Vorgeschichte, Teil 10: Die Prophezeiung
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1 - Das Ende des Schuljahrs
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James schien das ganze Schuljahr lang von der Gruppe, die Sirius den 'VPFC' (Verrückten Potter Fan-Club) getauft hatte und die hauptsächlich aus dem kichernden Freundinnenkreis von Mary Crimple bestand, verfolgt zu werden.
Er war fast froh, als nach den längsten Monaten, die er in Hogwarts je erlebt hatte, endlich der Tag des Abschiedsessens gekommen war. Sirius, James, Peter und Remus eilten die Treppe hinunter zum großen Saal. Sie freuten sich auf köstliches Essen und Kürbissaft, mit Showeinlagen der Gespenster und der überschwellenden Freude, die die Ferien so mit sich brachten.
James sprang über die letzten Stufen hinweg und wartete unten auf seine Freunde. Er wollte schon weiter zum Speisesaal, stieß dabei aber mit jemandem zusammen; einer Person, die sich in ein dunkles, glitzerndes Gewand gehüllt hatte. Er schaute auf und fand sich den riesigen Brillengläsern von Professor Sybill Trelawney gegenüber.
"Oh, entschuldigen Sie", murmelte er.
"Das ist schon in Ordnung, junger Mann", setzte die junge Wahrsagelehrerin mit ihrer unheimlichsten Stimme an. "Ich wusste, dass Sie heute mit mir zusammenstoßen würden. Aber schließlich will man nicht immer dem Schicksal vorgreifen, nur weil man es kann."
Ihre Augen schauten so tief in die von James, dass es ihm unangenehm wurde. Rund um ihn herum waren Lehrer und Schüler stehen geblieben und starrten in seine Richtung.
"Tja, also ... tut mir Leid", sagte er.
Professor Trelawney drehte sich wie ein Geist um und driftete auf die Tür zum großen Saal zu, wo Professor McGonagall bereits ungeduldig wartete.
"Also wirklich, Sybill", hörte James sie leise zischen, "warum müssen Sie sich immer so unmöglich aufführen? Was ist denn jetzt schon wieder?" fügte sie hinzu, und James drehte den Kopf, um zu sehen, was los war.
Professor Trelawney starrte in die Richtung, in der Professor McGonagall stand, doch schien sie durch sie hindurch zu sehen. Dann drehte sie sich wieder um und blickte in Richtung der Eingangshalle, die mit Schülern gefüllt war. Ihr Blick war glasig. Sie stand lange Zeit so da und rührte sich nicht.
"Was soll das denn werden?" flüsterte Sirius James zu.
"Keine Ahnung", entgegnete James. "Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir sie ignorieren. Sie ist irgendwie ..."
"Tod!" kreischte Professor Trelawney plötzlich.
Die Schüler in der Eingangshalle verstummten. Der spöttische Ausdruck wich aus Professor McGonagalls Gesicht. Professor Trelawney versteifte sich auf einmal, und einen kurzen Augenblick lang richtete sie die Augen auf James. Sie waren nicht leer und verträumt wie sonst, sondern kalt und hart. Ihr Blick bohrte sich in ihn hinein wie ein Speer aus Eis. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück. Professor Trelawney sprach wieder, doch ihre Stimme klang ganz anders, als wäre es nicht wirklich ihre eigene, sondern eine ganz andere, fremde Stimme, so tief und kalt wie ein Grab.
"Dunkelheit. Das Böse nähert sich. Es erhebt sich eine Macht, die größer ist als jede andere. Die ganze Welt beschmutzt sie mit ihrer Saat. Der Funke ist entzündet. Bald wird die Flamme entfacht, die uns alle verzehren wird. Keine Macht der Welt kann sie aufhalten. Keine Macht bis auf eine."
James schauderte unter den kalten Augen, doch dann wurde Professor Trelawneys Blick wieder glasig. Sie begann, sich im Kreis zu drehen, und breitete dabei die Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet.
"Wo seid Ihr, Gryffindor?" sagte die seltsame Stimme in einem kaum hörbaren Flüstern, das so kalt war wie winterlicher Frost. "Wo verbergt Ihr Euch in unserer Zeit der Not? Zeigt Euch, denn Euch allein ist die Aufgabe bestimmt, den Herrn der Dunkelheit zu bezwingen. Ihr allein könnt die Flut des Bösen dämmen. Ihr allein könnt uns erretten."
Sie hielt inne und ihre Arme fielen schlaff herunter. Sie ging auf die Tür zu und lief dabei - für ihre Verhältnisse - ganz normal.
"Sybill ..."
Professor McGonagall ging auf sie zu.
"Ja, Minerva?" erwiderte Professor Trelawney, jetzt wieder mit ihrer vertrauten Singsang-Stimme.
"Was sollte das?" zischte McGonagall.
"Was sollte was?" fragte sie unschuldig.
Professor McGonagall schüttelte ungläubig den Kopf. Es schien, dass die Wahrsagelehrerin keine Ahnung hatte, was soeben geschehen war. James beobachtete sie, während sie in den großen Saal ging.
"Komm schon", sagte Sirius ihm ins Ohr, denn die anderen Schüler starrten sie alle neugierig an. "Lass uns reingehen, ja?"
James ließ sich von seinen Freunden in den Speisesaal führen, aber er hatte die Lust am Feiern verloren. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass Professor Trelawney - die dafür bekannt war, sonst nur Dinge zu prophezeien, die sie selbst erfüllen konnte - nun mindestens eine echte Vision zu verzeichnen hatte. Er fragte sich, was sie zu bedeuten hatte, und weshalb sie ihn so angestarrt hatte, als sie von dem Bösen sprach, das sich näherte. Den ganzen Abend lang konnte er an nichts anderes denken. Sie konnte doch nicht meinen, dass er etwas mit der dunklen Macht zu tun hatte, oder etwa doch? Was hatte sie noch gesagt?
"Tod. Dunkelheit. Das Böse nähert sich. Es erhebt sich eine Macht ... Keine Macht der Welt kann sie aufhalten."
Und dann:
"Wo seid Ihr, Gryffindor? ... Euch allein ist die Aufgabe bestimmt, den Herrn der Dunkelheit zu bezwingen."
Was für einen Herrn der Dunkelheit hatte sie gemeint? Die Nacht nach dem Fest war eine weitere schlaflose Nacht für James, und am nächsten Morgen beschloss er, dass er etwas unternehmen musste, und wenn er erst einmal nur darüber redete. Er brauchte den Rat von jemandem, der die Worte der Prophezeiung vielleicht verstehen würde.
