Vorgeschichte, Teil 15: Der Geist der Weihnacht

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1 - Alte Bekanntschaften

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Albus Dumbledore trat in die eindrucksvolle Bibliothek von Gryffindor Hall. Es war ein geräumiger, düsterer Raum, den nur der flackernde gelbe Schein der Kerzen erleuchtete, die unter der Decke schwebten. An den Wänden standen hohe Regale gefüllt mit vielen gebleichten, staubigen Büchern, und am einen Ende knisterte ein Feuer im großen Kamin. In einem der beiden Sessel, die auf dem Bärenfell vor dem Kaminfeuer standen, saß ein Zauberer.

Er war hochgewachsen und das gewellte, graue Haar fiel ihm bis auf die breiten Schultern. Der Rauch einer langen Pfeife umgab ihn. Seine Augen waren stahlgrau und sein Gesicht, alt und verwittert, ließ immer noch erahnen, dass er in seiner bereits lange zurückliegenden Jugend sehr gut ausgesehen haben musste. Er schaute auf, als der Schuldirektor von Hogwarts eintrat.

"Albus", sagte er mit einer nachdenklichen, etwas rauen Stimme. "Setz dich, alter Freund."

Dumbledore setzte sich in den Sessel, der ihm gegenüber stand.

"Wie geht es der lieben Arabella?"

"Sie sieht gut aus", antwortete Dumbledore.

"Das freut mich. Und der alte Nicolas?"

"Er konnte leider nicht kommen. Doch in seinem Brief hat er mir versichert, dass er auf jeden Fall hinter uns steht."

"Gut."

Eine Zeitlang schwiegen sie beide. Schließlich erlosch Gordon Gryffindors Pfeife und er nahm sie aus dem Mund.

"Und, ist deine Versammlung gut gelaufen?"

"Sie ist genauso gelaufen, wie ich erwartet hatte."

Gryffindor legte den Kopf auf die Seite.

"Jemand war anderer Meinung als du?"

"Bartemius Crouch schien der Ansicht zu sein, dass man den Einsatz der unverzeihlichen Flüche gegen Voldemorts Anhänger zulassen sollte. Alle anderen scheinen bisher zwar der Meinung, dass der Zweck derart radikale Mittel nicht heiligt, aber ob sie das immer noch so sehen werden, wenn es erst mehr Opfer gegeben hat ..."

"Glaubst du, dass es dazu kommen wird?"

"Daran besteht kein Zweifel. Voldemort ist kein harmloser Emporkömmling, Gordon. Er meint es ernst und er ist gefährlich. Er hat bereits mehr Opfer gefordert, als es den Leuten außerhalb der höchsten Kreise des Ministeriums bewusst ist. Etliche Minister, die sich gegen ihn gestellt haben, sind spurlos verschwunden. Ich fürchte, der Tod von Damocles Dorset war nicht der erste. Dass man bisher nie eine Leiche gefunden hat bedeutet nicht, dass kein Mord stattfand."

Gordon Gryffindor nickte nachdenklich.

"Du hast Recht. Aber sag mir - was erwartest du von mir?"

"Dass du Stellung beziehst, dich offen zeigst und uns unterstützt."

"Ich habe große Mühen auf mich genommen, Albus, um mich vor der Welt zu verstecken. Dieses alte Gemäuer ist sogar noch besser geschützt, als du ahnst. Niemand kann hier eindringen, wenn ich es nicht genehmige oder wenn er nicht weiß, wie man das verborgene Tor öffnet. Jetzt verlangst du, dass ich wieder an die Öffentlichkeit trete? Wieso?"

"Ich habe dir doch von Professor Trelawneys Prophezeiung erzählt ..."

"Und du glaubst, sie habe mich gemeint? Nein, Albus. Ich bin ein alter Mann. Ich glaube zwar, dass meine Kräfte die von Lord Voldemort noch immer übersteigen, doch aus deinen Berichten schließe ich, dass dem nicht mehr lange so sein wird. Ich kann ihn nicht aufhalten."

"Vielleicht hast du Recht. Aber du bist schließlich nicht der einzige lebende Erbe Gryffindors."

Das Gesicht des alten Zauberers verhärtete sich. Seine Augen wurden kalt.

"Ich bin der Einzige, der noch seinen Namen trägt", sagte er vorsichtig.

"Aber nicht der einzig Überlebende seines Geschlechts. Da ist noch dein Kind."

Gryffindor stand abrupt auf und wandte dem Feuer den Rücken zu.

"Ich habe kein Kind!"

"Doch, das hast du, Gordon. Und ich denke, dass es an der Zeit ist, dass ihr beiden euch versöhnt - bevor es dazu zu spät ist. Noch wissen wir nicht, wie Gryffindors Erbe - um welchen auch immer es sich handeln mag - den Dunklen Lord besiegen kann. Bis wir das in Erfahrung bringen sind alle seine Nachkommen in großer Gefahr. Voldemort wird auf der Suche nach euch sein, und deine Tochter genießt nicht den Schutz dieses Hauses. Falls Voldemort sie finden sollte ..."

"Woher sollte er überhaupt wissen, dass sie existiert?"

"Das weiß er bereits."

"Was?"

"Voldemort war bei ihrer Hochzeit, Gordon. Das weißt du natürlich nicht, da du selbst nicht dort warst."

Gordon Gryffindor drehte sich wieder zu Dumbledore. Er war blass geworden.

"Ich weiß, du hast dich in der Vergangenheit heftigst mit deiner Tochter zerstritten", sagte der Professor sanft. "Aber sie ist immer noch dein Kind und ich glaube, dass du sie im Herzen nicht verstoßen hast."

"Hast du sie gefunden?"

Dumbledore lächelte weise. "Weißt du nicht längst selbst, wo sie ist?"

"So, glaubst du?"

"Oh ja. Wie gesagt, ich habe nie geglaubt, dass deine Gefühle für deine Tochter wirklich erloschen sind. Du hast zwar jahrelang nicht mit ihr geredet, aber du würdest keine Ruhe finden, wenn du nicht wüsstest, wo sie ist. Ich habe selbst eine Vermutung. Ein Besuch bei einer bestimmten Adresse in London könnte sie bestätigen."

"Wenn du dir so sicher bist, dass du sie gefunden hast, warum gehst du dann nicht selbst zu ihr und bittest sie, deinem Orden beizutreten?"

"Das wäre wohl kaum ratsam. Es wäre für sie zu gefährlich. Immerhin bin ich doch eine bekannte Persönlichkeit. Wenn Voldemorts Spione sehen, dass ich sie besuche ... "

"Was willst du stattdessen tun?"

"Ich habe einen Plan. Vermutlich weißt du schon, dass deine Tochter einen Sohn hat."

"Ja", gab Gryffindor zu.

"Er ist zurzeit in Hogwarts. Er ist fünfzehn und ein anständiger Junge. Zufällig kenne ich die Eltern eines seiner besten Freunde recht gut. Sicher könnte ich es arrangieren, dass sie den Jungen und seine Mutter im Sommer zu sich nach Hause einladen. Würdest du sie dort besuchen? Voldemorts Spione wissen nicht, wo du bist, also werden sie dich auch nicht verfolgen."

Gordon Gryffindor schwieg einen Moment lang, dann sagte er:

"Du verlangst also, dass ich meinen Stolz unterdrücke und meine Tochter bitte, zu mir zurückzukommen? Warum sollte ich? Unsere Trennung war nicht meine Schuld. Eigentlich sollte sie mich um Verzeihung bitten."

"Wir haben nicht die Zeit, um auf den Ausgang eines Kampfes zwischen deinem und ihrem Stolz zu warten, Gordon. Was im Moment entscheidend ist, ist dass ihr euren Streit für eine wichtigere Sache beiseite legt - um Lord Voldemort aufzuhalten."

Gordon Gryffindor zögerte, doch schließlich seufzte er nachgebend.

"Nun gut, Albus. Sie mag einen großen Fehler begangen und sich entgegen meines ausdrücklichen Wunsches verhalten haben, aber das ist lange her. Wie du schon sagtest: Das Böse aufzuhalten ist wichtiger. Ich werde tun, was du verlangst."

