Draco Malfoy und der Amethyst
Ferienbeginn
Als ich wieder zu mir kam, drehte sich in meinem Kopf alles. Aber nicht lange. Ich blinzelte und registrierte, dass jemand meinen Namen rief.
„Malfoy, wach jetzt endlich auf! Denkst du, es macht mir Spaß, auf dem kalten Boden zu hocken und mich zu verkühlen?"
Ich öffnete die Augen. Diese Stimme kannte ich. Zu gut.
„Niemand zwingt dich, nicht wahr, Potter?", antwortete ich. Unter Ächzen setzte ich mich auf. Dann schaute ich ihn an, bis jetzt hatte ich es vermieden. Mit gerunzelter Stirn blickte er zurück.
„Was machst du überhaupt hier?", fragte ich weiter. Er verschränkte die Arme.
„Ich habe dich gerettet, und das ist der Dank. Typisch Malfoy."
„Gerettet?"
Eine Flutwelle der Erinnerungen stürmte auf mein Hirn ein. Dieser Angreifer, dann diese Schwärze. Automatisch griff ich in meine Hosentasche. Puh, ein Glück, kurz darauf hielt ich den Amethysten in meiner Hand. Ich sah Potter an.
„Er war hinter meinem Stein her."
„Wer war das überhaupt, Malfoy?"
Ich zuckte mit den Schultern. Verdammt, wenn ich das wüsste! Ich verstand auch nicht, warum mir jemand den Stein stehlen wollte. Und woher er wusste, dass ich im Besitz dessen war. Fragen über Fragen.
„Also, wenn du hier weiter rumsitzen möchtest, dann tu das. Ich gehe zum Turm." Potter erhob sich. Ich auch, konnte ja nicht angehen, dass ich vor ihm auf dem Boden hockte.
„Warte mal! Wo ist der Angreifer denn jetzt?", fragte ich. Diesmal zuckte er mit den Schultern.
„Ich habe ihm Flüche auf den Hals gehetzt. Irgendwie sind sie wohl daneben gegangen, aber er ist weggerannt."
„Toll, Potter, ganz toll...", murmelte ich. Hey, immerhin wurde ich nicht ausfallend gemein. Innerlich triumphierte ich natürlich, dass ich nun doch mit ihm reden durfte. Die Tatsache musste ich doch ausnutzen. Auch wenn ich mich erneut fragte, wer meinen Stein wollte. Meinen Stein!
„Malfoy", knirschte er zwischen seinen Zähnen hindurch. Ich sah ihn überrascht an.
„Ja?"
„Ohne mich wärst du deinen tollen Amethysten jetzt los. Ich finde, ich habe ein Recht, zu erfahren, was es damit auf sich hat. Es geht schließlich um die Sicherheit aller Schüler, wenn so ein Bösewicht hier rumschleicht."
Natürlich, Potter war um die Sicherheit aller besorgt. Hauptsache nicht um meine. Wo kämen wir denn da hin.
„Nein, Potter. Tut mir wirklich leid, aber das ist reine Privatsache."
Er knirschte schon wieder mit den Zähnen. „Bei dir klingt selbst eine Entschuldigung abweisend."
„Warum warst du überhaupt noch unterwegs?", wollte ich wissen.
„Das ist reine Privatsache", zischte Potter, drehte sich um und verschwand nach ein paar Schritten in der Dunkelheit. Mit offenem Mund stand ich da, aber nur kurz. Dann setzte ich ihm nach. Aber nicht, weil ich Angst hatte, alleine auf einem verlassenen Gang voller Schatten zu bleiben. Sondern weil ich bei Harry sein wollte. Na gut, vielleicht war mir der verlassene Gang voller Schatten doch ein bisschen suspekt.
„Renn nicht weg! Ich bin noch nicht fertig mit dir", sagte ich dabei. Er schwieg mich an. Es war schwer, seinen Schritt zu halten, dabei zu reden und ihn anzusehen, ohne gegen Hindernisse zu laufen. Aber ich meisterte es.
„Wie ich gehört habe, ist zwischen dir und Elaine Schluss, hm? Wie kommt's? Hat sie gemerkt, wie – "
„Klappe, Malfoy! Soweit ich mich zurückerinnern kann, hast du mir versprochen, mich in Ruhe zu lassen."
„Wer hat denn wieder angefangen? Denkst du, ich lasse alles ungerächt auf mir sitzen?"
Potter blieb stehen, um mich zu mustern.