Er dachte daran, einfach bis heute Abend zu warten und mit seiner Mutter zu sprechen, aber er war sich nicht sicher, ob sie ihm helfen konnte. Professor McGonagall vielleicht? Sie war für sein Haus verantwortlich, aber ... Nein. James beschloss, dass er darüber nur mit einer Person reden konnte.
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James Potter war nicht der Einzige, den Professor Trelawneys Worte faszinierten. Im Slytherin-Gemeinschaftsraum saß Severus Snape noch lange nach Mitternacht in voller Bekleidung da und schaute noch finsterer drein als sonst. Wie James war er überzeugt, dass Professor Trelawneys Prophezeiung ausnahmsweise echt gewesen war. Doch anders als James kannte er die Macht, die niemand aufhalten konnte. Keine Macht der Welt. Bis auf eine? Sie hatte angedeutet, dass Gryffindor irgendwie wiederkehren und den Dunklen Herrn besiegen würde.
Dieser Teil der Prophezeiung beunruhigte Severus. Einerseits konnte er sich keine Macht vorstellen, die diesen Mann aufzuhalten vermochte, andererseits hatte die Prophezeiung zu echt geklungen, als dass dieser Teil nicht stimmen sollte.
Er dachte scharf nach. Dem nach zu urteilen, was er einmal gehört hatte, trug Gryffindors letzter Erbe noch immer diesen Namen. Konnte Professor Trelawney ihn gemeint haben? Aber er war doch inzwischen ein sehr alter Zauberer, längst nicht mehr auf dem Höhepunkt seiner Macht; ein Einsiedler, der selten sein Haus verließ. Wie sollte dieser Mann eine Bedrohung darstellen können?
Immer noch grübelnd nahm Severus ein Pergamentstück hervor, holte Feder und Tintenfässchen und schrieb einen Brief.
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2 - Ratschläge
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James näherte sich vorsichtig dem steinernen Wasserspeier, der den Eingang zu Dumbledores Büro bewachte. Er war früh aufgestanden und hatte sich davongeschlichen, noch bevor seine Freunde wach wurden. Heute würden sie mit dem Hogwarts Express nach Hause fahren, aber er musste zumindest versuchen, das Rätsel zu lösen, bevor er ging. In der Hand hielt er die Karte des Rumtreibers. Dort war die versteckte Treppe eingezeichnet, sowie der runde Raum, der an ihrem oberen Ende lag. Auch Dumbledore konnte er sehen. Er saß an seinem Schreibtisch. James bemerkte, dass Mrs. Norris durch die Eingangshalle streifte. Er fuhr mit der Hand über die Karte und murmelte die Worte, um sie zu verbergen. James verstaute sie in der Tasche, wandte sich dem Wasserspeier zu und sagte:
"Pfefferkobold."
Er grinste, als der Wasserspeier beiseite wich und die Treppe erschien. Häufig ins Büro des Schuldirektors gerufen zu werden, weil man die Kessel seiner Mitschüler mit Kippzaubern belegt oder Slytherins verhext hatte, hatte immerhin den Vorteil, dass man immer das aktuelle Passwort des Direktors kannte. James stieg auf die Treppe und ließ sich zur Tür des Büros tragen. Er räusperte sich und klopfte an.
"Herein", sagte Dumbledores Stimme, gedämpft durch die Tür zwischen ihnen.
James trat ein und sah sich um. Egal, wie oft er hier stand, für ihn war dieser Raum nach wie vor der faszinierendste der ganzen Schule. An den Wänden kümmerten sich die vergangenen Schulleiter und Schulleiterinnen von Hogwarts in ihren Portraits um ihre Morgentoilette. Einige winkten ihm freudig zu, andere verschwanden beschämt hinter ihren Bilderrahmen. Am Schreibtisch saß der jetzige Schuldirektor, Albus Dumbledore höchstpersönlich, und schaute James über den Rand seiner Halbmondbrille an. Er schien von dem Besuch nicht im geringsten überrascht.
"Guten Morgen, James", sagte er. "Möchtest du ein Tässchen Tee?"
"Guten Morgen, Sir. Nein, danke sehr", antwortete James.
Er stand da und fühlte sich etwas unwohl. Auf einmal wusste er gar nicht mehr, wie er anfangen sollte. Dumbledore half ihm, indem er sagte:
"Professor McGonagall erzählte, du hättest gestern Abend eine kleine Begegnung mit Professor Trelawney gehabt. Gehe ich recht in der Annahme, dass du deswegen kommst?"
"Ja", sagte James dankbar. "Sie hat ein paar merkwürdige Dinge gesagt."
"Das ist nicht ungewöhnlich", bemerkte Dumbledore.
"Nein ... Ich meine ..." James wirkte besorgt, doch Dumbledores blaue Augen funkelten.
"Ich denke, dieses Mal verlief es anders als sonst", sagte er. "Wie ich hörte scheint sie dieses Mal wirklich etwas prophezeit zu haben - zum ersten Mal."
"Es fühlte sich auf jeden Fall so an, als wäre es echt. Ich glaube nicht, dass sie nur ... nur ... gespielt hat."
"Nein", pflichtete ihm der Direktor ernst bei, "das glaube ich auch nicht."
"Aber diese Dinge, die sie gesagt hat - über den 'Herrn der Dunkelheit', eine Flut des Bösen oder so ... Ich hab nachgedacht. Ich weiß, dass sie die meiste Zeit keine Ahnung zu haben schien, mit wem sie redet, aber als sie das gesagt hat, hat sie mich direkt angesehen. Ich hatte das Gefühl ... als ob ... als ob sie mich meint. Aber das kann doch nicht sein, oder? Ich meine, wie könnte ich etwas mit dieser bösen Macht zu tun haben?"
Es war, als durchsuchten Dumbledores Augen seine Gedanken.
"Hättest du einen Grund zu glauben, dass es so sein könnte?"
"Nein. Das heißt ..."
James erinnerte sich.
"Im ersten Jahr hat der Hut lange nachgedacht, wohin er mich schicken sollte. Er sprach von meinem Vater. Ich weiß, am Ende kam ich nach Gryffindor, aber das, was er damals gesagt hat, hat mich beunruhigt. Er sagte, er würde mich nach Gryffindor schicken, um mir eine Chance zu geben. Nach einer Weile habe ich nicht mehr daran gedacht. Ich dachte mir, der Hut hätte mich nie nach Gryffindor geschickt, wenn ich dort nicht reinpassen würde. Aber nach gestern Abend denke ich, er könnte sich vielleicht doch geirrt haben. Könnte das Böse, von dem Professor Trelawney sprach, mit mir zu tun haben?"
"Ich vermute", begann Dumbledore langsam, "dass Professor Trelawneys Prophezeiung sehr gut etwas mit dir zu tun haben könnte."
