Anmerkung
Titel: Die Domänen
Genre: Abenteuer, Alternative Universe, ein klein wenig Romantik. Crossover HdR / Darkover
Disclaimer: Figuren und Handlungsschauplätze sind aus den Büchern von J.R.R Tolkien, Marion Zimmer Bradley, sowie (mit freundlicher Genehmigung der Autorin) aus der Geschichte "Den Jäger erlegen" von Sleepy Tiger entlehnt.
Kapitel 11: Mittsommernachtsball
Irgendwo aus den hintersten, verstaubtesten Ecken der Aillardgemächer hatte eine der Dienerinnen ein Kleid aufgetrieben... Oder eher ein Kunstwerk aus Stoff. Mehrere Lagen dunkelgrüner Seide drapierten sich in komplizierten Wellenformen über das mit Blättern bestickte grasgrüne Unterkleid. Dazu standen Schuhe mit Aillardfedern bereit und ein Haarschmuck, der ihre immer noch recht kurzen Haare überspielte.
Mag wollte gar nicht wissen, welche ihrer Ahninnen dieses Kleid wohl schon getragen hatten. Es sah furchtbar antik aus und stank nach Mottenkugeln. Aber nicht lange, denn eines der Mädchen besprühte es mit einem Duftgemisch, der eine blühende Frühsommerwiese neidisch gemacht hätte. Mit etwas Glück verdunsteten beide Gerüche schnell.
Eine Dienerin steckte Mags' Haare zu einem Knoten im Nacken und vervollständigte den Haarschmuck mit den obligatorischen Aillardfedern. Fertig aufgeputzt konnte sie sich den Löwen in ihrer Höhle stellen.
In Salon erwartete sie jedoch erst einmal ein Anblick ohne Gleichen. Legolas Thranduillion lächelte ihr in seinem Festgewand entgegen. Sie revidierte sich, er lächelte nicht nur, er strahlte von innen heraus. Ihm fehlten nur ein paar weiße Flügel und das "eine-handbreit-über-den-Boden-schweben" und er wäre einer Cristoferus Sage entsprungen.
"Gebt Acht, Herr Legolas, Euer Anblick raubt einem den Atem. Noch vor der Hälfte des Abends ist der Saal gefüllt mit den Splittern gebrochener Herzen."
"Domna Maguerida, Ihr verwundert mich. Ist es bei Euch üblich, dass die Damen den Herren Komplimente machen und nicht andersherum. Dabei wollte ich euch gerade sagen, dass ihr im Rock um ein vielfaches hübscher seid, als in Hosen."
Er bot ihr seinen Arm, und Maguerida funkelte ihn wütend an, weil sie nicht entscheiden konnte, ob das ein Kompliment gewesen war. Bei dem bübischen Grinsen auf seinem Gesicht, verrauchte ihr Zorn in Windeseile und sie lachte schallend.
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Zufrieden betrachtete Lorill die kleine Ansammlung von Comyn, die zwar in kleinen Grüppchen scheinbar unbeteiligt miteinander plauderten, aber mit kaum versteckter Neugier immer wieder zum Eingang schielten. Trotz ihres Standes waren sie alle schaulustig wie die Bauern in den abgelegenen Gebirgsdörfern. Der fremde König hatte sie alle zu einer solch frühen Stunde des Abends in den Ballsaal gelockt. Man konnte es ihnen nicht verübeln. Im Vergleich zu den nun mehr zusammengeschlossenen Königreichen Gondor und Arnor, lagen die Domänen ebenso weit ab, wie die Bergdörfer der Hellers von Thendara. Aber sie waren bei Weitem nicht unbedeutend und wehrlos, wie dieser Sauron geglaubt hatte, als er seine Orks über die Berge marschieren ließ. Es ist immer noch erstaunlich, was ein einzelner Blizzard alles vernichten kann.
