All That I Need

Kapitel 4

Die nächsten Tage verbrachte Hermine tatsächlich damit, das Protokoll zu überarbeiten und ins Reine zu bringen. Dabei fragte sie sich hin und wieder, wie es dazu kommen konnte, dass der Kobold Geld unterschlagen hatte. Sie glaubte, Kobolde bei Gringotts wären die zuverlässigsten Geschöpfe überhaupt.

Dieser Vorfall hatte bereits jetzt schon Konsequenzen nach sich gezogen. Ab sofort musste sich jeder Kobold sowie jeder andere Angestellte bei Gringotts wie die Fluchbrecher einen Wesenstest unterziehen. Zusammen mit Mr Diggory und Mrs Ranzing, der Leiterin des Koboldverbindungsbüros sollten sie den Test demnächst ausarbeiten.

Das würde sicherlich bei der Auswahl der nächsten Mitarbeiter helfen. Und was, wenn… Hermine wusste, dass es abwegig war, und dennoch konnte sie sich ihrer auf sie einstürzenden Gedanken kaum erwehren. Was wenn Voldemort dahinter steckte? Sicher, sie hatte jetzt schon einige Male bestätigt bekommen, dass der Dunkle Lord vernichtet war und nicht zurückkommen konnte. Doch dieser stehlende Kobold ist genau so unglaublich wie der Einbruch bei Viktor und kurz darauf bei ihr zu Hause. Das konnte alles kein Zufall sein!

Aber Hermine beschloss, erst einmal ein paar Bücher zu Rate zu ziehen. Vielleicht gab es ja schon mal einen stehlenden Kobold. Auch wenn sie die Antwort bereits jetzt schon kannte…

Tag für Tag verging und Hermine war so mit ihrer Arbeit beschäftigt, dass sie kaum noch Zeit hatte um an Viktor zu denken. Abends fiel sie meistens todmüde ins Bett, so dass sie nicht mal einen Gedanken daran verschwendete, nachzusehen, ob ein Brief angekommen war. Doch es war gut so wie es war. Hermine hätte es sonst nur das Herz zerrissen, denn kein Brief erreichte sie in diesen Tagen.

Eine eine leise Traurigkeit schlich sich in ihr Leben, die vorrangig von ihrem Unterbewusstsein wahrgenommen wurde.

So konnte sich Hermine nicht erklären, warum es ihr in letzter Zeit nicht sonderlich gut ging. Ständig fühlte sie sich erschöpft und auch unglücklich. Aber letzteres würde sich Hermine nie eingestehen. Die Arbeit im Ministerium erfüllte sie voll und ganz, sie hatte einfach keinen Grund, unglücklich zu sein.

Doch, jaulte es in ihrem Inneren auf, als Hermine eines Nachts zuviel Zeit zum Nachdenken hatte. Morgen, am 19. September, hatte sie Geburtstag. Nein, sie war nicht aufgeregt. Aus diesem Alter war sie raus. Und dennoch schien es wie eine Art Tradition zu sein, in der Nacht vor dem Geburtstag nicht einschlafen zu können.

Am nächsten Morgen warteten bereits Hedwig und Pigwidgeon vor Hermines Fenster. Harry und Ron ließen es sich natürlich nicht nehmen, ihrer besten Freundin per Eulenpost zu gratulieren. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und für eine Weile war die Welt in Ordnung.

Trotz dem Mr Diggory meinte, sie könne sich heute frei nehmen, war es Hermine lieber, zur Arbeit zu gehen. Ihre Eltern waren gestern schon nach Glasgow gefahren, wo ein landesweiter Zahnarzt-Kongress stattfand. Sie würden die ganze Woche nicht da sein. Was sollte sie also alleine zu Hause rumsitzen und Däumchen drehen? Nein, dachte sie.

