„Sie wollten mich sprechen, Croft?" Der Söldner blieb in der Tür des Zimmers abwartend stehen und sah sich aufmerksam um. Sein Blick wanderte über die Bücherschränke, die moderne Kommunikationsanlage und die zahllosen Andenken und Fundstücke früherer Expeditionen. Dann richteten sich seine grauen, wachsamen Augen wieder auf Lara: „Hübsche Sammlung."
„Sie ahnen ja gar nicht, was mir Ihr Urteil bedeutet.
Es wird Zeit, dass Sie etwas für das Vertrauen tun, das ich in Ihnen entgegenbringe." In Laras Stimme schwang mehr als nur ein Hauch Sarkasmus mit. Dann rief sie sich selbst zur Ordnung. Auch wenn sie jetzt über Roux ziemlich widerliche Vergangenheit Bescheid wusste, so brauchte sie ihn wahrscheinlich immer noch. Und es währe einfach dumm gewesen, ihn misstrauisch zu machen. Deshalb schluckte sie die nächste bissige Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge lag und reichte dem Söldner einfach nur das Buch, das sie in Jacksons Wohnung gefunden hatte.
„Und was soll ich mit dem Schmöker?"
„Sehen Sie sich es doch mal genauer an. Ein paar Stellen sind markiert. Ich wette, da steht etwas über die Stellen, wo Pieter gegraben hat."
„Und dazu geben sie mir irgendeine dämliche Kolonialschwarte?"
„Das ist das einzige, was ich bei Pieter finden konnte. Und da Sie ja nicht wissen, wonach er eigentlich gesucht hat..."
Roux schnaubte abfällig: „Das hatten wir doch schon mal. Ich interessiere mich nicht für verrottende Knochen oder alte Keramik. Mir hat die Gegend nicht gefallen. Schlecht zu verteidigen und...
Ich war Sicherheitschef, verdammt. Meine Aufgabe war es, mit nur fünf Mann, von denen zwei bestenfalls als Nachtwächter taugten, achtzig Arbeiter und Wissenschaftler und das ganze verfluchte Lager zu sichern."
„Nicht sehr erfolgreich."
Jean Roux presste die Lippen zusammen und warf Lara einen mörderischen Blick zu.
„Aber da wir schon mal dabei sind - WO genau habt ihr denn nun gegraben?"
„Am Oberlauf des Lukenie - 320 Kilometer nördlich von Kananga und etwa 140 Kilometer westlich von Lodja. Reicht das?" Jetzt klang auch Roux Stimme sarkastisch.
„Das reicht nicht. Entweder Sie geben mir jetzt die genauen Koordinaten, oder Sie können zum Teufel gehen."
Roux musterte Lara scharf, dann zuckte er mit den Schultern und rasselte mit leicht zusammengekniffenen Augen mehrere Zahlenkombinationen herunter. „Erste Ausgrabungsstelle, Zweite Ausgrabungsstelle, Dritte Ausgrabungsstelle. Erstes Basislager, Zweites Basislager - für die Ausgrabung Nummer Drei mussten wir nämlich das ganze Lager verlegen."
Währenddessen hatte der Söldner das Buch aufgeschlagen und blätterte. Dann knallte er es aufgeklappt auf den Tisch: „Und wenn Sie schon glauben, dass Sie in dieser Antiquität irgendetwas Nützliches finden können, es war diese Gegend, Croft."
Lara nahm das Buch auf und blätterte: „Was wissen Sie eigentlich über die Geschichte des Belgisch-Kongo?"
„Nicht viel. Reden Sie von der Scheiße, die seit der Unabhängigkeit abging? Die Belgier hatten ihre Finger in jedem Dreck, der seitdem am Kongo geschah, egal mit welchem Verrückten sie dazu ins Bett steigen mussten. Sie haben den einzigen gewählten Präsidenten - Lumumba - kaltgemacht, oder waren jedenfalls beteiligt. Sie haben Tschombe..."
„Danke, sehr anschaulich. Aber die Zeit meine ich nicht. Ich rede von der Kolonialzeit.
Der belgische Kongo gehörte dem belgischen König, nicht dem Staat. Ein Drittel der Bevölkerung soll im Laufe dieser Zeit gestorben sein - ermordet, zu Tode geschuftet, an Krankheiten und Hunger eingegangen. Der Kongo wurde rücksichtslos ausgepresst: Elfenbein, Kautschuk, Diamanten, Kupfer. Und alles erkauft mit dem Blut der Eingeborenen."
„Dann hat sich ja nicht viel geändert."
„Sie müssen es ja wissen, Söldner. Jedenfalls stammt das Buch aus dieser Zeit. Der Autor - Adrien Fillon - war ein Offizier der Kolonialtruppen. Wie es aussieht war er etwas intelligenter als die üblichen Komißköpfe, auch wenn er immer noch ein ziemlicher Rassist war."
„Und was schreibt er nun?"
„Hm...Er hat sich wohl offenbar vor allem für Eingeborenenmythen interessiert. Hier ist die Rede von ‚riesigen, beharrten Untieren, die junge Mädchen aus den Dörfern stehlen'..."
„Gorillas. Na und?"
„...'affengesichtige Zwerge, die im Urwald leben und Menschenfleisch fressen.'"
„Pygmäen, auch wenn ich noch nie gehört habe, dass die Menschen fressen."
„Und von Tiermenschen, halb Raubkatze und halb Mensch. Angeblich wurden junge Frauen von Raubtieren geschwängert und gebaren Mischwesen. Diese sollen dann die Tierkulte und geheimen Kriegerbünde der Eingeborenen gegründet haben. Er redet von Artefakten..."
Roux sah aus, als würde er am liebsten ausspucken. In seiner Stimme schwang Verachtung und Unglauben mit: „Das ist doch Schwachsinn, Croft! Finden sie diese verklemmte Kolonialpornographie etwa anregend? Dieser Fillon hat sich doch nur irgendwelchen Scheiß ausgedacht, an dem sich seine Leser aufgeilen konnten. Und wenn Sie glauben, dass Jackson an so einen Blödsinn geglaubt hat..."
Um Laras Lippen zuckte es: „Sparen Sie sich ihre Eloquenz. Was Sie vergessen: nimmt man den ganzen Unsinn beiseite, den die Eingeborenen und die Belgier erfunden haben, dann bleiben Fakten übrig: die Berggorillas und die Pygmäen. Glauben Sie mir, in fast jeder Sage verbirgt sich ein wahrer Kern, auch wenn er entstellt und verdreht wurde."
„Das ist ihre Sache. Ich glaube nicht daran. Aber das ist doch auch egal. Sie raten nur - und würden nicht einmal wissen, wenn Sie richtig liegen würden."
„Mit diesem ‚Raten' erfahren wir vielleicht, was das Killerkommando bei der Ausgrabung wollte und wer sie bezahlt hat. Und da wir schon dabei sind - haben Sie irgendeine Ahnung, wer die Expedition finanziert hat?"
„Ich weiß es nicht. Jackson hat gelegentlich mit den Geldgebern telefoniert, aber immer alleine. Machte ein richtiges Geheimnis daraus. Vielleicht ein Privatsammler...
Deshalb haben ihm wohl auch die Leute vom Kongolesischen Nationalmuseum nicht getraut. Dachten wahrscheinlich, er verschiebt die besten Stücke unter Hand."
Laras Stimme wurde schneidend: „Pieter würde NIEMALS Funde unterschlagen, oder sie einem Privatsammler zuschieben. So war er nicht.
Und er hat immerhin mit dem Nationalmuseum von Kinshasa zusammengearbeitet. Allerdings waren die Angaben vage, die ich da bekommen habe. Angeblich ging es um frühzeitliche Siedlungen und Kulte in der Kasei-Region. Das könnte zu der Geschichte mit den Tierkulten passen. Vielleicht haben sie etwas entdeckt, dass mehr war, als nur ein paar verrottende Relikte."
„Sie fischen doch nur im Trüben, Croft."