Ähnlich bemerkenswert wie ein Blizzard waren normalerweise die Auftritte seiner Schwester Leonie. Die Aura aus Würde, Unnahbarkeit und Größe, die mit dem traditionellen karmesinroten Schleier einer Bewahrerin verknüpft ist, ließ immer eine atemlose Stille im Saal eintreten. Nur heute verfehlte dieser Effekt seine Wirkung, denn es waren nur drei Personen im Raum anwesend gewesen.
Leonie unterhielt sich mit Dom Gabriel Ardais, wahrscheinlich der Einzige, abgesehen von Lorill selbst, der nicht aus Neugier so früh erschienen war. Der alte Streithahn liebte Pünktlichkeit über alles. Ab und zu schickte der alte Crebain verachtende Blicke zu dem Häufchen Elend von Danilo Lindir, welcher in Lorills Schatten versteckt, sich meilenweit weg wünschte. Heute war wohl eine der seltenen Gelegenheiten, wo er seine Anwesenheit an den Hof Aillard wünschte. Seine Rolle in diesem Machtspiel war nicht glücklich. Die Verwaltung der Domäne stieg ihm über den Kopf. Seine Regententätigkeit sollte die Zeit bis zu Margueridas Volljährigkeit überbrücken. Doch mit ihrem unvorhergesehenen Verschwinden blieb Danilo im Amt. Er blockierte somit Dom Gabriels Pseudoanspruch auf die Domäne, da sein Sohn Rakhal Ardais wohl mit Marguerida verlobt sein sollte.
Marguerida Auftauchen bedeutete einen Rückschlag für Lorill. Nach Leonies Einschätzung, entsprach nur Rakhal Ardais' Erbmaterial einer nichttödlichen Kombination mit der Aillardgabe von allen momentan heiratsfähigen jungen Männern. So musste er Magueridas Designation solange wie nur möglich verschieben. Wenn Gabriel erstmal eine rechtmäßige Verbindung vorwies, so wäre Aillard nur noch ein Vasall für Ardais. Auch wenn Danilo bis dahin die Domäne zu Grunde gewirtschaftet hatte.
Das Gemurmel im Raum endete abrupt und alle Köpfe reckten sich in die Höhe. Das Königspaar durchschritt die Pforte. Elessar Elbenstein wirkte einer Sage entsprungen, und Lorill stellte nicht ohne Neid fest, dass dieser Mann mit jedem Schritt Würde, Güte, Kraft und Weisheit ausstrahlte. Selbst ohne den Silberreif im Haar und den silbernen Baum von Gondor auf der schwarzen Tunika, hätte man in diesem Moment nicht an seiner Identität zweifeln können. An seiner Seite, noch schöner als am Tag davor, schritt Arwen Undomiel. Der Abendhimmel selbst bildete ihr Kleid, purpurn mit funkelnden Steinen besetzt. Das Paar strahlte vor Glückseligkeit und Lorill begrüßte sie warmen Herzens.
"Ich entbiete dem König von Gondor und Arnor und seiner Gemahlin meine Grüße und bin entzückt sie in diesen Hallen willkommen zu heißen. König Elessar, Herrin Arwen, dies ist Dom Alton..."
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Mag nutzte die Ablenkung durch das Königspaar und schlüpfte durch eine Seitentür unbemerkt in den Saal. Wenigstens roch sie nicht mehr zehn Meter gegen den Wind wie eine Blumenwiese. Gerade stellte Lord Hastur Dom Alton dem König vor. Mag schuf sich einen Überblick über die versammelten Gäste. Dom Ardais stand neben Domna Leonie und sah noch missmutiger aus, als eine Banshee im Schneesturm. Er hatte es nie ganz verkraftet Domna Leonie als gleichberechtigt anzusehen. Danilo Lindir sah genauso gehetzt aus wie vor drei Jahren. Rakhal konnte sie nirgendwo entdecken, dafür die untersetzte Gestalt von Domna Ridenow mit ihren vier Töchtern, die wie gebannt den König und seinen Friedensmann anstarrten. Legolas hatte instinktiv diese Haltung gewählt und hinter den dunklen Gestalten des Königs und der König, wirkte er wie ein leibhaftiger Cristoforusengel.
