Vorgeschichte, Teil 17: Das letzte Jahr in Hogwarts
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1 - Ein Schreckensjahr
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Bernard Barnabys Tod war nicht der letzte. Ein ähnliches Schicksal ereilte nach und nach alle, die es wagten, sich Lord Voldemort öffentlich zu widersetzen oder die Bevölkerung zum Widerstand aufzurufen. Man traute einander nicht mehr, denn immer häufiger hörte man von Verrat, und selbst harmlose Personen schienen auf einmal Gräueltaten zu vollbringen, derer sie niemand für fähig gehalten hätte.
Kaum jemandem schien klar zu sein, dass die Täter diese Verbrechen nicht mit Absicht begingen. Doch in seinem Büro hinter dem steinernen Wasserspeier in Hogwarts hatte Professor Albus Dumbledore begonnen, eine Liste von Leuten aufzustellen, von denen er glaubte, dass sie dem Imperius-Zauber verfallen waren - es waren Leute, von denen er wusste, dass sie niemals mutwillig einem anderen Menschen schaden würden.
Doch trotz des Schreckens, der von der Außenwelt Besitz ergriff, war das Leben in Hogwarts von der wachsenden Bedrohung relativ unberührt. Berichte von wütenden Riesen, Dementoren und gar Vampiren stapelten sich auf dem Schreibtsich von Bartemius Crouch, dem neuen Chef der Abteilung für Magische Strafverfolgung im Zaubereiministerium, aber die Schule blieb ein sicherer Hafen, denn Voldemorts Handlanger schienen jeden Ort zu meiden, an dem Albus Dumbledore sich aufhielt.
Das Jahr war somit für die vier Rumtreiber ein anstrengendes, aber glückliches Jahr, an dessen Ende sie gut gelaunt nach Hause fuhren, da Gryffindor den Hauspokal schon zum dritten Mal in Folge geholt hatte und sie sich noch gut erinnern konnten, wie Severus Snape geguckt hatte, als James ihm den Quaffel unter der langen Nase weggeschnappt und sein fünftes Tor im Quidditch-Finale erzielt hatte. Doch schon bald nach ihrer Rückkehr in die Außenwelt wurden sie daran erinnert, dass die Dinge nicht so gut liefen, wie es einem in Hogwarts vorkommen mochte.
Peter Pettigrew fand seine Mutter in einem Zustand fast ständiger Paranoia, sie verdächtigte jeden vom Milchmann bis hin zur Putzfrau, die einmal die Woche kam, ein Spion des Bösen zu sein. Sein Vater war selten zu Hause und arbeitete lang, vermutlich, damit seine Frau nicht vorschlug, er solle etwas Heldenhaftes unternehmen ... wie dem Schornsteinfeger zu zeigen, was eine 'Ganzkörperklammer' ist! Selbst Philippa hatte sich verändert, sie war ernster und ständig müde, gleichzeitig aber liebevoller denn je. Sie zeigte ihre Gefühle allen gegenüber offener als sie es sonst getan hatte, als wolle sie vorsorgen, falls etwas geschah, was es ihr unmöglich machen würde.
Auch Remus spürte die Spannung zu Hause. Seine Mutter zuckte bei der geringsten Kleinigkeit zusammen und war stets besorgt. Was persönliche Dinge anging, war sie solide und felsenfest wie immer, doch sie hatte panische Angst, dass denen, die sie liebte, etwas zustoßen könnte. Sie bestand darauf, nachts sowie tagsüber alle Fenster und Türen zu verriegeln und bat John jeden Morgen beim Frühstück, die Nachrichten vorzulesen, auch wenn sie danach oft weinte. Im Laufe des Sommers kam es Remus vor, als würde sie von Tag zu Tag ängstlicher.
Faith war dies nicht unbewusst und sie versuchte, gegen die Depression anzukämpfen, die sie zu überwältigen drohte, aber es nutzte nichts. Sie suchte die Gründe hinter ihrer wachsenden Angst und kam zu der Feststellung, dass es an der Veränderung liegen musste, die sie bei ihrem Bruder bemerkt hatte. Sie hatte schon vorher Angst gehabt, denn sie hatte immer gewusst, dass es Gefahren in der Welt gab, aber Malcolm hatte sie immer daran erinnert, dass keine Gefahr allgegenwärtig war, dass am Ende in jeder Lage Spaß und Humor zu haben waren. Aber so war er nicht mehr. Zum einen besuchte er seine Schwester immer seltener, während sich die Berichte von Morden und Folterei häuften, zum anderen war auch er angespannt und machte viel weniger Witze als früher.
Faith hatte auch angefangen, sich Gedanken zu machen, weshalb ihr Mann so häufig wegen 'wichtiger Angelegenheiten' nicht nach Hause kam. John für seinen Teil war weiterhin fest entschlossen, die Wahrheit so lange wie möglich vor seiner Frau zu verbergen. Sie sorgte sich auch so schon genug. Falls sie herausfand, dass er und Malcolm nächtelang Zauberer verfolgten, die sich der Gegenseite verschworen hatten, dass sie mit Dumbledore berieten, wo sich Lord Voldemort befinden und wie man ihn vernichten könnte, dann würde sie in völlige Panik geraten und wohl noch weniger schlafen, als sie es jetzt schon tat.
James und Sirius bemerkten auch bei Bridget eine Veränderung. Sie war still und zurückgezogen und schien kaum noch zu wissen, wie man lächelte. Die beiden wussten es nicht, doch seit ihrem Gespräch mit ihrem Vater war Bridget bei jedem Treffen des Ordens zugegen gewesen. Sie hatten beschlossen, ihre Differenzen beiseite zu legen und einen Neuanfang zu versuchen, und beide mussten insgeheim zugeben, dass dies ihre Aufgabe erleichterte. James war während des Schuljahres weiterhin begeistert zu Professor Darkhardts Stunden gegangen, doch Bridget hatte heimlich alle, die die Wahrheit kannten, gebeten, ein Auge auf ihren Sohn zu haben. Er sollte nicht wissen, dass er ein Erbe Gryffindors war und dass sein Leben keinen Knut wert sein würde, sollte Voldemort je von seiner Existenz erfahren.
Professor Dumbledore und John, Malcolm und Gordon hatten alle ihr Bestes getan, um Bridget zu überreden, dass es James auf lange Sicht mehr schaden konnte, die Wahrheit nicht zu kennen, aber sie ließ sich nicht umstimmen. Und so waren sie und ihr Vater sich zwar wieder etwas nähergekommen, aber Gordon durfte noch immer keinen Kontakt zu seinem Enkel haben, obwohl er täglich immer mehr den Wunsch verspürte, den Jungen in sein Herz zu schließen - nicht nur, weil Bridget ihn so liebevoll beschrieb, sondern allein schon aufgrund ihrer Gegenwart.
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2 - Die letzte Fahrt nach Hogwarts
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Die deprimierte Stimmung in der magischen Welt ließ die Ferien endlos erscheinen, doch schließlich gingen sie zu Ende und es war wieder der 1. September, der erste Tag des letzten Schuljahres. Zum letzten Mal in seinem Leben als Schüler stand Remus neben seiner Mutter auf Bahnsteig 9 ¾ und wusste, dass seine Trennung von ihr am heutigen Tag die schwerste sein würde seit dem Tag, an dem er zum ersten Mal nach Hogwarts gefahren war. Er sah seine Mutter an und Faith zog ihren Sohn zu sich heran und umarmte ihn. Sie hielt ihn ganz fest.
"Du wirst mir fehlen", flüsterte sie ihm unter Tränen ins Ohr. "Aber ich war noch nie so dankbar, dass du nach Hogwarts darfst. Hier draußen ist es zu gefährlich. Manchmal frage ich mich, ob es in der Welt je weder Sicherheit geben wird."
"Es wird sie geben, Mum", versicherte Remus mit mehr Bestimmtheit, als er verspürte. "Hab keine Angst. Auf die eine oder andere Art, irgendwann, irgendwie, werden wir gewinnen."
Faith trat zurück und blickte in sein ernstes, junges Gesicht.
"Du bist so erwachsen geworden", sagte sie mit einem traurigen Lächeln. "Noch ein Jahr und ich werde den kleinen Jungen kaum wiedererkennen, den ich vor sieben Jahren zum ersten Mal in diesen Zug habe steigen sehen."
"Ich werde mich nicht ändern, Mum", sagte Remus. "In manchen Dingen werde ich immer dieser Junge sein."
"Das kann ich nur hoffen", sagte seine Mutter.
Remus schaute betreten weg. Er hatte sich nach dem Tag gesehnt, an dem er mit seinen Freunden nach Hogwarts zurückkehren würde, doch jetzt widerstrebte es ihm plötzlich, zu gehen und seine Mutter hier zurückzulassen, sah sie doch so verletzlich und ängstlich aus.
Es wäre alles einfacher gewesen, wenn sein Vater mitgekommen wäre. Aber John war wieder einmal mit Malcolm in gefährlicher Sache unterwegs - wenn seine Mutter davon wüsste, würde sie womöglich gleich in Ohnmacht fallen. Einen Moment lang dachte Remus ernsthaft daran, nicht in den Zug zu steigen. Oh, natürlich wollte er wieder nach Hogwarts, aber wie sollte er seine Mutter in diesen Zeiten allein lassen ... dann, auf einmal, bemerkte er Heather, die etwas weiter den Zug entlang bei ihren Freundinnen stand. Sie hatte auch ihn entdeckt.
Ihm fiel auf, dass sie im Lauf des Sommers gewachsen war. Sie war drei Jahre jünger als er, doch heute wirkte sie fast so alt wie er selbst - sie war ein schlankes, hübsches junges Ding. Unter all den betrübten Gesichtern auf dem Bahnsteig schien nur sie etwas Sanftes, Beruhigendes auszustrahlen. Ihre klaren, blauen Augen schienen ihn zu rufen.
Heathers Wangen färbten sich herrlich rosa, als sie ihn erblickte, und sie lächelte Remus zu. Es war ein zaghaftes, besorgtes Lächeln, das ihm sofort verriet, dass auch sie von den Nachrichten des Sommers beunruhigt war. Plötzlich hatte er seinen Entschluss gefasst. Selbstverständlich würde er nach Hogwarts fahren, wie in jedem anderen Jahr. Er sah zu, wie Heather mit ihren Freundinnen in den Zug stieg. Als er sich wieder seiner Mutter zuwandte, stellte er fest, dass sie ihn beobachtete.
"Ja, du bist wirklich erwachsen geworden", sagte sie leise.
Remus wollte etwas erwidern, aber dann erschien Bridget zusammen mit Sirius und James. Faith wirkte sofort etwas munterer. Sie und Bridget hatten sich inzwischen eng angefreundet und es war heutzutage eine Wohltat, jemandem zu begegnen, vor dem man sich nicht vorsichtshalber in Acht nehmen musste.
"He, Remus", meinte Sirius sofort eifrig, "hat James dir letztens in seinem Brief erzählt, dass sie ihn zum Schulsprecher gemacht haben?"
"Schulsprecher!" rief Remus. "Nein, davon hat er mir nichts geschrieben."
"Ich fand, es reicht schon, wenn mich einer deswegen aufzieht", erklärte James.
"Aber das ist doch toll!" meinte Remus und schüttelte James mit derselben Begeisterung die Hand, mit der James ihm vor zwei Jahren zu seiner Ernennung zum Vertrauensschüler gratuliert hatte. "Herzlichen Glückwunsch!"
"Danke."
James schaute sich um und entdeckte schon bald Lily Evans, die mit ihren Eltern und ihrer Schwester gekommen war. James winkte ihr zu, und auch Sirius sah zu ihr rüber.
"Moment!" rief er. "Trägt Lily etwa das Abzeichen der Schulsprecherin?"
James nickte und Sirius lachte laut. "Potter und Evans, unser Traumpaar! Hallo, Lily", fügte er hinzu, denn sie war zu ihnen herüber geeilt.
"Hallo, Sirius. Remus, Mrs. Lupin ... Mrs. Potter", sagte sie schüchtern.
Bridget lächelte. Es war seit langer Zeit das erste Mal.
"Hallo", sagte sie. "Du bist also Lily. Sirius neckt James deinetwegen schon den ganzen Sommer."
Lily wurde rot. "Du, James", fing sie an, "ich wollte fragen, ob ... also, willst du vielleicht mitkommen und meine Eltern kennen lernen?"
"Oh ... ähm ... was, sofort? Ich meine ... gut, warum nicht?"
Strahlend fasste sie ihn an der Hand und zog ihn hinter sich her. Sirius und Remus fingen inzwischen an, das Gepäck in den Zug zu hieven.
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"Mum, Dad, Petunia - das ist James", verkündete Lily mit einer gehörigen Portion Stolz.
James begrüßte ihre Familie etwas nervös. Lilys Vater war ein stämmig gebauter Mann mit einem runden, freundlichen Gesicht und einem lockigen, braunen Wuschelkopf. Ihre Mutter war groß und dünn, mit einem fein gemeißelten Gesicht, kurzen roten Haaren und grünen Augen, die aber nicht so sehr leuchteten wie die ihrer Tochter.
"Freut mich, dich kennen zu lernen, mein Junge", sagte Mr. Evans mit kräftiger Stimme.
James bemerkte mit Unbehagen, dass viele in ihre Richtung schauten. Als Muggel wusste Mr. Evans bisher nichts von Lord Voldemort und hatte daher auch keine Ahnung, dass es in diesen Tagen als unangemessen galt, in der Öffentlichkeit übermäßig fröhlich zu erscheinen.
"Vielen Dank, Sir", antwortete James gedämpft.
"Lily hat uns schon so viel von dir erzählt", fügte Lilys Mutter hinzu.
"Oh", sagte James. "Also ich bin bestimmt nicht wirklich so schlimm, wie sie behauptet."
Mr. Evans lachte herzlich.
"Der Knabe hat Humor", meinte er. "Das gefällt mir. Du solltest ihn mal mit deinem Vernon zusammenbringen, Petunia. Vielleicht färbt etwas davon an ihm ab."
James wandte seine Aufmerksamkeit Lilys schmollender älterer Schwester zu. Sie war dürr und knochig und hasste es offensichtlich, hier zu sein. Während des Gespräches hatten ihre Augen stets zwischen ihrer Schwester und James hin- und hergeschaut. Er bemerkte, dass sie einen tiefsitzenden Groll gegen Lily zu hegen schien, den sie nie verbarg, wenn sie sie ansah. Wie er den Gesichtsausdruck deuten sollte, wenn sie ihn ansah, wusste sie nicht. Er war verschlossen und unverständlich, aber penetrant.
"Also, es war schön, Sie kennen zu lernen", sagte James höflich, "aber wir sollten jetzt wirklich einsteigen."
"Natürlich."
Mr. Evans beugte sich, um Lilys Truhe hochzuheben, aber James kam ihm zuvor. Lilys Eltern lächelten und wünschten beiden ein gutes Jahr, dann sahen sie zu, wie sie gemeinsam in den Zug stiegen.
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"Kannst du mir mal helfen?" fragte Remus.
Sirius kam zu ihm und half, James' Truhe in den Gepäckträger des leeren Abteils zu schubsen, das sie gefunden hatten. Dann sah er aus dem Fenster.
"Ha, James wird seinen Schwiegereltern vorgeführt", verkündete er. "Oh je, oh je, armer alter Krone, jetzt kommst du ihr nie mehr davon. Das Mädel hat dich fest am Wickel."
"Sirius, komm, lass ihn in Ruhe", murmelte Remus.
Sirius zuckte die Schultern und sah sich die restlichen Leute auf dem Bahnsteig an. Er winkte Gemma Crowe aus Gryffindor und Florence Fortescue aus Hufflepuff zu. Beide Mädchen kicherten und winkten zurück. Sirius' Augen streiften weiter und entdeckten mehr Leute.
"Da kommt Wurmschwanz", sagte er. "Und Pippa. Meine Güte, sieht die fertig aus. Komm mal gucken, Moony."
Remus trat ans Fenster, doch er sah Philippas blaues Gewand nur flüchtig, denn sie war schon wieder im Begriff zu gehen. Peter Pettigrew ging allein zu Bridget und Faith hinüber, sprach kurz mit ihnen und schleppte dann seinen Koffer zum Zug.
"Ich geh eben und helf ihm", sagte Sirius und ging raus auf den Gang.
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3 - Das letzte Jahr beginnt
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Das letzte Willkommensessen in der Großen Halle war köstlich wie immer und wenn man die dicken Mauern von Hogwarts um sich hatte, Sterne an der Decke über einem funkelten und man Albus Dumbledore oben am Lehrertisch sitzen sah, ihn seinem tiefpurpurnen und mit gelben Monden verzierten Gewand und dem passenden spitzen Hut, begannen die Ängste des Sommers endlich zu weichen. Er hatte wie jedes Jahr seine Willkommensrede gehalten und sie wie immer an Mr. Filchs stetig wachsende Liste unerlaubter Handlungen erinnert (die dieses Jahr scheinbar auch das Lächeln in der Öffentlichkeit einschloss). Ferner hatte er die Schüler ermahnt, sich von der Peitschenden Weide fernzuhalten, die auf dem Schulgelände stand. Dieser Ermahnung pflichtete der junge Davey Gudgeon lautstark bei, denn er hatte sich dem ungestümen Baum im letzten Sommer genähert und hatte seitdem eine hässliche Narbe über dem rechten Auge.
Schon bald quasselten die Schüler miteinander, als sei nichts geschehen – kein Morden, kein Foltern, keine Todesser. Nur einige blieben ernst und still, vor allem die, deren Familien bereits unter diesen finsteren Taten gelitten hatten.
Am Hufflepuff-Tisch war Florence Fortescue tief in ein Gespräch mit dem fünfzehnjährigen Stephen Ross verwickelt, dem jüngeren Bruder des ehemaligen Ravenclaw-Hüters Martin Ross, der die Schule im letzten Jahr abgeschlossen hatte und nun eine Karriere als Auror verfolgen wollte. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen braunen Haare und lehnte sich näher zu ihm heran. Ihr Schmerz über den Mord an ihrem Großvater, Florander Fortescue, in der Winkelgasse, war ihr kaum noch anzumerken, hatte aber ihren Willen gestärkt, sich härter denn je für 'Darkhardts Verteidiger' einzusetzen. Offenbar bemühte sie sich gerade, Stephen zu rekrutieren.
Am Ravenclaw-Tisch erzählte Daniel Moore Aurora Borealis von einem neuen Buch, welches er zum Geburtstag bekommen hatte. Darin ging es um Flüche und Gegenflüche, von denen er hoffte, dass Professor Darkhardt sie ihnen beibringen würde, damit sie sich im Ernstfall verteidigen konnten.
Nach dem Essen standen Sirius, James, Peter und Remus auf und waren eben auf dem Weg zur Tür, als Sirius von Patrick Pringle, einem blonden Hufflepuff im zweiten Schuljahr, aufgehalten wurde.
"Hey, Black! Black, hast du mal eine Minute?" fragte er aufgeregt.
Sirius seufzte. Er kannte Pringle noch vom Waisenhaus. Er war schon immer eine Nervensäge gewesen und war Sirius seit dem einen Mal, als er die Sache mit der Stinkbombe gestanden hatte, ständig hinterher gerannt. Sirius war immer noch Pringles Idol, aber heutzutage empfand er das als lästig, denn Pringle verkündete gern aller Welt, dass er Sirius praktisch sein ganzes Leben lang kannte, und benutzte Sirius immer als Drohmittel, wenn Ältere - ganz besonders Slytherins - ihm zu nahe rückten.
"Was gibt's denn, Pringle?" fragte Sirius ungeduldig, während die anderen schon mal vorgingen.
Der kleinere Junge lehnte sich zu ihm heran und flüsterte verschwörerisch:
"Ich hab mit Millie Mynx geredet und die hat mir erzählt, dass sie dieses Jahr dem Geheimbund vom alten Narbengesicht beitreten will."
Sirius schaute zu Professor Darkhardt rüber, der am Lehrertisch seinen Weinkelch leerte, und lächelte. Wenn der alte Hexenmeister wüsste, wie respektlos einige Schüler über ihn redeten ...
"Jedenfalls", fuhr Pringle atemlos fort, "ich hab nachgedacht. Du kommst doch ganz gut mit Narbengesicht zurecht, oder, Black? Und da hab ich gedacht, na ja, wenn du mit ihm redest und ihm sagst, dass ich mitmachen will und unbedingt diese ganzen Zauber und den Kram lernen will ..."
"Ich fürchte, es nützt alles nichts, Pringle", sagte Sirius mit gespielt mitleidigem Seufzen. "Das alte Narbengesicht, wie du ihn nennst, nimmt keine kleinen Kinder auf."
"Ich bin kein kleines Kind", sagte Pringle empört.
Sirius baute sich in voller Größe vor ihm auf und schaute auf Pringle herab, der ihm kaum bis zu den Schultern reichte.
"Vielleicht solltest du es mit einem Verlängerungszauber an deinen Beinen ausprobieren, damit du größer wirkst und Darkhardt nicht merkt, dass du erst zwölf bist."
Pringle wandte sich verdrossen ab. Sirius hörte hinter sich ein amüsiertes Lachen und drehte sich um. Mary Crimple stand da. Ihre Augen funkelten.
"Sie sind so lustig, nicht wahr? Diese Kleinen. Wie sie so erwachsen tun."
"Ja, Pringle wollte schon immer alles machen, was ich gemacht hab. Wir waren zusammen im Heim und ich hab wohl an paar zu viele Male auf ihn aufgepasst. Ich hätte die alte Dolesham ihn einfach wegen der Stinkbombe bestrafen lassen, statt zuzugeben, dass ich es war."
"Dolesham?"
"Sie passt da auf die Kinder auf. Auf den ersten Blick macht sie einen ziemlich strengen Eindruck, aber eigentlich ist sie ganz in Ordnung." Er grinste. "McGonagall erinnert mich manchmal ein bisschen an sie."
"Verstehe", sagte Mary. "Das war also dein großer Fehler, und der Knirps vergöttert dich seitdem, richtig?"
"So sieht's aus."
Mary kicherte wieder.
"Sirius?"
Sirius drehte sich um und sah, wie Aurora auf sie zukam. Sie runzelte die Stirn. Mary verzog etwas das Gesicht, entschuldigte sich und ging weg.
"Hallo, Rory", sagte Sirius fröhlich.
Sie sah an ihm herauf und wieder runter und ging um ihn herum.
"Na", fing sie schließlich an. "Eigentlich siehst du doch ganz gesund aus. Wie fühlst du dich?"
"Bestens", sagte Sirius leicht verwirrt.
"Gut. Freut mich. Ich hatte schon befürchtet, deinen Händen wäre was zugestoßen. Nein? Alle Finger noch dran?"
Sirius hielt sie hoch. "Alles in Ordnung."
"Ach so. Ich hatte mir nämlich eigentlich überlegt, dass wenn du was an den Händen gehabt hättest, du ja sicher James hättest bitten können, für dich zu schreiben."
Sirius blickte sie fragend an.
"Schreiben, Sirius! Man benutzt dazu im Normalfall ein Stück Pergament, eine Feder und etwas Tinte. So entstehen Briefe, weißt du. Nachrichten. Ein paar Worte, um jemandem zu sagen, was man so macht, dass man noch heil und gesund ist ..."
"Ahh", sagte Sirius, der jetzt endlich verstand, worauf sie hinauswollte. "Briefe, ja ..."
"Du hast gesagt, du schreibst mir."
"Ähm …"
"Du hast es versprochen!"
Sirius machte einen beschämten Eindruck. "Und wenn ich jetzt sage, ich hätte dir geschrieben, aber die Eulen müssen sich verflogen haben?"
Aurora verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. Sirius sah sich kurz hilflos um. Er versuchte es mit einem entschuldigenden Lächeln, das völlig versagte.
"Äh - es tut mir Leid", murmelte er.
Aurora klopfte mit dem Fuß auf den Boden. Sirius beobachtete sie und fing auf einmal an zu grinsen.
"Wenn du sauer bist, bist du richtig süß."
Aurora verlagerte ungeduldig das Gewicht und verschränkte die Arme noch entschlossener. Sirius' Grinsen wurde breiter und sie wich seinen funkelnden Augen aus, aber er nahm sie beim Arm und küsste sie auf den Mund.
"Sirius!" rief sie anscheinend schockiert und schob ihn von sich weg.
Sie sah sich um. Die Halle war voll mit Leuten, von denen viele sie jetzt anstarrten, bevor sie sich zu den Schlafräumen in Bewegung setzten. Sirius lachte nur, nahm sie wieder in die Arme und küsste sie erneut, dieses Mal länger. Jetzt hörten viele der anderen Schüler auf mit dem, was sie taten, und schauten völlig ungeniert zu. Obwohl sie es gar nicht vorhatte, entspannte Aurora sich in seinen Armen. Als Sirius sie endlich los ließ, brauchte sie einen Moment, um sich ihrer Umgebung wieder bewusst zu werden.
"Du bist ein Schuft!" beschwerte sich Aurora aus Frustration darüber, dass sie ihm nicht hatte widerstehen können.
"Und du bist hinreißend!" rief er ihr über die Schulter zu, während er sich schon auf den Weg nach draußen machte. "Wir sehen uns später, Schönheit!"
Die anderen Schüler wandten sich lachend ab. Aurora seufzte verzweifelt.
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"Das ist also schon unser letztes Jahr in Hogwarts", klagte Peter Pettigrew, als er sich im Schlafraum auf sein Bett fallen ließ. "Ich kann's gar nicht glauben. Nächstes Jahr um diese Zeit sitzen viele andere Schüler an den Tischen in der Großen Halle, aber wir sind dann nicht mehr da. Wir sind dann draußen in der wirklichen Welt und verdienen unseren Lebensunterhalt ... falls wir überhaupt lange genug leben, um Berufe zu erlernen."
"Ach, jetzt sei doch nicht so depressiv, Wurmschwanz", seufzte James. Er räkelte sich auf seinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und fuhr fort: "Wir haben doch noch reichlich Zeit. Ein ganzes Jahr, um es Filch noch mal so richtig zu geben, Mrs. Norris endlich den wohlverdienten Tritt in den Hintern zu verpassen und Snape die ein oder andere Lektion zu erteilen ..."
Remus runzelte die Stirn, aber eher ironisch. "Professor McGonagall wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie unseren neuen Schulsprecher so reden hört."
James grinste.
"Nein, vermutlich nicht", sagte er faul und rollte sich auf den Bauch, um Remus beim Auspacken zuzusehen. "Und, wie war es dieses Jahr bei dir zu Hause?"
Das Fältchen zwischen Remus' Augenbrauen vertiefte sich nachdenklich.
"Nicht besonders gut. Mum hat wirklich panische Angst vor den Todessern. Wenn sie wüsste, was Dad und Onkel Malcolm treiben ..."
James nickte verständnisvoll. "Wie sieht's bei dir aus, Peter?"
"Ungefähr genauso."
"Hm. Hat einer von euch letzte Woche das Gerücht im Querulanten gelesen?"