„Was?", fragte ich. Er schüttelte den Kopf und lief weiter. Ich natürlich hinterher. Aber ich sagte nichts mehr. Schließlich gelangten wir zu einer Treppe, die ich hinabsteigen musste. Er begann den Aufstieg. Warum trug er eigentlich keinen Tarnumhang, fiel mir gerade auf? Und warum ließ er mich jetzt alleine?
„Potter!"
„Was denn, Malfoy?" War sein Ton etwa genervt? Nein, nein, konnte nicht sein. Reine Einbildung.
Ich verschränkte die Arme. „Ich muss die Treppe aber runter."
„Tu dir keinen Zwang an."
„Kannst du mir deinen Umhang leihen, du benutzt ihn ja nicht."
„Das wird schon einen Grund haben, nicht wahr, Malfoy? Ich habe ihn nämlich nicht mit."
„Oh", machte ich. Muss dabei ein wenig merkwürdig ausgesehen haben, denn er grinste.
„Ja, genau. Du musst also leise sein. Warum warst du eigentlich so spät noch unterwegs?"
Ich ließ meine Arme wieder runterhängen.
„Tja, Potter, das wüsstest du wohl gerne." Weil ich gedacht, nein, gehofft hatte, du wolltest mich im Pokalzimmer sprechen. Aber stattdessen musste ja dieser bescheuerte Raven ankommen.
„Mehr als alles andere, Malfoy." Er grinste immer noch, langsam wurde mir unbehaglich zumute. Wenn Potter so grinste, dann hatte er doch eigene Gedanken. Oder er wusste etwas. Oder er wollte mich einfach nur aus dem Konzept bringen. Warte mal, seit wann gelang ihm das eigentlich? Ach ja, schon immer.
Aber das ging auch umgekehrt. Ich lief die zwei Stufen, die er schon gelaufen war, hinauf und war mit ihm auf gleicher Höhe. Ich beugte mich vor und wisperte in sein Ohr.
„Du wirst es nie herausfinden, Harry." Dann lehnte ich mich zurück. Diesmal war ich derjenige, der ihn angrinste, während er äußerst perplex seine Stirn in Falten legte. Immer noch grinsend ging ich die Treppe hinab.
Dies hier war die beste Nacht, die ich seit langem gehabt hatte. Und das, obwohl ich angegriffen worden war.
Zum Glück begegnete ich niemandem auf dem Rückweg zum Kerker. Weder dem Angreifer (weil ich mit gezücktem Zauberstab lief, ich schüchterte meinen Gegner ein), noch Mrs. Norris oder Filch.
Blaise und Theo waren noch wach. Meine Uhr sagte mir, dass wir erst zwanzig vor Zehn hatten. So lange konnte ich also nicht bewusstlos gewesen sein.
„Und, Draco?"
„War es Potter, Draco?"
„Zabini, ich bring dich um. Man erzählt Geheimnisse nicht einfach so weiter", murrte ich. Mein Bett kam zu der Ehre, mich tragen zu dürfen.
„Och, Theo meinte, es würde dir nichts ausmachen, weil du auch ein Geheimnis von ihm kennst", grinste ein wohl allwissender Blaise. Ich tötete ihn mit Blicken. Und danach zur Sicherheit auch noch Theo.
„Nein, ihr Schlauköpfe, es war Raven. Er wollte mich vergewaltigen, und unter größtem Mut- und Kraftaufwand konnte ich mich befreien. Ach, dann wurde ich noch von einem mysteriösen Unbekannten k.o. geschlagen und als ich aufwachte, kniete Potter über mir. Zufrieden oder wünscht ihr mehr Einzelheiten?"
An ihren Gesichtern konnte ich ablesen, dass es so war. Ihr Münde standen offen, schlossen sich wieder. Öffneten sich erneut.
„Spinnst du, wir wollen die Wahrheit wissen", sagte Theo. Ich rollte mit den Augen.
„Das war die Wahrheit, nichts als die Wahrheit", meinte ich nur. Dann sprang ich auf und flüchtete ins Bad.
Als ich wiederkam, wurde ich erneut überfallen. Von zwei Mündern aber, zwei plappernden Mündern. Ich verstand kein Wort von dem, was sie sagten, da sie gleichzeitig redeten. Also ignorierte ich sie, legte mich ins Bett, zog mir die Decke zum Kinn und versank abermals in der Farbe meines Baldachins. Grün.