Beinahe unmerklich passte sich Dom Elessar an die gelöste Stimmung an und seine "Königlichkeit" wechselte zu dem ernsten, intelligenten Mann, der er war. Die beiden Periannath Merry und Pippin waren die Sensation für die jüngeren Gäste und schon bald umringte sie eine Traube der Alton-, Hastur-, Elhayn- und MacAran Kinder. Sie stürzten sich gemeinsam auf das Buffet. Der Zwerg bezauberte mit seinem Charme die ältere Domna Alton. Seine Komplimente brachten einen rosigen Schimmer auf ihre sonst so blässliche Haut.
Nun endlich fasste sich auch ein Ridenowmädchen ein Herz, wahrscheinlich Melora. Sie war schon immer die mutigste der vier gewesen. Sie brachte sich in die Nähe des Elbenprinzen. Daraufhin stellte Dom Alton sie vor. So befand sie sich bald im Gespräch mit dem Mann ihrer Träume, während sich auf den Gesichtern ihrer Schwestern Neid und blanke Mordlust spiegelten.
Wutentbrannt drehte sich Cassilda zu ihrer Mutter, wohl um sich über die Schamlosigkeit ihrer jüngsten Schwester zu beschweren und das Recht der Ältesten einzuklagen. Dabei erblickte sie Mag und die Worte blieben ihr im Halse stecken. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Maguerida an. Tief überrascht krächzte sie:
"Marguerida!"
Ihre Schwestern drehten sich mit einem erschreckten Quieken um und gafften Mag wie einen Geist an. Das Schweigen lastete einige Sekunden, dann fand sich Maguerida in der atemberaubenden Umarmung der molligen Domna Ridenow wieder.
"Schätzchen, Schätzchen; was für ein unerwarteter Anblick. Du hast dich ja ganz schön entwickelt. Und du musst mir unbedingt das Rezept für dieses Parfüm verraten."
Sie schob Maguerida auf Armeslänge von sich und betrachtete sie von oben bis unten.
"Tja Kindchen, du schlägst eindeutig nach deinem Vater."
Dann wandte sie sich zu ihren Töchtern und setzte in barschen Ton hinzu:
"Nun steht hier nicht mit offenen Mund glotzt wie Stockfische. Begrüßt eure Cousine, wie es sich für junge Damen geziemt."
Die drei wurden rot bis über beide Ohren. Ein sehr bemerkenswerter Effekt bei ihren karottenroten Haaren und stammelten etwas Ähnliches wie "Hallo". Dabei ängstigten sie sich, dass Maguerida sich in Luft auflösen würde, direkt vor ihren Augen. So ähnlich sollte sie wohl verschwunden sein.
'Wenn das so weiterging, würde es eine sehr unangenehme Konversation werden. Also schwenkte Mag zu dem einzigen Thema, das die drei noch aufregender finden würden, als ihr plötzliches Auftauchen.
"Wie ich sehe, hat sich Dom Legolas wieder an seine höfischen Umgangsformen erinnert. Melora ist ja sehr hingerissen von ihm. Dabei war er so grantig zu mir, weil er für solange Zeit von seiner schwangeren Frau getrennt ist."
"Er ist verheiratet!", quietschte Cassilda, die nun offensichtlich nicht wusste, ob sie sich freuen oder ärgern sollte. Gleich darauf vertieften sich die drei Schwestern, wie sie diese Neuigkeit Melora so schmerzhaft wie möglich übermitteln konnten. Der Hauptstreitpunkt lag zwischen den beiden Varianten: "Ach Herr Legolas, habt ihr Nachricht von eurer Frau und dem Kind" und "Melora, wo bringst du den seine Kinder aus erster Ehe unter?"
Domna Ridenow seufzte auf, wartete aber das Ende des Streits nicht ab, sondern lotste Maguerida zu einem der abgetrennten Alkoven, wo sie ungestört reden konnten.
