Vorgeschichte, Teil 2: Wormtail
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1 - Prolog
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Innerhalb der magischen Gemeinschaft gibt es viele Berufe, die einem Muggel bei der ersten Erwähnung nicht ungewöhnlich vorkommen würden. Ein Zauberer kann zum Beispiel Wirt sein, oder Minister oder sogar Busfahrer. So lange der Muggel nie erfährt, dass sein Nachbar in seinem Lokal Butterbier verkauft, dass er Minister am Zaubereiministerium ist oder einen Bus mit Namen Fahrender Ritter fährt, wird er nichts Außergewöhnliches bemerken. So war es auch mit dem Beruf von Norman Pettigrew.
Norman Pettigrew war Apotheker. Er besaß ein gemütliches Haus in einer ruhigen Nebenstraße eines kleinen Städtchens im Norden Englands und wurde von seinen Mitbürgern beneidet, nicht nur um seiner gutaussehenden Frau Anthea wegen, die an lokalen Wohltätigkeitsveranstaltungen teilnahm und sonntags stets zur Kirche ging, sondern auch wegen seiner beiden charmanten Töchter, der neunjährigen Zwillinge Philippa und Paula. 'Pippa' und 'Polly', wie sie im allgemeinen gerufen wurden, gingen auf die örtliche Grundschule, bekamen dort gute Noten, machten regelmäßig ihre Hausaufgaben und gaben ihren Lehrern nie einen Grund, böse zu sein oder zu schimpfen.
Doch hinter der Fassade des frisch gestrichenen, kieselraugeputzten Hauses mit dem gläsernen Vorbau, hinter den Spitzengardinen und den Porzellanfigürchen im Erkerfenster zur Straße hin, führten die Pettigrews ein Leben, das mit dem einer Muggel-Familie kaum etwas gemein hatte. Zwar stimmte es, dass Norman, wie er es den Nachbarn erzählte, zur Arbeit pendelte. Was er ihnen gegenüber jedoch nicht erwähnte war, dass er sich unter "pendeln" vorstellte, morgens aus dem Wohnzimmer zu verschwinden und beinahe im selben Moment in seiner Apotheke in York zu erscheinen, die nur Zugehörige der magischen Gemeinschaft wahrnehmen konnten und wo er wichtige Produkte wie Boomslanghaut, Froschlaich und Bezoare verkaufte.
Seine Frau erwähnte auch nicht, dass sie den langersehnten Antiquitätenflohmarkt zu Ostern nicht durch eine schlimmer Erkältung versäumt hatte, sondern weil sie eine Verabredung mit dem Yorkshire-Zweig des Miniaturkessel-Sammlerclubs hatte - ein Ereignis, das sie nicht verpassen durfte, da jeder Teilnehmer als Geschenk einen wunderschönen, goldverzierten (und selbstrührenden) Minikessel von der Größe eines Eierbechers bekommen sollte.
Was die Töchter anging ... Polly lehrte gerade ihren Füllfederhalter das Schreiben, während Pippa ihn längst beiseite gelegt und die Zunge zwischen die Lippen geschoben hatte, um mit gerunzelter Stirn über einem Mathematikbuch zu brüten, dessen Seiten sich von selbst umblätterten, während sie in der linken Hand eine lange Schreibfeder hielt.
In diese Familie wurde an einem nassen, windigen Aprilmorgen Mr. und Mrs. Pettigrews drittes Kind geboren.
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2 - Der kleine Bruder
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Peter Pettigrew warf seine Schuhe zu Boden und ließ sich halb erleichtert, halb traurig auf sein Bett fallen. Erleichtert, weil in Hogwarts das neue Schuljahr begonnen hatte, was bedeutete, dass das Haus bis Weihnachten Polly-frei sein würde. Traurig, weil mit Polly auch Pippa fort war. Pippa würde ihm fehlen.
Peter stand auf und ging zum Fenster. Er sah in den kleinen Hintergarten hinunter. Dort stand eine Schaukel mit einem Holzsitz, von dem die orange Farbe abblätterte, und eine Rutsche, die nur noch wenig Anzeichen dafür bot, dass sie einmal rot gewesen war. Muggel-Spielzeug. Spielzeug, das Muggel-Menschen in einer Muggel-Stadt wie dieser im Garten einer Familie wie seiner zu sehen erwarteten. Wenn sie nur wüssten!