Es war so schön gewesen, eine Weile normal mit Harry zu reden. Und dann mein genialer Zug, als wir uns trennten. Hoffentlich würde er deswegen wachliegen. Auch wenn ich das nicht erwartete. Aber was sollte es, träumen war noch erlaubt.
Der nächste Tag brachte mich brutalst auf den Boden der Tatsachen zurück. Weihnachtsdekoration, wo man nur hinblickte, und alle waren in feierlicher Stimmung. Die Lehrer gestalteten den Unterricht nur lasch, war es doch immerhin der letzte Schultag. Noch abends würden die meisten Schüler das Schloss verlassen, nach Hause fahren. Darunter auch ich. Meine Mutter brauchte mich über die Feiertage, sonst wäre sie vollkommen alleine. Und ich brauchte doch Abstand, sagte ich mir immer wieder.
Natürlich wusste ich, dass Potter hier blieb. Das war Tatsache. Schon in der ersten Klasse hatte ich ihn damit aufgezogen.
Meine Stimmung war nicht gerade die Beste. Missmutig warf ich während einer Freistunde Kleidungsstücke in meinen Koffer. Auch mein nächtlicher Angriff beschäftigte mich. Ein weiterer Punkt, warum es gut war, wegzugehen. Aber sollte ich vielleicht jemandem Bescheid geben, Snape zum Beispiel? Aber der Angreifer hatte es eindeutig auf mich abgesehen, da musste ich doch nicht auch noch andere mit reinziehen.
Blaise und Theo ignorierten meine schlechte Laune. Pfui, sag ich da nur. Nachdem wir unsere Koffer per Schwebezauber in die Eingangshalle transportiert hatten, wendete ich mich ihnen zu.
„Ihr seid so was von – "
„Mr. Malfoy, wollen Sie wirklich zuende sprechen?", ertönte eine Stimme. Eine weibliche Stimme. McGonagall. Ich drehte mich um.
„Kommt ganz darauf an", gab ich von mir. Sie schnippte mit den Fingern.
„Zum Schulleiter. Sofort."
„Aber ich habe doch überhaupt nichts – "
„Darum geht es nicht. Ich wurde damit beauftragt, Sie zu suchen." Und schwupps, stürmte sie los. Obwohl ich tausend Fragen zu fragen hatte, lief ich hinterher. Im Büro von Dumbledore saß genau dieser hinter seinem Schreibtisch. Während ich mich setze, blickte er mich über seine Halbmondbrille hinweg ernst an. Ich fragte mich, was ich wohl verbrochen hatte.
„Mr. Malfoy, ist es korrekt, dass Sie gestern Nacht überfallen worden sind? Die Einzelheiten, warum Sie zu solch später Stunde noch in den Gängen unterwegs waren, sparen wir uns jetzt mal."
„Woher – ", setzte ich an. Dumbledore hielt eine Hand hoch.
Ich nickte und blieb sprachlos. Woher wusste der alte Knacker das überhaupt?
„Möglicherweise wäre es ratsam, wenn Sie über die Ferien nicht nach Hause fahren. Dort befinden Sie sich in größerer Gefahr als – "
Ich sprang auf. „Nein! Ich werde nach Hause fahren! Es ist Weihnachten! Außerdem läuft der Angreifer hier drin herum, kümmern Sie sich lieber darum, den zu schnappen! Wer hat ihn überhaupt hierein gelassen? Ich dachte, die Schule ist gut bewacht?"
Er nickte bedenklich mit dem Kopf. Was meine Wut nur steigerte. Wie konnte er es wagen! Tat einfach so, als hätte ich ihm eine Einladung zum Teetrinken überreicht!
„Es ist Ihre Entscheidung, Mr. Malfoy. Aber bedenken Sie, dass der Übeltäter schon die Schule verlassen haben und nach Malfoy Manor aufgebrochen sein könnte, wenn er hinter Ihrer Person her ist. Hier haben wir Mittel und Wege, Sie zu schützen."
„Zuhause haben wir Schutzzauber! Mir kann überhaupt nichts passieren", informierte ich ihn.
„Hier sind Schutzzauber und Lehrkörper", sagte Dumbledore.
„Ha, ich kann darauf verzichten, dass mir jemand auf Schritt und Tritt folgt!", sagte ich. Er nickte und machte eine entlassende Handbewegung. Als ich an der Tür stand, rief er noch mal meinen Namen. Mit der Hand auf der Klinke drehte ich mich um.
„Versprechen Sie mir, es sich noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen."