James wurde blass. Er wollte etwas sagen, doch Dumbledore hob beschwichtigend die Hand.
"Du verstehst mich falsch, James. Ich glaube nicht, dass du etwas mit der dunklen Macht zu tun hast. Ich bin mir ihrer schon seit einiger Zeit bewusst und glaube zu wissen, wer dahinter steckt."
"Wer denn?" fragte James interessiert.
Dumbledore betrachtete ihn nachdenklich. Schließlich sagte er:
"Jemand, den ich einmal kannte. Ein ehemaliger Schüler dieser Schule."
James schluckte.
"Sie meinen doch nicht etwa ... meinen Vater?"
Dumbledore lächelte.
"Nein, James. Aber ich meine jemanden, dem dein Vater nahe stand. Jemand, der ihn stark beeinflusste - zur Schulzeit und danach."
James runzelte die Stirn und seufzte.
"Ich weiß eigentlich so gut wie gar nichts über meinen Vater."
"Nein. Das liegt daran, dass deine Mutter ihr Leben lang alles getan hat, um dich vor ihm zu beschützen, und vor allem auch vor dem Mann, den er verehrte und von dem ich glaube, dass er ihm heute noch dient.
Und eben diesen Mann habe ich in Verdacht. Ich bin ziemlich sicher, dass er hinter dem steckt, was sich in letzter Zeit ereignet hat. Das Ministerium weigert sich noch, zuzugeben, dass böse Dinge geschehen. Aber das macht sie nicht weniger echt. Schon seit einigen Jahren nimmt er sich Macht, und es wird nicht allzu lange mehr dauern, bis das Ministerium gezwungen wird, sich einzugestehen, dass etwas unternommen werden muss. Es wird nicht mehr länger möglich sein, die Wahrheit vor der Welt zu verbergen - oder die Welt vor der Wahrheit zu verbergen.
Doch mit etwas Glück wird es möglich sein, dich noch für lange Zeit vor der bösen Macht zu verbergen. Denn ich glaube schon, dass sich ein Teil der Prophezeiung auf dich beziehen und dir noch eine große Aufgabe bestimmt sein könnte."
Er brach ab und betrachtete James noch eine Weile. Dann fuhr er fort:
"Kennst du die Geschichte von Godric Gryffindor, James?"
"Nein", gestand James. "Sie steht sicher in der Geschichte von Hogwarts, oder? Wieso? Ist das wichtig?"
"Ich denke, es könnte nicht schaden, wenn du die Geschichte kennst."
"Können Sie sie mir erzählen?"
Wieder lächelte Dumbledore.
"Das könnte ich. Aber ich glaube, ich habe dir erst einmal genug erzählt. Ich schlage vor, dass du mit deinen Freunden redest, denn du wirst sie vermutlich in Zukunft mehr denn je brauchen. Ich glaube außerdem, dass dein Freund Remus dir alles sagen kann, was du über Godric Gryffindor wissen willst."
"Moony?" James war so überrascht, dies zu hören, dass er aus Versehen den Spitznamen seines Freundes benutzte.
Der Direktor beobachtete ihn.
"Ah, ich sehe, du weißt also von den Problemen deines Freundes", sagte er langsam. "Das freut mich."
"Ja, Sir."
James fühlte sich ein wenig unbehaglich. Er hoffte ernsthaft, dass Dumbledore nicht herausfinden würde, was sie deswegen unternommen hatten. Aber der setzte das Thema nicht fort. Stattdessen sagte er:
"Remus ist der einzige Junge, den ich kenne, der die Geschichte von Hogwarts schon gelesen hatte, bevor er hier herkam, und gehört wahrscheinlich zu den wenigen Schülern, die sie jemals lesen. Ich bin sicher, er kann dir helfen."
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3 - Die Heimfahrt
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Der Hogwarts Express tuckerte vor sich hin. Remus hatte die Nase in ein schweres Buch gesteckt, Peter kaute auf einem Butterbrot und Sirius hatte innerhalb der letzten Viertelstunde etwa ein Dutzend mal gegähnt. James starrte aus dem Fenster und beobachtete die Landschaft, die draußen an ihnen vorbeizog. Nach einer Weile drehte er sich um.
"Moony", sagte er, "hör mal, ich weiß, das klingt vielleicht etwas komisch, aber ... Ich hab mich gefragt ... Sag mal, was weißt du über Godric Gryffindor?"
Remus schaute überrascht von seinem Buch auf.
"Gryffindor? Wieso interessierst du dich auf einmal für den?" fragte Sirius.
"Na ja, ihr wisst doch noch, was Professor Trelawney prophezeit hat, oder?" erwiderte James.
"Klar. Aber James, du hast das doch nicht etwa ernst genommen, oder? Die spinnt doch völlig", meinte Sirius.
Remus beobachtete James nachdenklich.
"Glaubst du, dass sie Recht hat?" fragte er.
"Ich könnte es mir vorstellen", sagte James. "Das ist auch Dumbledores Meinung."
"D-Dumbledore?" stammelte Peter. "Du warst bei Dumbledore?"
"Ja. Und er hat gesagt, ich soll Moony wegen Gryffindor fragen."
James wandte sich Remus zu, der sein Buch beiseite legte.
"Was willst du über ihn wissen?"
James seufzte.
"Keine Ahnung. Alles könnte wichtig sein. Am Besten fängst du einfach von vorn an."
"Na schön", begann Remus langsam. "Wo Godric Gryffindor herstammte weiß keiner so richtig. Die ersten Aufzeichnungen behaupten, dass er ein Schmiedelehrling war, in einem Ort namens Pine Hollow - später wurde der Ort in Godric's Hollow umbenannt. Aber er war als Schmied nicht zufrieden und hat sich eines Nachts heimlich ein magisches Schwert und eine Rüstung geschmiedet.
Der Legende nach war Pine Hollow damals ziemlich gefährlich - es wimmelte nur so vor Räubern und bösen Kobolden. Die Leute hatten Angst. Der einzige, der es wagte, zurückzukämpfen, war ein mysteriöser 'schwarze Ritter', der nachts erschien und die Lager der Räuber überfiel. Er vertrieb die Kobolde und machte Pine Hollow wieder sicher.
Aber dann kam ein Drache nach Pine Hollow. Es heißt, er hat die Häuser in Brand gesteckt und den Bauern ihre Schafe und Kühe gestohlen. Niemand wehrte sich, also kam er immer wieder. Eines Tages soll der Drache eine Festung in der Nähe angegriffen haben, wo der Lehnsherr der Gegend lebte, und hat dessen Tochter entführt.