"Erzähle Kindchen, was hast du diese Jahre in der Außenwelt so gerieben?"
Obwohl Domna Ridenow nicht aktiv am Ränkespiel des Rates teilnahm, war sie inoffiziell überaus gleichberechtigt zu ihrem Mann. Es hatte sie Jahre ihrer Ehe gekostet, bis er überhaupt bemerkte, dass ihr Einfluss weiter reichte als Küche und Haushalt. Nachdem er den Schock überwunden hatte, nahm er dankbar ihre Hilfe in Anspruch. Schließlich war sie genauso gut informiert wie jeder Geheimdienst. Sie kannte die offenen Ohren und losen Münder der Dienerschaft und verfügte über die notwendige Kombinationsgabe aus den Informationsfetzen ein Gesamtbild zu fügen. Dies gepaart mit der Empathie, Intuition und rhetorischen Talent ihres Mannes bildete sie Domäne Ridenow einen Machtfaktor, wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr.
"Mit meinen Mitteln reiste ich bis nach Bree. Dort suchte ich mir Arbeit als Dienstmagd. Durch einen bedauerlichen Zwischenfall musste mich meine Wirtin als Knecht in der Handelskarawane ihres Bruders aus dem Ort ausschleusen. So gelangte ich nach Minas Tirith, behielt diese Verkleidung bei und bekam Arbeit in den königlichen Ställen. Dort blieb ich auch, weil die Pferde sich so an mich gewöhnt hatten, bis König Elessar beschloss diese Reise zu unternehmen."
Ein kleines Lächeln huschte über Domna Ridenows Gesicht. Sie verstand sehr wohl, wieso die Pferde so wählerisch waren. Die Gabe der Empathie verdankten sie beide schließlich einer gemeinsamen Urgroßmutter. Und eben Domna Ridenow musste ihre Verbündete werden. Sie und Leonie gemeinsam konnten Margueridas Designation bewirken, bevor die Schwangerschaft offensichtlich würde. Es war ein wirklich gefährlicher Bluff. Wenn irgendetwas schief lief, landete sie irgendwo in den Hellers als Frau eines alten Idioten und mit keiner Aussicht auf ihre Domäne.
"Ein verzweifelter Trick für eine junge Dame. Aber doch sicherlich nicht der Einzige?"
"Ihr kennt mich viel zu gut, Domna. ..."
Aber sie kannte nicht alles. Mag lebte das Leben eines Landlosen, ohne Intrigen und diplomatische Spitzfindigkeiten. Doch erst jetzt, unter dem Druck von mindesten fünf politischen Mächten auf sie, fühlte Marguerida sich das erste Mal wieder so richtig wohl. Ein kleiner Teil ihres Verstandes schalt sie eine Torin und bat sie inständig darum das verdammte Stück Land den Wölfen im Rat zu überlassen, um sich schnellstens in Sicherheit zu bringen. Resolut verbannte sie diesen Gedanken in die hinterste Ecke ihres Geistes. Das Erbrecht ihrer Tochter musste auf jeden Fall gehalten werden.
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Das Gespräch war sehr lang und erschöpfend. Das mütterlich, fürsorgliche Gesicht Domna Ridenows verbarg den scharfen Verstand. Sie ließ sich nicht mit Halbwahrheiten abspeisen, zumindest fast nicht. Nach fast einer Stunde war ihr Wissensdurst grob gestillt und sie schickte Mag an das Buffet, um "sich mal wieder den Bauch vollzuschlagen", wie sie meinte. Ob Marguerida Erfolg gehabt hatte, erfuhr sie erst in der morgigen Ratsversammlung. Bis dahin wollte sie sich nicht mit Grübeleien beschweren. Doch als sich eine Hand von hinten auf ihre Schulter legte, verschüttete sie etwas Wein. Mit Mühe unterdrückte sie einen Aufschrei. Der Elb wusste ja nicht, was eine Berührung für einen Telepathen bedeutete.
