Ihr Lieben,

da geht es also doch endlich wieder weiter mit dem Ligusterlupinschen Familienchaos. Ich entschuldige mich in aller Moonyform für mein geradezu lächerliches Updatetempo (ich hoffe, Ihr habt Euch die Zeit gut mit Slytherenes Wolf auf der Hintertreppe vertrieben, falls nicht, kann ich das nur wärmstens für die nächste lächerlich lange Updatepause empfehlen!), muss aber zu meiner Entschuldigung anführen, dass es sich unter Dauereinsatz von Antibiotika wegen einer nicht enden wollenden Mandelentzündung einfach nicht besonders inspiriert schreibt, und einen Mist abliefern will ich Euch ja auch nicht. (Falls jemand den Eindruck gewinnen sollte, ich wäre nonstop krank, liegt es daran, dass ich nonstop krank bin.) Selbiger Umstand hat übrigens auch dazu geführt, dass ich meine Review-Antworten so schmählich vernachlässigt habe, also an dieser Stelle ein kollektives DANKE, DANKE! Ihr macht mich wirklich glücklich, Mädels.

RheaLupin: Speichersdorf? Hihi. Da sind wir wohl aus der gleichen Ecke.

Slytherene: Könnte sein, dass dieses Kapitel streckenweise für Dich nicht so lecker wird, wegen all der Invertebraten-Salaten. Mahlzeit, ich entschädige Dich gelegentlich mit einem Lamm a la Arabienne.

Chromoxid: Willkommen im Schoß der Familie, verloren geglaubte Ligustertochter, und lass Dich von ein paar hundert Ligusters in die Arme schließen!

Soundtrack: Heute lassen wir's krachen, Mädels. Beginnen wir mit Bryan Adams, Summer of 69, steigern uns dann zum unvergleichlichen Schmachtfetzen von Peter Cetera, Glory of Love, rocken dann richtig ab mit Kiss, I was made for lovin' you, Baby, und lassen es dann mit einem weiteren Schmachtfetzen ausklingen, zum Beispiel Jim Diamond, I should have known better.

Disclaimer: Sie gehören nicht mir, obwohl sie's doch bei mir so gut haben.

So, dann mal in die Lederjacken geschlüpft, eine Runde Motorenöl für alle, gut festhalten, und ab geht's!

Drei: Die Feinheiten der Farbenlehre, ein Auftritt mit Knalleffekt, eine klassische Zwickmühle und eine Überdosis Vierbein

Stress. Warum wird dieses hübsche, kleine, mittlerweile in vielen Sprachen heimische Wort eigentlich nicht synonym für Hochzeit gebraucht? Ich bin noch weit jenseits eines Zustandes, den ich als ausgeschlafen betrachten würde, und, was schlimmer ist, ich bin vor dem ersten Tee, aber offensichtlich bin ich schon voll verplant.

„Das iste Liste" sagt Donna Anna und drückt mir ein Stück Papier in die Hand. Sie sieht fit aus und unbeeindruckt, sie hätte auch einen guten Komtur abgegeben. Ich meinerseits wäre sicher erfrischter, hätte ich nicht die Nacht abwechselnd im zu engen, zu lauten Bett und auf dem Boden zugebracht, jeweils das wählend, was mir aktuell als das geringere Übel erschien, ganz zu schweigen von einer weiteren, dem Grunde nach nicht wirklich unangenehmen Schlafpause und der schwer verfrühten Beendigung einer Tiefschlafphase zwecks Beseitigung eines Gummibärchen-Notstandes.

Was ich jetzt also brauche, ist ein Tee, keine Liste. Trotzdem befindet sich in meiner Hand eine Liste, kein Tee.

„Könnt ihr heute für mich erledigen" sagt Donna Anna optimistisch. Ich überfliege die Liste. Blumen abholen, steht da in nachlässiger Handschrift, Drei Schwäne, und dahinter für jeden Schwan ein Ausrufungszeichen. Bahnhof als nächstes, aber ich bin nicht sicher, und dahinter eine Liste von Namen und Zahlen, dann etwas mit Tisch und etwas, das Absatz heißen könnte.

„Ich weiß nichts von diese Dinge" sage ich ratlos, und sie drückt im Vorbeigehen, oder –rauschen, beschwingt meinen Arm.

„Emilia weiß" sagt sie. „De Zettel ist nur Erinnerunge."

„Ah" sage ich, falte den Zettel und finde, dass Emilia mir wenigstens hätte sagen können, dass wir zum Arbeiten hier sind.

„Kaffee ist auf de Herd" sagt Donna Anna. „Bedienste du dich, ja?"

„Ich" sage ich und räuspere mich rostig, „also… ich hätte lieber Tee, wenn es keine Umstände macht."

„Engelander" schnaubt sie und lächelt gleichzeitig, was eine mimische Leistung darstellt, „weißte nicht, was gut ist!", aber immerhin holt sie mir eine Packung Teebeutel aus einem Schrank und zeigt mir den Wasserkocher. Ich organisiere mir eine saubere Tasse aus der Spüle, in der sich noch das Geschirr von gestern stapelt, und mache mir mit zauberischer Beschleunigung endlich meinen Tee. Ein bisschen Zucker, der bei Ligusters in einem mit „Salz" beschrifteten Marmeladenglas aufbewahrt wird, und dann trage ich die warme, verheißungsvolle Tasse hinüber ins Wohnzimmer, wo meine Liebste am Tisch sitzt und in eine Tasse Kaffee hinein miesepetert.

„Was ist los?" sage ich und rücke vorsichtig näher.

„Nichts" sagt sie und rührt im Kaffee.

„Ach so" sage ich. Ich bin nur mäßig beunruhigt. Ich habe in jüngster Vergangenheit gelernt, dass es verschiedene Arten von Nichtsen gibt, und ihrem Tonfall nach zu schließen ist es diesmal nur ein kleines Nichts.

„Mir ist schon wieder schlecht" sagt sie.

„Armes Mädchen" sage ich und fische den Teebeutel aus meiner Tasse. Ich habe eine Methode perfektioniert, den Beutel auf den Löffel zu legen und den Faden drum zu wickeln, dass es nicht mehr tropft. Kein Kaffee der Welt kann mir diese zehn Sekunden Kontemplation bieten.

„Ich brauch' ne Mittagspause" sagt sie düster. „Zwei Stunden, mindestens, wenn ich das alles schaffen soll. Hat sie dir die Liste gegeben?"

„Ja" sage ich und reiche die Liste weiter.

„Bin ich der Chauffeur vom Dienst, oder was" knurrt sie. „Ist das meine Hochzeit?"

„Vielleicht erklärst du mir die Liste" sage ich. „Die ist irgendwie nur für Eingeweihte."

„Den Blumenschmuck beim Floristen abholen" sagt sie düster, „und in dem Festsaal abliefern, wo das morgen statt findet. Einen Haufen Verwandtschaft vom Zug abholen und ins Hotel bringen. Tischordnung mit den Leuten vom Restaurant abstimmen. Antonias blöde Schuhe von dem blöden Schuster holen. Und das sind nur die Sachen, die ihr bis gerade eben eingefallen sind. Warte mal bis heute Mittag."

„Du sagst ihr einfach, dass die Liste zu lang ist und dass du dich ein bisschen schonen musst" schlage ich vor. „Ihr seid doch so viele. Da findet sich doch bestimmt noch jemand."

„Meine Mutter ist nicht der Typ, dem man einfach mal was sagt" sagt sie düster.

„Guter Punkt" sage ich seufzend und nehme endlich einen Schluck von meinem heiß ersehnten, verheißungsvollen… nun ja, zumindest heiß bleibt übrig. Ich bemühe mich um Fassung. Wenn das der Standard ist, verstehe ich, warum die Deutschen Kaffee trinken.

„Was ist mit deinem Tee?" fragt sie.

„Ich bin nicht sicher, ob es einer ist" sage ich, „oder vielleicht doch nur eine alte Zeitung, die man geschreddert und in Teebeutel abgefüllt hat."

„Man muss sparen, wo man kann" sagt sie. „Das war nur das Lokalblatt. Warte, bis du die Süddeutsche versuchst."

„Es gibt einen Teeladen in dieser Stadt, oder?" sage ich. „Bitte. Sag, dass es einen Teeladen gibt."

„Klar" sagt sie und grinst. „Gleich neben dem Gummibärchenladen."

Dann ist etwas an der Kombination aus Tee und Gummibärchen, das sie veranlasst, eiligst das Badezimmer aufzusuchen, und ich besinne mich auf meine Verantwortung als anzunehmender werdender Vater (und auf kindliche Strategien, die besagen, geh zu Papa, wenn du's von Mama nicht haben kannst) und lasse mir von Konrad den Chauffeursdienst von der Liste streichen. Dann ist Emilia zurück und einigermaßen wohlauf, und wir nehmen unsere Liste in Angriff.

Wir machen es auf die Muggel-Art. Die paar dreißig Zauberer, die es rein statistisch in einer Stadt dieser Größenordnung gibt, haben es, aus welchen Gründen auch immer, nie für nötig befunden, Infrastruktur zu errichten: es gibt kein Floo-Nertzwerk, keine öffentlichen, abgeschirmten Apparierpunkte, keinen magischen Marktplatz wie Diagon Alley, lediglich eine kleine Zauberer-Kneipe, die als aufgegebener Zeitungskiosk getarnt ist und laut Emilia den Besuch nicht lohnt. Lebt man hier als Zauberer, man könnte vergessen, dass man einer ist.

Emilia holt also das Auto aus der Garage, es ist ein großes, rotes, das nicht ganz neu aussieht, und öffnet mir von innen die Tür. Ich steige ein und plage mich mit dem Sicherheitsgurt, bis sie mir beispringt und das Ding für mich einrastet.

„Wann bist du zuletzt Auto gefahren?" fragt sie, während sie das Auto rückwärts aus der Einfahrt steuert.

„Ich bin kürzlich mal bei Weasleys mitgeflogen" sage ich. „Zählt das?"

„Nicht wirklich" sagt sie. „Ich meine ein echtes Muggel-Auto."

„Ich weiß nicht" sage ich nach kurzem Grübeln. „Es ist jedenfalls sehr lange her."

„Ich fahr gern Auto" sagt sie und spielt am Radio. „Der Nachteil am Apparieren ist, man sieht nichts von der Gegend."

Der Vorteil am Apparieren ist, man steht nicht im Stau. Denke ich, sage es aber nicht, als wir im Schrittempo mit einer Überzahl anderer Autos und in irritierendem Rechtsverkehr durch die Innenstadt schleichen. Eigentlich stört es mich auch nicht, ich kann Emilia ansehen und ihre Haare um meinen Finger drehen und sie zum Lachen bringen, und mich zu ihr lehnen und sie küssen, bis hinter uns gehupt wird.

Der Schuster ist zuerst dran. Wir parken das Auto in einer engen Seitenstraße. Gegenüber ist eine Apotheke.

„Du kannst im Auto warten, wenn du willst" sagt sie beim Aussteigen. „Ich spring' nur schnell in den Laden rein."

„Nein" sage ich. „Ich gehe einstweilen mal rüber in diese Apotheke."

„Schon wieder Kopfweh?" sagt sie. „Das gibt's doch nicht. Sprich endlich mal Poppy drauf an."

„Bei nächster Gelegenheit" verspreche ich ihr und übergehe dezent, dass ich nicht wegen Kopfschmerztabletten in diese Apotheke will.

Fünf Minuten und einen hässlichen Zwischenfall später, der es einem Autofahrer erlaubt, seine Bremsen zu testen, und mir, eine Kühlerhaube von ganz nah zu betrachten (rätselhafter Rechtsverkehr), sind wir wieder in unserem roten Auto und auf dem Weg zum Blumenladen. Ich finde im Seitenfach der Tür einen angekauten Kugelschreiber und transfiguriere ihn in eine halb geöffnete, dunkelrote Rose, die sogar authentisch riecht. Dann hole ich die Schachtel aus der Tasche, die ich in der Apotheke gekauft habe, und reiche ihr an der nächsten roten Ampel beides hinüber.

„Hm" sagt sie und steckt ihre Nase zwischen die Blütenblätter. „Danke. Wofür ist die?"

