Draco Malfoy und der Amethyst

Im tiefsten Kerker

McGonagall saß mit tippendem Fuß an ihrem Schreibtisch, und ich musste zugeben, etwas unbehaglich fühlte ich mich schon. Ich saß auf einem Stuhl vor ihr, neben mir Potter. Sie sah von mir zu ihm.

„Mr. Potter, ich hätte gedacht, dass Sie als Schulsprecher mehr Verantwortungsgefühl an den Tag legen würden! Dem ist wohl nicht so!"

„Malfoy hat mich doch angegriffen, als –"

„Es ist mir völlig egal, wer hier wen angegriffen hat! Sie hätten einfach nicht reagieren dürfen! Und Sie, Mr. Malfoy, was fällt Ihnen ein, Potter anzugreifen?"

„Ich dachte, es wäre Ihnen egal, wer hier wen –"

„Zwanzig Punkte Abzug für Gryffindor und Slytherin! Ich werde mir eine angemessene Strafe ausdenken, und glauben Sie mir, Sie werden nicht mit einem einfachen Pullover davonkommen!"

Ich atmete auf. Stricken wollte ich wirklich nicht mehr, um keinen Preis.

„Stattdessen werde ich dafür sorgen, dass Sie beiden sich endlich einander verstehen lernen! Gehen Sie nun, Sie werden sich schnurstracks in ihre Betten begeben, keinen Umweg über die Party und erst Recht keine Streiterei mehr, ist das klar?"

Ich blickte sie an und überlegte, ob ich es riskieren sollte, ihr eine Maulsperre zu verpassen. Wäre wohl so ziemlich das Dümmste, was ich tun könnte. Aber sie wollte, dass ich Potter verstand, was gab es da zu verstehen? Eher würde ich auf allen Vieren zu Pansy zurückkriechen, als mit diesem Typen ein Gespräch zu führen, das nicht auf Hass und Beleidigungen basierte.

„Ist das klar, Mr. Malfoy?"

„Ja, ja", murrte ich.

Sie schmiss uns regelrecht aus ihrem Büro. Die Tür knallte hinter uns zu. Sofort ging ich los, in Richtung der Kerker, ich hatte einen langen Weg vor mir.

„Malfoy!", rief Potter.

Ich verdrehte die Augen, dann drehte ich mich auf der Stelle um. Potter knallte gegen mich und hielt sich kurz an mir fest, um nicht umzufallen.

„Hast du nicht gehört, was deine Lieblingslehrerin gesagt hat? Kein Streit mehr! Also warum redest du mit mir?"

„Was soll das denn wieder bedeuten! Mit dir reden bedeutet gleichzeitig, mit dir zu streiten?"

„Wenn es sich um dich handelt, dann ja!"

„Es liegt wohl eher in deiner Natur, sich mit mir zu streiten! Denn ich wollte vorhin normal mit dir reden, schon vergessen?"

„Ich weiß nicht, wovon du redest."

Potter kniff die Augen zusammen und näherte sich mir.

„Du bist verbissen, Malfoy. Ich habe das Gefühl, dass du dich in deine Wut hineingesteigert hast, von Anfang an, und jetzt kannst du sie einfach nicht loslassen. Ist es wirklich so schwer?"

„Also willst du mir damit sagen, dass du mir alles, was ich dir angetan habe, verziehen hast? Die Beleidigungen deinen Freunden gegenüber eingeschlossen?"

Ich grinste, hatte ich ihn doch nun ertappt. Ohne eine Antwort wollte ich mich wegdrehen, aber er hielt meinen Umhang fest.

„Ja, wenn du bereit bist, dein Verhalten neu zu durchdenken."

„Das ist wirklich Pech, Potter, denn ich sehe nichts falsches darin. Würdest du nun den Umhang loslassen, er war teurer als das gesamte Haus deines Freundes plus Mobiliar."

Potter wurde leicht rot, so leicht war er aus der Reserve zu locken.

„Dann eben nicht, Malfoy! Weiß Gott, ich habe es versucht!"