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2 - Heiligabend

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James rieb sich die Hände und pustete darauf. Er schüttelte den Schnee von seinem Umhang und bibberte. Selbst in der Eingangshalle von Hogwarts war es bitterkalt. Draußen braute sich ein Schneesturm zusammen und dicke Flocken flogen in alle Richtungen, mal hierhin, mal dorthin, als könne sich der Wind nicht entscheiden, wohin er wehen wollte.

Auf der Treppe kam er an einer Gruppe aufgeregt quasselnder Mädchen vorbei und staunte, wie viele Leute dieses Jahr Weihnachten in Hogwarts waren. Soweit er wusste war die Schule sonst um diese Jahreszeit fast leer. Er selbst hatte Weihnachten auch immer zu Hause verbracht. Doch die Ereignisse der vergangenen Monate hatten vielen Eltern das Gefühl gegeben, dass ihre Sprösslinge in Hogwarts sicherer sein würden als in der Außenwelt.

Auf dem Rückweg zum Gryffindor-Turm dachte James über alles nach, was er dieses Jahr erlebt hatte. Seit dem Tod des Ministers in der Winkelgasse hatte sich in der Welt der Zauberer eindeutig vieles zum Schlechten gewendet. Der Tagesprophet hatte öfter über das geheimnisvolle Verschwinden einer bedeutenden Persönlichkeit berichtet, sowohl vor als auch nach diesem Ereignis. Immer häufiger hörte man, dass Muggel gequält worden waren, und in Hogwarts machte Professor Darkhardt Überstunden.

Er hatte nicht nur die Studentengruppe gegründet, die ihre Mitglieder scherzhaft als 'Darkhardts Verteidiger' bezeichneten, und ihnen samstags nachts heimlich mehr über die Dunklen Künste und ihre Bekämpfung beigebracht, sondern er hatte auch einen offiziellen Duellierklub eröffnet, der sonntags morgens stattfand, in der Hoffnung, noch mehr Schüler auf die kommende Gefahr vorbereiten zu können. Daher war der Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste immer sehr beschäftigt und wirkte übermüdet. James hatte jedoch selten jemanden gesehen, der so viel Engagement bewies, um seinen Schülern zu helfen.

Auch Remus Lupin sah in letzter Zeit sehr müde aus. Zweifellos dadurch angespornt, dass sowohl sein Vater als auch sein Onkel zum Orden des Phönix gehörten - der unter den Verteidigern bereits zu einer Art Legende geworden war - sowie dank Professor Darkhardt, der sich die größte Mühe gegeben hatte, ihm mehr Selbstvertrauen zu geben, steckte Remus nun jedes Fünkchen Energie in alles, was mit dem Kampf gegen die Dunklen Künste zu tun hatte. Er gab immer noch jeden Samstagmorgen Heather Woodcock Nachhilfe, nahm mit Begeisterung an den Stunden samstags nachts teil und war immer der Erste, der sonntags morgens für den Duellierkurs aufstand.

Doch auch James hatte nicht auf der faulen Haut gelegen. Auch er war fest entschlossen, seinen Beitrag zu leisten. Zusammen mit Sirius und Frank hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, potentielle neue Mitglieder für ihre Gruppe zu entdecken und herauszufinden, ob sie wirklich geeignet waren. Er und Sirius meldeten sich immer als Erste, wenn Freiwillige für neue Zauber und Duelliertechniken gesucht wurden, und überredeten auch einige andere Gryffindors sowie ein paar Ravenclaws und Hufflepuffs, beizutreten.

Gedankenverloren erreichte James das Porträt der fetten Dame viel früher, als er erwartet hatte, und stand eine ganze Weile dort, bis sie ihn ungeduldig nach dem Kennwort fragte. James schaute auf, aus seinen Tagträumen gerissen, und bemerkte kaum, dass die fette Dame eine glänzende Papiermütze aufgesetzt und sich mit weihnachtlichen Girlanden geschmückt hatte.

"Eierpunsch", murmelte er, und das Porträt wich zur Seite.

Er stieg durch das Loch und begann, seinen schneefeuchten Umhang abzunehmen. Wie auch der Rest der Schule war der Gemeinschaftsraum heute voller Menschen. James ging geistesabwesend zum Tisch in der Ecke und setzte sich. Remus sah von einem Buch auf und auch Sirius und Peter, der vor dem Kamin ein Kartenspiel gespielt hatten, gesellten sich zu ihnen.

"Was hast du?" fragte Remus.

"Er zerbricht sich mal wieder den Kopf", erriet Sirius. "James, Dumbledore und die besten Hexen und Zauberer des Jahrhunderts stecken schon ihre Köpfe zusammen, um einen Weg zu finden, wie man den Dunklen Lord aufhalten kann. Ich glaube kaum, dass du etwas bewirken wirst, indem du dir Gedanken machst und damit deine Ferien und unsere ruinierst."

"Sehr richtig", stimmte Remus ihm zu. "Mach dir nicht so viele Sorgen, sonst kriegst du noch graue Haare."

"Das sagt der Richtige!" Sirius lachte.

James lächelte. "Vielleicht habt ihr Recht. Aber ich glaube, sich keine Sorgen zu machen bringt genauso wenig."

"Da irrst du dich", meinte Sirius. "Wir können gerade nicht herausfinden, wie Voldemort zu besiegen ist, also schlage ich vor, wir tun das, was wir am besten können. Es ist Heiligabend, aber die Stimmung hier in Hogwarts ist diese Weihnachten miserabel. Ich denke, dagegen können wir etwas tun. Es ist unsere Pflicht."

James schien zu zweifeln, aber Remus nickte.

"Ich finde, Sirius hat damit gar nicht so Unrecht. Zu Weihnachten brauchen die Leute etwas Spaß, das baut sie wieder auf. Also geben wir ihnen Spaß. Ich bin sicher, Sirius hat auch schon einen genialen Plan ausgeheckt. Und ich würde darauf wetten, dass auch unser alter Freund Severus dabei eine Rolle spielt - hab ich Recht?"

"Ihre Schlussfolgerungen lassen wie immer nichts zu wünschen übrig, Mr. Moony", erwiderte Sirius. "Du hast wohl wieder zu viel Zeit bei den intelligenten Ravenclaws verbracht."

Remus räusperte sich etwas gereizt.

"Und, was hast du vor?" fragte Peter ungeduldig.

Sirius nahm ein kleines Fläschchen aus der Tasche und hielt es hoch. Darin war eine tiefblaue Flüssigkeit enthalten.

"Was ist das?"

"Ein Kitzeltrank", erklärte Sirius. "Man sprenkelt ihn auf die Kekse und wer sie isst wird fürchterlich durchgekitzelt und kann sich vor Lachen nicht mehr retten."

"Hm - aber wie schaffen wir es, dass Snape einen Keks isst, bevor ein anderer es tut?" fragte James. "Wenn er sieht, dass jemand danach lauthals lachen muss, rührt er die Kekse nicht an."

Sirius reagierte enttäuscht.

"Du bist heute aber negativ", klagte er.

"Macht doch nichts, eine gute Idee ist es trotzdem", sagte Peter. "Wir könnten ja die anderen Gryffindors, die Hufflepuffs und die Ravenclaws warnen. Dann hätten wir immer noch was zu lachen, wenn die Slytherins zubeißen, auch wenn Snape nicht den ersten Keks nimmt."

"Ja", stimmte James ihm etwas munterer zu. "Für Severus können wir uns ja was anderes einfallen lassen. Ich weiß: Wie wär's mit einer Weihnachtsmütze, aus der ein Feuerwerk sprüht?"

"Glaubst du wirklich, dass Severus Snape jemals eine Weihnachtsmütze aufsetzen würde?" zweifelte Remus. "Na ja, vielleicht setzt einer der Lehrer sie ja auf. Das wäre auch lustig."

Sirius lachte. "Ja, und für Snape ist mir auch gerade was eingefallen."

"Was denn?"

"Abwarten", sagte er geheimnisvoll. "Ich verspreche euch, das wird ein Spaß."

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Wie immer, wenn ihn etwas beschäftigte, schlief James in dieser Nacht sehr schlecht. Vielleicht hatten die anderen Recht. Vielleicht machte er sich wirklich viel zu viele Sorgen, aber er konnte es nicht ändern. Er lag zwei Stunden lang wach, bevor er dann endlich doch einschlief ...