Es wurde eine Belohnung für den Mann ausgesetzt, der sie retten würde."
"Lass mich raten", warf Sirius ein. "Er hat versprochen, dass der, der seine Tochter rettet, sie heiraten darf und bis an sein Lebensende steinreich ist, richtig?"
"Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen", bestätigte Remus lächelnd.
"Gryffindor hat die Frau also gerettet und sie geheiratet - was dann?" fragte James.
Remus fuhr fort.
"Er hat sie gerettet und geheiratet, und ihr Vater ließ ihm eine goldene Rüstung und ein neues Schwert schmieden. In dessen Griff war ein großer Rubin eingelassen, und es wurde mit Godric Gryffindors Namen graviert. Er hat weiter Drachen getötet und die Banditen des Landes bekämpft und wurde am Ende zum Ritter geschlagen. Man gab ihm ein Schloss als Belohnung für seine Taten - Hogwarts. Seine Frau war inzwischen schon gestorben, so viel ich weiß, aber er hatte einen Sohn.
Er hat dann seine Bekannten Helga Hufflepuff und Rowena Ravenclaw zu sich gerufen. Sie wollten alle drei eine Zauberschule gründen, aber sie hatten einen Rivalen, der in der Nähe etwas Ähnliches vorhatte - Salazar Slytherin. Rowena Ravenclaw hat vorgeschlagen, dass sie alle zusammen eine Schule gründen. Das haben sie getan. Den Rest kennt ihr ja ..."
James nickte. "Sie konnten sich nicht entscheiden, wen sie in ihre Schule aufnehmen sollten, weil alle andere Eigenschaften vorzogen. Also haben sie vier Häuser gegründet."
"Genau", stimmte Remus ihm zu. "Helga, Rowena und Godric waren damit zufrieden. Aber Slytherin wollte mehr. Er fing an, den Schülern Dunkle Zauber und die Unforgivable Curses beizubringen. Er hat sich mit den anderen dreien zerstritten und ging schließlich fort. Aber vorher richtete er noch eine Kammer ein, die außer ihm niemand öffnen konnte. Die anderen wussten nicht mal, wo sie lag. Die Kammer des Schreckens.
Es heißt, dass in der Kammer ein tödliches Monster lebte, das eines Tages aufwachen und Schrecken und Tod verbreiten würde. Aber als nach langer Zeit immer noch nichts vorgefallen war, fingen die Leute an zu glauben, dass es nur ein Märchen war. Die drei Gründer machten weiter, als wenn nichts wäre.
Etwa dreißig Jahre später kam Slytherin zurück. Er wollte die Kammer des Schreckens öffnen, das Monster freisetzen und es alle Schüler und Lehrer töten lassen, deren Blut nicht rein war. Aber Gryffindor hat das herausgefunden und Slytherin aufgehalten. Er tötete ihn mit seinem Schwert, aber als er im Sterben lag schwor Slytherin, dass sein wahrer Erbe eines Tages nach Hogwarts zurückkommen und die Kammer öffnen würde, um seine Tat zu vollenden."
"Gryffindor hat ihn einfach so getötet?" rief Peter erschrocken.
"Was hättest du getan, wenn jemand alle Schüler hätte umbringen wollen?" fragte Sirius. "Erzähl weiter, Moony."
"Tja, viel mehr gibt es nicht zu erzählen", sagte Remus. "Gryffindor hat Hogwarts verlassen und Slytherins Bruder und seine Erben verfolgt. Er hat gegen sie gekämpft und sie getötet - alle bis auf einen. Der letzte Erbe Slytherins tötete Godric Gryffindor. Gryffindors Sohn ging auf die Suche nach ihm, aber er hat ihn nie gefunden.
Angeblich kam wirklich einmal ein Erbe Slytherins nach Hogwarts. Ich glaube, es wurde sogar ein Mädchen getötet. Aber sie haben den Täter erwischt und bis heute ist niemand sicher, ob die Kammer des Schreckens wirklich existiert hat. Trotzdem behaupten manche, dass Slytherins Erbe eines Tages kommen und Böses tun wird."
"Da haben wir's", bemerkte Sirius triumphierend. "Ich hatte Recht: Trelawney hat alles nur erfunden. Natürlich kennt sie diese Geschichte, und sie wollte einfach mal noch ein bisschen unheimlicher als sonst sein. Der 'Herr der Dunkelheit' ist bestimmt nur ihr melodramatischer Ausdruck für Slytherins Erbe. Ich glaub wirklich nicht, dass du dir wegen irgendwas Sorgen machen musst, James."
Aber James sah gar nicht so sicher aus.
"Dumbledore sagt, ein teil von Professor Trelawneys Prophezeiung stimmt wirklich", erklärte er schließlich mit gedämpfter Stimme. "Er sagt, es ist etwas Böses im Gang, und er glaubt, dass er weiß, wer dahinter steckt. Wenn so viel von der Prophezeiung stimmt, warum sollte der Rest dann nicht auch wahr sein?"
"A-aber wenn das stimmt ... na, wäre es dann nicht besser, wenn wir uns einfach raushalten?" schlug Peter vor.
Seine Stimme bebte leicht und er war gespenstisch blass.
"Ich glaube nicht, dass wir das können", flüsterte James zurück. "Dumbledore scheint zu glaube, dass mindestens ich irgendwie darin verwickelt bin, und er meinte, ich solle mit euch dreien reden, denn ich könnte eure Hilfe brauchen."
Remus lehnte sich vertraulich vor.
"Aber wenn das wirklich stimmt und irgendwo eine dunkle Macht lauert - was können wir dagegen unternehmen? Und was hat Gryffindor damit zu tun? Ich meine, sein Sohn ist inzwischen auch schon längst tot. Es sei denn, sie meinte, es gibt einen neuen Erben von Gryffindor, der diese Macht hat, von der sie sprach."
"Aber wer kann das sein?" wunderte sich Sirius.
James zuckte die Achseln.
"Weiß ich auch nicht."
"Na, das dürfte doch wenigstens nicht so schwer rauszufinden sein", meinte Remus hoffnungsvoll. "In der Bibliothek muss es doch ein Buch geben, in dem Gryffindors Nachkommen aufgeführt sind. Wir müssen also einfach nach den Ferien mal nachsehen."
James runzelte die Stirn. Er wollte nicht gern so lange warten, um mehr zu erfahren. Aber ihm blieb wohl keine Wahl. Er hatte während der Ferien kaum Zugang zu Zauberbüchern. Remus schien seine Unzufriedenheit zu bemerken, denn er sagte:
"Hör zu, ich werde zu Hause so viel rausfinden, wie ich kann. Aber ich glaube kaum, dass ich ohne die Bibliothek von Hogwarts weit kommen werde."
