Vorgeschichte, Teil 16: Das Ende des Friedens

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1 - Lothians Rückkehr

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Lucius Malfoy schlich sich in den verlassenen Gemeinschaftsraum der Slytherins zurück. Er hatte das gefunden, wonach er für seinen Meister suchen sollte, und setzte sich nun auf das Sofa, um es sich anzusehen.

Die Seiten des Tagebuchs waren leer. Die einzige Schrift, die er entdecken konnte, war der Name 'Tom Vorlost Riddle' auf dem Umschlag. Lucius nahm das Tagebuch mit zum Schreibtisch, nahm sich eine Feder, tauchte sie ins Tintenfass und hielt sie einen Moment lang zögerlich über dem offenen Tagebuch in der Hand. Doch dann beschloss er, dass es wohl doch klüger wäre, Lord Voldemorts Sachen in Ruhe zu lassen.

Der Dunkle Lord hatte ihn gebeten, dieses Buch zu finden und es zu verwahren, bis es vielleicht einmal gebraucht würde. Er hatte Lucius gewarnt, dass es Kräfte enthielt, die er sich nicht vorstellen konnte, und die einen jüngeren Lord Voldemort auferstehen lassen könnten. Lucius glaubte fest an die Ideale seines Meisters, doch selbst ihm war der Gedanke nicht ganz geheuer, einen zweiten Lord Voldemort ins Leben zu rufen.

Er schloss das Tagebuch und nahm sich ein leeres Blatt Pergament, um von seinem Erfolg zu berichten.

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Lord Voldemort schaute aus dem Fenster in die dunkle Nacht hinaus. In der Hand hielt er einen Kelch mit einem giftgrünen Zaubertrank. Er senkte den Kopf und atmete den Gestank von verbranntem Fleisch, Schlangengift, Blut und übelriechenden Kräutern ein. Es war widerlich. Doch wenn ein widerlicher Trank ihn davor schützen würde, zu sterben, dann sollte es eben so sein. Er trank einen Schluck und schauderte. Ein Teil von ihm, der noch menschliche Reaktionen zeigte, wollte das Zeug sofort wieder ausspucken, doch er zwang sich, es nicht zu tun und wartete, bis der Geschmack nachließ.

Es klopfte an der schweren Tür.

"Wer ist da?" rief er ungeduldig.

"Leonard Lestrange, Meister", war die Antwort.

Ah - endlich. Auf diesen Moment hatte Voldemort gewartet. Er zögerte nur kurz, bevor er den Kelch an die Lippen setzte und in einem austrank. Dann stellte er ihn auf einem Tisch ab und setzte eine neutrale Miene auf, ehe er rief:

"Herein!"

Lestrange trat sofort ein und verneigte sich tief.

"Meister, wir waren erfolgreich", verkündete er mit eifriger Stimme. "Ich habe Vindictus Lothian heute Nacht in Hogsmeade getroffen. Er ist hier, mein Herr."

"Ausgezeichnet!" erwiderte Lord Voldemort und belohnte seinen Diener mit einem für ihn ungewöhnlichen Ausmaß an Lob. "Das war sehr gut, Leonard."

Lestrange verneigte sich wieder.

"Danke, Meister."

"Wo ist Vindictus jetzt?"

"Er steht vor der Tür, mein Herr."

"Ah. Dann geh", befahl Voldemort. "Ich bin sicher, deine Frau erwartet dich bereits. Geh zu ihr, und schicke Vindictus zu mir herein."

"Jawohl, mein Herr", versprach Lestrange unterwürfig und zog sich mit noch immer gesenktem Kopf zurück.

Voldemort ging zu einem Tisch, der zwischen zwei Stühlen am Kamin stand, und füllte zwei Kelche mit Wein. Er hörte, wie sich die Tür hinter ihm öffnete und schloss, und erkannte die Schritte, die ihm in den Jahren in Hogwarts vertraut geworden waren.

Er drehte sich um, ein schiefes Lächeln auf den Lippen, und breitete die Arme aus, um den Mann im schwarzen Umhang zu begrüßen, der hereingekommen war.

"Willkommen daheim, Vindictus", sagte Voldemort. "Es tut gut, dich wiederzusehen."

Lothian neigte leicht den Kopf.

"Mir geht es ebenso."

Voldemort fuhr mit übertriebener Freundlichkeit fort.

"Zieh den Mantel aus, mein Freund, und trink einen Schluck", schlug er vor und wies auf einen der Stühle.

Lothian schob die Kapuze zurück, löste den Verschluss seines Umhangs und warf ihn über eine steinerne Statue neben der Tür. Er setzte sich und der Dunkle Lord nahm im anderen Stuhl Platz. Er reichte seinem Gast einen Kelch und hob seinen eigenen.

"Auf die Freiheit, Vindictus?"

"Darauf trinke ich jederzeit", sagte dieser und leerte sein Glas fast mit einem Mal.

Eine Weile saßen sie still da, dann sprach Lothian.

"Ich habe dir zu danken, dass du mich aus Askaban rausgeholt hast."

Voldemort winkte ab.

"Ich bitte dich, das war doch das Mindeste, was ich für einen alten Schulfreund tun konnte." Er lehnte sich vertrauensvoll vor. "Außerdem brauche ich dich für eine besondere Aufgabe."

"Ach ja?" fragte Lothian skeptisch.

Er hielt seinen Kelch hoch und Voldemort füllte ihn wieder.

"Ja. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst, aber kurz vor deiner Verhaftung schrieb mir ein junger Freund aus Hogwarts. Er berichtete mir von einer Prophezeiung, die eine der Lehrerinnen gemacht haben soll."

"Ist sie eine Seherin?"

"Daran scheinen gewisse Zweifel zu bestehen. Wie ich gehört habe handelt es sich bei den meisten ihrer 'Prophezeiungen' um glückliche Zufälle, sofern sie sich überhaupt bewahrheiten. Und doch versichert mir unser Freund, dass es dieses Mal anders war - sogar die anderen Lehrer scheinen zu glauben, dass sie dieses Mal Recht hat."

"Und was hat sie vorhergesagt?"

"Dass jemand kommen wird, der die Macht besitzt, mich zu besiegen."

"Dich besiegen?" rief Lothian. "Unmöglich!"

"Das hoffe ich. Aber ich denke, in diesem Fall sollten wir lieber vorsichtig sein. Sie sagte, dass derjenige, der mich vernichten kann, Gryffindors Erbe ist, Vindictus. Und da kommst du ins Spiel."

"Ich?"

"Ja." Voldemort lehnte sich wieder zurück. "Du kennst die letzten Überlebenden dieses Geschlechts besser als jeder andere - deine Frau und ihren Vater, diesen senilen alten Narren. Ich will, dass du sie mir bringst oder herausfindest, wo sie sind, damit ich sie aufsuchen und töten kann, bevor sie dasselbe mit mir tun." Nachdenklich fügte er hinzu: "Ich würde ihnen lieber selbst entgegen treten als darauf zu warten, dass sie mich finden."

"Aber ich habe schon vor Jahren versucht, meine Frau zu finden, direkt nachdem sie mich verließ", warf Lothian zweifelnd ein. "Sie hat ihre Spuren gut verwischt. Ich habe sie jahrelang gesucht und nie gefunden. Wahrscheinlich hat sie unsere Welt verlassen und ist unter die Muggel gegangen. Was ihren Vater angeht ..."

"Gordon Gryffindor schützt sich zweifellos gut. Trotzdem muss ich sie beide töten. Verdopple deine Anstrengungen, Vindictus, und meine Todesser werden dir helfen. Es sei denn ..." - er lehnte sich wieder vor und runzelte die Stirn - "... du hast etwas dagegen, deiner Frau den Tod zu bringen."

Lothian hielt seinem Blick stand.

"Ich liebe Bridget nicht", versprach er. "Ich mache natürlich alles, was du sagst. Aber - es kann doch nicht sein, dass irgendein Zauberer oder eine Hexe deinen Kräften gewachsen ist, oder? Wie kann jemand für dich eine Gefahr darstellen? Du fürchtest doch sicher niemanden, den Erben Gryffindors am allerwenigsten."

Voldemort hatte die ganze Zeit an seinem Wein genippt. Jetzt trank er den letzten Schluck, stand auf und trat wieder ans Fenster.

"Nur ein Narr fürchtet sich vor niemandem, Vindictus", sagte er langsam. "Ich habe großes Vertrauen in meine magischen Kräfte, aber einige Mächte beherrsche ich nicht - noch nicht. Ich spüre, dass ich meinem Ziel Minute für Minute näher rücke. Ich werde alle Mächte der Welt beherrschen - auch den Tod."

Lothian blickte auf und beobachtete die Gestalt, die im blassen Schein des Mondes am Fenster stand. Er erinnerte sich an den Tom Riddle, den er zu seiner Schulzeit gekannt hatte: ein schlanker, dunkelhaariger, gut aussehender Junge mit viel Mut, mit Ambitionen, mit Visionen und - er musste es zugeben - Charisma. Er verglich dieses Bild mit dem, was er nun vor Augen hatte: ein Mann, dessen Haut künstlich wirkte, gestreckt, fast wie aus Wachs, als hätte man sie mit Gewalt über seine Knochen gestreckt; die Nase war unnatürlich flach, die Augen kalt und leer. Der Kontrast war beunruhigend, wenn nicht gar beängstigend. Wenn dies der Preis der Unsterblichkeit war, wollte man sie dann noch haben? Insgeheim schimpfte Lothian über seine eigene Torheit, sich derartige Fragen zu stellen. Offensichtlich war Unsterblichkeit genau das, was Tom Riddle wollte, was er immer gewollt hatte und um jeden Preis. Unsterblichkeit und unbegrenzte Macht.

"Ja", sagte Voldemort mehr zu sich selbst als zu seinem Gesprächspartner. "Ich werde den Tod bezwingen. Die Welt wird mir gehören und alle Kreaturen, die in ihr leben, werden mir Folge leisten. Noch glauben sie, mir widerstehen zu können, doch am Ende werden sie mir alle erliegen - selbst Albus Dumbledore."

Lothian erschrak etwas, als er den Hass in Voldemorts Stimme vernahm.

"Dumbledore? Was hat er damit zu tun?"

"Dumbledore hat mir nie vertraut. Ich bin sicher, wenn sich jemand gegen uns erheben sollte, dann steckt er dahinter. Aber wir werden jeden Widerstand niederschlagen, nicht wahr, mein alter Freund?"

