Vorgeschichte, Teil 5: Der 1. September

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1 - Willkommen in Hogwarts

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James lehnte sich zufrieden auf seinem Sitz im Hogwarts Express zurück. Es tat ihm Leid, dass er seine Mutter ganz allein auf Gleis 9 ¾ zurücklassen musste, aber er war auch begeistert, dass es endlich losging. Als der Zug den Bahnhof verließ, lehnte er sich aus dem Fenster und winkte. Dort blieb er noch lange, nachdem King's Cross schon nicht mehr in Sicht war, ließ den Fahrtwind gegen sein Gesicht peitschen und sah dem Rauch zu, wie er über ihm davonflog und sich mit den Wolken zu vermengen schien. Er drehte sich erst um, als er hörte, wie die Tür hinter ihm aufgeschoben wurde. Sirius Blacks schwarzhaariger Schopf und sein lockeres Lächeln schauten gut gelaunt ins Abteil.

"Hier steckst du also!" rief er. "Ich hab schon überall nach dir gesucht!"

James lächelte zurück. "Hallo, Sirius."

"Willst du mit mir einen Erkundungsrundgang machen? Mal sehen, wen wir noch so an Bord haben?" schlug Sirius vor.

James nickte eifrig und zu zweit machten sie sich auf den Weg und liefen den Korridor entlang, während der Zug munter weiter ratterte. Unterwegs grüßte Sirius unendlich viele Leute, denen sie begegneten.

"Sag mal, kennst du die alle schon?" fragte James irgendwann.

Sirius lachte.

"Nein, alle nicht. Ein paar hab ich auf Gleis 9 ¾ kennen gelernt. Ich brauche nie lange, um Leute kennen zu lernen."

Sie kamen an einer rundlichen Hexe vorbei, die einen Wagen voller Süßigkeiten vor sich herschob, und kauften jeder etliche Schokofrösche. Dann schlenderten sie weiter, zufrieden kauend, bis sie hinter einer geschlossenen Tür ein Wimmern hörten, und eine quiekende Stimme, die sagte:

"Nein, nein, bitte, lass das. Ich wollte dich nicht stören, es tut mir Leid."

James und Sirius sahen sich kurz an und nickten beide. Sie öffneten die Tür und traten ins Abteil, wo sie zwei Jungen vorfanden. Einer war groß, mit öligen Haaren, einer Hakennase und einem gemeinen Lächeln im Gesicht. Der andere war klein und untersetzt, hatte dünnes, blondes Haar und kleine Augen, in denen Panik geschrieben stand. Der große Junge zeigte mit einem Zauberstab auf ihn. In einer Ecke stand auf dem Boden ein kleiner Kasten, in dem eine sehr hässliche, sehr große graue Ratte hockte.

"Hallo", sagte Sirius. "Was ist denn hier los?"

"Nichts, was euch etwas angeht", erwiderte der große Junge. "Lasst uns allein."

Sirius stellte sich breitbeinig hin und stemmte die Hände in die Hüften. James beobachtete inzwischen den anderen Jungen. Er hatte sich ihnen zugewandt und sah aus, als sei er für die Unterbrechung äußerst dankbar.

"H-hallo", sagte er nervös. "Ich bin P-Peter Pettigrew."

"Hallo, Peter", antwortete James. "Ich bin James Potter und das hier ist Sirius Black. Wir haben uns eben draußen auf dem Gang die Beine vertreten. Hast du Lust, mitzukommen?"

Peter Pettigrew blickte ängstlich zu dem finster dreinschauenden Jungen hinter ihm auf und nickte schnell.

"Dann komm", sagte James und führte ihn zur Tür. "Sirius ..."

Aber Sirius stand immer noch stirnrunzelnd vor dem anderen Jungen, der den Zauberstab noch fest in der Hand krallte.

"Warum starrst du mich so an?" fragte der Junge.

"Entschuldige. Etwas so Hässliches wie dich sieht man nicht alle Tage", erwiderte Sirius.

"Nimm das sofort zurück!"

Der Junge hob drohend den Zauberstab, aber Sirius breitete die Arme aus.

"Falls du mich verhexen willst, solltest du wissen, dass ich keinen Zauberstab dabei habe", sagte er. "Also überleg es dir besser gut. Macht sicher keinen guten Eindruck, wenn du einen hilflosen Mitschüler verhext, bevor du Hogwarts überhaupt erreicht hast."

Der andere Junge schien vor Wut fast zu platzen. James zog Sirius am Ärmel.

