Snape konnte Cassie gerade noch auffangen, als sie ohnmächtig zusammensackte. Behutsam legte er sie aufs Bett. Das Schlafmittel hatte schnell gewirkt und er hatte die Dosis so gewählt, dass sie bis morgen durchschlafen würde.
Seufzend strich er ihr eine blonde Strähne aus der Stirn. Hoffentlich würde sie ihm nicht allzu böse sein, wenn sie erfuhr, was er getan hatte, aber ihm war keine andere Möglichkeit geblieben.
Cassie durfte sich einfach nicht mit Malfoy treffen. Er kannte Malfoy gut genug, um zu wissen, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Aber er hatte es ihr nicht sagen können, denn dann hätte er ihr auch sagen müssen, dass er...
Er verdrängte die aufkommenden Gedanken und verließ eiligst seine Privaträume.
Lucius Malfoy hatte sich einen ruhigen Tisch in einer Ecke gesucht. Wenn er seinen Plan durchführen wollte, so musste er erst sicher gehen, dass jeder McCallahan sah, wenn sie den Eberkopf betrat. Daß niemand sie gehen sehen würde, spielte keine große Rolle. Zu einer bestimmten Zeit hatte das Publikum hier im Eberkopf schon zu sehr dem Alkohol zugesprochen, als dass sie noch klar erkennen würden, wer die Bar verließ oder nicht.
Malfoy war so vertieft in seine Gedanken, dass er seinen Gast erst merkte, als ein schwarzer Schatten auf ihn fiel.
„Ah, schön, dass Sie es einrichten ko...", begann er, doch ihm blieb der Rest im Hals stecken. „Du? Was willst du hier?" fuhr er seinen Gegenüber unwirsch an, nachdem er sich wieder gefasst hatte.
„Was macht man schon in einer Bar, Lucius?" gab der andere kühl zurück.
„Ich frage ja auch nicht, was Otto Normalverbraucher in einer Bar macht, sondern was du hier zu suchen hast."
„Dasselbe könnte ich dich auch fragen. Normalerweise verkehrst du doch in ganz anderen Kreisen." Der Mund des anderen verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
„Ich habe eine Verabredung", erwiderte Malfoy unfreundlich.
„Dann freut es dich sicher zu hören, dass sie nicht kommen wird."
Für einen Moment entgleisten Malfoys Gesichtszüge, doch er hatte sich schnell wieder in der Gewalt.
„Dir ist dein Leben wohl nicht viel wert. Oder, Severus?"
„Du irrst dich. Wie wohl hätte ich es schaffen sollen die ganze Zeit am Leben zu bleiben, wenn ich nicht dran hängen würde?"
„Spar dir deinen Spott! Warum bist du wirklich hier?"
„Die Frage ist doch, warum bist du hier."
„Weich mir nicht aus. Woher weißt du überhaupt mit wem ich mich treffen will?"
„Ich weiß alles was auf Hogwarts vor sich geht", meinte Snape pathetisch.
„Ich bin im Auftrag des Lords hier", raunzte Malfoy den Tränkemeister an. „Es ist besser für dich, wenn du dich da raus hältst."
„Warum so gereizt, Lucius? Ich hindere dich bestimmt nicht daran deinen Auftrag auszuführen. Ich bin nur hier um etwas zu trinken."
„Bei jedem anderen würde ich das glauben, Severus, aber nicht bei dir. Du gehst nicht nur einfach so was trinken. Ich wette, dass du deine dreckigen Finger im Spiel hast, warum sonst solltest du wissen, dass McCallahan nicht kommen wird?"
„So, McCallahan also?"
Malfoy warf Snape einen finsteren Blick zu, warum hatte er sich auch verplappern müssen?
„Was hast du mit ihr gemacht?" zischte er.
„Nichts, zumindest nichts was dich angehen würde. Ich habe sie lediglich davor bewahrt, dass sie in deine Falle läuft. Ich gehe doch nicht falsch in der Annahme, dass du sie entführen wolltest, oder?"