Wenigstens einmal am Tag, an jedem Tag, an dem ein bisschen Sonne schien, scheuchte ihn seine Mutter um der Nachbarn Willen dort hinaus. Nicht, dass ihn das wirklich störte. Er mochte die Rutsche sogar ganz gern. Was ihm jedoch weniger zusagte, war die Schaukel. Seit dem einen Mal, als er versucht hatte, mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen die Schaukel zu bewegen, und seine Schwester Paula mit ihrem Zauberstab hinter der Küchentür gestanden hatte, um die Schaukel immer höher, höher, höher schwingen zu lassen ... so hoch, dass er am Ende Angst gehabt hatte, zu stürzen. Polly erlaubte sich ständig solche Scherze mit ihm, und Pippa musste dann ihren kleinen Bruder verteidigen. Denn Pippa hatte das jüngste Kind ihrer Eltern mit offenen Armen empfangen und sich darüber gefreut, einen kleinen Bruder zu haben, mit dem sie spielen und den sie versorgen konnte, obwohl er so viel jünger war. Polly hingegen hatte nicht verstanden, warum ihre Eltern so spät noch ein Kind wollten, ärgerte sich über ihn, über den Krach - und den Dreck - den er machte und hasste es, auf ihn aufzupassen, wenn ihre Eltern nicht da waren.
Peters gemischte Laune bei der Abreise seiner Schwestern war daher nicht verwunderlich. Er war froh, dass Polly weg war, aber Pippa ... Er wünschte sich innigst, dass Polly alleine nach Hogwarts gefahren und Pippa bei ihm geblieben wäre. So lange er denken konnte, hatte Pippa ihn beschützt. Selbst mit sechs Jahren und obwohl er wusste, dass er langsam lernen sollte, sich selbst zu verteidigen, verließ er sich immer noch auf Pippa - die ihn auch nie im Stich ließ.
Mit einem tiefen Seufzer wandte Peter sich wieder vom Fenster ab und ging auf die Tür zu. Er sollte wohl besser nach unten gehen. Mum würde dich sonst wundern, wo er blieb. ---------------------------------------------------------------------------- ----------------------------------
3 - Post
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"Mutter! Mutter!" rief Pippa Pettigrew und wedelte mit einem dicken Pergamentstück.
Sie stürmte in die Küche, im Gesicht ein breites Grinsen. Mit zwanzig war Philippa zu einer gutmütigen jungen Frau mit einem eher freundlichen als hübschen Gesicht herangewachsen. Sie stand da, ihre kleinen wasserblauen Augen funkelten wie helle Perlen, und eine Strähne ihres strohblonden Haars löste sich aus dem Pferdeschwanz. Anthea Pettigrew wandte sich von ihrem Blumenarrangement ab, um ihre Tochter zu betrachten. Peter steckte den Kopf um die Gartentür und schlich sich rein.
"Ratet mal, was passiert ist!" keuchte Pippa.
"Was denn?" fragte Polly gelangweilt, während sie einen Bissen Apfelkuchen schluckte und von dem dicken Buch aufschaute, das vor ihr an der Glasschale lehnte.
"Sie haben meine Bewerbung angenommen!" erklärte Pippa aufgeregt, und klopfte ihrer Schwester auf die Schulter. Sie ging um den Tisch herum und hielt den Brief ihrer Mutter hin. Anthea nahm ihre Brille aus der Schürzentasche und setzte sie auf.
"Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihre Bewerbung als Referendarin auf Beauxbatons annehmen werden. Wir erwarten Sie kurz vor dem Beginn des nächsten Semesters, das heißt im August diesen Jahres. Mit freundlichem Gruß, Olympe Maxime, Stellvertretende Direktorin", las Anthea Pettigrew.
Sie gab den Brief ihrer Tochter zurück und nahm die Brille wieder ab.
"Herzlichen Glückwunsch, Schatz", sagte sie, und Pippa küsste sie auf die Wange.
Ihre Augen strahlten.
"Ist das aufregend", sagte sie. "Ich gehe nach Beauxbatons! Ich werde Lehrerin! Ist das nicht wundervoll, Peter?"