"Komm schon. Lass gut sein."

Sirius ließ sich widerwillig in James' Abteil zurückführen.

"Verdammter hässlicher Blödmann", sagte er und ließ sich auf einen Fensterplatz fallen.

"Hast ja Recht", stimmte James ihm zu. "Aber das ist kein Grund, gleich am ersten Tag einen Streit anzufangen."

"Ich kann Tyrannen nicht leiden", knurrte Sirius.

"Ich auch nicht", sagte James und nahm auf dem gegenüberliegenden Sitz Platz. "Aber leider scheint es von seiner Sorte überall ein oder zwei zu geben."

"Ja, so einen hatten wir auch in dem Heim, wo ich aufgewachsen bin", erwiderte Sirius. "Ich hasse solche Kerle."

"Du bist in einem Heim aufgewachsen?" fragte James überrascht.

"Jep. Hab fast mein ganzes Leben da verbracht. Meine Eltern hatten den Auftrag, bei einem schlimmen magischen Unfall Hilfe zu leisten, alles wieder in Ordnung zu bringen. Sie sind dabei beide ums Leben gekommen. Ich war zwei. Zum Glück waren sie beide keine Muggel, also musste ich auch nicht in ein Muggel-Kinderheim. Da, wo sie mich hingeschickt haben, war es eigentlich nicht so übel."

"Ich bin meinem Vater nie begegnet", sagte James langsam. "Ich weiß auch nicht viel über ihn. Aber ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, keine Mutter zu haben."

Sirius zuckte die Achseln.

"Es ist okay, wenn man es nicht anders kennt. Was ist mit dir, Peter?" fügte er hinzu, als er sich plötzlich erinnerte, dass sie nicht allein waren.

Peter Pettigrew hockte sich vorsichtig auf den Rand eines Sitzes.

"Ich hab noch beide Eltern", begann er. "Und zwei Schwestern. Philippa und Paula. Sie sind Zwillinge und gehen seit drei Jahren nicht mehr nach Hogwarts."

"Das ist aber ein großer Altersunterschied", bemerkte James.

Peter verzog das Gesicht. "Ich weiß. Es ist auch nicht immer leicht, wenn man so viel jünger ist als seine Geschwister."

Nach einer Pause fragte Sirius:

"Was war denn jetzt eigentlich mit dem Schleimbeutel in dem anderen Abteil los?"

Peter errötete.

"Ich ... ähm ... kam gerade von der Toilette zurück und hab die falsche Tür erwischt. Er saß da und hat irgendeinen Zauber an seiner Ratte ausprobiert. Ich glaube, er ist sauer, weil er denkt, ich hätte gesehen, was er da gemacht hat. Aber ich habe wirklich keine Ahnung."

James runzelte die Stirn.

"Es muss etwas Unangenehmes sein, nehme ich an. Wenn man sich den so anschaut ..."

"Ich glaube, er hatte mit mir auch etwas ziemlich Unangenehmes vor", stimmte Peter zu. "Ich ... bin froh, dass ihr zwei vorbeigekommen seid. D- danke."

"Keine Ursache", antworteten Sirius und James gleichzeitig.

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Es gab viel aufgeregtes Gerede, als sie den Bahnhof von Hogsmeade erreichten. Ältere Schüler kletterten in Massen aus dem Zug und verschwanden in der Dunkelheit. Alle schienen ihr Gepäck auf dem Zug zurückzulassen. James, Sirius und Peter folgten den Älteren auf den Bahnsteig und waren froh, dass die Nacht relativ warm war.

"Erstsemester hierher!" brüllte eine laute Stimme.

Sie drehten sich um und sahen einen riesigen Mann im Maulwurfsfellmantel, der eine große Laterne schwenkte.

"Wer ist das denn?" wunderte sich Sirius.

"Ich glaube, das ist Hagrid", antwortete Peter. "Meine Schwestern haben mir von ihm erzählt. Er ist der Wildhüter. Polly - Paula - hat gesagt, er sei verwildert und gemein. Aber Pippa meinte, sie wollte mir nur Angst einjagen. Sie sagt, er ist wirklich nett."

"Hm. Dann hoffen wir mal, dass Pippa Recht hat", sagte James.

Sie folgten dem Schein der Laterne bis zum Rand des Sees und kletterten gemeinsam in ein Boot. Es schaukelte sanft, während es sie in Richtung Schloss trug. Der Vollmond kam hervor und schien hell, als wolle er die Erstsemester in ihrem neuen Zuhause willkommen heißen.