„Allerdings. Und deshalb sollten wir alle möglichen Spuren verfolgen." Lara drehte sich bei diesen Worten um und drückte auf einen Knopf der Kommunikationsanlage. Auf dem Bildschirm erschien das überraschte Gesicht von Bryce: „Lara? Was ist denn nun schon wieder? Geht es um Rou..." Dann bemerkte er den Söldner und brach ab.
„Einer Ihrer Mitarbeiter, Croft?"
„Das ist Bryce. Ihren Namen kennt er schon, also genug der Formalitäten.
Bryce, du kümmerst dich um die Geldgeber, die Pieters Expedition finanziert haben. Ich sehe inzwischen, was ich über diese Tierkulte erfahren kann. Und Roux - Sie wollten sich doch ursprünglich in London einen neuen Job suchen. Kann ihr Kontakt auch Informationen über andere Söldner liefern?"
„Sie meinen das Burenschwein? Schwierig. Zwar ist London eines der Zentren des Gewerbes, aber die Szene ist nicht mehr so übersichtlich, wie in der guten alten Zeit. Seitdem der Ostblock zum Teufel ging und in Südafrika das Apartheitssystem zerbrach...
Außerdem ist die Szene misstrauisch. Sie brauchen Kontakte - oder einen gewissen Ruf."
„Dazu bezahle ich Sie doch, Roux."
„Machen Sie sich mal keine zu großen Hoffnungen. Ich glaube nicht, dass diese Arschlöcher zu einer der großen Firmen wie Blackwater gehörten. Andererseits schienen sie aufeinander eingespielt - wie eine militärische Einheit. Das war nicht ihr erster gemeinsamer Einsatz. Wenn sie aber eine kleine Söldnereinheit oder eine auf längerer Kontraktbasis operierende Gruppe sind, dann wird es schwierig, etwas zu erfahren."
„Auf einmal entdecken Sie Schwierigkeiten, Roux? Sie haben doch den Insider gespielt, der an die Informationen herankommt."
„Das war, bevor uns jemand diese Biker-Idioten auf den Hals gehetzt hat. Wer auch immer deren Auftraggeber war, ich will nicht vor seiner Nase jede verdammte Söldnerfirma abklappern. Oder glauben Sie, es interessiert die nicht, wenn ich nach diesem Scheißafrikaander und seinen Totschlägern suche."
„Wer sind ‚die'?" schaltete sich Bryce ein.
„Ja wer sind ‚die', Idiot!" äffte Roux ihn nach, beantwortete die Frage aber nicht, sondern fuhr an Lara gewandt fort: „Ich kann mich natürlich umhören, aber erwarten Sie nicht zu viel. Und das wird kosten."
„Wenn das dass einzige Problem ist, Roux..."
„Nein. Aber ein paar Hundert brauche ich auf jeden Fall. Und ich muss alleine ran. Ich werde ein paar alte Kontakte aktivieren müssen. Sehr...verschwiegene, sehr inoffizielle Kontakte. Sie haben da nichts verloren, Croft."
„Ich soll Ihnen schon wieder vertrauen?"
„Sie sollen mich meine Arbeit machen lassen. Oder Sie können es vergessen." Der Söldner salutierte spöttisch, drehte sich um und wollte gehen.
Laras Stimme ließ ihn innehalten: „Roux!"
Er wandte sich wieder ihr zu: „Oui, mon lieutenant?"
„Lassen Sie den Quatsch. Ich bin kein Offizier."
„Aber Sie waren Soldat. Oder wie nennen sie das hier? Sie haben ‚ihrem Vaterland gedient'?"
„Was?"
Der Söldner nahm ein Bild von dem Tisch. Es zeigte eine Gruppe Bewaffneter in Kampfanzügen, zwischen ihnen Lara: „Das sollten Sie nicht so offen hier rumstehen lassen. Die SAS sieht es nicht so gerne, wenn man die Gesichter ihrer Mitglieder kennt."
Ausnahmsweise war Lara sprachlos. Überrascht starrte sie Roux an, der spöttisch grinste: „Treffer, nicht wahr, Croft?"
„Woher..."
„Einfach. Sie sind Engländerin. Die Kampfanzüge, die Waffen... Auch das Alter - bis auf Sie ist von denen keiner jünger als Dreißig. Die SAS rekrutiert nur Leute, die sich bereits bei anderen Einheiten bewährt haben. Nur Sie fallen etwas aus dem Rahmen. Aber vor allem..." Er tippte auf das Bild: „Schauen Sie mal hierher. Wenn Sie schon Erinnerungsfotos aufheben, sollten Sie die Abzeichen wegretuschieren..."
Und diesmal ging er wirklich.
„Die SAS! Wow, Lara..."
„Halt die Klappe, Bryce. Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verrätst..."
„Ich weiß, ich weiß, dann müsstest du mich töten." Der Computerexperte grinste breit, wurde dann aber sofort wieder ernst: „Der ist aber auf Zack, Lara."
„Er ist nicht dumm, ja. Und ich schätze, genau das wollte er mir beweisen." Lara betrachtete abwesend das Foto, bevor sie es zur Seite stellte und sich wieder zu Bryce wandte: „Egal. Mach dich an die Arbeit."
„Oui, mon lieutenant!" Bryce's Aussprache war schauderhaft. Lara konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wurde aber sofort wieder ernst: "Und ich brauche Satellitenaufnahmen von folgenden Koordinaten..." Sie nannte die Positionsangaben der Ausgrabungsorte, die Roux ihr geliefert hatte.
"Von wann sollen die Aufnahmen sein?"
"Beginnen wir vor fünf Monaten - bis maximal vor zwei Monaten." Die Bilder, die Bryce eine halbe Stunde später präsentierte waren von schlechter Qualität. Aber sie waren genau genug, um Lara zu bestätigen, dass Roux sie offenbar nicht angelogen hatte. Entweder er spielte doch mit offenen Karten, oder er war zu schlau, sich so einfach ertappen zu lassen.
Nachts, Croft Manor
Ihre Hände griffen automatisch nach dem Messer unter ihrem Kissen, während sie sich aus dem Bett rollte, ihre Augen nach dem Gegner suchten.
Aber da war nichts, sie war alleine. Lara senkte die Klinge und unterdrückte ein seltsames déjà vu-Gefühl. Hatte sie nur geträumt? Aber sie war sich sicher, etwas gehört zu haben, was wie ein unterdrückter Schrei geklungen hatte. Lautlos erhob sie sich und verließ das Zimmer.
Alles war ruhig. Auch Roux schien sein Zimmer nicht verlassen zu haben. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, sich davon zu überzeugen, verwarf ihn aber. Es fehlte noch, dass sich der Söldner irgendetwas einbildete oder - was wahrscheinlicher war - zum Schluss kam, dass sie ihn überwachte. Welches falsche Spiel er auch spielte, sie wollte ihn nicht vorwarnen.
Hätte Sie durch die Tür sehen können, dann hätte sie bemerkt, dass auch Roux nicht schlief, obwohl er auf dem Bett lag. Die Hände zu Fäusten geballt, die Augen aufgerissen, starrte Jean Roux in die Dunkelheit. Sein Atem ging keuchend, während er gegen den Drang ankämpfte, die Hände auf die Ohren zu pressen.
Warum konnten sie nicht endlich schweigen!
Nächster Morgen, Croft Manor
Lara duckte sich und schlug blitzschnell zu - einmal, zweimal. Dann schnellte ihr linkes Bein zu einem Schnapptritt vor, der einen menschlichen Gegner im Gesicht oder der Kehle getroffen hätte. In einer fließenden Bewegung wechselte sie das Standbein, drehte sich um die eigene Achse und traf den Sandsack mit einem Halbkreistritt, der den zentnerschweren Sack zur Seite schwingen ließ. Dann wirbelte sie blitzschnell herum: „Wie lange stehen sie da schon, Roux?"
Der Söldner grinste schwach, antwortete aber nicht direkt: „Sie haben scharfe Ohren. Und sie sind ziemlich gut..."
