Nächster Tag, Croft Manor
Der Söldner betrachtete die Ausrüstungsteile, die vor ihm ausgebreitet lagen und pfiff leise: „Alle Achtung – nur vom Feinsten." Mit schnellen, geübten Handgriffen überprüfte er die Überlebens- und Dschungelausrüstung, das Kehlkopfmikrofon, das GPS-Gerät.
„Ich bin mal davon ausgegangen, dass du lieber deine eigene Kleidung und Stiefel verwendest. Offiziell sind wir Angehörige einer Sicherheitsfirma..."
Roux lachte jäh auf: „Weist du eigentlich, was das im Kongo bedeutet!"
„Ja, das bedeutet Söldner. Aber die Papiere sind von einer echten Sicherheitsfirma. Nicht, dass es einen Unterschied macht.
Das gibt uns auf jeden Fall das Recht, leichte Waffen zu tragen. Und hier... Die gehört wohl dir." Mit diesen Worten warf Lara dem Söldner die Makarov zu, die sie ihm bei ihrer ersten Begegnung abgenommen hatte.
Roux sah Lara überrascht an und lächelte dann kurz: „Sie sieht aus wie meine. Danke."
Lara zuckte mit den Schultern. Während sie das Satellitentelefon überprüfte und ihre zwei Pistolen verstaute, ging sie noch einmal die Anweisungen durch, die sie Bryce gegeben hatte. Er sollte weiter versuchen, mehr über die Hintermänner der Jackson-Expedition zu erfahren. Und über Roux. In regelmäßigen Abständen würde sie mit ihm Kontakt aufnehmen. Aus den Augenwinkeln musterte sie Roux, aber der schien völlig darin vertieft, seine Ausrüstung in dem stabilen Rucksack zu verstauen. Anschließend schulterte er den Rucksack, verkürzte die Gurte – und hüpfte dann ein paar Mal locker auf und ab.
Für einen unerfahrenen Beobachter mochte dieses Verhalten absonderlich wirken, doch Lara wusste, dass Roux sich weder über penibel noch kindisch benahm. Im Ernstfall konnte es überlebenswichtig sein, ob der Rucksack richtig gepackt und alle Ausrüstungsteile funktionsfähig waren. Und mit dem Hüpfen überprüfte Roux, ob die Gefahr bestand, dass irgendein Ausrüstungsteil im unpassenden Augenblick klappern würde. Dieser Trick war nicht neu, schon der Viet Cong hatte ihn verwendet.
Jetzt schien Roux zufrieden. Er setzte den Rucksack ab und sah sie an.
Sie war natürlich schon längst fertig: „Zufrieden?"
„Ja. Kann losgehen." Er grinste wieder kurz: „Du führst."
Keine zwei Stunden später hob das Flugzeug nach Algier ab. Roux war sichtlich beeindruckt, dass Lara offenbar keine Probleme damit hatte, Papiere für ihre Waffen zu besorgen. Ansonsten redete keiner der beiden viel und ein zufälliger Beobachter hätte Schwierigkeiten gehabt zu erkennen, dass Lara und Roux irgendetwas miteinander zu tun hatten.
Lara sah der Zukunft mit gemischten Gefühlen entgegen – nicht, dass sie sich direkt Sorgen machte, aber in dem Spiel gab es zu viele unbekannte Größen. Eine davon saß schließlich keine zwei Meter von ihr entfernt im Flugzeug...
Was Roux betraf, so blieb seine Miene undeutbar. Die meiste Zeit schien er aus dem Fenster zu starren. Ein paar mal musterte er Lara aus den Augenwinkeln, aber auch dann verriet sein Gesicht nicht, woran er gerade dachte.
In Algier dauerte der Aufenthalt nur acht Stunden. Lara kannte die Stadt und auch Roux schien an dem Stadtbummel nicht interessiert zu sein, den ein offensichtlich nicht ausgelasteter Fremdenführer anbot. Zynisch bemerkte der Söldner, die 'Gnade der späteren Geburt' hätte ihn davor bewahrt, in der Kasba von Algier herum zu irren.
Der Fremdenführer verstand die Anspielung auf den französischen Kolonialkrieg in den 1950ern durchaus und sah sich nach anderen 'Opfern' um.
Weder Lara noch Roux waren besonders überrascht, als gemeldet wurde, dass das Flugzeug nach Kinshasa vier Stunden später abfliegen würde, als angegeben. Im Gegensatz zu einigen anderen der wenigen Reisenden nahmen sie es mit Gleichmut. Lara schloss einfach die Augen und blendete die laute, geschäftige Umgebung des Flughafens aus. Und Roux schien überall schlafen zu können.
