Nun sitzend betrachtete Maria ihre Lehrerin genauer, die große, schlanke Figur der Frau wurde von einem scheinbar aus vielen untereinander liegenden Schichten leicht verschiedenfarbigem Stoff bestehenden Umhang verhüllt. Es war, als ob sie in eine blau, grüne viel blättrige Blüte gehüllt war. So etwas hatte Maria noch nie gesehen, doch es gefiel ihr. Die Haut der Lehrerin, die Prof. Serpis hieß, erinnerte an Kaffee, dem man zuviel Milch beigemischt hatte und verriet so eine Südländische Herkunft. Überhaupt hatte das Mädchen durch die mandelförmigen, dunklen Augen und die vier goldenen und ringförmigen Ohrringe das Gefühl, es mit einer Zigeunerin zutun zu haben.
Ihr dunkles gelocktes Haar, wurde von einem Tuch nach hinten gehalten, sodass die Haare nicht ins Gesicht fielen, jedoch frei über den Rücken fallen konnten. Ihre dunklen Augen waren von langen Wimpern umrahmt und schienen mit einem inneren, leisen Feuer gesegnet zu sein. Starke Wangenknochen und eine hohe Stirn ließen sie streng und gebieterisch, die Augen und der blass rote, volle Mund jedoch verführerisch wirken. Erst jetzt bemerkte Maria die hohe Prozentzahl an männlichen Teilnehmern dieses Kurses, der laut ihrer Mutter eher ungewöhnlich war.
„Ich denke, ich habe genug über das Thema der anstehenden Prüfungen gesagt. Kommen wir nun zu unserem neuen Mitglied." sagte Prof. Serpis, nach weiteren fünf Minuten und zeigte mit der offenen Hand auf Maria. „Ich habe mich bereit erklärt Sie hier auf zunehmen, unter der Bedingung Sie zuerst einmal einer Prüfung zu unter ziehen. Denn es macht keinen Sinn, wenn ich Sie dieses Jahr hier unterrichte und Sie fallen in der Prüfung durch. Haben sie bereits die Karen durchgenommen?"
„Ja, Professor, dass habe ich als erstes gelernt." nickte Maria und war erstaunt ein wissendes Lächeln auf dem Gesicht der Frau und einen erstaunten Ausdruck in den Mienen der anderen zu sehen. „Dachte ich mir." schmunzelte die Professorin und fügte erklärend hinzu, „Natascha hatte für diese Kunst schon immer eine Vorliebe. Ich persönlich würde es auch viel früher durchnehmen, doch es ist laut Lehrplan erst in der sechsten Klasse erlaubt."
Sie holte einen Tarot-Kartenstapel aus ihrem flatterhaften Umhang, mit dem weiten Ausschnitt und legte ihn vor dem Mädchen auf den Tisch. „Drei Karten, ganz einfach, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und nur die Bildkarten, sonst sitzen wir noch Stunden hier. Also bitte, Mr. Nero." Maria wollte fragen, woher die Lehrerin ihre Mutter kannte und warum sich das Mr. angehört hatte, als ob sie bezweifelte, dass sie es wert war Mr. genannt zu werden. Doch das einzige was sie erwiderte war, „Für wen soll ich die Karten legen?"
„Für mich wenn sie es sich zutrauen. Wenn nicht, für sich selbst." zur Klasse gewand fügte sie hinzu, „Es ist schwieriger für eine andere Person die Karten zu legen, da man sich in diese Person sehr intensiv hinein denken muss um das gewünschte Ergebnis, einen klaren Blick in die Zukunft, zu erlangen. Wenn es eine völlig Fremde ist, braucht es schon das zweite Gesicht um es zuschaffen." Sie nickte Maria freundlich zu und wartete auf ihre Antwort.
