Für den heutigen Tag meldete ich mich krank. Ich hatte wahrlich keine Lust Severus über den Weg zu laufen und so blieb ich den ganzen Tag im Bett.

Ich versuchte Severus aus meinen Gedanken zu verbannen. Doch so leicht war das nicht. Das Laken, die Kissen und die Decke rochen nach ihm und ich konnte unsere Nacht einfach nicht vergessen.

Missmutig raffte ich mich auf und schlurfte ins Bad, vielleicht konnte ja eine heiße Dusche meine trüben Gedanken verscheuchen.

Doch so einfach war das nicht. Als das Wasser über meinen Körper rann, verursachte es ein ähnliches Gefühl wie Severus sanfte Hände in der vergangenen Nacht.

Ärgerlich drehte ich den Hahn zu, wickelte mich in ein Handtuch und setzte mich an meinen Schreibtisch.

Ich zog mir Pergament und Feder heran und starrte bestimmt eine geschlagene halbe Stunde auf das leere Blatt, bevor ich ein paar Sätze niederschrieb.

Als der Brief fertig war, rief ich meine Eule mit einem schrillen Pfiff herbei und band ihr den Brief ans Bein.

„Du weißt für wen der ist", meinte ich zu ihr und kraulte Snowball das Nackengefieder.

Als sie ihre großen Schwingen ausbreitete und durch das Fenster in den dunklen Abendhimmel flog fühlte ich mich etwas besser.

Ich fragte mich, ob er mir schreiben würde oder ob er gleich persönlich vorbeikommen würde. Insgeheim hoffte ich ja das letztere.

Ich ließ mich wieder ins Bett fallen und augenblicklich kreisten meine Gedanken wieder um Severus. Doch diesmal trauerte ich nicht der vergangenen Nacht nach, sondern mir gab etwas anderes zu denken.

Woher hatte Severus eigentlich gewusst, dass ich vorgestern joggen war? Es kam mir irgendwie merkwürdig vor, dass er plötzlich zur Stelle war, als der Mantikor mich angegriffen hatte.

Auch dass er mich scheinbar nicht aus den Augen ließ, gab mir Rätsel auf. Aber hatte er nicht selbst gesagt, dass er mich kontrollieren wolle? Nur wozu? Bestand tatsächlich die Möglichkeit, dass er doch noch etwas mit Voldemort zu tun hatte?

Doch dann fragte ich mich, wie unsere gemeinsame Nacht da hinein passen sollte. Hatte er etwa mein Vertrauen gewinnen sollen, um mich an Voldemort auszuliefern. Schließlich war dieser sehr erpicht darauf mich in die Finger zu kriegen. Denn seine Todesser hatten schon einmal versucht Kontakt mit mir aufnehmen und seit Voldemort wieder fast vollständig erstarkt war hatte ich einige ziemlich eindeutige Angebote von ihm bekommen, die ich jedoch allesamt ausgeschlagen hatte.

Es würde mich somit nicht wundern, wenn er die Gelegenheit, dass ich hier in England war, nutzen würde. Entweder um mich zu rekrutieren oder aus dem Weg zu schaffen.

Aber ich mochte nicht glauben, dass Severus zu solchen Mitteln greifen würde. Er war ein Mann, der es beispiellos beherrschte seine Gefühle zu verbergen. Warum also sollte er gerade bei mir davon eine Ausnahme machen, nur um mein Vertrauen zu gewinnen? Nein, seine Gefühle waren echt gewesen, da war ich mir fast sicher.

Das ganze Hin und Her überlegen brachte mich nicht weiter. Ich würde also abwarten müssen. Doch vorher musste ich unbedingt mit Severus sprechen, sofern er denn überhaupt noch mit mir reden wollte.

Am nächsten Morgen nahm ich meinen Unterricht wieder auf und war überrascht, dass Draco Malfoy diesmal ziemlich ruhig und gesittet war und sich sogar am Unterricht beteiligte. Zwar waren seine Beiträge nicht unbedingt produktiv, aber er gab sich immerhin Mühe.

Am Nachmittag hatte ich unterrichtsfrei und beschloss mich mit meinen Unterlagen nach draußen zu verziehen. Die Sonne schien und es wäre einfach Verschwendung gewesen den Rest des Tages hinter den Schlossmauern zu verbringen.