„Entführen ist so ein hässliches Wort", tadelnd sah Malfoy seinen ehemaligen Todesserkollegen an. „Im übrigen, darf ich dich daran erinnern, dass ich deinen verdammten Job erledigen muß! Es war dein Auftrag sie von Hogwarts zu schaffen."
Snape zog die Brauen zusammen und sah Malfoy finster an.
„Der Lord vertraut dir nicht mehr, mein Lieber. Du solltest dich besser vorsehen."
„Soll das eine Drohung sein?"
„Nein. Eine Warnung, unter Freunden."
„Wir sind keine Freunde", gab Snape scharf zurück.
„Wie du meinst. Dann kannst du mir aber trotzdem verraten, wieso du deinen Auftrag nicht zur Zufriedenheit des Lords ausführst und mich bei meinem behinderst. Das ist doch kein Zufall. Außerdem hast du schon die Sache mit dem Mantikor versaut."
„Er hätte sie umgebracht."
„Na und? Das wäre zwar nicht geplant gewesen, aber trotzdem ganz im Sinne des Lords. Also, wieso stellst du dich quer? Es kann doch nicht so schwer sein, sie vom Schloss zu entfernen."
„Das geht dich gar nichts an", knurrte Snape abweisend.
Malfoy strich sich eine Strähne seines langen blonden Haares aus der Stirn und sah Snape prüfend an.
„Deine Haltung gefällt mir gar nicht, Severus."
„Das ist nicht mein Problem."
„Da irrst du dich. Der Lord hat dir eine Frist gesetzt, die du nicht eingehalten hast. Das gefällt ihm gar nicht. Und es wird ihm noch weniger gefallen, wenn ich ihm erzähle, warum ich ohne McCallahan bei ihm auftauche. Ich gebe dir noch eine Chance", fuhr Malfoy gönnerisch fort. „Hol sie her. Ich vermute du weißt wo sie ist..."
Auf Snapes Gesicht ließ sich keinerlei Regung erkennen, doch in seinem Inneren ging es dafür umso turbulenter zu.
Er konnte Cassie nicht an Malfoy oder, noch schlimmer, an den dunklen Lord ausliefern. Nicht nach den letzten Tagen. Auch wenn er dadurch Gefahr lief, dass sein Leben wesentlicher kürzer werden würde, als vorgesehen. Es ging einfach nicht. Verdammt! fluchte Snape innerlich. Warum geriet ausgerechnet er immer in solche Zwickmühlen?
Langsam stand er auf und beugte sich zu Malfoy hinunter, bis sein Gesicht nur wenige Zentimeter von dem des anderen entfernt war.
Seine schwarzen Augen fingen Malfoys Blick ein und fixierten ihn.
„Ich werde nicht zulassen, dass du oder wer auch immer, ihr ein Leid zufügt", sagte er gefährlich leise. „Also, sieh du dich besser vor."
Malfoys graue Augen verengten sich.
„Dann bist du ein toter Mann und das weißt du auch", gab er gelassen zurück.
„An deiner Stelle wäre ich mir da nicht so sicher", versprach Snape und richtete sich wieder auf.
„Du kannst nicht ständig bei ihr sein!" rief Malfoy ihm noch hinterher, doch Snape würdigte ihn keines Blickes mehr und verließ den Eberkopf. Er ließ einen nachdenklichen Malfoy zurück.
Am nächsten Morgen fühlte sich mein Kopf an, als wäre eine ganze Horde Elefanten drüber getrampelt.
Mühsam öffnete ich die Augen und versuchte festzustellen, wo ich mich befand. Das letzte woran ich mich erinnern konnte war, dass ich mit Severus zusammen in seinem Schlafzimmer gewesen war. Wir hatten Wein getrunken und dann...? Dann hörte meine Erinnerung schlagartig auf.
Vorsichtig setzte ich mich auf, wofür sich mein Kopf mit einem stechenden Schmerz bedankte.
Durch die Fenster schien das helle Licht der Morgensonne und veranlasste mich zum blinzeln. Ich fühlte mich, als hätte ich die ganze Nacht durchgefeiert.