"Herr Legolas, Ihr solltet niemals jemanden von hinten berühren. Es ist nicht besonders schicklich und Ihr hättet schneller einen Dolch im Leib als Euch lieb ist."
Sie drehte sich um und schaute in das verdutzte Gesicht des blonden Elben.
"Verzeiht Domna Aillard, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich hatte gehofft Euch um diesen Tanz zu bitten."
Über seine Schulter hinweg erspähte sie die vier gierig blickenden Ridenowmädchen. Diese vier sahen Legolas' Ehe als einen Grund, aber kein Hindernis an.
"Nun, wenn Ihr der Aufmerksamkeit der Damen des Ridenow- Clans entkommen seid,", ein leicht gequälter Ausdruck huschte über sein Gesicht, "dann nehme ich Euer Angebot mit Freuden an."
Und leise fügte sie hinzu: "Aber für diese Rettung schuldet Ihr mir etwas."
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Auf dem Boden der Schüssel sah Rakhal helle Ringe auf dem braunen Ton. Und ganz schwach auch sein Spiegelbild im Wasser. Er besaß das kantige Kinn
seiner Domäne, ein Ardais durch und durch. Er schöpfte etwas Wasser heraus und ließ es durch seine Finger rinnen. Ein Ardais durch und durch; tapfer, ehrenvoll und stolz. Er hatte versagt, hatte Marguerida der Obhut dieser Fremden überlassen. Ein Kind wie sie lässt sich leicht von einem schönen Gesicht und einer sanften Stimme verführen. Welch Niedertracht trieb die Fremden einem Kind das anzutun? Einem Kind...
Und er hatte sie geküsst...
Nicht wie ein Bruder seine Schwester küsst. Nicht wie man seine Cousine küsst. Sie konnte ihm nicht trauen. Aber sie musste doch verstehen, woher dieses Verlangen kam. Diese schamlosen Fremden sandten ihre Gefühle mit einer solchen Wucht heraus, dass es ein Wunder war, dass es keine weiteren Zwischenfälle gab. Es waren nicht seine Gefühle für sie...
Nein?
Schwere Schritte hattem sich der Tür genähert, doch sein Vater war davor stehen geblieben.
"Komm gefälligst pünktlich!" hatte er gebellt, bevor er sich selbst zum Fest begab.
Sein Vater war in einer gefährlichen Stimmung, wenn er sich nicht einmal die Mühe machte die Tür zu öffnen. Langsam schöpfte Rakhal wieder etwas Wasser aus der Schüssel. Er würde kommen, wenn er bereit war.
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Es war erstaunlich wie langweilig Gabriel Ardais mit den Jahren geworden war. Welches Thema auch immer Leonie anschnitt, Lord Ardais brachte es fertig über die üblen Umstände in Aillard zu reden, welch schlechten Einfluss die Schiffsroute zur Außenwelt auf Temora hatte und wie gut er selbst sich doch um die Domäne kümmern könnte.Aber plötzlich erstarrte er im Satz und schaute gebannt zum Buffet. Er erbleichte, ganz so als sähe er einen Geist. Also, so wusste Leonie, konnte dort nur Marguerida stehen.
Und sie unterhielt sich mit dem Elben. Das Mädchen hatte doch hoffentlich nicht den Kopf verloren und sich in diesen Fremden verliebt. Die beiden lächelten
sich an, wie zwei die ein gemeinsames Geheimnis bewahren. Jetzt bot er ihr den Arm zum Tanz und sie willigte ein. Das war zuviel für Dom Ardais. Er schnappte hörbar nach Luft und murmelte:
"Besitzt sie denn überhaupt keinen Anstand?"