Peter schüttelte den Kopf, aber Remus hielt mit einem Pullover in der Hand inne und setzte sich ans Fußende von James' Bett.
"Die Sache mit den Dementoren? Ja, das habe ich gelesen. Mum auch. Dad hat ihr erzählt, es sei bestimmt nicht wahr - der Querulant druckt immer so viele Geschichten, die viel zu weit hergeholt sind, um wahr zu sein. Aber in diesem Fall ..."
"Was denkt dein Dad wirklich?" fragte James.
"Er war besorgt", sagte Remus und er und James tauschten Blicke aus, die für sie beide Erklärung genug waren.
Peter hingegen war noch ahnungslos. "Was stand denn im Querulanten?"
Remus steckte die Hand in die Tasche und holte das goldene Medaillon hervor, das seine Eltern ihm damals geschenkt hatten. Er öffnete es und wirkte von nun an sehr beschäftigt damit, sich die Bilder anzusehen. James seufzte und wandte sich Peter zu.
"Offenbar tun nicht alle Dementoren das, was das Ministerium von ihnen will. Einige sollen sogar Askaban verlassen haben."
"Warum sollten sie das tun? Ich denke, s-sie brauchen ihre Gefangenen. Warum sollten sie ihre 'N-nahrung' verlassen?"
"Die Dementoren von Askaban bewachen dort nur die Gefangenen. Sie können zwar von den Emotionen der armen Seelen zehren, aber das Ministerium lässt sie nicht nah ran oder den Kuss verpassen."
"Den - was?"
"Den Kuss. Hast du etwa in Darkhardts Unterricht geschlafen?"
"Das ist, wenn sie dir die Seele durch den Mund aussaugen und dich als leeren Körper ohne Herz und Verstand zurücklassen", erklärte Remus und ließ das Medaillon wieder in die Tasche gleiten.
"Oh", sagte Peter leise. "V-verstehe."
"Das ist es, was sie wirklich wollen. Sie würden am liebsten die Seelen aller Gefangenen verzehren. Aber das dürfen sie natürlich nicht. Aber Voldemort ..." - James ignorierte Peters Zucken bei dem Namen - "... wird ihnen genau das versprechen. Einen endlosen Vorrat an Seelen. Hauptsächlich muggelstämmige Seelen, natürlich, aber Dementoren sind ja nicht wählerisch."
"U-und einige von diesen Dementoren sind nicht mehr unter der Kontrolle des Ministeriums?" fragte Peter verängstigt.
"Das behauptet zumindest der Querulant. Sie sagen, einige der Wachen von Askaban seien 'verschwunden'. Und wenn Remus' Dad deswegen besorgt ist, dann könnte es durchaus stimmen."
"Und du sagst, i-ich soll nicht depressiv sein", murmelte Peter traurig.
James lachte kurz, aber humorlos. Remus packte weiter seinen Koffer aus.
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4 - Spiegel und Schmutzkratzer
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Die ersten zwei Monate in Hogwarts vergingen wie im Fluge, und schon bald war James wieder einmal die Woche beim Quidditch-Training. Nicht nur das, aber er war auch seit dem letzten Jahr Kapitän der Mannschaft, so dass er viel Freizeit damit verbrachte, sich neue Taktiken zu überlegen oder die anderen Teams zu beobachten, um ihre Stärken und Schwächen einzuschätzen.
Der Tag vor Halloween war ein verregneter Sonntagnachmittag und James kehrte bis auf die Haut durchnässt und halb erfroren vom Quidditch-Feld zurück. Er nahm ein warmes Bad und zog sich um, dann gesellte er sich zu den anderen am Feuer im Gemeinschaftsraum. Sirius saß über einem Katalog voller glänzender Motorradbilder, während Remus versuchte, Peter bei den Herbologie-Hausaufgaben zu helfen.
"Hallo, Krone", sagte Sirius, als James dazukam. "Hast du schon raus, wie ihr Slytherin im ersten Spiel der Saison schlagen werdet?"
"Ich weiß nicht, ob wir es schaffen werden", meinte James mürrisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. "Sie haben eine starke Mannschaft. Hackleby ist ein guter Hüter, und dann ist da der neue Sucher, Dalia Prune. Sie ist erst im zweiten Jahr, aber sie ist schnell. Schneller als unser Donald, auf jeden Fall."
"Ach komm schon, lass den Kopf nicht hängen", sagte Sirius. "Wenigstens weißt du doch, dass ihre Jäger nichts taugen. Ich meine, Severus Snape! Also bitte, der kann sich doch kaum auf dem Besen halten."
"Das stimmt nicht", meinte James. "Er ist in letzter Zeit immer besser geworden. Ich hab ihn Samstag üben gesehen. Egal, lasst uns über was anderes reden. Es ist unser letztes Jahr in Hogwarts, wir müssen noch ernsthaften Unfug treiben, ehe sie uns gehen lassen."
"Allerdings", stimmte Sirius zu und schloss seinen Katalog. "Wir müssen einen bleibenden Eindruck hinterlassen."
"Ich glaube, ihr zwei habt schon einen Eindruck hinterlassen, den Hogwarts nie mehr loswird." Remus schmunzelte.
"Wieso nur wir zwei?" fragte Sirius. "Wenn mich nicht alles täuscht, warst du es doch, der im letzten November ein dickes Loch in die Mauer neben der Rüstung im vierten Stock gesprengt hat."
"Aber nur, damit Filch dem Lärm nachgehen und nicht rausfinden würde, dass ihr gerade explodierende Kreide in McGonagalls Klassenzimmer schmuggeln wolltet", erinnerte ihn Remus.
Sirius lachte. "Ja, wir können wirklich von Glück sagen, dass du an dem Tag die Karte des Rumtreibers im Auge hattest."
"Und was lassen wir Moony dieses Jahr in die Luft jagen?" fragte James eifrig.
Remus zog die Augenbrauen hoch. "Ich hoffe nichts. Ich halte nicht wirklich viel von lauten Knallereien."
Aber seinen Freunden konnte er nichts vormachen. Sie bemerkten sofort, wie sein Mundwinkel nach oben zuckte, und James klopfte ihm auf den Rücken.
"In Ordnung, Remus", sagte er. "Was immer wir tun, wir machen es leise. Ganz, ganz leise", meinte er mit funkelnden Augen.
"Worauf willst du hinaus?" fragte Sirius interessiert.
James schaute sich im leeren Gemeinschaftsraum um, als wolle er sicher gehen, dass niemand sie hören konnte. Dann lehnte er sich geheimnistuerisch vor.
"Auf dem Rückweg vom Quidditch bin ich Hagrid über den Weg gelaufen. Er hat sich so übertrieben 'normal' verhalten, dass ich wusste, dass er irgendwas im Schilde führt - so laut, wie er mich herzlich begrüßt hat."
"Oooh", sagte Peter und auch er lehnte sich vor. "Was heckt er denn aus?"
"Na ja, zuerst wollte er's mir auf keinen Fall sagen, das hat er jedenfalls behauptet. Aber ihr kennt ihn ja. Er konnte es kaum erwarten, mir alles zu erzählen. Ich musste ihn nicht erst groß überreden. Er hat sich wohl ein halbes Dutzend neue Haustiere angeschafft. Natürlich illegal, aber für seine Verhältnisse ganz harmlos. Soweit ich weiß, beißen sie nicht mal. Auf jeden Fall explodieren sie nicht, also gibt es keine Knallerei, Remus."
"Was hat er sich denn zugelegt?" fragte Remus.
"Schmutzkratzer", verkündete James triumphierend.
"Was ist das denn?" fragten Peter und Sirius im Chor.
Remus strich sich die Haare aus dem Gesicht.
"Unsichtbare Wesen, die man normalerweise nur verfolgen kann, indem man ihren schwarzen Fußspuren folgt", erklärte er. "Vor einer Weile hatte mein Vater ein Problem mit ihnen. Jemand hat einen Schmutzkratzer mit ins Ministerium gebracht und das Tier hat auf allen wichtigen Dokumenten dreckige Abdrücke hinterlassen. Niemand weiß, wie sie aussehen - schließlich sind sie unsichtbar. Das Ministerium vermutet, dass sie Maulwürfen ähneln, denn sie graben sich Tunnel, sobald sie ein Stück Grund finden, das weich genug ist. Soviel ich weiß ist 'weich' für sie alles, was nicht gerade aus Felsen besteht."
Er machte einen besorgten Eindruck, aber Sirius' Augen leuchteten.
"Klasse!" sagte er. "Stellt euch vor, was für einen Spaß Filch mit denen hätte!"
"Oh ja", sagte Remus. "Aber da die einzigen im Umkreis bei Hagrid sind und er sicher genug Verstand hat, sie nicht mit ins Schloss zu bringen ..."
Er zuckte mit den Schulter, aber James und Sirius grinsten sich schon gegenseitig an.
"Vielleicht", sagte James. "Aber wir tun's."
"Aber - wird Hagrid es nicht komisch finden, wenn er sieht, dass einer fehlt?" warf Peter ein.
"Ach, Wurmschwanz!" rief Sirius ungeduldig. "Wie blöd bist du eigentlich? Er wird es nicht sehen, klar? Weil sie unsichtbar sind. Da wird Hagrid doch nicht merken, ob einer fehlt. Und nur ein einziger in Filchs Büro kann Wunder wirken."
"Was hältst du davon, wenn wir heute Nacht einen stibitzen?" schlug James vor. "Remus und Peter können dann Wache schieben."
"Halt mal, du willst doch nicht etwa, dass ich mir wieder eine spektakuläre Ablenkung einfallen lasse, falls Filch euch in die Quere kommt?"
"Na, was denn sonst", meinte Sirius als sei es das Offensichtlichste auf der Welt. "Du willst doch nicht, dass Filch deinen besten Freunden die Daumenschrauben andreht, oder?"
Remus seufzte. "Bei meinem Glück bin ich wahrscheinlich am Ende derjenige, dem er die Daumenschrauben andreht."
"Keine Sorge." James stand auf und wühlte in seiner Truhe. "Wahrscheinlich musst du gar nicht für Ablenkung sorgen." Er nahm etwas aus der Truhe, das in Stoff gewickelt war, und reichte es Remus. "Hier, das haben Sirius und ich in den Ferien erfunden. Hol deinen mal raus, Tatze."
Sirius schien etwas unwillig, beugte sich aber runter und kramte ein ähnlich verpacktes Etwas aus seinem Gepäck. Remus packte inzwischen aus, was er in der Hand hielt. Es war ein Spiegel. Er schaute ihn erstaunt an.
"Damit kannst du uns warnen, wenn du siehst, dass Filch uns auf die Pelle rückt."
"Ah ja ... wie denn?" fragte Remus zweifelnd.
"Sieh einfach hinein und sag einen unserer Namen. Los, versuch es."
Sirius packte einen identischen Spiegel aus und hielt ihn in der Hand. Remus hielt seinen hoch und, obwohl er sich dumm vorkam, sprach er hinein: "Sirius."
Er erschrak, als sein Spiegelbild plötzlich durch Sirius' grinsendes Gesicht ersetzt wurde. Er grinste zurück.
"Das ist ja faszinierend", meinte er, und seine Stimme hallte als Echo aus dem Spiegel wider, den Sirius in der Hand hatte.
"Stimmt's nicht?" meinte James voller Enthusiasmus. "Du siehst also, du kannst ganz entspannt im Gemeinschaftsraum sitzen bleiben und uns warnen, wenn du auf der Karte siehst, dass Filch oder Mrs Norris zu uns unterwegs sind. Wir nehmen vorsichtshalber meinen Tarnumhang und das Durchdringungs-Omniglas mit, das wir letztes Jahr gebastelt haben, damit wir sehen können, ob jemand auf der anderen Seite der Tür ist. Aber ich sehe bei der ganzen Sache kein Risiko. Wir sind nur zwei unsichtbare Rumtreiber, die ein unsichtbares Tierchen klauen."
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James und Sirius setzten ihren Plan noch am selben Abend in die Tat um. Sie warfen sich James' Tarnumhang über und stiegen die Treppe vom Schlafraum hinab, dann schlichen sie sich durch den Gemeinschaftsraum und vermieden es, mit den jüngeren Schülern zusammenzustoßen, die sich dort tummelten. Peter stand am Gemälde, Remus saß in der Ecke und hatte die Karte des Rumtreibers in dem großen Buch versteckt, das er vor sich auf dem Tisch aufgebaut hatte. Der Spiegel lag sicher in seinem Ranzen.
Er war der Einzige im Gryffindor-Turm, der wusste, wo seine beiden Freunde waren. Die Punkte, die mit 'James Potter' und 'Sirius Black' beschriftet waren, standen neben dem mit der Beschriftung 'Peter Pettigrew'. Remus schaute über sein Buch zu Peter und nickte ihm zu. Dieser öffnete sofort das Gemälde und kroch durch das Loch, ließ aber die Öffnung lange genug frei, damit die anderen beiden hinterherklettern konnten.
"Gut", zischte Sirius' Stimme unter dem Umhang, als sie auf dem Flur waren. "Du kannst jetzt zumachen. Denk dran: Geh nicht sofort wieder rein, sonst wundert sich noch jemand, warum du eben erst raus- und dann gleich wieder reingeklettert bist."
"In Ordnung", sagte Peter. "P-passt auf, ihr zwei."
"Wie immer", versprach James. "Bis nachher."
Er und Sirius machten sich auf den Weg - den Flur entlang, die Treppe runter und hinaus aufs Gelände. Peter sah auf die Uhr. Nachdem er fünf Minuten lang gewartet und sich strenge Blicke von der Dicken Dame eingefangen hatte, murmelte er schließlich das Wort 'Stinkbombe' und huschte wieder hinein. Er schlenderte so unauffällig wie möglich zu Remus und setzte sich hin.
"Und", flüsterte er etwas auffällig aus dem Mundwinkel. "Wie kommen sie voran?"
"Sie sind an der Koppel bei Hagrids Hütte", sagte Remus in sein Buch hinein.
"Ist jemand in der Nähe?"
"Hagrid ist drinnen. Filch ist in seinem Büro und Mrs. Norris ist auf dem Nordturm unterwegs. Professor Darkhardt hat das Schloss kurz nach Tatze und Krone verlassen, aber er ist in die andere Richtung gegangen."
"Oh. Was noch?" fragte Peter als Remus innehielt.
Remus schien gebannt sein Buch zu lesen, aber tatsächlich verfolgten seine Augen einen weiteren Punkt auf der Karte, der sich bewegte. Als Peter sprach, blieb der Punkt stehen. Remus ließ das Buch ein Stück weit sinken und schaute auf. Peter tat es ihm nach und erschrak, denn Lily Evans stand gleich neben ihnen.
"Nanu", meinte sie. "Remus Lupin und Peter Pettigrew hocken flüsternd in der Ecke? Das riecht mir doch stark nach Unfug - besonders, da ich James und Sirius nirgends sehe."
Peter wirkte ängstlich, aber Remus lächelte nur.
"Was hecken sie dieses Mal wieder aus?" fragte Lily. "Stinkbomben im Geschichtsraum? Hoffen sie etwa, Professor Binns bemerkt den Gestank und gibt uns frei? Haben sie immer noch nicht verstanden, dass Professor Binns gar nichts bemerkt? Ich habe wirklich keine Lust, schon wieder eine ganze Stunde lang die Luft anhalten zu müssen."
"Nein, es geht nicht um Stinkbomben", versicherte Remus.
Lily war skeptisch.
"Aber irgendwas stellen sie doch wieder an, oder?"
"Du kennst sie doch. Sie sind einfach unzufrieden, wenn sie nicht Unsinn treiben können."
Lily seufzte schwer und setzte sich.
"Was macht ihr zwei dann hier? Solltet ihr nicht da draußen irgendwo an einer Ecke lauern, um Filch abzufangen oder Mrs. Norris in einen Sack zu stopfen?"
"D-das haben wir noch nie getan!" protestierte Peter.
"Hätten wir aber sicher, wenn es Sirius eingefallen wäre", meinte Remus. "Ich werde es ihm ausrichten. Er wird für deinen Rat bestimmt sehr dankbar sein, Lily."
Lily wollte erst protestieren, doch dann fiel ihr das Funkeln in Remus' Augen auf und sie konnte nicht anders, als zu lächeln.
"Ich frage mich wirklich, warum ein vernünftiger, anständiger Junge wie du immerzu mit den beiden Gaunern rumhängt", sagte sie leicht fragend.
"Wohl aus demselben Grund, weshalb ein hübsches, braves Mädchen wie du das Gefühl zu haben scheint, dass ein Tag völlig verschwendet ist, wenn sie James Potter nicht mindestens dreißig Minuten lang für sich gehabt hat", warf er leichtfertig zurück.
Lily starrte ihn kurz an, dann lachte sie.
"Na gut, ich gebe zu er hat ... Charme. Aber sag ihm das lieber nicht, sonst wird er noch eingebildet."
"Keine Sorge, das weiß er glaube ich schon."
Lily schüttelte noch immer lächelnd den Kopf. Remus schaute heimlich auf die Karte. Die Punkte 'James Potter' und 'Sirius Black' waren auf dem Rückweg zum Haupteingang des Schlosses. Als er wieder aufblickte, kaute Peter auf Lippe und Lily sah sich gedankenverloren im Gemeinschaftsraum um. Sie bemerkte seinen Blick, lächelte wieder und fragte leicht verlegen:
"So, Remus ... du findest mich also wirklich hübsch, ja?"
Remus wirkte erschrocken. Hatte er das gesagt? Es musste ihm rausgerutscht sein.
"Na ja, also ich ...", begann er.
Lilys Lächeln wurde breiter.
"Das ist lieb von dir. Danke."
Remus entspannte sich und suchte gerade nach weiteren Worten, als ein lautes Krachen irgendwo draußen auf dem Flur seine Gedanken unterbrach. Alle im Gemeinschaftsraum wurden still und starrten zum Gemälde hin. Remus glitt das Buch aus der Hand, so dass die Karte des Rumtreibers mitten auf dem Tisch lag, aber alle waren viel zu abgelenkt, um etwas zu bemerken. Der Atem stockte ihnen, während sie warteten. Fast waren sie dann so weit, zu glauben, dass draußen nur jemandem etwas hingefallen war, als es wieder krachte und polterte und man ein leeres, kreischendes Lachen hörte.
"Was zum ..." rief Fabian Prewett, der im sechsten Jahr war, laut.
Remus und Lily standen auf. Peter schaute unruhig zu seinem Freund auf. Draußen im Flur ging der Lärm weiter.
"Ich finde, einige von uns sollten rausgehen und nachsehen, was da los ist", schlug Gemma vor.
Remus nickte zustimmend.
"Lily, Fabian, Gemma - ihr bleibt hier bei den Jüngeren", sagte er, als etliche Schüler und Schülerinnen aus den unteren Jahrgängen aus ihren Schlafsräumen kamen und ängstlich dreinblickten. "Peter, Frank, Marlene, Tina, Donald - kommt mit."
Sie taten alle, was er sagte. Peter schnappte sich die Karte vom Tisch, ließ ihren Text erlöschen und steckte sie in die Tasche. Sie kletterten auf den Flur hinaus und gingen ihn entlang, immer dem Krach nach, der sich von ihnen zu entfernen schien.
"Was in aller Welt ist da los?" wunderte sich Marlene Moss.
Ein lautes Heulen unterbrach sie.
"Weiß der Teufel", murmelte Donald Gills, der Sucher der Gryffindor-Mannschaft.
Sie gingen um die Ecke und wären um ein Haar mit einer weiteren Gruppe von Schülern zusammengestoßen, die von Aurora und Daniel aus Ravenclaw und Damian aus Hufflepuff angeführt wurde.
"Damian!" rief Frank und eilte nach vorn. "Ihr habt es also auch gehört."
"Wir waren in der Bibliothek, als es losging. Was ist es?"
"Ich hab keine ..."
Frank wurde von einem weiteren lauten Knall unterbrochen. Etliche der jüngeren Schüler hinter Damian zuckten zusammen, und jemand quetschte sich plötzlich an ihm und Frank vorbei und rannte wie ein Blitz geradewegs zu Remus.
"Heather!" rief er und wankte etwas, als sie sich mit plötzlicher Wucht an seinen Arm klammerte.
"R-Remus, ich hab Angst, was passiert hier?"
"Ich habe keine Ahnung", sagte er leise. Er legte ihr den Arm um die Schulter und hielt mit der freien Hand seinen Zauberstab noch fester. "Aber hab keine Angst, Heather, dir wird nichts passieren."
Sie nickte angespannt und Remus wandte sich an die anderen. "Wir sollten uns aufteilen und aus mehreren Richtungen zur Quelle des ganzen Lärms kommen. Und irgendjemand sollte einen Lehrer holen. Es scheint noch keiner von ihnen etwas gehört zu haben."
Er dachte wieder daran, was er auf der Karte gesehen hatte. Einige Lehrer waren nicht in ihren Büros. Er wusste nicht, was los war, aber sehr wohl, dass er sich besser fühlen würde, wenn Professor Darkhardt da wäre.
"Wir kommen mit", sagte Frank sofort und Damian nickte.
"Ich komme auch mit euch", sagte Aurora.
"Gut, also ich geh dann mit Daniel, Marlene und Tina da lang", sagte Donald und wies nach links.
"In Ordnung", sagte Remus. "Peter, geh und such Professor Darkhardt."
"Oh, aber ..."
"Geh schon", drängte Remus. "Er ist zum Wald gegangen."
Peter machte den Eindruck, als wäre er lieber zum Gryffindor-Turm zurück gegangen, als am Waldrand nach dem Lehrer zu suchen, aber er nickte und machte sich auf den Weg.
Donald Gills, Daniel Moore, Marlene Moss und Tina Truffle drehten sich um und nahmen den anderen Weg. Einige jüngere Hufflepuffs und Ravenclaws folgten ihnen. Remus hatte den Arm immer noch um Heather gelegt und führte jetzt die anderen den Flur weiter entlang, in dem sie sich befanden. Der Lärm wurde zunehmend lauter, schien sich aber nicht weiter zu bewegen. Wer oder was auch immer ihn verursachte, schien nun darauf zu warten, gefunden zu werden.
Am Ende des Ganges hörten sie ein besonders lautes, kreischendes Lachen. Frank und Damian gingen zuerst um die Ecke, Remus, Heather und Aurora waren dicht hinter ihnen und die anderen folgten. Bald standen sie vor einer Ritterrüstung mitten auf dem Flur. Aus ihr drangen die Geräusche weiter hervor. Als die Schüler erschienen, begann die Rüstung vor und zurück zu wippen, dann lief sie mit schnellen, doch unbeholfenen Schritten auf sie zu. Heather kreischte vor Schreck und die Rüstung lachte hämisch.
"Moment mal", sagte Damian, als er das Lachen hörte, das aufgrund der Nähe nun weniger verzerrt und hohl klang. "Findet noch jemand, dass das klingt wie ..."
In diesem Augenblick unterbrach ihn etwas Knallbuntes, das hinter dem Visier hervorschoss und um ihre Köpfe jagte. Die leere Ritterrüstung fiel scheppernd zu Boden.
"Peeves!" rief Aurora. "Was soll das Ganze?"
Peeves streckte ihr die Zunge raus und stellte sich auf den Kopf, als Donald und die anderen vom anderen Ende des Flurs angerannt kamen.
"Peeves!" keuchte Donald. "Daher also der ganze Krach! Und ich hab schon gedacht, es wäre - na, Ihr-wisst-schon-wer."
Heather zuckte zusammen und hielt sich die Hand vor den Mund.
"Ganz ruhig, keine Angst", sagte Remus. "Er kommt unmöglich in Hogwarts rein."
Seine Stimme war sanft und beruhigend, und verbarg geschickt die Tatsache, dass Donald soeben seine eigenen Sorgen ausgesprochen hatte.
"Peeves", sagte er bestimmter. "Tu so etwas nie wieder, hörst du? Leuten einen Streich zu spielen ist eine Sache, aber wenn du den jüngeren Schülern so eine Angst einjagst, dann ist das nicht komisch."
Peeves schnaubte und starrte Remus böse an. Seine funkelnden Augen fielen auf Heather und er warf Remus ein breites, gemeines Grinsen zu.
"Oh neiiiin", sagte er. "Du willst nicht, dass ich den kleinen Schülerlein Angst einjage? Wie schade, dabei wüsste ich ein paar Geschichten, die ihnen das Blut in ihren kleinen Äderchen gefrieren lassen würden. Soll ich mal eine erzählen? Da war zum Beispiel mal ein kleiner Junge ... "
"Nein", sagte Remus schnell und wurde blass.
"Haha", lachte Peeves. "Oh ja, ich könnte ihnen Gruselgeschichten erzählen ..."
"Halt die Klappe, Peeves!" rief Frank.
Aber Peeves lachte weiter und stimmte einen schrillen Singsang an,
"Lusche, Lusche, Lupin. Lusche, Lusche, Lupin ..."
"Gehen wir", sagte Aurora schnell.
Doch in diesem Moment hörten sie alle eilige Schritte auf dem Gang hinter ihnen und Peeves' Ausdruck wandelte sich. Schottenmuster-Stoff rauschte im Zug als Professor McGonagall erschien, dicht gefolgt vom Blutigen Baron, der direkt unter dem Kerzenleuchter schwebte. Die Professorin hatte die Lippen schmal zusammengezogen und hielt ihren Zauberstab in der Hand.
"Peeves!" rief sie erbost. "Ich hätte es mir denken müssen. Wie wagst du es, ein solches Theater zu veranstalten! Baron, ich schlage vor, Ihr redet mal mit diesem Poltergeist ..."
Peeves lachte nun nicht mehr und sang auch nicht. Er sah aus, als habe er richtig Angst.
"Oh - ähm - Eure durchlauchtige Baronlichkeit - ähm - ich wollte ..."
Der Blutige Baron schwebte auf Peeves zu, während McGonagall sich den Schülern zuwandte.
"Na los, ihr alle. Es ist spät und ihr solltet längst in euren Betten sein. Geht schon, hier gibt es nichts mehr zu sehen."
Viele Schüler sahen enttäuscht über die Schulter nach hinten, als sie sich von Peeves und dem Blutigen Baron entfernten. Sie hofften, einen Blick zu erhaschen, wie das Gespenst den Poltergeist für seine Missetat bestrafen würde. Sie kamen wieder an die Stelle, wo beide Gruppen sich getroffen hatten, und Remus ließ nun Heather los, obwohl sie es nicht zu wollen schien.
"Es ist alles gut", sagte er beruhigend. "Heute Nacht wird sicher nichts mehr passieren."
"Hoffentlich hast du Recht", sagte Heather ängstlich. "Tut mir Leid, dass ich so schreckhaft war, aber ... bei all den schlechten Nachrichten dieses Jahr kriege ich einfach vor allem Angst."
Remus nickte verständnisvoll. Aurora gesellte sich zu ihnen.
"Komm", sagte sie freundlich zu dem jüngeren Mädchen. "Lass uns zusammen zum Gemeinschaftsraum zurückgehen, ja?"
Heather nickte und lächelte Remus kurz zu.
"Danke, dass du so viel Geduld mit mir hast", flüsterte sie.