Maria sah für einen Augenblick in die dunklen Augen der Zigeunerin und fragte sich ob sie das Gesicht schon einmal irgendwo gesehen hatte, doch es kam ihr überhaupt nicht bekannt vor. Natascha, Marias Mutter, hatte nie von einer Freundin oder so erzählt, aber manchmal, wenn Maria mal wieder etwas ganz besonders gut in Wahrsagen gemachte hatte, hatte sie mit unter bedächtig genickt und gesagt, „Bin ich froh, das du ein Mädchen geworden bist, einem Jungen hätte ich meine Gabe sicher nicht vermacht." Sie hatte das zweite Gesicht, wie die Lehrerin es nannte, aber war es klug es so offen preis zugeben?
„Ich würde mich gerne an ihnen versuchen, Prof., aber ich weiß, nicht ob ich es schaffe." Wieder nickte die Lehrerin, „Wir werden sehen."
Mit dem Zauberstab mischte das Mädchen die Karten und schloss dabei die Augen. Vor ihrem inneren Auge stellte sie sich die Lehrerin vor. Sie ließ sich beim mischen in Gedanken in die tiefen des Weltalls fallen, schaltete alle ihre eigenen Gedanke und Gefühle, sowie alles um sie herum aus und suchte von dort aus nach dieser Zigeunerin, die ihre Mutter zu kennen schien und deren Karten sie nun legen würde. Lange brauchte sie nicht. Maria nahm immer noch mit geschlossenen Augen die 22 Karten in die Hand und spürte die Kraft die darin wohnte. Es mussten sehr alte Karten sein, mit denen schon viele gut Seherinnen gelegt hatten.
Die drei Karten, bei denen ihre Finger begannen zu kribbeln, legte sie verdeckt auf den Tisch. Dann öffnete sie die Augen und blickte hinunter. Mit lauter Stimmer sagte sie, „Vergangenheit!" und deckte die Karte auf. Es war der Tod, auch dies verkündete sie laut und ein schaudern lief durch den Raum. Die meisten der Anwesenden hatten noch nie ein Tarot in der Hand gehabt und nahmen die Namen der Karten wörtlich. „Gegenwart! – Die Liebenden." Maria konnte sich bereits denken, worauf diese Karte hinauslaufen würde. „Zukunft! – Der Turm." Bei dieser Karte bemerkte Maria, dass die Lehrerin Angst bekam, denn sie konnte durch diese Verbindung die sie durch Karten aufgebaut hatte, fast in die Seele der Frau blicken.
Immer noch kaum etwas um sich herum wahrnehmend legte sie die flache Hand auf die erste Karte, den Tod und tauchte Seelisch darin ein um zu hören, was sie zu erzählen hatte. Sie sah Bilder der Lehrerin, wie sie auf einem Muggle Jahrmarkt arbeitete, arm und heruntergekommen, dann wie sie verhaftet wurde und beim Gericht eine Vision hatte. Als nächstes war sie bei einem Vorstellungsgespräch bei Dippet und im Hintergrund konnte Maria den Verwandlungslehrer erkennen. Die Schülerin zog ihre Hand weg, sie hatte genug gesehen. Um den Trance artigen Zustand nicht zu verlieren, sagte sie ihre Deutung nicht sofort, sondern sah erst in die nächste Karte.
Die Liebenden sagten meist, aber nicht immer, etwas über das Liebesleben aus, wie auch diesmal. Leicht geschockt verfolgte sie wie Regis Rex nach der Stunde im Klassenraum der Wahrsagelehrerin zurück blieb, zu ihr ging und mit einem scharmanten Lächeln zu ihr sagte, „Ich habe heute in der Kristallkugel gesehen, dass wir uns küssen Professor." Das nächste Bild entsprach in etwa dem was Rex angeblich gesehen hatte, doch das dritte zeigte die Frau unschlüssig hin und her gehen, einen Brief in den langen, zarten, viel beringten Fingern. Maria sah die Unterschrift des Jungen, die mit einem Herzen versehen war. Auch dies musste sich das Mädchen nicht länger mit ansehen.