Ich setzte mich unter einen Baum und nahm mir die Hausaufgaben des ersten Jahrgangs vor.

Belustigt arbeitete ich mich durch Pergamentblätter. Die Kleinen hatten wenigstens noch Spaß am Lernen.

Nach einer Weile fühlte ich mich beobachtet. Langsam ließ ich das Blatt sinken und sah auf.

Er stand an den Stamm des Baumes mir gegenüber gelehnt. Wie immer war er leger gekleidet. Er trug eine blaue Jeans und ein enges schwarzes T-Shirt, was seinen gut gebauten Körper besonders betonte. Seine schwarzen Haare waren ordentlich frisiert, nur eine Strähne hing ihm vorwitzig ins Gesicht. Seine blauen Augen strahlten mich an und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er, je älter er wurde immer besser aussah. Seine Haut war immer noch leicht gebräunt von der Sonne, so wie damals als er noch aktiv Quidditch gespielt hatte.

Und wahrscheinlich hatte er noch immer keine Frau für sich gefunden und dass obwohl er nun auch schon fünfunddreißig war. Aber so war er nun mal. Ein unsteter Geist, der keine Lust auf feste Bindungen hatte und das Leben in vollen Zügen genoss. Nicht nur einmal hatte ich Tränen fließen sehen. Aber mein Bruder war und blieb ein Herzensbrecher.

„Hades!" Freudig sprang ich auf und fiel ihm in die Arme.

„Schwesterchen." Er drückte mich an sich und zerzauste mir das Haar. Ich nahm seinen gut dosierten After Shave Duft wahr und fühlte mich in seinen Armen sicher und geborgen, so wie immer, wenn er mich in den Arm nahm.

Er schob mich auf Armeslänge von sich und musterte mich kritisch.

„Du siehst schlecht aus, Schwesterherz."

„Oh, danke für dieses aufbauende Kompliment", gab ich sarkastisch zurück. „Du siehst gut aus, wie immer."

„Ich weiß", grinste er. „Aber nun erzähl schon. Was ist los mit dir?" Besorgt musterte er mich. „Du bist blass, hast dunkle Ringe unter den Augen und siehst irgendwie traurig aus. Außerdem klang dein Brief so gar nicht nach dir. Er war so melancholisch."

„Lass uns ein Stück gehen, ja?"

Er legte mir einen Arm um die Schultern und wir liefen hinunter zum See. Unterwegs erzählte ich ihm alles. Angefangen von Draco Malfoy, über seinen Vater bis hin zu Severus. Auch dass ich mit Severus im Bett gelandet war ließ ich nicht aus. Als ich fertig war, waren wir am See angekommen und setzten uns auf einen Stein.

„Oh man, Cassie. Du magst diesen Mann wirklich, oder?"

„Ich glaub schon."

„Aber warum hast du ihn dann weggeschickt?"

„Ich weiß es nicht."

„Das glaub ich dir nicht. Es gibt immer einen Grund. Ich weiß wovon ich rede."

„Dann sag du ihn mir." Verzweifelt sah ich ihn an.

„Sorry, aber da muss ich passen. Bei mir waren in so einem Fall nie Gefühle im Spiel."

„Dann sag mir wenigstens, was ich jetzt tun soll."

„Da fragst du ja echt den Richtigen. Du weißt genau, dass ich mich mit Beziehungskisten nicht besonders gut auskenne. Aber wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich versuchen mit ihm zu sprechen."

„Und was soll ich ihm sagen? Mal davon abgesehen, dass er wahrscheinlich nicht mit mir reden wird."

„Sag ihm das, was du mir gesagt hast. Dass du mehr für ihn empfindest und dass dir die Nacht mehr bedeutet hat, als es vielleicht den Anschein gemacht hat. Im übrigen, wie kommst du darauf dass er nicht mit dir reden will?"

Seufzend berichtete ich ihm alles, was ich über Severus wusste und was ich vermutete.

„Okay... lass mich das kurz zusammenfassen. Du hast dich in einen Mann verliebt, der erstens um einiges älter ist als du, der zweitens scheinbar nicht leicht Gefühle entwickelt und der drittens ein Todesser ist oder war."

Ich wollte schon etwas sagen, doch Hades unterbrach mich.