Er ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Ich grinste ihm hinterher, doch nie war es mir schwerer gefallen, mein Grinsen aufrecht zu erhalten. In mir drin zerbrach etwas, fast schon wollten Tränen aufsteigen. Mit Müh und Not drängte ich sie zurück, schüttelte den Kopf und ging dennoch schlecht gelaunt zum Slytherin- Gemeinschaftsraum.

Ich ging sofort zum Schlafraum, der glücklicherweise leer war, alle waren noch auf der Party. Warum war Potter plötzlich so nett zu mir? Ich hatte ihm keinen Grund dafür gegeben. Und wenn ich daran dachte, wie er mich beim Tanzen in den Armen gehalten hatte... Halt, halt, das lief ja fast daraus hinaus, dass ich ihn ein bisschen mochte. Tat ich aber nicht, egal, wie warm und beschützend seine Arme waren!

Ich erwachte am nächsten Morgen in den Klamotten vom Abend. Ich konnte mich noch nicht einmal daran erinnern, eingeschlafen zu sein. Mein erster Gedanke galt Potter, der mich in den Schlamassel reingezogen hatte. Ich hatte sogar von ihm geträumt, war das zu glauben! Ich schwor Rache, dann stand ich stöhnend auf.

Der Samstag verlief schleppend. Ich bekam im Laufe des Vormittags eine Eule, in der stand, dass ich mich abends in der Eingangshalle einfinden sollte. Gregs und Vince' Mägen knurrten die ganze Zeit und ich fragte mich, wie lange sie es wohl durchhielten, nur wenig zu essen. Blaise verbrachte den Tag mit uns, oh Wunder, nachdem er behauptet hatte, wir hätten ein Recht auf seine Anwesenheit. Theo saß mit seinem Zaubertränke für Fortgeschrittene auf seinem Schoß in dem Sessel mir gegenüber. Er sprach nicht, aber ich konnte sehen, dass er auch nicht las.

Die Ecke, in der wir saßen, war perfekt. Wir konnten alle sehen, die durch den Gemeinschaftsraum liefen, waren selber aber leicht zu übersehen.

„Vielleicht sollte ich heute Abend krank spielen", sagte ich, den Brief von McGonagall gefaltet in meiner Hand. Blaise blickte von seinem Tagebuch auf.

„Was nützt dir das, sie wird darauf keine Rücksicht nehmen. So wütend, wie sie war. Aber Draco, jetzt mal ehrlich, warum versuchst du nicht wenigstens, Potter aus dem Weg zu gehen? Wenn du ihn doch nicht magst!"

Ich schnaubte. „Das verstehst du nicht."

„Da hast du Recht, ich versteh es nicht. Erklär es mir!"

Er blickte mich herausfordernd an, und ich konnte ihm nur einen Todesblick senden. Er blieb unbeeindruckt, zumindest tat er so. Blaise zog die Brauen hoch.

„Also?"

„Da gibt es nichts zu erklären. Er legt es darauf an, er ist derjenige, der an allem Schuld ist."

„Oh, weil er aus der Halle rennen wollte? Weil er eine Freundin hat?"

Ich knurrte und zerknüllte den Zettel in meiner Hand. Vince stand auf. „Ich geh mal zu Barbie und Raven", meinte er leicht gequält.

Ich blickte ihn nur kurz an und fuhr dann damit fort, den Zettel in kleine Stücke zu reißen.

„Draco, was wird das?"

Das größte zerknüllte Stück warf ich Blaise an den Kopf. Dann beschloss ich, mich Theo zu widmen und rief ihn. Er schaute mich verträumt an.

„Hm?"

„Was ist, warum bist du so abwesend?"

„Ich versuche, zu lernen. Ich will doch ein O in Zaubertränke bekommen."

„Ist Barbie mit diesem Raven zusammen?", fragte Greg. Ich blickte ihn böse an.

„Jetzt lenk hier nicht ab. Aber nein, Barbie und Raven sind die einzigen beiden Mitglieder von Vince' Club."

„Oh."

„Ja genau, oh."

„Draco weiß über alles genau Bescheid", sagte Blaise. „Nur über sich selbst nicht."