"Selbstverständlich, Tom."

Voldemort verzog das Gesicht.

"Vindictus, du weißt, dass ich diesen Namen verabscheue."

Erschrocken murmelte Lothian eine Entschuldigung, doch Voldemort schien sie nicht hören zu wollen.

"Du bist der Einzige, dem ich erlaube, mich so zu nennen. Doch wenn die anderen in der Nähe sind, wirst du mich so ansprechen, wie sie es tun. Verstehen wir uns?"

Vindictus Lothian lächelte.

"Ja, mein Herr."

Voldemort wandte sich wieder vom Fenster ab und atmete tief durch seine flachen Nasenlöcher ein.

"Mein Name wird sogar heute schon gefürchtet", sagte er. "Viele Zauberer und Hexen trauen sich nicht, ihn auszusprechen. Schon bald werden mich alle fürchten und keiner wird es mehr wagen, mir zu widersprechen."

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2 - Das Ende des Schuljahrs

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Die knapp verhinderte Katastrophe am zweiten Weihnachtstag verfolgte Remus noch viele Monate. Doch als die kühlen Brisen und süßen Düfte des Frühlings der Hitze des Sommers wichen, hatte er fast vergessen, dass er in dieser Nacht beinahe zwei Menschen angefallen hätte.

Die Z.A.G.-Prüfungen waren halb so schlimm gewesen, und vor zwei Tagen hatte Remus einen Brief erhalten, der alle Sorgen vorübergehend aus seinem Kopf vertrieben hatte. Er war gespannt, was seine Freunde dazu sagen würden.

Gutgelaunt und für seine Verhältnisse ungewöhnlich optimistisch lag er also am Tag vor der Heimreise auf dem Bauch im Gras und machte sich Notizen in einem kleinen Heft, während Sirius mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag und an einem Grashalm kaute und Peter in einem Buch las, das seine Schwester Pippa ihm geschickt hatte.

Die drei genossen die Sonne schon seit etwa drei Stunden, als James zu ihnen stieß und sich neben Sirius auf den Boden fallen.

"Hallo", sagte Sirius durch den halb zerkauten Grashalm durch. "Hast dir aber Zeit gelassen. Ich denke, du wolltest nur kurz mit Lily sprechen?"

"Na ja, soll ich sie vielleicht mitten im Satz abwürgen?"

"Oh nein", meinte Sirius neckend.

"Das wäre sehr unhöflich gewesen", fügte Peter im selben Tonfall hinzu.

"Das hätte ihr gar nicht gefallen", sagte Remus, ohne von seinem Heft aufzuschauen.

James wollte wohl etwas sagen, doch dann ging Lily ein Stück weit von ihnen entfernt vorbei und er winkte ihr ganz automatisch zu. Sirius, Peter und Remus tauschten Blicke aus und lachten laut. James fing an zu schmollen, also versuchten sie alle, wieder ernste Gesichter zu machen.

"Ist schon gut, Krone", lachte Sirius. "Noch kannst du unbesorgt sein. Ich warne dich, wenn du Anstalten machst, ihrem Charme völlig zu erliegen."

"Ja", sagte Peter, der sich auch das Lachen nicht verkneifen konnte. "Zum Beispiel, wenn du anfängst, freiwillig ihre Tasche zu tragen."

Sirius verging augenblicklich das Lachen.

"Nur zu deiner Information, Mr. Wurmschwanz", sagte er, "Aurora hatte sich in der letzten Stunde Pflege magischer Geschöpfe den Arm verrenkt und nur deshalb habe ich, der ich nun mal der perfekte Gentleman bin, angeboten, ihr die schwere Last abzunehmen."

Jetzt musste auch James lachen.

"Ach, hatte sie sich gleich beide Arme verrenkt?"

Sirius verzog die Stirn, aber James schubste ihn verspielt an und endlich lachten sie alle gemeinsam. Peter seufzte plötzlich.

"Ihr drei werdet mir diesen Sommer wirklich fehlen", meinte er. "Meine Mutter besteht darauf, Paula und ihren Mann zu besuchen. Ich will da gar nicht hin. Ich glaube auch nicht wirklich, dass Polly will, dass wir kommen. Und Pippa besucht für drei Wochen eine Freundin in Italien, also werde ich sie kaum sehen. Und euch sehe ich auch nicht ..."

"Kopf hoch, Peter. Ich glaube, ich kann dich wieder zum Lächeln bringen", sagte Remus jetzt. Er schloss sein Heft und setzte sich auf. "Ich wollte es euch eigentlich erst morgen auf der Fahrt erzählen, aber ich kann es euch auch gleich sagen. Meine Mutter hat mir geschrieben. Sie und mein Vater haben vor, deine Mutter für ein oder zwei Wochen zu uns einzuladen, James. Und ihr seid natürlich mit eingeladen - alle drei", schloss er triumphierend.

"Ja!" jubelte Sirius.

"Klasse!" rief Peter.

"Das ist ja toll", sagte James. "Wir werden bei dir zu Hause bestimmt eine Menge Spaß haben. Hast du nicht mal erzählt, dass bei euch in der Nähe ein Wald ist?"

Remus schüttelte den Kopf. "Nicht in der Nähe - wir wohnen mittendrin. Es ist ein ziemlich großes Waldstück, wo es viel zu erforschen gibt - sogar ein paar Höhlen - und ich kann euch die besten Verstecke zeigen."

James lächelte. Er hatte sich schon gefragt, weshalb sein Freund seit dem Eintreffen der Post neulich so gut gelaunt war. Jetzt wusste er es. Es bedeutete Remus offensichtlich sehr viel, dass seine Freunde ihn besuchen würden, und das machte auch James glücklich. Er hasste es, wenn seine Freunde deprimiert waren.

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3 - Eine volle Bude

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Remus konnte es kaum erwarten, dass seine Freunde kamen. Es kam ihm vor, als habe er sie ewig nicht gesehen, obwohl sie tatsächlich noch vor ein paar Wochen zusammen in Hogwarts gewesen waren. Nach dem Mittagessen ging er nach draußen, lehnte sich an einen Baumstumpf im Vorgarten und rupfte die Gänseblümchen kahl. Nach einer Weile gesellte sich sein Vater zu ihm.

"Warum kommst du nicht rein, Remus?" schlug er vor. "Du weißt doch, wenn dein Onkel sie abholt, kann es eine Weile dauern, bis sie hier sind."

Remus runzelte die Stirn. Onkel Malcolm war nicht gerade für seine Pünktlichkeit berühmt.

"Ich wünschte, du hättest sie abholen können."

John Lupin lächelte.

"Leider habe ich weder ein Auto noch einen Führerschein, Remus. Und es wäre wohl etwas auffällig geworden, mit einem Arm voller Besenstiele durch London zu marschieren."

"Du hast ja Recht", gab Remus widerwillig zu. "Wenn Onkel Malcolm sich nur beeilen könnte."

"Er hat mir gesagt, dass er noch etwas für Professor Dumbledore zu erledigen hat", erklärte sein Vater. "Es dauert bestimmt noch mehrere Stunden, bis sie hier sind."

"Was macht er denn für Dumbledore?" fragte Remus sofort.

John blickte zum Haus zurück. Er wusste, dass seine Frau damit beschäftigt war, Matratzen und Schlafsäcke in Remus' Zimmer zu verteilen.

"Komm mit", sagte er, legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter und führte ihn vom offenen Fenster weg.

Erst am Waldrand blieb er stehen. Remus sah seinen Vater erwartungsvoll an. John sprach leise und sehr ernst.

"Wie ich hat dein Onkel viel für Dumbledores Phönixorden getan. Er kennt eine Menge Leute in London und anderswo, aus allen Gesellschaftsschichten, und die kennen wieder andere. Malcolm redet mit ihnen. Er will versuchen, einige zu überreden, dass sie ihre Augen und Ohren offen halten und ihn warnen, wenn etwas im Gang ist."

"Heißt das, er hat eine Art Spionagenetzwerk aufgebaut?"

"So kann man es nennen."

"Das ist aber doch furchtbar gefährlich, oder? Es wäre doch ganz einfach für einen der Spione, den Spieß einfach umzudrehen und Onkel Malcolm auszuspionieren, ihm falsche Informationen zu geben oder ihn in eine Falle zu locken ..."

John verlagerte unruhig das Gewicht. Er schloss kurz die Augen und nickte langsam.

"Ja, es ist sehr gefährlich. Andererseits sieht jeder, der sich freiwillig gegen Voldemort stellt, der Gefahr und möglicherweise dem Tod ins Auge - auch ich."

Remus zuckte zusammen. "Dad ..." setzte er an.

John erkannte die Angst in den Augen seine Sohnes und erwiderte seinen Blick sanft.

"Keine Angst, Remus. Ich habe nicht vor, einen Heldentod zu sterben. Ich werde so vorsichtig sein, wie es nur geht. Du hoffentlich auch."

"Ich?"

"Ja. Deine Entscheidung, Professor Darkhardts Gruppe beizutreten, könnte nicht weniger gefährlich sein als meine. Im Prinzip ist es eine Art Vorstufe zu Dumbledores Orden, denke ich. Und wie du selbst gesagt hast: es ist gefährlich, sich gegen Voldemort zu stellen. Auch du könntest ihm oder seinen Anhängern mal gegenüber stehen."

"Falls es dazu kommt, werde ich drauf vorbereitet sein", versicherte Remus. "Professor Darkhardt ist ein guter Lehrer."

"Das glaube ich gern. Trotzdem kann er dich nicht auf alle Grausamkeiten vorbereiten, zu denen Voldemort fähig ist."

Remus nickte, und sein Vater lächelte.

"Lass uns wieder reingehen. Und sag deiner Mutter nichts hiervon. Versprichst du mir das?"

"Natürlich, Dad."

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Malcolm hielt den Wagen an und blickte an dem Gebäude rauf, vor dem er geparkt hatte. Die Adresse stimmte. Er stieg aus und schellte. Beinahe sofort sprach ein Junge über die Anlage mit ihm.

"Wer ist da?"

"Malcolm Marley", kündigte Malcolm sich an.