James sah sich um. Es war mitten in der Nacht und er befand sich im Freien und dachte bei sich, dass er sicher eine Menge Ärger bekommen würde, wenn ein Lehrer ihn hier finden sollte. Aber wo genau war er? Er fing an zu laufen und bemerkte, dass der Boden unter seinen Füßen knirschte, als sei es ein langer Schotterweg. Er blickte nach unten, stellte aber fest, dass er sich geirrt hatte. Dort war kein Schotter. Er stand auf einem Bärenfell, in einem Raum voller staubiger Bücher. Hinter ihm knisterte ein Feuer und James drehte sich um, um es zu betrachten.

Die Flammen waren hellorange und wirkten sehr fröhlich, als würden sie glücklich tanzen. Er konnte etwas hören - das klare, hohe Singen eines Vogels - und blickte tiefer in die Flammen hinein, denn aus irgendeinem Grund erwartete er, dort etwas zu sehen.

Immer tiefer schaute er in das Feuer, und fast schon glaubte er, eine Gestalt ausmachen zu können. Sie war groß, hatte Flügel und schien rot im Schein des Feuers. Plötzlich kam Wind auf und das Wesen verschwand. Die Flammen neigten sich sanft von einer Seite zur anderen, dabei leuchteten sie rot und bronzefarben und wurden dünner, bis sie flatterten wie langes rotes Haar im Sommerwind.

Doch inmitten dieses roten Schleiers konnte James noch etwas anderes erkennen. Etwas hatte sich dort bewegt. Er hob die Hand, um den roten Vorhang beiseite zu schieben, damit er es besser sehen konnte.

Es waren Augen. Ein paar helle, grüne Augen zogen ihn an, immer näher und näher. Er hörte ein Lachen, hell und fröhlich und drehte sich, um zu suchen, woher es kam, aber auf einmal wurde es schwarz um ihn und er tastete im Dunkeln um sich. Er hörte ein lautes Schmettern und sah, wie sich ein Fenster abrupt öffnete, wie der Vorhang wild im starken Wind flatterte. Eine unerklärliche Angst packte ihn und er wollte fortlaufen, aber er konnte es nicht. Er blieb wie angewurzelt stehen.

Dann sah er es. Es fing als kleiner Fleck an, fing jedoch schnell an zu glühen: ein grelles, grünes Licht. Es tat weh, es anzusehen, und doch konnte er sich nicht davon abwenden. Es verdeckte alles andere, füllte den Raum, kam immer näher ... Er hörte, wie eine Frauenstimme seinen Namen schrie, dann hatte das Licht ihn erreicht und er vernahm nichts mehr. James hatte das Gefühl, vorwärts zu fallen, er streckte die Hand aus, um den Fall zu bremsen.

Als er die Augen öffnete, sah er vor sich verschwommen seinen Nachttisch. Seine Hand hatte sich an der Kante festgekrallt und er war schweißgebadet. James rollte sich keuchend auf den Rücken.

"Es war ein Traum", sagte er sich. "Nur ein Traum, nichts weiter."

Er schloss die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen, aber er konnte es nicht.

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3 - Ein heimliches Geschenk

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Remus drehte sich im Bett um und blinzelte. Ein winterlicher Sonnenstrahl hatte den Spalt zwischen den Vorhängen seines Bettes gefunden und schien ihm ins Gesicht. Nur einen Augenblick später hörte er ein Knarren am anderen Ende des Raumes, gefolgt von schweren Laufschritten und dem lauten Ruf:

"Fröhliche Weihnachten!"

"Dir auch fröhliche Weihnachten, Sirius", antwortete Remus und lachte, während er die Vorhänge beiseite schob.

James, Frank und Peter lugten auch hinter ihren Vorhängen hervor, sie alle lächelten und wünschten sich "fröhliche Weihnachten" und "noch viel fröhlichere Weihnachten" und "noch viel, viel, viel fröhlichere Weihnachten".

"Geschenke!" jubelte Sirius, nahm sich den Strumpf, der am Fußende seines Bettes hing und riss ihn ungeduldig auf.

"Seht mal!" rief er eine Sekunde später aufgeregt und hielt ein Buch hoch.

"Was ist das?" fragte Peter, der mit einem schokoladeverschmierten Gesicht unter seinem Bett hervorkroch.

"Ein Bildband über Motorräder natürlich", erwiderte Sirius ungeduldig. "Er ist von deiner Mutter, James!"

"Was ist denn ein Motorrad?" fragte Frank, der von Muggel-Transportmitteln nicht viel verstand.

"Ein Fahrzeug, das Muggel benutzen. Praktisch wie ein Besen, nur größer, glänzender und viel, viel aufregender", erklärte Sirius.

"Allerdings fliegen sie nicht, sondern rollen laut die Straße entlang auf ihren dicken, schwerfälligen Gummireifen, die ganz fürchterlich stinken, wenn man zu plötzlich bremst", fügte James hinzu.

"Ja - das ist toll", seufzte Sirius. "Woah - seht euch dieses mal an!"

Er starrte mit offenem Mund das Bild eines besonders großen und glänzenden Vehikels an.

"Das werde ich mir nie leisten können", bemerkte er sehnsüchtig.

James lachte.

"Keine Sorge, Sirius. Eines Tages, wenn ich Gringotts ausgeraubt habe, kaufe ich dir eins."

Remus lachte gemeinsam mit den anderen und holte auch seinen Strumpf vom Ende des Bettes auf seinen Schoß herauf und öffnete ihn. Da war ein wunderschöner schwarzer Winterumhang mit bronzenem Verschluss, den seine Mutter perfekt von Hand genäht hatte; ein neues Buch mit Zauberstreichen von seinen Freunden; ein Jahresvorrat an Pfefferkobolden und Zauberbohnen von seinem Onkel; und ein altes, dickes, ledergebundenes Buch mit goldener Schrift auf dem Einband und dem Titel 'Die Dunklen Künste - Ein Referenzwerk für Experten'.

"Was ist das?" fragte Peter und kam herüber, um es sich anzusehen.

Remus öffnete das Buch vorsichtig und blätterte die Seiten um.

"Seht euch die Bilder an", wisperte Frank beeindruckt, als er Remus über die Schulter schaute.

"Das ist ja toll!" rief James. "Das Buch sieht richtig uralt aus, aber es ist noch sehr gut erhalten. Da muss praktisch jeder Fluch und Gegenfluch drinstehen, den es auf der Welt je gegeben hat, vielleicht sogar welche aus der Zeit von Salazar Slytherin. Moment mal ..."

Er streckte die Hand aus und Remus hörte auf zu blättern.

"Der Cruciatus-Fluch", las er vor.

"Wurde Lothian - ich meine, dein Vater nicht deswegen verhaftet?" fragte Sirius James.

"Ja", erwiderte dieser kühl.

"Der Cruciatus-Zauber wurde vor mehr als einem Jahrhundert verboten, doch auch heute noch wissen viele Hexen und Zauberer, welche die Dunklen Künste ausüben, wie man ihn wirkt", las Frank. "Um diesen Fluch einzusetzen zeigt der Wirkende mit dem Zauberstab auf das Ziel und spricht den Zauber 'Crucio', der beim Opfer augenblicklich unerträgliche Pein verursacht. Bleibt die Verbindung zu lange bestehen, so kann das Opfer das Bewusstsein verlieren. Es sind ebenfalls Fälle bekannt, in denen Personen, die dem Cruciatus-Fluch ausgesetzt wurden, eine vollständige Abstumpfung ihrer Nerven erlitten, was zwar einerseits die Immunität gegen diesen Zauber bewirkt, andererseits jedoch auch bedeutet, dass sie nie wieder in der Lage sind, etwas physisch zu fühlen. Einige Opfer, bei denen der Fluch ununterbrochen über einen längeren Zeitraum oder wiederholt in sehr kurzen Abständen gewirkt wurde, sind für den Rest ihren Lebens vom Wahnsinn befallen worden."

Frank brach ab und schauderte. "Das ist ja schrecklich", meinte er.