Sie schaute sich um und musste feststellen, dass ihr Bruder sich wieder in den Garten geschlichen hatte.
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Peter saß im Bett und hatte die Decke bis unters Kinn gezogen. Er hatte das Licht ausgemacht, so dass das Zimmer bis auf den leichten Schimmer des Mondes dunkel war, der durch die Gardinenöffnung schien. Seine Augen brannten. Er hörte das Klopfen an der Tür und erkannte es sofort. Es war Pippa. Er rutschte unter der Decke weiter runter, wickelte sie eng um sich und drehte sich zur Wand, schloss die Augen und tat so, als würde er schlafen. Die Tür ging auf und von der Diele strömte Licht herein. Pippa kam rein und zögerte einen Moment, wartete, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Dann trat sie ans Bett.
"Peter?" rief sie leise.
Er hielt den Atem an.
"Ich weiß, dass du wach bist, Peter", sagte sie und setzte sich auf die Bettkante.
Widerwillig drehte er das Gesicht zu ihr.
"Warum so traurig, Peter?" fragte sie. "Ich dachte, du freust dich, dass ich das bekomme, was ich mir immer gewünscht habe."
"Tu ich auch", erwiderte er still. "Aber ich - ich will nicht, dass du weggehst. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll."
"Du hast ja noch Mum und Dad und Polly."
Der Junge verzog das Gesicht.
"Ich wünschte, Polly würde weggehen", sagte er.
Pippa lächelte. Sie flüsterte:
"Na, wenn du Glück hast, dann heiratet sie bald ihren höchst unangenehmen Freund und du bist uns beide los. Jedenfalls", fügte sie hinzu, "musst du sie nicht viel länger ertragen. Es ist schon fast Juli, und bald bekommst du sicher deine Einladung nach Hogwarts."
Peter runzelte die Stirn.
"Wenn sie mich da annehmen, ja. Ich weiß nicht, Pippa. Ich weiß einfach nicht, ob ich schlau genug bin."
"Natürlich nehmen sie dich an. Und was das Schlausein betrifft - Barry Beacher haben sie auch genommen, und du bist zehnmal intelligenter als er."
Die Erwähnung eines alten Schulkameraden von Pippa, über den er schon viele Geschichten gehört hatte, die so verrückt klangen, dass man sie kaum glauben konnte, zauberte ein Lächeln auf Peters Gesicht.
"Komm schon", sagte seine Schwester und strich die Bettdecke glatt. "Mach die Augen zu und schlaf jetzt. Und denk dran: Wie weit ich auch weg sein mag, ich bin immer da, wenn du mich brauchst, klar?"
Peter nickte, schloss die Augen und schlief fast sofort ein.
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Der Brief kam an einem Montag. Anthea Pettigrew steckte besorgt den Kopf aus dem Fenster, als eine große Schleiereule durch die Küchentür geflogen kam. Aber offenbar hatte niemand in ihrer Straße etwas bemerkt, also zog sie den Kopf wieder ein und kehrte zum Frühstückstisch zurück. Peter hielt das Pergament in der Hand und las die Anschrift, die mit grüner Tinte geschrieben war. Ja, der Brief war eindeutig an ihn gerichtet.
"Ah, wurde auch Zeit", meinte sein Vater, während der Milchkrug sich über seinem Müsli ergoss.
Polly ließ ihre Ausgabe des Tagespropheten sinken und schaute ihren Bruder über den Rand ihres Orangensaftglases an. Anthea setzte sich neben ihren Mann und schwenkte den Zauberstab in Richtung der Teekanne, die sofort herbeiflog und ihre Tasse füllte. Peter blickte in die erwartungsvollen Gesichter.
"Na los, mach auf", drängte Pippa.
Mit zitternder Hand löste ihr Bruder das Siegel und breitete das Pergament aus. Ja, da stand es grün auf weiß. Mr. Peter Pettigrew sollte auf die Zauberschule Hogwarts gehen. Pippa drückte ihn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange, Anthea und Norman Pettigrew gratulierten ihrem Sohn und Polly bemaß ihn mit einem zweifelnden Blick. Peter reichte den Brief seinem Vater, lachte nervös - und warf den Milchkrug um.