Mit wütendem Schnauben stapfte er zur Tanzfläche und schob unsanft die vier Ridenowmädchen beiseite, als plötzlich deren Mutter erschien. Domna Ridenow zog und schob Dom Ardais in Richtung des Buffets, indem sie sich mit einem affektierten Lachen bei ihm unterhakte und so die Richtung angab. Dom Ardais konnte eine Comynara unmöglich zu Boden stoßen. Als er sich endlich von der molligen Domna Ridenow befreit hatte, das ganze unter den gehobenen Augenbrauen der Umstehenden, wollte er wieder zur Tanzfläche stampfen. Aber die beiden Tanzenden waren verschwunden. Leonie hatte sich auf Dom Ardais und Domna Ridenow konzentriert und konnte die Beiden einfach nicht finden. Dafür fand Lorill die Ursache des winzigen Tumults. Und als letzte Domäne lernten König Elessar und Gattin den Herrn von Ardais kennen.
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Rakhal trug die blutrote Tunika, denn er wusste, dass heute noch Blut fließe würde. Dazu gehörte der zeremoniellen Waffengürtel, doch der Dolch darin war nicht der traditionell stumpfe Ziergegenstand. Langsam durchschritt er den dunklen Gang. Auf dem Murmeln und Rauschen der fernen Gespräche klangen die Töne der Rryll wie die Schreie der Seevögel auf dem Ozean. Das Licht vor ihm, vom Widerschein vieler tausend Kerzen und Spiegel, drang in einem schmalen Spalt durch den Vorhang, der diesen Eingang vom Saal verbarg. Er wusste nicht, dass Marguerida genau denselben Weg genutzt hatte. Für seine Größe doch ungewöhnlich, schlüpfte er lautlos in den Saal. Das Fest war im vollen Gange. Und ihm gegenüber starrten die vier Ridenowmädchen wütend auf die Tanzfläche und bemerkten so seinen Vater nicht, der sie von hinten zur Seite stieß. So wütend war sein Vater sonst nur im volltrunkenen Zustand, aber soviel konnte er noch gar nicht konsumiert haben. Erst glaubte Rakhal sein Vater hätte ihn erblickt und wollte ihn wegen seiner Unpünktlichkeit strafen, aber dann erkannte er was seinen Vater wirklich so aufgebrachte. Da tanzte Marguerida mit diesem Legolas. Das beherzte Einschreiten Domna Ridenows konnte seinen Vater nicht lange aufhalten.
Der kleine Aufruhr blieb Marguerida aber nicht verborgen und als sie ihren wütenden Pflegevater entdeckte, trat sie den strategischen Rückzug an. So ziemlich genau in Rakhals Arme. Er griff sie und schob sie durch den Vorhang. Gleichzeitig ergriff ihn die Hand des Elben und sie entschwanden alle drei auf recht unsanften Wege aus dem Saal. Rakhal blickte in Mags Gesicht und sah, dass diese nicht wusste, ob sie nun schreien oder lachen sollte, aber angesichts des wütenden Dom Ardais hinter dem Vorhang entschied sie sich für eine leisere Variante. Sie flüsterte:
„Wenn ihr beiden nicht sofort von meinem Schoß aufsteht und wir dann schleunigst verschwinden, wird mein werter Herr Pflegevater sicherlich diesen Eingang finden und dann wird es zu einem sehr lauten und peinlichen Eklat kommen!"
Zugegeben, an dieser Aussage war einiges untertrieben.
Zum einen war Legolas auf Rakhal gestürzt, der wiederum beinahe vollständig über Mag lag und einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté hatte. Zum anderen würde der Eklat ohrenbetäubend werden. Rakhal fühlte, wie ihm die Hitze in seine Wangen stieg. Als Mag endlich wieder ihre Beine gebrauchen konnte, stellten die beiden Herren sie zuvorkommend auf selbige. Dann ergriff Rakhal wieder Magueridas Arm und stürmte in Richtung des Gewächshauses davon. Der Elb folgte ihnen stehenden Fußes. Schnell fand Rakhal die Lichtung zwischen einigen hohen Farnen, die nicht einsehbar war. In deren Mitte blieb er stehen, Margueridas Arm umklammert. Er blickte sie nicht an.