Remus lächelte zurück.
"Gute Nacht, Heather. Gute Nacht, Aurora."
Als er sich auf den Rückweg zum Gryffindor-Turm machte, fragte sich Remus, wo Peter nur so lange blieb.
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Remus lag im Bett. Er hatte die schweren Vorhänge zurückgezogen und betrachtete den Halbmond durch das Fenster. Frank schlief in seinem Bett an der anderen Wand, aber die anderen drei Betten waren immer noch leer. Remus sah auf die Uhr und ein Fältchen der Besorgnis bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. Wo blieben die anderen? Er starrte auf die Tür, als könne er allein mit der Kraft seines Willens dafür sorgen, dass sie sich öffnete und seine Freunde eintrieten, aber mehr als eine Stunde lang geschah rein gar nichts. Er leuchtete mit dem Zauberstab, um lesen zu können, und machte immer wieder Pausen, um abwechselnd auf die Tür und seine Uhr zu schauen. Endlich, als Mitternacht längst vorbei war, hörte er das Knarren der Treppe und die Tür öffnete sich langsam. Peter kroch rein. Er sah bedrückt aus. Remus legte das Buch beiseite.
"Wo bist du gewesen?" Er flüsterte, um Frank nicht zu wecken.
Peters Gesicht wurde noch trauriger. "Ich hab sie verloren."
"Was hast du verloren?"
"Die Karte", sagte Peter traurig. "Ich wollte gerade nach draußen und war dabei, die Karte auszupacken, damit ich sehen konnte, wo Darkhardt war ... da stand Filch auf einmal neben mir. Er hat mir die Karte einfach aus der Hand gerissen und mich in sein Büro mitgenommen. Und jetzt hat er die Karte in einem Schrank eingeschlossen. Ich hab versucht, ihn zu überreden, dass er sie mir wiedergibt. Ich hab es wirklich versucht, Remus - aber er wollte nicht. Und er war so wütend, weil ich ihm nicht gesagt habe, wie sie funktioniert. Es tut mir so Leid ..."
"Ist ja schon gut, Peter", sagte Remus und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Mach dir keine Gedanken deswegen. Sie ist weg und daran lässt sich nichts mehr ändern. Wir sind sowieso nicht mehr lange hier und dann brauchen wir sie auch nicht mehr. Aber warum hat das so lange gedauert?"
"Filch hat mir sofort eine Strafarbeit gegeben. Ich hab ja versucht, ihm das mit dem Lärm zu erklären, und dass ich Darkhardt suchen wollte, aber er hat gar nicht zugehört. Ich musste das ganze Schloss nach etwas durchsuchen, das matschige Abdrücke hinterlassen und Löcher in die Fußböden gebuddelt hat."
Remus' Augen wurden groß. "Matschige Abdrücke? Aber ... ich dachte, James und Sirius wollten den Schmutzkratzer erst hierher bringen und ihn in Filchs Büro aussetzen, wenn der Zeitpunkt geeignet ist."
Er sah zu den beiden leeren Betten hinüber und runzelte die Stirn. Lange musste er nicht grübeln. Kaum fünf Minuten später ging die Tür wieder auf und James und Sirius traten ein. James hatte den Tarnumhang über der Schulter und beide waren schmutzig und verkratzt.
"W-was ist denn mit euch passiert?" rief Peter.
"Pssst!" zischten ihn die anderen an. Frank schnaubte im Schlaf.
"T-tut mir Leid. Was ist denn passiert?" flüsterte Peter.
"Das verdammte Mistvieh ist uns abgehauen, als wir in der Eingangshalle waren", beschwerte sich Sirius und setzte sich auf Remus' Bett.
"Um ehrlich zu sein, waren wir fast froh darüber", sagte James trübselig. Er betrachtete im Spiegel einen hässlichen Kratzer an der Wange. "Ich wusste gar nicht, dass diese Biester so gefährlich sein können. Er wollte immer weg, und als wir das Schloss erreicht haben, waren wir schon völlig zerkratzt."
"Wir haben natürlich versucht, das Tier zu finden und wieder einzufangen", sagte Sirius. "Aber - na ja, wir konnten es ja nicht sehen? Also haben wir uns am Ende gedacht, soll Filch sich doch damit rumschlagen."
"Tja, und Filch hat anscheinend beschlossen, dass Peter das lieber tun soll", fügte Remus hinzu.
James und Sirius starrten ihn an.
"Was redest du da?"
Peter nickte betreten. "Wir haben es natürlich immer noch nicht gefunden, aber ich musste überall gucken ... sogar auf der Mädchentoilette im zweiten Stock."
"Iiieh." Sirius verzog das Gesicht. "Da lungert doch diese pubertäre Geisterplage rum, oder?"
"Die Maulende Myrte", sagte Peter. "Genau."
"Bah. Ich hab sie damals in der ersten Woche kennen gelernt, als ich mich da drin vor Filch verstecken wollte", erklärte Sirius. "Mann, war das schrecklich. Sie hat nur rumgeheult. Allerdings ..." - er grinste - "schien sie auf mich zu stehen. Aber sie ist schon eine ziemliche Nervensäge. Wie Bertha."
"Na ja", murmelte Peter. "Ich hab euren Schmutzkratzer nicht gefunden. Und die Karte hab ich verloren."
"Was!"
"Pssst!"
Dieses Mal fuhren James, Peter und Remus Sirius an, damit er still war. Er und James hörten benommen zu, während Peter erneut erzählte, was ihm passiert war. James schien Remus zuzustimmen, dass es nicht so tragisch war, weil sie ohnehin bald nicht mehr hier wären, aber Sirius wurde richtig wütend auf Peter und redete mehrere Tage lang nicht mit ihm. Er wusste selbst nicht so recht, warum er so heftig reagierte. Vielleicht lag es daran, dass die Karte das erste war, was die vier Freunde gemeinsam erschaffen hatten. Sie war das Produkt ihrer Ideen, sie trug ihre Spitznamen, sie war ein Symbol ihrer Freundschaft ... und nun hatte Filch sie weggeschlossen. Er wollte die anderen überreden, in Filchs Büro einzubrechen und sie zurückzuholen, aber James wies ihn darauf hin, dass Filch sicher genau darauf wartete und nichts lieber hätte, als sie dabei zu erwischen, selbst wenn er tagelang warten musste.
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5 - Darkhardts Verteidiger
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Der Oktober wich einem verregneten und stürmischen November und schon bald lag Hogwarts unter einer dicken Schneedecke. Auch dieses Jahr verbrachten viele Schüler die Feiertage in Hogwarts - Feiertage, die angesichts der Berichte von mehr und mehr Todessern, von dunklen Mächten innerhalb des Ministeriums, von Verrat, Folter und Katastrophen gar nicht sehr feierlich waren.
Das neue Jahr wurde ebenfalls ruhig eingeleitet, nur die drachenförmigen Feuerwerkskörper, die Sirius und James besorgt hatten, sowie die explodierenden Kürbiskerzen heiterten die Leute auf. Doch die Feierlichkeiten waren noch nicht lang vorbei, da verkündete Professor Darkhardt bereits seine Entschlossenheit, in jeder freien Minute bis zu den Ferien zusätzliche Verteidigungsstunden gegen die Dunklen Künste anzuberaumen. Und so kam es, dass James und seine Freunde sich bei Einbruch der Dunkelheit gehorsam in den sonst leeren Kerker aufmachten, der zu diesem Zweck genutzt werden sollte.
James trat in die kalte, düstere Kammer und sah sich um. Er dachte daran, wie diese Gruppe zustande gekommen war. Anfangs waren sie zu fünft gewesen: er selbst, Sirius, Remus, Peter (den sie überredet hatten, indem sie versprochen hatten, sich um ihn zu kümmern) und Frank.
Bei der ersten Sitzung hatte Professor Darkhardt drei Punkte festgelegt, was neue Mitglieder betraf: Erstens, dass sie niemanden unter vierzehn Jahren ansprechen sollten. Zweitens, dass alle potentiellen Mitglieder ohne Zweifel 'auf der richtigen Seite stehen' sollten, wie er sich ausdrückte. Und drittens, dass niemand beitreten sollte, der nicht tapfer genug war, dem Schlimmsten ins Auge zu sehen.
An das erste Kriterium hatten sie sich in fast allen Fällen gehalten. Die Ausnahme war Gryffindor-Sucher Donald Gills, der erst dreizehn gewesen war, als er dazukam. Donald hatte überhört, wie Sirius mit einigen der älteren Gryffindor-Jungen gesprochen hatte, und danach war es unmöglich gewesen, ihn auszuladen.
Der zweite Punkt führte dazu, dass - vielleicht ungerechter Weise - sämtliche Slytherins ausgeschlossen wurden. Nicht einem von ihnen kam es in den Sinn, einen Slytherin als Mitglied für ihre Gruppe auch nur zu bedenken.
Das letzte Kriterium hatte einige der angesprochenen Schüler und Schülerinen veranlasst, bedauernd den Kopf zu schütteln und abzulehnen - insbesondere einige Hufflepuffs, die zwar für ihre Loyalität und unbestrittene Opposition gegen die Dunklen Künste bekannt waren, die aber im allgemeinen zugaben, dass ihnen der Mut der Gryffindors oder gar Ravenclaws fehlte.
Drei Hufflepuffs waren geblieben: Damian Diggle, Florence Fortescue und Michael Hornby. Letzterer war allerdings bereits im Siebten gewesen und hatte Hogwarts inzwischen verlassen. Soweit James wusste, arbeitete Michael jetzt für die Mysteriumsabteilung. Seinen Platz bei den Verteidigern (und als Quidditch-Kommentator) hatte Stephen Ross letztes Jahr eingenommen. Sein älterer Bruder, der ehemalige Ravenclaw-Hüter Martin Ross, war Michaels bester Freund in Hogwarts gewesen. Damian Diggle war, wenig überraschender Weise, gleich nach der ersten Sitzung von Frank Longbottom angesprochen worden, der ihn trotz seiner Zweifel hatte überreden können.
Damian hatte mit der abenteuerlustigen Florence gesprochen, die ebenfalls im siebten Jahr war. Nun stand sie da, hatte ihren schwarzen Bubikopf an die Wand gelehnt und lächelte den Jungen zu, als sie eintraten.
Stephen Ross stand etwas weiter von der Tür entfernt, zusammen mit einigen älteren: Daniel Moore, dem großen, breitschultrigen Ravenclaw; Ravenclaw-Jäger Benjy Fenwick; Sechstsemester-Gryffindors Richard Turpin und Fabian Prewett.
James zählte die Zahl der Anwesenden. Es waren einundzwanzig. Er entdeckte Lily und Aurora neben Mary Crimple, Tina Truffle und Gemma Crowe am anderen Ende des Raumes und winkte ihnen zu. Es hatte ihn seine ganze Überredungskunst gekostet, Lily zum Beitreten zu bewegen. Selbst nach ihrem Gespräch an Weihnachten. Natürlich hatte sie keinen Zweifel daran, dass die Dunklen Künste bekämpft werden mussten. Wenn man sie allein erwischte, war sie schon voll und ganz dabei. Doch sie neigte zu Schüchternheit und mochte es nicht, wenn Professor Darkhardt sie nach vorn rief, um etwas vorzuführen. James hatte zwar noch nie erlebt, dass ihr etwas nicht gelungen war - ganz besonders, wenn es um Schutzzauber ging - doch sie schien es nicht zu mögen, wenn alle sie ansahen.
Im Gegensatz zu mir, dachte James heimlich lächelnd. Er und Sirius meldeten sich immer gern freiwillig, um neue und gefährliche Zauber und Duelliertechniken auszuprobieren. Sirius war oft besonders schwer zurückzuhalten. Er meldete sich immer wieder freiwillig, bis Professor Darkhardt ihn endlich gewähren ließ.
Dieser Eifer, sein Mut und die Scherze, mit denen er die Stimmung aufheiterte, machten Sirius besonders bei den Mädchen sehr beliebt. James fiel wieder einmal auf, dass sich ihnen viele zuwandten, als sie den Raum betraten, und dass etliche Mädchen versuchten, Sirius' Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ohne dass ihre Freundinnen es bemerkten. Sirius schien es zu genießen. Er grinste und zwinkerte ihnen zu, aber James hatte den Eindruck, dass Aurora dies wenig zusagte. Er sah zu ihr hinüber und bemerkte, dass sie ihnen den Rücken zugekehrt hatte.
"Professor Darkhardt ist spät dran", bemerkte Peter und unterbrach damit James' Gedankengang.
"Ja", stimmte James ihm zu. "Komisch. Was ihn wohl aufgehalten hat?"
"Na toll", nörgelte Sirius. "Da zitiert er uns alle mitten in den Ferien hier runter und dann taucht er nicht mal auf."
"Er kommt schon noch", sagte Remus.
Sirius schnaubte. "Dein Wort in Merlins Ohr. Tja, ich schätze, wir können genauso gut schon mal ohne ihn loslegen, was meint ihr? Zum Aufwärmen könnten wir ein paar Entwaffnungs- und Abwehrübungen machen."
Er blickte seine Freunde erwartungsvoll an, bis sie nickten. Dann räusperte sich Sirius auf dramatische Weise und rief:
"Hallo! Hört mal her, Leute!"
Das Gemurmel verstummte und alle sahen ihn an.
"Also gut", fuhr Sirius fort. Er klopfte sich mit dem Zauberstab ans Knie und stolzierte auf und ab, wobei er Professor Darkhardts Gangart perfekt nachahmte. "Wer will uns mal zeigen, wie man einen Angreifer entwaffnet? Freiwillige vor!"
Florence, Gemma, Mary und ein paar Jungen traten mit erhobenen Händen vor.
"Ah", sagte Sirius und imitierte dabei weiter Professor Darkhardt. Er fuhr sich sogar mit dem Finger über eine imaginäre Narbe an der Wange. "Ja ... Miss Fortescue und Mr. Fenwick, würde ich sagen." Er zeigte auf Florence und Benjy.
Beide traten vor und stellten sich einander gegenüber auf. Beide zogen im selben Augenblick ihre Zauberstäbe, aber Florence war eine Zehntelsekunde schneller, so dass Benjys Zauberstab ihm in hohem Bogen davonflog. Sirius fing ihn auf.
"Komm schon, Benjy. Das kriegst du doch besser hin!" rief Daniel Moore.
Benjy holte sich von Sirius seinen Zauberstab zurück und baute sich wieder vor Florence auf. Es war ihm anzusehen, dass er fest entschlossen war, nicht wieder zu unterliegen. Sirius zählte laut bis drei, dann rief Benjy so plötzlich und mit solcher Kraft "Expelliarmus", dass Florence nicht nur ihren Zauberstab verlor, sondern Hals über Kopf rückwärts geschleudert wurde und mit einem dumpfen Knall aufkam, wobei ihr Kopf hörbar gegen die Wand schlug.
Benjy biss sich auf die Lippen. Alle versammelten sich um das Mädchen und Sirius bahnte sich einen Weg nach vorn.
"Florence?" rief er besorgt.
Er kniete neben ihr nieder und berührte ihre Schulter. Sie bewegte sich leicht verstört und öffnete langsam die Augen. Es dauerte einen Moment, doch dann lächelte sie vorsichtig und meinte:
"Mir geht's gut."
Sirius grinste. "Hast einen ganz schönen Salto hingelegt."
"Ja. Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ich ihn aus Versehen in die Waschmaschine gesteckt."
Es kam zu einer kurzen Unterbrechung, in der einige der Reinblüter diejenigen, die Muggel-Eltern hatten, nach einer Erklärung des Begriffs 'Waschmaschine' fragten. Dann halfen Sirius und der zutiefst betrübte Benjy Florence wieder auf die Beine. Sirius wollte gerade ein paar neue Freiwillige suchen, als sich die Tür auf einmal öffnete und Professor Darkhardt eintrat. Er war nicht allein.
Die Schüler bemaßen seinen Begleiter misstrauisch. Er war hochgewachsen mit dunklen, grau durchzogenen Haaren und einer langen, spitzen Nase.
"Guten Abend, allerseits", sagte Professor Darkhardt. "Das ist Mr. Alastor Moody, ein guter Freund von Professor Dumbledore. Er will uns heute helfen, mehr über die Waffen zu lernen, die Lord Voldemort und seine Anhänger verwenden."
Wie jedes Mal, wenn der Professor diesen Namen aussprach, wurde es sehr still in der Runde. Dieser Name war zu einem Synonym für Tod und Verwüstung geworden und viele in der Zaubererwelt - nicht nur Schüler - trauten sich längst nicht mehr, ihn zu nennen. Doch andere, wie die Professoren Dumbledore und Darkhardt, waren der Ansicht, dass die Angst vor dem Aussprechen dieses Namens lediglich dazu diente, seinen Träger noch furchterregender erscheinen zu lassen. Sie weigerten sich daher, den Dunklen Lord bei einer der geläufigeren Umschreibungen wie "Du-weißt-schon-wer" oder "Der, dessen Name nicht genannt werden darf" zu nennen.
Alastor Moody blickte um sich und studierte jeden Schüler und jede Schülerin genau. Viele konnten seinem Blick nicht lange standhalten, denn seine Augen waren durchdringend und sorgten bei ihnen allen für Unbehagen. Schließlich blieben Moodys Augen auf Sirius ruhen.
"So, du hast also beschlossen, selbst mal ein wenig Unterricht zu geben, sehe ich das richtig?"
"Ich hab mir gedacht, dass es wohl nicht schaden kann, schon mal ein bisschen zu üben, solange wir auf den Professor warten", entgegnete Sirius ruhig.
Moody nickte und wandte sich Darkhardt zu.
"Wir haben sie ganz schön warten lassen, was, Narbus?"
"Ja", stimmte Darkhardt zu. Er ging langsam durch den Raum zur gegenüberligenden Wand, wo der einzige Tisch stand. "Aber jetzt sind wir hier und werden die verlorene Zeit schnell wettmachen." Er wandte sich an die Schüler. "Mr. Moody", sagte er, "ist ein Auror und weiß sogar noch mehr über die Dunklen Künste als meine Wenigkeit. Heute Nacht wird er Ihnen allen Flüche zeigen, die unsere Feinde in einem ernsten Kampf einsetzen könnten - Flüche, mit denen die Todesser bereits Muggel gefoltert und getötet haben, verbotene Flüche, die gegen alle zivilisierten Gesetze der Zauberei verstoßen. Ich nehme an, Sie wissen, wovon ich rede, nicht wahr, Lupin?"
Remus schaute zu ihm auf.
"Ja, Sir", sagte er langsam. "Die Unverzeihlichen Flüche."
"So ist es", gab Moody ihm Recht. Er durchquerte den Raum und stellte sich neben Professor Darkhardt.
"Der Imperius-Fluch, der Cruciatus-Fluch und Avada Kedavra. Weißt du auch, was sie bewirken, junger Mann?"
Remus nickte. "Durch den Imperius-Fluch kann man sein Opfer geistig vollkommen kontrollieren. Der Cruciatus-Fluch verursacht schreckliche Schmerzen und der letzte ist der Todesfluch. Man kann ihn nicht abwehren", schloss er ab.
Die anderen Schüler schluckten schwer und sahen ihre beiden Lehrer an.
"Wieder richtig, Lupin", sagte Professor Darkhardt. "Heute beginnen wir mit dem ersten dieser drei Flüche und fahren mit dem zweiten fort, wenn Zeit dazu ist. Alastor ..."
Alastor Moody sah noch einmal in die erwartungsvollen Gesichter, die ihm zugewandt waren. Dann begann er zu reden.
"Gegen den Imperius-Fluch könnt ihr euch wehren, aber man braucht da zu einen starken Willen. Das Wichtigste ist, dass ihr euch merkt, was ihr tun wollt und wer ihr seid. Konzentriert euch. Seid rund um die Uhr auf der Hut. Ständige Wachsamkeit lautet die Devise. Merkt euch das. So ... haben wir hier Freiwillige?"
Viele zögerten und tauschten mit ihren Freunden nervöse Blicke aus, aber Sirius trat sofort vor. Professor Darkhardt lächelte gewohnt schief. Moody neigte den Kopf zur Seite.
"Du schon wieder?"
"Ja, Sir", antwortete Sirius.
"Wie heißt du?"
"Black, Sir. Sirius Black."
"Also gut, Sirius Black", setzte Moody fort, "dann lass mal sehen, ob dein Wille so stark ist, wie du denkst."
Er holte mit einer blitzschnellen Bewegung seinen Zauberstab hervor, zeigte damit auf Sirius und rief:
"Imperio!"
Sirius kam sich auf einmal viel leichter vor. Es war, als würde er schweben, dahingleiten, von weit oben auf die Welt herabblicken. Das Verlies war auch nicht mehr dunkel. Es war nicht einmal mehr ein Verlies, nicht mal ein Raum. Er war draußen, im Freien, die Sonne schien und es war warm. Er schwitzte, doch er fühlte sich wohl. Eine Abkühlung wäre jetzt nicht schlecht, aber wie ... Ah! Da, nur ein paar Meter entfernt, war ein Freibad. Nur wenige Schritte, dann hatte er das Sprungbrett erreicht, er musste nur darauf steigen und dann ...
Nein. Irgendwie überkam Sirius das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte. Er war nicht draußen, das konnte er nicht sein, er hatte sich doch gar nicht bewegt. Und wie konnte es so warm sein? Es war doch mitten im Winter, das Wasser wäre um diese Jahreszeit eisig kalt.
Mach schon, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Steig auf das Brett und dann spring.
Sirius starrte voraus. Er musste herausfinden, was hier vor sich ging. Da konnte doch kein Schwimmbad sein, oder? Je mehr er sich konzentrierte, desto verschwommener wurde das Becken vor ihm und dann löste es sich auf, und mit ihm das Brett, die Sonne und der Schweiß. Er war wieder im Verlies und dort, wo er das Sprungbrett gesehen hatte, war nur ein alter Holztisch. Aber irgendetwas drängte ihn noch immer, auf den Tisch zu klettern und zu springen. Sirius ging einen Schritt darauf zu, dann noch einen. Plötzlich blieb er stehen.
Nein, warum sollte er das tun? Was hatte es für einen Sinn, auf einen Tisch zu klettern, nur um dann wieder herunter zu springen?
Weil ich will, dass du es tust, sagte die Stimme.
Nein, entgegnete Sirius.
Doch. Du wirst es tun.
Die Stimme klang so verführerisch, und doch ...
Nein! protestierte Sirius fest. Ich werde es nicht tun.
Es kostete ihn einige Mühe, sich umzudrehen und an seinen alten Platz zwischen James und Peter zurückzukehren. Plötzlich rückte alles um ihn herum wieder an seinen richtigen Platz und als er sich umdrehte, lächelte Moody.
"Sehr gut", sagte er. "Um ehrlich zu sein, war das für deinen ersten Versuch ganz ausgezeichnet. Und, will es noch jemand versuchen?"
Sirius' Erfolg hatte den anderen Mut gegeben und dieses Mal meldeten sich viele. Moody wollte gerade Daniel aus Ravenclaw wählen, als Professor Darkhardt einschritt. Er sah sich um und schaute direkt auf Aurora, die etwas abseits neben Lily stand.
"Möchten Sie es nicht mal versuchen, Miss Borealis?"
Aurora zögerte kurz, dann schüttelte sie den Kopf.
"Lieber nicht."
"Ach, komm schon, Schönheit", lachte Sirius. Viele der anderen Mädchen kicherten, einige flüsterten eifersüchtig. "Trau dich! Zeig uns, ob du's besser kannst als ich."
Aurora warf ihm einen merkwürdigen Blick zu.
"Und, was sagen Sie?" fragte Darkhardt. "Wollen Sie Mr. Black den ganzen Ruhm lassen?"
Sie sah den Professor kühl an und zuckte mit den Achseln. "Meinetwegen."
Sie trat vor und die anderen bildeten einen Halbkreis um sie, Moody, Professor Darkhardt und den Tisch herum. Sie holte tief Luft. Die fremden Gedanken brachen über sie herein wie ein Stier auf ein rotes Tuch zustürmt. Ohne wirklich zu wissen, wie oder warum sie es tat, einfach aus irgendeinem tiefsitzenden Instinkt heraus baute Aurora in Windeseile eine geistige Barriere dagegen auf. Ihm Geist sah sie sich um und griff nach den Gedanken der anderen. Eine Erinnerung hier, dort eine Idee, eine Hoffnung, dann ein Traum. Sie baute sie vor sich auf, eins nach dem anderen, wie Steine in einer Mauer.
Moody umklammerte seinen Zauberstab fester, als er in seiner Hand zu zittern begann. Er versuchte, zu ihr durchzudringen, doch da waren zu viele verschiedene Gedanken, zu viele unterschiedliche Persönlichkeiten und Gedankenmuster, er konnte sich nicht auf sie konzentrieren. Sein Fluch wurde abgewendet, er konnte sie nicht erreichen, denn ihr Geist war viel zu sehr mit den Gedanken der anderen beschäftigt, um ihn aufzunehmen. Moody versuchte es etwa fünf Minuten lang, dann hörte der Angriff auf.
"Miss Borealis?"
Sie spürte eine starke Hand auf ihrem Arm und öffnete die Augen, um zu Moody aufzuschauen. Er schenkte ihr ein seltsames Lächeln.
"Das war eine verdammt gute Verteidigung", lobte er. "Ich bin nicht mal eine Sekunde lang durchgekommen. Es war, als wärst du gar nicht da."
Aurora erwiderte sein Lächeln zaghaft. "Danke, Sir."
"Ja, das war sehr gut", stimmte auch Professor Darkhardt zu. "Aber ich denke, mit etwas Mühe sind Sie zu noch mehr in der Lage. Möchten Sie es noch mal versuchen und uns zeigen, was Sie wirklich können?"
Das Mädchen sah ihn verwundert an.
"Ich verstehe nicht ganz ..."
"Konzentrier dich nicht auf die Abwehr", erklärte Moody. "Die Methode ist zwar wirksam, wenn du genau weißt, dass der Angreifer dir nicht wirklich schaden will und wenn genug andere Leute um dich rum sind, damit du dir eine Mauer aus fremden Gedanken bauen kannst. Ich will jetzt, dass du dir vorstellst, du wärst allein mit mir. Und ich will, dass du dir für diese Aufgabe vorstellst, dass ich ein Anhänger von Lord Voldemort bin ... willst du nicht mal versuchen, das Blatt gegen mich zu wenden?"
Aurora wirkte einen Moment lang verdutzt, doch dann schien sie ihn zu verstehen. Mit einem Seufzer stimmte sie zu. Die anderen hielten den Atem an, während Moody zurücktrat und seinen Fluch erneut aussprach.
Dieses Mal änderte Aurora ihre Strategie. Anstatt sich andere Gedanken zu suchen, um sich auf diese zu konzentrieren, anstatt sich abzulenken empfing sie den vollen Fluch mit offenem Geist.
Steig auf den Tisch, dann spring ...
Sie zog den Gedanken zu sich heran, sie hielt ihn fest, konzentrierte sich, wartete darauf, dass er sich wiederholte ...