"Fröhliche Weihnachten", grummelte Sirius sarkastisch. "Wer hat dir denn den erheiternden Schmöker geschenkt, Moony?"

Frank half Remus, nach dem Schildchen zu suchen und hielt es hoch.

"Ich habe mir gedacht, dass dir dieses Buch gefallen könnte", las er. "Ein Name steht hier nicht."

"Wer hat es dann geschickt?" fragte Peter. "Hast du eine Ahnung, Moony?"

"Vielleicht", sagte Remus nachdenklich. Er blätterte weiter in dem Buch. "Es ist ... fantastisch."

"Wenn du meinst." Sirius zuckte die Achseln. "Also, ziehen wir uns jetzt an und starten Projekt Weihnachtsstreiche?"

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An diesem Abend sangen die Rüstungen auf den Gängen dank Professor Flitwicks Künsten in lauten, rostigen Stimmen 'Kommet, ihr Hirten'. Unzählige Glühwürmchen flitzten im Saal hin und her und echte Feen drehten auf den Spitzen der zwölf riesigen Tannen Pirouetten, winkten dabei mit kleinen silbernen Zauberstäben und ließen ihre Kleidchen rascheln.

Die fünf Jungen gingen zur Mitte des Saales, wo die Tische von Hufflepuff und Ravenclaw zu einem großen zusammengeschoben worden waren, und wurden sofort lautstark von Damian Diggle empfangen, der ihnen Plätze freigehalten hatte. Sie setzten sich und James blickte in die vielen vertrauten Gesichter. Am Kopf des Tisches saß Professor Dumbledore zwischen Professor McGonagall und Hagrid, der ihnen zulächelte. Professor Darkhardt saß an McGonagalls anderer Seite und der winzige Professor Flitwick hockte auf einem Stapel Kissen neben Hagrid. Die anderen Lehrer schienen die Ferien bei ihren Familien zu verbringen.

Dann kam eine gemischte Gruppe von Schülern: Oliver McKinnon, ein Gryffindor im siebten Jahr; Florence Fortescue und Bertha Jorkins aus Hufflepuff, Daniel Moore und Mary Crimple aus Ravenclaw, Gemma, Crystal und Serenity aus Gryffindor, Eugene Berry aus Hufflepuff, Alice Spriggs aus Ravenclaw, Lily und Aurora, Heather Woodcock, Olivers jüngere Schwester und noch ein paar weitere der ganz jungen Ravenclaw-, Hufflepuff- und Gryffindor-Schüler. James fiel auf, dass diese drei Häuser offensichtlich beschlossen hatten, dass man sich Weihnachten gemeinsam amüsieren sollte, während die Slytherins wie üblich an der gegenüberliegenden Seite des Tisches saßen, so abseits vom Rest der Schüler, wie es nur ging.

"Wie ich sehe, sind wir alle versammelt", unterbrach Dumbledore mit seiner sanften Stimme das laute Reden. "Ausgezeichnet. Dann fällt es mir jetzt wie immer zu, euch allen ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen. Lasst es euch gut schmecken."

Er klatschte unter dem lauten Jubeln der Schüler in die Hände, und Tabletts voll mit Truthahn und Kartoffeln erschienen im Nu, wie auch reichlich Sauce und mehr als genug Knallbonbons für alle Anwesenden. Remus und Peter nutzten die Gelegenheit, um die selbstgemachten aus den Taschen hervorzuholen und sie inmitten der allgemeinen Unruhe unauffällig auf dem Tisch zu verteilen. Sirius fummelte inzwischen unter dem Tisch heimlich mit irgendetwas rum, und bald kam ein Mistelzweig zum Vorschein, der in Richtung der Slytherins schwebte.

Er flog über der Bank entlang und hielt direkt dort, wo Severus Snape saß. Etliche Mädchen an der gegenüberliegenden Seite des Tisches kicherten und sogar Professor McGonagalls Augen schienen amüsiert zu funkeln. Severus Snape bemerkte jedoch rein gar nichts, bis Florence schließlich mit einem schelmischen Grinsen aufstand. Sie ging um den Tisch herum, berührte ihn an der Schulter, so dass er sich umdrehte, und küsste ihn dann unverfroren mitten auf den Mund. Der Tisch brach in hellem Gelächter aus und Severus schoss von seinem Sitzplatz hoch.

"Hast du sie nicht mehr alle!" rief er entsetzt.

Aber einige der anderen Mädchen folgten dem Beispiel von Florence, bis am Ende Lucius Malfoy aufstand und den Zauberstab zog.

"Verzieht euch!" rief er und sah aus, als würde er jede verhexen, die nicht auf der Stelle verschwand.

"Malfoy! Hinsetzen!" befahl Professor Darkhardt sofort.

Lucius Malfoy starrte ihn wütend an, gehorchte jedoch prompt.

Darkhardt wandte sich Sirius zu und gab ihm mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung des Mistelzweigs. Sirius zuckte mit den Schultern und rief das Gewächs mit einer kurzen Bewegung seines Zauberstabs zurück. Severus setzte sich wieder hin und blickte feindselig zu ihm herüber.

Nachdem sich alle an Truthahn, Yorkshirepudding und Kartoffeln satt gegessen hatten, verschwanden diese auf wundersame Weise von den Tischen, und es erschienen riesige Plumpuddings und Kuchen mit mehr Vanillesoße und Sahne, als sie überhaupt vertilgen konnten. James legte die Kitzeltrank-Plätzchen heimlich dazu und nahm sich ein Stück Kuchen.

Alle langten reichlich zu, doch auf einmal wurde der Nachtisch durch einen lauten Knall vom Kopf des Tisches unterbrochen. James drehte rasch den Kopf und sah noch eben, wie etwas Kleines geradewegs in Richtung Decke schoss. Alle schauten erstaunt zu, wie der winzige Professor Flitwick raketengleich durch den Saal düste. Es dauerte ganze zwei Minuten, ehe er - ziemlich unelegant - mitten auf Professor McGonagalls Pudding eine Bruchlandung hinlegte.

Alle sprangen von ihren Plätzen auf, um den Schaden und Professor Flitwick besorgt zu begutachten.

"Filius, ist alles in Ordnung?" erkundigte sich McGonagall.

"Mir geht es bestens", entgegnete Flitwick gutgelaunt und stand vorsichtig auf. "Das war sehr - erhebend."

Die Professoren Darkhardt und Dumbledore nahmen in der Zwischenzeit den Weihnachtshut von Professor Flitwick, der ihm nach der Landung vom Kopf gefallen war, genauestens unter die Lupe.

"Offenbar hat jemand ein Filibuster-Produkt an diesem Hut befestigt", stellte Dumbledore fest und sah in die Runde.

Er blickte alle forschend an, und schließlich ruhten seine blauen Augen auf James, Remus, Sirius und Peter, die schuldbewusst zurückschauten.

"Ähm ... na ja" setzte Sirius an, "das ist so ... da muss etwas schief gelaufen sein, Professor. Wissen Sie, eigentlich sollte der Hut ein Feuerwerk abfeuern, und nicht seinen Besitzer selbst in einen Feuerwerkskörper verwandeln", erklärte er und bemühte sich dabei, ein ernstes Gesicht zu machen.

"Das war sehr gefährlich", schimpfte Professor McGonagall. "Professor Flitwick hätte schwer verletzt werden können, oder noch schlimmer."

"Es ist aber doch nichts passiert, Minerva", sagte Flitwick ruhig. "Und es ist Weihnachten, also will ich nichts von Bestrafung hören. Ich würde jetzt viel lieber meinen Pudding aufessen."

Er kehrte an seinen Platz zurück und streckte seine Hand nach seinem Hut aus, aber Darkhardt stoppte ihn.

"Vielleicht sollten Sie heute lieber auf einen Hut verzichten", schlug er vor.

Professor Flitwick, der immer noch amüsiert gluckste, setzte sich und schob sich ein Plätzchen in den Mund.

"Oh nein ...", flüsterte Peter.

Aber es war schon zu spät. Der kleine Professor hatte bereits herzhaft zugebissen und fing mit einem Mal an, unaufhörlich zu kichern. Nach einigen Minuten beruhigte er sich wieder und versicherte, es gehe ihm gut. Doch alle waren nun sehr vorsichtig, wovon sie kosteten und was sie aßen.