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1 - Das Ende des Schuljahrs
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James schien das ganze Schuljahr lang von der Gruppe, die Sirius den 'VPFC' (Verrückten Potter Fan-Club) getauft hatte und die hauptsächlich aus dem kichernden Freundinnenkreis von Mary Crimple bestand, verfolgt zu werden.
Er war fast froh, als nach den längsten Monaten, die er in Hogwarts je erlebt hatte, endlich der Tag des Abschiedsessens gekommen war. Sirius, James, Peter und Remus eilten die Treppe hinunter zum großen Saal. Sie freuten sich auf köstliches Essen und Kürbissaft, mit Showeinlagen der Gespenster und der überschwellenden Freude, die die Ferien so mit sich brachten.
James sprang über die letzten Stufen hinweg und wartete unten auf seine Freunde. Er wollte schon weiter zum Speisesaal, stieß dabei aber mit jemandem zusammen; einer Person, die sich in ein dunkles, glitzerndes Gewand gehüllt hatte. Er schaute auf und fand sich den riesigen Brillengläsern von Professor Sybill Trelawney gegenüber.
"Oh, entschuldigen Sie", murmelte er.
"Das ist schon in Ordnung, junger Mann", setzte die junge Wahrsagelehrerin mit ihrer unheimlichsten Stimme an. "Ich wusste, dass Sie heute mit mir zusammenstoßen würden. Aber schließlich will man nicht immer dem Schicksal vorgreifen, nur weil man es kann."
Ihre Augen schauten so tief in die von James, dass es ihm unangenehm wurde. Rund um ihn herum waren Lehrer und Schüler stehen geblieben und starrten in seine Richtung.
"Tja, also ... tut mir Leid", sagte er.
Professor Trelawney drehte sich wie ein Geist um und driftete auf die Tür zum großen Saal zu, wo Professor McGonagall bereits ungeduldig wartete.
"Also wirklich, Sybill", hörte James sie leise zischen, "warum müssen Sie sich immer so unmöglich aufführen? Was ist denn jetzt schon wieder?" fügte sie hinzu, und James drehte den Kopf, um zu sehen, was los war.
Professor Trelawney starrte in die Richtung, in der Professor McGonagall stand, doch schien sie durch sie hindurch zu sehen. Dann drehte sie sich wieder um und blickte in Richtung der Eingangshalle, die mit Schülern gefüllt war. Ihr Blick war glasig. Sie stand lange Zeit so da und rührte sich nicht.
"Was soll das denn werden?" flüsterte Sirius James zu.
"Keine Ahnung", entgegnete James. "Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir sie ignorieren. Sie ist irgendwie ..."
"Tod!" kreischte Professor Trelawney plötzlich.
Die Schüler in der Eingangshalle verstummten. Der spöttische Ausdruck wich aus Professor McGonagalls Gesicht. Professor Trelawney versteifte sich auf einmal, und einen kurzen Augenblick lang richtete sie die Augen auf James. Sie waren nicht leer und verträumt wie sonst, sondern kalt und hart. Ihr Blick bohrte sich in ihn hinein wie ein Speer aus Eis. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück. Professor Trelawney sprach wieder, doch ihre Stimme klang ganz anders, als wäre es nicht wirklich ihre eigene, sondern eine ganz andere, fremde Stimme, so tief und kalt wie ein Grab.
"Dunkelheit. Das Böse nähert sich. Es erhebt sich eine Macht, die größer ist als jede andere. Die ganze Welt beschmutzt sie mit ihrer Saat. Der Funke ist entzündet. Bald wird die Flamme entfacht, die uns alle verzehren wird. Keine Macht der Welt kann sie aufhalten. Keine Macht bis auf eine."
James schauderte unter den kalten Augen, doch dann wurde Professor Trelawneys Blick wieder glasig. Sie begann, sich im Kreis zu drehen, und breitete dabei die Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet.
"Wo seid Ihr, Gryffindor?" sagte die seltsame Stimme in einem kaum hörbaren Flüstern, das so kalt war wie winterlicher Frost. "Wo verbergt Ihr Euch in unserer Zeit der Not? Zeigt Euch, denn Euch allein ist die Aufgabe bestimmt, den Herrn der Dunkelheit zu bezwingen. Ihr allein könnt die Flut des Bösen dämmen. Ihr allein könnt uns erretten."
Sie hielt inne und ihre Arme fielen schlaff herunter. Sie ging auf die Tür zu und lief dabei - für ihre Verhältnisse - ganz normal.
"Sybill ..."
Professor McGonagall ging auf sie zu.
"Ja, Minerva?" erwiderte Professor Trelawney, jetzt wieder mit ihrer vertrauten Singsang-Stimme.
"Was sollte das?" zischte McGonagall.
"Was sollte was?" fragte sie unschuldig.
Professor McGonagall schüttelte ungläubig den Kopf. Es schien, dass die Wahrsagelehrerin keine Ahnung hatte, was soeben geschehen war. James beobachtete sie, während sie in den großen Saal ging.
"Komm schon", sagte Sirius ihm ins Ohr, denn die anderen Schüler starrten sie alle neugierig an. "Lass uns reingehen, ja?"
James ließ sich von seinen Freunden in den Speisesaal führen, aber er hatte die Lust am Feiern verloren. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass Professor Trelawney - die dafür bekannt war, sonst nur Dinge zu prophezeien, die sie selbst erfüllen konnte - nun mindestens eine echte Vision zu verzeichnen hatte. Er fragte sich, was sie zu bedeuten hatte, und weshalb sie ihn so angestarrt hatte, als sie von dem Bösen sprach, das sich näherte. Den ganzen Abend lang konnte er an nichts anderes denken. Sie konnte doch nicht meinen, dass er etwas mit der dunklen Macht zu tun hatte, oder etwa doch? Was hatte sie noch gesagt?
"Tod. Dunkelheit. Das Böse nähert sich. Es erhebt sich eine Macht ... Keine Macht der Welt kann sie aufhalten."
Und dann:
"Wo seid Ihr, Gryffindor? ... Euch allein ist die Aufgabe bestimmt, den Herrn der Dunkelheit zu bezwingen."
Was für einen Herrn der Dunkelheit hatte sie gemeint? Die Nacht nach dem Fest war eine weitere schlaflose Nacht für James, und am nächsten Morgen beschloss er, dass er etwas unternehmen musste, und wenn er erst einmal nur darüber redete. Er brauchte den Rat von jemandem, der die Worte der Prophezeiung vielleicht verstehen würde.