So machte sie sich lieber auf den Weg zur Arbeit. Irgendwie war ihr auch gar nicht nach feiern zumute. Etwas fehlte ihr, um an diesem Tag glücklich zu sein. Aber was?

Schon von weitem sah sie eine rote Rose auf ihrem Schreibtisch liegen. Ein Absender war nicht angegeben. Lediglich ein „Happy Birthday" stand auf der Karte. Hermine sah sich um. Wer könnte ihr eine rote Rose schenken?

„Mr Diggory? Haben Sie…?"

„Was? Oh, nein, die ist nicht von mir. Die lag hier schon, bevor ich ins Büro gekommen bin", gluckste er fröhlich. „Aber bevor ich es vergesse: Alles Gute zum Geburtstag, Miss Granger." Hermine bedanke sich und ließ sich gedankenverloren auf ihren Stuhl fallen. Sie könnte jetzt nach Fingerabdrücken auf der Karte suchen, aber das erschien ihr jetzt doch zu aufwändig. Nein, wahrscheinlich würde die Person heute es noch auftauchen. Dann würde das rätselraten ein Ende haben. Und trotzdem fragte sie sich…

„Flynn!" schoss es aus ihr heraus. Er kam gerade mit einem breiten Grinsen auf sie zu. In den letzten Tagen waren sie sich so oft über den Weg gelaufen, dass sie beschlossen, sich einfach beim Vornamen zu nennen. Außerdem konnte er ihr einen guten Einblick in die Arbeit von der Zauberwesenbehörde liefern. Hermine hatte immer noch vor, ein Forum für die Hauselfen zu schaffen.

„Alles Liebe zum Geburtstag, Hermine", schwungvoll setzte er sich mal wieder auf ihren Schreibtisch.

„Danke. Sag mal, die ist aber nicht von dir, oder?" Hermine wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen. Jedenfalls nicht, wenn sie „Ja" war.

„Was? Die Rose? Nein. Die lag hier schon, als ich gekommen bin. Vielleicht hast du noch einen heimlichen Verehrer?"

„Wie ‚noch einen'?"

„Ehm… ist ja auch egal. Derjenige, der dir die Rose geschenkt hat, wird schon noch auftauchen." Flynn entschuldigte sich, dass er jetzt auch mal arbeiten müsse und ging zu seinem Schreibtisch zurück.

Der Tag an sich verlief ziemlich ruhig und war ohne große Zwischenfälle. Also sehr langweilig. Hermine feilte noch ein wenig an dem Wesenstest für Gringotts Mitarbeiter herum, aber sie war nicht sehr motiviert und so beschäftigte sie sich vielmehr damit, wie sie den Hauselfen mehr Rechte verschaffen konnte. Hermine machte sich mehrere Notizen, schrieb Punkte auf, die in späteren Gesetzesentwürfen auf jeden Fall auftauchen sollten. Sehr wichtig für sie waren „Die Würde des Hauselfen ist unantastbar" und „Hauselfen haben bei unfairer Behandlung das Recht zu kündigen". Das wären so zwei Grundpfeiler.

„Was schreibst du denn da?" Flynn hatte sich unbemerkt von hinten an Hermine herangeschlichen und schaute ihr jetzt über die Schulter.

„Sag mal, kannst du dich nicht mal um deine Angelegenheiten kümmern?" fragte Hermine genervt und wollte ihr eben Geschriebenes verdecken.

„Nein, lass doch" er hielt sie am Arm fest. „Du willst dich für die Hauselfen einsetzen?" Er schaute sie fragend an. Anstatt zu antworten, nickte Hermine.

„Das ist ein hoffnungsloses Unterfangen, glaub mir" dabei setzte er sich wieder schwungvoll auf ihren Schreibtisch.

„Aber es muss doch möglich sein, bestimmte Gesetze zum Schutz der Hauselfen zu erlassen!"