Als die Maschine nach Kinshasa endlich mit mehr als fünf Stunden Verspätung abhob, war das Flugzeug weniger als halbvoll. Nach dem Sturz des Diktators Mobutu und dem Tod seines 'Nachfolgers' Kabila war das riesige, zentralafrikanische Land einmal mehr in den Strudel aus Krieg, Bürgerkrieg und Anarchie getaumelt, der den Kongo seit mehr als fünfzig Jahren wieder und wieder verheerte. Milizen, 'reguläre' Verbände, Invasionstruppen und die Banden diverser Warlords überzogen große Teile des Landes mit blutigem Terror. Wie fast immer war die Zivilbevölkerung das Hauptopfer. Die Wirtschaft war zusammengebrochen und die Verwaltung kollabiert.
Dazwischen versuchte die UN mit viel zu wenig Leuten und Material, das Schlimmste zu verhindern. Der Krieg im Kongo mochte länger, blutiger und grausamer sein, als der 'Krieg gegen den Terror' und Millionen von Opfern gefordert haben. Doch das Medienecho war unbedeutend und die Weltöffentlichkeit ignorierte den endlosen, unverständlichen Konflikt weitestgehend. Es ging schließlich nur um den Kongo...
Trotzdem war der Flughafen von Kinshasa in relativ gutem Zustand. Immerhin lief über Kinshasa ein Großteil der Einflussnahmen und Geschäfte der diversen internationalen Konzerne und nationalen Regierungen, die an den Bodenschätzen des Kongo interessiert waren und die oft vergeblichen Bemühungen der diversen UN-Dienststellen und Hilfsorganisationen, die Not zu lindern.
Es war bereits Nacht, aber Kinshasa schlief nicht. Die Luft, die Lara und Roux entgegen schlug, war brütend heiß, feucht und geschwängert von den Abgasen und Abfällen der Millionenstadt. Roux sah sich aufmerksam um, den Mund zu einem zynischen, fast grausamen Grinsen verzerrt. Dann drehte er sich zu Lara um: „Willkommen im Kongo, Croft. Willkommen im Herzen der Finsternis!"
Sie zuckte nur mit den Schultern: „Ich kenne das Buch. Die Fremdenführertour kannst du dir also sparen."
Der Söldner lachte jäh und freudlos auf. Aber er hielt den Mund und folgte Lara. Sie schien genau zu wissen, wohin sie wollte. Nachdem sie den Zoll passiert hatten, was fast eine Stunde in Anspruch nahm, lenkte die Grabräuberin ihre Schritte zielstrebig zu einem kleineren Gebäude auf dem öffentlich zugänglichen Teil des Flughafengeländes.
„Und du bist wirklich noch nie im Kongo gewesen?"
„Auch ich habe meine Kontakte und Möglichkeiten." Mit diesen Worten deutete sie auf das Schild, das über dem Gebäude hing:
ZAIRE-AVIATION
Personen- und Frachttransport, Flugzeugverleih
Als der Söldner allerdings das Flugzeug sah, dass Lara organisiert hatte, wirkte er doch etwas überrascht: „Und DAMIT willst du fliegen! Alle Achtung, du hast Mumm! Woher stammt die Mühle? Von irgendeiner Guerillagruppe als nicht mehr flugtauglich ausgemustert!" Roux schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob er beunruhigt oder amüsiert sein sollte.
Die Maschine war eine Antonov An-62, ein einmotoriges, russisches Flugzeug, das seine besten Tage schon lange hinter sich gelassen hatte. Die abblätternde Tarnbemalung wirkte auch nicht gerade vertrauensbildend.
„Sie hat die nötige Reichweite und kann fast überall landen. Was willst du mehr?"
„Weniger Einschusslöcher." Roux deutete auf die Spuren früherer Gefechte – die Antonov musste schon mehrfach unter Feuer genommen worden sein, hatte aber offenbar dank ihrer sprichwörtlichen Robustheit und Anspruchslosigkeit überlebt.
Lara ignorierte den Söldner, warf ihren Rucksack in die Maschine und kletterte ins Cockpit. Roux folgte ihr ohne weitere Bemerkungen. Tatsächlich war es nicht das erste Mal, das er in einer ähnlich heruntergekommenen Maschine flog. Deshalb registrierte er auch erleichtert, dass zwei Fallschirme zum Inventar gehörten. Lara legte einen davon an und warf Roux den zweiten zu.
„Die Fallschirme sind militärische Modelle – französisch. Du weißt..."