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Als alle so viel gegessen hatten, dass sie glaubten, bald zu platzen, verschwand auch der Nachtisch. Eugene Berry schlug eine nächtliche Schneeballschlacht vor und die meisten stimmten eifrig zu. Die Slytherins blieben jedoch für sich und kehrten in ihren Gemeinschaftsraum zurück.

Draußen entdeckte Remus Professor Darkhardt, der in Richtung des Waldes unterwegs war. Er entschuldigte sich kurz vor den anderen und rannte dem Lehrer nach.

"Professor!"

"Ja?"

Darkhardt blieb stehen und drehte sich um.

"Ich möchte mich nur kurz bei Ihnen bedanken, Sir."

"Bedanken? Wofür?"

"Für das Buch, Sir", erwiderte Remus. "Es war doch von Ihnen, nicht wahr?"

Professor Darkhardt schenkte ihm eines seiner schrägen Lächeln.

"Ach so. Ja, das war von mir."

"Es ist ein sehr wertvolles Geschenk. Sir, ich bin mir nicht sicher, ob ich es annehmen darf ..."

"Ich war mir auch nicht sicher, ob ich es dir schenken soll. Ich halte nichts davon, einzelne Schüler zu begünstigen. Deshalb habe ich das Kärtchen nicht unterschrieben und ich wäre dir dankbar, wenn du niemandem sagen würdest, woher du es hast."

Der Professor überraschte Remus dann, indem er ihm plötzlich die Hand auf die Schulter legte.

"Remus, ich habe dieses Buch schon seit vielen Jahren", erklärte er. "Ich habe es schon so oft gelesen, dass ich es auswendig kenne. Es ist, wie du selbst erkannt hast, ein sehr wertvolles Buch. Doch ich habe niemanden mehr, dem ich es einmal hinterlassen könnte. Daher möchte ich, dass du es behältst. Ich weiß, dass du es immer in Ehren halten und guten Gebrauch davon machen wirst."

Die Art, wie er diese Worte sagte, beunruhigte Remus, als habe der Professor ihm soeben etwas Wichtiges gesagt, was er nicht ganz verstand.

"Das werde ich, Sir", sagte er. "Ich verspreche es."

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4 - Die Schneeballschlacht

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Die Schüler hatten sich aufgeteilt, die Jungen waren in eine, die Mädchen in die andere Mannschaft gegangen. Das Spiel war chaotisch und Stunden später waren alle schneebedeckt und krümmten sich vor lachen.

Sirius warf einen gut gezielten Schneeball, der Olivia genau auf die Wange traf, und bekam unverzüglich die Rache der Mädchen zu spüren. Alice, Crystal und Florence warfen sich auf ihn, während Heather, Serenity, Aurora und Bertha ihre Hände mit Schnee füllten, den sie ihm in den Kragen stopften. James und Peter blickten sich an und nickten kurz.

Mit einem lauten Schrei griffen sie sich so viel Schnee, wie sie tragen konnten, und griffen an. Alice und Bertha sprangen schreiend beiseite. Peter und James prallten mit voller Wucht gegen die anderen und alle landeten im wilden Haufen auf der weichen Erde. Von irgendwo ganz unten machte sich Sirius' Stimme bemerkbar.

"Runter da!" rief er lachend. "Hilft mir mal jemand!"

Die noch stehenden Schüler betrachteten das Bild mit den vielen Armen und Beinen, die in alle Richtungen abstanden, und lachten, dann warfen auch sie sich in den Kampf. Sirius strampelte heftigst und schaffte es endlich, keuchend unter dem Haufen hervor zu kriechen. Aurora folgte ihm und kniete sich vor ihn.

"Alles in Ordnung?" fragte sie.

"Ja", schnaubte Sirius. "Mir geht's gut, danke. Ich bin nur etwas atemlos."

Aurora lächelte.

"Das ist gut", sagte sie. "Ich hab hier nämlich was für dich."

Sie holte die Hände hinter dem Rücken hervor und schmierte ihm Schnee ins Gesicht.

"Hey!" rief Sirius und sprang lachend auf. "Na warte!"

Er nahm sich zwei Hände voll Schnee und rannte ihr nach.

James war es mittlerweile gelungen, aufzustehen. Er suchte sein Freunde.

"Remus! Peter! Sirius!" rief er und zog nacheinander mehrere Schüler vom Haufen. "Seid ihr da irgendwo?"

"Ich bin hier, James", sagte Remus, der plötzlich neben ihm erschien. "Und Sirius ist da."

Er zeigte mit dem Finger dorthin, wo Sirius Aurora soeben eingeholt und zu Fall gebracht hatte.

"Ich weiß ja nicht, wie's dir geht", fuhr Remus fort, "aber ich bin fix und fertig. Ich glaube, ich gehe jetzt besser ins Bett und lese noch etwas."

James sah seinen Freund an und sein Gesicht verdunkelte sich kurz. Er schaute zum Mond auf, der schon morgen Nacht voll sein würde.

"Ist gut", sagte er. "Bis nachher."

Remus nickte und machte sich auf den Weg ins Schloss. Er wollte gerade die große Treppe hinaufsteigen, als er weiche Schritte hinter sich hörte. Als er sich umdrehte, stand er Heather gegenüber.

"Hallo", sagte sie schüchtern. "Wo willst du hin?"

"Ich bin ziemlich müde", erklärte Remus. "Ich gehe schon mal schlafen."

"Ja, du - du siehst wirklich müde aus", stimmte Heather zu. Einen Moment lang zögerte sie, dann sagte sie: "Könntest du mal ganz kurz warten? Ich bin gleich wieder da."

"Ist gut", antwortete Remus überrascht.

Heather rannte zu ihrem Gemeinschaftsraum und kam ein paar Minuten später wieder. Sie hielt ein schmales Päckchen in der Hand.

"Das ist für dich", sagte sie und reichte es ihm.

"Oh." Remus war erstaunt. "Aber ich - ich kann das nicht annehmen, ich hab doch gar nichts für dich."

"Das macht nichts", meinte sie eifrig. "Das hatte ich auch nicht erwartet, aber ... du warst dieses Jahr so lieb zu mir und hast mir so gut bei Verteidigung gegen die Dunklen Künste geholfen ... also, mach es auf."

Remus gehorchte und hielt schon bald ein elegantes, glänzendes Zauberstabetui aus Leder in der Hand.

"I-ich hoffe, es gefällt dir", stammelte Heather.

"Es ist toll", sagte er. "Vielen Dank. Das ist wirklich nett von dir."

"Ach was. Es ist ja nichts Großes. Ich hab nur gedacht ... na ja ..."

Remus schaute sie an. Ihre blauen Augen leuchteten und ihre sonst so blassen Wangen waren rot - sie sah sehr hübsch aus. Er dachte daran, was Sirius jetzt sagen würde. Sie war doch bloß ein Kind, noch nicht ganz dreizehn Jahre alt. Aber dieser Blick ... Remus schüttelte lächelnd den Kopf. Er lehnte sich zu ihr herunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

"Fröhliche Weihnachten, Heather", wünschte er ihr und ging schnell die Treppe hinauf.

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James richtete sich auf und gähnte. Die meisten Schüler waren inzwischen zu Bett gegangen, aber einige wehrten sich noch gegen die Müdigkeit. Er fragte sich, wo Sirius wohl steckte. Etwas abseits sah er Lily Evans alleine stehen. James ging zu ihr und setzte sich in den Schnee.

Eine Zeit lang sagte keiner von beiden etwas. James empfand diese Stille irgendwie als angenehm, sie wirkte nach der hektischen Schlacht entspannend auf ihn. Er blickte hoch und sah, wie Lily schnell den Kopf wegdrehte.

James stand auf und stellte sich neben sie. Sie sah ihn an und lächelte schüchtern. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber dann fegte der Wind durch ihr Haar und er hielt mit offenem Mund inne. Wie ihre Haare vom Wind geweht wurden, und dann diese Augen ... das erinnerte ihn an etwas. Plötzlich sah er wieder die Bilder aus seinem Traum: langes rotes Haar im Wind wie ein roter Schleier, leuchtend grüne Augen, dieses Gefühl, dass etwas Schreckliches geschehen würde, der Schrei ...