Plötzlich schälte sich eine Gestalt vor mir aus dem Licht und entpuppte sich bei näherer Betrachtung als Severus.
Er setzte sich auf die Bettkante, sah mich besorgt an und reichte mir dann ein Glas mit einer komisch riechenden Flüssigkeit.
„Trink das, dann gehen deine Kopfschmerzen weg."
Gehorsam trank ich das Glas leer und fühlte mich auch gleich besser.
„Was ist eigentlich gestern Abend passiert?" wollte ich dann wissen. „Ich kann mich nicht mehr erinnern."
„Du bist eingeschlafen", meinte er vage und ich runzelte die Stirn.
„Ich schlaf doch nicht einfach so ein. Vor allem wenn ich..." Ich stutzte kurz und schlug mir dann die Hand vor die Stirn. „So ein Mist! Ich wollte mich doch gestern mit Malfoy treffen und jetzt..."
„Sei unbesorgt", unterbrach Severus mich. „Ich habe das geregelt."
„Du hast was?" Entgeistert sah ich ihn an und plötzlich dämmerte es mir. „Jetzt sag bitte nicht, dass ich dir meinen Schlaf zu verdanken habe."
Severus setzte eine ausdruckslose Mine auf und wich meinem Blick aus.
„Severus", meinte ich scharf. „Hast du mir irgendetwas verabreicht?"
„Ich war nur um deine Sicherheit besorgt", gab er kühl zurück. „Und du wolltest ja nicht auf mich hören."
„Das darf doch nicht wahr sein! Wie konntest du das tun?"
„Du hättest dich in Gefahr gebracht, wenn du zu Malfoy gegangen wärst", versuchte er sich in einer Erklärung.
„Und welche hätte das gewesen sein sollen? Was soll Malfoy mir schon antun wollen?"
„Vertrau mir einfach, wenn ich dir sage, dass es so ist."
„Dann nenn mir einen vernünftigen Grund dafür."
„Das kann ich nicht... noch nicht", sagte er leise und wandte sich von mir ab.
„Und warum nicht?"
Statt zu antworten, sah er mich wieder an. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich sanft.
Dann zog er mich in seine Arme und drückte mich fest an sich.
Allein dieses Verhalten, welches doch so ungewöhnlich für ihn war, bestätigte mich in der Annahme, dass er irgendetwas hatte und das dieses Etwas mir ganz sicher nicht gefallen würde. Und eine Vermutung drängte sich mir geradezu auf, nämlich die, dass es etwas mit seiner früheren Todesserkarriere auf sich hatte.
Die nächsten Wochen verliefen merkwürdig. Severus versuchte so gut es ging nicht mehr von meiner Seite zu weichen und ich konnte mich nicht erinnern in diesen Wochen eine Nacht alleine verbracht zu haben.
Doch so schön es ja hätte sein können, auf die Dauer war es recht nervig.
„Severus, was soll das eigentlich?" meinte ich deshalb eines Tages zu ihm und er sah mich erstaunt an. „Du verfolgst mich auf Schritt und Tritt, dass du nicht in meinem Unterricht sitzt ist alles. Ich brauche keinen Babysitter."
„Es geht nicht anders", antwortete er mir nur und hüllte sich wieder ins Schweigen. Alles nachfragen meinerseits half nichts. Er wollte mir einfach nicht sagen, was ihn beschäftigte.
Als ich an einem wunderschönen Spätsommertag in mein Büro kam, wunderte es mich nicht, dass mich wieder eine Eule erwartete.
Der Brief, den sie mir brachte, war, welch Überraschung, von Lucius Malfoy. Darin kündigte er sich für den nächsten Tag an.
Draco hatte seine Drohung also wahr gemacht. Er hatte mal wieder seinen Vater eingeschaltet.
Seufzend sah ich aus dem Fenster. In den Bäumen konnte man schon bunte Blätter erkennen, die ersten Vorboten des Herbstes.
Ich warf den Brief ins Feuer und beschloss, Severus diesmal nichts von Malfoys Kommen zu erzählen. Es bestand die Gefahr, dass er sich wieder etwas einfallen lassen würde, um mich daran zu hindern mit Malfoy zu sprechen.