„Ich kenne den Typ, ja." In Roux Stimme schwang grimmige Belustigung mit, was Lara dazu veranlasste, den Söldner scharf anzusehen. Aber er erläuterte seine Äußerung nicht.
„Und der ganze Papierkram!"
„Alles schon erledigt. Wir haben freien Flug bis Kananga."
„Das muss aber teuer gewesen sein. In diesem Scheißladen ist das einzige was funktioniert die Korruption..."
„Sagen wir mal so – die paar tausend Dollar machen mich nicht arm. Und jetzt halt die Klappe, wir starten. Nächster Halt – Kananga."
Der Söldner lächelte schief: „Gibt es sonst noch etwas, was ich tun kann?"
„Achte auf Flakfeuer." Lara grinste bei diesen Worten.
Tatsächlich gab die Bodenkontrolle praktisch sofort den Start frei. Lara ließ die Maschine nur kurz steigen und hielt sich in einer Höhe von ein paar hundert Metern. Keiner der beiden sprach viel, denn der Motor dröhnte ohrenbetäubend, so dass eine Unterhaltung sowieso fast unmöglich gewesen wäre. Lara konzentrierte sich völlig auf den Flug und auf die zwar veralteten, aber funktionsfähigen Instrumente der Antonov.
Roux starrte die meiste Zeit reglos in die Dunkelheit. Seine grauen Augen wirkten blicklos - vor ihnen zogen Bilder aus einer Vergangenheit vorbei, die er wie einen Schatz hütete. Freilich, ein blutiger, ein vergifteter Schatz, von dem die Frau neben ihm nichts wissen sollte. Ein, zweimal reichte er Lara schweigend seine Feldflasche.
Drei Stunden waren vergangen. Inzwischen war es schon nach Mitternacht. Abgesehen von kurzen Kontrollfunksprüchen einiger weniger Bodenstationen war wenig passiert. Lara hatte sich von anderen Flughäfen ferngehalten. Sie war insgesamt zufrieden – noch eine halbe Stunde, dann würden sie Kananga erreichen. Und dann...
Der Angriff kam völlig überraschend, ohne Vorwarnung. Plötzlich zuckten vom Boden ein, zwei, drei Feuergarben zum Himmel, zerschnitten Leuchtspurgeschosse die Dunkelheit und schlugen in den Metallrumpf der Antonov.
Die Maschine wurde brutal durchgeschüttelt und überlastetes Metall ächzte, als Lara das Flugzeug nach links riss. Doch so leicht ließen sich die Schützen am Boden nicht abhängen. Mindestens eine der Leuchtspurbahnen folgte der Maschine bei Laras verzweifeltem Manöver und konzentrierte sich auf den Rumpf der Antonov.
Irgendetwas im Cockpit explodierte und überschüttete die beiden Insassen mit einem Funkenregen. Es roch nach verbrannter Elektronik – und auslaufendem Benzin. Die Bordinstrumente fielen aus.
Lara biss die Zähne zusammen und riss den Steuerknüppel zurück. Die Maschine war verloren, sie mussten raus – und dazu brauchten sie Höhe. Tatsächlich, die Maschine stieg.
„Roux – Raus hier!"
„Croft..."
„Spring, verdammt!"
Der Söldner schien kurz zu zögern, doch dann löste er die Gurte. Die Cockpittür flog auf, dann ließ sich Roux in die Dunkelheit fallen.
Lara wollte ihm folgen – als sich das Flugzeug abrupt auf die Seite rollte. Hastig griff sie wieder nach dem Steuerknüppel, stabilisierte den Flug – und begriff. Die Antonov hatte keinen Autopiloten und war am Rande zum Überziehen. Wenn sie jetzt den Steuerknüppel losließ, dann würde die Maschine abschmieren. Sie würde es niemals aus dem Flugzeug schaffen. Nicht in dieser Höhe. Sie saß in der Falle.
Sie sah sich im Cockpit um, nach irgendetwas, mit dem sie den Steuerknüppel fixieren konnte. Aber nichts war in Reichweite. Und die Maschine begann immer stärker zu rütteln, als ob die Hand eines Riesen sie unbarmherzig hin und her schleuderte. Lara schob den Steuerknüppel nach vorne und das Rütteln ließ nach – aber jetzt sank die Maschine. Aus dieser Höhe abzuspringen, wäre Selbstmord.
Und dann sah sie es – ein aus dieser Höhe schmal wirkendes, im Mondlicht glänzendes Band, daß sich durch die Dunkelheit der Tropennacht schlängelte.
