Tage und sogar Wochen vergingen seit dem Gespräch im Archiv. Hermine suchte fast krampfhaft nach einer Antwort auf all die Fragen die sich ihr stellten. In einem Brief bat sie Ginny darum, sie über alle Merkwürdigkeiten in Hogwarts auf den Laufenden zu halten. Jede noch so kleine Änderung könnte wichtig sein.

Hermine verbrachte Stunden damit in Büchern zu wälzen. Doch sie wurde nicht fündig. Allerdings würde es die Suche erheblich vereinfachen, wenn sie einen Anhaltspunkt hätte, wonach sie überhaupt Ausschau halten sollte.

Viktor hatte sich eine Wohnung in Hermines Nähe gemietet. Er hielt sich allerdings wenig darin auf. Nach getaner Arbeit im Ministerium begleitete er Hermine oft nach Hause und verbrachte nicht selten den Abend dort. Ihre Eltern waren sehr nett und tolerant, von daher ging er bei den Grangers ein und aus.

Eines Abends, es war schon Mitte November, knallte Hermine das Buch zu, das eben noch vor ihr aufgeschlagen auf den Tisch lag. Viktor, der es sich mit einem ähnlich dicken Wälzer auf dem Bett bequem gemacht hatte, erschrak und sah sie fragend an.

„Das hat doch alles keinen Sinn! Ich lese das Buch jetzt schon zum dritten Mal, und ich habe immer noch nichts gefunden, das mir weiterhelfen könnte." Hermine war den Tränen nah. Es konnte doch nicht sein, dass sie diesem Rätsel hilflos gegenüber standen.

„Nur die Ruhe, wir werde schon…" Doch Hermine ließ Viktor nicht zu Ende sprechen.

„Wie kann ich ruhig bleiben? Irgendetwas passiert mit Harry und ich habe keine Ahnung was!" Hermine stand von ihrem Stuhl auf und lief unruhig in ihrem Zimmer hin und her. Es war schon weit nach Mitternacht. Aber da morgen Sonntag war, konnte sie ausschlafen und musste sich keine Gedanken um eventuelle Müdigkeit machen. Viktor würde heute bei ihr schlafen, so hatten sie es für die Wochenenden mit ihren Eltern verabredet. Hermine fand das zwar recht engstirnig – schließlich war sie eine erwachsene Hexe – doch um des Friedens Willen gab sie ihren Eltern nach. Wahrscheinlich würde sie es sowieso nur durcheinander bringen, wenn sie jeden morgen neben ihn aufwachen würde.

„Nun setz dich doch wieder. Du machst mich noch ganz kribbelig." Er griff nach ihren Arm und zog sie zu sich aufs Bett. Er gab ihr einen kurzen Kuss, woraufhin sich Hermine wieder beruhigte.

„Viktor… ich weiß nicht. Vielleicht suchen wir in der falschen Richtung. Gehen wir noch mal das durch, was wir bereits wissen. Also: Harry kämpfte allein gegen Voldemort. Dann Erstarrungszauber und Fluch, der Voldemort in tausende von Stücken zerdepperte. Ein Stück traf Harry, der Rest verpuffte. Das ist das, was Harry erzählte." Sie machte eine Pause und dachte nach.

„Wir könnten ja noch mal im Archiv des Ministeriums schauen. Vielleicht ist dort ein ähnlicher Fall aufgezeichnet", schlug Viktor vor.

„Meinst du?"

„Könnte doch sein?"

Hermine stieß ihm ihren Ellenbogen in die Rippen. „Viktor ich meine es Ernst!"

„Ich doch auch", sagte er mit zusammengepressten Zähnen und rieb sich die schmerzende Stelle.

„Na gut. Ich schätze, für heute reicht es sowieso." Viktor rückte ein Stück zur Seite, so dass Hermine zu ihm unter die Decke schlüpfen konnte. Sie kuschelte sich dich an ihn heran, als er seinen Arm um sie legte. Dann löschte er das Licht und die zwei schliefen recht bald friedlich ein.

Es verging eine weitere Woche, ohne dass Hermine in ihren Recherchen vorankam. Es war wie verhext! Im Archiv wurde sie nicht fündig. Viktor erging es nicht anders. Er hätte Hermine gerne geholfen indem er die Antworten auf ihre Fragen kannte, doch musste er sich eingestehen, dass er ihr keine große Hilfe war.

Noch dazu kam, dass Hermine mit Arbeit überhäuft wurde. Immer wieder tauchten Berichte über verängstigte Hauselfen auf. Gut, das war vielleicht nicht neu. Aber neuesten Berichten zufolge, verließen die Elfen sogar das Haus ihres Meisters. Hermine wusste schon immer, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Hauselfen endlich aufwachten und sich wehrten. So hatte sie es sich allerdings nicht vorgestellt. Und ihre Arbeit bestand auch lediglich darin, diese ganzen Berichte nach ihrer Dringlichkeit zu sortieren. Also häufte sie jeden, aber auch absolut jeden Bericht in dem das Wort „Elfe" vorkam auf einen Stapel an und brachte ihn eines Tages zu ihrem Chef.