„Was willst du damit sagen?", fragte ich in meinem ruhigen Ton, der besagte, dass ich kurz vor einem Wutausbruch stand. Blaise kannte ihn genau. Er zuckte mit den Schultern.

„Och, nichts. Mir kam nur so die Idee, dass du vielleicht – überreagierst, was Potter betrifft."

„Was hat das schon wieder mit Potter zu tun? Könnt ihr mich nicht ein Mal mit diesem Typen verschonen?"

Blaise grinste. Ich hasste ihn dafür. „Oh, aber Draco, wer erwähnt ihn denn dauernd, wir, oder doch eher du?"

„Du natürlich", sagte ich. „Und dann hast du dich auch noch überflüssigerweise mit ihm angefreundet."

Blaise' Grinsen wurde noch breiter. „Eifersüchtig?"

„Zabini!"

Blaise hob die Hände. „Ich meine ja nur. Sei doch mal so zu ihm, wie du zu... hm... äh... Wie du zu Theo bist, ihn schikanierst du am wenigsten."

„Er ist ja auch am erträglichsten."

Ich blickte zu Theo, er bekam wieder nichts mit. Oder er tat so.

„Aber Potter hat dir nichts getan! Zumindest in letzter Zeit nicht! Und jetzt fang nicht wieder von eurer ersten Fahrt nach Hogwarts an! Weißt du, wie lange das schon her ist! Und gestern, beim Tanzen, was hat er da gesagt?"

Mir klappte der Mund auf, aber ich wusste keine passende Entgegnung. „Ähm, weiß nicht mehr", sagte ich, und das entsprach der Wahrheit. Ich erinnerte mich nur noch an seinen Arme. Seine Hand auf meiner Hüfte. Seine Hand in meiner, als er sie zerquetscht hatte, weil Theo mit seiner –

„Er hat sich darüber beschwert, dass Theo ihm die Freundin geklaut hat", fiel mir gerade ein.

Theo blickte ruckartig auf und von mir zu Blaise. „Was? Meint ihr Elaine?"

„Hm", machte Blaise. „Und sonst noch was?"

Ich überlegte. Was interessierte Blaise das überhaupt? Na, egal. Potter hat noch was gequatscht von wegen – „Dass wir keine Freunde sind, hat er gesagt."

„Hat er gesagt, ob er ihn sie verliebt ist?", fragte Theo, plötzlich sehr aufmerksam.

„Was weiß ich, ich habe ihn nicht gefragt!"

„Kannst du das heute Abend machen?" Theo blickte mich mit großen Augen an.

„Nott, wenn du was von ihr willst, schmink dir das ab. Sie ist eine Gryffindor. Und wenn sie es nicht wäre, dann müsstest du jawohl keine Rücksicht auf Potters Gefühle nehmen."

„Draco, da die Schule noch dieses Jahr enden wird, denke ich, ist das Gryffindor-Thema erledigt", sagte Blaise.

Was meinte er mit erledigt? Im Sinne von aufgehoben? Vergessen?

„Wieso?"

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich seinem Tagebuch zu. Greg stöhnte und rieb sich den Magen. „Ich mache jetzt einen Ausflug in die Küche. Will jemand mitkommen?"

„Ich habe keinen Appetit", sagte ich.

„Ich auch nicht", sagte Theo. Blaise sah auf und grinste uns an.

„Ach, bring mir einfach ein paar Siruptörtchen mit, okay?", sagte er zu Greg.

Greg nickte und ging raus.

„Wisst ihr, als das mit Alice und mir angefangen hat, da hatte ich auch nie Appetit", sagte Blaise.

Theo zwang sich zu einem Lachen, aber ich schaute Blaise verwundert an.

„Das ist schön für dich."

Er nickte mir nur zustimmend zu.

Keine drei Minuten später schmiss sich Pansy in Gregs nun verlassenen Sessel und stöhnte.

„Ich halts nicht mehr aus, Leute."

Ich blickte sie gelangweilt an. Nur Blaise bewies wieder sein außergewöhnliches Interesse in seine Umwelt. Er richtete sich in seinem Sessel auf und ich sah förmlich, wie er die kleinen Zabini-Ohren spitzte.