Das musste der Lulua sein, der auch durch Kananga floss. Dies konnte die Rettung sein. Eine Notwasserung war riskant – aber ihre einzige Chance. Der nächste Flugplatz war zu weit entfernt, sie würde es niemals schaffen. Und in der Dunkelheit war es unmöglich, eine freie Fläche oder eine Piste zu finden, auf der sie landen konnte. Es blieb nur der Fluss.
Sie verlor Treibstoff und immer mehr Höhe. Ihr blieb nur wenig Zeit. Trotzdem überhastete sie nichts, wendete die Maschine in einer vorsichtigen Kurve und drückte dann langsam den Steuerknüppel nach vorne. Der Höhenmesser war ausgefallen, deshalb flog sie jetzt nur nach dem Gefühl. Und Augenmaß.
Noch vielleicht fünfzig Meter, vierzig, zwanzig, ein Dutzend...
Im letzten Augenblick zog sie die Nase der Maschine noch einmal kurz an – und biss die Zähne zusammen. Dann schlug die Maschine aufs Wasser, legte sich halb auf die Seite. Der Aufprall schleuderte Laras Kopf nach vorne, nur die Sitzgurte verhinderten, daß sie gegen die Bugverglasung prallte.
Während sie die Gurte löste und sich aus dem Sitz wand, der halb aus seiner Haltung gerissen worden war, drang bereits das erste Wasser ein.
Schnell griff sie nach den Rucksäcken. Die Rumpftür klemmte – mit einem schnellen Tritt sprengte Lara das Schloss. Während die Maschine langsam tiefer sackte, kletterte sie ins Freie. Sie hatte Glück gehabt, die Maschine war dicht am Ufer gelandet. Das Wasser schien hier nicht tiefer als ein bis anderthalb Meter zu sein. Tatsächlich sackte das Flugzeug nicht weiter ab. Lara schnallte den Fallschirm ab und schulterte einen der Rucksäcke. Den anderen vor der Brust, sprang sie in kurzerhand ins Wasser. Tatsächlich reichte es ihr nur bis zum Bauch. Sie watete ans Ufer, wo sie sich völlig erschöpft zu Boden fallen ließ. Sie hatte es geschafft.
Viel Zeit blieb ihr allerdings nicht, um zu verschnaufen. Denn mit einmal meldete sich ihr Funkgerät: „Croft! Lara, verdammt – melde dich!"
Sie lachte kurz auf und antwortete: „Alles klar, Roux. Hör auf, Lärm zu machen. Ich hab die Kiste runter gebracht."
„Geht's dir gut!"
„Bestens. Aber hast du eine Ahnung, wer uns da beschossen hat?"
Der Söldner schien erleichtert, schnaubte jetzt aber abfällig: „Keine Ahnung. Irgendwelche Warlord-Banden, Guerillas, Banditen oder Deserteure – falls es da Unterschiede gibt. Oder reguläre Einheiten. Besoffen, paranoid oder gelangweilt. Such es dir aus!"
„Wo bist du?"
Der Söldner war offenbar so vorsichtig gewesen, schon beim Start GPS-Gerät und Funkgerät am Körper zu behalten. Die Position, die er durchgab, war nur drei Kilometer von Laras Position entfernt. Mit einem „Bis gleich" meldete sich Roux ab. Lara lehnte sich zurück und wartete.
Ungefähr eine Stunde später hörte sie, wie Roux sich einen Weg durchs Unterholz bahnte. Der Söldner gab sich keine Mühe, leise zu sein.
„Du hast dir aber Zeit gelassen."
Der Söldner grinste verzerrt: „Knöchel verstaucht, Croft. Ich bin in einem verfluchten WALD runter gekommen. Das war doch hoffentlich keine Absicht..."
„Und warum hast du davon verdammt noch mal nichts gesagt!"
„Ich bin doch kein Baby...", er warf einen Blick auf die halb im Wasser versunkene Maschine, „...gute Landung. Aber riskant. Warum bist du nicht einfach abgesprungen?"
„Weil ich unter Höhenangst leide! Los komm schon, bis Kananga dürften es noch vierzig Kilometer sein. Oder brauchst du eine Pause?"
„Wenn ich wirklich nicht mehr kann, schreie ich. Gib schon her." Roux nahm seinen Rucksack und schulterte ihn. Auch wenn er tatsächlich leicht humpelte, wollte er offenbar auf keinen Fall schwächlich oder angeschlagen wirken.
Lara verzog spöttisch den Mund. Natürlich wollte er sich keine Blöße geben. Typisch.