Beim Summen öffnete er die Tür und trat ein. Da es keinen Fahrstuhl gab und er ohnehin nicht gewusst hätte, in welchen Stock er musste, stieg Malcolm die Treppe rauf, bis er an eine offene Tür kam. Lärm drang ihm entgegen. Malcolm klopfte an die offene Tür und räusperte sich. Ein hochgewachsener, dunkelhaariger Junge steckte sofort den Kopf aus einem Zimmer zur Linken, verschwand dann wieder und erschien einen Augenblick später mit einem anderen Jungen, der genauso schwarze Haare hatte und eine Brille trug, und einem kleineren, fülligeren Jungen, der ihn nervös anstarrte.

"Hallo", sagte der erste Junge, und Malcolm erkannte seine Stimme von gerade eben wieder. "Sie müssen Remus' Onkel sein."

"So ist es", bestätigte Malcolm. "Und du bist sicher Sirius Black."

"Ja. Woher wussten Sie das?" fragte der Junge.

"Remus spricht viel von seinen Freunden. Er hat mir gesagt, dass Sirius Black und James Potter Brüder sein könnten, und dass James eine Brille trägt. Ergo ... musst du Sirius sein."

James lachte. "Stimmt auffallend", sagte er und reichte Malcolm die Hand. "Und ich bin folglich James. Das hier ist Peter Pettigrew."

Malcolm gab allen dreien die Hand. Er betrachtete den schüchternen Peter.

"Von dir hab ich auch viel gehört. Nicht nur von Remus, sondern auch von deiner Schwester."

Peter wirkte erschrocken. "Oh - ähm - von welcher denn?"

"Philippa."

"Sie kennen Pippa?"

"Ich bin ihr ein paar Mal begegnet. Ein nettes Mädchen."

Peter lächelte stolz, und seine Nervosität schien fast augenblicklich zu schwinden. Sirius schüttelte leicht genervt den Kopf. Pete war einfach verrückt nach seiner Schwester. Nicht, dass Sirius sie nicht leiden konnte. Aber manchmal hatte er das Gefühl, dass seinem Freund seine Schwester wichtiger war als alles und jeder andere auf der Welt, und dass er das etwas zu deutlich zeigte.

"Seid ihr alle startklar?" fragte Malcolm.

"So gut wie", meinte James. "Ich werd mal Mum fragen. Sekunde."

Er verschwand durch eine Tür und kam einen Moment später mit Bridget wieder.

"Hallo", sagte sie etwas schüchtern.

Malcolm lächelte und schüttelte ihre Hand. "Ist mir ein Vergnügen, Mrs. Potter."

James und Sirius holten die Koffer aus dem Schlafzimmer, dann schleppten sie, Malcolm und Peter jeweils einen die Treppe runter. Die drei Jungen quetschten sich auf den Rücksitz, Bridget stieg vorn ein, und schon bald fuhren sie langsam durch die verstopften Londoner Straßen.

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Erst am späten Nachmittag erreichten sie ihr Ziel. Remus wartete schon vor der Tür auf sie.

"Mum, Dad, sie sind da!" rief er zum Haus und rannte dann auf das Auto zu, um seine Freunde zu begrüßen.

Faith und John kamen nach draußen, und gemeinsam begannen John und Malcolm, die Koffer ins Haus zu tragen, während Remus und seine Freunde sofort im Wald verschwanden. Seine Mutter konnte ihnen nur noch nachrufen, dass sie sie um sechs zum Essen erwarten würde. Faith und Bridget gingen ins Haus.

"Es ist nichts Besonderes", sagte sie etwas entschuldigend, nachdem sie Bridget alles gezeigt und sie ins Wohnzimmer zurück geführt hatte, wo John gerade Teetassen auf dem Tisch verteilte.

Bridget sah sich um. Das Wohnzimmer der Lupins war recht eng, aber irgendwie sehr einladend und gemütlich. Faith Lupins Bruder Malcolm hatte sich in einen Sessel gesetzt und erzählte gerade seinem Schwager vom starken Verkehr in London.

"Ich finde das Haus toll", sagte Bridget ehrlich und betrachtete die Geige, die völlig selbständig in einer Ecke schwebte und leise Musik spielte. "Ich war schon so lange in keinem Haus, in dem eine Zaubererfamilie lebt, Mrs. Lupin."

"Bitte", unterbrach Faith sie, "nennen Sie uns doch beim Vornamen, ja?"

Sie zeigte auf einen Sessel und Bridget setzte sich. "Dankeschön."

Sie beobachtete, wie Faith sich auf die Armlehne vom Sessel ihres Mannes setzte, wie er einen Löffel Zucker in eine der Tassen gab, umrührte und sie seiner Frau reichte. Bridget seufzte innerlich. Die beiden wirkten wirklich glücklich. Sie wünschte, sie hätte es ebenfalls sein können.

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Remus führte seine Freunde direkt an seinen Lieblingsort.

"Hier", verkündete er stolz. "Hier habe ich mich früher immer mit meinen Büchern verkrochen. Ich habe ein paar Sachen in einem kleinen Kasten unten am Baumstamm versteckt ..."

Er kratzte das Gras beiseite und zeigte ihnen seine alte 'Schatztruhe'.

"Was für Sachen sind da drin?" fragte Sirius.

"Oh, alte Zeitungsartikel, die mich interessiert haben. Ein Bild meiner Eltern. Ein Stein, den ich als Kind mal gefunden habe und besonders schön fand. Solche Sachen."

James ging zwischen den Bäumen umher und berührte Remus' Lieblingsbaum.

"Da oben gabeln sich die Äste und man kann wunderbar dort sitzen", sagte Remus.

James schaute interessiert nach oben.

"Darf ich?" fragte er.

"Natürlich."

James find an, den Baum hoch zu klettern. Die anderen stiegen ihm nach. Als sie alle zwischen den Ästen hockten, sagte Sirius zustimmend:

"Es ist schön hier. Ich wünschte, ich hätte früher auch so ein Versteck gehabt. Im Heim waren immer zu viele Leute um mich rum, als dass ich mir ein ruhiges Plätzchen hätte suchen können, um mal allein zu sein."

"Ich hatte immer zu viel Platz und niemanden, mit dem ich ihn teilen konnte", seufzte Remus. "Ich liebe diesen Ort, mehr als jeden anderen auf der Welt. Der Einzige, der außer euch noch davon weiß, ist Dad."

"Dein Dad?" Sirius schien entsetzt. "Was nützt dir ein Versteck, wenn du deinen Eltern davon erzählst?"

Remus lächelte.

"Das habe ich auch mal gedacht", sagte er. "Aber dann war ich doch froh, dass Dad es gefunden hat."

Er schwieg und schien sich an etwas zu erinnern. James betrachtete ihn und überlegte, ob er fragen sollte, was hier passiert war. Aber am Ende beschloss er, dass man manche Dinge wohl nicht unbedingt sagen musste. Er klopfte Remus auf die Schulter.

"Du hast ein schönes Zuhause, Moony", meinte er. "Ich denke, wir werden in den nächsten Wochen viel Spaß haben.

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4 - Wirbel in der Winkelgasse

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James hatte Recht. Es machte den Jungen eine Menge Spaß, immer weiter in den Wald vorzudringen, auf Bäume zu klettern, in einer alten Eiche ein Baumhaus zu bauen und in einer Lichtung Quidditch zu spielen. Malcolm hatte während der ersten Woche ihres Besuchs Urlaub und verbrachte viel Zeit mit ihnen.

Remus' Freunde schienen sich alle gut mit seinem Onkel zu verstehen, sogar Peter, der sonst so schüchtern war. Er war nicht wie die meisten Erwachsenen, die einen immer an Essenszeiten erinnerten oder zum Aufräumen ermahnten. Er war inzwischen Anfang vierzig, aber er wirkte immer noch jung, eben wie das 'zu groß geratene Kind', als das ihn seine Schwester oftmals bezeichnete. Er schien an Toben und Dreck ebenso viel Gefallen zu finden wie die Jungs selbst.

Remus' Mutter lächelte häufig, wenn alle fünf abends nach Hause kamen, von Kopf bis Fuß verdreckt und voller Kratzer, weil sie sich mal wieder durch unwegsames Gestrüpp gekämpft hatten. Einmal waren sie so schmutzig gewesen, dass sie ihren Bruder gleich am Ärmel gepackt und wieder nach draußen gezerrt hatte, wo sie dem Gartenschlauch befohlen hatte, ihn gründlich zu duschen.

Remus könnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so viel gelacht hatte. Er hatte sich so in das Lernen und in Darkhardts Stunden vertieft, dass er fast vergessen hatte, wie schön es zu Hause war und was für eine wunderbare, glückliche Familie er hatte. Und jetzt, wo James, Sirius und Peter auch da waren, war es zu Hause noch schöner als sonst.

Die anderen hatten auch ihren Spaß, und James schrieb fast jeden Abend Briefe an Lily, in denen er ihr alles erzählte. Die anderen gaben sich nicht einmal mehr die Mühe, ihn deswegen aufzuziehen, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt waren, ihren nächsten Ausflug zu planen.

"Was haltet ihr von einem Quidditch-Spiel heute Morgen?" schlug Malcolm Samstag beim Frühstück vor.

"Spitze!" rief Sirius sofort.

"Toll!" sagte Peter.

"Auf jeden Fall", stimmte James zu.

"Ja", sagte Remus und wandte sich seinem Vater zu. "Machst du auch mit, Dad?"

"Na ja ..." John blickte zu Faith. "Die beiden Damen wollten eigentlich, dass ich mit ihnen in die Winkelgasse gehe."

Seine Frau lachte, als er sie so halb bettelnd ansah.

"Schon gut, John. Bleib ruhig hier und spiel mit den Jungs, wenn du willst. Bridget und ich werden bestimmt stundenlang unterwegs sein. Wir kommen schon alleine klar, nicht wahr, Bridget?"

Bridget sah etwas zweifelnd aus. Sie war schon seit Jahren nicht mehr länger als eine halbe Stunde oder so in der Welt der Zauberer unterwegs gewesen und war etwas nervös, besonders nach all den Berichten Dunkler Aktivitäten, die man heutzutage las. Wenn sie ehrlich gewesen wäre, hätte sie zugeben müssen, dass sie sich sicherer gefühlt hätte, wenn John mitgekommen wäre. Doch sie verschwieg ihre Bedenken.

"Natürlich", sagte sie so munter, wie sie konnte. "Quidditch ist bestimmt viel interessanter für Sie, als mit uns Stoffe einzukaufen."