Und ich hatte keine Lust noch mal mit höllischen Kopfschmerzen aufzuwachen und mich nicht mehr an den vergangen Abend zu erinnern.
Am nächsten Morgen hatte ich vormittags unterrichtsfrei. Severus hatte diesmal die Nacht bei mir verbracht und verließ grummelnd das Bett, um in seinen Zaubertränkeunterricht zu gehen.
Ein wenig erleichtert war ich schon, als er weg war, obwohl es auch irgendwie süß von ihm war, dass er sich solche Sorgen um mich machte. Aber man konnte es auch übertreiben.
Ich hatte mich gerade angezogen und war in mein Büro gegangen, als dessen Tür auch schon aufflog und Malfoy hereingerauscht kam.
Er sah sich aufmerksam im Zimmer um und wirkte zufrieden, als er niemanden außer mir bemerkte.
„Mr. Malfoy. Wie kann ich Ihnen denn diesmal helfen?"
„Indem Sie die Freundlichkeit haben mich zu begleiten", erwiderte er eisig.
„Äh... ich glaube ich verstehe nicht ganz..."
Seine grauen Augen richteten sich auf mich und er sah mich kalt an.
„Ihren Zauberstab", verlangte er herrisch und streckte mir seine Hand entgegen.
„Was?" Verwirrt sah ich ihn an und wusste nicht, was hier überhaupt los war.
„Ihren Zauberstab, oder muß ich erst nachhelfen?" Dabei zog er seinen Stab aus dem Gehstock den er immer bei sich trug und richtete ihn drohend auf mich.
Den Zauberstab vor Augen und die beängstigende Erscheinung Malfoys, ließen nun doch langsam etwas Angst in mir aufkeimen.
Ganz langsam zog ich meinen Zauberstab aus dem linken Ärmel meines Umhangs, wobei Malfoys Blick jeder meiner Bewegungen folgte.
Ich legte ihn in seine ausgestreckte Hand und Malfoy ließ ihn augenblicklich unter seinem Umhang verschwinden.
„Vielen Dank. Wie ich sehe verstehen wir uns", sagte er mit einem spöttischen Lächeln. „Und nun machen wir einen kleinen Spaziergang. Ach ja, denken Sie daran, auch wenn Sie es nicht sehen ist mein Zauberstab auf Sie gerichtet."
Er wartete bis ich neben ihn getreten war, dann fasste er mich am Arm und bugsierte mich nach draußen.
Meine Hoffnung, dass wir auf den Fluren jemandem begegnen würden, erfüllte sich nicht. Wir erreichten unbehelligt die große Eingangstür. Als wir Hogwarts verlassen hatten, schlug Malfoy den Weg nach Hogsmeade ein und zog mich nun, da wir außer Sichtweite waren, ein wenig gröber mit sich.
„Verdammt, was wollen Sie eigentlich von mir?" fand ich meine Sprache wieder.
„Ich will gar nichts von Ihnen", gab er mir widerwillig eine Antwort.
„Und warum entführen Sie mich dann gerade?"
„Was heißt hier entführen? Sie sind doch freiwillig mitgekommen", meinte er non-chalant.
Ich zog es vor den Rest des Weges zu schweigen. An eine Flucht wagte ich nichteinmal zu denken, denn Malfoy würde sicher nicht zögern mir einen Fluch hinterher zu schicken und wenn ich Pech haben würde, würde ich danach entweder tot oder so gut wie tot sein. Kein angenehmer Gedanke.
Kaum, dass wir Hogsmeade erreichten apparierte Malfoy mit mir.
Unweit eines halb verfallenen Hauses tauchten wir wieder auf. Noch bevor ich mich irgendwie rühren konnte, geschweige denn etwas sagen, holte Malfoy eine schwarze Augenbinde hervor und verband mir die Augen.
Meiner Sehkraft beraubt, war ich zunächst völlig orientierungslos und fühlte mich zudem hilfloser als ein kleines Baby.
