaubte er seinen Lungen einzuatmen.

„Faramir! Bist du in Ordnung?" fragte der König und hielt ihn fest.

Faramir hustete und sah auf. Über ihm stand Aragorn, Anduril war in seiner Hand und seine grauen Augen starrten besorgt auf ihn herab.

„Ja, mir geht es gut," brachte er hustend heraus und nickte.

Rasch wurde er von Aragorn auf die Beine gestellt und zusammen rannten sie ans Ufer, wo Boromir hilflos auf Legolas herab starrte. Der Elb regte sich nicht und war totenbleich. Faramir sank der Mut.

„Könnt Ihr ihm helfen, mein König?" fragte er mit bebender Stimme.

Doch Aragorn war schon auf dem Weg in die Höhle, wo er wusste, dass Athelas gelagert war. Es dauerte nicht lange, dass er wieder heraus kam, aber um Legolas stand es schlecht. Kein Lebenszeichen gab er von sich und der Hauch der Valar schwand bereits aus ihm.

„Ich brauche heißes Wasser," sagte Aragorn und sah Faramir an.

Der junge Mann nickte und wandte sich einer Pfütze zu, deren Wasser noch einigermaßen klar war. Dann konzentrierte er sich, hielt seine Hand darüber.

Zu Boromirs Erstaunen, stieg schon nach wenigen Sekunden warmer Wasserdampf aus der Pfütze empor und kurz darauf fing es sogar an zu kochen. Er sah seinen Bruder an.

„Das ist ja unglaublich," brachte er heraus, denn noch nie hatte er Faramir so etwas tun sehen.

Aragorn murmelte ein paar elbische Worte vor sich hin, die Legolas in der Zwischenwelt halten sollten. Er legte die Pflanze in das heiße Wasser und sofort wurde es von Gift und Schmutz gereinigt. Boromir sog die Luft ein, als er solche Wunder sah. Zwar wusste er, dass die Hände des Königs heilend waren, doch hatte er auch das noch nie selbst gesehen.

„Auf den Rücken mit ihm," befahl er und Boromir und Faramir kamen ihm sofort nach.

Streicher riss die feine Kleidung des Elben auf und entdeckte die Bissspuren. Sie waren beinahe so groß, wie die beiden Klingen des Elben und von gelblich grüner Farbe. Aragorn nahm etwas von dem Wasser und beträufelte Legolas Wunde. Die giftig grünen Ausläufe an deren Rändern schienen sich schon zurück zu ziehen.

Faramir lächelte erleichtert und sah zwischen den beiden Männern hin und her, verweilte zuletzt auf Aragorn, der nicht wirklich erleichtert aussah.

„Ich hoffe, er schafft es," flüsterte der König.

Das vertrieb das Lächeln von Faramirs Gesicht und er wusste, dass Legolas noch keineswegs über den Berg war. Boromir presste seine Lippen zu zwei schmalen Linien zusammen, als er hinab auf den Elben sah, den er nun selbst schon so viele Jahre kannte.

„Er muss es schaffen," sagte er bedrückt. „Sonst verliert Mittelerde einen seiner größten Schätze."

Oo

Das Chaos wurde nur langsam beseitigt. Vorsichtig war der verbliebene Schlangenkörper begutachtet worden. Die Soldaten hatten alle Mühe, ihn zu zerschneiden, damit er überhaupt zu transportieren war. Man schichtete das ganze Fleisch 500 Meter von Henneth Anun auf und errichtete einen Scheiterhaufen. Zwei Tage hatte man gebraucht, bis es vollendet war.

Faramir wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er eines der letzten stinkenden Fleischstücke auf den Haufen warf.

„Das war es also. Heute Abend können wir ein nettes Feuerchen machen," sagte Boromir, der zwei dicke Baumstämme darüber legte.

„Ja, das können wir."

Er sah hinauf in den Himmel und es war später Nachmittag.

„Wird Aragorn so lange noch hier bleiben oder macht er sich auf den Rückweg?"

„Die Sorge um Arwen macht ihn krank. Aber er scheint zu fühlen, dass es der Königin besser geht. Vor einer Stunde erst haben wir Botschaft aus der Stadt bekommen. Daher will er sich erst um Legolas kümmern," erklärte der ältere von beiden.