Steig auf den Tisch, dann spring ...
Ja, jetzt wurde er stärker, doch sie hielt ihn fest. Sie hatte die Kontrolle, sie hielt den Gedanken fest, als sei er eine winzige Kugel. Wieder kam er auf sie zu, und wieder hielt sie ihn fest. Im Geist fing sie langsam an, ihn umzudrehen. Es pochte in ihren Schläfen, aber sie gab nicht auf. Der Gedanke kam wieder und wieder, er wiederholte sich unaufhörlich, wurde immer stärker, aber sie schmeckte schon ihren Sieg. Jeden Stoß, den sie bekam, fügte sie den Gedanken hinzu, die sie bereits gesammelt hatte, und endlich war sie bereit.
Die anderen sahen, wie sie die Augen aufschlug und Moody direkt anstarrte. Ihre Lippen bewegten sich, und kaum hörbar murmelte sie:
"Steig auf den Tisch, dann spring ..."
Alastor Moody taumelte, als sei er von einem Kugelhagel getroffen worden. Er schrie und krümmte sich vor Schmerzen. Sein Angriff gegen Auroras Geist hatte aufgehört, doch ihre Gedanken waren noch immer vom böswilligen Fluch erfüllt. Wie wild geworden drehte sie sich im Kreis und sah die Gesichter kaum, die vor ihr waren. Irgendjemand kam auf sie zu, und endlich zersprang die Gedankenkapsel und der Fluch brach aus ihr und traf mit voller Gewalt auf die Person, die ihr gegenüber stand.
Sirius Black rannte auf den Tisch zu, kletterte hinauf und sprang wieder herab. Er stieg wieder hinauf, sprang wieder, und wieder, und wieder.
"Sirius!"
Aurora spürte, wie viele Menschen an ihr vorbeieilten, während sie auf die Knie fiel. Es war, als wolle ihr der Schädel platzen. Sie schloss die Augen, aber es wurde nicht besser.
"Aurora ... Rory!"
Sie zwang sich, die Augen zu öffnen. Lilys Gesicht schwebte blass über ihr, sie sah ängstlich aus. Aurora öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber stattdessen fiel sie vorwärts auf Lilys Schoß.
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Stunden später erwachte Aurora in einem Bett im Krankenflügel. Sie blinzelte und sah ein Paar grüne Augen.
"Lily ..." murmelte sie.
"Willkommen zurück", sagte Lily.
Aurora sammelte kurz ihre Gedanken. Schlißlich fragte sie:
"Was ist passiert? Was hab ich getan?"
"Du hast Professor Darkhardt sehr stolz gemacht", sagte Lily amüsiert. "Ich habe noch nie vorher erlebt, dass er so viel lächelt."
"Aber ich ... ich dachte ... Ich habe diesem Mann wehgetan, oder?"
"Moody? Ja. Aber das macht nichts, das hat er erwartet. Er sagte, du musst ein - wie war das noch - genau, ein 'sehr mächtiger Geburts-Legilimens' sein, wenn du einen Imperius-Fluch so stark umkehren kannst, und noch dazu ohne Zauberstab. Und nachdem du ihn erwischt hast, hattest du sogar immer noch genug Kraft, um Sirius zu treffen. Er hat die geballte Ladung abbekommen."
Aurora stöhnte auf. Sie lehnte sich auf ihr Kopfkissen zurück, schloss die Augen und bewegte sich eine zeitlang gar nicht. Doch schon bald öffnete sich die Tür zum Krankenzimmer und als sie die Augen öffnete, sah sie James, der auf sie zukam.
"Hallo", sagte er und blieb neben Lily stehen. "Wie geht es unserer Gedankenkanone?"
"Abgesehen von den grässlichen Kopfschmerzen ganz gut", meinte Aurora. "Und wie geht es Sirius?"
James' Gesicht verdunkelte sich.
"Um ehrlich zu sein, er tobt vor Wut. Wir mussten ihn mit vier Mann davon abhalten, wieder auf den Tisch zu steigen. Er war so stolz, dass er Moodys Fluch so gut abwehren konnte, dass ihm die andere Sache extrem peinlich war. Und du kennst ihn ja selber - er kann ganz schön launisch sein."
"Oh je. Hätte ich doch nicht ausgerechnet ihn erwischt."
"Ach, Kopf hoch, Aurora. Er wird schon drüber hinwegkommen - in ein paar Jahren", lachte James.
Lily warf ihm einen Blick zu, der klar und deutlich 'wie konntest du nur' sagte, und streichelte ihrer Freundin den Arm.
"Wenigstens wurde niemand ernsthaft verletzt", sagte sie. "Und Mr. Moody war wirklich beeindruckt. Er meint, du solltest Auror werden."
"Was, ich soll das Gesetz hüten? Mein Leben lang böse Zauberer jagen, sie nach Askaban schicken, sie womöglich noch mit meinen Kräften bändigen, damit sie sich nicht wehren können?" Aurora schüttelte den Kopf. "Nein danke. Ich will mein Talent lieber benutzen, um den Leuten zu helfen. Ich bin sicher, im Krankenhaus gibt es eine Menge Leute, denen ich helfen könnte. Zum Beispiel Leute, die selbst unter dem Imperius-Zauber stehen und nicht davon loskommen. Das ist wohl eher meine Welt."
"Klingt nach einer ausgezeichneten Idee", meinte James zustimmend. Dann grinste er. "Nach deiner Demonstration heute werden wir uns alle viel sicherer fühlen, wenn wir wissen, dass du ihn naher Zukunft nicht noch mal vorhast, irgendwelche Flüche abzuwehren."
"James!" schimpfte Lily, aber Aurora lächelte.
"Vielleicht hast du Recht, James. Das könnte für uns alle das Beste sein."
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6 - Der einsame Wolf
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Es war Samstagmorgen, etwa vier Wochen nach Beginn des neuen Semesters. Remus war auf dem Weg in das leere 'Verteidigung gegen die Dunklen Künste'-Klassenzimmer und wurde das Gefühl nicht los, dass etliche Wichte in seinem Magen ein Fest feierten. Gleichzeitig war er heute ungewöhnlich guter Laune. Gut, nächste Woche war Vollmond, aber was machte das schon? Heute Morgen würde er Heather mit Verhexungen und Gegenzaubern helfen und danach hatte er beschlossen, sie zu fragen, ob sie am Nachmittag mit ihm nach Hogsmeade gehen würde.
Er wusste nicht so recht, woher diese plötzliche Entscheidung kam, doch letzte Nacht vor dem Einschlafen hatte er mit den anderen darüber gesprochen, was sie alle unbedingt noch in ihrem letzten Jahr in Hogwarts machen und was sie vor der Abschlussprüfung noch erleben wollten. Dabei hatten sie über all die Dinge geredet, die ihnen schon passiert waren, und Remus hatte zurückgeblickt und ständig das Bild eines jungen Mädchens vor ihm gesehen, mit lockigem, braunem Haar und den klarsten blauen Augen, die er kannte. In diesem Moment war ihm klar geworden, dass er sie nun fast vier Jahre kannte, und doch war er nie mit ihr ausgegangen, vielleicht weil er immer zu sehr daran gedacht hatte, wie viel jünger sie doch war.
Remus räusperte sich, ehe er die Tür öffnete. Heather drehte sich auf ihrem Stuhl um und strahlte ihn an.
"Guten Morgen", sagte sie fröhlich.
"Hallo", erwiderte Remus so beiläufig, wie er konnte.
Doch sein Magen überschlug sich in diesem Moment auf unangenehme Weise und er fragte sich, woher das kam. Er kannte dieses Mädchen doch gut und wusste, dass sie ihn mochte, sie würde bestimmt nicht ablehnen - und wenn schon, wäre das so schlimm? Er war vier Jahre lang nicht mit ihr ausgegangen und das war nie ein Problem gewesen, warum sollte er sich also Gedanken machen, falls sie es jetzt nicht wollte?
"Ähm - bist du bereit für ein paar Verhexungen?" fragte er und legte seine Tasche wie immer auf das Pult.
"Ich denke schon. Aber könntest du dir vorher mal den Schrank da drüben ansehen?"
Heather zeigte in die Ecke, wo ein Schrank wackelte und drohte, bald umzukippen.
"Das macht er schon, seit ich reingekommen bin. Ich ... ich glaube, da ist ein Irrwicht drin."
Remus ging hinüber, um es sich anzusehen. Dann kehrte er zu seiner Tasche zurück und holte das Durchdringungs-Omniglas, das er zusammen mit den anderen erfunden hatte. Er sah sich den Schrank dadurch an und konnte so direkt durch die verschlossene Schranktür sehen.
"Ja, das ist ein Irrwicht", bestätigte er. "Na gut, eigentlich ist das doch ganz praktisch. Wir können ja heute die Verhexungen erst mal seien lassen und stattdessen den Irrwicht angehen."
Heather wurde blass.
"Oh nein, Remus, bitte nicht. Lass uns lieber sofort die Verhexungen machen. Ich ... Ich mag keine Irrwichte. Wir haben sie letztes Jahr mit Professor Darkhardt behandelt und ich war ganz furchtbar schlecht."
"Davon wusste ich nichts. Du hast nie etwas davon erzählt."
"Nein", gab Heather schuldbewusst zu. "Weil ich wusste, wenn ich dir sage, dass ich Schwierigkeiten mit Irrwichten habe, dann würdest du einen zum Lernen beschaffen, und ich hab doch solche Angst davor. Ich meine, ich kenne ja den Zauber und alles, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie mein Irrwicht weniger furchterregend werden könnte."
"In was verwandelt er sich denn?"
"In ... ich ... nein, ich ... kann's dir nicht sagen", sagte Heather hilflos. "Ich kann es nicht mal aussprechen, es ist so furchtbar. Als Kind hatte ich Albträume. Ich bin weinend aufgewacht und ..."
Remus nickte.
"Na schön. Wenn du es mir nicht sagen kannst, dann machen wir es so: Wir lassen ihn raus. Dann sehe ich, was es ist. Ich schreite ein, sperre ihn wieder in den Schrank, und wir zwei überlegen uns dann einen Weg, wie du deine Angst überwindest."
"Muss das sein?" klagte Heather. "Kannst du ihn nicht einfach loswerden?"
Remus lächelte.
"Ich könnte schon, aber ich soll dir doch beibringen, dich gegen Gefahren zu verteidigen. Es gibt kaum eine größere Gefahr als die Angst", erklärte Remus und schaute sie mitfühlend an. "Es ist immer das Beste, sich seinen Ängsten zu stellen. Nur so kann man sie überwinden. Und ist es nicht besser, ihnen hier in diesem Klassenzimmer zu begegnen als draußen in der Welt, wo die Gefahr viel ernster ist? Denk dran: Ein Irrwicht ist bloß ein Abbild dessen, wovor du dich fürchtest. Er ist nicht wirklich das, wovor du Angst hast."
"Das klingt wie etwas, das Professor Darkhardt sagen würde", bemerkte Heather stirnrunzelnd.
"Das hat er auch gesagt", gab Remus mit einem Lächeln zu. "Ich hab es mir geborgt. Denn ich finde, er hat ganz Recht. Und ist es dir nicht lieber, wenn ich dir jetzt helfe, mit deiner Angst fertig zu werden, als dass du irgendwann im wirklichen Leben ganz allein damit konfrontiert wirst?"
"Das stimmt wohl."
"Na, siehst du? Also, dann lass uns mal anfangen", schlug er vor und entfernte sich von dem ruckelnden Schrank.
Heather erkannte endlich, dass sie keine Wahl hatte, und hielt ihren Zauberstab sehr fest. Remus nickte ihr aufmunternd zu und sagte "Alohomora". Die Schranktür flog auf. Heather schrie als sie sah, was im nun offenen Schrank lauerte, und Remus keuchte erschrocken und trat einen Schritt zurück.
Vor ihnen stand ein Monster, riesig und tosend vor Wut, grauer Speichel tropfte ihm von den großen, gelben Zähnen und es schnaubte und knurrte wild, das Fell an seinem Nacken richtete sich auf. Remus sah Heather an, und auf einmal war es, als würde eine eiskalte Hand nach seinem Herzen greifen und es mit aller Kraft zusammendrücken. Ihre Augen waren voller Entsetzen, ihr Gesicht ganz weiß und ihr Mund zusammengezogen. Dieser Blick war eindeutig. Diese Kreatur jagte ihr nicht nur eine Todesangst ein - sie empfand auch tiefste Abscheu dafür.
"R-riddikulus", sagte Heather halbherzig.
Natürlich war der Zauber zu schwach, sie hatte mit zu wenig Entschlossenheit und mit zuviel Furcht und Unsicherheit gesprochen. Der Zauber war vollkommen wirkungslos und das Tier kam zähnefletschend auf sie zu. Heather entfernte sich rückwärts auf die Wand zu.
"Nein", bettelte sie. "Nein, nicht. Aufhören!"
Sie stolperte und fiel rückwärts hin, ihr Zauberstab fiel klappernd zu Boden. Die Kreatur baute sich nun vor ihr auf.
"Neiiiin!" kreischte sie und kroch rückwärts. "Remus! Remus, mach, dass es aufhört! Hilf mir! Remus!"
Remus schien aus einer Art Traum zu erwachen. Im selben Augenblick, als der Irrwicht-Werwolf seinen zottigen Kopf senkte, um das Mädchen zu beißen, sprang er vor, packte ihn am Kragen und zerrte ihn von ihr weg. Die Kreatur drehte sich um, doch als sie Remus ansah, wurde sie sofort zu einer silbrig schillernden Kugel.
"Riddikulus", sagte er heiser und die Kugel löste sich in Rauch auf.
Heather weinte leise. Remus schüttelte sich, steckte den Zauberstab wieder in sein Etui und steckte es wieder in die Tasche.
"Komm", sagte er und versuchte dabei, so normal wie möglich zu klingen. Er half Heather auf die Beine. "Am besten, wir gehen runter in die Küche und holen dir eine Flasche Butterbier. Zum Aufwärmen."
Heather lehnte sich an ihn, aber Remus zögerte, eher er ihr leicht auf den Rücken klopfte. Er führte sie aus dem Raum heraus und die Treppen runter, er kitzelte die Birne im Gemälde an der Wand vor der Küche und erklärte den eifrigen Hauselfen, weshalb sie gekommen waren, und sobald er das Gefühl hatte, damit keinen Verdacht mehr zu erregen, überließ er Heather den fürsorglichen Hauselfen und machte sich mit schweren Schritten wieder auf den Weg nach oben. Nun würde er sie nicht mehr bitten, mit ihm nach Hogsmeade zu gehen, er konnte es nicht. Er wusste nicht einmal, wie er ihr überhaupt je wieder in die Augen sehen sollte. In ihm schien irgendetwas gestorben zu sein, als habe Heathers Gesichtsausdruck beim Anblick des Werwolfs aus dem Kleiderschrank einen Teil von ihm getötet. Remus bemerkte, dass ihm die Augen brannten, und er blinzelte schnell.
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Peng! Mit einer lauten Explosion flogen etliche Spielkarten in die Luft, um kurze Zeit später wie Schneeflocken wieder herunter zu flattern.
"Ich glaub's nicht, du hast schon wieder gewonnen!" beschwerte sich Peter.
Sirius lachte, zupfte Lily ein paar Kartenschnipsel aus den Haaren und legte sie wieder aneinander.
"Tut mir Leid, Kumpel. Ich bin eben ein Glückspilz."
Frank schüttelt mit gespielt verzweifelter Miene den Kopf.
"Ich habe fast das Gefühl, dass die Karten verhext sind, um immer nur für dich günstig zu sein", sagte er.
"Tut mir Leid, Frank", sagte James, der ebenfalls lachte. "Wir hätten dich warnen sollen, dass Sirius der größte Kartenspieler aller Zeiten ist."
"Ach, lass das, ich werd sonst ganz rot", bat Sirius. "Spielen wir noch eine Runde?"
Die meisten anderen schüttelten scherzhaft oder enttäuscht den Kopf.
"Wollen wir stattdessen eine Runde Koboldsteine spielen?" schlug Lily vor.
"Klar - ich mach mit", sagte Damian Diggle.
Marlene, Mary und Stephen wollten auch mitspielen. Auch Peter schloss sich ihnen an, aber Sirius überredete Frank, Bertha Jorkins, Gemma und James doch noch eine Runde Zauberschnippschnapp zu spielen. Sie waren mit ihrem Spiel halb durch, als Remus die Große Halle betrat.
"Hallo", sagte Sirius gut gelaunt. "Willst du mitmachen?"
"Nein", antwortete Remus.
Er klang so abwesend, dass James sofort aufschaute und den seltsamen Gesichtsausdruck seines Freundes bemerkte.
"Was ist los?" fragt er.
"Nichts", log Remus. "Ich will nur ... ich denke, ich werde mal ein bisschen an die frische Luft gehen."
"Es regnet", bemerkte Mary.
"Ich weiß."
Er machte kehrt und verließ die Halle wieder. Er wusste nicht einmal wirklich, warum er sie überhaupt jemals betreten hatte. Schließlich suchte er keine Gesellschaft. Er wollte allein sein. Remus ging die Stufen vor dem Haupteingang hinunter und machte sich auf zum Wald. Mary hatte Recht, es regnete wirklich, und mit jedem Schritt schien der Regen stärker zu werden. Aber Remus war das egal. Es passte zu seiner Stimmung.
Er erreichte die erste Baumreihe und ging noch weiter, und noch weiter, immer tiefer in den Wald hinein, bis er so dicht und dunkel wurde, dass er das Schloss nicht mehr sehen konnte, wenn er über die Schulter zurückschaute. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so leer gefühlt hatte. Er war nicht wütend, er gab Heather keine Schuld an ihrer Angst oder Abscheu vor dem, was ihr Irrwicht geworden war. Er verstand es sehr gut. Es hatte auch in ihm Abscheu geweckt.
Also ging er weiter und folgte den Wegen, die er im Lauf der Jahre mit seinen Freunden zusammen entdeckt hatte. Er wusste nicht, wie lange er gelaufen war, als er endlich eine Lichtung erreichte und zum Himmel hinaufsah. Er stellte sich vor, wie der wachsende Mond auf ihn herabschaute, obwohl der Himmel zurzeit eine einzige graue Masse voller Regenwolken war, gegen die die Sonne sich vergeblich durchzusetzen versuchte. Er sah sich um und erkannte, dass er nicht mehr wusste, wo er war. Er musste wohl doch weiter gegangen sein als je zuvor. Logisch betrachtet stellte Remus fest, dass ihn das eigentlich nervös machen sollte, aber das tat es nicht. Er spürte gar nichts.
Er setzte sich auf einen sehr feuchten Baumstamm und schaute wieder zum Himmel auf. Er fühlte den Regen, der auf sein Gesicht prasselte, und fühlte sich nicht mehr so schlecht. Vielleicht war das sein Schicksal: allein durch die Welt zu wandern, unter dem Himmel zu leben, sich mit den Elementen zu verbünden und alle Menschen in der 'anderen' Welt zu ignorieren, in der Leute wie er - mit Recht - als Monster galten. Diese Welt wollte ihn nicht wirklich, das wusste er schon lange. Seit einigen Jahren hatte er nun so getan, als sei dem nicht so, aber heute hatte er wieder den Beweis gesehen. Warum sollte er dorthin zurückkehren? Es hatte immer Gerüchte gegeben, dass im Verbotenen Wald Werwölfe lebten. Warum sollte er diese Gerüchte nicht wahr werden lassen? Falls sie es nicht bereits waren ... Wieder schaute er sich um und starrte in die Dunkelheit zwischen den schwarzen Bäumen. Vielleicht waren hier noch andere wie er, andere, die ihn akzeptieren würden, weil sie auch nicht anders, ihre Leben auch nicht glücklicher waren.
Nein. Wenn er darüber nachdachte, stellte er fest, dass er nicht so leben wollte, mit anderen Ausgestoßenen. Die Einsamkeit war doch die bessere Wahl. Es war wohl für alle das Beste, was er tun konnte - für seine Familie, seine Freunde, für ihn selbst. Was hatte er seinen Mitmenschen denn je eingebracht außer Schwierigkeiten und Unglück? Selbst seinen Eltern ... Er erinnerte sich auf einmal an Dinge, die er fast vergessen hatte ...
Wie er eines nachts aufwachte und im Nebenraum leise Stimmen hörte. Wie seine Mutter bitterlich weinte, weil eine gute Freundin aus Kindestagen ihr den Rücken zugekehrt hatte, als sie ihr erzählt hatte, was mit Remus geschehen war. Ihre roten Augen, die von den Tränen stammten, die sie tagsüber tapfer zurückgehalten hatte, nachts aber nicht unterdrücken konnte. Das ernste Gesicht seines Vaters vor so vielen Jahren; seine Schroffheit, seine Trauer, seine verzweifelten Versuche, ein Heilmittel für seinen Sohn zu finden, wie er all sein Geld zusammengekratzt hatte, um nutzlose Medizin zu kaufen ... wie sanft er zu Remus' Mutter gewesen war und wie erbarmungslos er sich damals mit Remus' Großmutter gestritten hatte. John wusste nicht, dass Remus damals im Haus war, aber Remus erinnerte sich fast an jedes Wort. Seine Großmutter hatte seiner Mutter die Schuld dafür gegeben, was mit ihm geschehen war, und sie hatte sie verflucht und beschimpft. Sein Vater hatte vor Wut getobt, er hatte seine eigene Mutter eine alte Sabberhexe genannt und sie des Hauses verwiesen, er hatte sogar gedroht, sie bis zur Unkenntlichkeit zu verhexen, sollte sie jemals wieder das Grundstück betreten. Auch in dieser Nacht hatte Remus seine Mutter weinen gehört.
Ja, er brachte seinen Mitmenschen eindeutig nichts als Pech. Es war seine Schuld, dass seine Eltern all ihre Freunde verloren hatten, dass James und Sirius und Peter das Gesetz gebrochen hatten, um Animagi zu werden, dass Severus Snape in jener Nacht in der Peitschenden Weide beinahe ums Leben gekommen ware und - was am schlimmsten war - er war das, was Heather Woodcock am meisten fürchtete und verabscheute. Dass sie ihn bisher zu mögen schien war jetzt unbedeutend, sie hatte ihn ja nie wirklich gekannt. Wenn sie wüsste, was er wirklich war, würde sie ihn hassen und vor ihm zurückschrecken. Er konnte es ihr nicht sagen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie ihn ansehen würde wie heute Morgen den Irrwicht. Und er wollte ihr nie wieder entgegentreten nach dem, was er heute erlebt hatte.
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7 - Der Suchtrupp
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James, Sirius und Peter suchten ihren Freund überall, aber sie konnten ihn einfach nicht finden. Am Ende mussten sie ohne ihn nach Hogsmeade aufbrechen, ob es ihnen nun passte oder nicht. Aber sie hatten nicht viel Spaß bei ihrem Ausflug, weil sie sich immerzu fragen mussten, was aus Remus geworden war. An diesem Abend kehrten sie schlecht gelaunt nach Hogwarts zurück, um mit Remus zu sprechen und eine Erklärung zu verlangen. Aber er war immer noch verschwunden. Sie sahen im Gemeinschaftsraum nach, im Schlafsaal, der Bibliothek, draußen und sogar in der Heulenden Hütte, aber sie fanden keine Spur von ihm. Sie blieben am See stehen und Sirius stämmte die Hände in die Hüften und starrte in das trübe Wasser.
"Vielleicht ist er Schwimmen gegangen", versuchte er launisch zu scherzen.
"Rede keinen Unsinn", entgegnete James ungeduldig und runzelte besorgt die Stirn. "Es muss ihm etwas zugestoßen sein. Wenn wir ihn nicht bald finden, müssen wir einen Lehrer holen."
"Na, da wird er ja begeistert sein", sagte Sirius. "Wahrscheinlich will er nur mal seine Ruhe haben."
"Aber er würde doch nicht einfach abhauen, ohne ein Wort zu sagen", warf James ein.
"Zu dumm, dass die Karte weg ist", meinte Sirius mit einem bösen Blick in Peters Richtung. "Wenn wir die hätten, wüssten wir sofort, wo er steckt."
"E-e-es tut mir wirklich Leid, S-Sirius", sagte der arme Peter.
James ignorierte sie beide und dachte laut nach: "Er muss in den Wald gegangen sein. Woanders kann er nicht sein, wir haben ja schon alles abgesucht."
"Dann los, holen wir ihn zurück."
James sah auf die Uhr.
"Das geht nicht, nicht jetzt, wir müssen uns im Verlies mit Darkhardt treffen."
Sirius schnaubte. "Ich sag euch was: Geht ihr und ich suche solange nach Remus. Ich hab heute ohnehin keine Luste auf dumme Verteidigungsspielchen."
"Du meinst, du willst Aurora aus dem Weg gehen", schloss James scharfsinnig. "Sirius, lass es doch endlich. Was sie mit dir gemacht hat, war ein Unfall, sie wollte dir nicht wehtun. Außerdem ist es Wochen her. Lass es gut sein."
"Oh klar, du hättest bestimmt einen Riesenspaß gehabt, wenn sie dich gezwungen hätte, auf den Tisch zu klettern und dich wie der letzte Idiot aufzuführen, was?" meinte Sirius schnippisch. "Diese kleine Gedankenbiegerin ..."
"Sirius!"
"L-lasst das, ihr zwei", bat Peter unglücklich. "Bitte. Lasst uns einfach zum Verlies gehen, vielleicht taucht Remus dann auf. Er hat Darkhardts Unterricht noch nie verpasst."
Die anderen beiden stimmten ihm zu, und alle drei machten sich auf den Weg zum Treffpunkt der Verteidiger, aber Remus war nicht da. Professor Darkhardt fragte sie, wo ihr Freund steckte, und ließ nicht locker, aber am Ende überzeugten sie ihn, dass sie selbst keine Ahnung hatten. Aurora hielt sich heute Abend sehr zurück, wie sie es seit dem Zwischenfall mit Sirius immer getan hatte, und sie beäugelte ihn nervös, während er sich die größte Mühe gab, sie gar nicht anzusehen, und stattdessen allen anderen Mädchen breit zulächelte, wenn sie ihn ansahen. Am Ende waren alle sehr froh, als Professor Darkhardt verkündete, sie hätten für heute genug getan, und sie alle ins Bett schickte.
Sie kehrten zum Gemeinschaftsraum zurück, sahen wieder im Schlafraum nach und setzten sich dann an ihre üblichen Plätze am Tisch in der Ecke, doch nicht alleine. Lily, Frank, Gemma und noch einige andere versammelten sich dort.
"Und, wo steckt Remus nun wirklich?" fragte Frank und setzte sich zu ihnen.
"Wir wissen es nicht", antwortete James, der inzwischen sehr besorgt aussah.
"Das sieht ihm nicht ähnlich", meinte Lily leise. "Er hat noch nie ein Treffen ausfallen lassen. Ich hoffe, ihm ist nichts zugestoßen."