Ich nickte und ging dann endlich raus. Ich wusste nicht, was es da noch zu überlegen gab. Ich würde nach Hause fahren, basta. Hier wäre doch kein Schwein. Ich wäre alleine. Und ich konnte Mutter doch nicht im Stich lassen.
Woher wusste Dumbledore eigentlich, was gestern vorgefallen war? Da gab es für mich nur eine Erklärung: Potter. War also sofort zu seinem großen Vorbild gerannt. So ein Schwächling.
Doch warum? Was ging es ihn an, wenn ich angegriffen wurde? Ach, blöde Frage. Helferkomplex, der größte der Geschichte. Harry Potter wurde geboren, um anderen Menschen zu helfen. Ich fragte mich, ob er das selber glaubte. Hatte bestimmt noch nie im Leben etwas Eigennütziges getan.
Das Mittagessen hatte ich jetzt auch verpasst. Lohnte sich ein Abstecher in die Küche? Ich war schon ein, zwei Mal mit Greg und Vince da gewesen und hätte nie gedacht, dass mir das Wissen, wo die Küche sich befand, nützlich erweisen würde. Die Hauselfen dort waren so zuvorkommend gewesen, das war schon fast widerlich. Aber wenigstens wussten sie, wie man mich zu behandeln hatte.
Das erleichterte mir natürlich die Entscheidung. Ein paar Minuten später stand ich vor einer gemalten Obstschale, kitzelte die Birne und konnte in die Küche eintreten.
Die Elfen waren grade am Spülen. Alles in allem trat ich nach nur zwei Minuten mit einem Fresspaket wieder heraus, und wenn ich Fresspaket sagte, dann meinte ich Fresspaket. Sogar Vince und Greg konnte davon noch satt werden.
Als ich um die nächste Ecke im Keller bog, registrierte ich zuerst nicht, wer mir da entgegen kam. Doch dieser Zustand hielt nur eine Sekunde lang an. Ich blieb verblüfft stehen und fragte mich, was Potter hier wollte, bevor mir einfiel, was er getan hatte.
„Ach, Malfoy", sagte er, doch weiter kam er nicht. Ich hatte mein Fresspaket fallen gelassen und ihn (um der guten alten Zeiten Willen) an die Wand gepresst. Mit nicht mehr Körperkontakt als nötig war, immerhin handelte es sich hier um eine Formsache. Die Formsache, dass ich wütend auf ihn war.
„Konntest du mal wieder deine Klappe nicht halten, Potter?", zischte ich.
„Malfoy", presste er hervor. „Lass mich los! Dann können wir darüber reden!"
„Reden, pah", machte ich, aber ich ließ von ihm ab. „Also?"
Er räusperte sich, weil es ja auch so wichtig war, dass seine Stimme gut klang! Zusätzlich strich er sich in aller Ruhe den Pulli glatt. Als ob ich dahinsehen würde.
„Malfoy... jemand hat dich angegriffen. Ob es nun wegen dem Stein war oder nicht, er hat dich angegriffen."
„Es war wegen dem Amethysten, Potter. Ich zitiere: Her mit dem Stein."
Potter machte große Augen. „Ja... ähem. Na gut, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass hier jemand rumläuft, der gefährlich ist."
„Und deswegen willst du, dass ich hier bleibe, damit er mir die Kehle aufschlitzen kann, stimmt's?"
„Warum sollte ich wollen, dass du hier bleibst, Malfoy? So ein Quatsch!"
Ich stutzte. „Aber du warst bei Dumbledore, und der hätte mich am liebsten in Slytherin eingekerkert."
Potter grinste. „Keine so schlechte Idee... Hey, nein, das muss aber seine eigene Idee gewesen sein!"
Ich grummelte die Wand an, während ich überlegte. Das Blöde war, ich glaubte ihm. Also war das keiner seiner miesen Tricks. Ergo befand Dumbledore die Schule wirklich sicherer als mein Zuhause. Ich blickte Potter an und atmete erst einmal tief ein.
„Okay. Ich habe dich zu unrecht verdächtigt, halb jedenfalls."
„Macht nichts."
„Das sollte keine Entschuldigung sein", erwiderte ich streng. Hätte ich wie er eine Brille, würde ich darüber hinweg gucken. Aber auf solche eindrucksschindenden Sachen kam er ja nie. Harry nickte.
„Und, tust du es?"
„Was?", erkundigte ich mich. Warum redete er überhaupt noch mit mir, ich dachte, er wollte das nicht mehr? Aus dem sollte mal einer schlau werden.
Potter verdrehte die Augen. „Hier bleiben, Malfoy."