„Brauche ich einen Grund, um dir Rosen zu schenken?" frage ich zurück.

Sie lächelt, schüttelt den Kopf und wirft dann einen Blick auf die Packung.

„Was ist das denn?" sagt sie, obwohl es ja vorne drauf steht.

„Ein Schwangerschaftstest" sage ich.

„Oh" sagt sie. „Aber ich hab doch gesagt, ich will noch ein bisschen warten, bis der Zeitpunkt richtig ist."

„Nur eine vorsorgliche Maßnahme" sage ich. „Für den Fall, dass dein richtiger Zeitpunkt sich nicht mit den allgemeinen Ladenöffnungszeiten überschneidet."

„Du hast nur Angst, dass ich dich wieder um zehn nach sechs aus dem Bett schmeiße" sagt sie und grinst.

„Das auch" sage ich.

„Trotzdem lieb von dir" sagt sie und gibt mir ein Küsschen. „Die meisten Kerle würden sich eher die Zunge abbeißen, als in eine Apotheke zu gehen und einen Schwangerschaftstest für die Freundin zu holen."

„Aha" sage ich und frage mich, welche delikate Auswahl an männlichen Zeitgenossen ihr zu dieser wenig schmeichelhaften Einsicht verholfen hat, und dann sage ich noch „Grün", und sie sagt „Hmmm?", weil sie gerade die Packungsaufschrift auf der Rückseite liest, und ich sage „Grün", und hinter uns hupt jemand, der kein Verständnis für den sensiblen Punkt in unserer Familienplanung hat, und sie fährt weiter, knapp bevor wir gerammt werden.

Wir arbeiten den nächsten Punkt auf unserer Liste ab: Blumen, und zwar mehr, als ohne Zuhilfenahme von Magie ins Auto passen würden. Emilia reicht einen Betrag über den erdigen Tresen, der mich einer Ohnmacht nahe bringt, und dann laufen wir zwischen Blumenladen und Auto hin und her und räumen und stapeln und zaubern ein bisschen herum, bis wir alles untergebracht haben und Rückbank und Kofferraum aussehen wie Blumenbeete.

Dann sind wir wieder auf der Straße und auf dem Weg zu den Drei Schwänen, den Duft von Hyazinthen und Erde in der Nase, und Emilia dreht das Radio auf und singt lauthals über einen Sommer 69, der angeblich die beste Zeit ihres Lebens gewesen sein soll.

Ich bin ein bisschen überrascht, als sie nach links in ein nicht besonders schönes Gewerbegebiet einbiegt. Wir passieren einen Baumarkt, eine Tankstelle und eine Ausstellungshalle für Autos, und ich denke an eine Abkürzung oder etwas, und dann setzt sie den Blinker und fährt über eine Bodenwelle auf den Parkplatz dieser führenden Hamburger-Restaurantkette.

„Ich will mich ja nicht einmischen" sage ich vorsichtig, „aber meinst du wirklich, Junk-Food am frühen Morgen ist das Richtige für dich?"

„Ich will doch kein Junk-Food" sagt sie, zieht die Handbremse an, dass es kracht, und schaltet den Motor aus. „Ich will nur mal aufs Klo." Sie löst ihren Sicherheitsgurt und greift nach der Packung.

„Gleich wieder da" sagt sie.

„Falls die Frage gestattet ist" sage ich, „was hat sich geändert in den letzten zwei Minuten?"

„Nichts" sagt sie und sieht ein bisschen nervös aus. „Ich bin eine Frau der schnellen Entschlüsse, das ist alles."

Das ist mir neu, aber ich sage nichts. Ich steige mit ihr aus und sehe ihr nach, wie sie ins Innere des Hamburgertempels verschwindet. Ich lehne mich gegen das Auto und warte. Hinter einer Hecke fließt der Verkehr, und die Sonne scheint mir ins Gesicht, sie ist schon beinahe warm, wenn man sich genug darauf konzentriert. Das Innere meines Kopfes fühlt sich ein wenig flüssig an, so wie kurz vor oder kurz nach einer Kopfschmerzattacke, ich kann nur hoffen, dass es an einer Überdosis Hyazinthe liegt. Ein paar Kinder toben auf dem hauseigenen Spielplatz, und ich denke darüber nach, was sich geändert hat, seit ich zuletzt beinahe Vater geworden wäre. Damals… fünfzehn… sechzehn Jahre ist das jetzt her, und ich war ein Surrogat aus Romeo und Cyrano und Tristan und Orpheus mit meinen unsterblichen Gefühlen für die wunderbarste aller Frauen. Ich werde nie dieses drittklassige Hotelzimmer vergessen, in dessen Halbdunkel wir Liebe machten, und sie sagte: „Laisse-nous faire un bébé", während ihre Lippen auf meinen lagen, und meine Vernunft brachte mich fast um, aber ich sagte ihr, dass ich es nicht konnte, nicht so lange ich ein arbeitsloser, geradezu lächerlich armer Straßenwolf war, der kaum sich selbst über Wasser hielt, und es wurde eine sehr traurige Nacht voller Tränen und Versprechen einer großartigen, glücklichen Zukunft (die für sie nach letzten Berichten auch tatsächlich eingetreten ist, nur nicht mit mir). Ich frage mich, warum ich mit siebenundzwanzig vernünftiger sein konnte als ich es mit dreiundvierzig bin, wo man doch allgemein annimmt, dass die Vernunft mit dem Alter kommt und sich nicht mit ihm verliert. Mit siebenundzwanzig, das wird der Grund sein, hatte ich tatsächlich noch Hoffnung auf einen besseren Zeitpunkt, auf eine gesicherte Existenz, ein geregeltes Leben, wie man es in den bürgerlichen Kreisen zu führen pflegt, denen ich entstamme. Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, ein Kind haben. Mit dreiundvierzig habe ich eingesehen, dass es Häuser für mich nicht geben wird und Bäume nur im Hydepark, und dass der bessere Zeitpunkt für ein Kind nicht kommen wird, denn alles, was ich werde, ist älter. Eine Spur von Panik legt sich um meinen Hals wie ein zu enges Halsband. Was wird aus der Schule, wenn ich mich um ein Baby kümmern muss, während Emilia in Hogwarts unseren Lebensunterhalt verdient? Woher soll ich das Geld nehmen, einen weiteren Lehrer einzustellen? Muss ich die Schule schließen? Ich will sie nicht schließen. Ich fühle mich wieder wie ein Mensch, seit ich diese Aufgabe habe.

Ich atme durch, und die klare Frühlingsluft ist doch noch winterlich kalt und befreit meinen Kopf. Ich will nicht spekulieren. Ich will auf die Fakten warten und mich nach ihnen richten und so oder so glücklich sein.

Dann kommt Emilia zurück und bringt die Fakten in Form eines Plastikstäbchens, das entfernt an ein Fieberthermometer erinnert, mit einem rosa Anzeigenfeld in der Mitte.

„Da" sagt sie und drückt es mir in die Hand. „Fünf Minuten warten, und wenn's dann blau ist, kommt ein Baby."

„Okay" sage ich. „Das klingt einfach genug."

"Ja" sagt sie und streicht sich mit beiden Händen Löckchen aus der Stirn. Auf ihren Wangen leuchten rote Flecken. Sie nestelt die Liste aus der Gesäßtasche ihrer Jeans, faltet sie auf, starrt drauf und faltet sie wieder zu. Sie vergräbt die Hände in den Hosentaschen und wippt auf den Zehenspitzen.

„Geht's dir gut?" frage ich vorsichtig.

„Klar" sagt sie mit sehr bemühtem Lächeln. „Prima. Alles gut. Wirf doch mal einen Blick drauf."

„Das waren kaum dreißig Sekunden."

„Trotzdem. Ich war ja auch noch Hände waschen zwischendurch, und alles."

Ich werfe einen Blick drauf. Das Anzeigenfeld ist rosa, mit einer undefinierbaren Verfärbung am Rand.

„Und?" sagt sie.

„Noch nichts" sage ich.

„Wirklich nicht?" sagt sie.

„Ich bin ein bisschen kurzsichtig" sage ich, „aber doch nicht farbenblind. Du kannst gerne selbst nachsehen."

„Nein" sagt sie. „Das halten meine Nerven nicht aus."

Ich verstehe den Unterschied nicht, aber ich will auch nicht fragen. Ich schaue den Kindern zu, wie sie auf dem Klettergerüst herum turnen. Einer sitzt oben auf der Rutsche und traut sich nicht, und ich versuche, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass es vielleicht bald mein Kind ist, das auf einer Rutsche sitzt und die Risiken der schiefen Ebene abwägt.

„Und?" sagt sie und stößt mich an. Ich sehe nach, und es hat sich, nun ja, zumindest verändert.

„Lies mal nach" sage ich. „Was bedeutet es, wenn es violett wird?"

„Nicht violett" sagt sie. „Blau muss es werden."

"Wird es aber nicht. Hier. Rosa am einen Ende, und dann violett, und am Rand grau mit Grünstich."

Sie raschelt mit der Anleitung und hält mir ein Bild von einem blauen Anzeigenfeld unter die Nase. „So" sagt sie.

„Ich weiß, was blau ist" mache ich sie aufmerksam. „Und das hier ist nicht blau, sondern violett und grau mit Grünstich."

„Violett ist aber nicht vorgesehen" sagt sie und überfliegt die Anleitung. „Vielleicht hängt das irgendwie mit deinen Werwolfsgenen zusammen?"

„Erstens" sage ich. „Lykantrophie ist nicht genetisch, sondern infektiös, wie du mittlerweile wissen solltest. Zweitens. Wenn sich egal welche meiner Gene auf diese Art bei dir nachweisen lassen, sollten wir uns an ein medizinisches Fachblatt wenden und mit dieser Kuriosität einen Haufen Geld verdienen."

„Besserwisser" sagt sie, lehnt sich neben mir gegen das Auto und legt den Kopf an meine Schulter.

„Schwangerschaft schließt die Benutzung des körpereigenen Denkapparates nicht aus, weißt du" sage ich.

„Vielleicht bin ich gar nicht schwanger, sondern von Natur aus doof" sagt sie.

„Nein" sage ich. „Das wäre mir aufgefallen."

„Guck mal nach" sagt sie. Ich gucke.

„Violett" sage ich. „Dunkler jetzt, aber definitiv nicht blau."

„Das funktioniert nicht" sagt sie. „Das ist ein Mist, den die dir da verkauft haben."

„Warte doch einfach die vollen fünf Minuten" sage ich. „Das waren jetzt höchstens zwei."

Sie seufzt und kickt ein Steinchen weg. „Wie du nur so ruhig sein kannst" sagt sie. „Warum bist du nicht ein bisschen aufgeregt?"

„Ich weiß nicht" sage ich. Ich bin jetzt wirklich ganz gelassen, ich werde ruhiger in dem Maße, in dem sie neben mir herum zappelt. „Ich nehme an, es ist einfach zu spät, sich aufzuregen. Wir wollten ein Baby, und wir haben es darauf ankommen lassen. Es war damit zu rechnen, früher oder später, oder nicht?"

„Guck nach" sagt sie. Ich gucke.

„Und?" sagt sie.

„Schottenkaro" sage ich.

„Blödmann" sagt sie.

„Ich schaue jetzt für mindestens eine Minute nicht mehr drauf" sage ich. „Geben wir der Sache doch mal Zeit, sich zu entwickeln."

„Das halt' ich nicht aus" sagt sie.

„Ich lass' mir was einfallen" sage ich, nehme ihr zerwühltes Gesicht in meine Hände und küsse meine Ruhe in sie hinein, und dann halte ich sie und wiege sie ein bisschen und schiele über ihre Schulter gelegentlich auf den Test, bis das Anzeigenfeld sich in dunklem, eindeutig definierbarem Blau gefärbt hat.

„Blau" sage ich ihr in den Mundwinkel, und sie atmet tief und zitternd.

„Zeig her" sagt sie, und ich gebe ihr den Test, und für eine Weile starrt sie drauf.

„Wow" sagt sie schließlich.

„Sag bloß, du bist überrascht" sage ich.

„Nein" sagt sie. „Na ja. Aber… das ist jetzt ein großer Augenblick, oder? Ich meine, wir kriegen ein Wölfchen."