Ihre Worte waren wie ein Echo des Unbehagens, das sich in James aufbaute. Was, wenn Remus etwas passiert war? Vielleicht war er im Wald spazieren gegangen - wenn James auch kein plausibler Grund dafür einfiel - und war dort jemandem oder etwas begegnet. Was, wenn ihn irgendein wildes Tier angefallen hatte? Was, wenn er dort irgendwo lag, wenn er verletzt war und nicht mehr laufen konnte, bewusstlos - oder nich viel schlimmer.
"Jemand sollte ihn suchen", sagte Frank.
Genau in diesem Moment wurde es am anderen Ende des Raumes lauter und das Gemälde öffnete sich. Professor McGonagall kletterte hindurch und sah sich um. Dann kam sie an ihren Tisch und blickte die Schüler an. Sie war leichenblass und offensichtlich besorgt.
"Professor Darkhardt hat mir erzählt, dass Remus Lupin verschwunden ist", sagte sie. "Ist das wahr?"
"Er ist nicht im Schlafsaal", erklärte James. "Wir haben schon die ganze Schule nach ihm abgesucht, aber wir können ihn nirgends finden."
"Wann wurde er zuletzt gesehen?" fragte McGonagall mit leicht zittriger Stimme.
"Heute Morgen beim Frühstück. Nein - später. Vor dem Mittagessen. Wir haben in der Großen Halle Karten gespielt und er hat gesagt, er wolle spazieren gehen."
"Aber es hat doch geregnet, nicht wahr?"
"Ja", sagte James.
"Hat er gesagt, was er heute vorhatte?"
"Nicht dann. Nur beim Frühstück, da hat er gesagt, dass er Heather Woodcock von Ravenclaw heute Morgen wieder Nachhilfe im Raum für Verteidigung gegen die Dunklen Künste geben würde", erklärte James. "Ich glaube, er wollte sie auch fragen, ob sie heute mit ihm nach Hogsmeade geht."
"Das hat er gesagt?" fragte die Verwandlungslehrerin.
"Nein, aber ich hatte so den Eindruck. Er hat Sirius und mich gefragt, wo man unserer Meinung nach in Hogsmeade am besten ruhig sitzen und reden kann. Er schien ziemlich gut gelaunt zu sein - noch."
"Und als Sie ihn das nächste Mal sahen, wollte er im Regen spazieren gehen ... Dann ist also Ihres Wissens Miss Woodcock die einzige, die nach dem Frühstück und vor seinem Erscheinen in der Großen Halle mit ihm gesprochen hat?"
"Ich denke schon, ja."
McGonagall nickte und ging wieder zum Ausgang, doch als sie gerade hindurchsteigen wollte, kam Professor Darkhardt ihr entgegen.
"Narbus", sagte sie und bemerkte dann seinen finsteren Blick. "Was ist?"
"Ich hab mit dem Mädchen geredet. Sie hat ihn zuletzt bei der Küche gesehen."
"Bei der Küche?" wiederholte Sirius. "Was wollten sie denn da?"
Darkhardt schaute zu ihnen herüber und zögerte, dann sagte er: "Minerva, wir sollten eine Suche organisieren. Ich schlage vor, Potter, Pettigrew und Black kommen mit mir."
"Kann ich auch mitkommen, Sir?" fragte Frank eifrig. "Ich will auch helfen, Remus zu finden."
"Ich auch", stimmte Lily sofort zu, und auch viele andere schlossen sich an, aber Professor Darkhardt schüttelte den Kopf.
"Nein, nur diese drei. Kommt."
Lily und Frank wirkten verletzt.
"Sei bitte vorsichtig", bat Lily James. "Oh, ich hoffe, es geht ihm gut."
"Wir durchsuchen das Schloss, solange ihr weg seid", versprach Frank. "Irgendwo muss er doch stecken."
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James hielt den Zauberstab hoch und folgte Professor Darkhardt. Der Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste hatte beschlossen, mit ihm, Sirius und Peter im Verbotenen Wald zu suchen, während die Professoren McGonagall und Flitwick die Wege nach Hogsmeade und Professor Sprout und Hagrid das Schulgelände absuchten und eine Gruppe der anderen Gryffindors die Schule erkundete. Hagrid hatte erst mit in den Wald kommen wollen, aber Darkhardt hatte abgelehnt. Er hatte jedoch das Angebot angenommen, Hagrids Hund mitzunehmen, von dem er hoffte, dass er eine Fährte aufspüren würde.
"Der Köter ist doch nutzlos", flüsterte Sirius James ins Ohr. "Wenn wir nur Darkhardt nicht dabei hätten, könnte ich Moony in Null-Komma-Nichts selber finden. Autsch!" Er hatte sich den Arm an einem Strauch aufgekratzt. "Wenn wir Remus finden, bring ich ihn um."
"Professor Darkhardt", sagte James, als sie einen Moment stehen blieben, während sie überlegten, welchen Weg sie nehmen sollten. Der Hund schnüffelte am Boden und schien genauso ahnungslos wie die Menschen. "Was hat Heather Ihnen erzählt, Sir?"
Der alte Zauberer seufzte und wandte sich den Jungen zu.
"Heute ist etwas geschehen, von dem ich gehofft hatte, es vermeiden zu können. Ich habe bereits seit langer Zeit gewusst, dass es geschehen könnte, und dass es ihn sehr verletzen würde, in Anbetracht seiner Zuneigung zu Miss Woodcock. Es ist alles meine Schuld, schließlich habe ich die beiden zusammengeführt."
"Soll das heißen, Sie haben ihn absichtlich mit Heather verkuppelt?" rief Sirius.
Darkhardt lächelte schief.
"Nicht direkt. Ich habe mir gedacht, dass er es bei seinem ... Zustand ... nicht leicht finden würde, auf Mädchen zuzugehen. Miss Woodcock machte einen lieben und verständnisvollen Eindruck auf mich, und außerdem brauchte sie Hilfe. Ich dachte, dass es seinem Selbstvertrauen zuträglich sein könnte, ihr Unterricht zu geben, und dass er dadurch vielleicht den Mut finden würde, andere Mädchen anzusprechen. Aber bis ich herausfand, wie sehr sie ihn eines Tages vielleicht verletzen würde, war mir längst klar, dass andere Mädchen ihn gar nicht interessierten. Ich denke, ich wusste es, bevor es ihm selbst klar wurde. Und nun tut es mir fast Leid, dass ich sie ihm überhaupt je vorgestellt habe. Junge Menschen sind so leicht verletzlich, und ihre Schmerzen gehen so tief."
"Ich verstehe nicht ganz", sagte James. "Wie kann Heather Remus verletzt haben? Sie würde keiner Fliege was zu Leide tun!"
"Nicht absichtlich. Sie hat keine Ahnung, dass er ihretwegen davongelaufen ist, sonst wäre sie noch bedrückter über sein Weglaufen."
"Weglaufen?"
"Aber ja. Wie ich schon sagte, junge Menschen nehmen derartige Dinge sehr schwer. Potter, Sie wissen doch, wie es ist, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt."
"Ich, Sir?"
"Miss Lily Evans?"
James spürte, wie er rot wurde. "Ähm ..."
"Sehen Sie? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie gerade erfahren hätten, dass sie sich vor nichts auf der Welt so sehr fürchtet wie vor Ihnen?"
"Was soll das heißen?" fragte James. "Heather hat doch keine Angst vor Remus, das ist doch lächerlich. Frank hat uns erzählt, wie sie am Abend vor Halloween direkt zu ihm gelaufen ist, als Peeves so ein Theater gemacht hat, um den jüngeren Schülern Angst einzujagen. Wir haben Remus deswegen geneckt. Aber der Punkt ist doch der, dass sie genau wusste, dass Remus sie beschützen würde."
"Ja, aber vor ihren Ängsten konnte er sie nicht beschützen. Heute haben die beiden einen Irrwicht in meinem Klassenzimmer gefunden. Er sah Miss Woodcock zuerst und verwandelte sich ..."
"Ach du meine ..." James wurde blass. "Das soll doch nicht etwa heißen, dass er zu einem ... zu ..."
"Oh-oh", murmelte Sirius.
Peter sah verwirrt aus.
"Was denn, was war ihr Irrwicht?" fragte er.
"Um Himmels Willen, benutz doch mal dein Hirn, oder hast du keins?" schimpfte Sirius.
James sah Professor Darkhardt immer noch fest ins Gesicht.
"Er wurde zu einem Werwolf, oder?"
Darkhardt nickte.
"Verdammt!" rief Sirius. "Also deshalb ist er abgehauen. So ein Idiot, das hat doch nichts zu bedeuten. Heather weiß doch nicht mal, dass er ein Werwolf ist. Bloß, weil sie generell Angst davor hat, heißt das doch noch lange nicht, dass sie vor ihm Angst hat!"
"Nein", gab Professor Darkhardt ihm Recht. Er bog auf einen Weg ab, der tiefer in den Wald hinein führte. "Aber ihre Reaktion auf diese Kreatur - von der sie sagt, dass es das grauenhafteste Wesen ist, das sie je gesehen hat - muss für ihn schrecklich gewesen sein."
"Haben Sie's ihr gesagt?" fragte James. "Haben Sie ihr erklärt, was passiert ist?"
"Nein. Ich habe daran gedacht, aber dann habe ich es mir anders überlegt. Wäre sie allein darauf gekommen, dann wäre das etwas anderes. Aber überraschender Weise, da Ravenclaws doch so schlau sein sollen, hat sie keinen Verdacht geschöpt. Also habe ich entschieden, dass Remus ein Recht hat, selbst zu bestimmen, ob sie es erfahren soll", sagte der Professor ernst. "Ich hatte nie ein Recht, mich einzumischen. Ich hätte ihn einfach in Ruhe lassen sollen. Von nun an werde ich ihn die Wahrheit wissen und seine eigenen Entscheidungen treffen lassen. Ich habe schon genug kaputt gemacht, ich werde es nicht wieder tun."
"Sie wollten doch nur helfen", sagte James. "Und das haben Sie, Sir. Sie haben ihm Vertrauen gezeigt, indem Sie die Nachhilfestunden mit Heather vorgeschlagen haben, und ihm damit Selbstvertrauen und ein Ziel gegeben. Er hat beschlossen, dass er Lehrer werden will. Er war damit glücklicher als je zuvor."
"Und jetzt ist er unglücklicher als je zuvor", entgegnete Darkhardt kalt. "Nein, Potter. Es war ein Fehler, dass ich mich in das Leben Ihres Freundes eingemischt habe. Ich hatte gehofft, damit einen anderen Fehler wiedergutzumachen, den ich vor vielen, vielen Jahren beging. Doch ich habe wieder alles falsch gemacht. In Zukunft werde ich ... Was hat denn der Hund!"
Das Tier war stehen geblieben und schnupperte. Dann stürzte es auf einmal durch die Büsche und bellte laut.
"Er hat ihn gefunden!" erkannte James.
Professor Darkhardt seufzte erleichtert und sie alle folgten dem Hund.
Remus schaute überrascht auf als der große, schwarze Hund, seine Freunde und sein Lehrer auf ihn zugelaufen kamen.
"Remus!" rief James, der direkt zu ihm kam und ihn an der Schulter packte. "Ist alles in Ordnung? Geht's dir gut?"
"Bestens", sagte Remus leise und verschlossen. "Was macht ihr hier?"
Sirius lachte trocken. "Was wir hier machen? Was soll das für eine Frage sein? Wir suchen dich, was denn sonst?"
"Das ist nett von euch, aber es wäre nicht nötig gewesen", sagte Remus. "Ich habe mich entschieden, nicht nach Hogwarts zurückzukommen. Ich werde mich hier im Wald oder woanders im Freien niederlassen. Irgendwo, wo niemand versehentlich auf mich stoßen und wo ich niemanden verletzen kann."
"Remus, rede keinen Unsinn. Du würdest nie jemandem wehtun!" sagte James.
"Ich rede keinen Unsinn. Es ist das einzig Vernünftige. Was ich bin, das ist ... ich bin gefährlich, und die Leute haben Angst vor ... Kreaturen wie mir."
"Niemand hat Angst vor dir", bestritt James. "Sie mögen dich."
"Das würden sie nicht, wenn sie wüssten, was ich bin."
"Oh doch, das würden sie!" beharrte James. "Und wenn du ihnen die Wahrheit sagen würdest, wenn du ihnen eine Chance geben würdest, dann würden sie es dir selbst sagen. Sieh dich doch um. Wir kennen alle die Wahrheit, und wir waren fast krank vor Sorge um dich."
Remus atmete zögerlich ein.
"Das tut mir Leid. Aber der Rest der Schule würde sich bestimmt ohne mich viel sicherer fühlen, wenn sie es wüssten ..."
"Würden sie nicht. Wenn du nur eine Ahnung hättest, wie verrückt sich alle deinetwegen gemacht haben. McGonagall war so blass wie ein Gespenst, Sprout und Hagrid durchsuchen jeden Zentimeter des Geländes, wir haben alle Ecken des Schlosses durchforstet und Frank ist wahrscheinlich gerade dabei, die Rüstungen alle einzeln zu zerlegen, falls du da irgendwo drinsteckst."
"Es tut mir Leid, dass ihr euch Sorgen gemacht habt", wiederholte Remus. "Aber ich habe mich entschieden."
"Ach, hör doch auf!" explodierte Sirius. "Lass es gut sein, ja? Soll ich dir mal was sagen, Moony? Ich hab es satt, mitanzusehen, wie du dich selber unglücklich machst und immer wieder nach Gelegenheiten suchst, dir noch eine größere Last auf die Schultern zu laden. Das erste Mädchen, in das du dich verguckt hast, hat also Panik vor Werwölfen - na und? Vergiss sie! Sie ist nicht das einzige Mädchen in Hogwarts, Remus, und bei weitem nicht das einzige Mädchen auf der Welt!"
Remus öffnete den Mund, um zu protestieren, schloss ihn dann aber doch wortlos.
"Sirius hat Recht", meinte James. "Du kannst nicht einfach alles hinschmeißen, was du je getan und wovon du je geträumt hast, nur wegen Heather. Ich verstehe ja, dass du dich jetzt schlecht fühlst, aber dafür hast du doch uns. Wir sind deine Freunde und wir wollen nicht, dass du einfach wegläufst und uns verlässt. Wir haben dir schon einmal gesagt, dass es uns egal ist, was du bist. Wir sind für dich da - und wenn so was wie jetzt passiert, dann wollen wir dir helfen. Was auch passiert, vor uns darfst du nie davonlaufen, Remus."
"Komm wieder mit ins Schloss", fügte Darkhardt hinzu, und seine Stimme klang sehr viel sanfter als das Knurren, das man von ihm gewohnt war. "Deine Lehrer machen sich Sorgen und ich glaube auch kaum, dass deine Freunde dort schlafen werden, bis sie alle wissen, dass dir nichts zugestoßen ist."
Remus machte einen widerwilligen Eindruck, doch dann nickte er seufzend und stand langsam auf, um ihnen zu folgen. Auf dem ganzen Rückweg sagte er kein Wort und auch nicht, als sie das Schloss erreichten, als McGonagall mit leicht feuchten Augen darauf bestand, ihm persönlich eine Tasse Tee zu bringen, als Frank und Donald ihm freundschaftlich auf den Rücken klopften oder als Lily ihm besorgt zulächelte. Er nahm seinen Tee sofort mit in den Schlafraum und war dankbar, dass ihm niemand folgte. Als James, Sirius, Frank und Peter endlich nach ihm sehen wollten, war er in einen unruhigen Schlaf gefallen.
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8 - Professor Darkhardts Geheimnis
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Obwohl außer den Rumtreibern, Frank, Darkhardt, McGonagall, Dumbledore und vielleicht Aurora Borealis niemand so recht wusste, was an diesem Tag geschehen war, schien allen klar zu sein, dass irgendetwas Remus Lupin zutiefst erschüttert hatte. Die meisten schoben es auf die Anspannung vor den Prüfungen im Sommer und alle waren etwas netter zu ihm als sonst - bis auf die Slytherins - und grüßten ihn lächelnd, wenn sie ihn auf dem Flur trafen.
Remus nutzte die Lage aus, da alle sowieso glaubten, er leide unter Prüfungsangst, um am Dienstag, nachdem der Mond abgenommen hatte, Heather Woodcock nebenbei in der Eingangshalle mitzuteilen, er könne ihr keine Nachhilfe mehr geben, da er für seine Prüfungen lernen müsse. Heather schien traurig darüber und sagte sogar, dass sie hoffe, ihn dadurch nicht weniger häufig zu sehen. Remus antwortete ihr jedoch nicht, sondern entschuldigte sich schnellstmöglich und sprach die nächsten Tage über nicht mit ihr. Am Donnerstagnachmittag, nach dem Unterricht, bat Professor Darkhardt Remus in sein Büro.
"Setzen Sie sich, Lupin", sagte Professor Darkhardt, nachdem er die Tür geschlossen hatte.
Remus tat es zögerlich. Der Professor lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit dem Finger über die Narbe an seiner Wange, wie Remus es schon oft beobachtet hatte. Endlich sprach er, dieses Mal weniger förmlich.
"Zuerst möchte ich, dass du weißt, dass ich vollkommen verstehe, weshalb weder Heather noch sonst jemand erfahren soll, was du bist. Ich habe Verständnis dafür, dass du am eigenen Leib erfahren musstest, dass viele ihren engsten Freunden den Rücken zukehren, weil sie Angst haben. Ich weiß, dass die Vorurteile gegen jemanden wie dich weit verbreitet sind. Und ich weiß das besonders gut, weil ich selber einmal der größte Vertreter dieser Vorurteile war."
"Sie, Sir?" sagte Remus ungläubig. "Aber ..."
"Ja, ich. Als Professor Dumbledore zum ersten Mal darauf zu sprechen kam, dass er dich hierher kommen lassen wollte, war ich entschieden dagegen, und das habe ich ihm auch gesagt. Natürlich waren die anderen aus Sicherheitsgründen besorgt - besonders Professor McGonagall. Aber als Albus ihr von seinem Treffen mit dir erzählte und wie du zu dem wurdest, was du heute bist, hat sie schnell nachgegeben. Minerva kann bei einer so traurigen Geschichte nicht anders, als Tränen zu verdrücken. Aber mit mir war das etwas anderes."
Er hielt inne. Dieses Mal sagte Remus nichts, sondern saß nur erstaunt da und wartete, bis der Professor weitersprach.
"Ich war entschieden dagegen, dass du herkommst", setzte Professor Darkhardt fort. "Ich war fest davon überzeugt, dass es nicht funktionieren würde, dass du allen Sicherheitsmaßnahmen zum Trotz entwischen würdest, dass du einen Weg finden würdest, deine Mitschüler im verwandelten Zustand anzufallen, weil die Blutlust nun mal Teil deiner Persönlichkeit ist. Ich dachte, wie friedlich du dich nach außen hin auch geben mögest, dass ein Werwolf eben ein Werwolf ist und unter keinen Umständen vertrauenswürdig."
"D-das haben Sie geglaubt?" fragte Remus leise und stotterte dabei leicht, zum ersten Mal seit Jahren.
"Allerdings. Ich hasste Werwölfe." Er sagte das so bitter, dass Remus zusammenzuckte. "Ich hasste sie und verabscheute sie - ich jagte sie. Das war mein Beruf, bevor Albus Dumbledore mich vor mehr als dreißig Jahren überredete, mich zur Ruhe zu setzen und als Lehrer hier zu arbeiten. Ich war immer unterwegs und reiste quer durchs Land. Dabei nahm ich immer eine Sammlung von zehn scharfen silbernen Dolchen mit. Alles Metallene, was ich besaß, war aus reinem Silber. Bei Vollmond suchte ich meine Beute. Ich konnte einen Werwolf meilenweit gegen den Wind riechen, ich konnte seine Gegenwart spüren - keiner, den ich verfolgte, ist mir je entkommen."
"Soll das heißen, S-Sie haben ... sie getötet?"
"Ja", sagte Darkhardt kalt. "Ich habe sie getötet. Jeden Einzelnen von ihnen. Und ich verspürte nicht ein einziges Mal Mitleid oder Bedauern. Es waren Monster, die es nicht besser verdient hatten. Selbst wenn der Mensch in ihnen am Tag mit der Bestie kämpfte, bei Vollmond waren sie doch alle gleich." Wieder berührte er seine Wange. "Auch der, dem ich diese Narbe verdanke."
"Wer war er?" fragte Remus heiser.
"Er war noch ein halbes Kind", antwortete der Professor mit leiser, fast verträumter Stimme. "Ein Junge in deinem Alter. Auch er war als kleiner Junge gebissen worden, aber er hatte nicht so viel Glück. Seine Mutter sorgte sich zu Tode, sie konnte nicht damit leben, was mit ihrem Sohn geschehen war, und sein Vater ... Nun, sein Vater war seit Jahr und Tag überzeugt gewesen, dass Werwölfe Ausgeburten der Hölle seien, Bestien, die vernichtet werden mussten. Er glaubte, der Teufel habe seinen Sohn gezeichnet, so dass dieser nur noch ein Aussätziger sei, eine ... Kreatur, derer er sich entledigen müsste, wenn er nicht selbst in der Hölle schmoren wollte. Doch er konnte sich nicht überwinden, sein Fleisch und Blut zu töten. Stattdessen machte er dem Kind das Leben zur Hölle. Er behandelte ihn wie ein Tier, sperrte ihn Tag und Nacht ein, selbst wenn kein Vollmond war. Er ließ seinen Sohn hungern, bis er so schwach war, dass er sich kaum noch rühren konnte. Und doch ist der Junge irgendwie entkommen."
"Und Sie haben ihn gejagt?" erriet Remus.
"Ja. Ich habe dafür länger gebraucht als für jeden anderen - zwei Jahre. Er war krank und erschöpft. Als ich ihn fand, fiel er auf die Knie und flehte mich an, ihn zu töten. Denn siehst du, er hatte angefangen zu glauben, was sein Vater über ihn gesagt hatte, dass er ein Monster war, das den Tod verdiente."
"Und haben Sie ihn getötet?"
Darkhardt schüttelte den Kopf.
"Nicht sofort. Ich brachte es nicht über mich. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, wenn ich es getan hätte. Sein Verstand war vollkommen verdreht. Er hatte nicht den Mut, sich selbst umzubringen und nicht den Mut, sich entgegen aller Hindernisse im Leben durchzuschlagen. Er fing an, zu glauben, dass er dazu verdammt war, ein Höllenwesen zu sein, und dass er dagegen nichts tun könnte. Er glaubte, er sei böse. Und am Ende hatte er sich davon so erfolgreich überzeugt, dass er es wirklich wurde. Als er mir diese Narbe verpasste, Remus, hatte er sich nicht verwandelt. Er fiel mich mit bloßen Händen an."
Es herrschte einen Augenblick Stille ehe er hinzufügte: "Du siehst also, ich habe meine Gründe, weshalb ich Werwölfe verachte."
Remus stand auf und wandte seinem Lehrer den Rücken zu.
"Warum erzählen Sie mir das?" fragte er, obwohl ihm die Stimme fast versagte.
"Setz dich, dann sag ich es dir."
"Ich will lieber stehen."
"Remus ..."
Der Junge drehte sich um und hob trotzig das Kinn. Professor Darkhardt seufzte.
"Ich wollte, dass du weißt, dass ich dagegen war, dich hier aufzunehmen. Und dass ich gute Gründe hatte."
"Weil Sie mich gehasst haben, nur weil ich ein Werwolf bin. Obwohl Sie mich gar nicht kannten und nicht das Geringste über mich wussten?"
"Ja."
"Herzlichen Dank, dass Sie mir das gesagt haben", erwiderte Remus bitter. "Ich gehe dann jetzt, wenn es Ihnen nichts ausmacht."
Er ging auf die Tür zu, aber plötzlich stand Darkhardt auf, packte Remus bei beiden Schultern und schaute ihm durchdringend in die Augen.
"Du verstehst nicht. Ja, ich habe Werwölfe gehasst. Ja, ich war davon überzeugt, dass jeder Werwolf eine Gefahr für jede Gesellschaft sei, dass sie Bestien seien, die man schlachten sollte. Dumbledore war der Meinung, dass ich mich irrte. Er sagte, er habe dich getroffen, mit dir geredet, und dass du anders seist. Ich lachte ihn aus. Ich habe ihm gesagt, man könne einen Werwolf nicht zähmen, ebenso wenig, wie man den Mond daran hindern kann, zu wachsen und zu schrumpfen.
Als ich dich kennen lernte, war ich von dem Gedanken besessen, ihm das zu beweisen - aber ich konnte es nicht. Du warst genauso, wie er es gesagt hatte. Und so musste ich langsam alles überdenken, was ich je über Werwölfe gedacht hatte. Hatte ich all die Jahre falsch gelegen? Waren vielleicht doch nicht alle Werwölfe blutrünstig und gefährlich?
Ich denke oft an die vielen Werwölfe, die ich über die Jahre hinweg getötet habe, und dann sehe ich dich an und ich frage mich ... Wie viele unschuldige Leben habe ich zerstört? Wie viele gute Männer und Frauen habe ich ermordet? Wie viele dieser Menschen hatten den Tod wirklich verdient? Waren sie alle wirklich so, wie dieser eine Junge am Ende? War auch nur ein einziger von ihnen so? Oder waren die meisten doch viel mehr wie du? Trug dieser Junge wirklich die Schuld daran, was aus ihm geworden war? Mit welchem Recht hatte ich ihm das Leben genommen? Wäre er ein guter Mensch gewesen, wenn ihm nur jemand etwas Freundlichkeit gezeigt hätte?"
Er ließ Remus los und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück, blieb aber mit dem Rücken zu dem Jungen stehen. Seine Schultern schienen eingefallen, seine Stimme klang sehr heiser.
"Diese Fragen quälen mich, seit ich dich kennen gelernt habe. Seit sieben Jahren trage ich diese Last mit mir herum und lange Zeit war ich fest entschlossen, dass du es niemals erfahren solltest. Jetzt, da du alles weißt, werde ich es verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst."
Remus zögerte, dann trat er wieder an seinen Stuhl heran und legte seine Hand auf die Rückenlehne.
"Sie haben sicher immer nur getan, was sie für richtig hielten, Sir", sagte er.
Professor Darkhardt lachte schnaubend und drehte sich um.
"Ich wollte nicht dein Mitleid, Remus", sagte er trocken. "Gott weiß, dass ich es nicht verdient habe. Ich wollte dir nur zeigen, dass Menschen ihre Meinung ändern können. Ich wüsste niemanden, der Werwölfe mehr gehasst hat als ich. Und doch stehe ich vor dir und mache mir Vorwürfe und bin entschlossen, mich nie wieder von Vorurteilen leiten zu lassen. Wir hassen und fürchten nur, was wir nicht kennen, Remus. Und wer dich kennt, weiß auch, dass es lachhaft wäre, dich zu fürchten."
"Jetzt reden Sie von Heather." Remus runzelte die Stirn.