"Sehr schön!" John lächelte breit. "Also, Jungs. Ich mache mit."

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Die Frauen verließen das Haus gegen elf durch den Kamin. Kurz darauf nahmen die beiden Männer und die Jungen sich ihre Besen und gingen zu einer großen Lichtung, wo sie reichlich Platz haben würden. Sie bildeten zwei Mannschaften: Malcolm, James und Peter gegen John, Remus und Sirius. John zauberte zwei große Holzreifen in die Luft, die als Tore dienen sollten.

Sie spielten mit nur einem Tor je Mannschaft, da sie insgesamt nur zu sechst waren, und alle spielten als Jäger, da es nur einen Ball gab und sie ja alle mitspielen wollten.

Das Spiel war laut und bewegt. James manövrierte die anderen ständig aus und hätte ein Tor nach dem anderen erzielt, hätte John sich nicht als erstaunlich schnell bewiesen und das Tor verteidigt, so dass es noch bei dreißig zu null stand.

"Remus!" rief er und warf seinem Sohn den Ball zu.

Remus spurtete so schnell er konnte und drückte sich flach gegen seinen Besen. Die Bahn war frei ...

"Peter, halt ihn auf!" schrie James.

Peter wendete seinen Besen und flog los, als der Ball gerade Remus' Hand verließ und aufs Tor zuflog. Peter fing ihn problemlos ab, krallte ihn unter dem Arm fest, wendete wieder - und ließ vor lauter Aufregung den Ball durch den Ring fallen, den er verteidigen sollte.

"Tschuldigung!" rief er sofort.

James stöhnte leise. Malcolm flog zu Peter und klopfte ihm auf die Schulter.

"Schon gut", sagte er freundlich. "Mach dir nichts draus. Das hätte jedem passieren können."

James schaute über das 'Spielfeld' zu Sirius, der mit den Augen rollte. James grinste, holte den Ball vom Boden zurück, und das Spiel wurde fortgesetzt. Sie spielten bis etwa zwei Uhr, dann machten sie sich angenehm ermüdet und sehr hungrig auf den Rückweg zum Haus.

John ging in die Küche und holte die herzhaften Brote und den Kürbissaft aus dem Kühlschrank, die Faith morgens vorbereitet hatte. Sie langten alle kräftig zu und stürzten sich auf die Schinken-, Thunfisch- und Käsebrote.

"Und, was stellen wir nach dem Essen an?" fragte Sirius, den Mund voll Schinken und Saft.

"Wir könnten den Bach rauf zu den Höhlen gehen", schlug Remus vor.

"Klingt gut", meinte James. "Draußen ist es so warm geworden. In den Höhlen ist es bestimmt schön kühl."

"Also an Auswahl wird es euch da oben nicht mangeln", sagte John. "Nehmt aber lieber etwas zu essen und zu trinken mit. Ihr werdet ja sicher eine Weile fort sein."

"Was hast du vor, Dad?" fragte Remus.

"Ich denke, ich werde im Garten bleiben und mein Buch zu Ende lesen. Was ist mit dir, Malcolm?"

Malcolm schluckte ein Stück Thunfischbrot runter.

"Ich muss heute Nachmittag in London sein und mich mit jemandem treffen. Ich mach mich also nach dem Essen aus dem Staub."

Als alle Teller leer waren und sie alle so viel gegessen und getrunken hatten, wie sie konnten, machten sich die Jungen also allein auf den Weg.

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Es war ein heißer Nachmittag, selbst im Schatten des rosafarbenen Sonnenschirms vor Florander Fortescues Eissalon. Faith und Bridget genossen jede einen großen Eisbecher und schauten den Menschen in der Gasse zu, zufrieden mit ihren Einkäufen, die in großen Tüten neben ihren Stühlen ruhten. Kinder spielten auf der Straße und alle Läden hatten die Türen weit offen gelassen.

"Ich muss schon sagen, ich hatte heute einen wunderbaren Tag", seufzte Bridget zufrieden. "Es ist lange her, seit ich mit einer Freundin in Zauberläden bummeln gehen konnte."

Faith lächelte.

"Sie kommen nicht viel raus, oder?"

"Oh, das schon. Ich habe mich ab und zu mit ein paar Bekannten von der Arbeit getroffen, aber sie sind natürlich Muggel, also waren wir nur in Muggel-Geschäften und Cafés."

"Wirklich?" sagte Faith interessiert. Es war das erste Mal in der ganzen Woche, dass Bridget etwas von ihrem Leben erzählt hatte. "Wo arbeiten Sie?" fragte sie.

"In einem kleinen Buchladen. Ich bekomme natürlich nicht viel Geld dafür, aber es reicht, damit James und ich in unserer Wohnung bleiben können."

"Ich weiß, es geht mich nichts an, aber - haben Sie mal daran Gedacht, den Beruf zu wechseln? Könnten Sie sich nicht etwas in dieser Welt suchen?"

Bridget schüttelte den Kopf.

"Das geht nicht. Ich versuche die meiste Zeit, mich vor dieser Welt zu verstecken."

"Aber wieso denn?"

"Es hat - persönliche Grüne."

"Oh."

"Wir haben alle unsere Geheimnisse, Faith. Jeder hat irgendwo das eine oder andere Skelett im Schrank. Ich wüsste zwar nicht, was Sie für eins haben sollten ..."

Sie lächelte freundlich, aber Faith war plötzlich sehr nachdenklich und still geworden.

"Entschuldigung", sagte Bridget. "Habe ich etwas Falsches gesagt?"

"Nein, nein. Sie haben natürlich Recht. Jeder von uns hat Geheimnisse", gab Faith zu. "John und ich sind da keine Ausnahme. Unser Geheimnis hat dazu geführt, dass wir - von vielen Leuten abgeschnitten wurden. Sie sind nicht die Einzige, Bridget, die lange keine Freundin mehr hatte, mit der sie einkaufen gehen konnte."

"Es tut mir Leid", entschuldigte sich Bridget. "Ich wollte Sie bestimmt nicht traurig stimmen."

"Das haben Sie nicht. Es ist nur so, dass ... ich Ihnen gerne vertrauen würde. Ich glaube - oder hoffe, besser gesagt - dass Sie nicht so reagieren würden, wie andere es getan haben. Ich bin es leid, dass Leute mir aus dem Weg gehen, die ich früher einmal für Freunde gehalten habe. Ich kann Ihnen das nicht erklären, nicht jetzt und nicht hier."

"In Ordnung", sagte Bridget. "Ich verstehe das. Aber ich bin mir sicher, was auch immer es sein mag, ich würde Ihnen und John niemals den Rücken zukehren. Sie sind so freundlich zu mir gewesen, ..."

Sie brach mitten im Satz ab. Es war mit einem Mal sehr still geworden. Die Kinder lachten nicht mehr und die Stimmung in der Winkelgasse war auf einmal angespannt. Vom anderen Ende der Straße kamen einige Menschen eilig am Eissalon vorbei.

"Was ist los, was ist passiert?" fragte Faith erschrocken.

Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um und die nächsten Worte blieben ihr im Hals stecken. Ein grünes Licht trat aus der Nockturngasse hervor und es erschienen etliche Leute, die trotz der Hitze des Tages schwarze Umhänge und Masken trugen. Ungefähr fünf von ihnen verließen die größere Gruppe und gingen auf die inzwischen geschlossene Tür eines Geschäftes an der Ecke zu. Einer von ihnen erhob den Zauberstab und die Tür zerbarst in Tausend Stücke. Die Maskierten traten ein, und bald schon ließ ein lauter Schrei alle Zuschauer zusammenzucken. Faith zitterte. Bridget ergriff ihre Hand und wandte sich mit einer Ruhe, die sie selbst am meisten überraschte, Florander Fortescue zu, der hinter ihr stand.

"Wessen Laden ist das?" fragte sie den alten Zauberer.

"Der von Toby Jones. Er verkauft Muggel-Artefakte an Sammler. Elektrostecker und diese ... glühenden Birnen ..."

"Stammt er von Muggeln ab?"

"Ja. Ich glaube, seine Frau ist auch Muggel."

In diesem Augenblick unterbrach sie ein Aufschrei von der Menge, die sich um Fortescues Salon versammelt hatte, um sich alles aus sicherer Ferne anzusehen. Bridget schaute die Straße entlang, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Maskierten Toby Jones, seine Frau und ein kleines Mädchen auf die Straße führten. Einige der anderen gingen nun in weitere Gebäude an beiden Straßenseiten, in denen auch, wie Florander bestätigte, solche wohnten, die aus Muggelfamilien stammten.

Faith starrte noch immer in Richtung der ersten Gruppe. Einer der Maskierten hob seinen Zauberstab und zeigte damit auf das Kind. Er sprach ein paar Worte, dann leuchtete es hell, jemand schrie ... das Kind fiel leblos zu Boden. Seine Eltern rannten entsetzt zu ihm, doch weitere Lichtblitze folgten und auch sie starben. Faith schrie unwillkürlich auf und drehte sich weg. Sie hielt sich die Hände vor das Gesicht. Bridget stand auf und klopfte ihr auf die Schulter.

"Wir müssen etwas unternehmen", sagte sie zu Florander. "Es sieht aus, als wollten sie jeden in der Winkelgasse töten, der nicht reinen Blutes ist. Kaum zu glauben, dass sie sogar unschuldige Kinder umbringen ..."

"Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommt", sagte der alte Florander. "Ich wusste, dass in der Welt Schlimmes passiert, aber mir war nicht klar ... Wie konnte es so ernst werden?"

"Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich werde jedenfalls nicht zusehen, wie alles noch schlimmer wird. Ich gehe da jetzt hin", verkündete Bridget in einem Tonfall, der viel mutiger klang als sie sich fühlte. Sie zog den Zauberstab. "Kommt noch jemand mit?"

Florander Fortescue nickte und holte auch seinen Zauberstab hervor. Ein paar der anderen taten dasselbe.

"Bridget ..." fing Faith an, doch Bridget unterbrach sie.

"Wir werden versuchen, sie eine Weile zu beschäftigen, Faith. Wenn wir uns gut schlagen, werden sie sich vielleicht zurückziehen. Warten Sie hier, aber behalten Sie den Eingang zum Tropfenden Kessel im Auge. Wenn Sie die Gelegenheit bekommen, laufen Sie und geben Sie dem Ministerium Bescheid, ja?"