Faramir nickte. Hier würde es noch viel zu tun geben. Wunden mussten versorgt werden, die Überreste beseitigt werden… und sie mussten den verbotenen Teich reinigen. Das Wasser hatte angefangen zu faulen und es schien, als würde alles Wasser vom Wasserfall von dem Gestank infiziert werden. Als er sich die Verwüstung das erste Mal angesehen hatte, hätte er am liebsten geweint. Doch er würde alles wieder in Ordnung bringen. Er hatte die Kraft dazu und wenn nicht, so würde Gandalf ihm helfen.

„Ich freue mich schon sehr darauf, Gandalf wieder zu sehen," seufzte er.

Boromir nickte. Der alte Zauberer hätte ihnen von großem Nutzen sein können. Fünf Tage waren nun vergangen und es war noch nicht einmal sicher, ob Eomer schon die Grenzen Rohans erreicht hatte.

Der Stadthalter seufzte. Er sah sich um, das grüne Gras, die vielen Männer… es war wie ein Deja-vu. Boromir fühlte sich an die alten Zeiten erinnert, an die Kämpfe, Siege und Niederlagen.

Sein Blick glitt über das Feld, den Scheiterhaufen und den Eingang zu Henneth Anun. Dort verweilte er einen Augenblick, als er den Mann genauer ansah. Ein Soldat winkte mit beiden Armen und rief etwas herüber, das schnell weiter gegeben wurde. Boromirs Herz machte einen Freudensprung.

„Legolas ist wach!" rief er aus und packte Faramir an den Schultern, drehte ihn herum, so dass er sah, was auch er sah.

Faramirs Augen fingen an zu leuchten.

Beide Brüder liefen zugleich los und stürmten zum Eingang. Faramir war etwas schneller, aber Boromir hielt ihn am Eingang zurück, da er stärker war.

Letztendlich zwängten sie sich beide durch die engen Gänge und fanden Legolas Ruhelager im Fackelschein vor.

Aragorn stützte den Elben gerade, damit dieser selbst trinken konnte.

„Legolas! Den Valar sei Dank!" rief Boromir aus und ein breites Grinsen erschien auf seinen Lippen.

Auch Faramir freute sich ungemein.

„Gerade rechtzeitig für unser kleines Grillfest," stellte er fest und konnte dem schwachen Elben ein kleines Lächeln abringen.

Wackelig kam Legolas auf die Beine, doch es war klar, dass er nicht daran denken konnte, am nächsten Tag zurück nach Minas Tirith zu reisen. Aragorn musste ihn die ganze Zeit stützen, sonst hätten die Beine des Elben nachgegeben.

Am Abend versammelten sich alle Männer am Scheiterhaufen. Der König, sein Stadthalter, der Elbenprinz und Faramir, Waldläufer und Soldaten. Alle kamen zusammen und Aragorn entzündete das Feuer auf das dieses Übel aus der Welt gebrannt werden sollte.

„Ein widerlicher Gestank," keuchte Boromir und hielt sich die Hand vor Mund und Nase, wie es auch die anderen taten.

Legolas starrte gedankenverloren in das leuchtend rote Feuer, das sich daran machte, die Überreste der Hydra zu verzehren.

„Was ist mit der Fürstin selbst?" fragte er schließlich. „Ich dachte, sie hätte sich noch einmal in ihre alte Gestalt verwandelt."

Aragorns Augen leuchteten im Feuerschein, sein Gesicht schien noch markanter.

„Wir haben nichts weiter von ihr gefunden. Ich hoffe, sie hat sich im eigenen Gift aufgelöst."

„Jedenfalls ist sie tot," sagte Faramir bestimmt. „Ich weiß es… sie ist tot."

Aragorn nickte.

„In drei Tagen brechen wir auf. In Minas Tirith muss wieder Ruhe einkehren, die Verhältnisse müssen geklärt werden. Wenn Gandalf wieder kommt, werden wir sehen, was wir wegen dem Wasser tun können," erklärte er unter dem Rascheln und Knistern des Feuers.