„Ach so." Ich ging zu meine Paket, hob es auf und stellte erstaunt fest, dass er wohl auf eine Antwort wartete. Ich beäugte ihn sehr misstrauisch.
„Ich denke nicht, Potter."
„Es wäre aber schlauer, Mal-"
„Potter! Was denkst du dir eigentlich, was du hier tust?"
Er hielt in dem Satz inne und schaute mich erschreckt an. Eine Sekunde später schien er zu verstehen. Sein Gesicht verzerrte sich.
„Richtig. Wir sehen uns nach den Ferien", meinte er und ging an mir vorbei. Ich drehte mich um und sah ihm noch hinterher. Irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas unglaublich Dummes getan zu haben – da wollte er mit mir reden und ich schickte ihn weg. Aber wie hätte das denn ausgesehen, wenn wir fast normal miteinander geredet hätten (nach gestern Abend also zum zweiten Mal).
Andererseits, er wollte mich überreden, im Schloss zu bleiben. Obwohl er mich dann hätte ertragen müssen.
„Potter!", rief ich, ohne zu wissen, wann ich den Entschluss dazu gefasst hatte. Er blieb stehen (er war erst wenige Schritte entfernt) und drehte sich um. Tja, jetzt war ich in der Bredouille. Mein Verstand hatte sich nämlich wieder eingeschaltet. Ich wusste demnach nicht, was ich sagen sollte.
„Es ist... Meine Mutter braucht mich Zuhause, verstehst du?"
Er kniff die Augen zusammen. „Wenn du mich darauf hinweisen willst, dass ich keine Eltern mehr habe, dann spar dir die Mühe, okay?"
Mein Mund klappte auf, während er seinen Weg fortsetzte. Nein, einmal in meinem Leben hatte ich ihn nicht ärgern wollen. Und was tat er? Oh Mann! Da lohnte sich doch alle Mühe nicht. Alle Gedanken, die ich mir über ihn jemals gemacht hatte, waren nur Zeitverschwendung gewesen! Und wenn ich bedenke, dass ich mir schon seit mehr als sechs Jahren Gedanken über ihn machte (egal, in welcher Form) dann war ein Drittel meines Lebens Zeitverschwendung gewesen?
Das konnte ich einfach nicht glauben. Noch konnte ich ihn sehen. Diesmal würde ich ihn nicht einfach so davon kommen lassen. Während ich mein Paket fallen ließ und ihm nachsetzte, rief ich erneut seinen Namen. Tatsächlich blieb er noch einmal stehen. Ich erreichte ihn nahe der Ecke, hinter der die Treppe zur Eingangshalle lag.
„Was fällt dir eigentlich ein? Ich begebe mich dazu hinab, dir etwas Privates mitzuteilen, und du... du... tust das einfach so ab!"
Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Oh, also immer, wenn Malfoy mir etwas seiner Meinung nach Wichtiges erzählt, soll ich Interesse heucheln? Weißt du was, dazu habe ich keine Lust!"
„Du wolltest doch wissen, warum ich nicht hier bleibe!"
„Nein, ich wollte dir nur dazu raten, weil es sicherer wäre! Im Grunde ist es mir egal, was du machst und warum du es machst, Malfoy. Also verschone mich mit deiner Mutter, die konnte ich noch nie leiden." Er drehte mir den Rücken zu. Er ließ mir quasi keine andere Wahl, als die nächsten Wörter auszusprechen, auch wenn es mir weh tat.
„Wenigstens habe ich eine, Potter! Würde ich hier bleiben, dann mit dem Wissen, dass mich Zuhause jemand vermisst. Und du, du hast niemanden dort und musst dich hier mit einem Wiesel, einem Schlammblut und einem Wildhüter zufrieden geben!"
Ich hörte, wie er die Luft anhielt. Mit Zornesröte im Gesicht drehte er sich zu mir. In diesem Augenblick bemerkte ich erst, dass ich ihn angrinste. Als wäre es die pure Bosheit, die mich sprechen ließ, und nicht die Sucht nach Aufmerksamkeit. Alles kam mir so übertrieben, so lächerlich vor.
Als er auf mich zustürzte und mir seine Faust in dem Magen rammte, wehrte ich mich nicht. Ich knickte ein, biss die Zähne zusammen und schaute auf. Nur verschwommen sah ich ihn, der Schlag hatte mir Tränen in die Augen getrieben. Nicht zu reden von meinem Magen, der höllisch schmerzte.