"James? James, geht's dir gut?"

Er öffnete die Augen und stellte fest, dass er noch immer auf dem Hogwarts-Gelände stand. Lily stand noch neben ihm, sie hatte die Hand auf seinen Arm gelegt.

"Ja", murmelte er, obwohl ihm noch etwas schwindelig war. "Es ist nichts. Nur ..."

"Was?"

"Kennst du das Gefühl, dass du etwas schon mal erlebt hast? Hast du schon mal was gesehen und - und es ist genau wie etwas, was du schon mal gesehen hast?"

"Du meinst Déjà-vu."

"Genau."

"Was war es denn?"

"Es - na ja ..." James verschlug es auf einmal vor Verlegenheit die Sprache.

"Ja?"

"Es ist was ganz Dummes", sagte er.

"Nein, bestimmt nicht", meinte Lily. "Jetzt sag schon."

James seufzte.

"Na gut. Es waren deine Haare."

"Meine Haare?" Lily war überrascht.

"Ja. Und deine Augen, aber eigentlich mehr die Haare. Ich ..." - er zögerte und fügte dann hinzu, "Ich hab sie in einem Traum gesehen."

Lily lachte.

"So so. Träumst du öfter von meinen Haaren und Augen?"

"Nur das eine Mal", antwortete er schnell.

Dann fiel ihm ein, dass das nicht stimmte. Es war schon mal vorgekommen. Mindestens einmal, nach dem Quidditch-Spiel.

"Was hast du?" fragte Lily.

"Mir ist gerade eingefallen, dass es doch nicht das erste Mal ist."

"Interessant", neckte Lily. "Ich bin sicher, Professor Trelawney würden dazu ein paar gute Theorien einfallen. Was ist?" fügte sie hinzu, denn er schaute finster drein.

"Es ist nur - ich weiß nicht, aber irgendwie hab ich in diesen Träumen immer das Gefühl, dass etwas passieren wird. Etwas, wovor ich Angst habe."

"Ich hätte nie gedacht, dass dir etwas Angst macht", sagte Lily jetzt ernsthaft und betrachtete ihn, als sähe sie ihn in einem neuen Licht. "Du wirkst immer so - selbstsicher."

"Oh, ich hab schon Angst. Zum Beispiel vor Lord Voldemort. Und davor, was passiert, wenn er stärker wird."

"Ja", stimmte Lily zu. "Er macht mir auch Angst. Manchmal wünschte ich, man könnte etwas tun ..."

James betrachtete sie kurz.

"Das kann man." Er nahm sie beim Ellenbogen und führte sie von den anderen weg. "Professor Dumbledore hat einen Orden mit Leuten gebildet, die sich dem Kampf gegen Voldemort widmen. Professor Darkhardt gehört dazu und hat hier in Hogwarts eine Gruppe aufgemacht, in der er uns mehr über die Dunklen Künste erzählt und uns beibringt, wie man sie bekämpft ... dort lernen wir Dinge, die nicht im Lehrplan stehen."

"Eine Schülergruppe? Was können Schüler schon tun?"

"Mehr als du denkst. Er bringt uns bei, welche Waffen die andere Seite hat und wie man sich dagegen wehrt. Einige haben sich schon entschieden, später Auroren zu werden. Frank, Damian, Gemma, ..."

Lily blickte ihn seltsam an.

"Willst du auch mal ein Auror werden?" fragte sie still.

"Wahrscheinlich schon."

"Aber das - das ist ein gefährlicher Beruf, James."

Sie klang besorgt. James gefiel das.

"Ich weiß. Aber irgendjemand muss sich gegen Voldemort und seine Leute stellen. Darkhardt bereitet uns darauf vor. Wir werden nicht unser ganzes Leben lang Schüler sein, Lily. Wenn wir Hogwarts verlassen, sind wir Voldemort genauso ausgesetzt wie alle anderen, wenn er bis dahin nicht vernichtet wurde."

"Und du willst, dass ich da mitmache?"

"Ich biete dir nur die Entscheidung an, ob du dabei sein willst oder nicht. Professor Darkhardt besteht darauf, dass man niemanden dazu zwingen sollte."

Lily dachte einen Moment lang nach.

"Ich glaube nicht, dass ich das Zeug zum Auror habe, James. Ich würde gern beim Kampf gegen Du-weißt-schon-wen helfen ... aber ein Auror sein kann ich nicht."

"Musst du auch gar nicht", sagte James schnell. "Nicht jeder will ein Auror werden. Remus wäre gern mal Lehrer, Colin will immer noch zum Profi-Quidditch ... aber trotzdem werden sie alles tun, um die Dunklen Künste zu bekämpfen."

Sie hatten die Treppe zum Schloss fast erreicht. Lily blieb stehen.

"Ich möchte gern helfen", sagte sie endlich. "Diese Bedrohung kann keiner von uns ignorieren, am allerwenigstens jemand, der wie ich aus einer Muggelfamilie stammt."

"Klasse!"

Lily seufzte.

"Was ist los?" fragte James.

"Es ist Weihnachten. Zu dieser Jahreszeit sollte es nur Frieden und Glück geben; aber die Bedrohung in der Welt da draußen scheint das nicht mehr zuzulassen."

"Es tut mir Leid, dass ich ausgerechnet heute davon anfange. Aber ich bin sicher, eines Tages werden wir Voldemort besiegen, und dann können wir wieder aufatmen."

Er besah sich ihr besorgtes Gesicht und überlegte, wie er sie aufmuntern könnte. Plötzlich kam ihm eine Idee. Er bückte sich, nahm sich etwas Schnee und formte einen Schneeball. Dann holte er den Zauberstab hervor.

"Was machst du da?" fragte Lily neugierig.

James zeigte mit dem Zauberstab auf den Schneeball und flüsterte etwas. Der Schnee veränderte die Form, bis in James' ausgestreckter Hand eine gläserne Rose lag. Lilys grüne Augen weiteten sich, als er sie ihr überreichte.

"Sie ist wunderschön", flüsterte sie, und lächelte.

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Sirius und Aurora saßen nebeneinander auf einem umgekippten Baumstamm und sprachen leise miteinander.

"Also, wer ist alles in diesem Geheimklub?" fragte Aurora.

Sirius zählte die Mitglieder an den Fingern ab.

"Also, da sind James, Remus, Peter, Frank und ich. Damian Diggle, Oliver, Gemma, Donald, Flossie Fortescue, Royle und Ross, Richard und Colin. Das sind glaube ich alle. Aber es wollen noch mehr einsteigen. Fortuna Tripp, Hornby, Crystal Rose, Mary Crimple, ..."

"Vergiss ja nicht Aurora Borealis", fügte Aurora hinzu. "Mich werdet ihr nicht ausschließen!"

Sirius grinste. "Das würden wir nie wagen!"

Sie schwiegen eine Weile. Sirius sah sich den Mond an. Nach einer Weile bemerkte er, dass Aurora es ihm nachtat.

"Denkst du gerade an Remus?" fragte sie plötzlich.

Sirius wandte sich ihr abrupt zu.

"Was?"

Aurora zeigte zum Himmel.

"Es ist fast Vollmond. Morgen Nacht wird er sich wieder verwandeln."

Sirius' Mund öffnete sich weit.

"Du - du weißt Bescheid?"

"Ich weiß viel über Leute, ohne dass sie wissen, dass ich es weiß", entgegnete Aurora. "Ich kann nichts dafür. Manchmal, wenn jemand emotional besonders stark berührt wird, fließen seine Gedanken dermaßen frei, dass ich sie nicht ignorieren kann."

"Ach ja?"

Aurora lachte über Sirius' besorgtes Gesicht.

"Keine Angst, ich käme nie auf die Idee, absichtlich in deinem Gehirn rumzustöbern. Ich bin sicher, da geht eine Menge vor sich, was ich gar nicht wissen will."

"Was soll das jetzt wieder heißen?" fragte er hitzig.

"Vorsicht, Vorsicht, Sirius. Denk dran, was ich über starke Emotionen gesagt habe."

"Ach ja. Ich hab keine Lust, dass meine Gedanken aus mir raussprudeln. Und, was hast du bisher so über mich rausgefunden?"