"Vielleicht. Ich will dich weder zwingen noch überreden, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich will nur, dass du bedenkst, dass sie - wie ich - nur etwas verabscheut, das sie nicht richtig versteht. Wenn sie wüsste, dass die Kreatur, vor der sie sich fürchtet, in einem Menschen wie dir versteckt sein kann - einem Menschen, den sie als einen Freund, vielleicht sogar als mehr kennt - dann könnte sie vielleicht lernen, ihre Angst zu überwinden. Aber es ist dein Geheimnis und somit kannst auch nur du entscheiden, ob du es bewahren oder teilen willst."
Remus dachte kurz darüber nach.
"Ja, Sir. Ich danke Ihnen für Ihre Ehrlichkeit und - ich weiß Ihre Sorge zu schätzen."
Professor Darkhardt nickte nur und sah Remus nach, als er den Raum verließ. Er setzte sich in seinen Stuhl und nahm eine goldene Taschenuhr hervor. Früher hatte er eine aus Silber besessen, aber die hatte er vor einiger Zeit vernichtet, zusammen mit allem anderen Silber, was er besessen hatte. Er hasste Silber, hasste es wegen dieser funkelnden, silbernen Dolche, die er früher getragen hatte. Er starrte auf das Ziffernblatt der Uhr, ohne es zu sehen. Er wusste nicht, wie spät es war. Aber es kam ihm sehr spät vor.
Er war müde, aber das war heutzutage nichts Ungewöhnliches. Und er fühlte sich alt, so viel älter als er war. Er lehnte den Kopf an und schloss die Augen. Wie so oft sah er unzählige wilde Bestien mit breit geöffneten Mäulern, spitze Zähne im Mondschein, nie endende Schreckensvisionen. Und das Gesicht dieses armen, halb verrückten Jungen, der einen Psalm rezitierte, während er mit ausgestreckten Krallen vorstürmte.
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9 - Immer Ärger mit Sirius
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Eine Woche später trat Sirius in die ersten richtigen Sonnenstrahlen des Jahres und atmete tief durch. Nach einer Doppelstunde Zaubertränke im dunklen, feuchten Verlies war die frische Luft genau das Richtige. Er hörte Mädchen lachen und drehte den Kopf. Florence und Gemma kamen ihm mit einer Gruppe von Freundinnen über den Rasen entgegen.
"Oh, hallo Sirius", sagten sie, als sie ihn erreichten.
"Hi", antwortete er, und viele der jüngeren Mädchen kicherten und flüsterten.
"Was ist mit euren Freundinnen los?" fragte Sirius Gemma und Florence, während die anderen Mädchen wieder loskicherten.
"Ach, nichts", sagte Florence locker. "Wir haben nur über Jungs geredet und ..." Sie zuckte die Schultern.
"Flossie hat gesagt, dass sie dich unheimlich attraktiv findet", meinte Gemma. Florence stieß ihr in die Rippen.
"Oh, das hast du gesagt?" sagte Sirius amüsiert. Florence wurde rot.
"Sie hat gesagt, vom Klang deiner Stimme kriegt sie eine Gänsehaut", warf eins der jüngeren Mädchen ein.
"Haltet ihr jetzt endlich mal den Mund!" rief Florence. Die anderen Mädchen kicherten und Sirius lachte.
"Wir sollten zum Unterricht gehen", sagte Gemma plötzlich, als sie auf die Uhr sah.
Die anderen stimmten ihr zu. Sirius und Florence eilten zum Zauberkunst-Unterricht. Keiner von beiden sagte etwas, aber Sirius grinste immer noch vor sich hin. Während des Unterrichts, als alle anderen damit beschäftigt waren, Kissen und schwerere Gegenstände fliegen zu lassen, schickte Sirius ein Stück Pergament quer durch den Raum. Mit glühend roten Wangen nahm Florence es entgegen und las es, wobei sie noch mehr errötete. Sie sah sich unruhig um, dann nickte sie Sirius zu und er lächelte. Bertha Jorkins saß in der Ecke neben Damian und beobachtete das Geschehen eifersüchtig. Sie beschloss, Florence heute Nacht gut im Auge zu behalten.
Ihre Neugier wurde belohnt. Sobald sie glaubte, alle anderen würden schlafen, zog Florence sich wieder an. Bertha tat, als würde sie schlafen, doch kaum war Florence hinausgegangen, da stand auch sie auf, schnappte sich einen warmen Umhang und schlich sich aus dem Hufflepuff-Schlafsaal und durch den Gemeinschaftsraum. Auf Zehenspitzen kroch sie den Flur entlang und folgte Florences Schritten. Wie ein Schatten huschte sie ihr durch die Eingangshalle nach, dann musste sie etwas zurückbleiben.
Vor dem Schloss war zu viel freies Gelände. Dies hatte zwar den Nachteil, dass sie erst einmal nicht weiter konnte, dafür konnte sie aber alles gut beobachten, was hier vor sich ging. Der Mond und die Sterne leuchteten hell, und so sah sie nicht nur Florence, sondern eine weitere Gestalt, die auf sie wartete. Berthas Herz klopfte vor Wut und Eifersucht. Sirius Black - groß, attraktiv und so herrlich schelmisch wie immer - wartete dort unter dem strahlenden Sternenhimmel auf diese dürre kleine Florence Fortescue.
Bertha sah zu und kochte innerlich, als er Florence bei der Hand nahm und sie in Richtung der Gewächshäuser führte. Sie wartete, bis die beiden nicht mehr zu sehen waren, dann schlich sie sich hinterher. Als sie näher herankam, hörte sie leise Stimmen; Florence klang halb besorgt, halb aufgeregt, Sirius' Stimme war ruhig und überzeugend - obwohl Florence nicht viel Überzeugung zu brauchen schien.
"A-aber ich dachte ... du und Aurora ...", sagte sie. Sirius schnaubte.
"Nach dem, was sie mit mir gemacht hat? Nein, danke. Wenn ich eins nicht leiden kann, dann wenn jemand in meinem Kopf rumstochert."
"Sirius ...", setzte Florence an, aber weiter kam sie nicht.
Was auch immer sie hatte sagen wollen, es wurde unterdrückt. Bertha lehnte sich vor, spähte um das Gewächshaus herum und verzog im Dunkeln das Gesicht. Sirius hatte Florence in die Arme geschlossen und küsste sie. Bertha zitterte vor Wut. Sie drehte sich so abrupt um, dass sie einen Blumentopf umstieß. Nervös schrak sie zusammen und rannte dann weg, so schnell sie konnte, gerade als Sirius hervorkam, um nachzusehen.
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Remus hatte alles versucht, aber er konnte nicht leugnen, dass ihm die Zeit fehlte, die er samstags mit Heather verbracht hatte. Er hatte ihr gesagt, dass er Zeit zum Lernen brauchte, was auch zum Teil der Wahrheit entsprach, aber dennoch konnte er sich heute Morgen nicht auf seine Bücher konzentrieren. Er dachte daran, was Professor Darkhardt ihm erzählt hatte, und etwa eine Viertelstunde lang stellte er sich vor, wie er Heather die Wahrheit erzählte, wie sie ihm versicherte, dass es ihr egal sei, wie sie sogar einen Irrwicht mit Leichtigkeit davontrieb ... dann aber sah er sie wieder an jenem Morgen im Klassenzimmer und ihm wurde kalt ums Herz.
Ihr zu sagen, was er war, war ebenso unmöglich, wie aus diesem Leben zu entkommen, in dem er gefangen war. Es wurde Zeit, dass er sich damit abfand und sein Leben weiterlebte. Er musste sich auf die paar Freunde konzentrieren, die er hatte und die ihn nie verlassen würden. Er musste ihnen mit aller Kraft zeigen, dass sie sich auf ihn verlassen konnten, und eines Tages vielleicht einen Weg finden, sich für ihre Freundschaft erkenntlich zu zeigen, indem er irgendetwas bewirkte, irgendwie.
Remus sah sich in der Bibliothek um und verspürte einen plötzlich Drang nach Platz und Luft. Er schloss das Buch, das vor ihm lag, packte seine Tasche und ging nach draußen, wo er auf die Bank am See zusteuerte. Doch als er näherkam, sah er, dass dort schon jemand saß. Er sah nur einen rotbraunen Hinterkopf und wollte schon umkehren, als er etwas hörte, das wie ein unglückliches Schniefen klang. Obwohl er sich selbst nicht gerade besonders munter fühlte, konnte er nicht einfach weggehen, wenn jemand traurig war. Also ging er weiter auf die Bank zu und ignorierte die Tatsache, dass Auroras Augen rot und geschwollen wirkten, als sie zu ihm aufblickte.
"Guten Morgen", sagte er, als habe er nichts bemerkt. "Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze? Ich versuche schon seit dem Frühstück zu lernen, aber ich kann mich drinnen einfach nicht konzentrieren."
"Selbstverständlich. Setz dich ruhig", antwortete sie und versuchte dabei, fröhlich zu klingen. "Ich denke, ich habe jetzt lange genug allein hier gesessen und mich selbst bemitleidet."
"Du hast dich selbst bemitleidet?" fragte er höflich, während er sich setzte.
"Ja. Ist das nicht dumm?"
"Hm, um das zu beurteilen, müsste ich erst wissen, weshalb du dich selbst bemitleidest", bemerkte er und stellte seine Tasche auf den Boden.
"Na ja, ich ... glaube kaum, dass du es verstehen würdest."
"Vielleicht nicht. Andererseits habe ich mich auch schon mal selbst bemitleidet, also ... wollen wir's nicht einfach mal versuchen?"
Aurora betrachtete ihn still, als wolle sie abschätzen, ob er sie auslachen würde.
"Na schön", sagte sie endlich. "Es ist wegen Sirius."
Sie hielt inne und wartete ab, wie Remus reagieren würde - ob er überrascht wäre, es lächerlich fände, oder nicht so über seinen Freund sprechen wollte. Aber er nickte nur. Dadurch ermutigt fuhr Aurora fort. Schon bald hatte sie ihm alles erzählt, was sie auf dem Herzen hatte: dass es ihr Leid tat, was sie versehentlich getan hatte; dass sie verstehen konnte, dass Sirius sich bei all seinem Stolz gedemütigt gefühlt hatte; dass er seitdem nicht mit ihr gesprochen hatte und dass sie deswegen so traurig sei. Remus saß schweigend neben ihr, er sah sie nur verständnisvoll an.
"Und ich weiß einfach nicht, was ich jetzt machen soll, Remus", schloss sie endlich.
"Hast du mal versucht, mit ihm zu reden?"
"Ja, aber ich kann ihn nie allein erwischen, und wenn andere dabei sind, ignoriert er mich einfach. Es wäre halb so schlimm, wenn er einfach nur wütend wäre, aber dieses Schweigen ist die Hölle."
"Er hat überhaupt keinen Grund, auf dich wütend zu sein. Was da passiert ist, war bestimmt nicht deine Schuld. Du solltest dir deswegen keine Vorwürfe machen. Ich weiß, so etwas ist nicht leicht, aber du musst versuchen, diese Schuldgefühle zu überwinden."
"Sirius gibt mir aber die Schuld dafür."
Remus sah sie von der Seite an. Sie hatte die Augen hoffnungsvoll auf ihn gerichtet. Er seufzte schwer und sagte ganz vorsichtig:
"Aurora - Sirius weiß, dass du nichts dafür konntest. Doch, wirklich. Er ist ja nicht dumm. Gut, sein Stolz mag verletzt sein, aber das ist kein Grund, dir das Leben schwer zu machen. Ich denke ..."
Er wirkte besorgt, als wolle er lieber nichts weiter sagen.
"Was denn?"
"Ich denke, Sirius kämpft gerade ganz schön mit sich selbst. Es geht glaube ich nicht wirklich darum, ob er dir vergeben soll oder nicht, nur ... Er ist so ruhelos."
"Wie meinst du das? Glaubst du, dass das Ganze für ihn nur eine Ausrede ist, um mit mir Schluss zu machen? Denkst du, dass er mich nicht ... dass ...?"
Sie brachte ihre Frage nicht zu Ende, aber in ihren Augen waren deutlich Tränen zu sehen.
"Aurora", sagte Remus sanft und nahm ihre Hand. "Ich denke schon, dass Sirius etwas für dich empfindet. Sehr viel sogar. Und genau da liegt das Problem. Du kennst ihn doch mindestens so gut wie ich. Wenn man in Schwierigkeiten steckt, könnte man keinen besseren Freund als ihn bei sich haben, aber wenn ihm eins Angst macht, dann der Gedanke an eine Beziehung wie die, von der er glaubt, dass du sie eines Tages willst. Er hat Angst vor ..."
"Vor Ernsthaftigkeit", beendete sie seinen Satz mit einem traurigen Lächeln. "Verliebt sein ist schön, solange es nur ein Spiel bleibt. Aber wenn er an dich denken soll, wenn du gerade mal woanders bist, oder wenn er mehr als zwei Jahre lang nur mit dir ausgehen soll, oder wenn du ihm drohst, dass deine Gefühle ein Leben lang halten werden, dann macht es ihm Angst. Dann ist er wie ein Tier im Käfig. Er will nicht angekettet sein, er will jederzeit weglaufen können, und dazu ist ihm jede Ausrede recht."
Remus lächelte.
"Du hast meine Gedanken gelesen."
"Ja, das habe ich", gab sie schuldbewusst zu, aber Remus beschwerte sich nicht.
"Was soll ich nur tun, Remus?"
"Das fragst du mich? Hast du nicht mitbekommen, was aus meiner ersten ...", er zögerte und schloss dann heiser: "Was aus meiner ersten Romanze geworden ist?"
"Ja, das frage ich dich. Weil keiner Sirius so gut kennt wie du - außer James, natürlich. Weil ich weiß, dass du deinen Rat gründlich überdenken und nicht bloß eilig dahinsagen wirst. Und, um ehrlich zu sein, weil du gerade hier bist und ich niemanden sonst habe."
"Was ist mit Lily?"
"Lily ist für so etwas völlig ungeeignet. Sie ist verrückt nach James und er hat seine Gefühle auch nie versteckt. Sie hat doch keine Ahnung, was Probleme sind. Aber du ..."
"Was?"
"Ich weiß nicht ganz. Irgendwie ist es etwas anderes, mit dir zu reden. Schließlich weißt du, wie es ist, ein Problem zu haben."
"Oh ja, mit Problemen kenne ich mich aus."
"Bitte hilf mir, Remus. Sag mir, was ich tun soll."
Schließlich nickte er.
"Ich denke, du hast zwei Möglichkeiten. Erstens: Es mag dir zwar schwer erscheinen, aber du könntest Sirius vergessen und dir jemand anderen suchen, der ernster ist und mehr so, wie du ihn haben willst. Zweitens: Riskiere es; verlass dich drauf, dass ich Recht habe und er doch mehr für dich empfindet, als er selbst zugibt; rede mit ihm und zwinge ihn, einmal ehrlich zu dir zu sein, was es auch bedeutet."
"Das klingt so einfach. Ich bin schön öfter daran gescheitert, ernsthaft mit Sirius zu reden, aber trotzdem ... Ich muss es wohl noch ein letztes Mal versuchen. Aber wie erwische ich ihn alleine?"
Remus lächelte. "Ich hätte da einen Plan."
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James nahm Lily bei der Hand, als sei nichts dabei. Er spürte, wie ihre Finger leicht zitterten, und lächelte ihr zu. Sie erwiderte sein Lächeln und ihre grünen Augen funkelten. Sie hatte heute Morgen lernen wollen, aber als James zu ihr gekommen war und sie zu einem Spaziergang eingeladen hatte, hatte sie die Koboldaufstände irgendwie komplett vergessen und einfach nur 'ja' gesagt. Es war so ein schöner Morgen.
"Wohin möchtest du gerne?" fragte James.
"Das ist mir eigentlich egal. Vielleicht zum See?"
Sie machten sich auf den Weg, aber schon bald sahen sie zwei Gestalten auf der Bank, die sich an der Hand hielten und die Köpfe zusammengesteckt hatten.
"Gehen wir lieber woanders hin", sagte James, aber Lily blieb stehen.
"James", sagte sie verblüfft. "Das sind Aurora und Remus."
"Was? Nein, das kann nicht sein." James sah noch einmal hin, polierte seine Brille, setzte sie wieder auf und blinzelte im Sonnenlicht. Irgendwie war ihm unbehaglich um die Magengegend.
"Oha", murmelte er. "Da wird Sirius ja begeistert sein."
Aber Lily schüttelte den Kopf, sie schien verwirrt.
"Es muss eine Erklärung geben."
"Oh, bestimmt gibt es eine. Remus ist wegen Heather betrübt und Aurora ist traurig, weil Sirius seit einem Monat sauer auf sie ist. Ich mag gar nicht daran denken, was er sagt, wenn er's erfährt."
"Als ob er ein Recht hätte, überhaupt etwas zu sagen", bemerkte Lily.
"Was soll das denn heißen?"
"Ach, komm schon, James! Ich weiß, er ist dein bester Freund, aber selbst du kannst doch nicht abstreiten, dass er mit jedem Mädchen flirtet, das ihm über den Weg läuft."
"Na und? Warum auch nicht? Das ist doch alles bloß Theater, er interessiert sich nicht wirklich für die anderen. Warum soll er nicht ein bisschen Spaß haben?"
"Schön, und warum sollte Rory dann nicht mit Remus auf einer Bank sitzen?"
"... und Händchen halten?"
Lily schüttelte den Kopf. "Ich bin sicher, die ganze Geschichte ist anders, als es aussieht. Rory ist richtig verknallt in Sirius, und Remus würde sich da doch nie einmischen ... Ich rede mit ihr, sobald ich kann. Und du redest mit Remus - versprich mir, dass du's tust, bevor du Sirius irgendwas erzählst."
"Meinetwegen", lenkte James widerwillig ein und ließ sich wegführen.
Sie wanderten lange ziellos umher. Es war schon fast Mittag, als sie sich auf einen alten Baumstamm setzten und zum Schloss sahen. Nur die Peitschende Weide störte den Blick und Lily schauderte etwas.
"Was hast du?" fragte James.
"Ich wüsste nur zu gern, weshalb sie diesen grässlichen Baum da gepflanzt haben. Ich finde ihn unheimlich."
"Soweit ich weiß, ist er ziemlich wertvoll."
"Wertvoll? Das Ding? Hast du nicht gehört, dass er Davey Gudgeon beinahe ein Auge gekostet hätte?"
"Na ja, er hat versucht, die Weide zu pieken, oder nicht? Man könnte sagen, der Baum hat in Notwehr gehandelt."
Lily runzelte die Storn. "Erinnerst du dich an Fortuna Tripp?"
"Du meinst die, die sich für die nächste Trelawney hielt? Klar."
"Also sie hat mir mal gesagt, dass die Peitschende Weide gar nicht so steinalt ist, wie sie aussieht. Sie wurde erst in dem Jahr gepflanzt, als wir hierher kamen. Wusstest du das?"
"Ja, das hab ich gewusst", sagte James widerwillig. "Aber lass uns jetzt keinen Herbologieunterricht machen. Lass uns über was Schöneres reden."
Lily sah ihn mit ihren grünen Augen an.
"Was denn?"
James suchte eilig ein Thema. "Ähm ... Hogsmeade."
"Wir hatten eben erst ein Hogsmeade-Wochenende."
"Ja klar, aber ich rede nicht von Hogsmeade-Wochenenden. Sag mal, Lily, hast du Hogsmeade schon mal nachts gesehen?"
"Nein!" rief sie erschrocken. "Natürlich nicht. Wir dürfen das Gelände doch nachts nicht verlassen, das wäre zu gefährlich. Der Verbotene Wald allein steckt doch schon voller unfreundlicher Zentauren, ganz zu schweigen von Riesenspinnen und Werwölfen ..."
"Aber nur bei Vollmond", platzte es aus James heraus.
Er hatte so plötzlich geantwortet, dass Lily fast erschrak.
"Also", fing James an, um schnell wieder das Thema zu wechseln. "Kommst du irgendwann mal nachts mit mir nach Hogsmeade?"
"Nein!" sagte Lily, die völlig entsetzt schien, dass er so etwas Regelwidriges vorgeschlagen hatte.
James seufzte. "Schade. Du hast keine Ahnung, was du dir da entgehen lässt. Die funkelnden Lichter im Dorf, der Sternenhimmel, die Höhlen ... und du interessierst dich doch für Runen, oder?"
"Ja, woher ..."
"Remus sagt, du bist in Alte Runen die Beste."
Lily errötete leicht.
"Jedenfalls gibt es um die Höhlen rum jede Menge Ruhnen, die man nur bei Mondschein sehen kann. Und dann diese eine Stelle ... Das musst du sehen, um es zu verstehen."
Lily sah versucht aus, aber sie schüttelte den Kopf. "Außerhalb von Hogwarts ist es nicht sicher, ganz besonders nicht nachts. Wenn es nicht unbedingt sein muss, werde ich die Sicherheit dieser Mauern nachts nicht verlassen ... und ich wünschte ..."
"Was?"
"Dass du es auch nicht tun würdest."
James zog die Stirn zusammen. "Du willst, dass ich Abenteuer und Spaß aufgebe?"
"Nein", sagte Lily, und das Licht der inzwischen viel tiefer stehenden Sonne spiegelte sich in ihren Augen wider. "Ich will nur nicht, dass dir was passiert."
Sie sagte es hastig und schüchtern und James musste lächeln.
"Wie lange kennen wir uns jetzt?"
"Sieben Jahre, natürlich."
James nickte. "Sieben Jahre. Ich erinnere mich noch an das allererste Mal, dass du etwas gesagt hast. Es war am ersten Tag, als wir den Hut aufsetzen mussten. Du hast 'Entschuldigung' gesagt und deine Augen waren grüner als alles, was ich je gesehen hatte. Und seitdem sehe ich sie ständig in meinen Träumen, Lily."
Er schwieg kurz und Lily starrte ihn an, ihre Lippen waren leicht geöffnet und fühlten sich trocken an. James wollte weitersprechen, fand aber keine Worte mehr. Er lehnte sich vor ...
"Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, Potter", sagte eine Stimme direkt neben ihnen. Beide erschraken und sahen sich um. Severus Snape lächelte auf sie herab.
"Severus! Du ..." setzte James an, aber Severus unterbrach ihn.
"Vermutlich habe ich dich soeben davor bewahrt, einen ganzen Mund voller Bakterien abzubekommen. Einen Mund voll Schlammblut-Dreck."
James war sofort auf den Beinen und hatte schon den Zauberstab gezogen, aber Lily war genauso schnell.
"James, nicht", bat sie.
"Ich sollte wohl nicht wirklich überrascht sein, dass du dir ein Schlammblut zur Freundin genommen hast", fuhr Severus fort. "Das passt zu dir. Du hast dir schon immer die schlechtesten Freunde ausgesucht. Schleimer, Rabauken, Halbbl..."
Er kam nicht weiter. James hatte seinen Zauberstab vergessen. Lily hielt die Hand, in der er ihn festkrallte, immer noch fest, aber seine andere Hand war frei und traf den größeren Jungen mitten am Kiefer. Severus wischte sich das Blut von der Lippe.
"Du solltest lernen, dich zu beherrschen, Potter", meinte er leise.
Lily trat einen Schritt vor, so dass sie zwischen ihnen stand.
"Deine kleine Schlammblut-Freundin scheint um dein Leben zu fürchten, Potter. Ob sie wohl immer noch so besorgt wäre, wenn sie wüsste, dass du und deine Freunde auch einmal keine Skrupel hattet, meins zu beenden? Vielleicht sollte ich ihr die Geschichte von unserem nächtlichen Abenteuer bei Gelegenheit erzählen."
"Oder vielleicht solltest du jetzt lieber gehen, bevor ich die Beherrschung ganz verliere", zischte James.
Severus lächelte erneut, machte kehrt und schritt über den Rasen davon. James steckte den Zauberstab wieder ein. Lily beobachtete ihn besorgt. Er wollte etwas sagen, aber ihm fiel nichts ein.
"Wollen wir zurück ins Schloss?" schlug Lily vor.
Sie machten sich schweigend auf den Rückweg und James war sehr dankbar, dass Lily ihn nicht fragte, was Severus gemeint hatte.
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10 - Bertha macht Ärger
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Remus und Aurora hatten sich die Mittagspause am Montag für die Ausführung des Plans ausgesucht. Remus klemmte sich nach Verteidigung gegen die Dunklen Künste die Tasche unter den Arm, räusperte sich und eilte Sirius hinterher, der als erster den Raum verließ.
"Ähm - Sirius?" setzte er an.
"Ja, was ist denn?" fragte Sirius und lächelte nebenbei einer Drittklässlerin aus Hufflepuff zu, so dass sie und ihre Freundinnen zu kichern begannen.
"Können wir reden?"
Sirius sah überrascht aus. "Meinetwegen, schieß los."
"Nicht hier, es ist ... privat."
Sirius wirkte immer erstaunter.
"Hier runter", schlug Remus unbeirrt vor und ging voran, die große Treppe hinunter, einen leeren Gang entlang. Sirius folgte ihm und wunderte sich, was nur los sein konnte. Sie kamen um eine Ecke und Sirius blieb wie angewurzelt stehen. Aurora stand dort und es war offensichtlich, dass sie die beiden erwartet hatte.
"Was wird denn hier gespielt?" wollte Sirius wissen.
"Wir sehen uns später", sagte Remus und wandte sich zum Gehen.
"Vonwegen. Ich komme nämlich jetzt gleich mit zum Essen", sagte Sirius.
Remus legte ihm die Hand auf die Brust, um ihn aufzuhalten.
"Sie will nur reden, Sirius. Also hör ihr zu, ja?"
Sirius funkelte ihn mürrisch an, aber endlich nickte er dann doch. Remus warf Aurora ein aufmunterndes Lächeln zu und eilte davon. Sirius wandte sein immer noch mürrisches Gesicht dem Mädchen zu.
"Also dann, fang an", forderte er sie nach einer langen, unangenehmen Pause auf.
"Sirius", fing sie an und schimpfte insgeheim mit sich selbst, dass ihre Stimme so schwach klang. "Hör zu, wegen neulich ... was da passiert ist ... was ich getan hab ... es tut mir Leid", stammelte sie, und dann flossen die Worte auf einmal wie ein Wasserfall.
"Ich wollte nicht, dass das passiert, ich weiß nicht mal, wie ich es gemacht habe. Ich hatte keine Ahnung, dass ich so stark bin. Wenn ich es gewusst hätte, dann wäre ich vorsichtiger gewesen, ich hätte es nie dazu kommen lassen. Ich wollte dir nicht wehtun, Sirius, oder dich so vor allen Leuten bloßstellen. Es war nur ein Unfall, ich konnte nichts dafür, und ich bin seitdem nur unglücklich gewesen, weil du nicht mit mir reden wolltest und mir aus dem Weg gegangen bist und du ... du fehlst mir. Ich musste einfach mit dir reden und alles erklären, und du darfst Remus deswegen nicht böse sein, er hat nur gesehen, wie ich am Samstag unten am See geweint habe, und er will doch nur helfen und ..."
Sie machte eine Pause, um Luft zu holen, und bemerkte nicht einmal, dass Sirius längst nicht mehr so düster dreinschaute.
"Ich weiß, du hasst mich jetzt, und das ertrage ich nicht", redete Aurora weiter.