„Lass mich noch etwas zusammenfassen. Dadurch, dass du ihn hinausgeworfen hast, nach einer unvergleichlichen Nacht wohlgemerkt, hast du ihn wahrscheinlich zutiefst verletzt. An seiner Stelle würde ich wahrscheinlich auch nicht mit dir reden wollen. Wahrscheinlich denkt er, dass er für dich sowieso nur ein Abenteuer war."

Ich starrte Hades wütend an.

„Ich bin nicht wie du! Dass ich ihn raus geworfen habe, hatte einen anderen Grund. Meine Gefühle haben mich einfach überrollt und ich wusste selbst nicht mehr was ich da tat. Verdammt, so was ist mir noch nie passiert! Vor drei Jahren habe ich mir geschworen, dass mir so etwas nicht nocheinmal passiert. Ich habe mir geschworen, dass ich mich nie wieder auf einen Mann einlasse. Und jetzt lasse ich einmal meine Gefühle zu und schon gibt es nur Probleme. Warum muss ich auch immer an komplizierte Typen geraten?"

Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich das Grinsen im Gesicht meines Bruders erst jetzt wahrnahm.

„Also mich hast du überzeugt, Schwesterchen. Jetzt musst du nur noch deinen Severus überzeugen."

„Aber..."

„Ich habe nur das gesagt, was er wahrscheinlich auch zu dir sagen würde, nämlich, dass du ihn nur benutzt hast. Dadurch habe ich dich dazu gebracht über deine Gefühle zu reden, Cassie. Weißt du, auch wenn du es nicht gerne hörst... Du bist Severus gar nicht so unähnlich. Du sprichst auch nicht über deine Gefühle."

„Das ist nicht wahr."

„Na gut, vielleicht nicht ganz. Du frisst nur ganz bestimmte Sachen in dich hinein. Cassie, ich bin dein Bruder. Ich kenne dich besser als jeder andere. Sobald es um deine Gefühle für Männer geht bist du wie ausgewechselt. Darf ich dich an Lukas erinnern? Da war der Fall doch ähnlich gelagert wie jetzt. Alles was er von dir wollte war, dass du ihm hättest sagen sollen, was du für ihn empfindest. Aber anstatt das zu tun, hast du dich gedrückt und dich damit lieber unglücklich gemacht."

„Das kannst du doch gar nicht vergleichen. Lukas war tierisch eifersüchtig gewesen und er hat mir nicht geglaubt, dass ich nichts mit Patrick hatte..."

„Und warum hat er es dir nicht geglaubt?" unterbrach Hades mich geduldig. „Weil du ihm nicht alles gesagt hast. Cassie, ich erzähle dir das alles nicht, weil ich dich quälen will. Ich will dass du endlich glücklich bist. Wenn ich schon nicht dazu fähig bin eine vernünftige Beziehung zu führen, dann muss ich dich eben zu deinem Glück zwingen. Verdammt, geh zu ihm ehe es zu spät ist und erzähl ihm genau das, was du mir gerade in so netter Form an den Kopf geworfen hast."

„Aber wenn er mich abweist?"

„Dann gib nicht auf. Nerv ihn meinetwegen so lange, bis er dir zuhört. Ich weiß doch wie hartnäckig du sein kannst."

„Du gehst nicht eher, bis ich dir verspreche es zu tun, oder?" seufzte ich ergeben und Hades lächelte mich spitzbübisch an.

„Na gut, ich verspreche dir, dass ich mit Severus reden werde."

„Na also, geht doch." Zufrieden lehnte sich Hades zurück und stütze den Oberkörper auf die Ellenbogen. „Hübsch habt ihr es hier."

„Allerdings." Ich zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. „Was treibst du eigentlich so? Ist ja schon ne Ewigkeit her, dass wir uns gesehen haben."

„Nichts besonderes. Ich gebe mir Mühe mein Vermögen, das ich mit Quidditch verdient habe zu reduzieren. Wäre doch schade, wenn es auf der Bank verschimmelt."

„Ich glaube, wenn du nicht mein Bruder wärst..."

„... würdest du mich aufgrund meiner Lebensweise verabscheuen, ich weiß."

„Nein, nicht verabscheuen, nur meiden. Du wärst nicht unbedingt jemand, mit dem ich mehr Zeit verbringen würde."

„Zum Glück sind wir verwandt", grinste er. „Ach, auch wenn du meine Verschwendungssucht nicht magst, ich hab noch was für dich."