"Nicht mehr, als jeder deinem Verhalten entnehmen könnte."

"Und das wäre?"

Sie sah ihn von der Seite an. Ihre Mundwinkel zuckten nach oben.

"Du bist ein Schlingel", neckte sie ihn.

"Ich habe nie das Gegenteil behauptet", lachte Sirius.

"Nein. Du bist sogar ziemlich stolz darauf, stimmt's? Aber ich glaube, du bist noch mehr als das."

Bei dem plötzlich ernsten Tonfall wurde es Sirius unbehaglich.

"Ah ja?"

"Ja. Du bist unwahrscheinlich loyal. Du würdest niemals einen Freund im Stich lassen oder jemanden verraten, der dir etwas bedeutet. Ich glaube, eigentlich bist du richtig anhänglich. Aber du gibst es nicht gern zu. Du hast Angst, aufrichtige Zuneigung zu zeigen, weil du es für unmännlich hältst, sich emotional zu verhalten, und weil es dich verletzlich macht. Deshalb hast du aus dir selbst diesen unbekümmerten Rabauken gemacht, der nie etwas ernst zu nehmen scheint. Hab ich Recht?"

Sirius runzelte die Stirn.

"Mir gefällt deine Analyse nicht. Gleich fängst du noch an zu behaupten, das alles hätte ich meiner unglücklichen Kindheit zu verdanken."

Aurora grinste.

"Trifft das zu?"

"Halt den Mund!"

Sirius stand auf und ging auf und ab. Aurora erhob sich ebenfalls und hielt ihn am Arm fest.

"Du hattest gefragt."

"Ja, das hab ich wohl. Aber du irrst dich, Aurora. Ich habe keine Angst, aufrichtige Zuneigung zu zeigen."

"Dann beweise es mir", flüsterte sie und kam näher.

Sirius lehnte sich vor und sie schloss die Augen.

"Autsch!" schrie sie einen Augenblick später und hielt sich die Nase, an der er sie gezwickt hatte. "Warte, du Monster!"

Sirius rannte lachend davon, ließ sich aber bald schon von ihr einholen und fing sie in seinen Armen auf. Aurora piekste ihn wiederholt mit den Fingern, bis Sirius ihre beiden Arme festhielt und sie plötzlich verspielt auf die Lippen küsste.

Dann rannte er wieder weg, aber dieses Mal hielt er nicht an. Aurora sah ihm nach und schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte natürlich ganz Recht gehabt. Er wollte einfach keine Emotionen zeigen, wenn er dabei nicht so tun konnte, als sei alles nur gespielt.

Sie fragte sich heimlich, ob die Liebe für ihn nur ein Spiel war, oder ob sie ihm wirklich so viel bedeutete, wie er ihr inzwischen. Aurora seufzte. Sirius war einfach unmöglich.

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5 - Slytherin's Rock

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Der Mann, der früher einmal als Tom Riddle bekannt gewesen war, belustigte sich über die fröhlichen Weihnachtssänger, die Priester in ihren feinen Gewändern, die Menschen, die sich auf den Straßen heitere Grüße zuriefen - und über den Geist der Weihnacht.

Auf seinem thronartigen Stuhl aus Ebenholz im großen Speisesaal der steinernen Festung auf der zerklüfteten, finsteren Insel Slytherin's Rock, umgeben von heftigen pechschwarzen Wellen, die gegen das Ufer schlugen, versteckte er sich vor der Welt und sammelte seine Kräfte, während er neue Pläne ausheckte, um sein endgültiges Ziel zu erreichen: ewiges Leben.

"Meister!"

Seine harten Augen durchbohrten die Dunkelheit und konzentrierten sich auf die Gestalt, die sich ihm näherte. Die junge Frau blieb stehen und verneigte sich tief. Lord Voldemort hob die Hand und sie richtete sich auf. Er studierte ihr Gesicht.

Paula Lestrange hatte sich sehr verändert, seit sie zu ihm gekommen war, als sie noch Paula Pettigrew geheißen hatte. Ihr Haar war damals blond gewesen, doch mit einem Zauber hatte sie es schwarz gefärbt, um sich ein für alle Mal von ihrer Schwester zu unterscheiden, die sie verabscheute. Ihre Gesichtszüge hatten sich verhärtet, ihre Augen waren kälter. Sie sah ihn selbstbewusst und zugleich unterwürfig an.

"Was ist?" fragte er.

"Wir haben eine Eule von Lucius Malfoy empfangen. Er hat seine Bereitschaft bestätigt, jede Tat zu vollbringen, die Sie ihm auftragen. Er bittet respektvoll um Anweisungen. Was soll ich ihm sagen?"

"Bemühe dich nicht", erwiderte Voldemort langsam. "Ich werde ihm morgen selbst schreiben."

"Ja, Meister. Ich habe auch von meinem Mann gehört."

Dieses Mal reagierte Voldemort mit echtem Interesse und lehnte sich in seinem Stuhl vor.

"Ja?"

"Es ist ihm gelungen, den Minister zu - sagen wir 'überzeugen', die nötigen Dokumente zu unterschreiben. Vindictus Lothian wird binnen einer Stunde aus Askaban freigelassen und mein Mann wird ihn hierher bringen."

Voldemort lächelte schief.

"Ausgezeichnet. Wir werden sehen, wie lange sich unsere Feinde verstecken können, wenn er wieder bei uns ist. Sonst noch etwas?"

"Macnair beschafft die Kreaturen, die Sie wünschten. Heute Morgen sind die zwei Dutzend Kobolde eingetroffen."

"Gut. Schreibe an Macnair, Paula. Sag ihm, ich werde bald noch mehr brauchen, und auch Hauselfen. Sechs Stück davon. Ich habe einen Plan ..."

"Haben Sie einen Zauber entdeckt, der Sie unsterblich machen wird?"

"Ich bin nicht sicher. Erst einmal gebe ich mich damit zufrieden, mein Leben zu verlängern. Das ist ein Anfang. Dafür brauche ich die Kobolde. Die andere Möglichkeit, die ich entdeckt habe, könnte mich zugleich unsterblich und unverwundbar machen, aber sie ist mit Vorsicht zu genießen. Diese Methode erfordert ein Menschenopfer - das eines Magiers, um genau zu sein - und der Prozess kann nie vervollständigt werden, falls es zu einer Unterbrechung kommt."

"Ich verstehe. Sie suchen also einen geeigneten Zauberer?"

"Nicht unbedingt. Es genügt jeder Zauberer, da ich nur die magische Lebensquelle benötige. Ich zweifle nicht daran, dass dort draußen reichlich törichte Zauberer sind, die sich uns entgegen stellen. Dumbledore, dieser alte Narr, hat sie meiner Ansicht nach versammelt. Wenn seine Freunde uns suchen, werden wir sie gebührend empfangen."

"Ja, Meister."

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6 - Der zweite Weihnachtstag

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Lucius Malfoy aß gerade Speck und Eier, als eine Schleiereule vor ihm auf dem Slytherin-Tisch landete. Er nahm den Brief, den sie hatte fallen lassen, in die Hand und betrachtete die dünne, elegante Schrift auf dem Pergament, die dort seinen Namen mit schwarzer Tinte geschrieben hatte. Lucius steckte den Brief in die Tasche, schob sein Frühstück beiseite und verließ eilig den Saal.

Im Slytherin-Gemeinschaftsraum suchte er sich einen Platz in der Ecke und holte den Brief wieder hervor. Er öffnete ihn und begann zu lesen. Er war von Lord Voldemort und enthielt Anweisungen, ... Anweisungen, die ihm verrieten, wo er einen Gegenstand finden würde, den er für den Dunklen Lord verwahren sollte, falls er einmal gebraucht würde. Ein Tagebuch, versteckt in einem Geheimfach in der Mauer des Flurs im dritten Stock. Lucius beschloss, es noch heute Nacht an sich zu nehmen.

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Lucius Malfoy war nicht er Einzige, der für diese Nacht Pläne schmiedete. Oben in ihrem Schlafraum sprachen James, Sirius, Remus und Peter darüber, was sie unternehmen würden.

"Ich bin für Hogsmeade. Und ihr?" schlug Sirius vor.