Faith nickte. "Viel Glück, Bridget. Bitte sei vorsichtig."

Bridget lächelte, in der Hoffnung, es würde ermutigend wirken. Dann ging sie gemeinsam mit den anderen langsam auf die Gestalten in schwarz zu. Ihr Herz klopfte rasend vor Angst. Sie hatte sich nie als besonders mutig eingeschätzt und konnte immer noch nicht glauben, was sie hier gerade tat. Und doch ... als sie die Straße entlang ging und ein paar der Maskierten sich ihr zuwandten, erinnerte sie sich an das, was der Sprechende Hut damals in Hogwarts zu ihr gesagt hatte.

Du wirst deine Tapferkeit noch entdecken. Du fühlst dich in diesem Moment zwar ängstlich, aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist und es notwendig wird, wirst du nicht untätig zusehen, wie andere leiden. Du wirst für sie kämpfen, solange du noch Kraft besitzt.

Kraft? Sie fühlte sich nicht so, als hätte sie Kraft. Einige der maskierten Leute bildeten einen Kreis um ihre Kameraden und die armen Hexen, Zauberer und Kinder, die sie auf die Straße befördert hatten. Einer hob den Arm, um einen Fluch auszusprechen, doch ein Mann, der irgendwo hinter Bridget gestanden hatte, entwaffnete ihn gekonnt. Es begann ein magischer Kampf, wie man ihn seit vielen Jahren nicht gesehen hatte - besonders nicht in der Winkelgasse, die doch eine sichere Zuflucht für alle Zauberer sein sollte.

Zauber, Verwünschungen und Flüche flogen hin und her. Die Linie verteilte sich, wurde zu einem verwirrenden Gewühl, in dem einige ihre Zauberstäbe verloren und mit bloßen Händen weiterkämpften. Die Gestalten in Umhängen schossen Todesflüche in alle Richtungen, während Bridget und die anderen versuchten, sie zu entwaffnen oder zu betäuben, bevor sie jemanden treffen konnten.

Bridget sah sich um. Die Winkelgasse war zu einem regelrechten Schlachtfeld geworden. Viele der Angreifer lagen betäubt am Boden, doch neben ihnen lagen zu viele unschuldige Männer und Frauen, von den Kindern ganz zu schweigen. Und es war noch lange nicht vorbei. Sie blickte in das Gesicht des alten Florander und erkannte dort dieselbe Verzweiflung, die auch sie spürte. Plötzlich rief er ihr eine Warnung zu. Bridget drehte sich um, doch Floranders Zauber war schnell und ihr Angreifer fiel zu Boden. Als sie sich erneut umdrehte, um dem alten Mann zu danken, weiteten sich Bridgets Augen erschrocken. Ein grünes Licht blitzte auf, und ohne ein weiteres Wort wurde Florander Fortescue im Rücken getroffen und fiel.

"Neiiiiiiiin!" schrie sie, aber es war zu spät.

Er war bereits tot, noch bevor er den Boden berührte. Bridget stand seinem Mörder direkt gegenüber, und schaute inmitten des Chaos' in die Augen unter der geräumigen Kapuze. Ihr stockte das Herz. Diese Augen hatte sie niemals vergessen ... Eine halbe Sekunde lang schien die Welt still zu stehen. Dann taumelte jemand zwischen sie und Bridget ergriff ihre Chance. Sie drehte sich um und rannte so schnell sie konnte zum Tropfenden Kessel. Der Kampf hinter ihr war plötzlich unbedeutend. Noch vor einer Sekunde hatte sie ihr Leben riskiert, um andere zu retten, doch jetzt war alles anders. Was auch geschah, der Mann durfte sie niemals einholen, denn James wäre sonst in Gefahr ...

Faith hatte den Eingang zur Kneipe gerade geöffnet. Bridget schob sie hindurch und zerrte sie am erstaunten Wirt vorbei. Sie stolperten durch die Tür auf die geschäftige Londoner Straße und Bridget sah sich verzweifelt um.

"Bridget, was ...?"

"Da, eine U-Bahn-Station!" rief Bridget und schob Faith eilig durch die Menge.

Sie war damit nicht einen Moment zu früh. Vindictus Lothian nahm die Kapuze und seine Maske ab. Er war direkt hinter ihnen. Bridget spürte es, und schob Faith etwas unsanft die Treppe herunter. Ausnahmsweise war sie dankbar, dass die U-Bahn so voll war. Sie drängte sich durch die Menge, bis sie sich und Faith in den Zug gezwängt hatte. Dann sah sie nach draußen. Vindictus rannte gerade auf den Bahnsteig. Bridget betete, dass die Türen schnell schließen würden, bevor er sie erreichte ...

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5 - Wieder vereint

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"Hallo", sagte Remus, als er und die anderen zum Haus zurückkamen. "Liest du etwa immer noch, Dad? Ist Mum noch nicht zurück?"

"Nein." Sein Vater klang etwas verwundert. "Ich weiß ja, dass sie gerne einkauft, aber ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass die beiden so lange brauchen."

James sah auf die Uhr. "Es ist fast sechs."

John runzelte die Stirn. Er schien etwas sagen zu wollen, doch dann kam plötzlich eine Eule angeflogen und ließ einen Zettel in seinen Schoß fallen. John las ihn still. Er wurde blass.

"Was ist los, Dad?" fragte Remus.

John schaute auf und die Notiz rutschte etwas. Sirius sah ihm über die Schulter und pfiff durch die Zähne. Er nahm die Notiz in die Hand und las:

"John, schlechte Nachrichten vom Ministerium. Komm besser sofort zur Winkelgasse. Beeil dich, Wir treffen uns dort. Malcolm."

"Da muss was passiert sein", sagte Peter.

Sirius gab ihm Recht. James und Remus sagten gar nichts, aber Remus war angespannt und James hatte das Gefühl, das Herz werde ihm gleich aus der Brust springen. John stand auf, holte seinen Zauberstab und machte das Feuer im Kamin an. Die Jungen folgten ihm.

"Ich will, dass ihr hier bleibt", sagte John, aber Remus schüttelte sofort den Kopf.

"Auf keinen Fall, Dad. Wir kommen mit."

John sah aus, als wolle er protestieren, doch er ließ es bleiben. Er reichte jedem eine Prise Flohpulver und nur Augenblicke später standen sie alle im Hinterzimmer des Tropfenden Kessels. Das Lokal war wie ausgestorben. Gerade als sie den Raum verlassen wollten, kam Malcolm eilig zur Tür herein. Er schien erschrocken, die Jungen dort zu sehen, und hielt inne.

"Malcolm, was ist passiert?" fragte John unruhig.

Malcolm schaute besorgt zu den Jungen rüber.

"Ich glaube nicht, dass ihr das sehen solltet."

"Malcolm!" drängte John.

"Na schön. Wenn ihr unbedingt wollt", seufzte Malcolm widerwillig.

John und die Jungen folgten ihm durch die Öffnung in der Mauer zur Winkelgasse. Der Anblick, der sich ihnen dort bot, verschlug ihnen die Sprache. Mitarbeiter des Ministeriums bahnten sich einen Weg durch die Gestalten, die am Boden lagen - teils bewusstlos, teils eindeutig tot. Um den Rand der Katastrophe herum hatte sich ein Kreis von Hexen und Zauberern jeden Alters gebildet, die besorgt und trauernd, neugierig oder einfach nur angsterfüllt zusahen.

Über der Szene schwebte die schreckliche Gestalt, die John schon einmal gesehen hatte, und verdeckte die Abendsonne: ein riesiger grüner Schädel, dem eine Schlange aus dem Mund kroch. James hörte, wie Sirius hinter ihm scharf einatmete. Peter wimmerte leise, bis Malcolm ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legte.

"Es tut mir Leid, dass ihr vier das sehen musstet", sagte er. "Aber vielleicht ist es auch besser für euch, genau zu wissen, womit wir es zu tun haben."

John schwieg. Er betrachtete die Szene und wagte es kaum, in die entsetzten Gesichter der Toten zu blicken, konnte sich aber auch nicht von ihnen abwenden.

"John ..." fing Malcolm vorsichtig an.

Doch John hörte ihn nicht. Er sah alte Männer, junge Frauen, Kinder im Alter von drei oder vier Jahren, und er fühlte eine unbeschreibliche Angst.

"Lieber Gott", flüsterte er. "Oh nein, bitte ..."

Er wandte sich von einem hübschen Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren ab. Ihre Augen waren geweitet, ihr Rücken unnatürlich gekrümmt.

"Faith", sagte er heiser. "Malcolm, wo ist sie?"

"Ich habe nicht die geringste Ahnung", versicherte Malcolm. "Und ich muss zugeben, ich war noch nie so froh, etwas nicht zu wissen."

"Dann ... dann ist sie nicht ..." John traute sich kaum, die Frage zu vervollständigen.

"Nein, sie ist nicht dabei. Das habe ich als aller erstes überprüft."

John seufzte erleichtert.

"Was ist mit meiner Mutter?" fragte James.

"Sie ist auch nicht hier."

"Puh, Glück gehabt", meinte Sirius.

John sah sich nach seinem Sohn um. Remus hatte weder den Mund aufgemacht noch sich von der Stelle gerührt, seit sie die Winkelgasse betreten hatten. Jetzt ging er ein paar Schritte auf die Leiche eines kleinen Mädchens zu. Sie trug ein rotes Kleid, ihre blonden Haare waren geflochten und ihre leblosen Finger umklammerten eine Puppe. Remus kniete neben ihr nieder. Seine Hand zitterte, als er ihre Augen schloss. Er spürte, dass sein Vater hinter ihm stand, sah aber nicht zu ihm auf.

"Was glaubst du, wo Mum sein kann?" fragte er leise.

"Ich weiß es nicht. Aber wir finden sie."

Remus' Stimme bebte. "Ich hab Angst, Dad. Angst, dass sie vielleicht ..."

"Nein", sagte John fest, obwohl seine Stimme nicht so kräftig klang, wie er es wollte. "Wir finden sie. Es wird alles gut."

Endlich stand Remus auf und sah seinen Vater an. Es hatte nie viel Ähnlichkeit zwischen ihnen bestanden, doch in diesem Moment war in Johns blauen Augen derselbe angsterfüllte Blick, wie in den braunen Augen seines Sohnes.