„Geht es um das Geheimnis?"

Pansy nickte. Ich schaute sie immer noch gelangweilt an. Was konnte sie schon für ein großartiges Geheimnis haben? Wahrscheinlich, dass sie doch auf Greg stand. Oder dass ihre Locken nicht mehr die Spannkraft von früher hatten, woraufhin sie natürlich meinte, so eine Muggelerfindung namens... Lockenmacher? haben zu müssen (kein Scherz, dieses Problem hatte sie in der dritten Klasse).

„Teilst du es uns mit?", fragte Blaise weiter.

Pansy nickte. „Es ist nicht so toll, wie du denkst, Blaise. Ich habe mit ein paar Freundinnen in den Sommerferien einen Club gegründet –"

„Du hast keinen Club gegründet!", rief ich aus. Sie blickte mich vorwurfsvoll an.

„Doch, habe ich, Draco. Einen, der sich um Kosmetik und Jungs dreht, da habt ihrs. Der Clou bei der Sache war, dass auch Mädchen aus anderen Häusern mitgemacht haben und –"

„Du hast keinen häuserübergreifenden Club gegründet!"

„Draco! Lass mich doch ausreden! Mit der Zeit und vor allem im Laufe des Schuljahres sind immer mehr Mädchen zugestoßen. Jetzt will ich es nicht mehr geheim halten, es ist zu anstrengend. Geheime Treffen mit fünfzig Mädels zu veranstalten, ist sehr schwer."

„Das wette ich", grinste Blaise.

„Du meinst, du machst gemeinsame Sache mit Hufflepuffs oder Gryffindors?", fragte ich ungläubig.

Gerade Pansy hatte sich so oft mit mir über die anderen Häuser amüsiert. Was war nur aus den alten Zeiten geworden?

Pansy nickte und schaute dabei interessiert auf ihre Nägel.

„Ist Elaine Buggerfield auch dabei?", fragte Theo, der mir langsam auf den Keks ging mit seinem Elaine-Gelaber. Fing das schon wieder an!

Und wieder: Pansy nickte. Theo keuchte überrascht oder erfreut auf.

„Habt ihr da Zauber einstudiert, wie ihr euch den Jungen, den ihr wollt, einfangen könnt? Oder wie hat sie es geschafft, Potter zu kriegen?", fragte ich.

Blaise presste sich auf einmal die Hand vor den Mund, während Pansy mich wieder blöd ansah.

„Natürlich nicht. Sie ist eben hübsch, aber was erzähle ich dir das, du hast eh keinen Geschmack, was Mädchen betrifft."

„Da hast du wohl Recht, immerhin war ich sechs Jahre mit dir zusammen."

Pansy riss die Augen auf. Dann stand sie auf. „Du tust ja gerade so, als würdest du jede Sekunde bereuen."

Und damit ging sie hoch in ihren Schlafraum.

Ich wendete meinen Blick zu Blaise. Da er dabei war, irgendwas zu unterdrücken, es sah aus wie ein Hustenanfall, blickte ich weiter zu Theo.

„Sie hat Recht", meinte er. „Du übertreibst."

„Woher wollt denn ihr das wissen?"

Theo zuckte mit den Schultern. Blaise wedelte mit seiner Hand durch die Luft.

„Ich weiß, ich weiß! Du, Draco Malfoy, hast sie schon immer gehasst und nur benutzt."

Ich nickte.

„Das hast du zumindest erzählt. Aber tief in deinem Innern musstest du sie zumindest als Freundin angesehen haben. Sechs Jahre sind nicht nichts."

„Zabini!"

„Oder warst du jemals in diesen sechs Jahren an einem anderen Menschen sexuell interessiert?"

Ich atmete tief ein. Blaise wusste ganz genau, dass er keine Antwort auf diese Frage erwarten konnte, warum stellte er sie überhaupt?

„Was heißt hier an einem anderen Menschen – ich war es nicht einmal an ihr. Reicht dir das?"

Ich stand auf und wendete ihnen würdevoll meinen Rücken zu.