Er zog ein kleines Gerät aus seiner Hosentasche und drückte es mir in die Hand.

„Was ist das?"

„Ein MP3-Player."

"Das weiß ich auch. Aber was soll ich damit?"

„Ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn du ein wenig Musik zum entspannen hast, von deiner Lieblingsband. Sie haben mir alle Alben auf MP3 gezogen und drauf gespielt. Auch das neue."

„Wer sie?"

„Na schön. Freiwillig hat er es nicht rausgerückt. Aber Sören war mir noch was schuldig..."

„Sören Larsen?"

„Ganz genau der."

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!"

„Mein voller."

„Das komplette ‚Endless Dark' Album?"

„Hör doch mal rein."

Ich stöpselte mir die Kopfhörer in die Ohren und drückte auf Play.

"Das ist ja echt das neue", rief ich erfreut, als Sören Larsen mit seiner ausdrucksvollen Stimme mir die erste Strophe von ‚Dark Heaven' ins Ohr säuselte.

„Was dachtest du denn? Ach ja, ich konnte ihm auch noch zwei Karten für das nächste Konzert aus den Rippen leiern. Die treten bald hier in London auf und da dachte ich du würdest da gerne hin gehen."

„Oh Brüderchen, du bist der Beste!"

„Ich weiß. Scheinbar hat es doch Vorteile der High Society anzugehören. Ich verstehe zwar nicht, wie du auf die Musik von denen stehen kannst, aber die Typen sind echt in Ordnung und singen kann er ja auch recht gut. Das muss selbst ich zugeben."

„Musikbanause. Sören hat die geilste Stimme, die ich je gehört habe!"

„Darüber will ich nicht mit dir streiten. Aber wie ich sehe, konnte ich dich ja doch noch aufmuntern. Dann hab ich mein Ziel ja erreicht und unseren guten Herrn Larsen nicht umsonst belästigt."

„Sag mal", meinte ich nun doch etwas misstrauisch. „Was für einen Gefallen hat er dir denn noch geschuldet?"

„Ich habe ihnen einen Auftritt in der angesagtesten Bar in der Zaubererwelt verschafft. Tja, mittlerweile hält auch die Muggelmusik bei uns Einzug. Nur schade, dass er sich nicht mehr an den Auftritt erinnern kann. Aber was will man machen? Aber dass er mir noch etwas schuldig ist, hab ich mir zum Glück schriftlich geben lassen. Bin ja ein vorausschauender Mensch."

Hades grinste breit und ich konnte nur den Kopf schütteln.

„Du bist unmöglich."

„Nee, ich hab mir meinen Namensvetter nur zum Vorbild genommen. Irgendwas gutes muss man ja aus dem Namen schlagen können."

„Na ja, solange du nicht damit anfängst Leute in die Unterwelt zu schicken..."

Die Sonne stand schon ziemlich tief und so standen wir auf, um zurück zum Schloss zu gehen.

Vor der Eingangstür angekommen umarmte mich Hades nocheinmal und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Halt die Ohren steif, Kleine. Oder sollte ich besser sagen, dass du etwas anderes steif halten sollst?"

„Ha, ha, sehr witzig. Darf ich dich denn wieder belästigen, falls es mir nicht gut geht?"

„Jetzt hör aber auf. Du hast mich noch nie belästigt. Ich bin dein großer Bruder und wäre beleidigt, wenn du nicht zu mir kommen würdest, wenn es dir schlecht geht."

„Dann kannst du dich ja schon auf meine nächsten Briefe freuen. Hallo? Hades? Hörst du mir überhaupt noch zu?"

Er sah über meine Schulter an mir vorbei und runzelte die Stirn.

„Du solltest da besser was klarstellen", meinte er und ich drehte mich um, damit ich sehen konnte, was er meinte.

Auf der großen Eingangstreppe stand Severus und bedachte uns mit einer Mischung aus Wut, verletzter Eitelkeit und noch etwas, was ich nicht deuten konnte.

„Na toll, jetzt denkt er auch noch, dass ich mich dem nächst besten Typen an den Hals schmeiße", murrte ich.

„Dann geh zu ihm und erkläre es ihm. Er sieht nämlich so aus als würde er gleich jemanden umbringen wollen. Nur weiß ich nicht, ob dich oder mich."