„Genau genommen kriegen wir es wohl schon seit einer Weile. Dies ist nur der erste verwertbare Beweis."

„Ich will es aber nicht genau nehmen" sagt sie und rüttelt an meinem Mantelaufschlag (an Sirius', genau genommen, den er mir ausgeliehen hat) (manchmal frage ich mich, ob es zwanghaft ist, alles genau nehmen zu müssen). Doch in diesem Augenblick, der laut Emilia ein großer ist, nehme ich nichts mehr genau, sondern sie in die Arme und fülle mich mit dem Gedanken, dass wir tatsächlich ein Baby haben werden. Die Sonne scheint, es riecht nach Hyazinthen, und ein verstecktes Vögelchen in der Hecke singt uns ein Hochzeitslied.

„Wie findest du Silvana?" sagt sie, als das Vögelchen zur zweiten Strophe anhebt.

„Hm?" sage ich.

„Als Name. Es hat was mit Wald zu tun. Ich finde das schön."

„Silvana Lupin" probiere ich den Klang und werde geboxt.

„Silvana Liguster" sagt sie.

„Wer sagt das" sage ich.

„Ich sage das" sagt sie.

„Und ich sage, wir einigen uns erst auf einen Nachnamen, bevor wir uns mit dem Vornamen befassen" sage ich.

„Musst du immer so vernünftig sein" sagt sie.

„Entschuldige" sage ich. „Ich fürchte, der Gebrauch meines Gehirns geschieht reflexhaft. Ich kann nichts dagegen tun."

„Ich schon" sagt sie und grinst mich an. „Allerdings nicht auf einem öffentlichen Parkplatz."

„Der Gedanke hat seinen Reiz" sage ich. „Aber wir halten uns besser zunächst an den Stundenplan und bringen diese Blumen weg, bevor sie welken und ich meine brillanten Fähigkeiten mal wieder zur Entwicklung trivialer Zauber heran ziehen muss."

„Armes verkanntes Genie" lacht sie und tätschelt mich. „Aber du hast recht. Packen wir's."

oooOOOooo

Ich bin vielleicht nicht so vollständig gelassen, wie ich mich gebe. Ich gehe durch den Tag, als stünde ich unter einem Imperius, der mir befiehlt, den Schein der Normalität zu wahren. Ich stehe einen halben Schritt neben mir und der Welt und wundere mich, warum niemand, nicht mal Emilia, bemerkt, dass ich mit einer winzigen Verzögerung reagiere. Gelegentlich, wenn ich mich unbeobachtet fühle, hole ich den Test aus der Tasche und kontrolliere, ob das Feld immer noch blau ist (es ist). Wir erledigen den Blumen-Job und noch ein paar andere, und dann fahren wir doch noch zum Bahnhof und holen ein paar Trapanes ab, weil zwar eigentlich klar war, dass wir das nicht tun wollten, aber nicht, wer an unserer Stelle, und so geht im laufe des Nachmittags ein empörter Anruf ein, dem umgehend Folge zu leisten ist.

Zwischendurch schaue ich aus dem Autofenster oder in meine Tasse oder ins Leere und kann nicht anders als vergleichen: Was sich im Laufe eines Jahres alles getan hat. Als es zuletzt Frühling wurde, lebte ich ein Unterschichts-Muggelleben mit einem engen, dunklen Appartement, ging Teilzeit kellnern in einem Cafe und wartete vergeblich darauf, dass mir vielleicht doch noch ein Hund zuliefe, mein Leben war mager und grau und überwiegend trist, und ich hatte mich an diesen Hintergrund perfekt angepasst. Die diesjährige Frühlingssonne bescheint nicht nur einen Wolf, dem einigermaßen wohl ist in seiner zerkratzten Haut, sondern auch ein goldenes Geflecht von glücklichen, reichen Momenten, das über dem grauen Dasein liegt und das ich bestaune, als gehörte es nicht mir. Ich darf nicht zu genau hinsehen. Reichtum macht mir Angst, wer etwas hat, kann etwas verlieren, und ich habe schon zu oft verloren.

In dem überfüllten Haus meiner Schwiegereltern gehe ich Emilia suchen, um mich zu versichern, dass sie da ist. Ich finde sie im ehemaligen Mädchenzimmer vor dem plastikrosenumrankten Spiegel. Ihre Schwester steht davor, dreht und wendet sich und zupft am Ausschnitt von etwas, das offensichtlich ihr Brautkleid ist.

„… noch irgendwie fest stecken" sagt sie, als ich gegen die angelehnte Tür klopfe und den Kopf durch den Spalt stecke.

„Oh" sage ich, als ich die Anprobe als solche erkenne. „Sorry. Ich komme wieder später. Ich möchte nicht stören."

„Nein, komm nur" sagt Antonia, und Emilia sagt „Reeeemus" und zieht mich am langen E in den Raum hinein. Ich bleibe neben der Tür, und Emilia kommt zu mir und schlingt sich um mich, ihre Kirschenaugen haben einen kleinen roten Rand, der von ein paar Tränen der Rührung kündet, und die sitzen auch noch in ihrer Stimme, als sie sagt:

„Schau doch mal. Sieht sie nicht toll aus?"

Antonia ist die größere, schlankere der Schwestern und vermutlich näher an dem, was das allgemeine Schönheitsideal darstellt. Ihre Haare sind heller und nicht so kraus, und ihre Augen sind blau wie die ihres Vaters, und sie hat ein nettes, offenes Lächeln, das ich sofort wieder erkannt habe, als wir uns vorhin vorgestellt wurden.

„Ich weiß nicht" sagt sie, nimmt die Hände voller Stoff und lässt ihn raschelnd fallen. „Es ist ein bisschen spät, sich's anders zu überlegen, oder?"

„Du siehst toll aus" sagt Emilia, noch während ich nach dem angemessenen Kompliment suche, das man von mir eingefordert hat. „Vor allem die Socken." Sie grinst und zeigt auf selbige, die regenbogenbunt geringelt und mit plüschigen Quasten versehen unter dem Rocksaum hervor lugen.

„Ja, nicht?" sagt Antonia und macht einen Ballerinafuß. „So gehe ich morgen in die Kirche." Sie wirft ihr Haar über die Schulter und uns im Spiegel einen Blick zu. „Und?" sagt sie. „Seid ihr immer noch blau?"

„Pardon me?" sage ich verwirrt, und dann sage ich „Hhhh", als Emilia mir völlig unversteckt ans rückwärtige Ende meines Rückens greift, und ich will schon, aber nein, sie will nur an die Gesäßtasche und zieht den Test raus, der in meinem Besitz verblieben ist.

„Ja" sagt sie nach einem Kontrollblick. „Dunkles Ultramarin mit einer Note von Jeans."

„Ich sehe, man hat die Neuigkeit verbreitet" sage ich und weiß nicht, ob mir das recht ist.

„Nicht weit" sagt Antonia und zupft an einer Stoffrose auf ihrer Schulter. „Nur unter Schwestern. Aber Mama weiß es sowieso."

„Meinst du?" sagt Emilia zweifelnd.

„Keine Frage" sagt Antonia. „Ich hab ihr Gesicht gesehen, als du vorhin aufs Klo gerannt bist."

„Sie hat nichts gesagt."

„Das wird sie auch nicht, so lange du nichts sagst" sagt Antonia. „Und schon gar nicht vor Onkel Michele und Tante Giulia. Du weißt doch, wie die sind, mit heiraten und so."

Ich entnehme der Andeutung, dass meine Vorstellungen vom Wertesystem im traditionell geprägten Italien nicht vollständig auf Vorurteilen und Fehlinformationen beruhen und hoffe, dass zumindest die Gerüchte über öffentliche Steinigungen auf dem Marktplatz ins Reich der Legende gehören (immerhin, sie sind aus Italien, nicht aus dem Jemen, das lässt hoffen).

„Gib mal eine Schere" sagt Antonia und zerrt an einer Stoffrose oder etwas ähnlichem, das auf ihrer Schulter sitzt.

„Was willst du damit?" fragt Emilia.

„Das Ding abschneiden" sagt Antonia energisch. „Meine Haare hängen immer drin, und es sieht blöd aus."

„Waaaaas" sagt Emilia. „Du kannst doch nicht mit einer Schere an dein Brautkleid gehen!"

„Wie denn sonst?" fragt Antonia. „Mit der Kettensäge?"

Ich überlasse die Schwestern dezent ihrem modischen Konflikt und stehle mich davon. Ich will eine ruhige Minute nutzen, von denen es in diesem Haus viel zu wenige gibt, und mich bei Sirius melden, dem Emilia freundlicherweise ihr Exemplar unserer Zwillingsbüchlein überlassen hat, für Notfälle eigentlich und nicht ohne zuvor unsere gesamte verliebte, private und größtenteils nicht öffentlichkeitstaugliche Korrespondenz gelöscht zu haben. Ich setze mich auf die oberste Treppenstufe. Der schwesterliche Stoffrosenkrieg dringt gedämpft durch die Tür zu mir.

Hallo, Pads schreibe ich auf die unberührte erste Seite, und warte.

Und warte.

Pads, schreibe ich. Du hast Post. Wo bist Du?

Und warte.

Ich finde es merkwürdig, dass er nicht antwortet, und noch merkwürdiger, dass er nicht längst versucht hat, mich zu erreichen, ich war eigentlich davon ausgegangen, dass mein Büchlein mir pausenlos in der Tasche vibrieren würde. Ich hatte ihn sagen hören, er wollte mich nicht stören an diesem Wochenende, und ich sollte meine Familienfeier genießen (ungeachtet der Tatsache, dass es nicht meine Familie ist, die feiert), aber ich war davon ausgegangen, dass sein Durchhaltevermögen spätestens am Freitag abend aufgebraucht sein würde. Der Hundeteil seiner Seele erträgt keine Trennung von Herrchen für mehr als ein paar Stunden, aber vielleicht ist es Tonks' heilsamer Einfluss, der ihn allmählich aus seiner verkrampften Fixierung löst und mir Raum zum Atmen verschafft. Trotzdem hätte ich ihm gerne erzählt, dass wir jetzt blau sind, und bin ein wenig enttäuscht, als auch nach ein paar Minuten statt einer Antwort lediglich mein künftiger Schwiegervater auf der Treppe erscheint.

„Hallo, Remus" sagt er. „Ich hoffe, wir haben dich nicht vertrieben?"

„Nein" sage ich und klappe das Büchlein zu. Am wahrscheinlichsten ist er bei Tonks und hat seines auf dem Küchentisch liegen lassen.

„Kommst du wieder runter mit Emilia?" fragt Konrad. „Michele und Giulia würden euch gerne sehen."

Ich erkläre Konrad den Stoffrosenkrieg und folge ihm dann die Treppe hinunter, damit die italienische Verwandtschaft zumindest schon mal den Engländer bestaunen kann. Das Büchlein stecke ich in die Tasche, für später.

oooOOOooo

Später, in diesem Fall, ist sehr viel später. Ein stetiger, sanft an- und abschwellender Fluss an DiDios, Trapanes und Ligusters strömt durch das Haus, und nur mein geschultes Namensgedächtnis bewahrt mich davor, Maria mit Marietta, Rosi mit Lotte, Michele mit Helmut, Valerie mit Giulia, Alessia mit Martina und Lorenzo mit Samuele zu verwechseln. Der einzige, den ich zweifelsfrei mit niemandem verwechseln kann, ist Bilbo, der im Gegensatz zur restlichen Verwandtschaft plüschig und schwarz ist und gelassen eine Möhre mümmelt. Er ist eigentlich ein Mädchen und hat wirklich Glück gehabt, dass einer aus der Verwandtschaft ihn mal von der Autobahn gerettet hat, wo er auf einem Rastplatz herum hoppelte und beinahe unter die Räder eines Tanklastzuges geraten wäre. Ich verstehe nicht ganz, warum man ihn mitgebracht hat, aber mit seiner schweigsamen Natur ist er mir ein angenehmer Gesellschafter (und dumm genug, keine Angst vor dem Wolf zu haben, oder vielleicht fürchtet man sich als Kaninchen auch nicht mehr vor einem einzelnen Wolf, wenn man mal einem Tanklastzug ins grelle Scheinwerferauge geblickt hat).