„Draco, renn doch nicht immer weg, wenn das Gespräch persönlicher wird!", sagte Blaise.

Dachte er, damit konnte er mich aufhalten?

„Tut mir ja ehrlich leid, Blaise, aber ich muss jetzt zu einer Strafarbeit!", sagte ich, ohne es ehrlich zu meinen, und schritt aus dem Kerker hinaus.

Den Rest der Zeit bis zu der Strafarbeit lief ich ziellos im Schloss umher, wurde dabei irgendwie immer nervöser. Ich versuchte, mich zu beruhigen, mir einzureden, dass McGonagall uns schon nichts fieses auftragen würde, aber es gelang mir nicht. Ich fragte mich auch, ob sich vielleicht, möglicherweise, wieder die Gelegenheit ergeben würde, Potter ein bisschen näher zu kommen. War schon angenehm gewesen. Ja...

Plötzlich knallte ich gegen jemanden, und als ich erkannte, wer es war, stieg urplötzlich Hitze in mein Gesicht auf.

„Idiot, was läufst du hier rum, ohne auf den Weg zu achten!", rief ich aus.

Potter lief knallrot an. „Du bist doch derjenige, der hier orientierungslos rumläuft!"

Ich starrte ihn an, und er starrte zurück. Dann ballte er die Fäuste.

„Auf dem Weg nach unten?", knurrte er, als unterdrückte er seine Wut. Ich nickte.

„Dann komm mit."

Er ging an mir vorbei. Ich stand nur eine Sekunde lang verwirrt herum, dann drehte ich mich ebenfalls um und holte ihn ein.

„Potter, wenn du denkst, du – "

„Malfoy, halt deine Klappe. Ich weiß, du denkst, du bist der Beste und hast das Recht, dich großspurig und arrogant zu verhalten. Mach das. Mir doch egal. Ich will nur diese Strafarbeit so schnell und angenehm wie möglich hinter mich bringen, okay?"

„Bist du in Elaine verliebt?"

Er blieb auf der Stelle stehen. Ich hielt auch an. „Was ist?"

„Ich dachte, du willst mit mir nicht über diese Dinge reden?"

Ich überlegte eine passende Antwort. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass Theo das wissen wollte.

„Oder hatte Elaine Recht? Was sie da von Nott gehört hat... stimmt das? Du hast dich bis jetzt sehr gegenteilig verhalten", sagte er.

„Äh, ich weiß nicht, wovon du redest!"

Potter schaute mich misstrauisch an und setzte sich in Bewegung. Ich ging neben ihm her.

„Potter, jetzt mal ehrlich, warum sollte ich unsere schöne Feindschaft zerstören wollen?"

„Also weißt du doch, wovon ich rede!"

Ich guckte die Portraits an den Wänden an. Alles, nur nicht seinem Blick begegnen. „Na und?"

„Malfoy – ich werde aus dir einfach nicht schlau. Bin mal gespannt, was McGonagall uns auftragen wird, damit wir uns besser verstehen."

„Das ist völlig egal, weil ich dich nie im Leben verstehen werde", sagte ich.

Potter lachte auf.

Warum lachte er darüber? Wir gingen schweigend eine Treppe hinunter und auf die Eingangshalle zu, wo Filch stand und uns verwirrt anblickte. Dann kroch ein blödes Grinsen in sein Gesicht.

„Schön, schön, schön. Dann kann es ja losgehen, ich freu mich schon auf eure Gesichter. Von mir aus könnt ihr euch jede Woche prügeln, wenn dabei solch schöne Strafen entstehen."

Auweia. Filch fand eine Strafe annehmbar? Was war es! Durfte er uns auspeitschen, bis wir schworen, die besten Freunde zu werden? Da konnte er aber lange peitschen. Vor allem Potter, he he.

„Kommt", krächzte er. Potter und ich warfen uns einen verängstigten Blick zu und setzten uns dann in Bewegung. Er ging in den Kerker, so weit, so gut. Aber als er in die hinteren Gänge, in denen noch nicht einmal ich gewesen war, einbog, wurde mir mulmig zumute.

„Zauberstäbe her", knurrte Filch, als er vor einer Tür stehen blieb.