„Dass Sie das nur nicht vergessen, Roux."
Der Söldner zuckte nur mit den Schultern. Lara drehte sich wieder um und fuhr mit ihren Übungen fort. Dabei wechselte sie allerdings ihren Stand, so dass sie unauffällig Roux im Auge behalten konnte.
Er sah nicht gut aus, sein Gesicht wirkte grau, eingefallen, die Augen müde. Aber dennoch behielt Roux Lara im Auge, beobachte sie wachsam. Sein Blick wirkte abschätzend, analysierend. Aber da war auch noch etwas anderes in seinen Augen, was Lara nicht eindeutig analysieren konnte. Mehr jedenfalls, als das kühle Abschätzen eines potentiellen Gegners.
Dann war sie fertig und wandte sich direkt zu Roux: "Und, haben Sie gesehen, was sie wollten, Roux?"
Der Söldner lachte leise auf. Ausnahmsweise schienen weder Zynismus noch Hohn in seinem Lächeln zu liegen. Für einen Augenblick wirkte er ziemlich normal. Aber Lara vergaß nicht, was sie über diesen Mann wusste.
"Sie sehen fürchterlich aus. Wollen Sie so Ihre Söldnerkontakte abklappern?"
"Das hat noch Zeit. Meine 'Söldnerkontakte' stehen nicht so früh auf."
"Nun in dem Fall... Kommen Sie ruhig mit. Da sie mir sowieso nachschleichen..."
Natürlich war das auch ein Test. Sie wurde immer noch nicht richtig schlau aus dem Söldner. Seine Vergangenheit kannte sie jetzt, aber das reichte ihr nicht. Sie musste mehr über seine Fähigkeiten, seine Stärken und Schwächen erfahren. Oder sie riskierte, eine möglicherweise tödliche Überraschung zu erleben.
In der nächsten Stunde schenkte sie Roux nichts. Der Söldner hatte ganz offensichtlich nicht gewusst, dass seine "Arbeitgeberin" eine komplette Sturmbahn auf ihrem Grundstück hatte. Sie trainierte regelmäßig, fast jeden Tag - aber heute ging sie auch an ihre Grenzen und trieb Roux gnadenlos an.
Ausdauerlauf, Hindernislauf, Balancieren, Klettern.
Doch der Söldner hielt mit. Schweigend und Verbissen hielt er das Tempo, das Lara vorgab. Der Übungslauf wurde zu einem Wettkampf, bei dem keiner der beiden bereit war nachzugeben. Lieber würde Roux bis zur totalen Erschöpfung und dem Zusammenbruch durchhalten, als sich geschlagen zu geben. Und Lara war nicht bereit, ihn gewinnen zu lassen. Falls Roux bemerkt hatte, dass Lara ihn nicht aus den Augen ließ, so spornte ihn das höchstens noch mehr an.
Schließlich war es Lara, die den Wettkampf beendete. Mit einer letzten Anstrengung setzte sie sich einen Meter, zwei, drei vor den Söldner. Dann, übergangslos, stoppte sie und fuhr herum: "Halt."
Der Söldner ließ sich erschöpft zu Boden fallen. Ein paar Minuten blieb einfach er liegen. Sein Atem ging keuchend.
Aber Lara ging es nicht viel besser. Jetzt wusste sie, wie gut Roux war. Verdammt gut.
Sie brauchte einige Zeit, bis ihre Stimme halbwegs ruhig klang, sie sprechen konnte, ohne nach Luft zu ringen: "Nicht schlecht, Roux. Gar nicht schlecht."
Der Söldner sah auf und lächelte müde: "Verdammt, Croft. Jetzt weiß ich, warum die SAS Sie genommen hat."
"Aber wir sind doch noch nicht fertig." Mit diesen Worten erhob sich Lara, wenn auch etwas ungelenk, und ging in Richtung Haus.
Der Söldner sah ihr kopfschüttelnd nach, immer noch ein halbes Lächeln auf Lippen. Schwerfällig kam er auf die Beine und folgte ihr.
Er fand Lara bei einer Art Schießstand - auch wenn bei einer normalen, zivilen Anlage dieser Art wohl kaum die Zielscheiben in bis zu hundert Metern Entfernung aufgestellt waren. Der Söldner stützte sich auf den einfachen Holztisch, auf dem man Waffe und Munition ablegen konnte und sah schweigend zu, wie Lara schoss - beidhändig, in schneller Schußfolge und auf wechselnde Ziele.
Für Roux lag keine Waffe bereit.
Nachdem Lara ihre Pistolen leer geschossen hatte, lud sie die Waffen. Dann drehte sie sich zu Roux um, musterte ihn noch einmal prüfend - und reichte ihm dann eine der Waffen: "Zeigen Sie mal, wie gut Sie schießen können, Roux."
Das Ergebnis überraschte Lara nun nicht mehr sonderlich. Roux schoss schnell, aber ruhig und konzentriert, ohne abzusetzen. Auch wenn es ihm an der herausragenden Treffsicherheit Laras mangelte, auf Entfernungen bis sechzig Meter musste er mit der Pistole ein tödlicher Gegner sein. Unwillkürlich zählte sie die Schüsse mit - fünfzehn, in vielleicht zwanzig Sekunden, und alle trafen ihr Ziel. Ohne ein Kommentar reichte Roux anschließend die leer geschossene Waffe wieder zurück.
"Ich brauche noch Geld. Vielleicht 500 Pfund."
Lara zuckte knapp mit den Schultern: "Kein Problem. Sie brauchen nicht mal eine Quittung mitzubringen."
"Die würde mir auch keiner ausstellen. Aber danke für ihr Vertrauen, Croft." Jetzt klang Roux Stimme wieder so spöttisch wie normalerweise.
"Ich glaube nicht, dass es ihnen nur um 500 Pfund geht. Solange Sie Ergebnisse liefern, ist mir egal, was Sie mit dem Geld machen. Aber wenn Sie bis heute Abend nicht zurück sind..."
"...bin ich wahrscheinlich tot." vervollständigte Roux kaltblütig. "Jedenfalls werde ich mich nicht einfach mit den paar Kröten abgesetzt haben, Croft."
"Trauen Sie ihren Söldnerfreunden so wenig?"
"Vielleicht hat unser unbekannter Freund noch ein paar andere Totschläger zur Hand als diese Biker, die wir ausgeschaltet haben, Croft."
Erst als Roux gegangen war, fiel Lara ein, das er diesmal nicht nach einer Waffe gefragt hatte. Und was hinderte ihn eigentlich, sich mit dem Geld eine Waffe zu besorgen? Natürlich nichts.
Nun, damit würde sie sich bei Gelegenheit beschäftigen müssen. Auf jeden Fall würde diese Möglichkeit die Sache interessanter machen, dachte sie mit grimmiger Belustigung.
Roux ließ sich Zeit. Er wusste nicht, ob das Croft-Grundstück überwacht wurde, ging aber sicherheitshalber davon aus. Also ließ er sich von einem Taxi in die Stadt fahren. Die nächste Stunde verbrachte er in der Londoner U-Bahn, wechselte mehrmals die Linien und die Richtungen. Anschließend war er sich ziemlich sicher, nicht verfolgt zu werden.
Sein erstes Ziel war eine der Gegenden von London, die Touristen so gut wie nie zu Gesicht bekamen. Hier waren die Straßen in schlechtem Zustand und die Mietskasernen wirkten baufällig. Der Großteil der Anwohner waren pakistanischer oder indischer Herkunft. Viele hielten sich illegal in England auf. Kaum jemand achtete auf den Mann in der abgetragenen Uniform, der sich schnell, aber unauffällig bewegte.
Der Söldner erreichte eine kleine Absteige, in der er sich bei seiner Ankunft in England eingemietet hatte. Fünfzehn Minuten später verließ er das Haus schon wieder, einen alten Armeerucksack auf der Schulter. Das waren seine gesamten Besitztümer. Etwas Geld, Kleidung, wenig mehr. Er war es gewohnt, mit leichtem Gepäck zu reisen.