Dann dünnt der verwandtschaftliche Strom allmählich aus und versiegt. Zurück bleibt das gedämpfte Licht des späten Abends, eine rumpelnde, plätschernde Spülmaschine und (aus Gründen, die ich nicht verstanden habe) Bilbo, der sich in seinem Käfig neben dem Aquarium ein nettes Heubettchen gemacht hat. Meine künftigen Schwiegereltern zeigen deutliche Anzeichen von Erschöpfung: Konrad sitzt und schaut mit leerem Blick auf seine Zeitung, und Donna Anna bewegt sich mit ihrer Liste durchs Haus wie Luis' ferngesteuertes Auto, so ziellos wie geistesabwesend. Es ist schließlich Emilia, die in Umkehrung früherer Verhältnisse ihre Eltern ins Bett schickt und dann auch gleich selbst ihren eigenen Rat befolgt. Unserer Tête-a-tête auf der geflickten Luftmatratze gerät kurz und kuschelig, bevor der Schlaf sie in meinen Armen schwer werden lässt, und dann liege ich da und lausche auf ihren Atem und bin der einzige in diesem Haus, der nicht schläft. Nicht, dass ich nicht müde wäre, aber die Koinzidenz von Müdigkeit und Schlaf ist bei mir leider nicht immer gegeben. Ich habe meine Routinen für diese Fälle: Tee, und ein Buch oder eine Zeitung, und nur nicht herum liegen und ins Grübeln geraten. Ich rolle mich also so leise und erschütterungsarm, wie ich kann, von der Matratze, suche im Dunklen Hemd, Hose und Socken und schleiche mich raus.

Ich bin nicht der einzige, der nicht schläft. Die Fische schweben träge zwischen den Wasserpflanzen, die in einer künstlichen Strömung wehen, und Bilbo macht erwartungsvoll Männchen und knabbert an den Gitterstäben, als ich im Wohnzimmer das Licht einschalte. Ich öffne sein Türchen und streichle ihn mit einem Finger zwischen den Ohren, bis er sich unter meiner Hand ganz flach macht. Sein Fell ist seidig weich, und sein schwarzer Glanz erinnert mich an ein anderes Vorhaben. Ich schließe das Türchen, gerade als Bilbo unter meiner Hand hinweg einen Vorstoß ins Wohnzimmer wagen will, und ziehe das Büchlein aus der Gesäßtasche. In der Küche finde ich einen kurzen Ikea-Bleistift, schreibe Hallo, Pads und lege das aufgeschlagene Büchlein auf den Küchentisch, um eine Antwort abzuwarten.

Es kommt wieder keine. Ich schlucke an einem kleinen, unguten Gefühl. Um mich abzulenken, werfe ich vorsichtige Blicke in die Ligustersche Vorratshaltung, um möglicherweise eine Alternative zum geschredderten Altpapier des Vormittags zu finden (der Teeladen ist, wen wundert es, natürlich in Vergessenheit geraten), aber außer sehr altem Pfefferminz und merkwürdig verfärbter Kamille bietet sich nicht wirklich etwas an. Ich seufze in die stille Küche. Ich vermisse meinen Tee. Ich trinke ein Glas Wasser und fixiere das Büchlein, aber dadurch will es auch nicht in Vibration geraten. Ich versuche, mich zwischen Böll und der Tageszeitung zu entscheiden, aber irgendwie will keine rechte Stimmung aufkommen. Der Tee fehlt, und irgendwie fehlt auch ein spuckendes Gaslicht und die Erwartung von Hundekrallen, die über Steinboden kratzen.

Ich werfe einen Blick in den Kühlschrank. Emilia hat mir eingeschärft, ich sollte essen, wann immer mir danach wäre, und der letzte aufmerksame Blick in den Spiegel hat mir gezeigt, dass sie das nicht sagt, weil sie zu viel Atem hat. Das grelle Kühlschranklicht dringt mir durch die Augen und kitzelt meine Kopfschmerzzentrale. Ich strecke die Hand gerade nach einer Tüte Milch aus, als es knackt, und Dunkelheit auf mich fällt.

„Hoppla" sage ich und ziehe die Hand zurück. Das Kühlschranklicht ist aus. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster: Die Straßenbeleuchtung ist aus, die gegenüber liegenden Häuser dunkel. Die dünne Sichel des abnehmenden Mondes steht am schwarzen Himmel wie eine alte, silbrige Narbe. Die rote Zeitanzeige des Radios auf dem Fensterbrett ist erloschen. Ich suche nach meinem Zauberstab, ehe mir einfällt, dass er oben neben der Luftmatratze auf dem Boden liegt. Ich atme aus, konzentriere mich und mache mir stablos eine Handvoll Feuer. Es gerät ein wenig heiß und prickelt unangenehm auf meiner Handfläche, aber es wirft genug Licht, damit ich auf meinem Weg durch das unvertraute Haus keine lärmenden Unfälle produziere.

Ich leuchte in den dunklen Flur. Von irgendwoher höre ich gedämpftes Rumpeln und eine Tür klappen.

„Mist, verdammter" brummelt mein künftiger Schwiegervater. Es kommt aus dem Keller. Ich mache mich vorsichtig auf den Weg, die Treppe hinunter.

„Konrad?" sage ich und leuchte in den dunklen, engen Kellerflur.

„Remus" sagt er und erscheint in einer Türöffnung rechts von mir. „So ein Mist. Ich glaube, ich habe einen Kurzschluss produziert. Das kommt davon, wenn man nicht bei der Sache ist. Übrigens, deine Hand brennt."

„Ich weiß" sage ich. „Keine Sorge. Und ich glaube nicht, es ist ein kurzer Schluss. Die ganze Straße hat kein Licht."

„Leuchte mir mal" sagt er und zeigt auf eine andere Tür. „Ich möchte mal einen Blick in den Sicherungskasten werfen."

Ich tue wie gebeten. Der Sicherungskasten im Wäschekeller zeigt keine Unauffälligkeiten, alle Sicherungen sind an Ort und Stelle.

„Hm" sagt Konrad. „Seltsam. Ich wollte gerade den Verstärker anschließen, und ich dachte eigentlich, ich hätte Plus und Minus aneinander gebracht. Aber offenbar liegt es am E-Werk, oder am Verteiler. Blöder Mist." Er schließt den Sicherungskasten und lächelt resigniert.

„Warum bist du noch unterwegs?" sagt er. „Kannst du auch nicht schlafen?"

„Nein" sage ich. „Nicht gut. Ich war gegangen für eine Tasse Tee oder etwas."

„Was dagegen, wenn ich mich anschließe?" fragt er und macht eine Geste zur Treppe.

„Ich bin erfreut" sage ich und leuchte ihm zur Treppe. „Vielleicht hast du eine Kerze in der Küche. Meine Hand wird sehr warm, langsam."

„Natürlich" sagt er. „Bemerkenswerte Leute, ihr Zauberer. Wirklich. Ich werde nie vergessen, wie Emilia uns ihren ersten vorgeführt hat. Sie hat ein Ei in einen Wellensittich verwandelt. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis wir den eingefangen hatten, und dabei haben wir ihr immer eingeschärft, dass man mit dem Essen nicht spielt."

Ich lächle bei der Vorstellung, und dann erstirbt die freundliche Erwiderung auf meinen Lippen, weil die Luft plötzlich aufgeladen ist mit arkaner Energie, die meine Nackenhaare aufstellt und in meinem Feuer knisternde Funken erzeugt. Konrad bemerkt nichts, geht in die Küche und beginnt, in einer Schublade zu kramen.

„Leuchte mir bitte mal" sagt er, aber ich bleibe im Flur stehen wie angewachsen. Das Feuer beißt mich in die Hand, und ich lasse es verlöschen. Es ist stockdunkel, nur ein kleines, rötliches Licht geistert um meine Fingerspitzen, ehe es sich verliert. Die Luft atmet sich schwer, eine arkane Präsenz nähert sich, ich spüre ungebändigte Magie, wie sie frei wird, wenn ein komplexer Zauber fehl schlägt und die arkane Energie sich ungelenkt entlädt. Der Wolf erwacht und wittert, und dann zieht es ihn mit Macht nach draußen.

„Ich bin gleich zurück" sage ich zu Konrad, der erstaunt im Dunkeln steht, reiße die Haustür auf und trete in den dunklen Vorgarten, der plötzlich gar nicht mehr so dunkel ist, denn da nähert sich aus dem Himmel etwas, das aussieht wie der volle Mond, nur dass der nicht aus dem Himmel stürzen sollte, er sollte auch keine erstickten Motorengeräusche von sich geben und flackernde, knallende, gleißend blaue arkane Entladungen produzieren, und er sollte auch ganz bestimmt nicht mit einem Knall und einem hässlichen Knirschen auf dem schmalen Fußweg zwischen den Häuserreihen aufsetzen und Funken sprühend Kurs auf den Gartenzaun nehmen.

Ich gehe in Deckung. Es kracht, ich höre Holz splittern. Erde spritzt mir gegen die Arme, die ich vor dem Gesicht verschränkt habe. Dann ein dumpfer Aufschlag, und der Flieder schüttelt mit einem hölzernen Stöhnen seine kahlen Zweige. Es wird still. Ein stechender Geruch nach verbranntem Gummi und Benzin macht sich breit. Ich nehme die Arme vom Gesicht.

Der Gartenzaun ist explodiert, zumindest sieht es so aus, denn die Zaunlatten liegen in klarem Explosionsmuster über den Vorgarten verteilt. Eine schwarze Bremsspur führt über den Fußweg zum Einschlagsort. Der volle Mond, der auf die Größe eines Frühstückstellers geschrumpft ist, beleuchtet Gras und struppiges Vorjahresunkraut. Darüber dreht sich mit glitzernden Speichen ein Rad. Ich sehe Chrom blitzen. Ich erkenne die Lady, auch wenn sie auf dem Rücken liegt. Es ist still. Mir wird sehr kalt.

Ich brauche einen Anlauf, ehe mir Worte über die trockenen Lippen wollen.

„Pads" sage ich. „Pads? Pads? Sag was, bitte."

Ich mache einen Schritt auf den Weg, ich bewege mich wie ein Blinder.

„Pads" sage ich und kenne meine Stimme kaum, sie kommt verzerrt zu mir wie durch die dicken Schwaden eines Alptraumes. „Sag was. Du hast dich doch nicht umgebracht, oder? Oder? Du hast keinen Blödsinn gemacht, bitte. Du hast bitte, bitte… Pads. Bitte."

Ich bin bei dem Motorrad angekommen, dessen Vorderteil die Kollision mit dem Flieder hatte. Ich greife in die Speichen des Vorderrades, um die Drehung zu stoppen, und dann kippe ich die schwere Maschine von der reglosen Gestalt, die zwischen Baumstamm und Maschine eingeklemmt ist. Von irgendwo höre ich Emilias Stimme. Ich gehe in die Knie. Ich sollte einen Puls fühlen, aber meine Hände zittern viel zu sehr. Ich lege sie auf seine Schulter, die in der schweren Motorradjacke steckt, und versuche, ihn so zu drehen, dass ich sein Gesicht sehen kann.

„Mmmmmm" murmelt er benommen. „Moony…"

Ich lasse in einem schweren Seufzen die Luft raus, die meinen Brustkorb verstopft hat. Ich atme durch, mehrmals, etwas ist feucht auf meinen Wangen und ich bin froh, zu sitzen, meine Beine sind so weich, dass sie mein Gewicht kaum tragen könnten.

„Sirius Black" sage ich, und meine Stimme ist so umgekippt, dass sie sich fast lächerlich anhört. „Du riesengroßer, komplett verrückter Vollidiot. Was hast du gemacht? Zum Teufel! Ich dachte, du hättest dich umgebracht."

„Quatsch" murmelt er und richtet sich vorsichtig auf. „Ich hab' das alles im Griff." Seine Wangen sind mit Erde verschmiert, das rote Tuch, das er sich um die Stirn gebunden hat, ist ihm über die Augen gerutscht, und mit einer fahrigen Bewegung fummelt er es aus den Haaren und knüllt es in der Hand zusammen. Blinzelnd sieht er sich um, und dann kommt das jungenhafte Grinsen zurück, noch etwas schief.