"Ich weiß nicht", sagte Remus. "Ich würde ganz gern in den Wald gehen. Vielleicht treffen wir ein paar Zentauren."

Peter schauderte.

"Ich glaube, ich will lieber nach Hogsmeade", sagte er. "Im Wald ist es so unheimlich."

"Also mich stört's nicht", meinte Sirius und zuckte die Schultern.

"Natürlich nicht!" entgegnete Peter. "Euch dreien ist es egal. Für einen Hirsch, einen Hund und einen Werwolf ist es ja auch nicht so gefährlich da drin. Für mich schon."

"Wir würden schon auf dich aufpassen, Wurmschwanz", versprach James. "Aber wir können von mir aus auch nach Hogsmeade gehen, wenn dir das lieber ist. Moony?"

"Ist in Ordnung", sagte Remus. "Ich würde mir schon ganz gerne mal die Höhlen dort ansehen."

"Glaubst du vielleicht, du stolperst dabei über ein paar geheimnisvolle Runen, die uns den Weg zu einem vergrabenen Schatz verraten?" scherzte Sirius. "Klasse. Von meinem Anteil kaufe ich mir ein Motorrad."

"Ohne Zauberstab kriegen wir die Schatztruhe bestimmt nicht mal auf", meinte James und blinzelte Sirius zu, der zurückgrinste.

"Ach ja", sagte er schelmisch. "Ein Zauberstab wäre schon wichtig. Nur wie könnten wir ihn tragen, ohne ihn mit unseren Zähnen zu zerkratzen? Vielleicht könntest du uns ja dein neues Etui leihen, Remus. Dann kann ich ihn ins Maul nehmen."

Remus starrte ihn kurz an, dann klärte sich sein Gesicht und er lächelte.

"Na schön, ihr habt es also bemerkt."

"Ging ja auch nicht anders", sagte Peter. "Sonst steckt dein Zauberstab einfach im Gürtel, aber heute hast du ihn im Lederetui in deiner Innentasche versteckt."

"Ganz schön viele Überraschungsgeschenke dieses Jahr, was, Moony?" bemerkte James. "Von wem war denn dieses?"

Remus antwortete nicht, sondern konzentrierte sich stark auf die Zauberbohne, die er gerade auspackte.

"Ich glaube, ich kann es mir denken." Sirius stieß ihn freundschaftlich in die Rippen. "Vorsicht, Vorsicht, Remus. Lass dich nicht zu sehr von der kleinen Ravenclaw einwickeln. Du bist zu jung, um dich jetzt schon zu binden."

"Rede keinen Unsinn, Sirius", protestierte Remus. "Sie ist doch bloß ein Kind. Da ist nichts weiter."

"Oh-oh!" Sirius erhob warnend den Finger. "Dass du das sagst, bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen." Gespielt besorgt schüttelte er den Kopf. "Ach, der arme Remus. Er war jung, vor ihm lag ein Leben voller Spaß und Abenteuer, doch im zarten Alter von nur fünfzehn Jahren, bevor sein Leben wirklich begonnen hatte, warf er alles für ein Paar himmelblaue Augen und einen braunen Lockenkopf weg."

"Du hast gut reden", lachte Remus. "Wo warst du denn letzte Nacht? Na? Ich hab gehört, wie du reingekommen bist. Ich hatte zwar die Vorhänge zugezogen, aber ich war noch wach. Hast du dich gut mit Fräulein Borealis unterhalten? Spät genug war es ja."

"Vielleicht", erwiderte Sirius und steckte sich einen Bonbon in den Mund. "Aber eins sag ich dir: Ich werde mein Herz nicht gleich an das erstbeste hübsche Mädchen mit schönen Augen verlieren."

"Hört euch Sirius Casanova Black an", neckte James ihn. "Den wilden Rumtreiber und Herzensbrecher."

Sirius lachte.

"Macht ihr euch nur über mich lustig. Am Ende bin ich es, der zuletzt lacht, das könnt ihr mir glauben. Ihr drei habt garantiert schon jeder zwei Kinder im Arm und werdet von euren Frauen ausgeschimpft, weil ihr den Müll noch nicht rausgebracht habt, während ich mir immer noch die schönsten Mädchen aussuche und mich köstlich amüsiere."

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James, Peter und Sirius schlichen sich um Mitternacht unter James' Umhang raus. Sirius schaute auf die Karte.

"Wartet", flüsterte er, als sie im Gemeinschaftsraum standen. "Mrs. Norris ... Okay, sie ist weg."

James schob das Porträt beiseite und sie stiegen durch das Loch in der Wand. So leise sie nur konnten schlichen sie sich den Flur entlang und die Treppe runter. Draußen im Gelände bewegten sie sich schneller. Sirius prüfte noch einmal die Karte, als sie die Peitschende Weide erreichten.

"Unheil angerichtet", murmelte er, so dass die Karte blank wurde.

James faltete seinen Umhang sorgfältig zusammen.

"Dann mal los, Peter", sagte er.

Peter Pettigrew trat vor, und einen Augenblick später hatte er sich schon in eine Ratte verwandelt. Er lief auf den Baumstamm zu und drückte auf eine bestimmte Stelle. Die Peitschende Weide wurde regungslos. Sirius und James folgten ihm durch die entstandene Öffnung und James schob den Mantel in eine Nische über seinem Kopf, ehe er und Sirius sich verwandelten. Sie eilten den Tunnel entlang, und je weiter sie kamen, desto deutlicher vernahmen sie das gewohnte Knurren und Kratzen hinter der Tür.

Sirius schob sie mit der Tatze auf. Das Wesen auf der anderen Seite hörte auf zu knurren, als es ihn sah, und kam auf die drei zu. Kurze Zeit später hatte die Ratte den Baumstamm wieder berührt, und alle vier machten sich auf den Weg nach Hogsmeade.

Im Dorf war es sehr still. Krone, der Hirsch, zeigte mit dem Geweih zu den Hügeln an der anderen Seite. Die anderen folgten ihm von den Häusern weg, durch das Gebüsch und über einen kleinen Bach. Sie steckten die Nasen in die Höhlen. Eine davon war ziemlich groß. Tatze und Krone blickten sich an und kamen wieder heraus. Gemeinsam untersuchten die beiden die nächste Höhle.

Erst als Wurmschwanz einige Minuten später hinterherkam, bemerkten sie, dass sie allein gewesen waren. Krone eilte sofort aus der Höhle und sah sich um. Tatze folgte ihm und schnupperte am Boden, dann rannte er auf das Dorf zu und die anderen folgten ihm.

Der Werwolf lugte inzwischen um die Ecke von Zonkos herum auf die verlassene Straße. Soeben war jemand aus einem der Häuser hervorgekommen und das Tier leckte sich die Lippen. Der Mann war allein. Es war ein Fremder im schwarzen Umhang, der die Kapuze so weit vorgezogen hatte, dass sie sein Gesicht überschattete. Er setzte sich in Bewegung, genau in Richtung der Ecke, hinter der der Werwolf lauerte. Der Werwolf fletschte die Zähne ... plötzlich erschien noch jemand auf der Straße. Der erste Mann drehte sich um und ging ihm entgegen.

Der Werwolf hielt es nicht länger aus, im Schatten des Gebäudes zu warten. Sein Fell richtete sich auf und er machte sich bereit, auf die beiden Männer loszustürmen. Doch noch ehe er dazu die Gelegenheit hatte, stürzte sich etwas Großes, Schwarzes auf ihn, dicht gefolgt von den Umrissen eines Hirsches. Die beiden Tiere am Boden rollten hin und her, bissen und kratzten sich gegenseitig. Nach einigen Minuten beruhigte sich der Werwolf. Er zog sich zurück und senkte den Kopf. Die Hirsch wies mit dem Kopf in Richtung der Hügel und die anderen folgten ihm dorthin.

Auf der Straße standen sich die beiden Gestalten in Kapuzen gegenüber.

"Sind Sie Vindictus Lothian?" fragte einer von ihnen.

"Ja", erwiderte der andere heiser.

"Leonard Lestrange", stellte sich der erste Mann vor. "Ich soll Sie hier abholen. Folgen Sie mir."

Zusammen machten sie kehrt und verschwanden in die Nacht hinein.