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1 - Prolog
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Innerhalb der magischen Gemeinschaft gibt es viele Berufe, die einem Muggel bei der ersten Erwähnung nicht ungewöhnlich vorkommen würden. Ein Zauberer kann zum Beispiel Wirt sein, oder Minister oder sogar Busfahrer. So lange der Muggel nie erfährt, dass sein Nachbar in seinem Lokal Butterbier verkauft, dass er Minister am Zaubereiministerium ist oder einen Bus mit Namen Fahrender Ritter fährt, wird er nichts Außergewöhnliches bemerken. So war es auch mit dem Beruf von Norman Pettigrew.
Norman Pettigrew war Apotheker. Er besaß ein gemütliches Haus in einer ruhigen Nebenstraße eines kleinen Städtchens im Norden Englands und wurde von seinen Mitbürgern beneidet, nicht nur um seiner gutaussehenden Frau Anthea wegen, die an lokalen Wohltätigkeitsveranstaltungen teilnahm und sonntags stets zur Kirche ging, sondern auch wegen seiner beiden charmanten Töchter, der neunjährigen Zwillinge Philippa und Paula. 'Pippa' und 'Polly', wie sie im allgemeinen gerufen wurden, gingen auf die örtliche Grundschule, bekamen dort gute Noten, machten regelmäßig ihre Hausaufgaben und gaben ihren Lehrern nie einen Grund, böse zu sein oder zu schimpfen.
Doch hinter der Fassade des frisch gestrichenen, kieselraugeputzten Hauses mit dem gläsernen Vorbau, hinter den Spitzengardinen und den Porzellanfigürchen im Erkerfenster zur Straße hin, führten die Pettigrews ein Leben, das mit dem einer Muggel-Familie kaum etwas gemein hatte. Zwar stimmte es, dass Norman, wie er es den Nachbarn erzählte, zur Arbeit pendelte. Was er ihnen gegenüber jedoch nicht erwähnte war, dass er sich unter "pendeln" vorstellte, morgens aus dem Wohnzimmer zu verschwinden und beinahe im selben Moment in seiner Apotheke in York zu erscheinen, die nur Zugehörige der magischen Gemeinschaft wahrnehmen konnten und wo er wichtige Produkte wie Boomslanghaut, Froschlaich und Bezoare verkaufte.
Seine Frau erwähnte auch nicht, dass sie den langersehnten Antiquitätenflohmarkt zu Ostern nicht durch eine schlimmer Erkältung versäumt hatte, sondern weil sie eine Verabredung mit dem Yorkshire-Zweig des Miniaturkessel-Sammlerclubs hatte - ein Ereignis, das sie nicht verpassen durfte, da jeder Teilnehmer als Geschenk einen wunderschönen, goldverzierten (und selbstrührenden) Minikessel von der Größe eines Eierbechers bekommen sollte.
Was die Töchter anging ... Polly lehrte gerade ihren Füllfederhalter das Schreiben, während Pippa ihn längst beiseite gelegt und die Zunge zwischen die Lippen geschoben hatte, um mit gerunzelter Stirn über einem Mathematikbuch zu brüten, dessen Seiten sich von selbst umblätterten, während sie in der linken Hand eine lange Schreibfeder hielt.
In diese Familie wurde an einem nassen, windigen Aprilmorgen Mr. und Mrs. Pettigrews drittes Kind geboren.
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2 - Der kleine Bruder
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Peter Pettigrew warf seine Schuhe zu Boden und ließ sich halb erleichtert, halb traurig auf sein Bett fallen. Erleichtert, weil in Hogwarts das neue Schuljahr begonnen hatte, was bedeutete, dass das Haus bis Weihnachten Polly-frei sein würde. Traurig, weil mit Polly auch Pippa fort war. Pippa würde ihm fehlen.
Peter stand auf und ging zum Fenster. Er sah in den kleinen Hintergarten hinunter. Dort stand eine Schaukel mit einem Holzsitz, von dem die orange Farbe abblätterte, und eine Rutsche, die nur noch wenig Anzeichen dafür bot, dass sie einmal rot gewesen war. Muggel-Spielzeug. Spielzeug, das Muggel-Menschen in einer Muggel-Stadt wie dieser im Garten einer Familie wie seiner zu sehen erwarteten. Wenn sie nur wüssten!