Er gab mir einen Schubs in Richtung Treppe und als ich mich nocheinmal nach ihm umdrehte, war er verschwunden.

Als ich mich Severus näherte funkelte er mich wütend an, doch er machte auch keine Anstalten mir aus dem Weg zu gehen. War das nun gut oder schlecht? Ich würde es gleich erfahren.

„Dir reicht es wohl nicht mich gedemütigt zu haben", ging er mich mit schneidender Stimme an.

„Wie meinst du das?"

„Daß ich für dich scheinbar nur ein Abenteuer war, damit wäre ich vielleicht noch klar gekommen. Aber dass du dich sofort in die Arme eines anderen wirfst..."

„Das war mein Bruder", unterbrach ich ihn.

Ein paar Sekunden lang sah er mich wortlos an, dann verschränkte er die Arme vor der Brust und seine Augen verengten sich.

„Scheinbar hast du selbst jetzt nicht den Anstand mir die Wahrheit zu sagen", meinte er dann und schnaubte abfällig.

„Du... du glaubst mir nicht?" Entgeistert sah ich ihn an. „Aber Severus, ich würde dich niemals anlügen! Der Mann mit dem ich eben zusammen war, ist wirklich mein Bruder."

„Ich wünschte, ich könnte dir noch glauben."

„Aber das kannst du, ich..."

„Nein", unterbrach er mich rüde. „Nach dieser Nacht weiß ich nicht mehr woran ich bei dir bin."

„Dann lass es mich erklären. Bitte, ich will unbedingt mit dir reden."

„Wozu? Ich denke, du hast mir ziemlich eindeutig gezeigt, wie du dazu eingestellt bist."

„Bitte Severus. Du musst mir nur zuhören. Das ist alles was ich von dir will. Hör mir zu."

Eine Weile sah er mich nachdenklich an.

„Na schön. Aber nicht mehr heute. Komm morgen nach dem Vormittagsunterricht in mein Büro, dann können wir meinetwegen reden. Für heute hast du meine Nerven genug strapaziert."

Ohne eine Antwort abzuwarten wandte er sich um und rauschte mit wehendem Umhang davon.

Seufzend ließ ich mich auf eine Treppenstufe sinken. Scheinbar hatte ich Severus doch mehr verletzt als ich angenommen hatte. Aber wenigstens würde er mit mir reden und ich hoffte, dass ich ihn von meinen wahren Gefühlen überzeugen konnte.

„Probleme?" unterbrach mich eine bekannte Stimme in meinen Gedanken.

„Was wollen Sie denn hier? Kontrollieren, ob ich Ihrem Sohn auch wirklich bessere Noten gebe oder sind Sie gekommen um mich eigenhändig aus Hogwarts zu entfernen."

Lucius Malfoy stieß sich von dem Baum ab, an dem er gelehnt hatte und kam mit einem hintergründigen Lächeln auf mich zu.

„Nein, noch nicht", meinte er und blieb vor mir stehen. Da ich nicht zu ihm aufsehen wollte erhob ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Und was führt Sie dann hierher? Zu so später Stunde?"

„Ich wollte noch mal mit Ihnen über Draco reden. Das was Sie letztens zu mir gesagt haben, hat mir wirklich zu denken gegeben."

„Tatsächlich? Soll ich darüber jetzt erfreut oder beunruhigt sein?"

„Das überlasse ich Ihnen."

„Tja, da muß ich Sie leider enttäuschen", überging ich seinen Kommentar. „Aber heute kann ich nicht mehr mit Ihnen reden, ich hab noch zu tun."

„Das habe ich auch nicht erwartet. Kommen Sie am Montag Abend einfach nach Hogsmeade in den Eberkopf, dann können wir uns in Ruhe unterhalten."

„Äh, ich treffe mich eigentlich nicht privat mit den Eltern meiner Schüler. Sie können genauso gut in mein Büro kommen."

„Sie missverstehen mich. Das soll kein offizielles Gespräch werden."

„Aha?"

„Ich möchte einfach nicht, dass Draco davon etwas mitbekommt. Ich will ihn nicht damit brüskieren, dass er denkt ich halte ihn nicht für fähig alleine mit der momentanen Situation klar zu kommen. Ich hoffe Sie verstehen mich."

Nun sah er mich eindringlich an und ich fühlte mich mehr und mehr unwohl.