„Mr Diggory, wir müssen unbedingt ein Forum für die Elfen einrichten. Sie brauchen einen Ort der Erholung und der Sicherheit." Damit knallte sie einen Stapel Papyrusrollen auf seinen Schreibtisch. Amos Diggory schaute seine junge Sekretärin an, als würde er sie heute zum ersten Mal sehen.

„Die Hauselfen wissen schon was sie machen und…"

„Das kann doch nicht ihr Ernst sein! Etwas Seltsames geht hier vor und wir sollten die Sorgen und Nöte der Elfen Ernst nehmen." Hermine redete sich in Rage. Ihr war durchaus bewusst, dass das ihren Job kosten konnte. Doch was sollte sie denn machen? Sie hatte doch eigentlich keine andere Wahl. Es war ihr schon immer ein Bedürfnis, sich für die Schwachen einzusetzen, ganz besonders für die Elfen. Und jetzt bot sich die Gelegenheit, etwas für diese magischen Geschöpfe zu tun.

„Miss Granger, sie vergessen wohl dass sie nur Assistentin sind!"

„Nein… i-ich wollte nur…"

„Sie wollten nur ihre Nase in Dinge stecken, die sie nichts angehen. Halten sie sich weitestgehend aus der Elfengeschichte raus und sortieren sie nur die Berichte. Noch werden sie nicht fürs Denken bezahlt!"

Hermine standen die Tränen in den Augen. Wie konnte dieser Mann so herzlos sein? Bisher war er stets freundlich und herzlich. Und jetzt das? Hermine machte auf den Absatz kehrt und stürmte aus dem Büro. Prompt stieß sie mit Flynn zusammen.

„Nicht ganz so stürmisch", lachte er. Doch nach einem Blick in ihre Augen fragte er sofort, was denn geschehen sei.

Hermine blickte Flynn an und erkannte einen rettenden Strohhalm. Wenn sie etwas für die Hauselfen tun wollte, dann würde das nur mit Flynns Hilfe gehen.

„Hast du nachher Zeit? Ich muss mit dir reden." Sie ließ ihm erst gar keine Zeit zum Antworten, sondern sagte gleich, dass sie in der Mittagspause zu ihm gehen würde. Dann war sie wieder weg. Flynn zog die Stirn kraus, war aber neugierig, um was es gehen könnte.

„Also wenn ich dich richtig verstehe, willst du einen Zufluchtsort für die Hauselfen schaffen?" Flynn und Hermine saßen an seinem Schreibtisch, dicht gegenüber, so dass sie nicht so laut sprechen mussten.

„Richtig. Glaubst du, es gibt irgendwo einen Ort, wo wir die Elfen verstecken und aufpäppeln können?" In ihrer Stimme schwang Hoffnung mit.

„Also ehrlichgesagt… ich weiß es nicht. Ich will mich aber umhören", versprach Flynn.

Hermine dachte angestrengt nach. Ihr fiel schon ein solcher Ort ein. In Hogwarts gab es den Raum der Wünsche. Doch sie ging nicht mehr zur Schule und diesen Raum für ihre Zwecke zu missbrauchen erschien ihr nicht als richtig. Also verwarf sie diesen Gedanken wieder und überlegte stattdessen, ob man mit Hilfe von Magie einen Zufluchtsort für Elfen schaffen könne.

„Flynn, so wie es Muggelabwehrzauber gibt, muss es doch auch welche für Zauberer geben, oder? Ich meine, man muss doch einen Raum schaffen können, der für unbefugte unauffindbar ist!" Flynn dachte nach. Doch, es gab da eine Möglichkeit. Gerade als er zum Sprechen ansetzen wollte, dachte Hermine an das gleiche und platzte damit heraus.

„Der Fidelius-Zauber!", flüsterte sie beinahe ehrfurchtsvoll. Flynn nickte. „Meinst du, wir könnten… für die Elfen…?"

„Ich denke schon, dass das geht. Aber zu allererst sollten wir auch mit den Elfen sprechen. Du weißt, sie sind sehr eigenwillige Wesen."

„Ja… du hast sicherlich Recht. Aber wie können wir Kontakt zu ihnen herstellen?"

„Lass das nur meine Sorge sein. Mir fällt da schon was ein." Hermine nickte und wollte gerade aufstehen um zu gehen. Da ergriff Flynn ihre Hand und zog sie noch mal dicht an sich heran.

„Hör zu… wenn das alles klappen soll, dann darfst du niemanden von dem vorhaben erzählen. Auch Viktor nicht. Niemanden." Hermine schluckte schwer und willigte schließlich ein. Flynn ließ sie los und sie verabschiedete sich.

Als Hermine wieder an ihrem Schreibtisch saß, war sie um einiges zuversichtlicher.