Wie gewohnt war die Zukunftskarte nicht so deutlich zuerkennen wie die anderen Beiden, der Nebel des eigenen Willens ließ Maria nur wenig erkennen. Das erste Bild war noch ziemlich genau, anscheinend war es bereits geschehen, Prof. Serpis wurde von jemandem verzaubert. Dann gab sie jemandem Zauberunterricht, auch dies musste bereits passiert sein. Viele Leute, zeigte das dritte Bild, aber nur schemenhaft. Sie rannten durcheinander und teilten sich schließlich in kleine Gruppen auf. Eine zu einer Gruppe, die am nächsten dran war, kamen schwebende Gestallten und die Gruppe teilte sich und eine hälfte ging zu den Ankömmlingen, dann wandten sie sich weder um und die andere Hälfte ihrer Gruppe fiel zu Boden. Obwohl Maria versuchte weiter zu sehen, wurde alles um sie her schwarz und sie wachte auf.
Die Geräusche der flüsternden Schüler, der Vögel vor dem Fenster und des Windes der um das Schloss strich, stürzten im ersten Moment fast unerträglich auf sie ein. Dies geschah immer, doch die ständige Wiederholung machte das Ganze nicht einfacher. Auch die grellen Farben des Raumes und des Umhangs der Lehrerin schmerzten sie. Doch alles normalisierte sich innerhalb von Sekunden und alles war so wie sonst. Das Ganze, mit mischen und eintauchen in die Karten, hatte nicht viel länger als zwei, drei Minuten gedauert. Nun sah Maria sich zum ersten Mal die Karten genauer an und bemerkte wie düster Tod und Turm, und wie grell die Liebenden waren. Es erinnerte sie ein wenig an die Karten, die sie zu Hause hatte.
„Der Tod bedeutet nicht das Ende, sondern den Anfang!" begann Maria, die Karte mit dem typischen Skelett zu erklären. Im Hintergrund der Karte waren wogende Kornfelder zusehen und eine Kräh flog darüber hinweg. Sie sah der Lehrerin in die Augen, „Diese Karte symbolisiert in diesem Falle das zu Ende gehen einer schlechten und den Anbruch einer guten Zeit." Zwar hätte Maria durchaus auch sagen können, dass es die Zeit in Hogwarts gewesen war, die angebrochen war, aber sie wollte nicht sagen, wie viel sie konnte.
„Die Liebenden," die Gestallten auf der Karte, ein Mann und eine Frau in bunten Gewändern, gingen auf sich zu, küssten und trennten sich schnell wieder von einander, hielten sich jedoch weiterhin an einer Hand, auf der eine Taube erschien. „stehen hier für eine zwar beidseitige, aber doch unglückliche Liebe." Bei diesen Worten konnte Maria es nicht verhindern ihrem Sitznachbarn einen neugierigen Blick zuzuwerfen. Er verbarg seine Überraschung gut, jedoch nicht gut genug für Marias Blick.
Die letzte Karte zeigte den Turm von Babel, der von mehreren Blitzen getroffen wurde und von dem Menschen sprangen, dies war typisch für diese Karte. Was Marias Aufmerksamkeit erregte war jedoch keins von beiden, sondern das gift grüne Zeichen, das über der Szenerie vor dem schwarzen Himmel leuchtete. Sie hatte dieses Zeichen noch nie gesehen und nahm sich vor, es nach zuschlagen, oder wenn nirgends zu finden, die Lehrerin zu fragen. „Der Turm bedeutet Umbruch. Er warnt vor Großmut und vor mangelnder Standhaftigkeit." schloss Maria ihre Prophezeiung und sah noch für einen Moment ernst, dann aber erleichtert ausatmend und lächelnd zu der Lehrerin auf. „Ich habs doch einiger Maßen hinbekommen."
„Ja, das haben sie wirklich. Ich möchte Sie aber trotzdem nach der Stunde noch einmal unter vier Augen sprechen." Mit diesen Worten wand sie sich wieder ihren anderen Schützlingen zu. „Es macht keinen Sinn jetzt noch mit dem Traumdeuten anzufangen, also beginnt bitte das erste Kapitel über Traumdeutung zu lesen, der Rest ist Hausaufgabe." Alle schlugen ihre Bücher auf und begannen zu lesen.