Er dachte daran, einfach bis heute Abend zu warten und mit seiner Mutter zu sprechen, aber er war sich nicht sicher, ob sie ihm helfen konnte. Professor McGonagall vielleicht? Sie war für sein Haus verantwortlich, aber ... Nein. James beschloss, dass er darüber nur mit einer Person reden konnte.
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James Potter war nicht der Einzige, den Professor Trelawneys Worte faszinierten. Im Slytherin-Gemeinschaftsraum saß Severus Snape noch lange nach Mitternacht in voller Bekleidung da und schaute noch finsterer drein als sonst. Wie James war er überzeugt, dass Professor Trelawneys Prophezeiung ausnahmsweise echt gewesen war. Doch anders als James kannte er die Macht, die niemand aufhalten konnte. Keine Macht der Welt. Bis auf eine? Sie hatte angedeutet, dass Gryffindor irgendwie wiederkehren und den Dunklen Herrn besiegen würde.
Dieser Teil der Prophezeiung beunruhigte Severus. Einerseits konnte er sich keine Macht vorstellen, die diesen Mann aufzuhalten vermochte, andererseits hatte die Prophezeiung zu echt geklungen, als dass dieser Teil nicht stimmen sollte.
Er dachte scharf nach. Dem nach zu urteilen, was er einmal gehört hatte, trug Gryffindors letzter Erbe noch immer diesen Namen. Konnte Professor Trelawney ihn gemeint haben? Aber er war doch inzwischen ein sehr alter Zauberer, längst nicht mehr auf dem Höhepunkt seiner Macht; ein Einsiedler, der selten sein Haus verließ. Wie sollte dieser Mann eine Bedrohung darstellen können?
Immer noch grübelnd nahm Severus ein Pergamentstück hervor, holte Feder und Tintenfässchen und schrieb einen Brief.
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2 - Ratschläge
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James näherte sich vorsichtig dem steinernen Wasserspeier, der den Eingang zu Dumbledores Büro bewachte. Er war früh aufgestanden und hatte sich davongeschlichen, noch bevor seine Freunde wach wurden. Heute würden sie mit dem Hogwarts Express nach Hause fahren, aber er musste zumindest versuchen, das Rätsel zu lösen, bevor er ging. In der Hand hielt er die Karte des Rumtreibers. Dort war die versteckte Treppe eingezeichnet, sowie der runde Raum, der an ihrem oberen Ende lag. Auch Dumbledore konnte er sehen. Er saß an seinem Schreibtisch. James bemerkte, dass Mrs. Norris durch die Eingangshalle streifte. Er fuhr mit der Hand über die Karte und murmelte die Worte, um sie zu verbergen. James verstaute sie in der Tasche, wandte sich dem Wasserspeier zu und sagte:
"Pfefferkobold."
Er grinste, als der Wasserspeier beiseite wich und die Treppe erschien. Häufig ins Büro des Schuldirektors gerufen zu werden, weil man die Kessel seiner Mitschüler mit Kippzaubern belegt oder Slytherins verhext hatte, hatte immerhin den Vorteil, dass man immer das aktuelle Passwort des Direktors kannte. James stieg auf die Treppe und ließ sich zur Tür des Büros tragen. Er räusperte sich und klopfte an.
"Herein", sagte Dumbledores Stimme, gedämpft durch die Tür zwischen ihnen.
James trat ein und sah sich um. Egal, wie oft er hier stand, für ihn war dieser Raum nach wie vor der faszinierendste der ganzen Schule. An den Wänden kümmerten sich die vergangenen Schulleiter und Schulleiterinnen von Hogwarts in ihren Portraits um ihre Morgentoilette. Einige winkten ihm freudig zu, andere verschwanden beschämt hinter ihren Bilderrahmen. Am Schreibtisch saß der jetzige Schuldirektor, Albus Dumbledore höchstpersönlich, und schaute James über den Rand seiner Halbmondbrille an. Er schien von dem Besuch nicht im geringsten überrascht.
"Guten Morgen, James", sagte er. "Möchtest du ein Tässchen Tee?"
"Guten Morgen, Sir. Nein, danke sehr", antwortete James.
Er stand da und fühlte sich etwas unwohl. Auf einmal wusste er gar nicht mehr, wie er anfangen sollte. Dumbledore half ihm, indem er sagte:
"Professor McGonagall erzählte, du hättest gestern Abend eine kleine Begegnung mit Professor Trelawney gehabt. Gehe ich recht in der Annahme, dass du deswegen kommst?"
"Ja", sagte James dankbar. "Sie hat ein paar merkwürdige Dinge gesagt."
"Das ist nicht ungewöhnlich", bemerkte Dumbledore.
"Nein ... Ich meine ..." James wirkte besorgt, doch Dumbledores blaue Augen funkelten.
"Ich denke, dieses Mal verlief es anders als sonst", sagte er. "Wie ich hörte scheint sie dieses Mal wirklich etwas prophezeit zu haben - zum ersten Mal."
"Es fühlte sich auf jeden Fall so an, als wäre es echt. Ich glaube nicht, dass sie nur ... nur ... gespielt hat."
"Nein", pflichtete ihm der Direktor ernst bei, "das glaube ich auch nicht."
"Aber diese Dinge, die sie gesagt hat - über den 'Herrn der Dunkelheit', eine Flut des Bösen oder so ... Ich hab nachgedacht. Ich weiß, dass sie die meiste Zeit keine Ahnung zu haben schien, mit wem sie redet, aber als sie das gesagt hat, hat sie mich direkt angesehen. Ich hatte das Gefühl ... als ob ... als ob sie mich meint. Aber das kann doch nicht sein, oder? Ich meine, wie könnte ich etwas mit dieser bösen Macht zu tun haben?"
Es war, als durchsuchten Dumbledores Augen seine Gedanken.
"Hättest du einen Grund zu glauben, dass es so sein könnte?"
"Nein. Das heißt ..."
James erinnerte sich.
"Im ersten Jahr hat der Hut lange nachgedacht, wohin er mich schicken sollte. Er sprach von meinem Vater. Ich weiß, am Ende kam ich nach Gryffindor, aber das, was er damals gesagt hat, hat mich beunruhigt. Er sagte, er würde mich nach Gryffindor schicken, um mir eine Chance zu geben. Nach einer Weile habe ich nicht mehr daran gedacht. Ich dachte mir, der Hut hätte mich nie nach Gryffindor geschickt, wenn ich dort nicht reinpassen würde. Aber nach gestern Abend denke ich, er könnte sich vielleicht doch geirrt haben. Könnte das Böse, von dem Professor Trelawney sprach, mit mir zu tun haben?"
"Ich vermute", begann Dumbledore langsam, "dass Professor Trelawneys Prophezeiung sehr gut etwas mit dir zu tun haben könnte."