„Ja, das verstehe ich durchaus. Also schön, meinetwegen mache ich für Sie eine Ausnahme."

„Dann erwarte ich Sie um acht im Eberkopf." Malfoy bedachte mich mit einem triumphierenden Lächeln und verschwand in der Dunkelheit.

Als ich ihm nachsah, war mir gar nicht wohl bei der ganzen Sache. Irgendetwas war merkwürdig gewesen. Doch konnte ich mir nicht erklären was. Vielleicht bildete ich mir das ganze aber auch nur ein und Malfoy sorgte sich wirklich um seinen Sohn.

Mit meinen Nerven stand es gerade nicht zum besten, da brauchte ich mich nicht wundern, wenn ich Gespenster sah. Besser, ich dachte nicht weiter drüber nach.

Ich raffte meine Sachen zusammen und beeilte mich in mein Zimmer zu kommen. Noch mehr unliebsame Begegnungen würde ich heute nicht mehr verkraften.

Auf dem Weg nach Hogsmeade rieb Lucius Malfoy sich die Hände. Das war einfacher gewesen, als er gedacht hatte.

Der Lord würde stolz auf ihn sein. Es war gut gewesen, dass er ihn zusätzlich mit dieser Aufgabe betraut hatte, denn der Lord vertraute Severus schon lange nicht mehr.

Aber auf ihn, Lucius Malfoy, würde er sich immer verlassen können.

Mit einem selbstzufriedenen Lächeln erreichte Malfoy das kleine Dorf und apparierte von da in seinen Landsitz.

Der Freitag Morgen schleppte sich nur so dahin und je näher das Ende des Unterrichts rückte, desto nervöser wurde ich. Im Geiste legte ich mir schon die Worte zurecht, die ich zu Severus sagen wollte. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich alles plump und unbeholfen anhören würde. Aber wie sollte es auch anders sein, schließlich hatte ich noch nie einem Mann meine Gefühle gestanden. Bislang war ich immer davon ausgegangen, dass es auch keiner Worte bedurfte und die Männer meine Gefühle schon so mitbekommen würden. Anscheinend war diese Denkweise ziemlich naiv gewesen. So ganz ohne Worte ging es dann wohl auch nicht.

Ich beschloss das Mittagessen ausfallen zu lassen und wollte direkt nach meiner letzten Stunde zu Severus gehen. Doch gerade als ich meine Sachen zusammenpackte, kam Draco zu mir.

„Professor?"

„Mr. Malfoy. Was kann ich für Sie tun?" fragte ich ein wenig erstaunt und hoffte, er würde mich nicht lange aufhalten.

„Na ja... also... ich... äh...", druckste er herum, was an sich schon ungewöhnlich genug für ihn war.

Ich sah ihn nur fragend an, er sollte von alleine weiter sprechen.

„Ich habe über das nachgedacht, was Sie vor ein paar Tagen zu mir gesagt haben", fuhr er dann auch fort und sah mich erwartungsvoll an.

Nanu, was war denn aufeinmal los? Plötzlich schienen alle über meine Worte nachzudenken. Erst der Vater, jetzt der Sohn.

„Und?"

„Haben Sie nicht gesagt, Sie würden mir helfen, wenn ich ein Problem habe?"

Tatsächlich? Ich konnte mich gar nicht daran erinnern so etwas gesagt zu haben. Aber scheinbar brauchte der Junge irgendetwas, um es nicht so aussehen zu lassen, als er würde er derjenige sein, der um Hilfe bat.

„Ja", sagte ich deshalb. „So etwas in der Richtung habe ich Ihnen angeboten."

„Steht Ihr Angebot noch?"

„Natürlich. Wie kann ich Ihnen also helfen?"

Draco schien erleichtert, dass ich ihm jetzt direkt meine Hilfe anbot.

„Na ja, es hat nichts mit der Schule zu tun... ist eher privat."

„Hm, ich verstehe. Passen Sie auf, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich habe heute nicht viel Zeit und Sie müssen auch gleich wieder in den Unterricht. Aber ich möchte mir gerne Zeit für Sie nehmen, soviel Sie brauchen. Morgen ist Samstag, da haben wir beide genügend Zeit. Kommen Sie doch morgen in mein Büro und wir können in Ruhe über Ihr Problem sprechen."