„Heh" sagt er. „Bin ich hier richtig bei Ligusters?"

„Wonach sieht's denn aus?" schnaube ich und bemerke selbst, dass ich den Entrüsteten nicht sonderlich überzeugend spiele.

„Was ist mit der Lady?" fragt er und kommt auf alle Viere, Besorgnis im erdverschmierten Gesicht.

„Sie hat einen Gartenzaun durchschlagen und einen Flieder gerammt" sage ich. „Sie ist hin, was soll sie sonst sein."

Er gibt ein schmerzverzerrtes Jaulen von sich und greift nach dem Lenker, der schief nach oben in die Luft steht.

„Gestatte, dass ich deine Prioritäten ordne" sage ich und bin erleichtert, dass ich mich schon wieder anhöre wie ich selbst. „Was ist mit dir? Tut dir was weh? Bist du verletzt?"

„Ich glaube nicht" sagt er mit forschend nach innen gerichtetem Blick. „Abgesehen von meinem Stolz. Ich hatte einen wesentlich cooleren Auftritt geplant."

„Zumindest hast du dafür gesorgt, dass keiner von uns ihn so schnell vergessen wird" sage ich. „Was machst du eigentlich hier?"

„Was wohl" sagt Emilia finster, die in einem geblümten Morgenmantel und Pantoffeln neben mir auftaucht und auf Sirius hinunter starrt, die Arme vor der Brust verschränkt. „Uns auf die Nerven gehen, was sonst. Wahrscheinlich war niemand in Nummer Zwölf, mit dem er das tun konnte."

„Und ich freue mich auch, dich zu sehen, bezaubernde Emilia" sagt Sirius mit einem fast echten Strahlen.

„Eines nach dem anderen" sage ich und zwinge mich, immer noch zitternd, in die Höhe. Ein Blick auf die Straße zeigt mir, dass die Straßenlaternen wieder leuchten. Diverse Fenster in den umliegenden Häusern sind erhellt, und Nachbarn sehen nach dem Rechten.

„Herr Liguster?" ruft eine Frau von nebenan, und ich bemerke meinen künftigen Schwiegervater, wie er in den Resten seines Zaunes herum steigt und den Schaden begutachtet. „Soll ich die Polizei rufen? Oder einen Krankenwagen?"

Konrad sieht zu mir hinüber, und ich schüttle eilig und dringend den Kopf.

„Nein, danke" sagt er. „Wir machen das selbst, falls es nötig wird."

„Immer diese Verkehrsrowdys" sagt sie. „Und das, obwohl wir ja jetzt die verkehrsberuhigte Zone haben. Unglaublich."

Einstweilen helfe ich Sirius in die Höhe. Er steht etwas wackelig, aber ich auch, und so halten wir uns aneinander und an dem geschundenen Flieder fest, bis wir besseren Stand haben.

„Hat jemand dich fliegen sehen?" frage ich ihn gedämpft, und er schüttelt den Kopf.

„Die Maskierung ist zuletzt ausgefallen" sagt er. „Ich hatte ein Problem mit der Benzinleitung, schon seit Brüssel, und dann schwächelte der Mobilimachina und machte so komische Aussetzer…"

„Und weder das eine noch das andere ist ein Grund, zu landen und sich mal drum zu kümmern" sage ich und schwanke rückwärts gegen den Flieder, als er sich schwer auf meine Schulter lehnt.

„Na ja" sagt er und grinst mich schief an, und ich bin so maßlos froh, dass er das noch tun kann, „ich dachte, ich schaff' es noch. Hab ich ja auch, genau genommen."

„Plan beim nächsten Mal ein bisschen mehr Spielraum ein, ja?" sage ich. „Dein Timing ist nichts für meine Nerven."

Er macht einen Schritt, auf mich gestützt, und verzieht das Gesicht.

„Aua" sagt er.

„Was?" sage ich.

„Fuß" sagt er. „Mist. Verstaucht oder etwas."

„Komm erst mal rein" sage ich und versichere mich bei Emilia: „Er kann rein kommen, oder nicht?"

„Natürlich" sagt sie seufzend. „Wohin denn auch sonst mit ihm. Er hat schließlich gerade sein Transportmittel verschrottet."

„Sag nicht so etwas" sagt Sirius und verzieht in tiefem Schmerz das Gesicht.

„Außerdem gibt es da noch einen Zaun, den du reparieren musst" sagt sie und mustert ihn finster, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Vergiss den blöden Zaun" sagt er mit großzügiger Geste. „Kümmern wir uns lieber um die Lady. Stell sie mal richtig hin, Moony."

„Nein" sage ich.

„Warum nicht?" sagt er verletzt.

„Weil du umfällst, wenn ich dich jetzt los lasse" mache ich ihn aufmerksam.

„Oh" sagt er.

Emilia stöhnt auf und wirft die Arme in die Luft. „Papa?" sagt sie. „Komm. Hilf mir mal."

Gemeinsam richten die beiden das Motorrad auf und lehnen es gegen den malträtierten Flieder.

„Läuft was aus?" fragt Sirius besorgt und beugt sich nach vorne. „Öl? Benzin? Nein? Das ist gut". Er untersucht ein paar tiefe Kratzer im Lack und eine Stelle vorne am Sattel, wo das Leder in Fetzen hängt. „Armes Mädchen" sagt er. „Keine Sorge. Wir kriegen dich wieder hin."

„Du kannst auch hier bleiben und ihr Händchen halten" sagt Emilia. „In der Zwischenzeit geh ich wieder rein, ich finde es nämlich ziemlich kalt hier draußen."

Wir folgen ihrem Vorschlag, Sirius zögernd, ich umso energischer. Jetzt, wo sie es sagt, stelle ich fest, dass meine Füße, die in nichts als Socken stecken, zu Eisklumpen gefroren sind. Offensichtlich kehrt mein Körpergefühl erst ganz allmählich zurück, und so ist mir dieses Detail bisher entgangen. Wir verlagern uns also ins Innere, eine Spur aus nasser Erde hinter uns her ziehend.

„Küche" sagt Emilia und streckt den Finger aus. „Ohne ein paar Clarifico kommt keiner von euch ins Wohnzimmer."

Auftritt Donna Anna. Ich hatte ja darauf gewartet, aber sie scheint einen festen Schlaf zu haben (und das Schlafzimmer zur anderen Seite).

„Was iste hier los?" kommt ihre tragende Stimme von der Treppe. „Was soll de Lärm mittene in der Nacht?" Sie trägt das in rosa, was Emilia in geblümt trägt, und schreitet in Pantoffeln die Treppe hinunter wie eine Diva.

„Konrad" sagt sie und zeigt mit dem Kinn auf mich, beziehungsweise auf Sirius, der mir immer noch um den Hals hängt. „Wer iste das?"

„Wir hatten noch keine Gelegenheit, uns vorzustellen" sagt Konrad gelassen. „Er hatte einen Motorradunfall in unserem Vorgarten, und er ist offensichtlich ein Freund von Emilia und Remus."

Sirius, der kein Deutsch versteht, sieht einstweilen von einem zum anderen und lächelt sein charmantestes Lächeln.

Donna Anna wirft einen strengen Blick in die Runde, dann rauscht sie an uns vorbei zur Haustür, um nach dem Rechten zu sehen. Einstweilen manövrieren wir Sirius in die Küche und setzen ihn an den kleinen Küchentisch, und ich versuche, seinen hoffentlich nur verstauchten Fuß aus dem schweren ledernen Motorradstiefel zu befreien. Er zieht die Luft durch die Zähne, beklagt sich aber nicht.

„Holen wir doch die Förmlichkeiten nach" sagt Konrad und streckt Sirius die Hand hin. „Ich bin Konrad Liguster, der Besitzer des Gartenzaunes. Ex-Gartenzaunes. Und Sie sind…?"

Sirius nimmt die Hand, sagt „Hi" und lächelt charmant mit einer Prise von Schmerz.

„Er versteht kein Deutsch" sage ich.

„Oh" sagt Konrad, „kein Problem" und wiederholt sich in tadellosem Englisch.

„Sirius Black" sagt Sirius. „Freut mich sehr." Ich habe endlich den dreckverklebten Stiefel in der Hand und frage mich, warum er nach eigenen Angaben Tage in der Bibliothek zugebracht hat auf der Suche nach einem guten Decknamen, wenn er ihn dann nicht verwendet.

Dann fliegt die Küchentür auf, und Donna Anna betritt die Szene. Ich stelle schnell den dreckigen Stiefel unter den Tisch. Mit ausgefahrenem Zeigefinger kommt sie auf Sirius zu.

„Hör des Donners Rachestimme…" summe ich vor mich hin.

„Sie!" sagt sie. Sirius macht seinen unschuldigen blauen Augenaufschlag, aber sie türmt sich unbeeindruckt über ihm wie eine Gewitterwolke (eine rosa Gewitterwolke).

„Hi" sagt Sirius.

„Sie sind besser eine Zauberer und machene mir Garten eins-zwei in Ordnung!" herrscht sie ihn an. „Was Sie da habene angerichtet ist un-glaub-lich!"

„Vor dem Blitz des Himmels zage…" summe ich.

„Was singst du?" fragt Emilia verwirrt.

„Nichts" sage ich. „Bisschen Don Giovanni."

Sie sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

„Erklär ich dir ein andermal" sage ich.

Einstweilen hat Konrad seine Frau darüber aufgeklärt, dass ihre Strafpredigt an Sirius verschwendet ist, mangels Deutschkenntnissen, und sie fackelt nicht lange, sondern wiederholt sich in ulkigem, aber fließendem Englisch und unverminderter Lautstärke. Sirius sitzt auf seinem Stuhl und zieht ein wenig die Schultern hoch, ich nehme an, er fühlt sich familiär erinnert. Unter Donna Annas gestikulierenden Armen wirft er mir einen hilfesuchenden Blick zu, von Kopf bis Fuß geprügelter Hund, und weil es immer so ist, dass seine Blicke mich weich machen, gehe ich und schiebe mich sehr vorsichtig zwischen die Furie und ihr Opfer.

„Wir reparieren das" sage ich. „Kein Problem. Morgen oder Sonntag, bevor wir abreisen."

„Und warum nicht gleich?" sagt Sirius. „Wenn der blöde Zaun so wichtig ist. Ein paar Reparos, und die Sache hat sich."

„Vergiss die Reparos" sage ich. „Die halbe Nachbarschaft war auf den Beinen. Was glaubst du, was die sagen, wenn der Zaun morgen früh wieder aussieht wie neu."

„Hm" sagt Sirius. „Die Muggel-Variante, also?"

Ich nicke.

„Ob das spannend ist?" sagt er zweifelnd und bläst die Backen auf.

„Ob mir das egal ist, wenn du dich dabei langweilst?" sage ich in unmissverständlichem Herrchen-Tonfall, und er deutet ein Winseln an und zeigt mir die erdverschmierte, weiße Seite seines Halses. Er ist ein bisschen viel Hund im Augenblick, selbst wenn er auf zwei Beinen geht, es liegt wahrscheinlich an den langen Tagen, die er als Vierbein in der Schule verbringt. Ich frage mich, ob ihm das auf Dauer schaden kann.

„Wir brauchen ein paar Sachen aus dem Baumarkt" sagt Konrad. „Ich habe nicht alles im Keller, was wir für eine solche Reparatur brauchen. Und um elf ist Trauung. Das könnte knapp werden. Vielleicht lassen wir den Zaun einfach bis nächste Woche und reparieren ihn, wenn es ruhiger ist."

„Wie schade" sagt Emilia. „Das wäre mal eine erzieherische Maßnahme gewesen. Sirius mit dem Akku-Schrauber."

„Wir kommen wieder" biete ich an. „Wir finden eine Möglichkeit. Morgen ist wahrscheinlich wirklich zu knapp."

„Wo wir gerade bei der Party sind" sagt Sirius und schlägt seine blauen Augen zu den versammelten Damen Liguster auf. „Bin ich eingeladen? Wo ich doch schon mal hier bin?"

„Was uns zu der Frage bringt, warum du eigentlich hier bist" sage ich.

„Wegen der Party" schnaubt Emilia. „Weshalb denn sonst? Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass etwas ohne ihn statt findet."