James wurde blass. Er wollte etwas sagen, doch Dumbledore hob beschwichtigend die Hand.
"Du verstehst mich falsch, James. Ich glaube nicht, dass du etwas mit der dunklen Macht zu tun hast. Ich bin mir ihrer schon seit einiger Zeit bewusst und glaube zu wissen, wer dahinter steckt."
"Wer denn?" fragte James interessiert.
Dumbledore betrachtete ihn nachdenklich. Schließlich sagte er:
"Jemand, den ich einmal kannte. Ein ehemaliger Schüler dieser Schule."
James schluckte.
"Sie meinen doch nicht etwa ... meinen Vater?"
Dumbledore lächelte.
"Nein, James. Aber ich meine jemanden, dem dein Vater nahe stand. Jemand, der ihn stark beeinflusste - zur Schulzeit und danach."
James runzelte die Stirn und seufzte.
"Ich weiß eigentlich so gut wie gar nichts über meinen Vater."
"Nein. Das liegt daran, dass deine Mutter ihr Leben lang alles getan hat, um dich vor ihm zu beschützen, und vor allem auch vor dem Mann, den er verehrte und von dem ich glaube, dass er ihm heute noch dient.
Und eben diesen Mann habe ich in Verdacht. Ich bin ziemlich sicher, dass er hinter dem steckt, was sich in letzter Zeit ereignet hat. Das Ministerium weigert sich noch, zuzugeben, dass böse Dinge geschehen. Aber das macht sie nicht weniger echt. Schon seit einigen Jahren nimmt er sich Macht, und es wird nicht allzu lange mehr dauern, bis das Ministerium gezwungen wird, sich einzugestehen, dass etwas unternommen werden muss. Es wird nicht mehr länger möglich sein, die Wahrheit vor der Welt zu verbergen - oder die Welt vor der Wahrheit zu verbergen.
Doch mit etwas Glück wird es möglich sein, dich noch für lange Zeit vor der bösen Macht zu verbergen. Denn ich glaube schon, dass sich ein Teil der Prophezeiung auf dich beziehen und dir noch eine große Aufgabe bestimmt sein könnte."
Er brach ab und betrachtete James noch eine Weile. Dann fuhr er fort:
"Kennst du die Geschichte von Godric Gryffindor, James?"
"Nein", gestand James. "Sie steht sicher in der Geschichte von Hogwarts, oder? Wieso? Ist das wichtig?"
"Ich denke, es könnte nicht schaden, wenn du die Geschichte kennst."
"Können Sie sie mir erzählen?"
Wieder lächelte Dumbledore.
"Das könnte ich. Aber ich glaube, ich habe dir erst einmal genug erzählt. Ich schlage vor, dass du mit deinen Freunden redest, denn du wirst sie vermutlich in Zukunft mehr denn je brauchen. Ich glaube außerdem, dass dein Freund Remus dir alles sagen kann, was du über Godric Gryffindor wissen willst."
"Moony?" James war so überrascht, dies zu hören, dass er aus Versehen den Spitznamen seines Freundes benutzte.
Der Direktor beobachtete ihn.
"Ah, ich sehe, du weißt also von den Problemen deines Freundes", sagte er langsam. "Das freut mich."
"Ja, Sir."
James fühlte sich ein wenig unbehaglich. Er hoffte ernsthaft, dass Dumbledore nicht herausfinden würde, was sie deswegen unternommen hatten. Aber der setzte das Thema nicht fort. Stattdessen sagte er:
"Remus ist der einzige Junge, den ich kenne, der die Geschichte von Hogwarts schon gelesen hatte, bevor er hier herkam, und gehört wahrscheinlich zu den wenigen Schülern, die sie jemals lesen. Ich bin sicher, er kann dir helfen."
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3 - Die Heimfahrt
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Der Hogwarts Express tuckerte vor sich hin. Remus hatte die Nase in ein schweres Buch gesteckt, Peter kaute auf einem Butterbrot und Sirius hatte innerhalb der letzten Viertelstunde etwa ein Dutzend mal gegähnt. James starrte aus dem Fenster und beobachtete die Landschaft, die draußen an ihnen vorbeizog. Nach einer Weile drehte er sich um.
"Moony", sagte er, "hör mal, ich weiß, das klingt vielleicht etwas komisch, aber ... Ich hab mich gefragt ... Sag mal, was weißt du über Godric Gryffindor?"
Remus schaute überrascht von seinem Buch auf.
"Gryffindor? Wieso interessierst du dich auf einmal für den?" fragte Sirius.
"Na ja, ihr wisst doch noch, was Professor Trelawney prophezeit hat, oder?" erwiderte James.
"Klar. Aber James, du hast das doch nicht etwa ernst genommen, oder? Die spinnt doch völlig", meinte Sirius.
Remus beobachtete James nachdenklich.
"Glaubst du, dass sie Recht hat?" fragte er.
"Ich könnte es mir vorstellen", sagte James. "Das ist auch Dumbledores Meinung."
"D-Dumbledore?" stammelte Peter. "Du warst bei Dumbledore?"
"Ja. Und er hat gesagt, ich soll Moony wegen Gryffindor fragen."
James wandte sich Remus zu, der sein Buch beiseite legte.
"Was willst du über ihn wissen?"
James seufzte.
"Keine Ahnung. Alles könnte wichtig sein. Am Besten fängst du einfach von vorn an."
"Na schön", begann Remus langsam. "Wo Godric Gryffindor herstammte weiß keiner so richtig. Die ersten Aufzeichnungen behaupten, dass er ein Schmiedelehrling war, in einem Ort namens Pine Hollow - später wurde der Ort in Godric's Hollow umbenannt. Aber er war als Schmied nicht zufrieden und hat sich eines Nachts heimlich ein magisches Schwert und eine Rüstung geschmiedet.
Der Legende nach war Pine Hollow damals ziemlich gefährlich - es wimmelte nur so vor Räubern und bösen Kobolden. Die Leute hatten Angst. Der einzige, der es wagte, zurückzukämpfen, war ein mysteriöser 'schwarze Ritter', der nachts erschien und die Lager der Räuber überfiel. Er vertrieb die Kobolde und machte Pine Hollow wieder sicher.
Aber dann kam ein Drache nach Pine Hollow. Es heißt, er hat die Häuser in Brand gesteckt und den Bauern ihre Schafe und Kühe gestohlen. Niemand wehrte sich, also kam er immer wieder. Eines Tages soll der Drache eine Festung in der Nähe angegriffen haben, wo der Lehnsherr der Gegend lebte, und hat dessen Tochter entführt.
Es wurde eine Belohnung für den Mann ausgesetzt, der sie retten würde."