Aber sie achtete trotzdem darauf, kein zu scharfes Tempo vorzugeben.
Es waren nur noch ein paar Stunden bis zur Morgendämmerung. Trotz seiner Blessur hielt Roux sich gut, marschierte mit sparsamen, kraftsparenden Bewegungen und hielt dabei die Umgebung wachsam im Auge.
Er war es, der zuerst den LKW hörte. Die Straße konnte nicht weit entfernt sein, wurde aber durch das dichte Unterholz verborgen. Kurzentschlossen änderte er die Marschrichtung, erreichte die Straße und sah die Scheinwerfer des Lasters aus dem Dunkel der Nacht auftauchen.
„Sieht nicht gerade wie ein Militärlaster aus, Croft."
„Versuchen wir es."
Der Söldner trat einfach auf die Straße und signalisierte, die Arme ausgebreitet, in einer Mischung aus Französisch und kongolesischen Brocken, das der LKW halten sollte.
Tatsächlich stoppte der Wagen. Wenn der Fahrer, ein nicht mehr junger, hagerer Schwarzer, überrascht war, nachts mitten im Nirgendwo von zwei Weißen in Tropenkleidung gestoppt zu werden, so zeigte er es jedenfalls nicht. Sein Französisch war passabel und für ein paar Dollar war er mehr als bereit, Lara und Roux mitzunehmen. Die beiden wuchteten ihre Rucksäcke auf die Ladefläche und kletterten selber hinauf.
Die Stoßdämpfer des alten französischen LKW hatten längst den Geist aufgegeben. Die Straße war in schlechtem Zustand und menschenleer. Die kleinen Ortschaften, die sie passierten, waren ärmlich. Der Morgen brach an.
„Wenn diese Schrottkiste nicht schlappmacht, dann müssten wir Kananga bald erreichen."
„Und, was erwartet uns?"
„Achthundert tausend Einwohner, vielleicht auch eine Million – mit den Flüchtlingen. Ein internationaler Flughafen – jedenfalls dem Anspruch nach. Die Stadt ist zumindest pro forma Provinzhauptstadt Kasai-West. Deshalb sind hier auch fast alle Hilfsorganisationen und die UN präsent. Und auf dem Schwarzmarkt kann man so ziemlich alles kaufen. Menschen, Waffen, Diamanten."
„Auch schon mit verdient?"
„Was glaubst du, woher wir die Bleispritzen für die Sicherung der Ausgrabungen besorgt haben..." Der Söldner stand auf, blickte voraus und fluchte leise: „Ein Kontrollpunkt."
Lara folgte mit den Augen seiner Handbewegung. Tatsächlich, in etwa fünfhundert Metern stand neben der Fahrbahn ein Militär-Jeep mit aufmontiertem Maschinengewehr. Ein halbes Dutzend Soldaten in Tarnuniformen, Stahlhelme auf dem Kopf, standen daneben.
„Roux?"
„Richtige Uniformen, Stahlhelme, belgische und amerikanische Waffen – würde sagen, dass sind reguläre Truppen. Jedenfalls nicht nur irgendwelche Milizionäre. Mal sehen, wie gut deine Papiere sind. Und gib ihnen nur nicht zu viel Geld auf einmal." Der lockere Ton des Söldners konnte Lara nicht täuschen. Er war auf der Hut.
Einer der Soldaten trat auf die Fahrbahn, das FN-Sturmgewehr locker in der Armbeuge. Seine Armbewegung war eindeutig und unmissverständlich: ANHALTEN!
Doch der Fahrer drückte nur auf die Hupe und gab Gas. Der Soldat rettete sich mit einem Sprung zur Seite. Hinter dem vorbei rasenden Laster rannten die anderen Soldaten auf die Straße, fluchend und schreiend, die Waffen im Anschlag. Aber sie schossen nicht.
Binnen weniger Sekunden war der Kontrollposten in den Staubwolken verschwunden, die der LKW auf der ungepflasterten Straße aufwirbelte.
Lara und Roux hatten Mühe, sich bei dieser Geschwindigkeit auf der Ladefläche zu halten. Fluchend hangelte sich Roux nach vorne, hämmerte gegen die Rückwand der Fahrerkabine und brüllte eine Frage.
Der Fahrer brüllte die Antwort zurück, und Lara hörte, dass er dabei lachte. Roux wandte sich zu ihr um: „Er sagt..."
„Ich hab's verstanden!" So schnell schießen reguläre Soldaten nicht auf einen Wagen mit Weißen. Und Weiße, die hinten auf einem LKW mitfahren, die sind verrückt – oder Söldner.