Ein Schatten fällt über sein Gesicht, den außer mir wohl niemand bemerkt.

„Ist das nicht nur natürlich?" sagt er und macht sein Gesicht, mit dem er früher schon alles erreichen konnte, ganz dunkle Wimpern und geschwungene Lippen und Grübchen in den Wangen, nur der Schatten will nicht recht passen. „Es gibt Hunde, die Tausende von Meilen zurücklegen, nur um wieder bei Herrchen zu sein. Eine Spritztour mit dem Motorrad ist da wirklich keine Herausforderung."

„Habe ich das richtig verstanden?" fragt Konrad verwirrt. „Sie haben noch einen Hund dabei?"

„Wie man's nimmt" sagt Sirius und lächelt sanft.

„Natürlich nicht" sage ich. „Wie sollte der den auf dem Motorrad untergebracht gewesen sein."

„Natürlich nicht" sagt Konrad und schüttelt verwundert den Kopf. „Nun, wie auch immer, Hund hin oder her, Sie sollten zunächst nach Ihrem Knöchel sehen und sich morgen vielleicht um eine Werkstatt für Ihr Motorrad kümmern. Die Nacht können Sie auf dem Sofa verbringen. Mehr haben wir leider nicht anzubieten – wir sind vollständig ausgebucht, sozusagen."

„Sofas sind toll" sagt Sirius strahlend. „Vielen Dank. Ich liebe Sofas. Man wird nicht überall aufs Sofa gelassen."

Ich lege die Hand vor die Augen und gestatte mir einen Augenblick der Kontemplation, oder vielleicht ist es auch nur Erschöpfung. Zu meiner grenzenlosen Dankbarkeit tragen meine Schwiegereltern den merkwürdigen Gast mit Fassung. Donna Anna sucht ihm sogar noch eine Decke raus.

„Schläfste du besser schnell" sagt sie und fährt ihren Zeigefinger gegen Sirius aus. „Stehst du morgen früh auf und trägst Holz im Garten zusammen, damit Hochzeitsgäste nicht darüber stolpern, haste du verstanden?"

„Okay" flüstert Sirius und schaut tatsächlich ein wenig betreten drein.

Dann ziehen meine Schwiegereltern sich zurück, um sich vor dem großen Tag morgen doch noch ein wenig zu erholen, und wir bleiben zu dritt in der Küche, es scheint etwas Schicksalhaftes zu haben, dass wir immer in der Küche landen. Sirius schnürt den zweiten Stiefel auf und streift ihn ab, bevor er stöhnend seinen Knöchel betastet.

„Gebrochen?" frage ich besorgt, und er wackelt probeweise mit den Zehen. „Glaube nicht" sagt er und verzieht das Gesicht.

„Du weißt, dass alles, was einen Krankenhausaufenthalt erforderlich macht, schwierig wird" sage ich. „Wir können das Risiko nicht eingehen, dass man dich in St. Mungo's erkennt."

„Dann geh ich in ein Muggel-Krankenhaus" sagt er. „Ich hab doch einen prima gefälschten Pass."

„Aber keine Versichertenkarte" sage ich. „Ich schlage vor, du hörst einfach auf, vom Himmel zu fallen."

„Okay" sagt er gleichmütig. „Hilfst du mir bei dem Mobilimachina? Ich habe ja eine Theorie, dass er sich nicht mit Elektrosmog verträgt. Die Lady schnurrte am besten über unbewohntem Gebiet."

„Das ist nicht ausgeschlossen" sage ich. „Allerdings würde es bedeuten, dass etwas mit dem arkanen Integral nicht stimmt. Wenn es einen Vierteltakt außer Phase ist, oder einen halben, könnten Interferenzen im Energiefluss auftreten. Wir müssten dann zurück aufs arkane Differential und das Integral neu skalieren, was ungefähr…"

„Moony" sagt er. „Moony-Loony-Moony. Lass stecken. Sag einfach ja oder nein."

„Ja" sage ich seufzend.

„Okay" sagt Emilia. „Vielleicht liegt es an der Uhrzeit, aber außer wir und und hab ich nichts verstanden. War das wirklich Englisch?"

„Nö" sagt Sirius. „Das war Arithmantiker-Babbel. Das versteht man nicht als normaler Mensch."

„Du willst also, dass ich dir die Lady wieder zum Fliegen bringe, ohne dich mit dem Wie und Warum zu belästigen" fasse ich zusammen, ich könnte beinahe ein wenig frustriert sein, wenn ich nicht so glücklich wäre, dass er seinen halsbrecherischen Stunt einigermaßen unversehrt überstanden hat.

„Ja" sagt er und lächelt entwaffnend. „Gibt's eigentlich etwas zu essen für mich? Ich bin völlig ausgehungert."

„Bedien dich" sagt Emilia und öffnet den Kühlschrank, bevor sie wieder mit verschränkten Armen am Herd Aufstellung nimmt. Sie ist offenbar heute nicht mehr bereit, unserem unerwarteten Besucher etwas von der ihr sonst eigenen Herzlichkeit zukommen zu lassen. Mir wird klar, dass ich gefordert bin. Ich habe eine Nacht, um sie versöhnlich zu stimmen, oder sie wird die Hochzeit ihrer Schwester mit einer selbstgemachten Gewitterwolke beglücken.

Einstweilen stemmt Sirius sich theatralisch stöhnend von seinem Stuhl hoch und humpelt zu Kühlschrank.

„Bisschen Eis wäre auch nicht schlecht" sagt er. „Für den Fuß."

„Es sind vielleicht Gelpacks im Gefrierfach" sagt Emilia. „Schau mal nach."

Zuerst jedoch durchforstet Sirius, Nase voraus, den Kühlschrank, nimmt sich ein Joghurt und ein Stück Käse und zieht schließlich eine abgedeckte Schüssel heraus, um den Inhalt zu überprüfen.

„Hmmm" sagt er mit glänzenden Augen. „Lecker. Was ist das denn?"

„Tentakelsalat" sage ich, während ein intensiver Geruch nach Zwiebeln und Fisch sich in der Küche breit macht.

„Cool" sagt er, fischt mit den Fingern ein Tentakelfragment aus der Soße und probiert es. Emilia schlägt sich die Hand vor den Mund, beugt sich vornüber und verlässt mit hilflosem Gesicht fluchtartig die Küche.

„Was hat sie?" fragt Sirius erstaunt mit vollem Mund.

„Nichts" sage ich. „Nimm eine Gabel."

Er tut wie ihm geheißen und macht sich dann zielgerichtet über den Schüsselinhalt her.

„Toll" sagt er begeistert. „Das beste, was ich seit langem hatte. Hier, diese kleinen, vor allem. Mit diesen süßen kleinen Saugnäpfchen."

„Oh, bitte, lass mich teilhaben" sage ich und verdrehe die Augen.

„Gerne" sagt er und hält mir die Schüssel hin.

„Vergiss es" sage ich und wende den Blick, ehe er sich an den süßen kleinen Näpfchen festsaugen kann.

„Kriegen wir Emilia dazu, dass sie uns so etwas in Nummer Zwölf auch mal kocht?" fragt er kauend.

„Wohl kaum" sage ich. „Meine Schwiegermutter hat es gekocht. Und wie du vielleicht bemerkt hast, ist Emilia mindestens ebenso wenig begeistert von Tentakeln wie ich."

„Was für eine Furie" sagt Sirius kopfschüttelnd. „Ich wusste ja gar nicht, dass Emilia und ich ein so schweres Schicksal teilen."

Ich verzichte darauf, mich in eine Diskussion über die Vergleichbarkeit der Damen Black und Liguster zu verstricken. Ich überlasse Sirius seiner Liaison mit den Saugnäpfen und gehe nach Emilia sehen. Sie ist in dem kleinen Badezimmer und hält ihre Hände unters Wasser. Sie ist blass, ihre Augen sind klein und müde.

„Sieh es positiv" sage ich. „So ist das Zeug wenigstens weg und wartet nicht auf dich, jedes Mal, wenn du den Kühlschrank aufmachst."

Sie nickt und lächelt bemüht.

„Was müssen wir tun, damit wir mal ein paar Tage unter uns sind?" fragt sie. „Ich meine, das gibt's doch nicht. Er ist wie ein Schnupfen, den man nicht los wird."

„Sei nicht unfair" sage ich und bemühe mich, meine Stimme leise zu halten. Das Haus ist nicht so groß, dass man nicht in der Küche hören könnte, was im Badezimmer gesprochen wird. „Du weißt, er hat seine Probleme. Vielleicht hätten wir ihn für das Wochenende bei Weasleys unterbringen sollen, oder vielleicht hätte Tonks Urlaub nehmen sollen. Es war vielleicht einfach nicht zumutbar für ihn, alleine in dem leeren Haus zu sein."

„Kann sein" sagt sie. „Aber so lange er nicht allein sein kann, können wir es auch nicht, und das ist ein kleines bisschen beziehungsschädigend auf die Dauer."

„Es wird uns ohnehin schwer fallen, auf einer Veranstaltung mit ein paar hundert Ligusters alleine zu sein" versuche ich sie an das Rahmenprogramm zu erinnern. „Ich meine, er ist uns schließlich nicht auf eine einsame Insel gefolgt."

„Das war ja so klar" sagt sie und dreht mit einer harten Bewegung das Wasser ab. Sie hat diesen Zug um den Mund, der mir sagt, dass sie jetzt nicht mehr zu stoppen sein wird. „Dass du ihn verteidigen würdest. Ich hätte mir das denken können. Es stört dich nicht mal, dass er hier ist. Ich hab dein Gesicht gesehen. Du hast dich einfach nur gefreut."

„Ich habe mich einfach nur gefreut, dass er sich nicht verletzt hat bei seinem Unfall" sage ich und versuche vergeblich, mich nicht in die Ecke gedrängt zu fühlen. Der Wolf schätzt es nicht, wenn man ihn in die Ecke drängt, er ist ein Angstbeißer. „Du weißt, dass wir enorme Schwierigkeiten bekommen bei allem, was über Poppys Möglichkeiten in Nummer Zwölf hinaus geht."

„Quatsch" sagt sie finster. „Ich habe dein Gesicht gesehen."

„Ich mag ihn" sage ich und frage mich, ob ich mich jetzt tatsächlich für mein Gesicht entschuldigen muss. „Ich lebe in seinem Haus. Es ist vielleicht nur natürlich, dass er mich weniger stört als dich."

„Du siehst ihn mehr als mich" sagt sie und greift nach dem Handtuch.

„Ja" sage ich. „Und wie sollte ich das ändern? Es liegt in der Natur der Umstände. Du siehst Severus auch mehr als mich, und immerhin hat Sirius noch nicht versucht, mich zu verführen."

Da. Der Angstbeißer schnappt zu. Mir wird heiß. Mir tut leid, was ich da sage, noch während es über meine Lippen stolpert.

„Ha!" schnaubt sie und verdreht das Handtuch mit einer heftigen Bewegung, als wollte sie ihm den Kragen umdrehen. „Das seh ich aber anders, mein Freund."

„Du vergisst da eine Kleinigkeit" versuche ich sie auf das Offensichtliche hinzuweisen, aber sie schnaubt wieder und schmeißt das erwürgte Handtuch ins Waschbecken.

„Ich glaube nicht" sagt sie. „Er ist ja wohl nicht besonders wählerisch, weder beim Essen noch in anderen Dingen."

„Das ist lächerlich" sage ich und habe alle Hände voll zu tun, damit aus dem Angstbiss kein Massaker wird.

„Vielleicht gründe ich eine Keller-WG mit Severus" faucht sie. „Nur damit du mal weißt, wie sich das anfühlt."

„Emilia" sage ich, aber sie rauscht in bester Tränkemeister-Manier an mir vorbei und hinaus, ihr geblümter Bademantel bauscht sich im Türrahmen.

„Emilia" sage ich und laufe ihr hinterher, mir ist immer noch heiß, und schlecht dazu, und furchtbar elend.

„Ich weiß nicht, was du mit dieser Diskussion bezweckst" sage ich hinter ihr her. „Aber vielleicht führen wir sie, wenn wir beide ausgeschlafen sind, und weniger angespannt."