Sirius stupste James in die Rippen. "Ganz schön gigantisch, was?"

James nickte. Die Beschreibung passte. Es war wundervoll, endlich nach Hogwarts zu kommen. Er dachte an Mrs. Hammersmith in ihrem Londoner Wohnhaus und grinste bei der Vorstellung, was sie wohl sagen würde, wenn sie ihn jetzt sehen könnte.

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Die Tische im Speisesaal waren bereits rappelvoll, als die Erstsemester von Professor McGonagall durch eine Seitentür hereingeführt wurden. Sie folgten ihr und waren unter den neugierigen Blicken der älteren Schüler nervös und aufgeregt.

Am Lehrertisch erhob sich Professor Albus Dumbledore von seinem Platz und lächelte fröhlich in die Runde der alten und neuen Schüler. Seine blauen Augen funkelten hinter der Halbmondbrille.

"Willkommen, Jungen und Mädchen, Lehrer, Lehrerinnen und neue Schüler. Wie immer werden wir nun, am ersten Tag des neuen Schuljahrs, herausfinden, wo unsere Neuzugänge ihre Karriere in Hogwarts beginnen werden. Ich bin sicher, wir alle freuen uns darauf, sie in unserer Mitte aufzunehmen, wo immer sie der Hut auch einordnen mag. Professor McGonagall ..."

Dumbledore nahm wieder Platz. Professor McGonagall brachte einen Hocker und einen alten Hut nach vorn. Die Erstsemester starrten ihn ängstlich an. Ein Riss oberhalb der Krempe öffnete sich plötzlich und der Hut begann zu singen.

"Hallo, neue Schüler, Mädchen und Jungen,

Für euch wird heute hier gesungen.

Ich, Godrics Hut, ihr werdet sehen,

Ich weise euch den Weg zu gehen.

Bevor ihr speist heut' Nacht sag ich:

'Nun setztet euch an diesen Tisch'.

Zu Gryffindor, dem tapferen Herrn,

Schick ich die Mutigen sehr gern.

Doch Ravenclaw, Rowenas Heim,

Soll nur für die ganz Weisen sein.

Helga Hufflepuff nimmt heut',

Jeden, der keine Mühe scheut.

Salazar Slytherin, zuletzt,

Auf Ambition den Schwerpunkt setzt.

So setzt mich nun auf euer Haupt,

Und wohl an meine Weisheit glaubt."

Dort endete das Lied des Huts und der Saal tobte vor Applaus. Sobald das Klatschen und Jubeln aufgehört hatte, nahm Professor McGonagall eine Schriftrolle hervor und hielt sie hoch.

"Erstsemester, ich werde Ihre Namen jetzt einen nach dem anderen aufrufen. Sie werden dann diesen Hut aufsetzen, der Sie Ihren Häusern zuweisen wird. Anderson, Catherine ..."

James Potter schaute interessiert zu, während die Schüler vortraten und sich auf den Hocker setzten. Er hörte, wie der Hut laut die Namen der Häuser rief, in die diese Schüler gehören sollten. Einige saßen Ewigkeiten auf dem Hocker, während der Hut überlegte, andere hatten kaum Zeit, sich hinzusetzen, da mussten sie schon wieder aufstehen und sich unter tosendem Applaus zu ihren Plätzen begeben.

"Baker, Arnold."

Eine kurze Pause.

"Slytherin!"

"Berry, Eugene."

Lange Stille, dann:

"Hufflepuff!"

"Black, Sirius."

Sirius atmete tief ein und ging nach vorn. Er setzte sich und McGonagall ließ den Hut über seine Augen fallen.

*Ah*, sagte der Hut in seinem Kopf. *Da haben sie mir aber einen jungen Wirbelwind geschickt. Ja, du wirst hier in Hogwarts deinen Spaß haben, Junge.*

Der Hut lachte, dann rief er laut: "Gryffindor!"

Der Gryffindor-Tisch machte einen ohrenbetäubenden Lärm, während Sirius sich auf den Weg dorthin machte.

"Borealis, Aurora."

"Ravenclaw!" rief der Hut.

"Crimple, Mary."

"Ravenclaw!"

Der Ravenclaw-Tisch klatschte explodierend, als die ersten Ravenclaws des neuen Jahres mit roten Wangen Platz nahmen.