"Die Frage ist nur", meinte Sirius praktisch, "wo fangen wir an zu suchen?"

"Entschuldigung", unterbrach sie jemand. Es war Tom, der Wirt des Kessels. "Mr. Lupin, nicht?"

"Ja", bestätigte John.

"Ich will Sie nicht stören, aber ich habe Ihre Frau vorhin gesehen."

"Sie wissen, wo sie ist?"

"Nein, aber ich sah sie mit einer anderen Frau aus der Winkelgasse in den Kessel kommen und in die Stadt hinausrennen. Ich glaube, sie wurden verfolgt."

"Verfolgt? Etwa von den Todessern?"

"T-Todesser?" stammelte Peter.

"Ein Informant hat mir gesagt, dass sie sich so nennen", erklärte Malcolm. "Die Leute in schwarz. Sie meinen also, einer von ihnen hat meine Schwester und ihre Freundin verfolgt?"

Tom nickte.

"Verdammt", fluchte John. "Das ist alles meine Schuld. Ich hätte sie nicht allein gehen lassen. Ich habe Dumbledore versprochen, aufzupassen."

"Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Schuldgefühle, John. Wir müssen sie schnellstens finden", erinnerte Malcolm.

"... und beten, dass wir nicht zu spät kommen", fügte John hinzu.

"Wir gehen am besten erst mal zu mir und holen den Wagen."

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Faith zitterte unaufhörlich. Bridget hatte sie auf eine wilde Jagd durch London gehetzt - in einen Zug, wieder raus, in die nächste U-Bahn, wieder in die nächste, in einen Bus. Im Zickzack waren sie durch die Stadt geflüchtet, bis Bridget sehr viel später kein Anzeichen von Vindictus mehr sehen konnte. Dann waren sie hierher gekommen, in Bridgets Wohnung, wo Faith nun auf dem Sofa saß und am ganzen Leib zitterte.

Bridget lief ins Schlafzimmer und kehrte mit einer Wolldecke wieder.

"Hier. Wickel dich darin gut ein."

Faith lehnte sich zurück und ließ sich von Bridget gut zudecken.

"E-es tut mir so Leid. Ich hatte nur so - so ..."

"Schon gut", beruhigte Bridget sie. "Ich weiß, du musst große Angst gehabt haben. Wenn ich doch nur etwas hätte, was ich dir geben kann. Vielleicht ... Macht es dir was aus, wenn ich dich ganz kurz allein lasse?"

Faiths Augen weiteten sich. "Bridget, nein, bitte geh nicht weg!"

"Keine Sorge, ich will nur kurz nach unten gehen und Mrs. Hammersmith fragen, ob sie einen Schluck Kognak da hat. Das dauert keine Minute. In Ordnung?"

Faith nickte. Während Bridget fort war versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in ihrem ganzen Leben so viel Angst gehabt zu haben. Wozu diese Menschen aus Hass und Machtgier fähig waren, hatte ihr einen Schreck eingejagt. Und dann war da noch die Tatsache, dass sie so viel mit ihren Opfern gemeinsam hatte. Auch sie stammte aus einer Familie von Muggeln. Sie hörte, wie sich die Tür öffnete, und wartete darauf, Bridgets Schritte zu vernehmen. Einen Moment lang war es sehr still. Dann hörte sie etwas, das aber nicht wie Bridget klang. Im Flur schien sich jemand an etwas gestoßen zu haben und fluchte leise.

Faith schob die Wolldecke beiseite und stand unsicher auf. Sie hörte, wie der Boden draußen knarrte und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Sie starrte auf den Türknauf, der sich langsam zu drehen begann, und hätte um ein Haar laut geschrieen. Dann öffnete sich die Wohnungstür erneut und etwas klirrte laut. Der Türknauf drehte sich nicht weiter.

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Bridget kam mit einem Glas die Treppe hinauf. Sie hatte Mrs. Hammersmith vorgelogen, eine Freundin sei beinahe unter einen Bus geraten. Die alte Dame hatte natürlich sofort angeboten, mit nach oben zu kommen und zu helfen, einen Arzt anzurufen, einen Krankenwagen zu bestellen oder zumindest eine Heizdecke mitzubringen, und gleichzeitig laut über die Verkehrssituation auf den Londoner Straßen sowie rücksichtslose Busfahrer geschimpft.

Bridget hatte sich bedankt, den Kognak angenommen und ihr auf freundliche aber unmissverständliche Art klargemacht, dass sie nicht erwünscht war. Nun wollte Bridget die Tür mit ihrem Schlüssel aufschließen, stellte jedoch fest, dass sie bereits offen war. Sie berührte den Türgriff, doch er wurde ihr mit einer solchen Wucht aus der Hand gerissen, dass sie das Glas fallen ließ.

Sie blickte direkt auf die Spitze eines Zauberstabs, der sofort zurückgezogen wurde, als sein Besitzer sie sah.

"Mum!" rief James und ließ den Türgriff los.

"James", sagte sie erleichtert. "Gott sei Dank, ich dachte schon ..."

"Wir auch, als wir die Schritte auf der Treppe gehört haben", sagte Malcolm.

Bridget lächelte. "Ich bin wirklich froh, euch alle zu sehen. Woher wusstet ihr, dass wir hier sein würden?"

"Das wussten wir nicht", antwortete John. "Wir haben nur gehofft, dass Sie irgendwann einfach nach Hause kommen würden. Einer von uns wollte hier bleiben, um auf Sie zu warten. Ich bin froh, dass das jetzt nicht mehr nötig ist. Wo ist Faith?"

Bridget zeigte auf die Tür hinter Sirius.

"Ich fürchte, ihr geht es gar nicht gut. Es war alles so schrecklich ..."

Sirius ging beiseite, um John an die Tür zu lassen. Remus wollte mitgehen, aber Malcolm hielt ihn zurück.

"Gib den beiden einen Moment Zeit."

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Faith hörte gedämpfte Stimmen im Flur, konnte sie aber nicht erkennen. Sie atmete tief durch und sah sich um. Ihr Zauberstab war in ihrer Tasche bei Fortescue, aber sie musste sich irgendetwas als Waffe nehmen. Sie fand jedoch lediglich eine schwere Obstschale aus Glas. Sie leerte diese und stellte sich hinter die Tür, gerade als der Türknauf sich erneut drehte. Die Tür öffnete sich und Faith hob den Arm ... eine Hand griff schnell ihr Handgelenk und Faith starrte.

"John!"

Er nahm ihr die Schale vorsichtig ab und stellte sie auf den Tisch. Dann sah er sie an, und einen Moment lang blickte sie nur zurück. Dann, im selben Moment als Faith auf ihn zuging, öffnete John seine Arme und zog sie zu sich. Faith fing an zu weinen.

"John, ich hatte solche Angst", schluchzte sie in seinen Armen. "Ich wollte Bridget helfen, aber ich war nicht mutig genug. Ich hätte irgendetwas tun sollen, aber ich war noch nie so ängstlich."

"Shh", beruhigte John sie.

"Ich komme mir so feige vor."

John neigte ihren Kopf mit dem Finger nach hinten und schaute in ihre geröteten Augen.

"Das bist du nicht. Es gibt unterschiedliche Arten von Mut. In manchen Situationen hast du schon deutlich mehr Mut gezeigt als ich."

Faith schüttelte den Kopf.

"Da in der Gasse kam ich mir völlig hilflos vor. Sie hatten es auf Leute wie mich abgesehen. Es war schrecklich."

John streichelte ihr langes Haar.

"Mein armer Liebling", sagte er zärtlich. "Ich hätte dich niemals allein gehen lassen sollen. Ich verspreche dir, das wird nie wieder vorkommen."

"John ..."

Sie drückte sich an ihn und er hielt sie fest und küsste sie. Es klopfte diskret an der Tür und sie schauten sich um.

"Hallo", sagte Malcolm heiter. "Ich wollte nur mal kurz nachsehen, ob du auch nichts Schlimmes mit meinem Schwesterchen machst."

"Ganz im Gegenteil", lachte Faith.

"Bekomme ich auch einen Kuss?"

"Du, Malcolm? Ich denke, du magst so etwas nicht."

"Im Moment schon", sagte er und nahm sie in den Arm. Faith schaute zur Tür und sah die anderen. Bridget hatte einen Arm um James und die Hand auf Sirius' Schulter gelegt. Neben ihm stand Peter, und dort ...

"Remus, mein Schatz. Komm her."

Remus kam zu ihr und ließ sich von ihr in die Arme schließen. Eine Träne der Erleichterung fiel auf ihre Schulter, bevor er sich daran erinnerte, dass man sich vor seinen Schulfreunden nicht so verhalten sollte, und sich wieder aufrichtete.

"So", sagte Malcolm. "Das ist ja alles noch mal gut gegangen. Ich schlage vor, wir gehen jetzt alle zum Kessel zurück und ihr geht dann nach Hause."

"Was ist mit Ihnen?" fragte Peter. "Kommen Sie nicht mit?"

"Ich muss noch arbeiten. Bridget ..."

"Ja?"

"Der Todesser, der Ihnen gefolgt ist - haben Sie ihn gesehen? Ich meine, würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn wiedersehen?"

"Ja."

Malcolm war überrascht. "Sie scheinen sich da sehr sicher zu sein."

"Das bin ich auch. Ich kann Ihnen wohl fast alles sagen, was Sie über ihn wissen müssen. Ich ... kannte ihn einmal ziemlich gut."

"Ach ja?"

Bridget setzte sich auf das Sofa und blickte in die erwartungsvollen Gesichter.

"Sein Name lautet Vindictus Lothian", verkündete sie.

James schrak zusammen, als hätte ihm jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt.

"Soll das etwa heißen, der Mann, der euch vom Tropfenden Kessel aus verfolgt hat, war James' Vater!" rief Sirius.

Faith stieß einen überraschten Ruf aus, merkte aber sehr schnell, dass außer ihr niemand so reagiert hatte.

"Wie kommt es, dass ich anscheinend die Einzige bin, die überrascht ist, das zu hören?" fragte sie.

John seufzte, nahm ihre Hand und führte sie zu Bridget auf das Sofa.

"Vindictus Lothian ist ein Todesser - einer der engsten Anhänger von Lord Voldemort. Ich glaube, er ist sogar schon längere Zeit mit Voldemort befreundet, falls man im Falle von Lord Voldemort davon reden kann, dass er so etwas wie Freunde hat."