Sein nächstes Ziel lag in einem der Außenbezirke der englischen Hauptstadt. Auch wenn die Gegend etwas besser war, Touristen verirrten sich hierher wohl nur selten, ihnen bot dieses Viertel nichts. Und sie wussten ganz bestimmt nicht, dass eines der kleinen, langweiligen Einfamilienhäuser für Männer wie Roux so etwas wie eine Anlaufstelle war.
Der dunkelhäutige Bursche, die die Tür öffnete, wirkte jedenfalls nicht überrascht. Er mochte vielleicht Anfang Zwanzig sein, wirkte sportlich und wachsam und wusste anscheinend sofort, wie sie den Besucher einzuordnen hatte: „Sie wollen zum caporal?" Unter seiner Jacke zeichneten sich deutlich die Umrisse einer Pistole ab.
„Ja. Er...kennt mich."
„Ich will hoffen, dass Sie nicht lügen. Sonst fliegen Sie schneller raus, als Sie hereingekommen sind." Dann drehte sich der Bursche um und führte Roux in ein spärlich möbliertes, fast geschäftsmäßig wirkendes Zimmer: „Warten Sie hier."
Roux musste nicht lange warten, dann ging die Tür auf und ein Mann trat ein. Er war sicherlich schon über Fünfzig, sein Haar bereits ergraut. Die Haut war wettergebräunt und trotz seines schwerfälligen, etwas schleifenden Gangs wirkte er kräftig und zäh. Ruckartig blieb er im Türrahmen stehen und starrte Roux fassungslos an, der sich erhob und salutierte, ein schiefes Grinsen auf den Lippen: „Caporal – es ist lange her."
Der ältere Mann nickte abwesend: „Ja verdammt. Lange her..." Dann schien er sich zu fassen, wurde seine Stimme lauter und energischer: „Jean, verdammt - du Scheißkerl! Ich dachte du währst im Kongo auf 'ne Mine getreten - tot und verscharrt! Was fällt dir ein, einfach hier rein zuschneien! Scheiße, ich hätte beinah einen Anfall bekommen..." Dann lachte er auf und schloss Roux in die Arme.
„Und jetzt erzähl' verdammt, wieso du Arschloch nicht in einem afrikanischen Erdloch vergammelst. Es hat mich ziemlich gefuchst, dass einer aus meiner alten Korporalschaft auf eine so dumme Art und Weise abgekratzt sein soll. Und warum du jetzt hier auftauchst, kann ich mir denken!"
Es dauerte mehrere Stunden, bis Roux dazu kam, sein Anliegen vorzubringen. Victor Haig, der Caporal, war nicht mehr „bei der Truppe", seit ihm im Sudan eine AK-47-Kugel das Knie zerschmettert hatte. Aber Haig hatte sich nicht völlig zur Ruhe gesetzt, sondern die alten Kontakte erhalten und neue geknüpft. Natürlich war er keine Konkurrenz für die etablierten Söldnerfirmen, für die er sogar gelegentlich als Berater arbeitete.
Daneben vermittelte er gelegentlich über trübe Kanäle aus seiner Vergangenheit „Spezialisten" und „Experten" an interessierte Unternehmen, die sich nicht an die bekannteren Unternehmen wie „Blackwater" wenden wollten. Vielleicht verschob er auch Waffen und anderes Kriegsgerät. Wahrscheinlich machte er damit keine Millionen, aber Roux wusste, es ging dem Caporal vor allem auch darum, sich zu beschäftigen und den Kontakt zu seinen alten Kameraden zu halten, zu einem Leben, dass er gehasst, aber auch geliebt hatte – und von der nicht loskam.
Und für manche der Jüngeren im Söldnergewerbe war Haig wohl auch so etwas wie ein Objekt der Bewunderung. Ein Mann, der im Kongo, am Golf und im Sudan gekämpft hatte. Und auch wenn Haig das niemals zugegeben hätte, er genoss diese Bewunderung. Sie war ein Mittel gegen das Gefühl, ausrangiert und wertlos zu sein, ein alternder, invalider Söldner, der vor allem in der Vergangenheit lebte.
Haig lauschte schweigend Jeans Geschichte. Er hielt sich mit Kommentaren zurück, fluchte bloß manchmal unterdrückt. Als Roux geendet hatte, pfiff der alte Söldner leise durch die Zähne: „...dans le sang et le merde."
Sein Besucher nickte: „Ja. Aber das ist ja nichts Neues. Kannst du mir helfen?"
„Hm...schon möglich. Es gibt nicht viele Trupps, auf die deine Beschreibung passt. Zwar hat eine Menge Buren als Söldner angefangen, als das Negerschlachten nicht mehr vom Staat bezahlt wurde – aber meistens sind sie bei einer der größeren Firmen eingestiegen oder es sind Einzelgänger. Eine ganze Einheit... Das lässt sich schon überprüfen.
Und ich verstehe auch, warum du die Sache durchziehen willst. Du bist genau der richtige Idiot für so eine schwachsinnige Idee. Aber warum hast du dich bloß an diese Croft gehängt?"
„Ich musste improvisieren, da Sie mir meine eigene verdammte Knarre unter die Nase gehalten hat..."
Der alte Söldner warf den Kopf in den Nacken und lachte wiehernd: „Das Mädchen muss gut sein, oder du hast ganz schön nachgelassen, Jean. Ist sie wenigstens auch hübsch?"
„Davon kannst du ausgehen."
Haig wurde übergangslos wieder ernst: „Spaß beiseite, pass auf dich auf. Ich habe das unbestimmte Gefühl, ihr rührt da ganz schön in der Scheiße. Wenn du dann auch noch 'ne Zivilistin mitspielen lässt, nur weil du die Kleine flach legen willst..."
Roux lachte kurz auf: „Red' keinen Scheiß. Wenn ich das versuchen würde, dann legt die 'Kleine' mich wahrscheinlich um. Und ich bin fast völlig abgebrannt. Ohne ihr Geld könnte ich nicht mal bis nach Frankreich kommen."
„Na da könnte ich auch helfen. Wenn einer meiner Jungs sich unbedingt im Kongo eine Kugel verpassen lassen will, helfe ich ihm doch gerne."
„Ich pumpe keine Kameraden an."
„Aber sicher doch! Ich glaube irgendwie nicht, dass du mir die ganze Geschichte erzählt hast. Egal – deine Sache. Weiß diese Croft eigentlich, dass du..."
„Nein."
Haig verzog das Gesicht abschätzig: „Für diese Spielchen werde ich langsam zu alt. War vielleicht doch nicht so schlecht, dass ich aus dem aktiven Dienst geschossen wurde. Das ist nicht mehr mein Krieg."
„Aber du hilfst mir, caporal?"
„Das habe ich doch gesagt! Ich lasse keinen hängen... Und dein Geld kannst du steckenlassen..
Aber hör zu – ich weiß nicht genau, in was du dich da rein gehängt hast, aber ich will kein Risiko eingehen.
Du verschwindest hier und besorgst dir ein Handy – klau es, oder kauf es, ist mir egal. Bis heute Abend bleibst du in Bewegung – halt dich gefälligst von dieser Croft fern. Dann rufst du mich an, ich gebe dir eine Nummer. Wenn ich bis dahin nichts in Erfahrung gebracht habe, dann gibt es nichts. Anschließend vernichtest du das Scheißding – schmeiß es von mir aus in die Themse. Und danach kreuzt du hier nicht mehr auf, bis du die Sache nicht durchgezogen hast. Und mein Name bleibt raus, auch gegenüber Croft. Andernfalls kannst du es vergessen. Compries!"
„Oui, caporal."
Der alte Söldner grinste verzerrt, fast wehmütig: „Es war trotz allem eine verdammt gute Zeit. Also hau jetzt ab, bevor ich noch anfange zu flennen, Jean. Und wenn du dich abknallen lässt, dann bring' ich dich um."