Sie ist schon auf der Treppe und dreht sich zu mir um.

„Ich bezwecke nichts" sagt sie. „Ich weiß nur manchmal nicht, auf welcher Seite du stehst."

„Das solltest du aber wissen" sage ich.

„Nein" sagt sie. „Weil du's nämlich selbst nicht weißt."

„Das stimmt nicht" sage ich laut, aber sie geht einfach weiter die Treppe rauf und lässt mich mit meinem Dementi im dunklen Flur stehen. Ich bin versucht, ihr zu folgen, aber gleichzeitig zieht es mich zurück in die Küche, in der es verdächtig still ist, und ich frage mich, ob nicht alles viel einfacher wäre, wenn ich mich in der Mitte entzwei reißen könnte.

Ich wähle die Küche und weigere mich, Symbolik darin zu sehen. Ich kann mich nicht zerreißen, und immerhin hat Sirius, überschlägig gerechnet, fünf oder sechs Stunden in der Luft zugebracht, was Mitte März sicher ein kühles Vergnügen ist (wenngleich, für einen wie Sirius, nichtsdestotrotz ein Vergnügen). Er hat es verdient, zumindest vernünftig in Empfang genommen zu werden.

Sirius hat die Schüssel weg gestellt, er steht am Fenster und schaut hinaus zu seiner gerupften Lady. Er hat die Arme um sich geschlungen und sieht aus wie ein verlorenes Kind.

„He" sage ich. „Was macht der Fuß?"

„Geht so" sagt er. Er hat das Gespräch mitgehört, ich erkenne es an der Spannung, die sich zwischen seinen Schultern ballt.

„Ist alles okay?" frage ich und bleibe vorsichtshalber unter der Tür; auch Sirius ist ein Angstbeißer.

„Natürlich" sagt er mit einer Stimme wie gesprungenes Glas. „Alles okay."

Er bewegt sich hart an der Grenze. Ich muss ihn nur kommen lassen. Sirius ist keiner, der die Dinge in sich hinein frisst, und tatsächlich dauert es nur ein paar Atemzüge, bis er seine Selbstumklammerung löst und sich mit beiden Händen durch die Haare fährt.

„Ich hab mich ja schon fast daran gewöhnt" sagt er, plötzlich heftig, „dass alle in mir den kindischen, selbstverliebten Freak sehen, der zu nichts taugt als seiner Umgebung auf die Nerven zu gehen. Aber ich bin auch ein bisschen mehr, Moony. Ich kann denken, und ich kann sogar Verantwortung übernehmen. Und manchmal habe ich sogar Gründe für das, was ich tue."

„Ich weiß" sage ich. „Ich halte dich nicht für einen kindischen, selbstverliebten Freak."

„Du hast auch gedacht, ich bin nur aus Langeweile hier" sagt er. „Wie Emilia. Stimmt's? Der einzige Unterschied ist, dass du ein paar Entschuldigungen gelten lässt."

„Ich habe es zumindest in Erwägung gezogen" sage ich niedergeschlagen. „Es wäre nicht so vollständig untypisch."

„Siehst du" sagt er. „Kindischer Freak. Ich bin aber nicht aus Langeweile hier. Ich bin kein Idiot, Moony. Ich weiß, dass du es mit Emilia schwierig hast wegen mir. Ich kann mich aber nicht in Luft auflösen, und ich kann auch die Umstände nicht ändern, und… mich… nicht ändern. Ich kann nicht… ich weiß nicht… ich… ach, verdammt."

Er lässt den Kopf nach vorne sinken und beginnt, heftig an seinen Haaren zu ziehen.

„Ich musste zu dir kommen" sagt er. „Wie hätte ich in Nummer Zwölf bleiben können? Ich musste… ich musste doch."

Es hält mich nicht mehr auf meinem Platz neben der Tür, ich gehe zu ihm und nehme seine Hände und entflechte seine weißen Finger aus dem Gewirr der schwarzen Haare, seine Augen sind die von jemandem, der sich viel zu nah am Rand bewegt, und ich habe plötzlich Angst, dass er fallen könnte und nie wieder auftauchen. Ich halte seine Hände in meinen, und ich weiß nicht, ob meine zittern oder seine, aber ich werde nicht zulassen, dass er fällt, und langsam ziehe ich ihn vom Rand, und sein flackernder Blick wird ruhiger.

„Entschuldige" murmelt er, und das Zittern seiner Hände klingt in der Stimme nach. „Oh, Merlin. Entschuldige. Ich bin nur so wütend. Ich will einfach nur ernst genommen werden, verdammt noch mal."

„Warum bist du denn gekommen?" frage ich.

„Weil ich glaube, dass jemand hinter dir her ist, und hinter Emilia" sagt er.

„Was?" sage ich, zu erstaunt, um erschrocken zu sein.

„Erinnerst du dich an den Typen in dem Trenchcoat?" fragt er.

„Nein" sage ich. „Welcher Typ im Trenchcoat?"

„Der, mit dem du am Dienstag zusammen gestoßen bist" sagt er. „Auf der Straße vor der Schule. Er hat dir geholfen, deine Sachen aufzuheben."

„Ja" sage ich langsam, ich hatte keine Veranlassung gehabt, mir den belanglosen Vorfall zu merken, aber jetzt erinnere ich mich.

„Er wollte dir noch ein Gespräch reindrücken" sagt Sirius. „Aber dann kam Malin die Treppe runter und wollte etwas, und er ging dann weiter."

„Ja" sage ich. „Und?"

„Er war da nicht zum ersten Mal" sagt Sirius. „Ich habe ihn schon am Montag gesehen, aber ich dachte, es wäre Zufall gewesen. Obwohl er komisch roch. So ein eigenartiges… Geruchsgefühl, das dir die Nackenhaare aufstellt."

„Mhm" sage ich und bemühe mich, zu denken wie ein Hund, um seiner Logik folgen zu können.

„Mittwoch war er wieder da, aber dann war er weg, bevor ich ihn dir zeigen konnte, und dann war ich mit Emilia zum Einkaufen verabredet und hab's vergessen, und dann dachte ich, dass ich's mir wahrscheinlich nur eingebildet habe" sagt er. „Ich meine, Padfoot-Vierbein fand den Typen seltsam, aber für Padfoot-Zweibein stellen sich die Dinge doch oft anders dar."

„Ich weiß" sage ich. „Und weiter?"

„Dann hatte ich heute Nachmittag ein sehr merkwürdiges Gespräch mit Snivellus" sagt er und deutet ein Lächeln an, als er mein alarmiertes Gesicht bemerkt. „Keine Sorge. Wir haben uns nicht gehext. Er floote rein und wollte Emilia sprechen. Ich sagte, ihr wäret schon weg, schon seit Donnerstag Nachmittag, und auf welchem Planeten er gewesen wäre, dass er es nicht bemerkt hätte, und er murmelte etwas davon, dass er anderes zu tun hätte, und kurz bevor wir unfreundlich miteinander wurden, sagte er, da wäre ein Typ an Emilias Tür gewesen."

„Der Trenchcoatmann?" frage ich und bin jetzt nicht mehr nur wegen der Umgangsformen alarmiert, die Severus und Sirius miteinander pflegen.

„Nein" sagt Sirius. „Die Beschreibung passte nicht. Er war wohl schon am Donnerstag Nachmittag da und hatte bei ihr geklopft, kurz nachdem ihr aufgebrochen wart. Snivellus hatte ihn wohl bemerkt, als er mal aus seinem Keller gekrochen kam, aber da war er wohl schon im Gehen gewesen, und in seiner menschenfreundlichen Art hat der gute Sniv sich nicht weiter gekümmert. Gestern war der dann wieder da und schnüffelte in Emilias Unterrichtsraum herum, und da hat Sniv ihn dann gestellt und ihn sich zur Brust genommen. Er sagte, er wäre ein alter Bekannter von Emilia aus Deutschland, und er sei gerade in der Gegend und hätte hallo sagen wollen. Sniv fand die Geschichte wohl nicht so überzeugend und hat den Typen mit zum Direktor genommen, aber schließlich mussten sie ihn gehen lassen, er hatte ja nichts Verbotenes getan, nicht mal versucht, etwas zu klauen oder ähnliches. Snivellus sagte noch, er hätte versucht, seine Gedanken zu lesen, während Dumbledore sich mit ihm befasste, aber der Typ war wohl ein geübter Okklument, und Sniv hat es aufgegeben, bevor seine Versuche auffielen, oder so ähnlich."

„Hm" sage ich. „Ich kann mir keinen Reim auf diese Geschichte machen. Warum sollte jemand uns hinterher schnüffeln?"

„Der Orden" sagt Sirius. „Die Moonyschule. Immerhin laufen da ein paar Wölfchen herum, denen du eingeschärft hast, sie sollen sich bloß nicht registrieren lassen. Deine unglückliche Bekanntschaft mit einem entflohenen Serienkiller… du bist kein unbeschriebenes Blatt, Moony." Er drückt meine Hände und grinst ein bisschen.

„Nichts davon würde erklären, warum einer bei Emilia vor der Tür steht" sage ich ratlos.

„Sie ist deine Bürgin" erinnert er mich.

„Ich glaube nicht, dass uns von dieser Seite etwas droht" sage ich. „Es ist ruhig geworden, seit wir den Rabenkönig haben."

„Moony?" sagt er.

„Hm?" sage ich nachdenklich. Nachdenken ist gut gegen eine dunkle, klebrige Angst, die aus den Ritzen meines Unterbewusstseins dringt.

„Bist du böse, dass ich gekommen bin?" fragt er.

„Was?" sage ich. „Nein. Du hast das ganz richtig gemacht. Zumindest war es richtig, mich in Kenntnis zu setzen. Man könnte natürlich darüber diskutieren, ob es nicht ausreichend gewesen wäre, es ins Büchlein zu schreiben."

„Aber über das Büchlein kann ich dich nicht beschützen" sagt er. „Ich muss doch bei dir sein, wenn einer was von dir will."

Ich seufze und lächle ein wenig. „Du hast recht" sage ich. „Guter Hund."

Er strahlt, und wenn er könnte, würde er schwanzwedeln.

„Pass auch auf Emilia auf, ja?" sage ich.

„Logisch" sagt er. „Sie gehört doch zum Rudel. Auch wenn sie böse Sachen gesagt und mich nicht zur Party eingeladen hat."

„Sie ist ein bisschen gestresst" versuche ich zu mäßigen.

„Das ist okay" sagt er großzügig. Seine Hände sind warm und ruhig in meinen. „Ich bin ihr nicht böse. Und ich komme trotzdem zur Party, oder? Ein Hund braucht keine Einladung."

„Du kommst als Zweibein zur Party" sage ich. „Ich will niemandem erklären müssen, woher ich plötzlich einen Hund habe."

„Noch viel besser" sagt er und strahlt wie amerikanische Weihnachtsdekoration.

„Freu dich nicht zu offensichtlich" sage ich. „Du verhunzt gerade die ganze selbstlose Geste."

„Wer sagt, dass der Job nicht auch Spaß machen kann" sagt er und lässt meine Hände los. „Gibt's jetzt eigentlich Eis für meinen Fuß, oder muss der erst auf Quafflegröße anschwellen?"

„So lange, wie du schon darauf herum stehst, ohne mit der Wimper zu zucken, kann's nicht so schlimm sein" sage ich.

„Lass uns trotzdem nachschauen" sagt er. Ich durchforste also gehorsam die drei Ligusterschen Tiefkühlschubladen, die sich unter dem Kühlschrank befinden, während er hinter mir kniet und das Kinn auf meine Schulter stützt.

„Da" sagt er und fasst an mir vorbei. „Da, da. Genau richtig."

„Das kannst du dir schlecht auf den Fuß legen" mache ich ihn aufmerksam, während er mit rüttelnden Bewegungen die Packung aus einem Eispanzer befreit, der um sie herum gewachsen ist. „Ich war eigentlich auf der Suche nach kleinen, blauen…"

„Hmm" sagt er. „Vanille mit Schokosoße."

„… flachen Gelpackungen" ende ich lahm und bleibe auf dem Boden sitzen. Aus dem Gefrierschrank zieht es kühl gegen mein Gesicht. Sirius sichert seine Beute und sucht sich einen Löffel, während ich die Existenz von Gelpacks in diesem Gefrierschrank nicht verifizieren kann und statt dessen auf eine Tüte gefrorener Erbsen umsteige.