"Lass mich raten", warf Sirius ein. "Er hat versprochen, dass der, der seine Tochter rettet, sie heiraten darf und bis an sein Lebensende steinreich ist, richtig?"
"Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen", bestätigte Remus lächelnd.
"Gryffindor hat die Frau also gerettet und sie geheiratet - was dann?" fragte James.
Remus fuhr fort.
"Er hat sie gerettet und geheiratet, und ihr Vater ließ ihm eine goldene Rüstung und ein neues Schwert schmieden. In dessen Griff war ein großer Rubin eingelassen, und es wurde mit Godric Gryffindors Namen graviert. Er hat weiter Drachen getötet und die Banditen des Landes bekämpft und wurde am Ende zum Ritter geschlagen. Man gab ihm ein Schloss als Belohnung für seine Taten - Hogwarts. Seine Frau war inzwischen schon gestorben, so viel ich weiß, aber er hatte einen Sohn.
Er hat dann seine Bekannten Helga Hufflepuff und Rowena Ravenclaw zu sich gerufen. Sie wollten alle drei eine Zauberschule gründen, aber sie hatten einen Rivalen, der in der Nähe etwas Ähnliches vorhatte - Salazar Slytherin. Rowena Ravenclaw hat vorgeschlagen, dass sie alle zusammen eine Schule gründen. Das haben sie getan. Den Rest kennt ihr ja ..."
James nickte. "Sie konnten sich nicht entscheiden, wen sie in ihre Schule aufnehmen sollten, weil alle andere Eigenschaften vorzogen. Also haben sie vier Häuser gegründet."
"Genau", stimmte Remus ihm zu. "Helga, Rowena und Godric waren damit zufrieden. Aber Slytherin wollte mehr. Er fing an, den Schülern Dunkle Zauber und die Unforgivable Curses beizubringen. Er hat sich mit den anderen dreien zerstritten und ging schließlich fort. Aber vorher richtete er noch eine Kammer ein, die außer ihm niemand öffnen konnte. Die anderen wussten nicht mal, wo sie lag. Die Kammer des Schreckens.
Es heißt, dass in der Kammer ein tödliches Monster lebte, das eines Tages aufwachen und Schrecken und Tod verbreiten würde. Aber als nach langer Zeit immer noch nichts vorgefallen war, fingen die Leute an zu glauben, dass es nur ein Märchen war. Die drei Gründer machten weiter, als wenn nichts wäre.
Etwa dreißig Jahre später kam Slytherin zurück. Er wollte die Kammer des Schreckens öffnen, das Monster freisetzen und es alle Schüler und Lehrer töten lassen, deren Blut nicht rein war. Aber Gryffindor hat das herausgefunden und Slytherin aufgehalten. Er tötete ihn mit seinem Schwert, aber als er im Sterben lag schwor Slytherin, dass sein wahrer Erbe eines Tages nach Hogwarts zurückkommen und die Kammer öffnen würde, um seine Tat zu vollenden."
"Gryffindor hat ihn einfach so getötet?" rief Peter erschrocken.
"Was hättest du getan, wenn jemand alle Schüler hätte umbringen wollen?" fragte Sirius. "Erzähl weiter, Moony."
"Tja, viel mehr gibt es nicht zu erzählen", sagte Remus. "Gryffindor hat Hogwarts verlassen und Slytherins Bruder und seine Erben verfolgt. Er hat gegen sie gekämpft und sie getötet - alle bis auf einen. Der letzte Erbe Slytherins tötete Godric Gryffindor. Gryffindors Sohn ging auf die Suche nach ihm, aber er hat ihn nie gefunden.
Angeblich kam wirklich einmal ein Erbe Slytherins nach Hogwarts. Ich glaube, es wurde sogar ein Mädchen getötet. Aber sie haben den Täter erwischt und bis heute ist niemand sicher, ob die Kammer des Schreckens wirklich existiert hat. Trotzdem behaupten manche, dass Slytherins Erbe eines Tages kommen und Böses tun wird."
"Da haben wir's", bemerkte Sirius triumphierend. "Ich hatte Recht: Trelawney hat alles nur erfunden. Natürlich kennt sie diese Geschichte, und sie wollte einfach mal noch ein bisschen unheimlicher als sonst sein. Der 'Herr der Dunkelheit' ist bestimmt nur ihr melodramatischer Ausdruck für Slytherins Erbe. Ich glaub wirklich nicht, dass du dir wegen irgendwas Sorgen machen musst, James."
Aber James sah gar nicht so sicher aus.
"Dumbledore sagt, ein teil von Professor Trelawneys Prophezeiung stimmt wirklich", erklärte er schließlich mit gedämpfter Stimme. "Er sagt, es ist etwas Böses im Gang, und er glaubt, dass er weiß, wer dahinter steckt. Wenn so viel von der Prophezeiung stimmt, warum sollte der Rest dann nicht auch wahr sein?"
"A-aber wenn das stimmt ... na, wäre es dann nicht besser, wenn wir uns einfach raushalten?" schlug Peter vor.
Seine Stimme bebte leicht und er war gespenstisch blass.
"Ich glaube nicht, dass wir das können", flüsterte James zurück. "Dumbledore scheint zu glaube, dass mindestens ich irgendwie darin verwickelt bin, und er meinte, ich solle mit euch dreien reden, denn ich könnte eure Hilfe brauchen."
Remus lehnte sich vertraulich vor.
"Aber wenn das wirklich stimmt und irgendwo eine dunkle Macht lauert - was können wir dagegen unternehmen? Und was hat Gryffindor damit zu tun? Ich meine, sein Sohn ist inzwischen auch schon längst tot. Es sei denn, sie meinte, es gibt einen neuen Erben von Gryffindor, der diese Macht hat, von der sie sprach."
"Aber wer kann das sein?" wunderte sich Sirius.
James zuckte die Achseln.
"Weiß ich auch nicht."
"Na, das dürfte doch wenigstens nicht so schwer rauszufinden sein", meinte Remus hoffnungsvoll. "In der Bibliothek muss es doch ein Buch geben, in dem Gryffindors Nachkommen aufgeführt sind. Wir müssen also einfach nach den Ferien mal nachsehen."
James runzelte die Stirn. Er wollte nicht gern so lange warten, um mehr zu erfahren. Aber ihm blieb wohl keine Wahl. Er hatte während der Ferien kaum Zugang zu Zauberbüchern. Remus schien seine Unzufriedenheit zu bemerken, denn er sagte:
"Hör zu, ich werde zu Hause so viel rausfinden, wie ich kann. Aber ich glaube kaum, dass ich ohne die Bibliothek von Hogwarts weit kommen werde."