Sie war das kleine Mädchen von damals, verspielt und fröhlich und doch war da dieses Andere, die Entschlossenheit und das Ernsthafte... und auch das Frauliche. Wie ein Schock durchfuhr es ihn, dass ER seine Pflegeschwester begehrte, nicht ein paar verirrte Gedanken irgendeines Pärchens.
Und dann erkannte er, dass seine Wut auf den Elben seiner Eifersucht entsprang. Sie sollte ihm gehören, nur ihm.
"Hier ist es wunderschön, Rakhal. Woher kennst gerade du diesen Ort.", sagte Maguerida in dieser verspielten Art, die sie zu tragen pflegte, wenn sie eine unangenehme Situation überspielen wollte.
Woher sollte Maguerida auch seinen Sinn für Schönheit kennen? Sie hatte ihn nur als ruppigen großen Pflegebruder kennen gelernt, vielleicht einmal als Freund und jetzt als eine Bedrohung. Unbewusst verstärkte er seinen Griff.
"Rakhal, du kannst meinen Arm jetzt loslassen."
Er schwieg. Er wusste nicht... Was sollte er als nächstes tun? Etwas in ihm schrie danach, ihr zu sagen wie sehr er sie liebte. Ein anderer Teil wollte sie am liebsten erwürgen. Und ein dritter Teil wollte sie hier und jetzt auf den Boden werfen und...
"Dom Rakhal, lasst ihren Arm los!"
Ein Befehl von diesem Elb, besitzergreifend. Aber sie gehört ihm nicht. Diese Geschichte musste ein Ende finden. Und einer musste verschwinden. Rakhal zog Maguerida näher an sich heran und zog seinen Dolch. Er spürte sie starr werden und ihr rascher Atem klang unnatürlich laut. Der Elb hatte keinen Dolch.
"Maguerida, gib ihm dein Messer. Ich fordere meine Revanche ein!"
Schockiert blickte sie ihn an.
"Ich werde nicht mit Euch kämpfen. Domna, bemüht euch also nicht.".
Wie nur konnte dieser Elb so vollkommen ruhig bleiben?
"Mir soll es gleichgültig sein, ob Ihr kämpfen wollt oder nicht. Wenn Ihr Euch nicht verteidigen wollt, so sterbt Ihr halt waffenlos."
Bei diesen Worten stieß Rakhal Marguerida zur Seite und stürmte mit einem wütenden Hieb auf den Elben los. Dieser wich aus, büßte jedoch eine Haarsträhne ein.
"Dom Ardais, ich kämpfe nicht mit Euch."
Doch Rakhal stieß immer wieder kraftvoll zu und Legolas bemühte sich, den Stoß abzuwehren. Rakhal keuchte schwer atmend:
"Ihr habt Maguerida verführt! Die Frucht Eurer unlauteren Gelüste wächst in ihrem Leib. Dafür werdet Ihr sterben."
Und mit einem Schrei stürzte sich Rakhal auf den überrumpelten Elben, der zu Boden ging. Dieser plötzliche Erfolg verwirrte Rakhal. Es dauerte einige Sekunden, ehe er das Messer hob um es gegen den am Boden gefesselten Elben einzusetzen.
Mit einem Mal prallte etwas hart in Rakhals Kniekehlen und er sackte überrascht zusammen. Mag warf sich auf ihn und versuchte ihn am Boden zu halten. Er ließ widerwillig den Dolch los, den sie sogleich mit einen Fußtritt in den nächsten Busch beförderte. Dann hatte er auch schon erneut die Überhand gewonnen und drückte sie auf die Erde. Sie schlug um sich, traf ihn aber nicht hart genug um etwas auszurichten. Dann lösten sich Rakhals Hände von ihrem Hals, als Legolas den wild Gewordenen anhob und zu Boden schleuderte.