Auch Roux grinste, während er unwillkürlich Haltung annahm und salutierte.
Der alte Söldner erwiderte den Gruß: „Je ne regrette rien."
Im Gesicht des jüngeren Mannes zuckte es. Einen Augenblick beneidete er Haig, stieg fast so etwas wie Wut in ihm auf. Der alte Söldner konnte ohne zu lügen sagen, dass er nichts bereute. Und er, Roux? Konnte er das auch?
Aber er wusste, welche Antwort er geben musste: „Je ne regrette rien." Seine Stimme klang gepresst.
Nachdem er gegangen war, betrat der dunkelhäutige Bursche den Raum, die Roux eingelassen hatte. Er musterte den alten Söldner, der mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck nachzudenken schien.
„Wer war das, caporal? Gibt es Ärger?"
Haig schüttelte langsam den Kopf: „Keinen Ärger, also lass die Knarre stecken. Und wer das war...
Das war nur ein Schatten. Ein Schatten aus der Vergangenheit."
Abends, Croft Manor
„Also Bryce, was hast du in Erfahrung bringen können?" Lara lehnte sich zurück, die Beine lässig übereinander geschlagen.
Der Computerexperte warf dem Söldner, der an der Wand lehnte, einen skeptischen Blick zu, den dieser mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck quittierte.
„Also irgendetwas war an dieser Sache oberfaul. Alle Mittel für Pieters Expedition liefen über ein Schweizer Nummernkonto, alles sehr diskret und nicht weiterzuverfolgen. Die Universität blieb vollständig draußen. Es gibt nicht mal einen offiziellen Vertrag, in der Pieters Geldgeber auftauchen. Trotz dem hübschen Nachruf, ich glaube, diese Geheimniskrämerei ging etlichen Professoren ganz schön auf die Nerven. Vor allem, da Pieter nicht einen einzigen Mitarbeiter mitgenommen hatte – alle anderen Experten waren vom kongolesischen Nationalmuseum." Wieder warf er Roux einen Blick zu: „Wenn sie gewusst hätten, dass er Söldner anheuert, um die Ausgrabung zu schützen..."
„Das ist jetzt nicht wichtig." schaltete sich Lara ein: „Hast du sonst noch was raus gefunden?"
„Nicht in der kurzen Zeit. Ich kann doch auch nicht hexen, Lara!"
„Bleib dran – und außerdem will ich, dass du die Materialbeschaffungen und -bewegungen der Expedition überprüfst. Was haben sie angefordert, wann und von wo. Was ging aus dem Dschungel raus und wohin."
„Und was haben Sie herausgefunden, Croft?" Die Stimme des Söldners klang leicht spöttisch: „Sagen Sie bloß, Pieter Jackson suchte in Wirklichkeit nach dem Elefantenfriedhof. Oder doch gleich nach König Salomons Goldminen."
„Ihre Allgemeinbildung ist wirklich beeindruckend, Roux. Ich habe vieles gefunden – viele Sagen und Geschichten, wenig Konkretes..." Der Söldner schnaubte abfällig, aber Lara fuhr unbeirrt fort: „...Auf jeden Fall HAT es so etwas wie ein Artefakt geben, dass mit dieser Gegend – und den Tierkulten – in Verbindung steht. Eine Maske, oder ein Schädel, da gehen die Geschichten auseinander, der verehrt wurde und dem Menschenopfer gebracht worden sein sollen. Jeder Weiße, der nach diesem Objekt suchte, verschwand im Dschungel. Oder starb binnen kurzer Zeit. Von Tieren zerrissen, vergiftet, an Krankheiten gestorben.
Dieses...Artefakt soll das Zentrum des kongolesischen Leopardenkults gewesen sein, einem geheimen Kriegerbund, der gegen die Belgier kämpfte. Und gegen schwarze 'Verräter'. Man nannte die Leopardenkrieger auch die 'blutigen Schatten'. Sie kannten keine Gnade, folterten und verstümmelten ihre Opfer. Angeblich sollen sie hunderte Belgier getötet haben – und tausende schwarze Hilfstruppen und andere Kollaborateure."
Roux wirkte nicht überzeugt: „Na und! Das ist doch heute nicht anders. In diesem verdammten Land wird jeden Tag massakriert und gefoltert, auch ohne Ihr blödsinniges Artefakt."
„Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass dort irgendetwas sein könnte, von dem ein Teil dieses Grauens ausging?
Die Horrorherrschaft der Belgier, die Massaker der Eingeborenen, dieser wahnsinnige Bürgerkrieg ohne Sinn und Regeln seit mehr als fünfzig Jahren. Aus diesen Urwäldern kamen Krankheiten, die tödlicher waren, als selbst die Pest. Und in Ruanda..."
„ES REICHT! Was wissen Sie schon vom Kongo! Was wissen sie vom Krieg – oder dem Bürgerkrieg! Was wissen...
Sie reden und reden – ABER SIE HABEN KEINE AHNUNG!" Dieser plötzliche Ausbruch des Söldners kam völlig überraschend. Bryce zuckte zusammen, als hätte man ihn geschlagen und auch Lara starrte Roux überrascht an. Ihre Hand glitt automatisch zu dem Dolch, den sie in einer Knöchelscheide trug. Aber sie ließ die Waffe stecken. Der Söldner hatte die Fäuste geballt, sein Gesicht war verzerrt, als kämpfe er mit dem Drang zuzuschlagen. Seine Augen irrten ziellos im Raum hin und her, er schien Lara und Bryce nicht einmal mehr bewusst wahrzunehmen. Ebenso abrupt beruhigte er sich wieder, auch wenn seine Stimme hart, fast feindselig klang: „Vergessen Sie die Märchen, Croft. Im Kongo geht es nur ums Geschäft. Ob Weiße, oder Schwarze, sie waten bis zum Hals im Blut und in der Scheiße.
Das ist die einzige Wahrheit die zählt. Ihre Kolonialmärchen sind Unsinn. Im Kongo geht es nicht um irgendwelche Zaubermasken. Es geht um Bodenschätze, um Kupfer, Diamanten, Uran und Coltan. Es ist nie anders gewesen.
Ich habe...mich um gehört. Es gab eine Söldnerbande – Südafrikaner, ein paar Belgier – die passen könnte. Alle ehemalige Spezialeinheiten, Marineinfanterie oder Fallschirmjäger. Ihr Chef ist ein Bure namens Piet Krueger, genannt 'die Hyäne'. Deshalb hieß die Einheit auch 'Hyänenrudel'. Seit dem Zusammenbruch der Apartheid haben sie einen Haufen schmutziger Aufträge erledigt. Counterinsurgency, Säuberungsaktionen und so weiter. Sie fungierten als Berater für Warlords. Haben für Bergwerksfirmen missliebige Lokalpolitiker liquidiert.
Aber seit acht Jahren sind sie nicht mehr auf dem Markt. Niemand hat etwas davon gehört, dass sie zerschlagen wurden, oder sich aufgelöst haben. Dafür geht das Gerücht um, sie hätten eine dauerhafte Anstellung. Es gibt da einen Mann in Kananga, der vielleicht mehr weiß."
„Und der Mann heißt?" In Laras Stimme schwang ein sardonischer Unterton mit, sie wusste schon, was jetzt kam.
„Den Namen bekommen Sie vor Ort. Sehen Sie es als eine weitere vertrauensbildende Maßnahme. Nicht, dass Sie plötzlich meinen, mich nicht mehr zu brauchen..." Jetzt klang Roux Stimme wieder ruhig, wenn auch zynisch: „Sie erzählen mir ja auch nicht alles, Croft."
„Und Sie glauben wirklich, dass reicht mir?"
„Es geht hier nicht nur darum, was ich glaube. Ich habe Ihnen doch schon mal gesagt, dass meine Kontakte vielfach äußerst...sensibel sind. Und sehr auf ihre Sicherheit bedacht. Einige werden steckbrieflich gesucht – und andere würden dies bestimmt, wenn mehr über ihre Geschäfte und Methoden bekannt währe. Nebenbei, ich verlange ja auch nicht, dass Sie mir IHRE Quellen offen legen..."