„Warum?", fragte ich. Potter gab ihm seinen gutgläubig.

„Du tust, was ich dir sage, Freundchen, sonst setzt es was!"

Ich blickte Potter an, der mir zunickte. Zähneknirschend gab ich nach. Dann holte Filch einen riesigen Schlüsselbund heraus und probierte ein paar Schlüssel in der Tür aus, bis er einen umdrehen konnte. Die Tür ging quietschend nach innen auf. Er zeigte in die Schwärze, die dahinter lag.

„Nach Ihnen", sagte ich.

„Unsinn. Geh hinein, sonst –"

„Ja, ja", unterbrach Potter ihn, quetschte sich an mir vorbei und ging in den dunklen Raum. Filch schickte sich an, mich hineinzubefördern, aber bevor er dazu kommen konnte, ging ich selber.

Der Lichtschein, der von der offenen Tür kam, verschwand mit einem Male. Ich hämmerte gegen die Tür.

„Sie kranker alter Mann, Sie können uns hier doch nicht einsperren!", rief ich.

Ich hörte Filch lachen, und dann nur noch, wie seine Schritte sich entfernten. Ich blickte mich panisch um, aber ich konnte nichts sehen.

„Potter?"

Ein Rascheln ertönte. „Wenn ich nur meinen Zauberstab hätte", flüsterte Potter.

Ich runzelte die Stirn. „Der Sinn hierbei ist wohl, dass du keinen hast."

„Wo bist du?"

„Hier natürlich. Leider. Was sollen wir jetzt machen?"

Keine Antwort kam.

„Potter?"

„Woher soll ich das wissen? Wir müssen wohl warten, bis sie uns rauslassen."

„Darauf habe ich aber keine Lust."

„Oh, worauf hat der Herr denn Lust? Darauf, die Tür mit Gewalt zu öffnen? Oder vielleicht darauf, die Wand einzureißen?"

Ich schüttelte den Kopf. Sehen konnte er das nicht, genauso wenig, wie ich ihn sehen konnte.

Plötzlich berührte mich etwas an der Schulter und ich zuckte zusammen.

„Beruhige dich, du Angsthase! Ich wollte nur wissen, wo du bist."

Ich schnaubte. „Potter, ich steh draußen vor der Tür und rede von dort aus mit dir. Hab ja auch nichts besseres zu tun."

„Witzig. Bist du jetzt fertig mit den blöden Kommentaren?"

„Nein. Bin ich bei dir nie."

Ich massierte mir die Schläfen. Es machte mich fertig, dass ich nichts sehen konnte. Es machte mich vor allem fertig, mit Potter eingesperrt zu sein. Ich hörte mein Blut überdeutlich in meinen Ohren rauschen. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Wenn Potter mich berührt hatte, müsste er doch gar nicht so weit weg stehen...?

Langsam streckte ich meine linke Hand aus, bis sie auf etwas weiches stieß. Ich piekste hinein und hörte ein Aufkeuchen. Bingo! Wie gerne würde ich das noch einmal hören...

„Lass das, Malfoy", sagte Potter.

„Ich wollte nur wissen, wo du bist", grinste ich.

„Zufrieden?"

„Nein, ich wünschte, du wärst ein bisschen weiter weg."

Kaum waren diese Wörter über meine Lippen, wusste ich, dass ich genau das Gegenteil wollte. Aber was war das Gegenteil, wollte ich etwa mit ihm kuscheln? Warum? Wegen dieser Dunkelheit, die überall war und mich zu verschlingen drohte? Nein, das war es nicht... Seltsamerweise hatte ich nur ein beklemmendes Gefühl, dass auf jeden Fall mit Potter zu tun hatte, aber keine Angst.

„Denkst du, das ist alles, oder es kommt noch mehr?", fragte ich.

„Was soll denn noch kommen?"

„Weiß ich doch nicht, Potter!" Meine gerade noch gute Laune war nun, genauso wie wir beiden im Moment, im Keller.

„Ich glaube ja, sie will, dass wir miteinander reden, und das fehlende Licht sorgt dafür, dass wir uns nicht prügeln können."