James und Peter standen nebeneinander und sahen zu, wie die Erstsemester einer nach dem anderen an ihre Tische gingen. Alle Tische applaudierten für jeden Schüler - alle bis auf den Slytherin-Tisch, wie James bemerkte. Die Slytherins klatschten feierlich für ihre eigenen Neuzugänge und schauten hochnäsig und missbilligend auf alle, die nicht zu ihnen kamen.

"Diggle, Damian."

"Hufflepuff!"

Jubel und Klatschen vom Gryffindor- und Ravenclaw-Tisch vermengte sich mit den Rufen und Jauchzern der Hufflepuffs. Die Slytherins schauten finster drein.

"Evans, Lily."

"Entschuldigung", sagte eine zaghafte Stimme hinter James.

Er zuckte und trat zur Seite, um ein rothaariges Mädchen vorbeizulassen. Dabei erblickte er nur ganz kurz die grünsten Augen, die er je gesehen hatte.

"Was glaubst du, in welches Haus du kommst, James?" flüsterte Peter, während Lily Evans nach Gryffindor kam.

James zuckte die Achseln. Er hatte noch nicht wirklich darüber nachgedacht. Jetzt, wo es ihm einfiel, kam es ihm vor, als würden sämtliche Schokofrösche, die er im Zug verspeist hatte, in seinem Magen Froschhüpfen spielen. Die Reihe der Erstsemester wurde immer kürzer, und das viel zu schnell, wie es ihm vorkam. In welches Haus würde der Hut ihn einordnen? James wünschte, er hätte eine Ahnung. Er hoffte innig, dass es nicht Slytherin sein würde.

"Jorkins, Bertha."

"Hufflepuff!"

Jorkins. Sie waren also schon bei J. Nur noch K - davon gab es sicher nicht viele - L, M, N, O ... und dann würde Peter dran sein, und bald darauf er selbst.

"Longbottom, Frank."

Der Hut dachte einen Moment lang nach. Dann:

"Gryffindor!"

James spürte, wie Peter neben ihm zitterte.

"Gleich bin ich an der Reihe. Oh, J-James, glaubst du ...?"

Aber James blieb keine Zeit zum Antworten.

"Pettigrew, Peter", sagte Professor McGonagall, und Peter zitterte wie Espenlaub, als er nach vorne ging.

*Hallo*, grübelte der Hut. *Was machen wir denn mit dir? Hm.*

*Schick mich zu Sirius, bitte*, dachte Peter. *Ich will nirgendwohin, wo ich keinen kenne.*

*Gryffindor?* wiederholte der Hut. *Bist du dir da sicher? Nur, wer tapferen Herzens ist, sollte dorthin. Hältst du dich wirklich für stark genug? Meinst du nicht, dass du in Hufflepuff sicherer wärst?*

*Nein, nein! Ich kann auch stark sein, ehrlich, so lange ich nur einen Freund habe, der mir hilft. Bitte, bitte schick mich nach Gryffindor*, bat Peter den Hut.

Es kam ihm vor, als habe der Hut kurz geseufzt, ehe er laut sagte: "Gryffindor."

Sirius klatschte laut, als Peter sich zu ihm gesellte. Sein Gesicht war puterrot und er sah verstört aus. James richtete sich auf. Jeden Moment ...

"Potter, James."

Er schaute zum Gryffindor-Tisch hinüber. Sirius grinste ihn an und drückte die Daumen. James lächelte schwach. Ihm war schlecht. Aber es führte kein Weg drum herum. Er trat vor und schloss die Augen, noch bevor der Hut auf seinem unordentlichen Haar landete und seine Brille verrutschte. Er wartete darauf, dass etwas geschah. Doch der Hut schien ewig still zu bleiben. Endlich sagte er langsam:

*So. Du willst also James Potter heißen, ja?*

*Das ist mein Name.*

*Tatsächlich? Nun ja. Wie du willst. Ich erinnere mich an deine Eltern, James Potter. Deine Mutter saß auch einmal auf diesem Hocker und ich habe nicht eine Sekunde gezweifelt, als ich sie nach Gryffindor schickte. Der Mut steckte in ihrem Blut, das sie von ihrem Vater geerbt hatte. Ja, für sie gab es keinen besseren Platz. Sie kam aus einer mutigen Familie. Tapfer und gut. Doch dein Vater - dein Vater war nicht wie sie. Oh nein. Er war da ganz anders, nicht wahr?*

*Ich ... weiß es nicht*, gab James zu.