Er schien etwas enttäuscht, dass ich nicht sofort mit ihm redete, trotzdem nickte er.

„Draco, ich sehe doch, dass es Ihnen sehr wichtig ist und wichtige Dinge bespreche ich nicht gerne zwischen Tür und Angel und schon gar nicht, wenn meine Schüler etwas auf dem Herzen haben. Wenn Sie sich noch bis morgen gedulden können, dann stehe ich Ihnen voll und ganz zur Verfügung."

„Hm, wahrscheinlich haben Sie recht. Wann kann ich denn zu Ihnen kommen?"

„Nachmittags um drei?"

„Okay, obwohl wir noch einen riesigen Berg an Hausaufgaben haben. Warum geben Sie zum Wochenende eigentlich immer doppelt so viel auf?"

„Damit ihr nicht auf der faulen Haut liegt", grinste ich. „Aber wissen Sie was, bringen Sie Ihre Hausaufgaben einfach mit. Vielleicht kann ich Ihnen dabei ja helfen, je nachdem wie viel von Ihrer Zeit ich in Anspruch nehmen werde."

„Ist das Ihr Ernst?"

„Versprechen kann ich nichts."

Doch Draco schien das nichts auszumachen. Er nickte nur und beeilte sich dann noch rechtzeitig zum Essen zu kommen.

Auch ich machte mich auf den Weg und je näher ich Severus Büro kam, desto weicher wurden meine Knie. Als ich schließlich vor seiner Tür stand, wäre ich am liebsten wieder umgedreht, doch dann hätte er bestimmt nie wieder mit mir gesprochen.

Also hob ich meine Hand und klopfte zaghaft an. Die Tür schwang auf und ich sah Severus hinter seinem Schreibtisch sitzen, den Zauberstab in der Hand.

Er machte weder Anstalten sich zu erheben, noch einen Ton zu sagen. Er sah mich nur finster an.

Etwas zögerlich trat ich ein und schloss übertrieben langsam die Tür. Dann wandte ich mich um und blieb unschlüssig mitten im Raum stehen. Severus verzog die ganze Zeit lang keine Mine und bot mir auch keinen Platz an. Allerdings hätte ich sowieso nicht still sitzen können.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie ich eigentlich anfangen sollte. Und seine abweisende Haltung machte es mir auch nicht gerade einfacher. Langsam kamen mir Zweifel, ob es so eine gute Idee gewesen war, unbedingt mit ihm reden zu wollen. Wäre es nicht einfacher gewesen, es auf sich beruhen zu lassen? Lieber würde ich mir den Arm abhacken, als ihm meine Gefühle zu offenbaren. Waren da überhaupt Gefühle? Bestimmt hatte ich mir das nur eingebildet. Aber Moment, ich war gerade wieder einmal im Begriff das zu tun, was mein ach so geliebter Bruder mir vorgeworfen hatte. Nämlich davonzulaufen. Ich würde es eher in Kauf nehmen, dass Severus mich von sich stieß, als dass ich mich mit meinen Gefühlen auseinandersetzen würde. Das war bislang immer so gewesen. Bevor ich verletzlich wurde, hatte ich jede Beziehung irgendwie enden lassen. Hades hatte recht gehabt, so konnte es auf keinen Fall weiter gehen.

„Du wolltest reden?" wurde ich von Severus in meinen Gedanken unterbrochen. „Bitte, dann rede." Er versuchte seiner Stimme eine gewisse Kälte zu geben, doch das gelang ihm nicht ganz.

„Ich weiß nicht wo ich anfangen soll", gab ich zurück und verfluchte mich dafür, dass sich meine Stimme dünn und auch etwas ängstlich anhörte.

Severus lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander und legte die Fingerspitzen zusammen. Dann sah er mich mit hochgezogener Augenbraue an.

Er würde mir nicht helfen, sondern gnadenlos darauf warten, dass ich das sagte was ich zu sagen hatte. Erst dann würde er wahrscheinlich wieder einen Ton von sich geben.

„Okay... also... ich... äh..." Verflucht! Jetzt schaffte ich es nochnichtmal einen vernünftigen Satz hervor zu bringen. Warum machte mich dieser Mann so nervös?

Severus Mundwinkel zuckten leicht, scheinbar amüsierte es ihn, dass ich mich vor ihm zum Idioten machte.