Wenigstens einmal am Tag, an jedem Tag, an dem ein bisschen Sonne schien, scheuchte ihn seine Mutter um der Nachbarn Willen dort hinaus. Nicht, dass ihn das wirklich störte. Er mochte die Rutsche sogar ganz gern. Was ihm jedoch weniger zusagte, war die Schaukel. Seit dem einen Mal, als er versucht hatte, mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen die Schaukel zu bewegen, und seine Schwester Paula mit ihrem Zauberstab hinter der Küchentür gestanden hatte, um die Schaukel immer höher, höher, höher schwingen zu lassen ... so hoch, dass er am Ende Angst gehabt hatte, zu stürzen. Polly erlaubte sich ständig solche Scherze mit ihm, und Pippa musste dann ihren kleinen Bruder verteidigen. Denn Pippa hatte das jüngste Kind ihrer Eltern mit offenen Armen empfangen und sich darüber gefreut, einen kleinen Bruder zu haben, mit dem sie spielen und den sie versorgen konnte, obwohl er so viel jünger war. Polly hingegen hatte nicht verstanden, warum ihre Eltern so spät noch ein Kind wollten, ärgerte sich über ihn, über den Krach - und den Dreck - den er machte und hasste es, auf ihn aufzupassen, wenn ihre Eltern nicht da waren.
Peters gemischte Laune bei der Abreise seiner Schwestern war daher nicht verwunderlich. Er war froh, dass Polly weg war, aber Pippa ... Er wünschte sich innigst, dass Polly alleine nach Hogwarts gefahren und Pippa bei ihm geblieben wäre. So lange er denken konnte, hatte Pippa ihn beschützt. Selbst mit sechs Jahren und obwohl er wusste, dass er langsam lernen sollte, sich selbst zu verteidigen, verließ er sich immer noch auf Pippa - die ihn auch nie im Stich ließ.
Mit einem tiefen Seufzer wandte Peter sich wieder vom Fenster ab und ging auf die Tür zu. Er sollte wohl besser nach unten gehen. Mum würde dich sonst wundern, wo er blieb. ---------------------------------------------------------------------------- ----------------------------------
3 - Post
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"Mutter! Mutter!" rief Pippa Pettigrew und wedelte mit einem dicken Pergamentstück.
Sie stürmte in die Küche, im Gesicht ein breites Grinsen. Mit zwanzig war Philippa zu einer gutmütigen jungen Frau mit einem eher freundlichen als hübschen Gesicht herangewachsen. Sie stand da, ihre kleinen wasserblauen Augen funkelten wie helle Perlen, und eine Strähne ihres strohblonden Haars löste sich aus dem Pferdeschwanz. Anthea Pettigrew wandte sich von ihrem Blumenarrangement ab, um ihre Tochter zu betrachten. Peter steckte den Kopf um die Gartentür und schlich sich rein.
"Ratet mal, was passiert ist!" keuchte Pippa.
"Was denn?" fragte Polly gelangweilt, während sie einen Bissen Apfelkuchen schluckte und von dem dicken Buch aufschaute, das vor ihr an der Glasschale lehnte.
"Sie haben meine Bewerbung angenommen!" erklärte Pippa aufgeregt, und klopfte ihrer Schwester auf die Schulter. Sie ging um den Tisch herum und hielt den Brief ihrer Mutter hin. Anthea nahm ihre Brille aus der Schürzentasche und setzte sie auf.
"Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihre Bewerbung als Referendarin auf Beauxbatons annehmen werden. Wir erwarten Sie kurz vor dem Beginn des nächsten Semesters, das heißt im August diesen Jahres. Mit freundlichem Gruß, Olympe Maxime, Stellvertretende Direktorin", las Anthea Pettigrew.
Sie gab den Brief ihrer Tochter zurück und nahm die Brille wieder ab.
"Herzlichen Glückwunsch, Schatz", sagte sie, und Pippa küsste sie auf die Wange.
Ihre Augen strahlten.
"Ist das aufregend", sagte sie. "Ich gehe nach Beauxbatons! Ich werde Lehrerin! Ist das nicht wundervoll, Peter?"