„Hier" sage ich zu ihm, der sich einstweilen am Küchentisch nieder gelassen hat und den zugefrorenen Deckel von der Packung fummelt, und schiebe ihm den zweiten Küchenstuhl hin. „Hoch legen, den Fuß, und jetzt still halten."

Er tut, wie ihm geheißen, und ich packe ihm die Erbsen auf den Knöchel und hole mir einen Stuhl aus dem Wohnzimmer, damit ich nicht stehen muss.

„Hast du die anderen Ordensmitglieder befragt, ob sie sich verfolgt gefühlt haben?" frage ich ihn, als ich sitze.

„Nö" sagt er. „Wieso?"

„Könnte es nicht sein, dass jemand versucht, das Hauptquartier aufzuspüren?"

„Könnte" sagt Sirius und bearbeitet mit dem Löffel die hart gefrorene Masse in der Plastikschale. „Dass du dabei bist, ist in Todesserkreisen sicher ausreichend bekannt. Aber erklärt das, was sie von Emilia wollen?"

„Ich denke schon" sage ich. „Sie unterrichtet an Dumbledores Schule, und es hat sich bestimmt herum gesprochen, dass sie ziemlich innigen Umgang mit mir pflegt."

„Innig nennst du das" sagt Sirius und wirft einen demonstrativen Blick hinaus zur Treppe.

„Überwiegend innig" sage ich.

„Überwiegend zickig, nenne ich das" sagt Sirius und kriegt endlich ein Stückchen von dem gefrorenen Vanilleklumpen. „Denk nur nicht, mir wäre das nicht aufgefallen, seit einiger Zeit. Sie hängt schließlich oft genug in Nummer Zwölf rum."

„Es ist nur eine Phase" sage ich.

„Aha" sagt Sirius und sieht mit gefurchter Stirn auf seinen widerspenstigen Nachtisch hinunter.

„Was wollen wir unternehmen?" frage ich. „Wenn ich es recht verstanden habe, hast du den Orden nicht offiziell in Kenntnis gesetzt?"

„Nö" sagt er. „Hätte ich sollen? Dich habe ich in Kenntnis gesetzt."

„Das ist schön, aber nur ein Teilerfolg" sage ich. „Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn du ein Treffen einberufen hättest. Jeder von uns muss sicher gehen, nicht bespitzelt zu werden. Besonders Leute in so riskanten Positionen wie Kingsley oder Arthur."

„Das kann Snivellus doch machen" sagt Sirius und schmeißt frustriert den Löffel hin. „Er weiß ja von dem Besucher."

„Er weiß aber nur von Emilias, nicht von meinem" erinnere ich ihn und verfolge erstaunt, wie er die Eispackung hinunter auf den Boden schubst.

„Entschuldige mich mal eine Sekunde" sagt er, schüttelt die Erbsen ab und geht auf die Knie. Augenblicke später löst Padfoot das hart gefrorene Eisproblem auf seine Art. Ich verfolge schaudernd, wie er fröhlich wedelnd ganze Brocken aus dem hart Gefrorenen heraus kaut, die rosa Zunge wie ein eifriges Fähnchen zwischen den schimmernden Zähnen, mir tun schon beim Anblick die Zähne weh.

„Ich bin immer wieder beeindruckt, wie ernsthaft und profund man mit dir Konflikte besprechen kann" sage ich, obwohl ich weiß, das Ironie an Padfoot abprallt, und tatsächlich wedelt er mit gesteigerter Begeisterung beim Klang meiner Stimme und treibt die Plastikschale mit darin versenkter Nase gegen den Küchenschrank. Ich lege den Kopf auf die Arme und warte, bis er die letzten Reste aufgeleckt hat. Ich bin müde und besorgt und verwirrt, und mein Verstand beißt sich in unzulässiger Art und Weise an der Spionagetheorie fest, obwohl es dafür keine Evidenz gibt (schließlich muss etwas nicht zwangsläufig zutreffend sein, nur weil man sich keine Alternativen vorstellen kann).

„Wir sollten den Orden verständigen" sage ich. „Ich glaube nicht, dass wir hier in unmittelbarer Gefahr sind, immerhin sind wir morgen umringt von weißichwievielen Ligusters, aber die anderen müssen sich vorsehen. Wo hast du das Büchlein liegen lassen? Irgendeine Chance, dass jemand aufmerksam wird, wenn es vibriert?"

„Hmmmm" sagt Sirius, auf allen Vieren auf dem Küchenfußboden, setzt sich auf die Hacken und leckt sich auf sehr hündische Art die Lippen. „Was? Ich hoffe, du wolltest nichts abhaben?"

„Das Büchlein" sage ich. „Wo ist es?"

„In meiner Jackentasche" sagt Sirius.

„Oh" sage ich. „Mist. Dann brauchen wir ein Floo, was nicht völlig trivial ist, weil diese Stadt nicht ans Netzwerk angeschlossen ist."

„Oder du apparierst" sagt Sirius.

„Ich wollte es nicht übertreiben mit den unangemeldeten Langstrecken-Apparitionen" sage ich. „Irgendwann erwischen die mich noch."

„Oder" sagt er und kommt vom Boden hoch, „du hilfst mir, die Lady zu reparieren. Du weißt, ich fliege am liebsten mit dir."

„Und du weißt, dass ich mich nicht mehr drauf setze, seit sie fliegt" sage ich. „Und falls du den Grund wissen willst, sieh einfach noch mal aus dem Fenster."

„Mädchen" sagt er und grinst.

„Lass uns schlafen gehen" sage ich, denn was ich jetzt am allerwenigsten brauchen kann, ist eine aufgewärmte Diskussion über den Sinn und Zweck fliegender Motorräder. „Es ist spät genug, und der Tag morgen wird lang und voller Ligusters."

„Okay" sagt er friedfertig. Ich stehe auf, und er folgt mir ins Wohnzimmer, wo Donna Anna eine Decke auf dem Sofa ausgebreitet hat.

„Äh" sagt er. „Ich schlafe hier…?"

„Ja" sage ich. „Ich dachte, Sofas sind toll."

„Aber du schläfst nicht hier" sagt er.

„Nein" sage ich geduldig. „Ich schlafe im ersten Stock."

„Aber wie soll ich denn da auf dich aufpassen" sagt er und hat schon wieder den Blick eines Hundes, den man an der Autobahn aussetzt.

„Nichts, was in dieser Nacht passieren könnte, ist schlimmer als das, was Emilia mit uns macht, wenn sie mich morgen früh bei dir auf dem Sofa erwischt" sage ich, und er seufzt, geht in den Hund und springt aufs Sofa.

„Guter Hund" sage ich, und er legt den Kopf auf die Pfoten und sieht mich aus eisbonbonblauen Augen an. Ich wünsche ihm eine gute Nacht und bin noch nicht unter der Tür, als das Jaulen einsetzt.

„Pads" sage ich. „Du machst dich gerade furchtbar lächerlich."

Das Jaulen schwillt an.

„Ich befinde mich nicht in Lebensgefahr" sage ich. „Zumindest sehr wahrscheinlich nicht. Also reg dich bitte nicht auf."

Herzzerreißendes Jammern.

„Vielleicht kommst du wieder aus dem Hund" schlage ich ohne viel Hoffnung vor. „Vierbein scheint gerade ein wenig überfordert mit der Situation."

Vierbein stützt sich auf die Vorderpfoten, wirft den Kopf in den Nacken und trompetet seinen Schmerz in die Nacht, dass Bilbo in seinem Käfig erschreckt von seinem Heubettchen springt. Eilig schließe ich die Wohnzimmertür.

„Leise!" zische ich. „Du weckst das ganze Haus! Das ist Erpressung, weißt du das?"

Padfoot verstummt und legt seinen schmelzenden Blick auf mich.

„Fünf Minuten" sage ich seufzend. „Dann geh ich rauf, und wenn du das Haus zusammen heulst, steck ich dich in den Garten."

Padfoot schnauft und legt den Kopf zurück auf die Pfoten. Ich gehe zu ihm und setze mich aufs Sofa, und er dreht sich sofort und legt mir die Schnauze aufs Knie. Ich streichle seine seidig weichen Ohren, während mir der Kopf schwer und müde nach hinten fällt. Ich könnte augenblicklich einschlafen, und ich zwinge mich, die Augen offen zu halten und die Muster zu betrachten, die das Zusammenspiel aus Gardine, Efeuranken und Straßenbeleuchtung auf die Zimmerdecke malt. Padfoot schnauft schwer in meine Hand, sein Atem ist warm und feucht.

„Wir kriegen ein Baby" sage ich leise.

Padfoots Kopf geht in die Höhe, seine Nase berührt mein Kinn, während sein buschiger Schwanz träge gegen die Sofalehne klopft.

„Freust du dich?" sage ich. „Das ist schön. Wir werden dich nämlich brauchen, wenn es da ist. Es kommt so einiges auf uns zu, mit der Schule und allem. Wir werden das kaum schaffen ohne dich."

Padfoot wedelt und gibt mir einen feuchten Hundekuss auf die Wange.

„Zunge aus meinem Gesicht" sage ich träge. „Wedeln reicht völlig."

Dann muss ich doch eingeschlafen sein, denn als ich wieder das Muster auf der Zimmerdecke betrachte, sieht es anders aus: Ein Wind ist aufgekommen und schlägt lose Efeuranken gegen das Fenster. Padfoot liegt quer über meinem Schoß, seine dicken Pfoten zucken, als träumte er von Kaninchen. Sehr vorsichtig schiebe ich ihn von mir runter und stehe auf, und er streckt und dreht sich, wandelt und murmelt „Wasnlos", ohne die Augen zu öffnen.

„Ich geh schlafen" sage ich, und dann stelle ich fest, dass er gar nicht wach ist, er legt sich einen Arm übers Gesicht, biegt den Rücken durch und geht wieder in den Hund.

„Sieh mal einer an" sage ich überrascht und frage mich, ob die Entdeckung mir Sorgen machen müsste. „Du bist ein Schlafwandler." Padfoot winselt im Schlaf und bettet die Schnauze zwischen den Pfoten, und ich schleiche mich raus und die Treppe hinauf und bin endlich müde genug, um Sorgen über Trenchcoatmänner, Schule, Babys und eine Überdosis Vierbein im Zweibein getrost auf morgen zu verschieben.

Emilia schläft fest auf der Luftmatratze, als ich mich möglichst erschütterungsarm zu ihr lege, sie hat den Deckenzipfel im Arm und leistet keinen Widerstand, als ich sie mitsamt der Decke an mich ziehe. Sie riecht gut und macht „Mh" an meinem Hals, und ich schiebe meine Hand zwischen uns und lege sie auf ihren Bauch, und die Welt zieht sich um uns zusammen wie eine Blase, in deren Zentrum sich ein winziges Lebewesen schwerelos bewegt, und Emilia lächelt im Schlaf.

oooOOOooo

Statistik:

Frühmorgendliches Duett der Opernköniginnen: gelungen, auf der ganzen Linie. „Schmeiß sofort den Hund aus meinem Bett!" in perfektem Kanon verschränkt mit „Möchte ich wissen, bringste du noch alles in meine Haushalt, Rrrremus!"

Gleich darauf folgendes Klagelied: auch ziemlich gelungen. „Ich hab aber keinen Bock auf den blöden Zaun. Ich reiß' mir bestimmt einen Splitter ein. Können wir nicht wenigstens einen kleinen Accio…?" „Nein. Sei still und sammel weiter."

Tee: keiner. Kaffee, statt dessen, in diesem Haushalt das geringere Übel.

Über Fußweg und Vorgarten verstreute Kleinteile, die ursprünglich Bestandteil der Lady waren: drei. Zwei Auspuffteile, ein Schalthebel, ein Außenspiegel und eine Schraube unbekannter Herkunft, die laut Emilia möglicherweise auch dem Piloten verloren gegangen sein könnte, der, laut ihren Worten, zumindest schon den Verdacht erregt hatte, eine Schraube locker zu haben.

Katastrophen: eine. „Brautstrauß? Was für ein Brautstrauß?"