Er schaute Bridget und sie nickte.

"Sie waren zusammen auf der Schule."

"Und weiter?"

"Vor einigen Monaten wurde Lothian dabei erwischt, wie er Muggel folterte", setzte Malcolm fort. "Er wurde verhaftet und nach Askaban geschickt. Es stand im Propheten."

"So, wirklich?"

Faith sah John an, der schuldbewusst nickte.

"Es tut mir Leid, Liebes. Ich gebe zu, ich habe die Zeitung vor dir versteckt. Ich dachte, es würde dich nur beunruhigen, und zu dem Zeitpunkt habe ich es auch nicht wirklich für wichtig gehalten. Lothian schien nur ein weiterer Muggel-Hasser zu sein, der zu weit gegangen war. Sie hatten ihn verhaftet und es war vorbei - dachte ich. Auch als Professor Dumbledore mir gesagt hat, wer er war, habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. Er war schließlich sicher hinter Schloss und Riegel."

"Nicht sicher genug", murmelte Malcolm grimmig.

"Wenn Lord Voldemort seine Finger im Spiel hat, ist nichts sicher", warf Bridget ein. "Er ist verrückt, aber leider auch sehr mächtig. Ich weiß noch, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Er sagte, eines Tages werde er die Welt beherrschen und die Menschen würden sich fürchten, seinen Namen auszusprechen. Ich dachte natürlich, das sei nur Angeberei. Mir war nie klar, wie gefährlich er war. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich mich vielleicht auch vor Vindictus in Acht genommen. Aber so ... fand ich ihn wunderbar. Er konnte damals sehr charmant sein. Er war attraktiv und - erfahren. Eben genau das, was ich nicht war. Ich war praktisch noch ein Kind. Vindictus war fünfzehn Jahre älter als ich und wusste genau, was ich hören wollte und wie. Ja, er war wirklich ein Charmeur."

Bridget sah Faith an.

"Ich habe ja gesagt, wir haben alle Skelette im Schrank. Meines ist Vindictus. Ich habe ihn geheiratet, herausgefunden, was ich für einen Fehler gemacht habe, und bin weggelaufen. Ich habe ihm nie gesagt, dass ich schwanger war. Ich konnte nicht zulassen, dass er James findet. Deshalb bin ich weggelaufen, als ich ihn heute sah. Aber eines Tages wird er mich einholen, dessen bin ich mir sicher."

"Nein, Mum!" protestierte James. "Das wird er nicht. Das darf er nicht!"

"Eher schnappen wir ihn uns und schicken ihn zurück nach Askaban, wo er hingehört", fügte Sirius hinzu.

Bridget sah sie beide an und lächelte.

"Ich glaube, Sie haben wohl kaum etwas zu befürchten, solange diese beiden auf Sie aufpassen", meinte Malcolm amüsiert.

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6 - Der geheimnisvolle Fremde

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Es war Montagabend. Die Sonne verschwand langsam hinter den Bäumen und der Ruf der Tauben war dem der Eulen gewichen. Die vier Jungen kehrten müde und zufrieden von den Höhlen zum Haus zurück und fanden zu ihrer Überraschung einen Fremden vor der Haustür vor.

Er war hochgewachsen und wirkte sehr alt. Sein Gesicht war verwittert, das graue Haar fiel ihm in Wellen bis auf die Schultern. Er studierte einen nach dem anderen von Kopf bis Fuß.

"Kann ich Ihnen helfen, Sir?" erkundigte sich Remus höflich.

Der Fremde fixierte ihn mit seinen stahlgrauen Augen.

"Bist du der Junge, der hier wohnt?" fragte er mit rauchiger Stimme. "Remus Lupin?"

"Woher kennen Sie meinen Namen?"

Der alte Mann antwortete nicht, sondern setzte seine Studie der anderen drei fort. Seine Augen ruhten besonders lange auf James. Schließlich wandte er sich wieder Remus zu.

"Ist dein Vater zu Hause?"

"Ja", antwortete Remus.

Genau genommen war er sich nicht sicher, ob sein Vater schon von der Arbeit zurück sein würde. Er sollte es sein. Aber Remus hatte bestimmt nicht vor, das alles einem Fremden zu verraten.

"Dann sag ihm, dass ich ihn sprechen will."

"Welchen Namen soll ich ihm nennen, Sir?"

"Keinen Namen", sagte der Fremde schroff. "Sag ihm nur, die Person, die er erwartet, sei eingetroffen. Geh", fügte er hinzu, als Remus in zweifelnd bemaß.

Der Junge zuckte die Schultern und zu viert gingen sie ins Haus.

"Dad!" rief Remus. "Dad!"

John kam sofort aus der Küche.

"Was ist denn?" fragte erh.

"Draußen ist ein Mann, der dich sprechen möchte. Er meint, du würdest ihn erwarten."

"Ah." John wischte sich die Hände an einem Trockentuch ab. "Ja. Gut. Dann will ich ihn mal begrüßen."

Er streckte Remus das Tuch entgegen und ging zur Tür.

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Ungefähr zehn Minuten später kam John zurück ins Haus. Faith überließ das Abendessen ihren Kochtöpfen und kam ihm auf dem Flur entgegen.

"Was ist?" flüsterte sie. "Remus hat gesagt, es ist ein Fremder draußen? Wer ist es?"

John winkte nur ab und ging eilig in die Küche.

"Was ist los, Dad?" fragte Remus und schob sein Glas Kürbissaft beiseite.

John wandte sich Bridget zu.

"Bridget, Sie haben Besuch", sagte er. "Ich habe ihn hereingebeten, aber er wollte lieber draußen warten."

"Besuch? Für mich?" sagte Bridget erstaunt und sah vom Tisch hoch, wo die Messer und Gabeln sich ordentlich selbst verteilten. "Wer würde mich denn besuchen? Wer weiß, dass ich hier bin?"

"Warum gehen Sie nicht zu ihm und finden es heraus?" schlug John vor.

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Bridget ging nach draußen. Es war noch recht hell, aber sie konnte niemanden sehen.

"Hallo?" rief sie.

Dann bemerkte sie, wie sich etwas zwischen den Bäumen bewegte. Sie ging vorsichtig darauf zu, bis sie sehen konnte, dass dort tatsächlich jemand stand und zu den Sternen blickte. Sie konnte nur den Rücken eines großen Mannes mit ergrautem Haar erkennen. Als sie sich ihm näherte und er ihre leisen Schritte im Gras vernahm, drehte er sich um, und erschrocken erkannte sie ihn.

"Du!" rief sie.

Gordon Gryffindor erwiderte ihren Blick stur.

"Ja, ich. Wieso, hattest du jemand anderen erwartet?"

"Ich habe niemanden erwartet. Aber als John gesagt hat, ich hätte Besuch, habe ich bestimmt nicht an dich gedacht."

"Er hatte also genug Verstand, es dir nicht zu sagen. Ich glaube wohl kaum, dass du sonst rausgekommen wärst."

"Nun", meinte Bridget trotzig, "hier bin ich. Ich kann mir allerdings nicht im geringsten vorstellen, was du hier willst. Aber wenn du mir etwas zu sagen hast, dann raus damit. Bringen wir es hinter uns."

"Ich dachte, du würdest vielleicht gern anfangen."

"Womit denn?" fragte Bridget. "Hör zu, falls du nur hier bist, weil du erwartest, dass ich vor dir auf die Knie falle und um deine Vergebung bettele, dann hättest du dir die Reise sparen können. Ich habe in meinem Leben lang genug am Boden gelegen und du hast keinen Finger gekrümmt, um mir zu helfen. Ich sehe also nicht ein, weshalb ich dir jetzt den Gefallen tun sollte. Ich habe es soweit auch ohne deine Hilfe geschafft und ich verstehe weiß Gott nicht, weshalb du auf einmal aufkreuzen musstest."

Der alte Mann lachte zynisch.

"Oh ja, ganz wunderbar hast du dich geschlagen, das sehe ich. Du hast dein Leben verpfuscht, ehe es überhaupt richtig begonnen hatte. Du hast dir einen Taugenichts von einem Ehemann gesucht und bist dann fortgelaufen, weil du nicht den Mut hattest, es durchzustehen, und du hast eine enge Wohnung in einer dreckigen Gasse gemietet, wo du jetzt mit einem Sohn lebst, der weder seinen Vater kennt noch weiß, wer er eigentlich ist. Ein wunderbares Leben!"

"Ich muss mir das nicht anhören!" entgegnete Bridget hitzig. "James hätte nicht so aufwachsen müssen, wenn du mich nicht verstoßen hättest. Er hatte vielleicht nicht die beste Kindheit, aber wenigsten eine glücklichere, als ich sie hatte. Ich bereue vieles in meinem Leben, das gebe ich zu, aber James habe ich nie bereut, und ich lasse nicht zu, dass du ihn gegen mich verwendest. Wenigstens werde ich immer die Gewissheit haben, dass mein Kind mich liebt!"

Gordon zuckte zusammen, als habe sie ihn mit einem schweren Gegenstand geschlagen. Bridget schaute ihn voller Trotz an, doch plötzlich erschrak sie ein zweites Mal, als ihr bewusst wurde, wie sehr er sich verändert hatte, seit sie sich das letzte Mal begegnet waren. So hatte sie ihn nicht in Erinnerung gehabt. Die breiten Schultern waren gebeugt, seine hochgewachsene Gestalt wirkte schlaff, sein Haar war so viel grauer, sein Gesicht gezeichnet von Sorge und die Augen - sie erinnerte sich, wie sie sie kalt und abweisend angeblickt hatten. Doch nun erblickte sie dort nichts als Trauer und unendliche Müdigkeit.

"Es tut mir Leid", sagte er mit seiner heiseren Stimme. "Mir war wohl nicht klar, dass es so schlecht zwischen uns steht."

"Vater, ich ... ich wollte nicht ... ich meinte damit nicht ..."

"Wirklich nicht?" fragte er traurig. "So klang es aber. Man könnte sagen, der Blitz hat eindeutig eingeschlagen."

"Verzeih mir", antwortete sie leise.

"Ich dachte, du wolltest nicht um Verzeihung bitten."

Bridget wollte protestieren, doch dann bemerkte sie, dass ein leises Lächeln um seine Lippen spielte.