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Dom Ardais tobte so sehr, wie er es sich in der Öffentlichkeit und unter Wahrung seiner Würde erlauben konnte. Sein Gesicht war tiefrot angelaufen und eine Ader pulsierte an seiner Schläfe. Leonie wusste auch ohne Überwacherin, dass Dom Ardais irgendwann an einem Herzinfarkt sterben würde, bei dem Blutdruck. Vorausgesetzt er brach sich nicht das Genick bei einem Reitunfall. So genau konnte sie es nicht wissen. Ihr Status als Bewahrerin von Arilinn ersparte ihr zumindest, dass er seine ganze Wut an ihr ausließ.
"Das war Maguerida, die ungezogene Göre. Ihr wusstet, dass sie wieder aufgetaucht ist, Dom Hastur. Und Ihr erlaubt ihr auch noch sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Ich hätte ihr erst einmal eine Tracht Prügel verabreicht, die sie so schnell nicht wieder vergisst..."
Lorills Ruhe überraschte Leonie immer wieder, denn auf diesen rüden Tonfall erwiderte er beinahe väterlich:
"Mein lieber Dom Ardais, das ist ja Euer Problem. Maguerida ist die Erbin von Aillard, und sie ist kein Kind mehr, damit seid ihr nur noch formell ihr Vormund. Der Rat muss dringendst die Herrschaft von Aillard wieder stabilisieren. Es hilft nichts sie halbtot zu schlagen!"
"Der Rat begeht nicht noch einmal den Fehler und lässt ein Weibsbild eine Domäne übernehmen. Nach Generationen besteht nun endlich die Möglichkeit, diese abartige Tradition in Aillard abzuschaffen. Ein Mädchen braucht einen Mann, der die Zügel für sie in Hand nimmt und einen Herd, statt sich in Regierungsgeschäfte einzumischen."
Leonie seufzte innerlich. Die ganze Geschichte wäre so viel einfacher, wenn ER sich nicht in die Regierung einmischen würde. Aber der Ärger lag wohl in der Familie. Rakhal war ein Risikofaktor und sie musste die drei schnellstens finden. Dafür musste sie aber zuerst Dom Ardais loswerden und aus den Bereich der Dämpfer kommen. Nur ließ sich keiner freiwillig auf ein Gespräch mit dem alten Ardais ein. Das blieb denen überlassen, die Repräsentationspflichten besaßen.
Gabriels xenophobische Veranlagung machte es den Gästen allerdings nicht leicht. Dom Ardais ignorierte König Elessar und Königin Arwen vollkommen. Es war eigentlich ein wenig schändlich von ihr, ihren Bruder in so einer Situation alleine zu lassen. Trotzdem entschuldigte Leonie sich und wandte sich in Richtung der Waschräume, während sich Dom Gabriel weiterhin mit Lorill stritt.
Die Dämpfer waren gut kalibriert, denn schon einige Metern den Gang entlang spürte sie kaum noch ihr charakteristisches Dröhnen. Allerdings fand sie Maguerida und Rakhal auch ohne Laran. Aus dem Gewächshaus drangen ganz untypisches Rascheln und dumpfe Schläge. Leonies Befürchtungen verstärkten sich, als sie durch die Büsche trat und Legolas und Rakhal in einem Handgemenge antraf. Dieser Dummkopf von Ardais hatte den Elben tatsächlich zum Duell gefordert und verletzt, wenn er ihn nicht gar tötete. Es lag wirklich in der Familie der Ardais internationale Beziehungen zu sabotieren.
"Schluss damit!"
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Ein blauer Edelstein kullerte durch das niedrige Gras, rollte gegen ein Stück Holz und blieb unter einem mit Elanor überwachsenen Stein liegen. In diesem Moment brach der Mond durch die Wolkendecke und durchflutete das Gewächshaus mit seinem blassen, gespenstischen Licht. Mag saß keuchend am Boden und hielt sich die Seite. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor. Ihre rote Haarmähne umrahmte das kalkweiße Gesicht. Ihr fassungsloses Gesicht brannte sich als letztes Bild in Rakhals Gedächtnis ein, bevor sich die Welt in einen dichten, grauen Nebel hüllte.