„Wer sagt denn, das man sich im Dunklen nicht prügeln kann, wie idiotisch, Potter!"

Ich seufzte. Gefangen mit dem größten Idioten dieser Schule. Womit hatte ich das verdient? Wo war Blaise, der mich bestimmt retten würde? Obwohl, ich sah sein grinsendes Gesicht schon vor mir: „Na, Draco, nutz die Situation doch zu deinem Vorteil, so wie immer."

Er hatte ja Recht, das sollte ich tun. Nur wie? Hier gab es nichts zu nutzen. Nur Potter, und der war zu nichts zu gebrauchen. Außer dazu, mich in seine Arme zu nehmen, natürlich.

„Du hast Recht, wow", sagte Potter, und ich spürte einen Stich in meinem Arm. Ich schlug blind umher, traf ihn aber nicht. Es erklang nur ein kehliges Lachen, von dem mir ein Schauer über den Rücken hinunterlief.

Kurz darauf, als ich mir schon sicher war, ein paar Stunden in Dunkelheit und Schweigen würden sicher schnell umgehen, sagte Potter plötzlich: „Also, dann fang mal an."

„Womit?"

„Reden, Malfoy, dafür sind wir hier."

„Na und? Seit wann höre ich auf die McGonagall?"

Potter stöhnte. „Ich dachte, wir sind uns einig."

Ich lachte auf. Das wäre ja noch schöner gewesen! War er etwa auch mit mir einig, dass ich ihn an mich reißen und in seine Arme schmeißen wollte? „Wohl kaum."

„Bitte, und wieder tust du nichts, um mir entgegen zu kommen!"

Ich ließ meine Augen in der Dunkelheit umherwandern. Es war wirklich stockduster und ich erwartete nicht, irgendwann etwas erkennen zu können. Wir befanden uns schließlich im tiefsten Kerker Hogwarts. Ich lehnte mich immer noch gegen die Tür und fragte mich, wo Potter wohl war. Seiner Stimme nach zu urteilen links, nicht sehr weit weg.

„Dafür bin ich bekannt", sagte ich, um das Gespräch in Gang zu halten. Die Vorstellung, hier drinnen nicht zu reden, wurde immer unerträglicher.

„Ich dachte nur, du siehst langsam ein, wie lächerlich und veraltet unsere Feindschaft ist. Es ist eine Gewohnheit aus unserer Kindheit, und die liegt doch schon lange hinter uns, meinst du nicht auch?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Was erwartest du, ich kann nicht so tun, als wäre die Vergangenheit nie geschehen."

„Ja... Dann ist es wohl unser Schicksal, nicht wahr?"

„Ich glaub nicht an Schicksal, Potter."

„Daran muss man ja auch nicht glauben. Es ist einfach da. Schicksal ist das, was geschieht."

„Du musst es ja wissen, du Wunderjunge."

Potter atmete stark aus, sein Atem streifte meinen Arm. Er machte mich verrückt damit. Ich verspürte das heftige Verlangen, ihn noch einmal zu berühren. Einfach nur spüren, dass er da war...

„Malfoy", zischte er.

Ich tastete nach ihm. Meine Hand landete auf seinem Oberarm, und ich fuhr hinauf bis zu seiner Schulter, wobei ich mich ihm zuwandte. Fühlte sich richtig gut an. Ich stand nun vor ihm.

„Was hast du vor?", fragte er.

„Ich verbessere unser Verhältnis, Potter", hörte ich mich sagen.

Mit der rechten Hand tastete ich nach seiner Wange und strich mit dem Daumen darüber.

„Ach ja? Warum betatschst du mich dann?"

„Da ich dich nicht sehen kann, nutze ich die Gelegenheit, dich neu kennen zu lernen. Sonst immer renne ich schon vor deiner hässlichen Visage davon."

„Interessant, Malfoy. Aber wenn ich sagte, Feindschaft überwinden, dann meinte ich nicht auf diese Art."