"Du hättest nicht weglaufen sollen", sagte Gordon. "Als du festgestellt hast, was für ein Schuft dieser Mann ist - warum bist du da nicht zu mir zurückgekommen?"

Bridget lachte humorlos.

"Zu dir? Um dir die Genugtuung zu geben, mich tadeln zu können und bei jeder Gelegenheit 'Ich habe dich gewarnt' zu sagen, mir Salz in die Wunden zu streuen? Um mir anzuhören, dass alles meine eigene Schuld war?"

"Du hast Recht", gab er zu. "Das hätte ich wohl getan."

"Das Problem ist - du hättest damit ganz Recht gehabt", seufzte Bridget etwas ruhiger.

Gordon schüttelte den Kopf.

"Nein. Es war auch meine Schuld, zumindest teilweise. Hätte ich nicht so oft die Beherrschung verloren, hätte ich nicht versucht, dir meine Meinung aufzudrängen und dir ständig zu erzählen, was das beste für dich ist, dann wärst du vielleicht weniger voreilig gewesen. Ich habe versucht, dich mit Gewalt festzuhalten. Aber das einzige, was ich dadurch erreichte, war, dich von mir fort zu treiben."

Bridget starrte ihn an.

"Das kannst du sagen? Du? Du gibst zu, dass du einen Fehler gemacht hast?"

"Ja, Bridget. Einen Fehler, den ich für den Rest meines Lebens bereuen werde. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen."

Bridget lächelte unsicher.

"Ich vergebe dir. Ich hätte auf dich hören sollen. Ich habe aus Trotz und Stolz gehandelt. Meine Heirat war ein Fehler und ich bereue sie. Aber zu wünschen, das alles wäre nie geschehen ... dann müsste ich mir James wegwünschen. Und das kann ich nicht."

"Du liebst diesen Jungen so sehr, dass du denkst, er sei das alles wert? Er ist Lothians Sohn ..."

"James kann nichts dafür, wer sein Vater ist. Wenn du ihn kennen würdest, würdest du ihn ebenso sehr lieben wie ich es tue."

"Vielleicht könnte ich ihn kennen lernen. Vielleicht könnten wir, du und ich, von vorn anfangen."

Bridget bemaß ihn mit einem seltsamen Blick.

"Warum hast du plötzlich beschlossen, mich ausfindig zu machen und mit mir zu reden - nach all den Jahren? Wieso willst du James auf einmal kennen lernen? Wieso dieser unerwartete Ausbruch von Familienbewusstsein?"

"Vielleicht werde ich auf meine alten Tage sentimental."

"Sentimental? Du? Wohl kaum, denke ich."

Er betrachtete sie nachdenklich.

"Du musst mich für einen sehr harten Menschen halten. Das bin ich nicht. Ich denke schon, dass Sentimentalität eine große Rolle bei meinem Entschluss gespielt hat. Selbst als Albus dieses Treffen vorschlug ..."

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Bridget kehrte erst mehr als eine Stunde später ins Haus zurück. Sie fand John im Wohnzimmer vor. Er schaute von seinem Buch auf, als sie eintrat, und einen Moment lang sahen sie sich nur gegenseitig an. Schließlich schloss Bridget die Tür und setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel.

"Und?" unterbrach John die Stille. "Wie ist es gelaufen?"

Bridget antwortete nicht direkt auf seine Frage. Stattdessen sagte sie:

"Sie wussten, dass er kommt, oder? Sie haben es gewusst und mir nichts davon gesagt."

"Es tut mir Leid. Professor Dumbledore hat mich gebeten, das Treffen zu arrangieren. Er meinte, hier wäre es am sichersten", entschuldigte sich John. Er fuhr vorsichtig und plötzlich vertraut fort: "Er war sich ziemlich sicher, dass du es ablehnen würdest, wenn du Bescheid wüsstest. Ich wollte es dir schon so oft sagen, aber Dumbledore ..."

"Ist schon gut", sagte Bridget und lächelte plötzlich. "Ich bin dir nicht böse. Zuerst war ich es schon ein bisschen ... aber nach allem was mein Vater mir erzählt hat, kann ich es verstehen."

"Dann hat er dir von der Prophezeiung erzählt und dir erklärt, warum wir dich gern im Orden hätten?"

"Ja."

"Muss ich fragen, wie du reagiert hast?"

"Nein, musst du nicht." Bridget machte eine nachdenkliche Pause. "Ich habe Angst, John. Ich weiß, dass wir uns der Aufgabe widmen müssen, Voldemort aufzuhalten, aber ich wüsste nicht, wann ich je so ängstlich war."

"Ich weiß. Mir macht das alles auch große Angst. Aber noch mehr Angst habe ich, zu versagen. Das hat uns wohl alle zusammengeführt. Keiner von uns will sterben, nicht mal für einen guten Zweck. Aber mehr als vor dem Tod fürchten wir uns vor dem, was passieren wird, wenn wir nichts tun. Ich habe mich also wegen Faith dazu entschlossen, zu kämpfen. Denn wenn Voldemort unsere Welt noch weiter unterdrückt, könnte er auch sie verletzen, und das kann ich nicht zulassen. Ich bin mutig genug, mich allem zu stellen, was er mir entgegenbringt - aber ich hätte nicht den Mut, weiterzuleben, wenn ihr etwas zustoßen sollte."

"Ich weiß. Und ich muss es wegen James tun."

John schaute in ihr Gesicht. Er erkannte dort eine neue, unvertraute Entschlossenheit. Weg war der jugendliche, lebhafte Ausdruck, den sie noch vor einer Woche gehabt hatte, als Faith ihr das Haus gezeigt hatte und sie sich gefreut hatte, hier zu sein. Sie wirkte jetzt besorgt, als hätten die Ereignisse von vor zwei Tagen und ihre Unterhaltung mit ihrem Vater sie um einige Jahre altern lassen.

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Oben in Remus' Zimmer hörten die Jungen den Magischen Rundfunk.

"Hier spricht Bernard Barnaby vom MRF", sagte der Nachrichtensprecher. "Nach dem brutalen Vorfall in der Winkelgasse am helllichten Tag am vergangen Samstagnachmittag haben die Täter, die ein Sprecher des Ministeriums gestern als 'Todesser' bezeichnete, mehr Gräueltaten begangen, die unsere Gesellschaft bis aufs Mark erschüttert haben.

Auf den britischen Inseln ist es während der letzten beiden Nächte zu weiteren Tragödien gekommen. Menschen kamen nach Hause und fanden einen abscheulichen grünen Schädel, das Mal dieser dunklen Zauberer, über ihren Häusern. Ihre Familien waren tot. An keiner der Leichen war ein Anzeichen äußerer Einwirkung zu erkennen. Das Fehlen jeglicher Verletzungen lässt die Verantwortlichen davon ausgehen, dass die Opfer durch den unverzeihlichen Todesfluch ihr Leben ließen.

Viele Hexen und Zauberer, besonders solche von Muggel-Abstammung, fühlen sich in ihren eigenen Häusern nicht mehr sicher, geschweige denn in der Außenwelt. Einige haben sich versteckt oder das Land verlassen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, allen Zuhörern zu sagen, dass dies keine Lösung ist. Wir können dieser Schreckensherrschaft nicht erlauben, Fuß zu fassen, und einfach nur davonlaufen. Wir müssen zusammenhalten und uns wehren.

Ich wende mich an alle Zuhörer heute Abend und bitte Sie, nicht vor der Dunkelheit davonzulaufen, die sich über uns senkt. Hören Sie nicht auf die Leute, die Sie glauben lassen wollen, der Dunkle Lord und seine Todesser seien zu machtvoll, um ihnen Widerstand zu leisten. Wenden wir das Blatt. Jagen wir sie und sperren wir sie alle ein, bevor sie der Welt, die wir lieben, irreparablen Schaden zufügen. Lassen Sie sich nicht unterdrücken. Kämpfen Sie und zeigen Sie denen, dass unsere Welt frei bleiben wird, was auch immer sie planen mögen.

Das war Bernard Barnaby vom MRF. Gute Nacht."

James stellte das Radio aus und ging hinaus in den Flur, als seine Mutter gerade die Treppe hochkam.

"Mum ..."

"Hallo", sagte sie und lächelte liebevoll.

"Ich hab mich gefragt ... Der alte Mann, mit dem du gesprochen hast ... Wer war das?"

Bridget lächelte weiter, aber wich der Frage aus.

"Worum ging es in den Nachrichten?"

"Es sind noch mehr Menschen umgebracht worden", erklärte James. "Die Leute haben Angst, vor die Tür zu gehen, und sie haben Angst, im Bett ermordet zu werden."

Bridget kam näher und strich ihm über die Wange.

"Und hast du Angst, James?" fragte sie.

James sah sie fragend an. So merkwürdig war sie noch nie gewesen.

"Ja", gab er zu. "Haben wir die nicht alle?"

Wieder lächelte sie so komisch.

"Ja, Schatz. Vermutlich hast du Recht."

Bridget schaute über James' Schulter in das Zimmer, wo die anderen drei noch saßen, und dachte über die anderen Dinge nach, die ihr Vater ihr erzählt hatte - Professor Darkhardts neue Verteidigungsstunden, Philippa Pettigrews Teilnahme am Kampf gegen Voldemort ... und das Geheimnis, das Faith ihr nicht hatte anvertrauen wollen. Sie beobachtete Remus und dachte einen Moment lang daran, James gegenüber zu erwähnen, was sie jetzt wusste. Doch dann beschloss sie, dass es töricht wäre. Es musste überflüssig sein, ihm zu sagen, was Remus war.

James war schlau und sie zweifelte nicht, dass er es bereits wusste, womöglich schon seit vielen Jahren. Was ihr Sorgen bereitete war, was er deswegen unternommen haben konnte. Er konnte vielleicht Dumbledore glauben lassen, er und seine Freunde hätten Remus' Schicksal akzeptiert, aber sie kannte ihn besser. Sie war sicher, dass ihr Sohn irgendetwas vor ihr verbarg. Und sie fragte sich, ob sie es jemals erfahren würde.

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Zwei Tage später berichtete der Tagesprophet, Bernard Barnabys Frau sei von einem Besuch bei ihrer Schwester zurückgekehrt und habe das Dunkle Mal über ihrem Haus vorgefunden. Ihr Mann war tot, ohne Anzeichen äußerer Einwirkung.