„Nein. Ich hatte mich schon mal damit beschäftigt. So lange es noch die alteingesessenen Zaubererfamilien gibt, kann man nichts für die Hauselfen tun." Hermine sah Flynn mit großen Augen an.

„Du hast es schon versucht?"

„Ja, mehrmals. Irgendwann habe ich es aufgegeben. Man muss sich damit abfinden, dass die Hauselfen unterdrückte Zauberwesen sind."

„Damit abfinden!" äffte sie ihn nach. „Das kann doch nicht sein! Wenn alle immer gleich aufgeben würden, dann würden wir wahrscheinlich jetzt noch in Höhlen hausen und frieren!"

„Hermine, es hat wirklich keinen Sinn."

„Das glaube ich erst, wenn ich's selbst probiert habe. Und glaub' mir, ich werde es schaffen."

„Weißt du, das glaube ich dir sogar. Vielleicht hatte ich nie genug Engagement für die Sache gehabt."

Hermine wollte etwas erwidern, besann sich jedoch eines anderen.

„Wieso setzt du dich für die Hauselfen ein – oder hattest es zumindest versucht."

Flynn zuckte nur mit den Schultern. „Lange Geschichte."

„Egal. Ich will sie trotzdem hören."

„Na gut. Aber nur, wenn ich dich auf einen Kaffee einladen darf." Ein Lächeln huschte tatsächlich über ihr Gesicht.

„Also schön."

Ein paar Minuten später kam Flynn mit zwei Becher Kaffee wieder, holte sich einen Stuhl und setzte sich zu Hermine an den Schreibtisch.

„Also?" fragte sie ihn nach dem ersten Schluck.

„Na ja. Als Kind war ich oft allein. Meine Eltern hatten ständig zu tun, waren immer unterwegs. Sie haben ebenfalls fürs Ministerium gearbeitet, für die Abteilung Internationale Magische Zusammenarbeit. Mein einziger Freund in dieser Zeit war Maddy, unsere Hauselfe. Sie war immer für mich da und hat mir immer heimlich etwas zu Essen aufs Zimmer gebracht, wenn ich mal Unsinn gemacht hatte und nichts zum Abend essen durfte. Mein Vater hatte sie oft spüren lassen, dass er das auf keinen Fall duldete. Für mich Maddy wie eine Insel. Ein Ort, an dem alles in Ordnung war und an dem ich so sein durfte, wie wollte und wie ich auch war. Bei meinen Eltern hatte ich immer das Gefühl, ich müsse mich verstellen um ihnen zu gefallen."

Fasziniert hörte Hermine ihm zu. „Das tut mir ehrlich leid", meinte sie schließlich, als Flynn geendet hatte.

„Was?"

„Dass deine Eltern so selten für dich Zeit hatten."

„Ach. Weißt du, das war nicht so schlimm. Es hat mir nur weh getan, dass sie Maddy immer bestraften, wenn sie mir eine Freude machen wollte."

„Und wo ist Maddy jetzt?"

„Oh – das weiß ich gar nicht. Mein Vater hat ihr die Freiheit geschenkt und sie musste gehen. In diesem Fall die hinterhältigste Strafe, die ich mir vorstellen konnte. Und zwar nicht für Maddy, sondern für mich. Ich weiß, das klingt sehr sonderbar. Für Maddy war es natürlich auch die härteste Strafe, die sie je ausbaden musste."

„Aber es ist doch gut, dass sie jetzt frei ist."

„Ja, schon. Aber… ach, wie soll ich dir das erklären?" Flynn starrte an die gegenüberliegende Wand.

„Weißt du, Hauselfen wollen dienen. Verstehst du? Sie wollen es einfach. Das liegt in ihrer Natur und das ist etwas, das sie erfüllt. Wir können uns das kaum vorstellen, aber es ist tatsächlich so. Doch die Bedingungen, unter denen Hauselfen dienen, müssen unbedingt geändert werden."