Plötzlich wurden meine Arme nach hinten gerissen und ich spürte, wie sich etwas raues um meine Handgelenke legte. Nach einer prüfenden Bewegung wusste ich, um was es sich handelte. Magische Fesseln.
Malfoy versetzte mir einen derben Stoß ins Kreuz, sodass ich unbeholfen vorwärts taumelte. So liefen wir eine ganze Weile und ich spürte steinigen Untergrund unter meinen Füßen. Wahrscheinlich ein Schotterweg. Prüfend sog ich die Luft ein. Sie war frisch und rein, roch aber auch etwas modrig.
Vielleicht war in der Nähe ein Wald. Das modrige könnte von einem Friedhof herrühren oder aber von dieser Hausruine. Genau konnte ich es nicht sagen und vermutlich würde ich es auch nicht so schnell erfahren.
Nach einer Weile wandelte sich der Weg unter meinen Füßen. Das harte, steinige ging in einen weichen, federnden Untergrund über. Dann stieß ich gegen ein Hindernis und wäre fast vornüber gekippt.
„Vorsicht, Stufe", hörte ich Malfoy hinter mir schadenfroh sagen und schnaubte wütend.
Mittlerweile hatte ich vor ihm keine Angst mehr. Mein Instinkt sagte mir, dass von ihm nicht die größte Gefahr ausging. Vielmehr sollte ich Angst vor dem haben, was vor mir lag.
Malfoy gab mir einen ungeduldigen Stoß mit seinem Stock und ich tastete mich langsam die Stufen hoch. Als Malfoy hinter mir die Treppe hochging, knarrte sie verdächtig unter seinem Gewicht und ich wurde den Verdacht nicht los, dass nicht viel fehlte und sie würde zusammenbrechen.
Unerwartet trat ich ins Leere und konnte meinen Schwung diesmal nicht mehr abfangen. Schmerzhaft fiel ich auf die Knie und sog scharf die Luft ein, als ein beißender Schmerz durch mein rechtes Knie fuhr. Ich spürte, wie sich etwas in mein Fleisch bohrte. Vermutlich eine vorstehende Holzbohle der Veranda, zumindest vermutete ich, dass ich mich nun auf einer Veranda befand.
Malfoy gab ein verächtliches Geräusch von sich und zerrte mich grob wieder auf die Beine.
Mein rechts Knie brannte wie Feuer und ich fühlte, wie etwas feuchtes, warmes an meinem Bein herunter lief.
Als ich das Bein probeweise belastete, durchlief mich erneut ein quälender Schmerz und ich konnte gerade noch einen Aufschrei unterdrücken.
Malfoy indes schien sich nicht weiter darum zu kümmern, denn ich hörte, wie er an mir vorbeiging und vor mir eine Tür aufstieß. Sie quietschte erbärmlich in den Angeln.
Dann packte er mich am Arm und zog mich hinter sich her.
Abgestandene, muffige Luft vermischt mit einem Hauch von Fäulnis schlug mir entgegen und ich musste die Luft anhalten.
Der Holzboden knarrte unter unseren Füßen und es zog durch jede Ritze.
Wieder blieb Malfoy stehen, um eine Tür zu öffnen.
„Treppe", warnte er mich diesmal vor. Aber wahrscheinlich auch nur, weil diese Treppe nach unten führte und er es nicht riskieren wollte, dass ich mir den Hals brach.
Da ich nicht wusste, wie ich praktisch blind und ohne die Hilfe meiner Arme eine Treppe hinunter kommen sollte, tastete ich erst mit dem Fuß vorsichtig nach der ersten Stufe.
Doch ich konnte ihn nicht aufsetzen, denn dann wäre ich gezwungen ihn kurzzeitig zu belasten, was mir wieder höllische Schmerzen einbringen würde.
Hinter mir seufzte Malfoy genervt und versetzte mir nun doch einen Stoß. Ich taumelte nach vorne und um nicht zu fallen, musste ich nun doch mein rechts Bein belasten. Der stechende Schmerz ließ mich nun doch aufschreien, aber irgendwie schaffte ich es die Treppe hinunter, auch wenn ich die letzten Stufen hinunterfiel.