Sie schaute sich um und musste feststellen, dass ihr Bruder sich wieder in den Garten geschlichen hatte.
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Peter saß im Bett und hatte die Decke bis unters Kinn gezogen. Er hatte das Licht ausgemacht, so dass das Zimmer bis auf den leichten Schimmer des Mondes dunkel war, der durch die Gardinenöffnung schien. Seine Augen brannten. Er hörte das Klopfen an der Tür und erkannte es sofort. Es war Pippa. Er rutschte unter der Decke weiter runter, wickelte sie eng um sich und drehte sich zur Wand, schloss die Augen und tat so, als würde er schlafen. Die Tür ging auf und von der Diele strömte Licht herein. Pippa kam rein und zögerte einen Moment, wartete, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Dann trat sie ans Bett.
"Peter?" rief sie leise.
Er hielt den Atem an.
"Ich weiß, dass du wach bist, Peter", sagte sie und setzte sich auf die Bettkante.
Widerwillig drehte er das Gesicht zu ihr.
"Warum so traurig, Peter?" fragte sie. "Ich dachte, du freust dich, dass ich das bekomme, was ich mir immer gewünscht habe."
"Tu ich auch", erwiderte er still. "Aber ich - ich will nicht, dass du weggehst. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll."
"Du hast ja noch Mum und Dad und Polly."
Der Junge verzog das Gesicht.
"Ich wünschte, Polly würde weggehen", sagte er.
Pippa lächelte. Sie flüsterte:
"Na, wenn du Glück hast, dann heiratet sie bald ihren höchst unangenehmen Freund und du bist uns beide los. Jedenfalls", fügte sie hinzu, "musst du sie nicht viel länger ertragen. Es ist schon fast Juli, und bald bekommst du sicher deine Einladung nach Hogwarts."
Peter runzelte die Stirn.
"Wenn sie mich da annehmen, ja. Ich weiß nicht, Pippa. Ich weiß einfach nicht, ob ich schlau genug bin."
"Natürlich nehmen sie dich an. Und was das Schlausein betrifft - Barry Beacher haben sie auch genommen, und du bist zehnmal intelligenter als er."
Die Erwähnung eines alten Schulkameraden von Pippa, über den er schon viele Geschichten gehört hatte, die so verrückt klangen, dass man sie kaum glauben konnte, zauberte ein Lächeln auf Peters Gesicht.
"Komm schon", sagte seine Schwester und strich die Bettdecke glatt. "Mach die Augen zu und schlaf jetzt. Und denk dran: Wie weit ich auch weg sein mag, ich bin immer da, wenn du mich brauchst, klar?"
Peter nickte, schloss die Augen und schlief fast sofort ein.
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Der Brief kam an einem Montag. Anthea Pettigrew steckte besorgt den Kopf aus dem Fenster, als eine große Schleiereule durch die Küchentür geflogen kam. Aber offenbar hatte niemand in ihrer Straße etwas bemerkt, also zog sie den Kopf wieder ein und kehrte zum Frühstückstisch zurück. Peter hielt das Pergament in der Hand und las die Anschrift, die mit grüner Tinte geschrieben war. Ja, der Brief war eindeutig an ihn gerichtet.
"Ah, wurde auch Zeit", meinte sein Vater, während der Milchkrug sich über seinem Müsli ergoss.
Polly ließ ihre Ausgabe des Tagespropheten sinken und schaute ihren Bruder über den Rand ihres Orangensaftglases an. Anthea setzte sich neben ihren Mann und schwenkte den Zauberstab in Richtung der Teekanne, die sofort herbeiflog und ihre Tasse füllte. Peter blickte in die erwartungsvollen Gesichter.
"Na los, mach auf", drängte Pippa.
Mit zitternder Hand löste ihr Bruder das Siegel und breitete das Pergament aus. Ja, da stand es grün auf weiß. Mr. Peter Pettigrew sollte auf die Zauberschule Hogwarts gehen. Pippa drückte ihn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange, Anthea und Norman Pettigrew gratulierten ihrem Sohn und Polly bemaß ihn mit einem zweifelnden Blick. Peter reichte den Brief seinem Vater, lachte nervös - und warf den Milchkrug um.