Aber Sirius lächelte.
"Red doch keinen Unsinn, Schönheit. Klar war ich sauer, aber du kennst mich doch. So was hält bei mir nicht lange. Also alles vergeben."
Aurora schluckte, sein plötzlicher Stimmungswandel erschreckte sie fast.
"Du - wirklich?"
"Aber sicher doch", meinte er fröhlich.
Aurora starrte ihn an. "Ich ... weiß gar nicht, was ich sagen soll."
"Na, das ist mal was Neues. Lief doch bisher ganz gut mit dem Reden. Du hast was gesagt, wie war das noch gleich, dass ich dir gefehlt hab oder so?"
Sie lächelte. "Ja, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, weswegen, du Schuft!"
"Schuft?"
"Du hast mich einfach glauben lassen, dass du mich für den Rest deines Lebens hassen wirst oder sonst was. Das war ungerecht! Du weißt doch, wie sehr ich ..."
"Mach weiter", neckte Sirius. "Wie sehr du ... was? Mich liebst, mich brauchst, mich vergötterst? Tun sie das nicht alle?" scherzte er.
"Du bist manchmal einfach unmöglich arrogant, weißt du?" Aurora lachte. "Du tust ja gerade so, als würde jedes Mädchen dich sofort nehmen, wenn du nur mit den Fingern schnipst."
Sirius grinste breit und hob die Hand. "Was, so ungefähr?" Er schnipste. "Komm her, Rory."
Aurora kam näher, immer noch lächelnd, und Sirius nahm sie in die Arme und küsste sie mit mehr Wärme und Zuneigung, als sie je von ihm gespürt hatte.
"Weißt du, Schönheit, du bist doch die Einzige für mich", flüsterte er. "Ich könnte keine andere so halten."
Aurora spürte seinen Atem auf ihrer Wange und schloss die Augen. Einen wunderbaren Augenblick lang glaubte sie, es endlich geschafft zu haben - Sirius war ausnahmsweise ernsthaft, und so gefiel er ihr sogar nich besser. Er küsste sie noch einmal, aber in diesem Moment erschien noch jemand, ein rundes Gesicht, das um die Ecke lugte.
"Oh, hallo", sagte Bertha Jorkins so laut und so plötzlich, dass Sirius Aurora vor Schreck beinahe grob von sich stieß. "Sieh mal an, Sirius, ich muss schon sagen, ich bin enttäuscht von dir. Du treibst dich ganz schön rum, was?"
"Ach, hau ab, Bertha", meinte er sorglos.
"Abhauen soll ich? Oh nein, das denke ich nicht", fuhr sie mit honigsüßer Stimme fort. "Ich finde, zuerst sollte ich der lieben Aurora eine kleine Geschichte erzählen."
"Wovon redest du?" fragte Sirius ungeduldig.
Bertha zuckte die Achseln. "Ich hab nur gedacht, sie interessiert sich vielleicht dafür, dass ich letzten Donnerstag nachts noch spazieren war. Weißt du, ich konnte nicht schlafen, und da bin ich zu den Gewächshäusern gelaufen ..."
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"Ah, das hat gut getan", seufzte James nach dem Mittagessen und ließ sich auf dein Bett fallen.
Remus lächelte und lehnte sich an sein Kopfkissen.
"Ja. Ich hätte fast Lust, den Rest des Tages hier zu bleiben, anstatt heute Nachmittag noch zu Zaubertränke zu gehen."
James nickte und es folgte eine unbehagliche Stille. James wusste auch genau, weshalb sie unbehaglich war. Seit er Lily sein Wort gegeben hatte, es zu tun, hatte er ein Gespräch mit Remus gemieden, und daher war sein Versprechen ihr gegenüber zu einer immer größeren Last geworden. Er rang sich dazu durch, jetzt sein Schweigen zu brechen, da sie gerade allein waren.
"Hör mal, ich hab dir was zu sagen, und ich hoffe, du bist jetzt nicht beleidigt oder denkst, ich wollte mich einmischen oder so."
"Warum sollte ich das denken?"
"Na ja, es ist nicht gerade einfach, das zu sagen, aber ..." Er holte tief Luft. "Lily und ich haben dich am Samstag mit Aurora beim See gesehen", schloss James, als erkläre das alles. Aber Remus sah ihn nur fragend an.
"Ach so?"
James war verdutzt. Er wusste nicht recht, was er erwartet hatte - einen schuldbewussten Blick, Trotz, ein Zeichen von Verletzsein - aber ganz sicher nicht, dass es Remus anscheinend nicht im geringsten bekümmerte.
"Also", fuhr James zögerlich fort. "Es war nur ... Ich war etwas ... überrascht. Ich meine klar, zwischen dir und Heather ist es aus, aber ..."
Remus' Gesicht verdunkelte sich leicht, aber er sagte nichts.
"Und dann Aurora. Ich weiß ja, Sirius reißt viele Witze und guckt auch mal gerne anderen Mädchen hinterher, aber ... weißt du, ich glaube schon, dass sie ihm was bedeutet, und ich denke, sie ... Jedenfalls hätte ich nie gedacht, dass du und sie ... na, du weißt schon."
Einen Moment lang bildete sich eine Falte zwischen Remus' Augenbrauen, wie er sie immer bekam, wenn er über etwas grübelte. Dann schien er endlich zu verstehen und er fing an zu lachen, so dass James ihn nur leer anstarren konnte.
"Tut mir Leid", sagte Remus und unterdrückte sein Lachen mit einer Hand. "Aber du solltest mal dein Gesicht sehen. Krone, du siehst so betrübt aus, dass man meinen könnte, es wäre jemand gestorben. Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Aurora und ich haben nur geredet, nichts weiter. Ich weiß, das klingt wie eine schwache Ausrede, aber es ist wahr. Ich wollte zum See, um zu lernen. Da hab ich sie gefunden, sie hatte wegen Sirius geweint und ich wollte sie trösten. Du kannst sie selbst fragen, wenn du mir nicht glaubst - es sei denn, die Aufgabe hat Lily schon übernommen", erriet er richtig. "Aurora ist jetzt unten bei Sirius und wenn mein Plan funktioniert hat, sind sie wieder glücklich vereint."
"Dein Plan?" fragte James verblüfft.
"Ich habe Sirius erzählt, ich wolle unter vier Augen mit ihm sprechen, damit ich ihn an einen ruhigen Ort locken konnte, wo ich ihn dann mit Aurora allein gelassen habe, damit er sich ihre Entschuldigung anhört und sie sich wieder versöhnen."
"Oh", sagte James. Er seufzte erleichtert und lächelte dann. "Moony, es tut mir Leid. Ich hätte wissen müssen, dass du dich nie in ein Mädchen vergucken würdest, das eigentlich zu einem deiner besten Freunde gehört. Verzeihst du mir?"
"Aber sicher." Remus lächelte ebenfalls und lehnte sich dann vor. "Und was wolltest du mit Lily am See?"
James wollte Remus gerade erzählen, was an jenem Samstag passiert war, als die Tür lautstark aufflog und Sirius wie eine Gewitterwolke hereinplatzte.
"Wollte euch nur sagen, dass ich nachher nicht zum Unterricht komme. Ich geh eine Runde spazieren", verkündete er. "Oh, und Moony, es interessiert dich vielleicht, dass dein Geistesblitz daneben gegangen ist."
"Wie meinst du das? Was ist denn passiert?" fragte Remus besorgt.
"Bertha Jorkins ist passiert", spuckte Sirius heraus. "Sie ist reingeplatzt, als wir gerade ... egal. Jedenfalls hat sie Aurora von Donnerstagnacht erzählt."
Remus warf James einen Blick zu, doch er zuckte mit den Schultern.
"Wieso, was war denn Donnerstag?"
"Florence Fortescue", knurrte Sirius. "Bertha hat gesehen, wie ich sie hinter den Gewächshäusern geküsst hab."
"Oh nein", stöhnte James. "Das hast du nicht wirklich!"
"Doch. Tja, Bertha wird jedenfalls eine Woche lang niemanden mehr verpetzen. So lang braucht die Pomphrey mindestens, bis ihre Zähne nicht mehr klappern. Ich geh spazieren", wiederholte Sirius und marschierte wieder hinaus, wobei er die Tür zuknallte.
James schaute zu Remus hinüber, der das Gesicht in den Händen hatte.
"Es ist nicht deine Schuld, Moony", sagte er leise. "Du hast getan, was du konntest. Vielleicht verzeiht sie es ihm ja noch mal, wenn Sirius vernünftig genug ist, nicht gleich wieder dem nächstbesten Mädchen um den Hals zu fallen."
"Ich muss mit ihr reden", sagte Remus abrupt und stand auf.
"Remus, in zehn Minuten geht der Unterricht los."
"Halt mir einen Platz frei", bat Remus und ging hinaus.
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Aurora trat gegen einen Stein, den sie kaum wahrnahm, so dass er spritzend in den See fiel. Unter der schwarzen Wasseroberfläche rührte sich etwas, aber sie bemerkte es weder, noch hätte es sie interessiert. Sie kam sich gedemütigt und verraten vor, aber viel schlimmer noch war die Eifersucht. Sie war immer fest entschlossen gewesen, niemals eifersüchtig zu sein, aus welchem Grund auch immer, und ganz besonders nicht wegen Sirius. Hatte sie nicht immer gewusst, dass er viel Zeit brauchen wurde, bevor er mal zur Ruhe kam, falls er es überhaupt jemals konnte? Hatte sie nicht oft genug gesehen, wie er anderen Mädchen schöne Augen machte, wenn sie fast direkt neben ihm stand?
Aber Blicke waren etwas anderes als das. Sie hasste sich selbst dafür, aber immer wieder sah sie Sirius und Florence hinter den Gewächshäusern, und in ihr baute sich ein ungerechter Hass gegen Florence auf. Sie wollte schreien, aber sie konnte es nicht. Vor so kurzer Zeit noch hätte sie alles getan, um Sirius zurück zu gewinnen. Jetzt hatte sie das Gefühl, ihn nie wiedersehen zu wollen.
Sie hörte eilige Schritte auf dem weichen Rasen und blickte auf. Jemand kam ihr entgegen. Es war Remus.
"Aurora", sagte er, als er sie erreichte. Er sah traurig aus. "Ich habe eben Sirius gesehen. Es tut mir Leid."
Sie fing an zu nicken, aber die unterdrückten Tränen liefen ihr auf einmal über die Wangen und ehe sie es sich versah, hatte Remus sie in den Arm genommen und seine Schulter wurde immer nasser. Als sie sich etwas beruhigt hatte, führte er sie zur Bank und sie setzten sich.
"Ich weiß, es muss wehtun", sagte er sanft. "Aber du weißt, wie Sirius ist. Was mit ihm und Florence passiert ist, war nichts Ernstes. Es ist nur wegen seiner Ruhelosigkeit, es hatte nichts zu bedeuten."
Aurora versuchte, trocken zu lachen, aber es klang mehr wie ein unglückliches Schluchzen und sie schaute ihn durch einen Schleier aus Tränen an.
"Nein, es hatte nichts zu bedeuten. Bei Sirius hat nie etwas irgendetwas zu bedeuten. Für ihn ist doch alles nur ein Spiel, oder? Ein Lächeln bedeutet nichts, ein Kuss bedeutet nichts, und ich bedeute noch weniger ..."
"Das ist nicht wahr, das weißt du. Sirius tobt jetzt vor Wut, weil er weiß, was er für einen Fehler gemacht hat. Er weiß, dass er ein Mädchen wie dich nicht noch einmal findet."
Aurora schüttelte den Kopf.
"Es nützt nichts, Remus. Selbst wenn du Recht haben solltest, dann wird er sich doch nur wieder eine andere suchen, um ihn von seinem Kummer abzulenken, oder nicht?"
"Vielleicht", gab Remus zu. "Es sei denn, du bist schneller und verzeihst ihm den einen Fehler."
"Das kann ich nicht, Remus. Ich wünschte, ich könnte es. Aber wenn ich jetzt an Sirius denke, dann sehe ich ihn immer mit Florence ... und dann, wenn ich mir vorstelle, wir würden wieder zusammenkommen, dann sehe ich ihn wie an mich gekettet. Und das ist fast noch schlimmer als der Gedanke, ihn gehen zu lassen. Fast."
"Gib ihm noch eine Chance", bat Remus.
"Nein." Aurora seufzte. "Ich hab genug davon. Es ist nicht nur, weil er so leicht aufbrausend ist oder weil er immer mit anderen flirtet - er ist einfach zu ruhelos und ich denke, so wie die Dinge heutzutage stehen, brauche ich jemanden, der standfest ist und auf den ich mich verlassen kann. Jemanden ... jemanden, der mir guttut."
"Das kann Sirius auch. Ich weiß, es ist nicht immer leicht mit ihm, aber er ist ein guter Kerl. Ihr zwei schient immer so perfekt füreinander. Niemand versteht ihn besser als du."
"Nein, wohl nicht. Und ich glaube, auch das macht ihm Angst", sagte sie leise. "Aber es nützt alles nichts, Remus. Wir treffen alle Entscheidungen, die andere vielleicht für Fehler halten. Vielleicht werde ich mit der Zeit feststellen, dass das hier ein Fehler ist und dass ich mir durch Stolz und Eifersucht mein Leben ruiniere. Aber vielleicht finde ich doch noch jemanden, der mir die Ernsthaftigkeit und Sicherheit bieten kann, die ich immer von Sirius wollte."
Plötzlich lächelte sie.
"Du bist nicht zufällig zu haben, oder?"
Remus betrachtete sie, als sei er nicht ganz sicher, ob sie es ernst meinte oder nicht.
"Wenn ich nicht wüsste, dass du in Wahrheit doch immer noch Sirius willst, dann könnte ich vielleicht in Versuchung geraten. Und wenn ich nicht erst kürzlich beschlossen hätte, dass es jedem Mädchen ohne mich besser geht."
Auroras Lächeln hellte sich weiter auf.
"Siehst du, ich hab doch gesagt, wir haben alle ein Recht, törichte Entscheidungen zu treffen. Vielleicht werden wir eines Tages beide feststellen, dass wir Fehler gemacht haben." Sie seufzte und ihr Lächeln verschwand wieder so schnell, wie es gekommen war. "Aber bis dahin hast du natürlich Recht. Insgeheim will ich Sirius. Mein Problem ist nur, dass ich diese perfekte Vorstellung davon habe, wie er sein soll, aber ich kann ihn nicht in diese Form zwängen. Heute Mittag habe ich kurz geglaubt, ich könnte es. Aber wenn ich es könnte, würde ich ihn wohl nicht mehr mögen, denke ich. Klingt das sehr dumm?"
"Nicht im geringsten", sagte Remus und wieder seufzte Aurora. Sie blinzelte im Licht der Nachmittagssonne und lehnte sich an seinen Arm, um sich den Himmel anzusehen.
"Hast du jetzt nicht Zaubertränke?"
"Doch."
"Du kommst zu spät."
"Du auch."
"Ja", meinte sie unbekümmert. "Da hast du wohl Recht."
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11 - Die Wahrheit über James
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In den darauffolgenden Monaten versuchten Sirius' und Auroras Freunde immer wieder, sie zu überreden, sich doch wieder zu versöhnen. Aber ohne auch nur miteinander gesprochen zu haben schienen sie beide der Meinung zu sein, dass es besser sei, es gar nicht erst zu versuchen. Sirius blieb also solo - wenn man es so nennen kann, wenn jemand fast alle zwei Wochen eine neue Freundin für nur ein Wochenende hat - während Aurora seine Gesellschaft mied und immer mehr im Schloss blieb, wo sie mit jüngeren Schülern Schach spielte oder in der Bibliothek lernte.
Nur die Bibliothek und die Tatsache, dass alle jetzt mehr Zeit in das Lernen investierten, führten dazu, dass sie überhaupt wieder mit Sirius redete. Als die Prüfungen kurz bevorstanden, sprachen sie wieder beinahe normal miteinander und schafften es sogar, nett am selben Tisch zu sitzen und Zaubertränke-Unterlagen zur durchblättern.
Eine Woche vor der Prüfung waren alle äußerst nervös, und am letzten Hogsmeade-Wochenende mussten die Lehrer und Madam Pomphrey sie beinahe rauswerfen, um frische Luft zu schnappen. Viele Siebtklässler weigerten sich, aber einige folgten der eifrigen Horde jüngerer Schüler, die meisten von ihnen mit Schulbüchern unter dem Arm, die sie in Hogsmeade weiter studieren wollten.
Remus bestellte in den Drei Besen zwei Krüge Butterbier, zahlte und bedankte sich bei Madam Rosmerta. Dann nahm er sie mit zum Tisch am Fenster. Peter Pettigrew schaute von einem Pergament und einem dicken Buch auf.
"Hier", sagte Remus und hielt ihm einen Krug entgegen.
Peter dankte ihm und trank einen Schlunk.
"Danke, dass du mir hilfst, Remus", murmelte er, als Remus sich das Buch heranzog und ansah.
"Dank mir nicht zu früh", meine Remus, der die Stirn runzelte. "Ich habe dich gewarnt, dass ich Zaubertränke auch nicht sehr gut kann."
"Aber besser als ich."
Remus verkniff sich den Kommentar, dass das nicht viel heiße.
"Mein Vater bringt mich um, wenn ich durchfalle", fügte Peter hinzu.
Das Fältchen zwischen Remus' Augenbrauen vertiefte sich. "Ich verstehe immer noch nicht, wieso du dir überhaupt so ein schwieriges Fach ausgesucht hast."
"Du weißt doch, Dad will, dass einer von uns die Apotheke übernimmt. Pippa wollte nicht und Polly ... na ja. Also hat er nur mich."
"Und du willst etwas tun, was du hasst, nur um ihn nicht zu enttäuschen."
Peter sah ihn gequält an.
"Ich weiß, du verachtest mich bestimmt deswegen, Remus, aber ich hab einfach nicht soviel Mut wie du. Ich könnte mich nie gegen meinen Vater stellen. Ich weiß auch gar nicht, was ich sonst tun soll."
Remus betrachtete ihn ernst. "Unsinn, natürlich verachte ich dich nicht. Ich finde nur ..."
Doch da unterbrach ihn ein Schrei von draußen und einen Augenblick später flog die Tür des Lokals auf und Mary Crimple platzte herein. Sie zitterte vor Angst und einen Moment lang herrschte ein Aufruhr, während die Schüler und die Madam Rosmerta sich um sie herum versammelten, um sie zu fragen, was geschehen war. Remus bahnte sich einen Weg durch die vielen Drittklässler bis nach vorn und schaffte es, dass die anderen aufhörten, alle durcheinander zu reden.
"Also, Mary", sagte er und wandte sich ihr ruhig zu.
Sie packte ihn an der Schulter seines Gewandes, ihre Augen waren vor Schreck geweitet.
"Remus, sie ... sie ... Ich hatte keine Ahnung, wie schlimm sie sind. Mit Professor Darkhardt im Trockenen zu üben ist eine Sache, aber ... oh, Remus, sie sind so schrecklich!"
Er öffnete den Mund, um sie zu fragen, was sie meinte, doch dann zitterte er plötzlich, als hätte jemand ihm eiskalte Luft ins Gesicht gehaucht. Die Menge schwieg. Remus fühlte sich plötzlich kalt und deprimiert, als ob jedes Glück, was er je gekannt hatte, ihm entzogen würde. Er spürte, wie Mary zitterte und Peter neben ihn trat. Ein gewaltiger Schatten bäumte sich vor der Tür auf und es ertönte ein klapperndes Geräusch, das ihm eine Gänsehaut bereitete. Etwas saugte an der Luft, die es umgab.
"Was ist es?" flüsterte Peter.
"Dementoren", zischte Remus zurück.
Jemand keuchte. Mary sank tiefer, ihre Knie schienen nachzugeben. Remus zog sie wieder hoch und schob sie Stephen Ross in die Arme.
"Raus hier", flüsterte er eilig und holte seinen Zauberstab hervor. "Durch die Hintertür, los, schnell. Peter, führ sie zum Brunnen."
"Aber ... Remus", stammelte Peter, als die Tür sich schon öffnete.
"Beeil dich", drängte Remus. "Geht jetzt, ihr alle!"
Die anderen, halb wild vor Angst, folgten seinem Rat, während die Tür aufgestoßen wurde und der erste Dementor eintrat. Remus umklammerte fest seinen Zauberstab und dachte einen Moment lang ganz fest an den Augenblick vor einigen Jahren, als seine Freunde versprochen hatten, für ihn Animagi zu werden.
"Expecto Patronum!" schrie er und aus seinem Zauberstab schoss eine silbrige Rauchwolke.
Der Dementor stolperte rückwärts durch die Tür, er zog sich vor Remus's Patronus zurück, obwohl er so schwach war. Hinter sich hörte Remus die Rufe und eiligen Schritte der anderen, die zur Hintertür drängelten. Einen Moment lang dachte er daran, ihnen zu folgen, aber dann kam der Schatten des Dementoren wieder näher. Er musste ihn aufhalten, sonst würde keiner entkommen.
Entschlossen trat er zur Tür vor und öffnete sie. Er schritt hinaus ins Sonnenlicht und sah fünf Dementoren auf sich zukommen. Sie schienen wütend zu sein, dass er den ersten Angriff abgewehrt hatte.
"Expecto Patronum!"
Der silberne Rauch kam zurück und wehrte den ersten Dementoren ab. Ob es derselbe war wie vorher, wusste Remus nicht. Er wusste nur, dass sein Patronus viel zu schwach war, um es mit ihnen allen aufzunehmen. Ihm wurde kälter als je zuvor in seinem Leben. Der glückliche Gedanke, an den er sich geklammert hatte, flog davon. Wie sehr er sich auch bemühte, ihn wieder einzufangen oder sich auf andere glückliche Momente seines Lebens zu konzentrieren - die Einladung nach Hogwarts; seinen Vater, der ihm sagte, dass er ihn lieb hatte - immer entglitten sie ihm und er wurde stattdessen von albtraumhaften Bildern überflutet. Er sah sich selbst als kleinen, dürren Jungen, der qualvolle Schmerzen litt, während er sich in einen Werwolf verwandelte ... wie er wieder zum Menschen wurde und feststellen musste, dass er die Katze getötet hatte ... weitere Schmerzen, weitere Verwandlungen, mehr Schrecken, mehr Narben, die nie ganz verheilen würden ... sein Vater stritt sich mit seiner Großmutter und befahl ihr, nie wieder sein Haus zu betreten ...
Remus fühlte etwas Hartes unter seinen Knien und stellte entsetzt fest, dass es die Straße war. Er lag am Boden und schien doch immer weiter zu fallen. Ein verkrustete, verwesende Hand griff nach seinem Hals und weitere dunkle Gestalten kamen immer näher, so dass die Sonne sich verdunkelte.
Er hörte den rasselnden Atem seiner Angreifer, der immer lauter wurde, bis er kein anderes Geräusch mehr vernahm. Jetzt war es also vorbei. Es war kein leichtes Leben gewesen, aber ein kurzes. In diesem Moment, als das letzte bisschen Kraft ihn verließ und die Kälte wie eiskalte Wellen über ihn schwemmte, dachte Remus an seine Mutter, an ihre zarten, braunen Augen und ihr liebes Gesicht. Bald würde er sie nicht mehr kennen, aber sie würde ihn noch sehen können. Sie würde zu ihm kommen, zu ihrem Sohn, den sie liebte, aber es würde nichts mehr da sein, nur eine leere Hülle, ein Körper ohne Geist, ein atmender Leichnam ohne Sehle oder Herz. Er schloss die Augen und zitterte. Irgendwo da draußen in der Dunkelheit schrie eine rauhe Stimme Worte, die er zu kennen glaubte, auch wenn er sie nicht verstand.
"Expecto Patronum!"
Remus zwang sich, die Augen noch einmal zu öffnen. Ein riesiger, silberner Vogel kam auf ihn zugeflogen. Mit seinem Schnabel durchbohrte er den Dementoren ganz vorn und Remus fiel auf den Rücken. Die Sonne kam wieder, die Schatten, die sie verdeckt hatten, zogen sich schnell zurück, sie flohen vor dem silbernen Adler, so schnell sie nur konnten. Starke Arme griffen nach Remus und zerrten ihn auf die Beine.
"Lupin! Komm schon, Junge. Rede mit mir, geht es dir gut?" fragte Professor Darkhardt besorgt.
Die Kälte in seinen Adern schien nachzulassen, die düsteren Bilder verblassten. Remus nickte.
"Ja, ich ... ich denke schon."
Der schroffe alte Mann versuchte gar nicht erst, seine Erleichterung zu verbergen. Remus blickte zu ihm auf und versuchte zu lächeln, obwohl seine Knie drohten, ihn wieder im Stich zu lassen. Doch dann war er wieder wie angewurzelt.
"Professor!" rief er und zeigte an Darkhardts Schulter vorbei.
Der Lehrer drehte sich um. Es kamen noch mehr schwarze Gestalten auf sie zu, eine ganze Reihe davon. Aber es waren keine Dementoren, denn sie brachten nicht dieses Gefühl der Verzweiflung und Kälte mit sich. Es waren Menschen, Hexen und Zauberer in langen, schwarzen Umhängen mit Masken, in denen nur Schlitze waren, damit sie sehen und sprechen konnten.
Remus bemerkte nur vage, dass weitere Schüler aus den Häusern um ihn herum gekommen waren und dass viele von ihnen schrien, dass Darkhardt ihnen befahl, nach Hogwarts zu laufen, und dass sie alle kehrt machten und davonliefen. Remus' gesamte Aufmerksamkeit galt diesen Gestalten, die sich ihm und seinem Lehrer langsam näherten.
Einer von ihnen schien Remus besonders durchdringlich anzustarren. Seine Augen waren voller Hass und etwas an den langen, stolzen Schritten kam ihm bekannt vor. Er erinnerte sich an einen Jungen, der groß und blond gewesen war, attraktiv, aber arrogant. War das etwa ... Lucius Malfoy?
"Lupin", sagte Professor Darkhardt leise, "ich will, dass du mir das überlässt. Die Dementoren haben dich geschwächt, du hättest keine Chance gegen diese Leute. Geh jetzt, lauf den anderen hinterher, geht zurück zum Schloss."
"Aber ... Sir, Sie können sie unmöglich alleine abwehren ..."
"Geh!" befahl Professor Darkhardt fest. "Du kannst hier nichts mehr tun! Lauf zurück zum Schloss!"
"Sir, ...", protestierte Remus weiter.
"Bitte, lauf!" flehte Darkhardt. "Bring James zu Dumbledore. Du musst auf James aufpassen, bring ihn in Sicherheit, hörst du! Es ist wichtig."
"James? Aber wieso ..."
"Tu es für mich, ja?"
"Ja, Sir."
"Gut."
Remus zögerte kurz, ehe er sich abwandte. Der Professor ergriff seinen Arm und schaute ihm in die Augen.
"Was du bist ist nicht von Belang, Remus", sagte er. "Was zählt, ist wer du bist. Vergiss das nie."
"Nein, Sir", antwortete Remus unsicher.
