Kapitel 3

Das Böse nimmt seinen Lauf

In Little Hangleton nannten sie es das „Riddle-Haus", obwohl eigentlich nichts Rätselhaftes an ihm war. „Riddle-Haus" hieß es nur wegen seiner Besitzer, dem alten Ehepaar Riddle, die dort mit ihrem erwachsenen Sohn Tom lebten.

Das Haus stand auf einem Hügel, mit Blick über das Dorf und war mit Abstand das größte und beeindruckendste Haus im ganzen Umkreis. Die Fensterläden leuchteten blütenweiß und rund um das Haus wuchsen zahlreiche Blumen in einem prächtig angelegten Garten.

An diesem späten Abend im Juli waren alle Bediensteten bereits nach Hause gegangen, nur der Gärtner war in seiner Hütte auf dem Anwesen der Riddles, hatte sich aber schon hingelegt, da ihn sein steifes Bein, ein Mitbringsel aus dem Krieg, wieder einmal plagte.

Im Salon des Hauses, saßen die alten Riddles gemeinsam mit ihrem Sohn auf dem Sofa, hielten Teetassen in den Händen und plauderten angeregt über die nächste Fuchsjagd. Sie waren so vertieft in ihr Gespräch, dass sie nicht bemerkten, wie plötzlich jemand hinter ihnen im Raum auftauchte. Erst als sie eine fremde Stimme hörten, fuhren sie herum. Ein 16jähriger Teenager mit schwarzen Haaren stand vor ihnen, einen komischen hölzernen Stab in der rechten Hand, und musterte sie aus kalten Augen.

Mr Riddle sprang auf.

»Wer zum Teufel sind Sie? Was machen Sie in meinem Haus?«

Der Junge lächelte eisig und trat um das Sofa herum. Er stand nun genau vor den drei Personen und fixierte sie aus rötlich schimmernden Augen.

»Ich will euch besuchen«, sagte er leise und seine Stimme klang dabei gefährlich.

Harriette bekam langsam Angst vor diesem unheimlichen Jungen und klammerte sich hilfesuchend an ihren Mann.

»Mach was, dass er verschwindet«, raunte sie ihm zu.

Neben ihr erhob sich ihr Sohn Tom.

»Du willst uns besuchen? Wir haben niemanden eingeladen! Wer bist du überhaupt? Sieh bloß zu, dass du schnell wieder verschwindest!«

Der Blick des Jungen wurde eisig.

»Du, willst wissen wer ich bin? Du! Ich bin dein Sohn, dein Sohn Tom Marvolo Riddle, der dazu verdammt ist deinen elenden Namen zu tragen«, zischte er aus zusammengebissenen Zähnen.

Tom Riddle senior erstarrte. Erschrocken wich er vor seinem Sohn zurück, doch der lächelte nur und wirbelte abermals lässig mit dem Zauberstab durch die Luft.

»Ihr habt mich nicht eingeladen? Wie unhöflich von euch, ihr habt mich nie eingeladen«, spuckte er verächtlich aus, dann wurde seine Stimme zuckersüß. »Aber ich brauche nicht eingeladen werden, um in das Haus meines Vaters zu kommen. Und ich bleibe auch nicht lange.«

»Was hast du vor?«, fragte Mr Riddle entsetzt. Er starrte seinen Enkel an, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Der Junge erschien ihm so unberechenbar, er spürte, dass etwas passieren würde und versuchte den Jungen so ruhig wie möglich zu halten und nicht zu reizen. Ganz anders sein Sohn Tom, der nun leicht hysterisch wurde und Riddle junior anschrie: »Hau ab aus meinem Haus, du dreckige Missgeburt! Geh zu deiner Mutter, dieser garstigen Hexe. Verhext hat sie mich, damit ich bei ihr bleibe! Lumpiges Gesindel, ihre Familie, das noch dazu! Wir wollen nichts mit euch zu tun haben.«

Der junge Riddle erstarrte, dann fixierte er seinen Vater mit eiskaltem Blick.

»Mutter ist tot«, sagte er tonlos, »schon seit meiner Geburt. Und dir verdanke ich ein Leben im Waisenhaus. Du kannst dir nicht vorstellen wie mein Leben war, nein, das kannst du nicht. Aber ich bin groß und mächtig geworden und heute werde ich dich für alles bestrafen.«

Er richtete den Zauberstab auf die Brust seines Vaters. Ein unmenschliches Lächeln trat auf sein Gesicht, während ihn die drei Riddles entsetzt anstarrten. Mr Riddle machte noch einen Schritt auf seinen Enkel zu, doch es war zu spät. Ein grüner Blitz zuckte durch das Haus und Tom Riddle senior fiel tot zu Boden, keine Sekunde später auch sein Vater. Mrs Riddle schrie laut auf, doch ihr Schrei ging unter in einem schrillen Lachen und dann starb auch sie.