„Ich hab nicht ewig Zeit", meinte er herablassend und legte damit einen Schalter bei mir um, der mich mal wieder die Fassung verlieren ließ. Eigentlich sollte ich es ja schon längst besser wissen, doch seine unwirsche Art schaffte es jedes Mal mich zu reizen. Merkte er denn nicht, wie wichtig dieses Gespräch mir war?

„Jetzt hör mir mal zu", fuhr ich ihn an. „Wenn du glaubst, dass es mir leicht gefallen ist hierher zu kommen, dann muß ich dich enttäuschen. Und wenn du meinst ich würde dir deine ach so kostbare Zeit stehlen, dann bitte... Schmeiß mich raus! Dann könntest du dich ja auch wunderbar an mir rächen..."

Severus stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. Er lehnte sich an die Schreibtischkante und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ist es das, was du mir sagen wolltest?"

„Nein. Ich versuche dir gerade irgendwie klar zu machen, dass... dass... dass... ach verdammt, ich kann das nicht."

„Was kannst du nicht?"

„Na, dass... dass ich... Warum zwingst du mich dazu?" Verzweifelt rang ich die Hände. Warum schaffte ich es einfach nicht das eine kleine Wort über die Lippen zu bringen?

„Jetzt mach aber mal halblang", begehrte er auf. „Wozu sollte ich dich denn deiner Meinung nach zwingen?"

„Dazu, dass ich dir meine Gefühle für dich gestehe...", sagte ich leise und war überrascht, dass ich das gesagt hatte.

Severus hatte den Mund schon zu einer Erwiderung geöffnet, klappte ihn aber wieder zu und sah mich nur verblüfft an.

„Ja, verdammt", äußerte ich hitzig. „Ich hab mich in dich verliebt... auch wenn du es vielleicht nicht glaubst", schob ich nach.

Danach sagte ich erst mal gar nichts mehr und starrte angestrengt auf den Boden. Ich brachte es nicht fertig ihn anzusehen und womöglich etwas in seinem Blick zu erkennen, was mir nicht gefallen würde.

„Aber... warum?" fragte Severus, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. Ich wusste genau worauf er hinauswollte und es war diese Frage vor der ich mich gefürchtet hatte, weil ich die Antwort darauf selbst nicht genau wusste.

„Ich weiß es nicht", antwortete ich leise. „Vielleicht weil ich Angst davor hatte mir meine Gefühle einzugestehen... ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, dass es ein Fehler war und dass ich dich nicht verletzten wollte."

„Das hast du aber."

„Ich weiß. Und mehr als dir zu sagen, dass es mir leid tut kann ich nicht. Das musst du mir glauben."

Er stieß sich von der Kante ab und ging nachdenklich im Zimmer auf und ab.

„Was du da eben gesagt hast, hast du auch ernst gemeint?"

„Sonst wäre ich nicht hier. Außerdem habe ich so etwas noch nie zu jemandem gesagt..."

Als Severus darauf eine ganze Weile nichts sagte, hielt ich es für angebracht den Rückzug anzutreten.

„Ich denke es ist besser, wenn ich jetzt gehe", bemerkte ich. „Ich habe dir gesagt, was ich zu sagen hatte und jetzt liegt es an dir zu gucken, was du damit anfängst."

Ich wandte mich zum Gehen und hatte schon die Hand auf der Türklinke liegen, als Severus mich zurückhielt.

„Warte."

„Ja?" Fragend drehte ich mich wieder um und sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete.

„Was hatte das gestern Abend zu bedeuten? Wer war dieser Mann?"

„Das hab ich dir gestern Abend schon gesagt. Das war mein Bruder Hades. Aber wenn du mir nicht glaubst... frag bei den Berlin Dragons nach. Da hat er ziemlich erfolgreich als Hüter gespielt. Die haben sicher noch Fotos von ihm. Hades McCallahan, sollte eigentlich jedem Quidditch-Fan ein Begriff sein. Außerdem habe ich dir doch erzählt, dass ich einen Bruder habe. Sag jetzt nicht du warst eifersüchtig", versetzte ich mit einem schiefen Grinsen.

„Das hieße ja, ich würde deine Gefühle erwidern", bemerkte er mit einem Stirnrunzeln.

Ich konnte nicht verhindern, dass mein Herz schon wieder höher schlug, als ich die nächste Frage stellte.

„Und, tust du das?"