Hermine nickte eifrig. Sie hätte nicht damit gerechnet, doch noch jemanden zu finden, der für die Rechte der Hauselfen kämpfte. Bisher hatte sie immer geglaubt, alleine zu sein. Da hatte sie sich in den letzten Tagen schon so oft mit Flynn unterhalten, hatte ihn gefragt wie die Arbeit in der Zauberwesenbehörde abläuft und so. Doch sie vermied es, ihn auf die Sache mit den Hauselfen anzusprechen, da sie schon schlechte Erfahrung gemacht hatte wenn sie mit der Tür ins Haus fiel. Und jetzt stellte sich heraus, dass er genauso dachte. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte er ihr gar nicht machen können.

Die zwei redeten noch eine Weile über ihre Erfahrungen mit Hauselfen, dann ging Flynn wieder zurück an seinen Schreibtisch.

Auch Hermine arbeitete weiter, nicht ohne ständig an Flynns Geschichte zu denken. Das muss grausam für ihn gewesen sein, als Maddy in die Freiheit entlassen wurde.

Die Zeit verging wie im Fluge und ehe sie sich versah, war sie wieder einmal die letzte in ihrer Abteilung, die ihre Sachen zusammenpackte. Nun ja, fast die letzte. Flynn war auch noch da, doch auch er schaffte es noch vor Hermine aus dem Büro.

Da Hermine es nicht eilig hatte, nach Hause zu gehen, ließ sie sich viel Zeit beim Einpacken ihrer Sachen und ordnete noch die letzten Pergamentrollen ein.

Mit einem Mal ging das Licht aus. Hermine stöhnte genervt auf. Das konnte doch nicht sein. Warum ausgerechnet heute? „Wollen die mich loswerden? Ich geh ja gleich!" murmelte sie vor sich hin und und ließ ihren Zauberstab leuchten. Es war ja schon ein wenig unheimlich, hier so ganz allein zu sein, darum beeilte sie sich auch.

Auf dem Schreibtisch lag ihre Tasche und als sie diese nehmen wollte ging das Licht wieder an. Na toll. Haben die es sich wohl anders überlegt, war ihr Gedanke.

Hermine hielt plötzlich inne. Ihr Herz begann zu klopfen und ihr war, als würde sie Blicke auf ihren Rücken spüren. Jemand war hier in der Abteilung! Das spürte sie. Aber wer…?

Mutig drehte sie sich um, so dass sie die Tür sehen konnte.

Here I am - this is me
There's no one else on earth I'd rather be
Here I am - 's just me and you
Tonight we make our dreams come true.

Hermine glaubte zu träumen. Da stand Viktor. Da stand tatsächlich Viktor! All die für kurze Zeit verschollenen Gefühle, Erinnerungen waren wieder da und und wühlten sie innerlich auf.

Viktor ging langsam auf Hermine zu. Der Moment, den er sich sehnlichst herbeiwünschte, war endlich gekommen.

Zögernd kam sie ihm entgegen, immer noch nicht sicher, ob sie das alles vielleicht doch nur träumte. Erst als er sie anlächelte und seine Arme sich um sie schlossen, wusste sie, dass es die Wirklichkeit war. Er war hier, bei ihr.

Tränen bahnten sich ihren Weg über Hermines Wangen. Beruhigend strich Viktor über ihren Rücken. Die Wärme seiner Hand drang durch ihren Umhang und Hermine fühlte sich wunderbar geborgen.

Nach geraumer Zeit, in der sie einfach nur so dastanden und sich umarmten, fanden sich ihre Münder und trafen sich zu einem lang ersehnten Kuss.

Als sie sich atemlos voneinander trennten, hielt Viktor sie ein wenig von sich weg. Er wischte sanft ihre Tränen vom Gesicht, küsste sie abermals und flüsterte dann dicht an ihrem Ohr „Happy Birthday, meine geliebte Hermine".

A/N: Lyrics by Bryan Adams - Here I Am