*Du weißt es nicht? Also ... dein Vater war auf seine Weise auch mutig. Doch er war auch ehrgeizig. Er verlangte nach Größe und Bedeutung, und daher verbündete er sich mit einem, dessen Gier nach Macht in Zukunft noch so manches Missgeschick herbeiführen könnte. Aber lassen wir das. Wir sprachen von dir. Du hast das Potential, ein großer Zauberer zu werden, weißt du? Doch nicht jede Art von Größe ist gleich. Welcher Art soll deine sein, James Potter? Wirst du in die Fußstapfen deines Großvaters treten oder bist du eben doch deines Vaters Sohn? Gryffindor - oder Slytherin?*

James schluckte. Slytherin? Oh nein, bloß das nicht! Er schloss die Augen noch fester, die Übelkeit überkam ihn fast. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er, dass er darauf bestanden hätte, mehr über seinen Vater zu wissen. Wenigstens hätte er dann eine Ahnung gehabt, was ihn erwartete. Doch der Hut war noch nicht am Ende.

*Dein Potential für Größe und Bedeutung würde in Slytherin gut zur Geltung kommen, glaube ich. Und doch ... Ja, ich denke, du verdienst die Chance, etwas Besseres zu sein, daher ...*

Es folgte eine Pause, für James eine quälend lange. Dann endlich:

"Gryffindor!" rief der Hut.

James seufzte erleichtert und eilte zum Gryffindor-Tisch. Sirius sprang auf und klopfte ihm auf den Rücken, dann zerrte er ihn auf die Bank neben ihm.

"Das hat ja ewig gedauert!" meinte er. "Ich dachte schon, du wärst unter dem Hut eingenickt oder so. Warum hat der Hut so lange gebraucht?"

James zuckte mit den Schultern. Er fühlte sich schrecklich. Er wollte niemandem erzählen, was der Hut angedeutet hatte, zumindest noch nicht. Vielleicht würde er es Sirius später sagen. Er war so tief in Gedanken über die Worte des Hutes, dass er nicht einmal aufschaute, als Sirius stöhnte: "Oh nein, der schon wieder." Severus Snape, der Junge vom Zug, setzte sich an den Slytherin-Tisch.

Endlich löste sich die Reihe der Erstsemester auf, alle saßen jetzt an ihren Plätzen. Professor Dumbledore wartete, bis der Applaus verstummte, dann erhob er sich erneut.

"Nun, da unsere Erstsemester in ihre Häuser eingeordnet wurden", sagte er, "ist es fast an der Zeit für mich, das Festmahl zu eröffnen. Doch zuvor muss ich euch noch die üblichen Hinweise erteilen."

James zwang sich, den Hut kurz zu vergessen und den Schulleiter zu betrachten. Er war groß und sah weise aus mit seinem Zaubererhut und dem eleganten Gewand. Neben ihm saß Professor McGonagall, die streng dreinschaute. James ließ die Augen über die Reihe der Lehrer schweifen. Da war eine rundliche Hexe mit einem Mondgesicht, die irgendwie aussah, als verbringe sie viel Zeit im Freien. Ein alter Zauberer mit grauen Haaren, gekleidet in ein nachtschwarzes Gewand, mit einer langen Narbe auf der linken Wange. Eine junge, bunt gekleidete, exotische Hexe mit einer großen Brille, die bewirkte, dass sie ihm wie ein übergrößes Insekt vorkam. Ein hochgewachsener Zauberer mit einem langen, blassen Gesicht und kalten, stahlgrauen Augen. Ein winzig kleiner Zauberer, falls er überhaupt einer war, mit einem wirren Schopf drahtiger brauner Haare. Und ganz am Ende saß der Wildhüter Hagrid, neben dem der gewaltige Tisch so klein wie eine Schulbank wirkte. James wandte seine Aufmerksamkeit wieder Dumbledore zu.

"Unter gar keinen Umständen", sagte dieser soeben, "dürfen Schüler den Verbotenen Wald hinter Hagrids Hütte aufsuchen. Außerdem hat Professor Sprout eine seltene Peitschende Weide erworben, die auf dem Schulgelände gepflanzt wurde. Dieser Baum ist etwas - temperamentvoll, und ich würde daher vorschlagen, sich von ihm fernzuhalten. Unser Hausmeister Mr. Filch hat mich gebeten, euch alle zu informieren, dass 'lautes Lachen auf den Fluren' und 'in der Mittagspause fröhlich schauen' seiner Liste verbotener Handlungen hinzugefügt wurden. Wie jedes Jahr hängt die vollständige Liste in seinem Büro aus, wo sie jederzeit eingesehen werden kann. Schließlich macht es mir große Freude, bevor wir uns die Bäuche mit gutem Essen und Kürbissaft voll schlagen, zu verkünden, dass Professor McGonagall, die alle bis auf die Erstsemester bereits gut kennen, zugestimmt hat, neben ihrer Tätigkeit als Verwandlungslehrerin auch meine neue Stellvertreterin und verantwortliche Lehrerin für Gryffindor zu werden."