Hart prallte ich auf einem feuchten Steinboden auf und blieb erst mal reglos liegen.
Über mir vernahm ich, wie Malfoy die Tür ins Schloss drückte und sich seine Schritte dann entfernten.
Eine unheimlich Stille senkte sich herab und ich bekam unwillkürlich eine Gänsehaut.
Vorsichtig richtete ich mich in ein sitzende Position auf und robbte ein Stück nach hinten, zumindest in die Richtung, die ich für hinten hielt, bis ich etwas hartes in meinem Rücken spürte. Eine Wand.
Erschöpft ließ ich den Kopf nach hinten sinken und schloss die Augen.
In meinem Knie pochte ein dumpfer Schmerz und auch sonst taten mir sämtliche Knochen weh. Das alles wäre ja noch erträglich gewesen, wenn nicht plötzlich neben mir tapsende Schritte zu hören gewesen wären.
Kleine Krallen scharrten über den Steinboden und näherten sich mir. Dank der Augenbinde konnte ich nicht sehen, worum es sich handelte, doch ich konnte mir eine ziemlich klare Vorstellung davon machen, wer den Keller eines verfallenen Hauses bewohnte. Ratten, die wahrscheinlich einzigsten Tiere, die ich von ganzem Herzen verabscheute.
Ich spürte eine leichte Berührung an meinem rechten Bein und schrie entsetzt auf. Reflexartig zog ich die Beine an und trat aufs Geratewohl irgendwohin. Ein überraschtes Quicken sagte mir, dass ich wohl irgendetwas getroffen haben musste.
Tapsende Schritte entfernten sich rasch von mir und ich hoffte, dass sie nicht so schnell wiederkommen würden.
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Hätte mich jemand gefragt, ob es Tag oder Nacht war oder ob ich Tage oder Stunden schon hier saß, ich hätte es ihm nicht sagen können.
Seit Malfoy mich hier eingesperrt hatte, war niemand mehr gekommen. Ich fühlte mich elend und das lag nicht nur daran, dass ich noch nichts zu essen oder zu trinken bekommen hatte.
Mittlerweile hatte sich in mir die Gewissheit festgesetzt, dass ich meine Situation Voldemort zu verdanken hatte. Wer sonst würde mich auch entführen wollen?
Das Tuch über meinen Augen scheuerte, doch ich wagte es nicht zu versuchen, es abzustreifen. Würde ich meine Hände bewegen, würden sich die Stricke tiefer ins Fleisch schneiden.
Das Gefühl, meinen Entführern hilflos ausgeliefert zu sein, war erdrückend. All die schöne Zauberei nutzte in so einer Situation rein gar nichts. Ohne Hilfe würde ich hier niemals wieder entkommen können. Doch wer sollte mir schon helfen? Ich hatte niemandem erzählt, dass Malfoy mich aufsuchen wollte. Außerdem, wer sollte Malfoy mit meinem Verschwinden in Verbindung bringen?
Das Knarren der Tür störte mich in meinen düsteren Überlegungen. Ich hörte Schritte auf der Treppe und wurde sekundenspäter hochgerissen.
Durch das lange Sitzen waren meine Glieder ganz steif geworden und es dauerte eine Weile, bis ich aus eigener Kraft stehen und gehen konnte.
Ich wurde die Treppe hochgezerrt und irgendwohin gebracht. Dort nahm man mir die Fesseln ab und drückte mich auf einen Stuhl. Sofort schlangen sich wieder magische Stricke um meine Handgelenke und diesmal auch um meine Füße. Dann wurde mir die Augenbinde abgenommen.
Ich war im ersten Moment so geblendet, dass ich die Augen schließen musste. Nach einer Weile öffnete ich sie vorsichtig wieder, doch es dauerte etwas, bis sie sich wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten.
Ein dunkler Schatten schob sich in mein Blickfeld und beugte sich zu mir hinunter.
Kalte, schlangengleiche Augen musterten mich unter einer weiten schwarzen Kapuze hervor. Die Gestalt trat einen Schritt zurück und streifte mit einer schattenartigen Bewegung die Kapuze ab.