„Das klingt mir etwas zu glatt. Haben Sie diese Rede vorher geübt?"
„Vielleicht. Aber ich kann Sie nur zu diesem Mann bringen, wenn wir das nach MEINEN Regeln – und nach seinen – erledigen. Das Risiko werden Sie eingehen müssen, Croft. Wenn alles, was sie sonst noch haben, nur Ammenmärchen und Spuren ins Nichts sind.
Überlegen Sie es sich von mir aus. Aber wenn Sie etwas über das 'Hyänenrudel' erfahren wollen, dann müssen Sie mir schon vertrauen."
„Ich werde es mir überlegen, Roux. Aber ob Sie mich zu diesem Mann bringen oder nicht – wenn Sie mich für dumm verkaufen wollen und ein falsches Spiel spielen..."
„Dann legen Sie mich um." Die Stimme des Söldners war ausdruckslos. Er drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Es gab nichts mehr zu sagen.
Bryce stieß erleichtert die Luft aus: „Sag mal Lara, hast du eine Ahnung was das eben war? Ich dachte, der geht mir an die Kehle!"
Lara grinste spöttisch: „Reg dich ab, Bryce. Entweder unser Freund hat eben auch ein paar wunde Punkte in seiner Vergangenheit, oder er will zumindest, dass wir das denken. Oder er will sich einfach unentbehrlich machen, damit ich ihn nicht einfach raus schmeiße. Solange sein 'Mann in Kananga' die einzige konkrete Spur ist, solange hält er die Fäden in der Hand und bestimmt das Tempo. Und vielleicht behagt es ihm auch einfach nicht, was ich über dieses Artefakt der Leopardenkrieger gehört habe. Vielleicht...
Unser Freund ist komplexer, als ich gedacht habe."
„Der Mann ist ein Psychopath! Und ein verdammter Killer! Und du willst ihm vertrauen! Ich meine, woher wissen wir denn, dass es diesen Informanten überhaupt gibt, zu dem er dich führen will. Und wo wir schon dabei sind, ob diese Geschichte über das 'Hyänenrudel' nicht nur ein Märchen ist!"
„Wir haben jetzt einen neuen Namen – Piet Krueger. Also häng' dich ran. Finde heraus, was es zu diesem Typen gibt.
Und was Roux betrifft, ich glaube du unterschätzt ihn. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht – aber anders, als du denkst. Er...passt nicht so richtig zu seinem Lebenslauf. Er ist zu konzentriert, zu gut, zu intelligent – für einen Ex-Kriminellen, der fast mehr ein Schläger, Schmuggler und Zuhälter war, als Soldat. Wir müssen etwas in seinem Lebenslauf übersehen haben, das ihn verändert hat. Zum Beispiel ein Spezialtraining. Und wenn er so etwas absolviert hat, dann frage ich mich, bei welcher Einheit oder für wen..."
„Hör mal Lara, wann soll ich denn dann überhaupt noch zum Schlafen kommen!"
„Hör auf zu jammern. Wenn es jemand schafft, dann du. Und außerdem..." sie grinste spöttisch: „...bist du es nicht, der Roux im Rücken hat. Du traust ihm nicht und willst nicht, dass ich zu seinen Bedingungen spiele – dann brauch' ich mehr Informationen über ihn."
Das Objekt dieser Diskussion war inzwischen in sein Quartier zurückgekehrt. Die Miene des Söldners war ausdruckslos, aber dahinter arbeitete es. Er hatte die Beherrschung verloren und beinahe zu viel verraten. Das durfte nicht noch einmal passieren. Croft war schon misstrauisch genug und sie war alles andere als dumm. Und sie war härter und zäher, als er jemals bei einer Frau gedacht hätte.
In solchen Augenblicken hasste er die Lügen, die er lebte, leben musste – aber er sah keine Alternative. Es gab keine.
Nächster Morgen, Croft Manor
Es überraschte Lara nicht, dass Roux am nächsten Morgen wieder im Trainingsraum auftauchte. Es überraschte sie allerdings, dass er sich entschuldigte: „Hören Sie Croft, es tut mir leid. Vergessen Sie es einfach, o. K.? Bloß diese Geschichten mit 'Kriegerbünden' und 'Artefakten', das ist nicht mein Ding. Nicht meine Art Krieg. Ich versteh's einfach nicht."
Lara verstand diese Worte als das was sie waren – eine Entschuldigung, wenn auch keine Erklärung. Und sie akzeptierte amüsiert: „Wenn Sie das nächste Mal unbedingt den wilden Mann spielen wollen, dann kündigen Sie das an, klar? Sie haben Bryce zu Tode erschreckt." Oberflächlich war die Sache damit erledigt. Sie stieß ihm den Sandsack zu, an dem sie gerade trainiert hatte: „Wollen Sie auch mal?"
Sie hatte schon gegen ihn gekämpft, in der Nacht als der Söldner aufgetaucht war und sie hatte den Biker gesehen, dem Roux das Genick gebrochen hatte. Aber jetzt konnte sich Lara Zeit nehmen, seinen Stil genauer zu analysieren. Was sie sah, bestärkte sie in ihrer Einschätzung. Roux kämpfte gut, dass hatte sie schon vorher gewusst. Aber seine Nahkampftechnik schien außerdem aus einer Mischung verschiedener Kampfstile zu bestehen, eine Kombination der effektivsten Manöver. Ein solcher Kampfstil verlangte eine gründliche und intensive Ausbildung – und ständiges Training. Training, wie es bei Kommando- und Spezialeinheiten üblich war.
Während Roux übte, schien er Laras Gegenwart völlig auszublenden, konzentrierte sich nur auf die Schläge und Tritte, als würde er tatsächlich kämpfen und nicht nur trainieren. Es war diese Konzentration, die ihn zu einem gefährlichen Gegner machte.
Als er innehielt, war sein Gesicht schweißgebadet, aber er wirkte ruhig, fast gelöst.
„Wenn Sie noch können, dann kommen Sie mit. Oder hat ihnen gestern gereicht?"
Der Söldner grinste kurz und folgte Lara.
Heute überließ er Lara die Führung, die Rangfolge war geklärt. Es gab nichts mehr zu beweisen oder auszutesten. Roux hielt ihr Tempo, aber versuchte nicht mehr, sie zu überflügeln – und Lara versuchte nicht mehr, ihm gnadenlos an seine Grenzen zu treiben. Stattdessen liefen sie fast einträchtig.
Schließlich war wieder sie es, die 'Halt' befahl. Roux holte halb lachend Luft: „Irgendwann muss ich Sie einmal fragen, womit Sie eigentlich ihr Geld verdienen. Oder machen Sie das alles nur zum Spaß?"
„Auch zum Spaß. Und meine Arbeit..." Und in diesem Augenblick sah sie, wie ein roter Punkt auf der Schulter des Söldners erschien, langsam, zitternd zu seiner Brust wanderte und dort innehielt.
Während sie Roux die Füße unter dem Leib wegriss, warf sie sich selber zu Boden. Noch im Fallen hörte sie den dumpfen Schlag, mit dem sich die Kugel in den Boden bohrte und den peitschenden Knall des Abschuss. Rein instinktiv rollte sie sich über den Boden, sah eine Staubwolke aufstieben, als der Schütze jetzt sie aufs Korn nahm.
Dann hatte sie die einzige Deckung erreicht, die im Umkreis von zwanzig Schritt zu finden war – eine flache Bodensenke, an deren Rand ein kümmerliches Gebüsch spärlichen Sichtschutz bot.
Roux war nur wenige Augenblicke langsamer, rollte sich über sie hinweg und presste sich neben Lara flach auf dem Boden.
Wieder feuerte der unsichtbare Schütze.
„Roux?"