Trotz der Furcht und Dringlichkeit lächelte Professor Darkhardt plötzlich.
"Guter Junge. Und jetzt lauf, Remus ... Lauf!"
Mit diesen Worten versetzte er Remus einen Stoß von sich fort und ging auf die schwarz gewandeten Gestalten zu, die auf ihn zukamen.
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Sirius war bei Zonko, als er den Lärm draußen hörte. Die Leute rannten und schrien da draußen. Wie viele andere im Laden ließ er alles fallen und ging zur Tür hinaus. Er schnappt sich ein Mädchen, das an ihm vorbeigerannt kam, und fragte sie, was los sei.
"Todesser", schnaubte ein Junge neben ihr. "Todesser, hier in Hogsmeade. Sie kommen die Straße entlang!"
"Nein!"
Sirius ließ das Mädchen los und sie rannte weiter. Viele der Schüler, die um Sirius herumstanden, folgten ihr.
"Wartet!" rief Sirius und packte zwei von ihnen am Ärmel. "Ihr könnt nicht einfach so nach Hogwarts zurück rennen, die Todesser holen euch doch ein, bevor ihr auch nur halb angekommen seid!"
"Was sollen wir deiner Meinung nach tun?" fragte jemand. "Hier warten, bis sie uns holen kommen?"
"Nein", sagte Sirius und traf eine Entscheidung. "Mir nach, ich kenne einen schnelleren Weg."
Niemand protestierte, als er sie von der Hauptstraße weg und zu einem alten Brunnen führte, der hinter den Häusern versteckt lag. Peter war bereits da, und mit ihm Mary Crimple, Stephen Ross und die anderen aus den Drei Besen. James kam jetzt von der Heulenden Hütte herangelaufen und zog Lily hinter sich her. Dicht hinter ihnen waren Aurora, Damian, Bertha und Eugene, die versuchten, die jüngeren Schüler zu zählen, die ihnen gehorsam aus dem Honigtopf hierher gefolgt waren, als ein verschreckter Hufflepuff ihnen vom Erscheinen der Todesser berichtet hatte. Sirius hob die Stimme.
"Also gut, alle mal herhören. Ihr müsst den Brunnen hinunter klettern, bis ihr knapp über der Wasseroberfläche seid. Keine Angst, euch kann nichts passieren. Da unten findet ihr ein Loch. Klettert durch, folgt dem Tunnel und ihr seid bald wieder in Hogwarts." Er wandte sich Peter zu.
"Geh lieber vor und zeig ihnen den Weg. Damian, geh du auch mit."
"Ist gut", sagten sie gleichzeitig.
Jetzt kam auch Frank angelaufen.
"Ist noch irgendwer in einem der Läden?" fragte James.
"Nein, ich glaube, wir haben sie alle", keuchte Frank. "Aber ..."
Er machte eine Pause, um Luft zu holen.
"Was denn?" fragte Sirius ungeduldig, aber James war schon dabei, sich umzusehen.
"Wo ist Remus?" fragte er Peter. "Wolltet ihr zwei nicht zusammen lernen?"
"J-ja", stotterte Peter. "Aber dann ist Mary gekommen und hat uns vor den Dementoren gewarnt und Remus hat uns Deckung gegeben, während wir ..."
"Du hast ihn allein zurückgelassen!" schrie Sirius ungläubig, während Lily ängstlich aufschrie.
"Das ... will ich euch ... ja gerade erzählen", erklärte Frank atemlos. "Ich glaube, ich habe Remus gesehen. Als ich in den Seitenstraßen nachgeguckt habe, habe ich jemanden unten bei Darkhardt gesehen." Er zeigte über seine Schulter.
Die anderen wurden blass.
"Oh nein", stöhnte Aurora leise.
"Ihr geht mit Peter und Damian", sagte James den Mädchen. "Folgt den Jüngeren und passt auf, dass keiner zurückgelassen wird. Schnell, bevor die Todesser euch sehen."
"Nein, ich komme mit", sagte Aurora fest.
James wollte protestieren, aber es war offensichtlich, dass sie fest entschlossen war. Er klopfte Sirius auf die Schulter.
"Gehen wir."
Sirius nickte und zusammen mit Aurora und Frank wollten sie in die Richtung, in der Frank ihren Freund zuletzt gesehen hatte, aber James wurde noch zurückgehalten. Lily sah ihn besorgt an.
"James ... pass auf dich auf, ja?"
Er lächelte und drückte ihre Hand.
"Na klar."
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Darkhardt hätte Remus mit seinem Stoß beinahe wieder zu Boden geworfen. Er wankte, blieb aber stehen. Als er hinter sich schaute, hastig atmend und immer noch zitternd, sah er diese fürchterlichen Gestalten, die immer näher kamen, und verspürte einen fürchterlichen Schrecken. Was sollte er tun? Er konnte den Professor nicht einfach hierlassen und davonlaufen, aber er wusste auch, dass er seinem Lehrer nicht viel helfen konnte, gegen diese mächtigen Hexen und Zauberer zu kämpfen. Und dann die Dementoren. Sie hatten sich vorerst zurückgezogen, aber da der Professor so hoffnungslos unterlegen war, würden sie bestimmt schon bald zurückkommen.
Dann hörte er Schritte weit hinter ihm. Er drehte sich um und sah Sirius und Frank auf sich zukommen, dicht gefolgt von Aurora und James. Plötzlich schwanden seine Zweifel dahin. Er konnte Darkhardt nicht retten, aber er konnte das tun, worum der Professor ihn gebeten hatte - einen letzten Gefallen für den Mann, mit dem er wohl nie wieder sprechen würde. Er stolperte so schnell er konnte auf die anderen zu und klammerte sich an James' Arm fest.
"Los, schnell weg von hier!" keuchte er und zerrte James wieder in die Richtung, aus der er gekommen war.
"Remus, was hast du vor?" protestierte James. "Darkhardt ..."
"Wir können nichts für ihn tun", entgegnete Remus dringlich. "Komm schon, gehen wir!"
"Was zum ... Remus, was ist in dich gefahren?" fragte James.
"Du musst sofort zurück zum Schloss! Sirius, Frank, Aurora - helft mir!" flehte Remus sie an. Er wankte noch immer ganz gefährlich und zitterte nach dem Angriff der Dementoren.
Frank schnappte ihn am Kragen, um ihn auf den Beinen zu halten. Er schaute von Sirius zu Aurora, und ohne zu wissen, warum sie es taten, hörten sie alle auf Remus. Sirius zog den widerwilligen James wieder denselben Weg zurück und die anderen folgten, Remus immer noch stolpernd. Frank sah über die Schulter zurück. Jetzt kamen einige Leute aus den Häusern von Hogsmeade, um Professor Darkhardt zu helfen, aber die Todesser waren in der Überzahl. Einer hob den Zauberstab und schickte den Schülern einen Fluch hinterher.
"Runter!" schrie Frank. Er stieß Remus zu Boden, riss Aurora mit sich runter und legte sich schützend über sie.
Ein weiterer Zauber blitzte auf und etwaffnete den Todesser. Frank zog Aurora wieder auf die Beine und gemeinsam packten sie Remus and den Armen und schleiften ihn halb mit zum Brunnen, wo Remus darauf bestand, dass James zuerst hineinkletterte.
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Als sie hinter einer rostigen Ritterrüstung im dritten Stock aus dem Tunnel krochen, wartete Professor McGonagall bereits auf sie. Sie war sehr blass im Gesicht.
"Da seid ihr ja", murmelte sie und half jedem einzeln aus dem Loch. "Wo seid ihr nur gewesen, um Himmels willen? Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht!"
Überflüssigerweise klopfte sie Sirius ein Staubkorn von der Schulter, so dass er sie misstrauisch beäugelte.
"Wo sind die anderen?" fragte Frank, der immer noch in Remus' Nähe blieb, falls er noch einmal Hilfe brauchen sollte.
"Unten in der Großen Halle", antwortete sie. "Kommt, Professor Dumbledore will euch alle sehen."
Sie folgten ihr die Treppe runter. In der Großen Halle strömten ihnen gleich sehr viele Schüler entgegen. Professor Dumbledore beruhigte die Meute und kam ihnen entgegen. Peter und Damian waren bei ihm.
"Frank, Aurora, Sirius, Remus, ... James. Ich bin froh, dass es euch gut geht", sagte der Schulleiter.
"Ja, Sir", sagte James. "Bei uns ist alles in Ordnung, aber Professor Darkhardt ."
"Ich weiß", unterbrach Dumbledore ihn. "Miss Evans hat mir gesagt, dass ihr zurückgelaufen seid, um ihm zu helfen."
"Na ja, das stimmt", erwiderte Frank schnell, "nur ..."
Die anderen sahen alle zu Remus.
"Wir hätten nichts tun können", sagte er unbehaglich. Er atmete jetzt gleichmäßiger, obwohl er immer noch zitterte. "Und Professor Darkhardt hat mir gesagt ..."
"Ja?" ermutigte ihn der Professor.
Remus schaute zu James und Dumbledore nickte sofort.
"Ja. Ja, ich verstehe", murmelte er. "Er wollte, dass du James in Sicherheit bringst."
Jetzt fühlte James sich unbehaglich und zuckte etwas, als alle ihn so anstarrten.
"Ich wäre lieber geblieben, um dem Professor zu helfen", sagte er.
"Natürlich", sagte Professor Dumbledore. "Aber Professor Darkhardt wusste, was er tat. Und Remus, du hast gut daran getan, auf ihn zu hören. Er hatte Recht, ihr hättet ihm nicht helfen können. Ich konnte es leider auch nicht. Ich werde natürlich sofort aufbrechen, aber es wird zu spät sein. Zuerst mussten wir die Schule sichern - selbst wenn nicht, fürchte ich, dass zu spät gewesen wäre, um zu verhindern, was ihm bevorstand."
"Warum ist Narbus geblieben?" flüsterte Professor McGonagall. "Er konnte gegen diese Übermacht doch nichts tun. Er hätte gleich mit den Schülern zurückkommen sollen."
"Vielleicht hoffte er, ihnen etwas mehr Zeit zu verschaffen, um davonzukommen", meinte der Schulleiter. "Und vielleicht gab es andere Gründe, die wir nie ganz verstehen werden."
Er warf Remus einen Blick zu, und Remus nickte langsam.
"Minerva", fuhr Dumbledore fort, "die Vertrauensschüler sollen ihre Häuser in die Gemeinschaftsräume führen. Niemand soll sie heute Nacht verlassen. Jungs, ich denke, ihr solltet in meinem Büro auf mich warten. Ja, Aurora, du kannst auch kommen. Professor McGonagall wird euch hinbringen. Es wird nicht lange dauern. Oh, und James ..."
"Ja, Sir?"
"Du solltest dir einen Moment Zeit nehmen, Miss Evans zu versichern, dass du wohlauf bist. Sie hat sich große Sorgen um dich gemacht. Vielleicht bringst du sie auch mit in mein Büro."
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Professor McGonagall brachte sie ins Büro des Schulleiters und ließ sie dort kurz allein. Kurz darauf kam sie mit einem großen Stück Schokolade zurück und beobachtete Remus, bis er aufgegessen hatte. Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor, ehe Professor Dumbledore endlich kam. Seine hellblauen Augen waren trüb vor Trauer und er ging sehr langsam zu seinem Stuhl und setzte sich. Er sah jeden Einzelnen von ihnen durchdringend an und schließlich blieben seine Augen auf Remus ruhen, der sehr blass war, am Fenster stand und in die Dunkelheit hinausstarrte. Remus schien zu bemerken, dass er beobachtet wurde, denn er drehte sich um und sah seine Freunde, den Direktor und Professor McGonagall an. Schließlich rang er sich ein Lächeln ab.
"Was habe ich getan, jemandem den Lieblingskessel kaputt gemacht?" fragte er trocken.
"Remus", fing Professor Dumbledore sanft an. "Ich denke, wir alle wissen, dass du von allen Anwesenden Professor Darkhardt am nächsten standest."
"Er war mein Freund", platzte es aus Remus heraus und die Stimme versagte ihm fast. "Obwohl ..."
"Obwohl du die Wahrheit über ihn kanntest? Ja, er sagte mir, dass er es dir erzählt hat. Doch zunächst muss unsere Trauer warten. Es gibt Dringenderes zu besprechen."
Remus nickte. James ging einen Schritt auf ihn zu, aber Remus winkte ab.
"Ist schon gut, James", sagte er und blinzelte stark. "Alles in Ordnung. Solange nur ... Professor, dürfte ich Sie etwas fragen?"
"Selbstverständlich, Remus."
"Es ist wegen Professor Darkhardt. Er ist doch - auch wirklich tot, oder?"
Die anderen starrten ihn überrascht und verwirrt an, doch Dumbledores blaue Augen zeigten Verständnis und er nickte.
Remus seufzte. "Gut."
"G-gut?" stotterte Peter. "Remus, du hast doch gesagt, er war dein Freund. Was findest du da Gutes an seinem T-Tod?"
"Peter, nicht", warf James ein.
Dumbledore sah Peter direkt an.
"Wenn man es mit Dementoren zu tun hat, gibt es schlimmere Schicksale als den Tod", sagte er leise.
Peter schien immer noch nicht zu verstehen.
"Mensch, Peter, bist du manchmal schwer von Begriff!" schimpfte Sirius. "Der Kuss ..."
"Oh!" rief Peter und schauderte. "Ach ja."
Er sah Remus nervös an, doch er hatte sich wieder zum Fenster gewandt.
"Professor Dumbledore", fing James an. "Warum hat Professor Darkhardt Remus gesagt, dass er mich hierher bringen soll? Ich meine, ich hätte es a verstanden, wenn er Remus nur wieder in Sicherheit wissen wollte, aber warum hat er das gesagt?"
"Ja", meinte auch Sirius. "Wieso James?"
Dumbledore seufzte schwer.
"Setzt euch", sagte er und es erschienen weitere Stühle im Raum.
James, Sirius, Peter, Lily und Frank setzten sich hin. McGonagall und Aurora blieben stehen und Remus bewegte sich nicht vom Fenster weg.
"Der Grund, weshalb Professor Darkhardt das sagte", erklärte Dumbledore langsam, "war, weil er wusste, dass dir auf keinen Fall etwas zustoßen darf."
"Aber wieso?" fragte James und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, so dass sie noch wilder abstanden als sonst. "Warum wollte er ausgerechnet mich beschützen? Remus war doch sonst immer sein Lieblingsschüler."
"Damit hatte es nichts zu tun", setzte der Schulleiter fort. "Es liegt daran, wer du bist."
James runzelte die Stirn. "Weil ich der Sohn eines Todessers bin? Das macht doch keinen Sinn, Sir."
Ein kleines Lächeln umspielte Dumbledores Lippen.
"Nein", sagte er. "Mit deinem Vater hat das nichts zu tun. Sehr viel zu tun hat es hingegen mit deiner Mutter."
"Mit meiner Mutter?"
"Ja. Ich kämpfe schon seit einiger Zeit mit mir selbst, weil ich nicht weiß, ob ich es dir sagen soll oder es dir lieber verschweigen, wie sie es gewünscht hat."
"Warum sollte sie das wollen?"
"Weil sie dich beschützen will, James."
"Vor was denn?"
Professor McGonagall antwortete.
"Im Grunde genommen ... vor der Wahrheit."
James wurde still und grübelte nach. Warum sollte seine Mutter ihn vor der Wahrheit beschützen wollen? Es machte immer noch keinen Sinn.
"Aber das ist doch dumm", warf Sirius scharf ein. "Professor Darkhardt hat uns immer gelehrt, dass es besser ist, sich der Wahrheit zu stellen und auf alles vorbereitet zu sein, als sich böse erwischen zu lassen."
"Ich weiß", stimmte Dumbledore zu. "Und James, ich versuche schon seit längerem, deine Mutter von dieser Ansicht zu überzeugen - mithilfe von Remus' Vater."
Remus blickte milde fragend auf.
"Oh ja", fuhr der Schulleiter vor. "Seit jenem Abend, als ein 'geheimnisvoller Fremder' Bridget bei dir zu Hause besucht hat, versuchen wir, sie zu überreden, dass sie James sagt, wer er ist. Und nun habe ich keine Gewissensbisse mehr, wenn ich es dir sage, James, denn du bist selbst darauf gekommen, dass etwas Besonderes an dir ist. Es ist ganz natürlich, dass du wissen willst, was es ist."
James schaute ihn ruhig an und nickte. Dumbledore lehnte sich zurück, seine Fingerspitzen berührten sich und er schloss halb die Augen.
"Es geht hier um Professor Trelawneys Prophezeiung", verkündete er.
"Die Prophezeiung?" wiederholte Sirius interessiert. "Sie meinen damals, als sie der halben Schule einen Schreck eingejagt hat, weil sie auf dem Weg zur Großen Halle so merkwürdig wurde? Das war doch nur Quatsch. Wir wollten mehr rausfinden und eine zeitlang haben wir gedacht, dass vielleicht was Wahres dran ist, aber Remus konnte keine Bücher finden und Lily auch nicht - wir sind nie dahintergekommen, ob noch Erben von Gryffindor leben ..."
Er brach ab. Solange er geredet hatte, hatte Dumbledore James mit seinem Blick fixiert. Sirius drehte den Kopf und bemerkte, dass James blass geworden war. Seine braunen Augen glitzerten seltsam.
"Nein", sagte er leise. "Das ist unmöglich. Ich kann doch nicht ..."
"Wieso nicht?" fragte Dumbledore ihn, als diskutiere er mit einem widerwillgen Kind. "Wieso kann es nicht sein? Was weißt du schon wirklich über deine Mutter?"
"Ihr Name ist Bridget Potter, sie hat Vindictus Lothian geheiratet, als sie noch sehr jung war", sagte James leicht trotzig. "Das hat sie mir gesagt. Sie hat auch gesagt, dass es ein Fehler war. Er war damals schon auf Voldemorts Seite, und sie hat Angst bekommen und ihn verlassen, bevor er wusste, dass ich unterwegs war. Sie hat ihn nie wiedergesehen, bis zu dem Tag in der Winkelgasse."
"Das ist alles wahr", sagte Dumbledore. "Mit Ausnahme eines kleinen Details. Der wirkliche Name deiner Mutter ist nicht Bridget Potter. Das war nie ihr Name. Denk nach, James. Professor Darkhardt hat mir einmal erzählt, dass er dich und deine Freunde in Mr. Filchs Büro erwischt hat, wo ihr nach Informationen über deinen Vater und Tom Riddle gesucht habt. Dort hast du auch etwas anderes entdeckt, nicht wahr? Du hast Professor Darkhardt danach gefragt ..."
Jetzt schien James zu verstehen. "Ja", sagte er sehr langsam. "Ich hatte ihn den Aktenschrank gesehen, wo die Akte meiner Mutter hätte sein sollen, aber sie war nicht da. Professor Darkhardt meinte, er müsste sie gekannt haben, als sie hier zur Schule ging, aber mehr wollte er nicht sagen. Aber er schien etwas zu ahnen."
Der Schulleiter nickte weise.
"Oh ja. Er ahnte etwas, und seine Ahnung war richtig. Die Akte deiner Mutter war nicht dort, weil du am falschen Ort gesucht hast. Potter war nicht ihr Mädchenname, es war der deiner Großmutter: Greta Potter. Du hättest nicht unter 'P' wie 'Potter' nachsehen müssen, sondern unter ..."
"... 'G' wie 'Gryffindor'", flüsterte Lily beeindruckt.
James schaute sie an, dann blickte er auf zum Sprechenden Hut, der hinter ihm im Regal lag. Was hatte er noch an seinem ersten Schultag hier gesagt?
Deine Mutter saß auch einmal auf diesem Hocker und ich habe nicht eine Sekunde gezweifelt, als ich sie nach Gryffindor schickte. Der Mut steckte in ihrem Blut, das sie von ihrem Vater geerbt hatte.
Er war so blind gewesen. Dabei hatte es genügend Zeichen gegeben. Selbst als Trelawney diese dämliche Prophezeiung gemacht hatte. Hatte sie ihn nicht direkt angesehen? Wie konnte er nur so blind gewesen sein, es nicht zu verstehen? Er sah seine Freunde an. Frank starrte ihn mit offenem Mund an. Lily sah auf ihre Hände. Aurora kaute an der Unterlippe. Peter machte große Augen. Sirius saß wie versteinert da. Remus wirkte bloß nachdenklich. Er erwiderte James' Blick und neigte leicht den Kopf.
"Natürlich", sagte er ruhig und leise. "Die ganze Zeit, als wir herausfinden wollten, wen die Prophezeiung meinte, hatten wir die Antwort direkt vor Augen. Sie meinte dich."
Sirius gab sich einen Ruck und sagte: "Also das hat Darkhardt heute Nacht gemeint. Deshalb mussten wir James zurückbringen. Die Todesser waren hinter ihm her."
"Nein", widersprach ihm Dumbledore. "Nein, denn das können sie nicht gewusst haben. Nicht einmal James' Vater weiß, dass es ihn gibt - zumindest bisher. Dieser Angriff war einfach nur ein zufälliger Gewaltakt wie jeder andere. Doch Professor Darkhardt hatte Sorge, sie könnten James töten, ohne überhaupt zu wissen, wer er ist. Das hätte bedeutet, dass wir vielleicht unsere einzige Hoffnung verloren hätten, Voldemort zu besiegen. Denn noch wissen wir nicht, welches Mitglied der Familie mit der Prophezeiung gemeint ist."
"Sie meinen, sie könnte mich meinen oder meine Mutter?"
"Ja. Oder keinen von euch beiden."
James sah ihn fragend an.
"Es könnte ein zukünftiger Erbe Gryffindors damit gemeint sein, der noch nicht auf der Welt ist - vielleicht ein Kind von dir." James spürte, wie seine Wangen rot wurden und sah aus dem Augenwinkel, dass Lily ihn ganz kurz angesehen hatte. "Oder es könnte dein Großvater sein."
"Mein ... was?"
"Der Vater deiner Mutter. Der Zauberer, der sie besuchen kam, als ihr bei Remus und seinen Eltern zu Besuch wart."
"Der alte Mann war James' Großvater?" rief Sirius.
"Richtig."
Sirius starrte James wieder an, doch er sagte gar nichts. In ihm herrschte nur Verwirrung. Wie konnte seine Mutter das alles nur vor ihm geheimhalten? Hatte er nicht von Anfang an das Recht gehabt, das alles zu wissen? Er verstand ja, dass sie ihn hatte beschützen wollen, als er noch ein kleiner Junge war, aber jetzt war er siebzehn und kein Kind mehr. Er war ein junger Mann und schon fast bereit, ein eigenes Leben anzufangen. Er besaß den Mut und die Entschlossenheit, das Böse zu bekämpfen und das Gute zu bewahren. Es herrschte eine lange Stille, während ihm all das durch den Kopf ging. Schließlich blickte er wieder auf und sah, dass ihn alle beobachteten. Er fixierte Dumbledores blaue Augen mit seinem Blick.
"Ich trete dem Orden des Phönix bei", verkündete er bestimmt.
Die Reaktionen seiner Freunde verrieten ihm, dass sie etwas anderes von ihm erwartet hatten - Freude, dass er endlich die Wahrheit wusste, oder vielleicht Wut, dass man sie so lange vor ihm verborgen hatte. Aber was nützte das? Alles Vergangene war nun mal geschehen, jetzt konnte man nur noch tun, was getan werden musste - alle noch lebenden Erben Gryffindors mussten ausnahmslos zusammenarbeiten, sie mussten einen Weg finden, um Lord Voldemort und seine Anhänger ein für alle mal zu vernichten. Nachdem die anderen sich von ihrer Überraschung erholt hatten, sahen sie alle Dumbledore erwartungsvoll an. Er studierte James sehr lange, dann nickte er.
"Albus ..." setzte Professor McGonagall an, doch ein Blick von ihm genügte und sie verstummte wieder.
"Dann sind wir auch dabei", sagte Sirius sofort, so entschlossen, dass Peter zuckte.
"Ich bin nicht sicher, ob ..." meinte Dumbledore, doch Sirius ließ ihn nicht ausreden.
"Wenn James von Professor Darkhardts Unterricht einen Schritt weiter in den Orden selbst geht, dann gehen wir mit ihm. Wir sind alle volljährig und fast mit der Schule fertig und wir sind seine Freunde. Ohne uns geht er nirgendwo hin."
"Sirius", sagte James, "das ist gefährlich!"
"Das wissen wir alle, aber hat das uns Gryffindors schon mal davon abgehalten, zusammenzuhalten?" warf Lily überraschend ein. "Oder die Ravenclaws", fügte sie hinzu und lächelte dabei Aurora an.
James sah erst sie an, dann den eifrigen Sirius, dann die anderen. Aurora lächelte. Frank nickte grimmig. Peter sah aus, als sei ihm übel, und er sah seitwärts zu Remus hinüber, der still aber entschlossen sagte:
"Sirius hat Recht. Wo du hingehst, da gehen auch wir hin."
Peter schluckte schwer und senkte den Blick. Dieses Mal dachte Dumbledore erst solange nach, dass Sirius unruhig auf seinem Stuhl rumrutschte. Aber es war Remus, der jetzt sprach.
"Professor Darkhardt hat uns keine zusätzlichen Verteidigungsstunden gegeben, damit wir uns hinterher zu Hause verkriechen. Er hielt uns für mutig genug und fähig, uns zu verteidigen. Er wusste, dass wir alle eines Tages mit dem Bösen zu kämpfen haben werden, und darauf hat er uns vorbereitet. Er hat uns gelehrt, wie wichtig es ist, dass wir selbst etwas gegen Voldemort tun und es nicht anderen überlassen."
Seine Stimme war von einer kalten Entschlossenheit und Unerschütterlichkeit erfüllt, die die anderen gar nicht von ihm kannten.
"Nun gut", seufzte Dumbledore endlich. "Ich werde dem Orden mitteilen, dass wir sieben neue Mitglieder haben. Aber zuerst macht ihr alle eure Prüfungen und schließt die Schule ab, erst dann werde ich euch zu unseren Treffen kommen lassen. Ich muss euch außerdem warnen, dass ihr euch alle damit großen Gefahren aussetzt, ja dass ihr vielleicht sogar den Tod riskiert. Es wird noch dunkler werden, bevor die Welt wieder zu strahlen lernt, und es ist gut möglich, dass nur wenige von oder gar keiner von uns den Sturm überleben wird, der auf uns zukommt."
Er sah sie der Reihe nach an. James nickte kurz und Lily schaute ihn mit ihren grünen Augen an. Sirius richtete sich auf - Frank Longbottom lächelte.
"Wir wissen alle, womit wir es zu tun haben, Sir", versicherte er. "Aber selbst wenn keiner von uns das überlebt, dann sterben wir wenigstens in dem Wissen, dass wir etwas Sinnvolles getan haben."
Professor Dumbledore erwiderte sein Lächeln.
"Es geht doch nichts über den Mut unserer Gryffindors", sagte er stolz. "Und der Ravenclaws", fügte er hinzu, wie Lily es getan hatte, und zwinkerte Aurora zu.