An allen Tischen wurde höflich applaudiert, doch viele der älteren Gryffindors schienen wenig begeistert.

"Und nun", verkündete Dumbledore mit einem Lächeln, "möge das Festmahl beginnen!"

Die Schüler schauten erwartungsvoll auf die leeren goldenen Teller und Platten, die sich in Blitzesschnelle mit köstlichem Schinken, Hünchen und Knödeln füllten, ganz zu schweigen von so viel Soße, dass eine Arche darauf hätte schwimmen können, wie Sirius zutreffend formulierte.

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2 - Gryffindors

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Nach dem Essen folgten James, Sirius und Peter einem Vertrauensschüler aus dem Speisesaal. Sie waren satt, zufrieden und kein bisschen müde. Mit weit offenen Augen starrten sie die sich bewegenden Gemälde an, die an den Wänden hingen, und sahen staunend zu, wie die Treppen auf beiden Seiten nach Lust und Laune die Richtung änderten. Endlich erreichten sie den Flur, der zum Porträt der dicken Frau führte. Sie hieß die Kinder mit einem Lächeln willkommen.

"Passwort?"

"Flohhüpfen", sagte der Vertrauensschüler.

Das Bild klappte sofort zurück und die Erstsemester folgten dem Vertrauensschüler in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum, der bereits voll war mit Schülern aller möglichen Altersgruppen.

"Ruhe bitte, versammelt euch hier", betonte der Vertrauensschüler ungeduldig.

Es wurde viel gekichert, geschubst und gedrängelt, bis alle endlich nahe genug dran waren, um ihn zu hören.

"Also", setzte er fort, "das hier ist euer Gemeinschaftsraum. Jungs, euer Schlafzimmer ist dort entlang, einfach durch die Tür und die Treppe raus. Mädchen, euer Schlafzimmer ist dort."

Er zeigte mit dem Finger auf eine andere Tür.

"Euer Gepäck wurde bereits nach oben gebracht. Das Passwort zum Gryffindor- Turm ist 'Flohhüpfen'. Merkt euch das, aber schreibt es nicht auf. Wir wollen schließlich nicht, dass es den Falschen in die Hände fällt - besonders den Slytherins. Eure Stundenpläne bekommt ihr morgen beim Frühstück. Und jetzt ist Schlafenszeit, Kinder. Na los."

Er schickte sie die Treppe hinauf zu den Schlafräumen. James schaute sich dort um. Es standen fünf Himmelbetten in dem Raum. Seine Truhe und sein Kessel standen am Fuß des Bettes an der Wand neben dem Fenster. Sirius warf sich auf das Bett neben seinem.

"Gemütlich", bemerkte er erfreut.

Peter Pettigrew war im dritten Bett einquartiert und ein weiterer Junge war ihnen gefolgt. Er war nicht besonders groß, etwas untersetzt, hatte kurze dunkle Haar und ein freundliches Gesicht. James erinnerte sich, dass dieser Junge sich kurz vor Peter an den Gryffindor-Tisch gesetzt hatte.

"Hallo", sagte Sirius zu dem Jungen. "Du bist Frank Longbottom, oder?"

"Ja", kam die Antwort.

"Klasse. Ich hab geklatscht, als du an unseren Tisch gekommen bist. Ich bin Sirius Black, das hier ist James Potter, und der da heißt Peter Pettigrew", stellte Sirius alle vor.

"Hallo. Tja", meinte Frank lächelnd, "wir vier bleiben jetzt wohl mindestens die nächsten sieben Jahre aneinander kleben."

"Wir fünf", berichtigte James und zeigte auf das fünfte Bett. "Da steht noch eine Truhe und ein Kessel."

"Komisch", sagte Sirius und setzte sich im Bett auf. "Ich habe keinen anderen neuen Gryffindor gesehen. Ihr etwa?"

Die anderen drei schüttelten den Kopf.