„Hat nicht getroffen. Danke. Nur ein Schütze, mittleres Kaliber – vermutlich Jagdgewehr. Weißt du, wo er ist?" Seine Stimme klang emotionslos, nur etwas außer Atem.
„Ich glaube, etwa bei ein Uhr. Und er benutzt einen Lasermarker." Sie widerstand der Versuchung, den Kopf zu heben. Sie saßen in der Falle. Momentan waren sie halbwegs sicher, aber sie kamen hier nicht weg. Und spätestens wenn der Schütze seine Position veränderte, sie zum Beispiel von der Seite fasste, würde die Bodensenke zu ihrem Grab werden.
Auf Hilfe konnte sie nicht hoffen, denn die Schüsse würden niemanden alarmieren. Das war der Nachteil ihrer häufigen Schießübungen.
Ihre einzige Chance war ein Ausbruch.
Sie warf dem Söldner einen kurzen Blick zu, den dieser ausdruckslos erwiderte. Wenn Roux Angst oder Nervosität empfand, dann zeigte er sie jedenfalls nicht.
„Siehst du die Bäume da drüben? Wir werden..."
„Zwecklos, Croft. Damit rechnet er – es ist unsere einzige Chance."
„Und was dann? Willst du hier überwintern?"
Der Söldner musterte sie einen Augenblick, seine Stimme klang leise, aber eindringlich: „Der Mann in Kananga heißt Tounkare. Andre Tounkare. Früher Söldner, heute Besitzer des 'Josephine'. Das ist ein Puff."
„Was soll das jetzt?"
„Ich lenke den Schützen ab. Du bist schneller. Wenn ich das Signal gebe, dann rennst du los."
Sie hasste es, herumkommandiert zu werden, aber Roux schien so etwas wie einen Plan zu haben. Zwei Schüsse des unsichtbaren Schützen ließen die Erde aufstieben. Sie waren schlecht gezielt, aber es kam ihr so vor, als währe der zweite Schuss von einer geringfügig anderen Position abgefeuert worden. Der Schütze war jetzt in Bewegung. Die Schüsse sollten sie Unten halten, während er eine bessere Schussposition suchte. Ihre Zeit wurde knapp.
„Roux..."
„JETZT! ALLEZ, ALLEZ, ALLEZ!" Die scharfe, schneidende Stimme des Söldners trieb sie förmlich hoch. Geduckt rannte Lara los, schlug einen Haken, hörte einen Schuss, noch einen – und warf sich in den Schutz der Baumgruppe. Geschafft!
Als Roux Lara befahl los zulaufen, war er aufgesprungen, stand jetzt offen da. Aus den Augenblicken sah er, wie Lara los rannte. Seine Augen suchten den Schützen, eine Reflexion auf dem Büchsenlauf oder dem Zielfernrohr – aber er sah nichts. Seine Stimme überschlug sich voller Wut und Hass: „CRETIN!" Dann machte er einen, zwei Schritte zur Seite. Ein sengender Schmerz schnitt durch seinen linken Arm, er warf sich zu Boden. Der zweite Schuss verfehlte ihn.
Reflexartig presste er die Hand gegen Arm. Zwischen den Fingern sickerte Blut hervor. Dennoch lächelte der Söldner verzerrt. Es hatte funktioniert.
Die Schüsse verrieten Lara die momentane Position des Heckenschützen. Ihr Mund verzog sich zu einem grimmigen Lächeln. Jetzt waren die Chancen neu verteilt. Jede Deckung ausnutzend schlich sie vorwärts, schlug dabei einen Bogen, um dem Schützen in den Rücken zu fallen.
Es fielen keine weiteren Schüsse. Als sie die vermutete Position des Schützen erreichte, fand sie nur noch seine Waffe – tatsächlich ein Jagdgewehr, mit Zielfernrohr und einem eher provisorisch befestigten Lasermarkierer. Von seinem Besitzer fehlte jede Spur. Er war geflüchtet. Lara verzog abfällig den Mund. Die Umgebung immer noch sorgfältig im Auge behaltend, hob sie das Gewehr auf.
Roux stand auf, als er sie näher kommen sah. Er wirkte allerdings ziemlich überrascht, als sie ihm das Gewehr vor die Füße warf: „Du lenkst ihn ab! Idiot! Was sollte der Scheiß!"
„Nur die Ruhe, Croft. Das war kein guter Schütze. Sonst hätte er nicht erst dann geschossen, als wir stehen blieben. Und er hätte sich den Lasermarker gespart."
„Und das war genug für dich, um diesen blödsinnigen Kamikaze-Stunt abzuziehen!"
Der Söldner grinste schief: „Es war genug für mich, mein Leben darauf zu verwetten. Und es hat funktioniert."
„Vielleicht ist es dir ja scheißegal, ob du draufgehst. Aber ich rette mein Leben nicht, indem ich jemanden anderen ins Feuer schicke!"
„Dann bist du ein guter troupier. Aber du hättest wohl kaum für mich die gleiche Aktion durchgezogen, bloß weil ich dich darum gebeten hätte. Ganz abgesehen davon, dass mir dein dämlicher Butler dann wohl liebend gerne eine Schrotladung verpasst hätte, wenn es nicht geklappt hätte und du eine Kugel kassiert hättest.
Der Schütze hat einfach nicht damit gerechnet, dass ich einfach aufstehe. Er war überrascht, er war abgelenkt und er hat zu spät reagiert."
„Zeig den Arm her."
„Nur ein Streifschuss, Croft."
„Halt den Mund." Aber der Söldner hatte Recht. Es war wirklich nur eine oberflächliche Fleischwunde.
Plötzlich erwachte in Lara wieder das Misstrauen. War das am Ende nur ein abgekartetes Spiel gewesen, um Roux vertrauenswürdig erscheinen zu lassen?
Nein, das war nicht sehr wahrscheinlich. Zu leicht hätte Roux schwer verletzt oder getötet werden können. Ein solches Manöver wäre nur vorstellbar gewesen, wenn es sich bei dem Sniper um einen hervorragenden Scharfschützen gehandelt hätte. Und wenn Roux bereit war, seine Gesundheit und sein Leben zu riskieren, um in ihren Augen glaubwürdiger zu wirken.
Und warum hatte er ihr seinen Kontaktmann in Kananga genannt? Weil er damit gerechnet hatte, die nächste Minute vielleicht nicht mehr zu überleben? Oder weil er nur diesen Eindruck erwecken wollte? Sie sah Roux an, aber sie konnte nicht erkennen, was sich hinter den grauen, ausdruckslosen Augen verbarg.
„Du meinst also, das war ein mieser Schütze?"
„Mit dem Gewehr? Auch nicht gerade erste Wahl! Was für Munition hatte er?"
Sie öffnete das Magazin: „Jagdpatronen."
„An gefeilt?"
„Nein."
„Jeder halbwegs kompetente Heckenschütze hätte die Patronen wenigstens an gefeilt, damit sie Dumdum-Wirkung haben. Das hat er aber nicht. Und er hat zu schlecht geschossen und zu schnell aufgesteckt. Das war kein Profi."
„Und das heißt?"
„Wer uns hier auch auf den Fersen ist, er hat nicht gerade die besten Kontakte in England. Diese Biker und jetzt dieser Möchtegernsniper... Ziemlicher Abstieg verglichen mit dem 'Hyänenrudel'. Der Scheiß-Afrikaander und seine Hurensöhne hätten niemals solche Fehler gemacht. Oder so schlecht geschossen. Und das heißt..."
„Wir finden hier nichts. Wenn wir etwas herausfinden wollen, dann nicht in London. Sondern im Kongo."
„Exakt, Croft. Willst du die Polizei einschalten?" Allerdings schien er die Antwort schon zu kennen.
„Und ihnen WAS erzählen? Und was sage ich über dich? Nein."
„Gut."
„Und, Roux...Danke. Aber mach das nicht noch einmal, verstanden!"
Der Söldner lächelte: „Verstanden. Das nächste Mal spielst du den Köder..."
Abends, Croft Manor
„Also, was hast du über Piet Krueger gefunden, Bryce!"