Das Gesicht, was darunter zum Vorschein kam, war grauenhaft. Gezeichnet vom Gebrauch zu viel schwarzer Magie.
Voldemorts Haut sah wächsern und ungesund aus, seine Hände waren dürr und von grauer, pergamentartiger Haut überzogen. Die Finger waren zu Klauen verformt und von ihm ging ein leicht säuerlicher Geruch aus.
„Ich muß sagen, Sie enttäuschen mich." Seine Stimme war leise und kratzig. „Ich hatte gedacht, dass Sie sich nicht so leicht überwältigen lassen. Vielleicht sind Sie ja doch nicht so gut, wie ich gedacht habe."
Ich wollte etwas erwidern, doch mehr als ein klägliches Krächzen brachte ich nicht hervor.
„Sie brauchen nichts sagen", meinte Voldemort gönnerisch. „Ich verlange lediglich eine Antwort auf meine nächste Frage und diese können Sie auch ohne Worte beantworten."
Er machte einen kaum merklichen Wink und eine weitere Person trat aus dem Schatten. Mir stockte der Atem, als ich erkannte wer es war. Doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
Voldemort verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen.
„Also, kommen wir zum wesentlichen. Ich bewundere Ihre Fähigkeiten in der Anwendung schwarzer Magie und ich muß gestehen, dass mir so jemand in meinen Reihen noch fehlt. Ich lasse Ihnen sogar die Wahl. Entweder Sie schließen sich mir an oder...", er legte eine bedeutungsschwere Pause ein. „... oder Sie werden sterben."
„Niemals", stieß ich hervor. „Und das können Sie ruhig auf beides beziehen."
Sein Grinsen erstarb und sein Blick verdüsterte sich.
„Falsche Antwort", zischte er und richtete seinen Zauberstab auf mich.
In Erwartung eines Fluches zuckte ich zusammen, doch sein Zauberstab beschrieb einen Kreis und zeigte nun auf...
„Severus, mein Lieber. Ich denke du hast noch etwas gut zu machen. Niemand verweigert meine Anweisungen. Auch du nicht!" Voldemorts Stimme war schneidend und kalt wie Eis. „Aber, da du einer meiner zuverlässigsten Anhänger warst, gebe ich dir noch eine letzte Chance... ich überlasse es dir, sie für ihre falsche Antwort zu bestrafen."
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht aufzuschreien. War das ein perverses Spielchen von Voldemort? Hatte er etwa herausgefunden, was zwischen mir und Severus war? Oder bestand doch die Möglichkeit, dass er etwas ganz anderes im Sinn hatte?
Was es auch war, es wäre besser, wenn ich mir nichts anmerken lassen würde. Severus schienen ähnliche Gedanken zu beschäftigen, denn als ich zu ihm sah, war sein Gesicht wie versteinert. Die einzige Gefühlsregung, die ich erkennen konnte war, dass er ein wenig blasser geworden war.
„Worauf wartest du?" zischte Voldemort ungeduldig.
Langsam zog Severus seinen Zauberstab, zögerte aber noch ihn zu heben, um ihn auf mich zu richten.
Dabei wäre es das sinnvollste, wenn er Voldemorts Anweisungen befolgen würde, so makaber das Ganze auch war.
Denn so gesehen hatte er die gleiche Wahl wie ich. Entweder das tun, was Voldemort verlangte oder sterben.
Plötzlich trat Malfoy hinter Severus und raunte ihm etwas zu, dann zog er sich unauffällig wieder zurück.
Daraufhin hob Severus seinen Zauberstab, wobei seine Hand ganz leicht zitterte.
In Erwartung des Cruciatus-Fluch schloss ich die Augen und betete, dass ich schnell das Bewusstsein verlieren würde.
Lange brauchte ich auch nicht zu warten.
„Crucio!"
Urplötzlich breiteten sich in meinem Körper höllische Schmerzen aus und ich schrie gepeinigt auf. Automatisch stemmte ich mich gegen meine Fesseln. Meine Handgelenke brannten, als sich die Stricke enger zusammenzogen. Dann wurde es endlich schwarz.