Tom Riddle blickte emotionslos auf die toten Körper, die mit streckensstarren Gesichtern auf dem Fußboden des Salons lagen. Er wandte sich um und ging nach draußen. Dort schaute er mit einem letzten Blick auf das großzügige Haus, dann apparierte er. Er musste in einem weitaus schäbigeren Haus noch erledigen, was noch zu erledigen war.

Tom Riddle lag regungslos auf seinem Bett im Schlafsaal des städtischen Waisenhauses in London. Er blickte starr zur Decke, ein leichtes Lächeln umspielte sein Gesicht. Dann urplötzlich setzte er sich auf und langte unter sein Kissen. Er holte seinen Taschenkalender darunter hervor, schlug ihn jedoch nicht auf. Wieder fuhr er die Initialen nach, doch diesmal lächelte er dabei. Dann blickte er auf die Rückseite des Buches, dort stand der Name eines Zeitungshändlers in der Vauxhall Road in London. Riddle hatte den Kalender letztes Jahr im Sommer dort gekauft. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als in einen Muggelladen zu gehen, denn die Heimleitung hatte ihm strikt untersagt alleine weitere Ausflüge zu machen. Ihm, einem damals fast 16jährigen Zauberer untersagt alleine wegzugehen. Riddles Blick verhärtete sich beidem Gedanken daran. Und auch dieses Jahr saß er wieder in diesem Muggelwaisenhaus fest und das, obwohl doch alle dachten, dass der Schuldige für den Schrecken in Hogwarts gefasst war. Natürlich hatte man ihm geglaubt, als er berichtet hatte, dass es Hagrid gewesen war, der das Monster freigelassen hatte. Schulleiter Dippet wollte Hagrid sofort von der Schule verweisen, doch der argwöhnische Dumbledore hatte ihn schließlich überredet, Hagrid nicht ins Gefängnis zu stecken und als Wildhütergehilfe zu behalten. Riddle schnaubte entrüstet. Und ihm hatten sie eingebläut alles zu vertuschen, ein Märchen hatten sie erfunden, von einem tragischen Unfall. Doch es war ihm egal gewesen, solange er nur in der Schule bleiben durfte, jetzt, wo das Monster weg war. Aber genau das hatte er nicht gedurft. Dumbledore und Dippet befürchteten, dass das Monster wieder kommen würde und erneute Angriffe starten würde. Riddle hatten ihnen vielleicht hundertmal versichert, dass er genau gesehen hatte, wie das Monster nach draußen verschwunden war, aber es hatte ihm nichts genützt. Er war wieder ins Waisenhaus geschickt worden, für sein eigenes Wohl, wie man ihm mitgeteilt hatte.

Riddle ballte zornig die Fäuste, wenn er daran dachte, was es für eine Schmach gewesen war, wieder hierher zurückzukehren und wie er wieder endlose Regeln und Ermahnungen erhalten hatte, nicht alleine fortzugehen. Oh, wie er diese Muggel hasste. Aber dieses Jahr hatte er sich nicht an ihre Vorschriften gehalten, nein diesmal nicht. Er hatte endlich die Mittel und Wege dazu und so war es ihm möglich gewesen, einen kleinen abendlichen Ausflug zu machen und das zu erledigen, was er schon lange hatte tun wollen.

Er blickte erneut auf den Taschenkalender, in dem er alles festgehalten hatte und seine Tat detailliert geschildert hatte. Riddle wusste, dass das gefährlich war, denn man hätte ihn so überführen können, aber er hatte längst eine Idee, wie er all seine Erinnerungen behalten würde, der Taschenkalender aber nichts als leere Seiten preisgeben würde. Er wollte alle Seiten löschen und stattdessen ein Abbild seines Selbst im Tagebuch verewigen. Wie genau er dies erreichen würde, war Riddle noch nicht genau klar, aber er würde eine Möglichkeit finden, eine Möglichkeit dadurch unsterblich zu werden.

Er klappte den Taschenkalender auf und blätterte durch die beschriebenen Seiten bis zur allerletzten, die noch immer weiß war. Bevor er das Tagebuch löschen wollte, musste noch eine letzte Eintragung vorgenommen werden. Eine allerletzte, die ihm besonders wichtig war, denn sie allein sollte als Zeichen für seine zukünftige Macht stehen. Fürchten würde man ihn, ja, so sollte es sein. Er wollte der mächtigste Zauberer aller Zeiten werden und dann würden die elenden Muggel nichts mehr zu lachen haben. Er wollte wieder Ordnung in die Zauberwelt schaffen, er allein würde der Herrscher über die ganze Zauberwelt sein.

Er strich die letzte Seite glatt und schrieb das, was die kommende Zeit verändern würde und was noch in vielen Jahren bedeutsam sein würde:

»Tom Marvolo Riddle – I AM LORD VOLDEMORT!«

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