„Dein Freund hat offenbar doch nicht gelogen. Den Mann gibt es wirklich. Noch so ein Psychopath.
Krueger gehörte zu einer südafrikanischen Spezialeinheit. Er soll an mehreren Massakern an Schwarzen beteiligt gewesen sein. Und an einem halben Dutzend Morde an höheren Mitgliedern des ANC. Aber das ist noch nicht alles. Angeblich soll die Einheit auch weiße Bürgerrechtler und sogar Politiker ermordet haben, die die Apartheid beenden wollten. Aber das sind nur Gerüchte. Nach dem Ende der Apartheid blieb Krueger noch eine Weile im Militär. Angeblich war er an einer Verschwörung beteiligt, die ein Attentat auf Mandela plante. Danach flog er raus, das war dann doch zuviel. Eine Weile soll er noch als 'Sicherheitsberater' für reiche Weiße gearbeitet haben, die nicht kapiert hatten, dass ihre Zeit vorbei war. In dieser Zeit hat Krueger angeblich fast zwei Dutzend Schwarze umgelegt. Aber die Polizei konnte ihm nichts nachweisen. Na ja, kein Wunder, die meisten Polizeioffiziere waren zu der Zeit noch Weiße.
Außerdem soll er an Waffenlieferungen an die Inkatha beteiligt gewesen sein, die mit dem ANC konkurrierte. Vermutlich dachten sie, wenn sich die Schwarzen gegenseitig abschlachten, könnten sie die Apartheid retten.
Schließlich wurde Krueger dann wohl doch der Boden zu heiß unter den Füßen und er setzte sich ab. Und wurde Söldner. Aus einer Bande von Deserteuren, Psychopathen, Faschisten und uniformierten Killern baute er sich sein eigenes Kommando auf – das 'Hyänenrudel'.
Er war in Angola im Einsatz, im Kongo, im Sudan. Er arbeitete für jeden und übernahm jeden Auftrag. Hauptsache, es war gut bezahlt und er konnte eine Menge Schwarze umbringen. In der Reihenfolge. Allerdings war er sich natürlich auch nicht zu schade, für jeden beliebigen schwarzen Diktator oder Warlord zu arbeiten.
Vor acht Jahren verschwand die Einheit dann im Ost-Kongo von der Bildfläche.
Alles in allem frage ich mich nur, warum dein Freund nicht bei denen mitgemacht hat. Die Einheit wäre was für ihn gewesen..."
„Da wir schon dabei sind, hast du noch etwas zu Roux aufstöbern können?"
„Nein. Außer der unbedeutenden Tatsache, dass Roux ein paar Mal in derselben Gegend wie Krueger im Einsatz war. Vielleicht solltest du ihn mal fragen, wie gut er die 'Hyäne' eigentlich kannte."
Lara gab keine direkte Antwort. Sie dachte nach. Dann blickte sie auf: „Danke, Bryce. Bleib dran." Und ging.
Diesmal klopfte sie an. Der Söldner saß auf dem Bett und sah sie abwartend an: „Hast du dich entschieden?"
„Ja. Ich hasse es, nur ein Ziel zu sein. Es wird Zeit, dass wir den Spieß umdrehen. Und dazu muss ich wissen, wer hinter dem 'Hyänenrudel' steckt. Und hinter den Versuchen, uns umzubringen."
„Und das heißt?"
„Morgen geht es los. Ich hoffe sehr, dass dieser Tounkare uns tatsächlich weiterhelfen kann."
„Morgen schon? Alle Achtung, deine Verbindungen möchte ich haben…
Und wenn jemand weiß, wo Krueger ist und wer ihn bezahlt, dann Tounkare."
„Was macht der Arm?"
„Kleinigkeit."
„Hör auf, den harten Söldner zu spielen, damit beeindruckst du mich nicht."
„Schon gut. Aber im Ernst, ich muss vielleicht in den nächsten Tagen aufs Armdrücken verzichten, aber ansonsten bin ich voll einsatzfähig. So schnell wirst du mich nicht los."
„Das habe ich befürchtet." Aber das klang nicht ernst gemeint. Lara hatte Roux ohne Zweifel das Leben gerettet. Und gleichsam um diese Rechnung zu tilgen, hatte Roux bedenkenlos sein Leben riskiert, um den Schützen abzulenken.
Und das verband sie uneingestanden auf eine gewisse Art und Weise, auch wenn sie Roux immer noch nicht ganz traute und sich keine Illusionen über sein Vertrauen ihr gegenüber machte.
„Wie ist es – zurückzukehren in den Kongo?" Das war auch eine Fangfrage, und Lara entging nicht, dass es kurz im Gesicht des Söldners zuckte. Aber sie konnte die Gefühle nicht einordnen, die der Grund sein mochten: Überraschung, Unmut – oder ein seltsamer halb melancholisch, halb verlorener Ausdruck. Roux sah sie scharf an. Auch wenn seine Stimme zuerst locker klang, glaubte sie eine unterschwellige Spannung zu spüren: „Du gibst nicht so schnell auf, nicht war? Der Kongo... Krieg, Dreck und Blut, das ist es, was du dort findest. Den Kongo kann man hassen, aber man kommt nicht so leicht von ihm los. Es sind zu viele gestorben..." Abrupt verstummte er, als hätte er zuviel gesagt. Dann versuchte er das Thema zu wechseln, indem er den Ball zurück spielte: "Du warst auch schon mal in Afrika im Einsatz, nicht war? Wie ist es für dich, zurück zukehren? Wen hast du dort begraben?"
Dieser Schlag kam überraschend und auch wenn er unbeabsichtigt war, er saß gut. Pieter Jackson war im Kongo gestorben. Und Terry in Kenia. Sie hatte ihn erschossen.
Der dumpfe Schmerz, den Terry's Tod hinterlassen hatte, loderte wieder hoch, brannte in ihrem Herzen und in ihrer Erinnerung wie Feuer.
Sie biss die Zähne zusammen, während die Schuld, die Reue und die Vorwürfe wieder in ihr aufstiegen, die sie verdrängt zu haben glaubte.
Wie durch einen Nebel hörte sie Roux Stimme, die überrascht, fast besorgt klang: "Croft? Lara! Was ist los, verdammt – Lara?" Der Söldner hatte die rechte Hand nach ihr ausgestreckt, zögerte dann und hielt inne: "Alles in Ordnung?"
Sie schüttelte langsam den Kopf, wehrte dabei fast automatisch die ausgestreckte Hand ab und unterdrückte den Drang, Roux ins Gesicht zu schlagen. Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren unsicher: "Es ist nichts. Vergiss es, hörst du! Vergiss es."
Der Söldner stand auf und trat zurück, als wollte er ihr Raum geben, sich zu fangen. Er schien fast betroffen von der Wirkung, die seine Worte ausgelöst hatten: "Es tut mir leid. Das war nicht meine Absicht."
Sie brauchte einige Sekunden, bis sie glaubte, ihrer Stimme wieder trauen zu können: "Ich sagte vergiss es, o. K.? Wir beide..." Sie musste kurz innehalten und verfluchte sich selber dafür "...wir beide haben wohl unsere Leichen im Keller. Wir sollten sie ruhen lassen." Der Söldner nickte knapp, vorsichtig. Aber sie glaubte nicht, dass sie ihn getäuscht hatte.
Als sie ging, fühlte sie, dass Roux ihr hinterher sah. Sie wurde einfach nicht schlau aus diesem Mann. Manches in seinem Verhalten wirkte immer weniger passend zu seiner Vergangenheit, seiner Laufbahn. Und immer schien er auf der Hut, wachsam und vorsichtig, als hielte er Vieles zurück. Diesen Schutzwall zu durchbrechen war schwierig – und gefährlich, denn er schien ebenso in der Lage, auf gleiche Weise zurück zuschlagen. Und wenn einmal seine Deckung durchbrochen wurde, dann brachte dies keine Klarheit. Nur neue Fragen.