Leichte Schweißperlen hatten sich auf Snapes Stirn gebildet, als er den Fluch auf Cassie abfeuern musste.
Aber er hatte keine Wahl. Würde er sich abermals über die Anweisungen des dunklen Lords hinwegsetzen, würde dieser ihn wahrscheinlich auf der Stelle ins Jenseits befördern. Und damit war Cassie leider auch nicht geholfen.
Zuerst hatte Snape vermutet, dass der dunkle Lord von seiner Beziehung – Snape ließ sich das Wort in Gedanken auf der Zunge zergehen – erfahren hatte. Doch dem war nicht so, konnte man Malfoy Glauben schenken. Der Lord wollte ihm tatsächlich eine zweite Chance geben und Snape hatte auch schon eine düstere Vorahnung davon, wie diese Chance aussehen sollte.
Der dunkle Lord grunzte ärgerlich, als Cassie recht schnell das Bewusstsein verlor. Snape hingegen senkte erleichtert seinen Zauberstab.
„Schaff sie wieder in den Keller", wies der Lord Malfoy an. „Ich gebe ihr noch diese Nacht, damit sie es sich anders überlegen kann. Sollte sie morgen wieder die falsche Antwort geben, wirst du sie töten."
Die Schlangenaugen des Lords funkelten versessen, als er sich mit seinen letzten Worten an Snape wandte.
Dieser neigte leicht den Kopf, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Innerlich jedoch verfluchte er den Lord auf innigste. Jetzt blieb ihm also nur noch diese Nacht, um etwas zu unternehmen. Ihm musste schnell etwas einfallen.
Als ich stöhnend wieder zu mir kam, fand ich mich im Keller wieder. Mein Körper fühlte sich an, als wäre er durch einen Fleischwolf gedreht worden und mein Kopf drohte jeden Moment zu zerspringen.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich soweit gefangen hatte, dass ich mich bewegen konnte.
Überrascht stellte ich fest, dass Voldemort darauf verzichtet hatte, mich erneut fesseln zu lassen. Mühsam rappelte ich mich auf, schrie aber erschrocken auf, als sich mein Knie mit einem höllischen Schmerz bedankte. Humpelnd tastete ich mich zur Wand und ließ mich an ihr auf den Boden sinken.
Nun war es also soweit. Es war das eingetreten, vor dem ich mich solange hatte schützen können. Und ich sah keine Möglichkeit lebend aus dieser Situation herauszukommen, denn den Todessern wollte ich mich unter keinen Umständen anschließen. War man einmal dabei, konnte man nicht so schnell wieder aufhören. Selbst wenn man wollte, Voldemort würde immer Macht über einen haben.
Severus war das beste Beispiel. Ich glaubte ihm, dass er nicht mehr für Voldemort aktiv war und doch konnte er sich seinem Einfluss nicht ganz entziehen.
Doch wie sollte ich nun hier herauskommen ohne Zauberstab? Mit Severus Hilfe sollte ich vielleicht nicht unbedingt rechnen. Es konnte ja sein, dass Voldemort ihn beobachten ließ und ich wollte auch nicht, dass er sich in Lebensgefahr brachte.
Nein, ich musste einen Weg finden mich selbst zu befreien.
Wieder stemmte ich mich hoch und ignorierte diesmal den Schmerz in meinem Knie. Vorsichtig erkundete ich mein kleines Gefängnis, kam aber zu einem enttäuschenden Ergebnis. Die Wände und auch der Boden des Kellers waren aus Stein. Und an die Decke, die aus Holz war, reichte ich nicht ran.
Fenster gab es auch keine und durch die einzigste Tür traute ich mich nicht. Wenn ich sie öffnen würde, wäre das wahrscheinlich meine letzte Aktion hier auf Erden gewesen und das wollte ich nicht riskieren.
Seufzend setzte ich mich wieder auf den Boden und ließ den Kopf gegen die Wand sinken. Scheinbar gab es keine Möglichkeit meinem Schicksal zu entrinnen.
Über diesen trüben Gedanken schlief ich ein.