Meine Sicht klärte sich jedoch schnell. Potter starrte mich immer noch wütend an. Nicht ein Funken Mitleid sah ich in seinen Augen.
„Schlag mich noch einmal", presste ich hervor. „Ich hab's verdient."
Seine Züge entglitten ihm. Dieses Mal blickten Erstaunen und Verwirrung mich an.
„Bitte?"
Ich richtete mich etwas auf. „Du hast mich schon richtig verstanden. Los, du musst mich doch hassen wie sonst etwas. Lass alles raus."
Harry runzelte die Stirn. „Ich habe dir doch in den Magen geschlagen, nicht auf den Kopf", meinte er.
Ich seufzte. Natürlich, wenn er mich schlagen durfte, dann wollte er nicht. Meine Schmerzen ließen nach, ich richtete mich ganz auf und funkelte ihn an.
„Dann eben nicht, Potter. Du hast deine Chance verpasst."
„Ich..." In seinem Hirn schien es zu arbeiten. Ich seufzte erneut und beschloss, wenn ich mich schon blamieren sollte, dann richtig.
„Hör zu: Ich meinte das gerade nicht so, was provozierst du mich auch!"
Er blickte mich ungläubig an. „Malfoy? Ich, dich?"
Ich nickte. War das so schwer zu verstehen? Wohl kaum. Er redete aber nicht weiter, sondern blickte mich nur belämmert an. Ich zuckte mit den Schultern, drehte mich um und ging zurück. Meinem Fresspaket gab ich einen Tritt, als ich daran vorbeilief. Nein, an Essen war nicht mehr zu denken. Potter sei dank.
Auch beim Abendessen saß ich nur lustlos vor meinem Teller. Das Zusammentreffen mit Potter lag mir noch im wahrsten Sinne des Wortes im Magen. Er hatte eine kräftige Faust. Nicht zu vergessen seine Stimme, seine Augen und seine Anwesenheit, die eine noch heftigere Wirkung auf denselben hatten.
„Waf ift, Draco?", mampfte Blaise. Er schluckte schnell, um mehr reden zu können und fing dann auch sofort an: „Was ist los, Malfoy, ich meine, du guckst als hätten wir sieben Tage..." Seine Stimme verschwand aus meinem Gehör. Crabbe an meiner anderen Seite kaute bloß. DAS war beruhigend für meine Ohren. Ein vertrautes Geräusch. Nicht, dass es Blaise Gebrabbel nicht auch war, aber dies war ein angenehmes vertrautes Geräusch. Einigermaßen angenehm jedenfalls.
Später hatte sich die Situation nicht geändert. Nur der Ort war ein anderer. Wir saßen im vom grellen Muggellicht erleuchteten Hogwarts- Express. Die Landschaft raste im Dunkeln schemenhaft vorbei, und Regen klatschte ans Fenster. Trotz allem blickte ich nach draußen, in Gedanken noch bei Potter. Den ich jetzt eine lange Zeit nicht sehen würde. An meinem Ohr schmatzte Vince (der beschlossen hatte, über Weihnachten Diät Diät sein zu lassen) und Blaise' und Theos Gelächter schallte durch das Abteil. Zuvor hatte ich ihnen noch klarmachen können, dass ich meine Laune noch schlechter geworden war.
Sicher freute ich mich darauf, Mutter wiederzusehen. Das war aber auch schon alles. Was, wenn der Verbrecher wirklich in Malfoy Manor war? Wenn Mutter dadurch in Gefahr war?
Wenn der Verbrecher noch in Hogwarts war und sich an Harry rächen wollte? Ich schrak unmerklich auf. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich musste zurück! Harry konnte doch nicht ahnen...
Aber Dumbledore hatte ihn sicher schon gewarnt. Und der Gedanke, Harry könnte sich nicht verteidigen, war einfach nur töricht.
Na gut, Draco, du hättest dich schon fast wieder lächerlich gemacht. Dieses Weihnachten stand unter keinem guten Stern.
Also blieb ich äußerlich seelenruhig im Abteil sitzen und sah zu, wie schattenhafte Wälder und Seen vorüberzogen. Das Rattern des Zuges war stetig anwesend und ließ mich keine Sekunde vergessen, dass ich mich immer weiter von Harry entfernte.
An dieser Stelle wie immer vielen Dank an alle Leser, Reviewer und Betaleser! Davon hab ich zwar nur eine, aber die mag ich sehr! ggg Genauso wie ich mich über jedes einzelne Review freue, denn die spornen mich zum Weiterschreiben an!