Er stieß mich zurück. Ich spürte wieder den altbekannten Hass aufsteigen. Wie hatte ich jemals nicht zornerfüllt an Potter denken können? Nur, weil er plötzlich einen auf Kumpel machte? Ich hätte wissen müssen, dass er es ja doch nicht ernst meinte.

„In deinem Kopf ist echt was kaputt, Potter. Liegt wohl daran, dass deine Eltern lieber gestorben sind, als sich um dich zu kümmern. Aber das war wohl, wie du es so schön ausdrückst, Schicksal."

Ich ging dorthin, wo ich die Tür, die ich blöderweise verlassen hatte, vermutete und pflanzte mich da hin. Er antwortete nicht. Er tat überhaupt nichts. Wunderte mich schon, denn wenn ich etwas über seine toten Eltern abgelassen hatte, war er immer sofort auf hundertachtzig gewesen. Sollte mich nicht stören.

Obwohl das Schweigen nach einiger Zeit schon bedrückend wurde. Ich fragte mich, wie lange wir schon hier waren, und natürlich, wie lange wir noch ausharren mussten.

Es kam mir vor, als wären Stunden vergangen, da öffnete sich die Tür wieder. Weder Potter noch ich hatten den Versuch gewagt, ein neues Gespräch zu starten. Ich sprang auf und war beinahe froh, Filchs altes Gesicht zu erblicken. Potter kam hinter mir aus dem Raum, schaute mich befremdlich an und wandte sich an Filch.

„Bringen Sie mich so schnell wie möglich nach oben."

„War es angenehm in dem kalten Keller?", kicherte Filch.

„Nein", sagte Potter.

Ich hielt mich zurück, wollte nur noch in mein Bett. Sobald wir in die Gänge kamen, in denen ich mich auskannte, verließ ich die beiden und ging zum Slytherin- Raum.

Was für ein Reinfall! Nur mein Stolz hielt mich davon ab, nicht in Tränen auszubrechen. Und wieder wegen diesem Potter! Womit hatte ich das verdient? Er hatte mich angeschaut, als wäre ich der letzte Dreck. Nicht wütend oder verletzt, sondern angeekelt! Was bildete er sich ein, als sähe er besser aus als ich! Oder lag es daran... hatte er vielleicht gedacht, dass ich ihn küssen wollte? Widerling!

Aber wenn ich es recht bedenke, war ich wirklich kurz davor gewesen. Was war bloß los mit mir? War ich etwa... wie hatte Theo es genannt, oder Pansy, oder Blaise..? Verdammt, sie konnten doch nicht Recht haben? Ich, verliebt in einen Jungen? Etwa noch in Potter?

Der Gedanke, so abwegig er auch war, ließ mich nicht mehr los. Ich ging alle möglichen früheren Begegnungen von uns durch. Ich spielte sogar Szenen ab, wie sie nie passiert waren. Zum ersten Mal überlegte ich, wie lange wir uns schon kannten. Immer waren wir dem anderen ein Dorn im Auge gewesen, aber immerhin waren wir ständig anwesend im Leben des anderen. Es war immer selbstverständlich gewesen, dass wir aufeinander ansprangen, wenn wir uns trafen. Meine Position im Quidditch- Team hatte ich nur, weil ich bei meinem Vater darauf gepocht hatte, dass ich Potter schlagen musste. Hätte ich mich sonst so brennend für Quidditch interessiert? Es machte halt Spaß, einen Feind zu haben, na und? Muss man sich deswegen gleich in ihn verlieben? Pah.

An diesem Abend konnte ich lange nicht einschlafen. Und unter all diesen Gedanken, mit denen ich herausfinden wollte, ob ich in ihn verliebt war oder nicht, war dieses bohrende und mehr als alles andere schmerzende Gefühl: er fand den Gedanken, mich zu küssen, ekelhaft.


A/N: Sorry, ich glaube, diesmal hats etwas länger gedauert... Danke an meine Reviewer und vor allem an meine Betaleserin, LittleWhisper! Du hast mich auf wichtige Sachen aufmerksam gemacht! Jetzt würde mich aber mal die Meinung meiner anderen Leser interessieren, findet ihr Draco hier unsympathisch? Ich meine, noch unsympathischer als sonst?